Carrara Corso: Ein Schwan zerbricht
Die Ausstellung „Carrara Corso“ war Ausgangspunkt und Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen den beiden oberösterreichischen KünstlerInnen Stefan Brandmayr und Inga Hehn. Im Jänner und Februar 2020 war im Kunstraum Memphis ein Lauf durch die Geschichte ihres einjährigen Arbeitsprozesses zu sehen.
Memphis, der von Jakob Dietrich und Kai Maier-Rothe betriebene Ausstellungsraum des Kunstvereins Nomadenetappe ist ein beweglicher, nicht-kommerzieller und transdisziplinär ausgerichteter Kunst- und Projektraum, der sich mit, Zitat Memphis-Homepage, „faltenfreien Positionen“ in junger Kunst und Theorie, experimenteller Musik und Performance auseinandersetzt. Seit mittlerweile 10 Jahren legt Memphis in Linz den Fokus neben lokalen künstlerischen Positionen auch auf internationale Vernetzung und Austausch.
Für die Ausstellung „Carrara Corso“ wurden nun Stefan Brandmayr und Inga Hehn eingeladen, sich des Raumes anzunehmen und zu zeigen, wo sie beide in ihrer künstlerischen Arbeit im Moment gerade stehen. Brandmayr studierte zwischen 2011 und 2017 Bildhauerei/Transmedialer Raum an der Kunstuniversität Linz, wo er seit 2017 auch unterrichtet. Ebenso lange bespielt er gemeinsam mit Felix Pöchhacker den Ausstellungsraum EFES 42 in der Schillerstraße. Inga Hehn studierte zwischen 2004 und 2013 ebenfalls in Linz Bildende Kunst mit Schwerpunkt Malerei & Grafik, 2010 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und lehrt seit 2019 Lithografie an der Kunstuniversität Linz.
Bereits der Titel „Carrara Corso“ macht neugierig und weckt verschiedene Assoziationen. Zum einen bezieht er sich auf den Lauf, die Strecke, zum anderen auf die gleichnamige italienische Stadt und die Geschichte des Carrara-Marmors. „Corso kann auch als festlicher Umzug verstanden werden, was dem Thema des Ausstellens entspricht“, so Hehn, die sich gerade intensiv mit der Technik der Marmorierung beschäftigt, um marmorähnliche Effekte auf Papier zu erzeugen. Das Konzept spiegelt sich im Titel wider, der wiederum auf den Verlauf ihrer Kooperation Bezug nimmt. Und Brandmayr schildert das Interesse am Dialog: „Im Laufe des letzten Jahres haben wir uns ungefähr alle drei Wochen für ein paar Tage getroffen. Entweder war ich bei Inga im Studio oder umgekehrt und wir haben gemeinsam gearbeitet, jeder an seiner eigenen Arbeit.“
„Für mich bedeutete diese Zusammenarbeit auch das Öffnen meiner Arbeitsroutine“, ergänzt Hehn, deren Praxis von diesem Prozess entscheidend beeinflusst wurde. „Insbesondere auf die Gipsarbeiten hatte das starken Einfluss“, erörtert Hehn auch die Lust am Experiment, neue Materialien und Techniken auszuprobieren. Hehn lebt und arbeitet im Gegensatz zu Brandmayr, dessen Werkstatt sich in Linz befindet, seit fünf Jahren in Ottensheim. Da ihr Wohnatelier eine andere Infrastruktur bereithält als für ihn gewöhnlich, war Brandmayr ebenfalls gefordert, anderes zu versuchen. Dabei entstand die Arbeit „32 Antworten auf die Frage ‚Wie geht’s?‘,“ ein Collagenbuch, dessen Seiten als Raum zu erfahren sind und als Übung betrachtet werden kann.
Die Recherche nahm einen großen Teil ihrer Arbeit ein. Beide haben einander ihre Ressourcen zur Verfügung gestellt wie zum Beispiel Bücher etc. Aus dem Collagenbuch entstand die Idee zu den Arbeiten für den Raum, die vom Aufbau her sehr ähnlich sind und im Dialog stehen mit den Bildern von Hehn. „Ohne das Buch, das bei Inga im Atelier entstanden ist, hätte ich vermutlich eine solche Idee nicht entwickelt und andere Objekte wären die Folge gewesen“, erklärt Brandmayr den Schritt vom zweidimensionalen in den dreidimensionalen Raum mittels Gips, Fiberglas, Epoxidharz oder Pressspan. Der Künstler arbeitet mit ästhetischen Vorbildern, setzt sich dabei mit Themen wie Inszenierung oder Repräsentation auseinander und schafft mit „Control Company“, „Admiral“, „Action direkt“, „Sportzigarette“, „Versailles“ und „Eden“ formal ähnliche Objekte, die miteinander aber auch unabhängig voneinander funktionieren. In Dialog setzen sie „Eden“ (2019, Gips, Fiberglas, Epoxidharz, Pressspan, 68 x 11 x 11 cm) mit Hehns Serie „Lapsus“ (2019, Gips, Papier, Edding, Zwirn, marmoriert, je ca. 20 x 13 cm) im Sinne eines Ausrutschers, dem ein Experiment vorausgeht.
Indem Hehn Papier in Gips taucht, ähnlich dem Prozess der Papiermarmorierung, erweitert sie ihre künstlerische Praxis. Dabei interessiert sie zum einen die handwerkliche Technik selbst wie auch das Moment der Produktion, das nicht kontrollierbar ist und dessen Ergebnisse einem Zufallsprinzip unterliegen. „Dieser Prozess hat etwas Alchimistisches und lässt sich noch weiterentwickeln – auf die Spitze treiben und auf größere Formate übertragen.“
Auch Brandmayrs Objekte lassen viele Assoziationen zu. Beispielsweise stellt sich das Thema des Phallischen insbesondere beim Anblick von „Admiral“ ein (2019, Fiberglas, Epoxidharz, Gips, Tennisball, 37 x 6 x 6 cm) und verweist auf eines seiner zentralen Themen, das der männlichen Repräsentation. Seine Arbeiten scheinen arrangiert, sind aber „in einem Guss“ gefertigt und lassen sich je nach Räumlichkeit und Kontext einzeln oder in Gruppen setzen.
Dialogische Strukturen
In der Ausstellung zeigen Brandmayr und Hehn Arbeiten zwischen Geometrie und Experiment. Die Werke verbindet ein beiderseitiges Interesse am kontrollierten Zufall, dessen Ausgangspunkt weniger in einem streng formulierten Konzept als vielmehr in einem verzahnten Ineinandergreifen von objektorientierter Arbeit und inhaltlicher Diskussion besteht. Fragestellungen zu Repräsentanz, Inszenierung und deren Materialität leiten Brandmayr bei der Produktion seiner Skulpturen, vermittels derer er analytische Betrachtungen von Geschlechterrollen mit jenen der grundlegenden Parameter gegenwärtiger Kunstproduktion vermengt. Hehns Arbeiten hingegen entstehen aus einer konsequenten Beschäftigung mit Punkten, Linien und Flächen. Dabei skizziert sie Körper und Körperhaftes und erkundet in feinsten Strichgefügen Millimeter für Millimeter diverse Oberflächen.
Im Dialog stehen Brandmayrs Skulpturen mit Hehns mit ihrem Hauptmaterial Tusche und Feder gezeichneten Strichen, die an ihre „Trichter-Serie“ anknüpfen und auf eine Linie zurückgeführt werden können. Dichte spielt dabei eine große Rolle wie auch Aussparungen und freier Raum. Die Arbeiten sind abstrakt, haben aber einen organischen Ausgangspunkt, was mit der Art und Weise ihrer Zeichentechnik zusammenhängt. „Die Zeichnung weist eine gewisse Chronologie auf. Ich fange bei einem Punkt an und webe die Linie(n) nach oben“, erklärt Hehn, deren Motive an die von Pflanzenstängel oder archaische Formen erinnern. „Wenn man eine Linie so aufbaut, wirkt diese unmittelbar organisch, weil der Prozess einem Wachsen gleicht. Jede einzelne Linie kann im Gesamten aber auch einzeln gesehen werden“, beschreibt Hehn ihren Minimalismus. Sie setzt an und „es entsteht eine Serie, bei der man immer wieder neue Kompositionen ausprobieren möchte. Die Zeichnungen entstehen über einen längeren Zeitraum.“ Dabei spielen auch Papiere als Untergrund eine wesentliche Rolle. Für die Serie „v. v.“ (2019, Tusche auf Karton, je 70 x 50 cm), die im ersten Ausstellungsraum präsentiert sind, verwendet Hehn glatte Oberflächen, da diese für eine angenehme Arbeitsweise mit der Feder sorgen. Dabei verhakt sie sich nicht und gleitet störungsfrei über das Papier. „Ich arbeite auch mit den feinsten Federn, die es gibt. Diese Blätter sind bei Stefan im Atelier entstanden, nehmen aber Bezug auf schon bisher entwickelte Serien.“ Sie suggerieren eine Leichtigkeit, die bei genauem Hinsehen einen überaus konzentrierten und mitunter anstrengenden Arbeitsprozess vermuten lassen. Der gewählte Titel lässt wiederum viele Assoziationen zu.
Zufallsprinzip
Dem Zufall ist es geschuldet, dass die Arbeiten so gut harmonieren und sich auf spannende Weise ergänzen. Die Installation im Raum gestaltete sich für beide, ihrer Schilderung zufolge, sehr schnell, lässt viel freien Raum, wodurch den Arbeiten genügend Platz zugesprochen wird.
„Wir haben uns Zeit genommen, um den Raum kennenzulernen und die Ausstellung aufzubauen. Dabei haben wir auch verschiedene Möglichkeiten ausprobiert. Es hat sich dann auch so ergeben, dass beide Räume so unterschiedlich sind. Im ersten Raum sind die Objekte sehr puristisch, sehr homogen, während sich der zweite Raum gemischter gestaltet und viel dichter ist als der erste“, sind sich Brandmayr und Hehn einig.
Der Schwan bzw. „Warteprofi (sitzend)“ (2020, Stahl, Papier, Gips, Hydro-Stop Beschichtungsmasse) ist das einzige Objekt in der Ausstellung, das sofort konkrete Bezüge zulässt. Es geht zurück auf einen Workshop unter dem Titel „Treibgut und Schwäne“, den Brandmayr gemeinsam mit Cäcilia Brown und Noële Ody an der Kunstuni Linz abgehalten hat. Aufgabe war es, schwimmende Objekte herzustellen. In Brandmayrs Fall diente ein Schöpflöffel als formgebendes Vorbild. Sein Schwan wurde auch getestet, hat den Schwimmtest aber nicht bestanden, sondern ist sogar im Wasser zerbrochen. Brandmayr reparierte das Objekt bei dieser Gelegenheit und wird es im Rahmen der Finissage am 25. Februar in einem selbst gebauten Fass ein zweites Mal versuchen (Anm. d. Red.: Das Gespräch wurde Anfang Februar geführt). Zudem werden die Arbeiten noch einmal neu arrangiert und die Räumlichkeiten verändert. Bei der Finissage liest außerdem der Autor Anselm Tancred einen Auszug seiner lyrischen Werke und wird erwartungsgemäß wieder divergierende Bezüge herstellen.
Mehrsprachigkeit
Feder und Tusche sind auch Material und Werkzeug, das Hehn für ihre Arbeit „Ohne Titel“ verwendet (2019, aus der Serie „Minidramen“, 148 x 124 cm), die sie schon seit längerem verfolgt. Ausgangspunkt ist auch hier die Linie, die Technik eine minimalistische. Wobei sich die Feder verhakt, während sie mit dünnem Karton arbeitet, die Nadel über das Papier zieht und im Laufe eines langen Arbeitsprozesses ein Gebilde formt. „Zeit ist ein spannender Faktor, mit dem man arbeiten kann. Das bewegt sich zwischen Meditation und schwerer Arbeit. Man muss versuchen beides in ein Verhältnis zu bringen.“, schmunzelt die Künstlerin, die meistens parallel an mehreren Serien arbeitet – hoch konzentriert, gefordert, doch das Eintauchen bedeutet für sie auch Genuss. „Man muss schon sehr nah dran sein am Papier. Deshalb ist das Sujet in dieser Größe schon das Maximale, was man in dieser Form durchführen kann. Meistens geht die Bewegung von außen nach innen, die Dichte ergibt sich durch das Zusammenführen der Linien in der Mitte.“
Mit dem Titel „Minidramen“, an deren Serie sie noch weiterarbeitet, sind all die (ungewollten) Farbexplosionen gemeint, die während des Arbeitens passieren. Dabei macht es laut Hehn wenig Sinn, ihre Zeichnungen zu sehr zu versprachlichen, denn die Liniensetzungen stehen für sich und „sprechen“ für sich. Ihrer Technik wohnt demnach ein poetisches Moment inne, das auf ein Dazwischen weist. „Ingas Arbeiten sind nach und nach entstanden und meine vielmehr auf einen Schlag“, erzählt Brandmayr. Der Faktor Zeit spielt bei Hehn im Vergleich zu Brandmayr eine ganz andere, wesentlichere Rolle. Es sind verschiedene Geschwindigkeiten, die hier zum Ausdruck kommen. Die Räume changieren zwischen Schwere und Leichtigkeit. Während Hehns Arbeiten von einer Dauer zeugen, spiegeln Brandmayrs Objekte eine Dynamik wider und erzeugen in dieser Zwiesprache eine entschiedene Balance, der man sich als BesucherIn mühelos überlassen kann.
Die Ausstellung „Carrara Corso“ von Stefan Brandmayr und Inga Hehn war bis 25. Februar im Kunstraum Memphis an der Unteren Donaulände zu sehen.
www.stefanbrandmayr.net
ingahehn.blogspot.com
www.memphismemph.is
Hinweis:
DRIFT – Inga Hehn (solo)
Vernissage: Do 26. März 2020, 18.00 Uhr
27. März – 23. Mai 2020
Galerie HAAS & GSCHWANDTNER
Neutorstraße 19, 5020 Salzburg
www.hg-art.at
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