Bei mir ist alles bis zum Schluss verhandelbar
Zwei ästhetisch sicher gratwandernde Ausstellungen des vergangenen Herbstes: Matthias Tremmel zeigte sug zansibar fried war im EFES 42 in Linz, Edgar Lessig stellte I thought I wanted to be there, but I wasn’t sure in der Stiege 13 in Wien aus. Die Referentin hat Edgar Lessig und Matthias Tremmel eingeladen, sich über ihren Zugang zu Kunst, zu Material und den Dingen zu unterhalten.
M: Und jetzt sitzen wir in einem Café in St. Pölten und unterhalten uns für die Referentin.
E: Ja, weil St. Pölten genau in der Mitte liegt, wenn man von Tür zu Tür rechnet. Ich habe extra auf Google Maps nachgeschaut. Hast du dir was für unser Gespräch überlegt?
M: Hör zu, was hältst du davon: Ich finde, dass unsere künstlerische Herangehensweise an die Projekte, die wir machen, sehr ähnlich ist. Nur diametral anders. Im Prinzip sind wir beide Trichter. Nur die Orientierung ist anders. Meine Arbeiten sind ein eher breit gefasster Trichter, damit Leute hineinrutschen können. Fast wie Lupen, die irgendwo hindeuten – möglicherweise auf etwas Diffuses, schwer zu sagen. Bei deinen Arbeiten ist es umgekehrt. Die sind konzentriert, klar und konkret, aber schwer zum Einklinken. Die kleine Öffnung des Trichters eben. Aber wenn man sich dafür einmal eingeklinkt hat, kommt man in die Weite.
E: Das ist eine spannende Überlegung.
M: Zum Beispiel deine Ausstellung in der Stiege 13, da muss man dich und das Ganze schon kennen, damit man zur Arbeit hinkommt, oder?
E: Ich wüsste es nicht, weil ich mich selbst zu gut kenne. Ich kann nur das wiedergeben, was mir manche Besucher:innen gesagt, und ich recht schön gefunden habe. Die kannten meine Arbeiten nicht wirklich, sind in die Ausstellung gegangen und haben mit dem Ausstellungstitel schon einen Zugang zu der Sessel-Arbeit gehabt. Sie haben sich gefragt, ob tatsächlich irgendwas stattgefunden hat, ob sie zu früh oder zu spät sind und haben dann angefangen zu philosophieren: Ab wann wird aus dem zu spät ein zu früh? Weil, wenn du nach einem Treffen die benutzen Sessel wieder zurückstellst, kreierst du ja quasi das Potenzial des erneuten Herunternehmens. Und das von Leuten zu hören, die den Ausstellungstext von Jasmin Mersmann vorher nicht gelesen haben, fand ich total schön! Aber ich bin mir auch bei deiner Ausstellung im EFES 42 nicht sicher, wie viele Leute deine eigene Interpretation der Arbeit herauslesen konnten.
M: Das ist ja generell nicht möglich, meine Arbeiten können ja nur für mich vollkommen funktionieren. Für alle anderen funktionieren sie als Show. Mein Ansatz bei jeder Arbeit ist immer: Wenn eine Person zufällig so daherkommt, muss sie irgendwie Spaß am Raum finden können. Aber natürlich haben andere keine Chance, sich in mein Verständnis einzuklinken. Meine Arbeit ist für alle offen, aber die Chance, die Interpretation so wie ich zu entschlüsseln hat niemand.
E: Wenn man sich reinfuchst, kommt man aber vielleicht nah ran. Du hattest einen Begleittext aufliegen, der nur aus einem Satz besteht: „What is a knockout like you doing in a computer-generated gin-joint like this?“. Ich hab den Satz einfach gegoogelt und dann erkannt, dass er aus ‚Star Trek: The Next Generation‘ ist. Es geht um dieses Holodeck, konkret um eine Episode, in der eine Bar darin generiert wird. Damit hatte ich dann für mich einen Zugang gefunden. In der Ausstellung sehe ich dann grün angemalte Pommes, und habe sofort eine Verbindung zu eben diesem Holodeck hergestellt. Der Begleittext funktioniert ein wenig wie ein Easteregg in Computerspielen. Er ist nicht notwendig, um deine Arbeit zu erfassen und um Spaß daran zu haben. Aber wenn man ein wenig Arbeit reinsteckt, fühlt man sich wie ein König, weil man hinter die Kulissen schauen konnte.
M: Wie bei deiner Foto-Plakatarbeit eigentlich. Da sitzen 5 Leute dichtgedrängt auf einem Sofa, hinter ihnen der Titel der Ausstellung „I thought I wanted to be there, but I wasn’t sure“ auf einem riesigen Plakat und schauen dich an. Und im zweiten Raum die leeren Stühle.
E: Genau! Das habe ich ja auch gemacht, damit man hinter die Kulissen schauen kann. Um einen kurzen Blick auf meine Interpretation der Ausstellung zu bekommen.
M: Diese ganze interne Kohärenz, die man als Künstler:in ins eigene Werk steckt, ist dir schon wichtig, oder?
E: Ich brauche diese Struktur einfach, damit Arbeiten überhaupt entstehen können. Es gibt so unglaublich viele Möglichkeiten und Entscheidungen zu treffen, da brauche ich eine gewisse Kohärenz, um zu einer Entscheidung zu kommen.
M: Aber hat man wirklich eine Auswahl an Möglichkeiten? Also sicher stehen theoretisch unendlich viele Möglichkeiten zur Auswahl, aber tatsächlich gibt es nur eine: die Möglichkeit, die zum Kunstwerk passt und die es zu finden gilt, oder?
E: Stimmt schon, aber ich muss mir zuerst einen Rahmen schaffen, damit ich darin überhaupt erst die eine richtige Möglichkeit finden kann.
M: Sicher, Strukturen und Grenzen muss es geben, aber das sind für mich oft nur die Räumlichkeit und die Zeitlichkeit. Weiter traue ich mich gar nicht zu begrenzen. Davor schrecke ich zurück, habe sogar Angst davor.
E: Ich auch.
M: Aber machst du es nicht?
E: Ja, mittlerweile. Aber es ist gruselig, weil ich Angst habe etwas zu verpassen. Aber irgendwo gibt‘s mir sogar Sicherheit. Irgendwo muss ich anfangen, Entscheidungen zu treffen, damit ich weiterkomme, um sie nachher wieder revidieren zu können.
M: Bei mir ist alles bis zum bitteren Schluss verhandelbar. Alles ist möglich und das Ding ist erst fertig, wenn die Ausstellung steht. Davor kann sich alles jederzeit ändern.
E: Ich glaube aber schon, dass auch du schon davor Entscheidungen triffst. Die Materialien standen zum Beispiel schon am Anfang der Ausstellung fest: Holz, Pommes und dieses Wolkenmaterial. Dein Rahmen sozusagen, und wie sich das Material dann zu einer Arbeit manifestiert, das ist dann die zu suchende einzige Möglichkeit.
M: Sie standen nicht wirklich fest, sie haben sich eher ergeben, aber auf alle Fälle bewege ich mich auch in Rahmen, wenn auch nur, um sie wieder zu brechen. Mir kommt oft vor, ich stolpere durch Rahmen wie ein Clown in der Manege.
E: Es hat bei deiner Ausstellung übrigens erstaunlich wenig nach Frittierfett gerochen.
M: Naja, beim Aufbau hab ich ja jeden Tag drinnen frittiert. Da war der Geruch wirklich omnipräsent. Ich hab’s aber schon gar nicht mehr gerochen.
E: Aber dir war der Geruch dann zu viel?
M: Ich hab ja schon mehrere Arbeiten mit Fritteusen gemacht und Frittiergeruch ist halt ein extrem potentes ästhetisches Mittel, das übertüncht viele andere Sachen. Ich wollte es nicht nur auf diesen Fritteusen-Geruch reduzieren. Darum hab ich davor auch radikal gelüftet. Und dabei halt eine Spur zu viel. Ich hätte gern gehabt, dass der Geruch erst auftritt, wenn man schon eine Weile drinnen ist.
E: Ist aber auch schwierig, sowas in so einem offenen Raum zu kontrollieren.
M: Ja, aber es ist auch egal. Er war nicht so notwendig, weil das Visuelle ja eh so aufregend war. Das orange Licht plus dem Frittiergeruch wären als sinnlicher Eindruck zu viel gewesen.
E: Es ist spannend, wie gewisse Elemente bei dir immer wieder kommen, aber sich anders präsentieren. Du hast gemeint, diesmal war es weniger chaotisch, oder wie hast du das gesagt, konzentrierter?
M: Sicherer, ich war mir diesmal sicherer. Ich glaube meine Arbeiten der letzten sechs Jahre waren teils sehr überladen aufgrund einer Unsicherheit meinerseits. Eben weil ich will, dass alle was von der Arbeit haben und dafür muss man eben eine große Bandbreite von Wahrnehmungen abdecken. Das Visuelle, das Haptische, das Rezeptionelle. Auch diese gewisse Unschärfe, ob es nun ein Kunstwerk ist oder nicht, ist notwendig, damit man die Kunstleute ein bisschen davon abhält, eine Arbeit zu schnell zu kategorisieren.
E: Was ja immer ein bisschen schwierig ist, wenn man in einem Kunstraum ausstellt.
M: Sowieso, aber möglich!
E: Das habe ich auch mit den Arbeiten in der Stiege 13 versucht. Ich hab herumphantasiert, was diese zwei übereinanderliegenden Räume mal gewesen sein könnten und dann das Narrativ geschaffen, dass es ein Versammlungsort war. Das war Basis dieser Arbeit und dann stehen einfach Stühle drinnen und ein Foto-Plakat hängt an der Wand. Und dann waren eben Leute verwirrt. Es ist ja witzig, wenn man Leute aus der bildenden Kunst verunsichert, aber wenn man ehrlich ist, checken alle, dass es eine künstlerische Arbeit ist, weil es in einem Kunstraum stattfindet.
M: Nach zwei Sekunden checken sie es vielleicht, aber in den ersten Sekunden ist ein Zweifel da, und den sollte man anvisieren. Aber man darf eine Arbeit nicht nur auf diesen Zweifel reduzieren. Trotzdem braucht jede Arbeit eine gewisse Unsicherheit in der Wahrnehmung, damit offener und freier wahrgenommen werden kann. Aber diesen Moment zu erzeugen, in dem man sich unsicher ist, was es nun ist, ist ein Balanceakt, wo man leicht zu viel oder zu wenig machen kann. Bei meiner Arbeit „gebühnt tranchiertes narrationsimulativ_guerilla-ontologische machination“ bei der Ausstellung „eben“ im Salzamt, hats ja zum Beispiel Bretter, Teppich, Gelatine, Video, Eier, Keramik, Sesam, Plastikbesteck und Neonlicht gegeben. Und das ist schon eine krasse Überladung, die abstoßend werden kann. Bei dieser Überforderung kann man sich dann eher schwer einklinken.
E: Naja, aber alle deine Arbeiten sind eine Überforderung.
M: Findest du die EFES 42-Ausstellung war auch eine Überforderung?
E: Auf jeden Fall. Aber nicht in der Fülle des Materials, sondern eher wie du es benutzt hast. Du gehst da rein und siehst irgendwelche Holzstangerl emporstehen in denen grüne Dinger drinstecken. Dann erkennt man, dass es angesprayte Pommes sind, oben hängen irgendwelche Plüscherl, die das Licht färben und unten schweben Holzbretter knapp über dem Boden. Und man selbst steht mittendrin. Genau diese kurze Überforderung macht Tabula rasa mit deiner Erfahrung und dadurch lernt man die Arbeit neu kennen.
M: Lustig, weil ich war so stolz darauf, dass es so eine ruhige Arbeit ist.
E: Sie ist eh ruhig, aber sie kann ja trotzdem überfordern. Mein Lieblingsvergleich ist die Ausstellung in der Secession von Daniel Dewar & Grégory Gicquel, die Kommoden, Reliefs und eine Bank geschnitzt haben. Diese Bank stand dort, wo normalerweise eine Museumsbank stehen würde. Und dort stand nicht „Bitte hinsetzen“, es stand auch nicht „Bitte nicht hinsetzen“. Es stand nämlich gar nichts da, das ist total überfordernd, weil dir nicht gesagt wird, was zu tun ist. Aber es ist halt nur im ersten Moment überfordernd. Und wenn man diese Überforderung überwinden kann, gewinnt man Entscheidungsfreiheit.
M: Voll, eine Art Handlungsraum, der eine eigene Wahrnehmung ermöglicht. Es ist damit fast schon emanzipierend. Ich finde, Kunst sollte ja eigentlich immer subversiv sein.
E: Darum denke ich, dass Überforderung prinzipiell nichts Schlechtes ist. Es ändert auf radikale Weise deinen Anspruch und deine Sehgewohnheit auf dieses Ding.
M: Wahrscheinlich kommt es drauf an, wie man sich einer Überforderung stellt. Es gibt ja ganz tief in uns diese acute-stress-response, zu Deutsch Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Dabei reagiert man auf eine Überforderung, also auf einen momentanen Kontrollverlust, entweder konfrontativ oder fliehend. Also man macht einen Schritt nach vor hin zum Unbekannten, oder halt ganz viele zurück ins Bekannte.
E: Das ist eine super Schluss-Analogie, oder?
M: Eigentlich schon irgendwie.
Edgar Lessig ist in der Kunst zuhause, geht aber ab und zu auch mal vor die Türe. Er hat Bildende Kunst an der Kunstuniversität Linz studiert und macht dort gerade seinen Abschluss in Angewandte Kultur- und Kunstwissenschaften. Zuletzt hat er in der Stiege 13 in Wien ausgestellt. www.edgarlessig.com
Matthias Tremmel bevorzugt seine narrativ-simulierten Kunstwerke gerne auch punktgenau frittiert. Nach einem Zwischenspiel als Keramik-Werkstättenleiter an der Kunstuniversität Linz widmet er sich nun wieder vermehrt der Bildenden Kunst. Zuletzt stellte er im EFES 42 in Linz aus.
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