Bodies of Work
Katharina Gruzei ist in den kommenden Monaten im Lentos mit der Fotoserie „Bodies of Work“ zu sehen. Industrie, Arbeit und Produktion in der Linzer Schiffswerft, Nebel und Wolken als atmosphärische Gegenspieler: Georg Wilbertz hat die Werke im ästhetischen wie kulturhistorischen Kontext betrachtet.
Eine verschmutzte Arbeiterhand ruht auf Papieren. Locker, entspannt umschließt sie einen ankergeschmückten Schlüsselbund. Beim zweiten Hinsehen wird deutlich, dass diese Hand keine „normalen“ Proportionen besitzt. Belastung und Anstrengung haben sie über die Zeit breit und schwer werden lassen. Das Porträt der verformten Hand symbolisiert unspektakulär die massive körperliche Anstrengung, die auf der letzten, Stahlschiffe produzierenden Donauwerft Österreichs am Linzer Winterhafen geleistet wird. Katharina Gruzei hat 2016 für rund zwei Monate in der Werft ohne größere Beschränkungen für das enzyklopädische Fotoprojekt „ÖsterreichBilder“ (www.oesterreich-bilder.at) fotografieren dürfen. Entstanden ist mit „Bodies of Work“ ein motivisch komplexer Bildzyklus, der unterschiedliche ästhetische Zugänge nutzt, um den industriellen Kosmos der Werft zu erfassen und bildnerisch zu deuten. Der Zyklus stellt ein weiteres Projekt zu einem der künstlerischen Schwerpunkte Katharina Gruzeis dar: der Repräsentation von Arbeitswelten, ihren zeitbedingten Veränderungen und innewohnenden, häufig unsichtbaren Kräften, Mustern und Charakteristika. Rund 40 Bilder von „Bodies of Work“ werden im Lentos gezeigt.
Die Notwendigkeit eines zweiten, genauen Hinsehens ist dabei typisch für die künstlerische Methode, mit der sich Gruzei ihrem Bildthema widmet. Die Linzer Werft ist ein Ort schwerer, körperlich belastender, industrieller Arbeit. Verbunden mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und ihrer Fortschreibung in der Moderne bis zur Krise der Industrieproduktion im Zuge der Globalisierung war die parallellaufende Entwicklung von Bildmustern und bildästhetischen Positionen, die sich sowohl in der bildenden Kunst wie auch und vor allem in der Fotografie mit den neuen Themen Werk und Industrie auseinandersetzten. Die Energien, Kräfte und Dimensionen, die mit der Industrieproduktion einen neuen Maßstab erhielten, übten auf Künstler und Fotografen aufgrund ihrer Dynamik und Dramatik eine große Faszination aus. Stand der menschliche Körper in der vorindustriellen Zeit in einem nachvollziehbaren, an seiner Physis orientierten Verhältnis zur handwerklichen und manufakturellen Produktion, so verschiebt sich dies mit der Industrialisierung radikal. Werkstück, Energie, Produktion, Maschine und der menschliche Körper treten in neue Größenverhältnisse zueinander. Die eklatante Diminuierung des Körpers im Vergleich zu Maschine und Produktion wird als dramatisch wahrgenommen und in ihrer ganzen Dramatik bildlich repräsentiert. Zustände wie der „Kampf“ mit der Maschine und dem Werk, der körperlichen Anstrengung, der Verschmutzung und letztendlich der aus der Arbeit resultierenden Erschöpfung führen zu neuen Bildmustern (Ikonographien). Nicht selten entstehen Bilder, die diese neuen Realitäten mythisch oder heroisch überhöhen. Selbst in Bildmomenten der Erschöpfung liegt meist ein Pathos, das auf die geleistete Arbeit zurückverweist.
Von alldem ist in „Bodies of Work“ bei oberflächlicher Betrachtung nichts zu finden. Katharina Gruzeis Fotografien zeigen eine undramatische, ruhige (beruhigte?), industrielle Arbeitswelt. Die Bildsprache ist neutral und setzt nicht auf Affektwirkung. Besonders deutlich wird dies bei den Aufnahmen einzelner Arbeiter. Sie zeigen Männer in entspannter Haltung, deren Gesichter, soweit erkennbar, fast entrückte, besinnliche Züge aufweisen. Momente der Beunruhigung oder der latenten Gefährdung des Körpers werden eher unterschwellig wirksam. So, wenn sich die Arbeiter in die Werkstücke begeben, von ihnen fast „verschluckt“ werden oder wenn sie mit der schieren Größe und Masse des Metalls konfrontiert sind. Die scheinbare Ruhe, die in den porträtierten wie auch tätigen Körpern liegt, führt zu einer fast abstrakt wirkenden, über den Moment hinaus verweisenden Darstellung. Auch dies ein Kennzeichen von „Bodies of Work“. Dies wird deutlich, betrachtet man den „Schauplatz“ Werft. Auch wenn dies ein starker, prägnanter und von vielen Details geprägter Raum ist, so wird er durch die spezifische Ästhetik der Fotografien Gruzeis auf eine vom konkreten Ort losgelöste Ebene gehoben. Der Zyklus verbindet beides: die Präsenz und Wirkung der Werft wie auch die bildnerische Repräsentanz grundlegender Prinzipien oder Muster, die mit dem Begriff Arbeit verbunden sind. All diese Charakteristika ermöglichen dem Betrachtenden eine unaufgeregte, fast distanzierte Annäherung an die Bilder, deren Bildsprache keine unmittelbaren, eindeutigen Affekte auslöst. Stattdessen laden sie ein zu einer genauen, gewissenhaften Beobachtung, die möglichst viele, nicht determinierte Assoziationsfelder öffnen möchte.
Zu den grundlegenden Prinzipien, die in Gruzeis Bildern formuliert werden, gehört die zwitterhafte Position, die die Arbeiter zwischen dem Werk (Schiff) und den Maschinen einnehmen. Sie erscheinen angesichts der Größe und der harten Materialität klein, fragil und verletzlich. Geschützt durch ihre Arbeitskleidung wirken sie wie Cyborgs oder Astronauten, deren Körper ohne Schutz nicht den Anforderungen der zu leistenden Arbeit gewachsen wären. So gerüstet begeben sie sich an und in die Werkstücke, verschwinden in oder verschmelzen mit ihnen. Erst in den wenigen Porträtaufnahmen finden sie ohne Pathos zu ihrer individuellen Identität zurück.
Mit „Bodies of Work“ widmet sich Katharina Gruzei ohne nostalgisch-verklärenden Blick der mehr und mehr im Verschwinden begriffenen Welt der Industriearbeit, die in diesem Werkzyklus ausschließlich von Männern repräsentiert wird. Galt es am Beginn der Industrialisierung Energien, Kräfte und Dramatik der Industriearbeit darzustellen, so trägt die ruhige Ästhetik der Fotografien Gruzeis dazu bei, unmittelbar zu realisieren, dass sich diese Form der Arbeit mehr und mehr aus unserem Bewusstsein schleicht. Es ist der kontrollierte Blick auf letzte, teilweise fast exotisch wirkende „Reste“ einer – zumindest dem Diskurs nach – aussterbenden Kultur. Doch auch hinsichtlich dieses Aspekts entzieht sich der Zyklus einer eindeutigen Positionsbestimmung: Werkshalle und Atmosphäre wirken einerseits anachronistisch, andererseits erinnert der kieloben gelegte Schiffsrumpf an ein zukunftsträchtiges Raumschiff, das nach erfolgter Fertigstellung die Weiten ferner Welten „erobert“.
Würde zur „Erinnerungsarbeit“ im oben beschriebenen Sinne der bloß dokumentarische Blick durch die Kamera genügen, verdeutlicht Gruzei durch die unterschiedlichen ästhetischen Modi, die in „Bodies of Work“ realisiert wurden, dass ihre Arbeit eben nicht als einfache Dokumentation zu verstehen ist. Die Bildkomposition, die gezeigten Lichtwirkungen und die Inszenierung des Raums gehen über das rein Dokumentarische hinaus. Neben Aufnahmen, die gegebene Situationen sachlich schildern, treten Bilder, die aufgrund der fremdartigen Farbigkeit und der besonderen Lichtwirkung (Schweißer) einer erheblichen, fast schon mystischen Verfremdung unterzogen sind. Weiterhin nicht-dokumentarisch sind abstrahierend aufgenommene Werkstücke, die sich durch die gewählte Perspektive in ornamentale Strukturen zu verwandeln scheinen. Besonders weit vom Dokumentarischen entfernen sich die Nebelbilder. Der Nebel führt zu einer atmosphärischen Verdichtung, die einerseits Details verunklärt, andererseits andere ästhetische Wertigkeiten hervorhebt und ihrer Wirkung steigert. Der Nebel lässt Spezifika des konkreten Ortes verschwinden und spielt an auf ikonographische Muster der Landschaftsmalerei der Romantik. Ein vergleichbarer Rückbezug kann für die „Wolkenbilder“ Gruzeis konstatiert werden. Sie entstehen auf den Wasserflächen des Hafenbeckens, in denen sich Himmel und Wolken spiegeln. Öltropfen und Verunreinigungen erinnern zugleich an die Funktion des Ortes wie an kosmische Wolken. Die „Wolkenbilder“ entrücken den Bildzyklus am weitesten von der durch Arbeit und Produktion bestimmten Atmosphäre der Werft.
Ebenso entrückt wirkt der Ort in jenen Aufnahmen, die entstanden, als die Arbeit ruhte. In ihnen verlieren sich die letzten Spuren des Tagwerks. Abends und an den Wochenenden herrschte eine völlig andere Atmosphäre. Die Klänge der Arbeit wichen der Stille und den nun dominierenden Naturlauten, das Licht veränderte sich. Der Bezug zur Donau und zur umgebenden Landschaft erfuhr eine Wandlung: das Werftgelände wurde zum faszinierenden, fast beschaulichen Biotop mit Bibern und Hasen.
Die Auseinandersetzung mit Arbeit ist ein leitendes Thema für die Künstlerin Katharina Gruzei. In der Serie Bodies of Work befasst sie sich mit der Linzer Schiffswerft (ÖSWAG). Gruzei begleitete über einen Zeitraum von zwei Monaten mit ihrer Kamera den Bau eines großen Fährschiffs. Die Künstlerin fotografierte auch außerhalb der Betriebszeiten in der Werft. Wenn sich die Dunkelheit über das Firmenareal legte und der Lärm der Maschinen verhallte, zeigten sich die Motive in einem anderen Licht.
Katharina Gruzei, geboren 1983 in Klagenfurt, studierte an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz, an der University of California, Santa Barbara und an der Universität der Künste, Berlin.
Katharina Gruzei, Bodies of Work
Kunstmuseum Lentos
ERÖFFNUNG: Do, 14. Juni, 19 Uhr, Eintritt frei
Ausstellungsdauer: 15. Juni bis 19. August 2018
lentos.at
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