Attentat Theater
Singen, Tanzen und das Spiel mit dem reißerischen Ernst. „Assassins“, das Attentäter-Musical, ist derzeit im Landestheater Linz zu sehen. Theresa Gindlstrasser hat am Ende viele Trumps gesehen, fragt sich, ob das eigentlich alles geht und stellt vergleichende Überlegungen zu „The Producers“ an.
Ein Musical, oder ist das dann ein Grusical?, über neun Attentate beziehungsweise Attentatsversuche auf acht US-amerikanische Präsidenten – ja, sowas gibt’s.
„Assassins“ von John Weidman (Buch) und Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte) heißt in der deutschen Fassung von Michael Kunze „Attentäter“ und läuft seit Anfang April am Landestheater Linz. Uraufführung war 1990 an einem Off-Broadway-Theater, später London, Berlin, nochmal New York, Kapstadt, Toronto. Jetzt also Linz.
Das Programmheft zitiert aus einem New York Times-Artikel des US-amerikanischen Psychiaters Robert Jay Lifton: „Jeder Mörder hat etwas Faszinierendes an sich. Er oder sie besitzt die spezielle Aura desjenigen, der das ultimative Verbrechen begangen hat und zum Gebieter über Leben und Tod geworden ist, wie ein böser Schamane oder ein wiedergeborener Mengele. Der Präsidentenattentäter ist sogar noch weitergegangen, indem er sich ein besonderes Opfer gesucht hat, einen symbolischen König und Anführer der Nation.“ Das klingt alles ganz nach Schau-Lust und Regelbruch-Gier, nach Sensations-Geilheit und ergötzlichem Spektakel für sittsames Publikum. Das sattsam im Dunklen sitzt, während Zeitgeschichte und Historisches für billige Pointen im trivialen Musical-Format verbraten werden. Shocking! Das „ultimative Verbrechen“! Wir zeigen mehr als einen Mord, wir zeigen einen „symbolischen“ Mord. Kann denn so ein Genre an so ein Thema heran? Ja, ich will nicht sagen „sowas gibt’s“, es gibt jedenfalls eine Assoziation: „The Producers“, die Filmkomödie von Mel Brooks aus dem Jahr 1968, wurde 2001 am Broadway aufgeführt und 2005 in der Regie von Susan Stroman neuverfilmt. In „The Producers“ planen zwei Produzenten einen bombastischen Musical-Flop, auf dass sich daraufhin bombastisch viel Geld hinterziehen ließe. Aber, gegen alle Wahrscheinlichkeit, gerät das Musical „Springtime for Hitler“ zum Erfolg und die beiden ins Häfn. Es gibt also ein Spiel im Spiel und dieses Spiel im Spiel, aka „Springtime for Hitler“ in „The Producers“, verunernstet den Nationalsozialismus zu einem ästhetisch überbordenden Arrangement aus Pirouetten drehenden SS-Männern, übermensch-großen Brezeln und einem wie bekifft winkenden Hitler.
Eingangs, Max Bialystock wird als ewig scheiternder Broadway-Produzent etabliert, findet sich übrigens einen Verweis auf „Hamlet“. Die Tragödie von Shakespeare (wahrscheinlich 1602 fertig gestellt) gilt als prominentes Beispiel des Mise-en-abyme-Motivs. Im Kontext der Theaterhandlung „Hamlet“ lässt Hamlet ein Theaterstück aufführen um den Mörder seines Vaters zu überführen. Auch die Linzer Inszenierung von „Attentäter“ greift auf das Spiel-im-Spiel-Verfahren zurück. Die sieben Attentäter und zwei Attentäterinnen werden nacheinander von einer Conférencier-Figur auf einer Bühne auf der Bühne einem Publikum aus lauter Trumps vorgestellt. Einer nach der anderen versingen sie ihre Attentate und performen für die Trumps.
„Make America great again“, blinkt es über der schummrigen Guckkastenbühne, die Eva Musil ins Schauspielhaus gebaut hat. Nach jedem Song, nach jeder Attentats-Performance jubelt die unter voluminösen Trump-Masken versteckte Statisterie. An Tischen verteilt, trinken sie Sekt, wenden dem Theater-Publikum den Rücken zu. Der Caspar-David-Friedrich-Moment holt die Betrachtenden spiegelbildlich ins Betrachtete hinein. Das Publikum im Landestheater Linz schaut einem anderen Publikum beim Schauen zu. Und staunt, dass diese Trumps offenbar so gar nicht das potentiell auch gegen sie gerichtete Spektakel als ein solches ernst nehmen. Die Trumps missverstehen die Attentats-Performance als Parodie, das Publikum im Schauspielhaus darf diesen Zusammenhang erkennen.
Darf sich selbst in diesem Zusammenhang erkennen. Womit wir wieder bei „The Producers“ wären. Dort missversteht das Publikum den Versuch mittels schlechtestem Drehbuch ever, in Kombination mit einem Tony-Award-fixiertem Regisseur und einem Altnazi in der Rolle von Hitler, einen Flop zu produzieren. Und missversteht dies als gut und klug gemachte Parodie, als gelungenen komödiantischen Umgang mit dem Nationalsozialismus. Für das Publikum vor dem Bildschirm wiederum wird stellvertretend das Showbusiness als Tanz ums goldene Kalb entlarvt. Das Spiel im Spiel generiert Selbstreflexivität: Gehe ich, sowie das Publikum, dem ich zusehe, hier etwas oder jemandem auf den Leim? Bin ich Teil dieser Gesellschaft des Spektakels?
„Jeder hat das Recht, sich frei zu entfalten“, singen die Attentäter und Attentäterinnen. Präsentieren ihre Morde und Mordversuche aus der Gedankenwelt des American Dreams heraus. „Heute Bettler, morgen Millionär!“. Die Figuren beharren auf ihrem Recht, ihre eigene Geschichte auch entgegen der historischen Forschung zu erzählen, beharren auf ihren Ideen von einer „großen Tat“. Das klingt dann manchmal recht revolutionär-romantisch: „Protestier, revoltier, bis sie alle hinhör’n!“. Manchmal auch schlicht sozialkritisch: „In einer Waffe steckt viel Arbeit drin. Viele schuften für sie ohne Sinn“. Aber wie sagte John Hinckley, der 1981 versuchte Ronald Reagan zu ermorden? „Waffen sind was Hübsches, stimmt’s? Sie können außergewöhnliche Leute töten, und das mit irrsinnig wenig Aufwand“.
Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist vor allem das Land der Schusswaffen, die von der Waffen-Lobby gerne als „Gleichmacher“ verstanden werden. „Was für eine Lust: Man krümmt nur einen Finger und verändert mühelos den Lauf dieser Welt“. Der Liberalismus des weißen Mannes mit der Handfeuerwaffe gebiert die Attentäter und Attentäterinnen, die weiterhin fröhlich behaupten: „Jeder hat das Recht, sich frei zu entfalten“. Sich also auch gegen andere frei zu entfalten.
Das alles ist schon gruselig. Also doch wirklich ein Grusical. Dieses Musical. Ich würde sagen: Eine gut und klug gedachte Parodie auf die unsolidarische Gedankenwelt, in der das Universum in zwei Teile zerfällt. Zuerst ich und dann der ganze Rest. Und der Rest steht unter mir. Übrigens war es Präsident Gerald Ford, dem von den insgesamt neun verhandelten Attentaten gleich zwei galten. Lynette „Squeaky“ Fromme versuchte am 5. September 1975 zwecks Erzwingung der Freilassung von Charles Manson auf ihn zu schießen. 17 Tage später probierte es Sara Jane Moore nochmal: „Ich tat es, um Chaos zu verursachen“.
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