Buy the Ticket, Take the Ride
Theaterfestival für junges Publikum, mit Schäxpir in 10 Tagen um die Welt: Über das Schäxpir-Programm und über Vermittlung als fast künstlerische Form hat Gerlinde Roidinger mit Julia Ransmayr, einer der beiden Festivalintendantinnen, gesprochen.
Buy the ticket, take the ride! lese ich auf dem Youtube-Video eines Bloggers, der seine 10-tägige Reise um die Welt dokumentiert, welches mir kürzlich mein jugendlicher Cousin vor die Nase hält. Der Globetrotter verdiene damit seine Kohle, während er im Sommer-Outfit laufend vor der Kamera zu sehen ist und mich über den Handy-Screen mit Zitaten wie Above all, try something! oder Action expresses Priorities! und Do more! anheizt … und ich frage mich, diesbezüglich und anlässlich des heraufziehenden Schäxpir-Festivals: Warum als junger Mensch ins Theater gehen, wenn es das bisschen Spaß auch stündlich am eigenen Smartphone gibt und der digitale Er-Lebensraum ohnehin vor Inszenierungen und (Selbst-)Darstellung strotzt?
Warum Theater für junges Publikum? Das fragten sich auch Sara Ostertag und Julia Ransmayr, als sie im Herbst 2015 die künstlerische Leitung des Schäxpir-Festivals übernahmen und damit Stephan Rabls Nachfolge antraten. Entstanden ist ein 10-tägiges Programm für „alle“ – also generationenübergreifend – mit dem Schwerpunkt Vermittlung. Doppelt so viele TheaterpädagogInnen werden daher in „Aktion treten“, weniger um Theater zu erklären, als es mit weiterführenden Inputs anzureichern und um einen Dialog zwischen Publikum und TheatermacherInnen zu schaffen. Vermittlung soll dabei fast als eigene künstlerische Form verstanden, jedenfalls aber innerhalb des Theaterschaffens begreif- und erfahrbar gemacht werden. Als Kuratorin habe sie zwar eine Verantwortung gegenüber dem Publikum, so Julia Ransmayr, doch die Auseinandersetzung mit der Zielgruppe dürfe keinesfalls heißen: „Ich weiß genau, was du sehen willst.“ Für das Programm inspirieren ließen sich die beiden jungen Kuratorinnen vom gegenwärtigen Diskurs der performativen Künste, insbesondere von Belgien, Niederlande und Deutschland – Theaterländer, in denen die darstellenden Künste nicht nur großgeschrieben, sondern auch großzügig gefördert werden.
Die Zusammenarbeit von Theaterhäusern, freien Gruppen, PerformerInnen und Publikum spiegelt sich auch im Festivalthema „Wie wollen wir zusammen leben?“ wider, wobei wie gewohnt Inhalte aus der Erfahrungswelt junger Menschen wie Liebe, Sucht, Gewalt, Familie und Freunde im Mittelpunkt stehen. Erwähnenswert ist neben der Erweiterung der Spielstätten um die OÖ Landesbibliothek und die Anton Bruckner Privatuniversität das bereits seit 2016 laufende Residenz-Programm, bei dem Schäxpir mit den Theaterhäusern HETPALEIS (Belgien) und Maas theater en dans (Niederlande) kooperiert. Dabei arbeiten neun KünstlerInnen aus Österreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Marokko und Palästina zusammen, um an neuartigen Theaterkonzepten für Kinder zu forschen. Recherche und Proben dieses Pilotprojekts namens SECHSPLUS fanden in Rotterdam, Antwerpen und Linz statt. Bei der Auswahl des Teams, das sich ohne inhaltliche Vorgabe mit neuen Formaten des Theatermachens auseinandersetzt, wurde vor allem auf unterschiedliche Biografien der KünstlerInnen Wert gelegt.
Verschiedenartig sind in jedem Fall auch die partizipatorischen Formate, die zum Mit- und Theatermachen einladen und für die sich experimentierfreudige Menschen aller Altersgruppen bewerben konnten. Neben den workshopähnlichen Ateliers (zusammen bewegen, zusammen Utopien entwerfen und zusammen im öffentlichen Raum), bei denen mit den TeilnehmerInnen prozesshaft Stücke erarbeitet und in Form von Showings im Rahmen des Festivals gezeigt werden, konnten sich theateraffine Menschen für das offene Format Part of the Game Game zum Casting anmelden. Ähnlich einem Gesellschaftsspiel kann sich das Publikum durch ein riesiges Labyrinth „zocken“, um in den Levels à la Super Mario in direkten Kontakt mit den eingeweihten SpielerInnen zu treten. Die Idee dieses interaktiven Spiels stammt aus Graz und wurde von der Gruppe Das Planetenparty Prinzip und dem Theater am Ortweinplatz entwickelt. Völlig anders hingegen das Format der belgischen Künstlerin Audrey Dero, die in der Hip Hip Hip Kabine für jeweils nur eine Person performt und damit Theater auf kleinstem Raum, ähnlich einer Fotokabine, erlebbar macht. Noch etwas experimenteller und ebenfalls für die Festivaleröffnung angekündigt, dürfte das Stück „C“ sein, eine Musikperformance von Simon Løffler (Dänemark), die sich an alle mit Zähnen richtet und offensichtlich ein bissiges Klangerlebnis verspricht. Physisch wird es erfreulicherweise auch im tänzerischen Sinne, wenn De Dansers (Niederlande) und Theater Strahl (Deutschland) mit „The Basement“ stürmisch über den Tanzboden fegen und mit großer Leidenschaft jugendliche Gefühlswelten verkörpern …
… „Cool!“ sag ich jedenfalls zu meinem Cousin, während er kurz zurückgrinst und sich dann tippend einem seiner WhatsApp-Dialogen widmet, woraufhin ich mich in Gedanken über das Video verliere: Heißt „Do more!“, ich soll jetzt noch mehr von diesem Weltenbummler streamen oder mich ebenfalls in meine Turnschuhe schmeißen und versuchen „in Action“ mein Geld zu verdienen? Oder anders gefragt: Steht diese Form der Inszenierung tatsächlich in Konkurrenz mit dem (Jugend-) Theater, das mittels appellativer „Action“ Interesse zu wecken versucht? Und wenn ja, was bedeutet das? Und wer wird wohl zu diesem schönen Festival kommen und bei den wertvollen Workshops mitmachen, wenn „alle“ eingeladen sind?
Mein Cousin etwa, der hybride Smombie (= Smartphone + Zombie) in Dauer-Wischaktion mit enormen Multitasking-Kompetenzen und chronischem Konzentrationsverlust? Oder gar die selbstverliebten, über Nacht vom Himmel gefallenen Youtube-Teenie-Stars, die emotional-melancholischen Pop covern und die längst aus der Mode gekommenen Boygroups aus den 90ern ablösen? Oder deren Fans, die Selbstwert heischenden Social-User aus Twitter, WhatsApp, Instagram, Facebook und Tinder? Möglicherweise erfahren aber auch die Zocker- und Hacker-Kids auf nächtlichen LAN-Party-Camps davon? Oder vielleicht sind es eher die Kinder von diesen so genannten Helikopter-Eltern der Generation 50+, die von einem Event zum nächsten chauffiert und vor lauter Frei-Zeit-Aktivitäten keine Zeit frei haben, um selbst aktiv zu werden, also permanent passiv aktiviert werden und sich aufgrund fehlender Langeweile kaum der eigenen Fantasie hingeben können?
Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Doch sollten diese eben skizzierten, klischeehaften Kategorien von Jugendlichen in irgendeiner Form existent sein, so hoffe ich, dass sie sich unter das Publikum mischen, Betonung auf MISCHEN. Und vielleicht nimmt mich ja jemand von ihnen mit, oder umgekehrt. Wegen des generationenübergreifenden Schwerpunkts versteht sich. Und wegen der Partizipation. Wegen der Zeiten voller Action. Und wegen der gesellschaftlichen Teilhabe und der instinktiven Kompetenz, die wir den Jugendlichen so gerne zuschreiben, genauso wie das Interesse an Liebe, Sucht, Gewalt, Familie und Freunden – das uns so genannte Erwachsene aber am besten selbst oder mindestens genauso beschreibt. Vermittlung als künstlerische Form scheint das Gebot der Stunde. Und wir selbst lernen währenddessen. An dieser Stelle will ich mir das Above all, try something! des Youtubers tatsächlich zu Herzen nehmen und es gleich mal mit seinen Methoden versuchen, wenn auch ohne Turnschuhe: Also: Buy the ticket, take the ride!
Theaterfestival für junges Publikum
vom 22. Juni – 1. Juli 2017
Make it Count
[Casey Neistat, YouTube Blogger]
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