Editorial

Erfrischend analog beginnen wir hier dieses Mal mit einem permanenten Autor der Referentin, mit Magnus Hofmüller und dem Rostigen Esel. Fahrradreporter Hofmüller hat passend zum Frühling den Bike-Laden besucht und berichtet übers Bike-Life in Linz. Themenwechsel, aber auch ein Hinweis mit gewisser Kontinuität: Wir erwähnen an dieser Stelle unsere Anarchismus-Reihe, die mittlerweile seit einigen Jahren in der Referentin präsentiert wird: Andreas Pavlic hat dieses Mal Hanna Mittelstädt vermittelt, die im Anarchismus eine Unzerstörbarkeit des Imaginären ortet. … Die Unzerstörbarkeit des Imaginären … Das Imaginäre lassen wir uns doch gleich auf der Zunge zergehen. Wir vermuten, sämtliche im Zeitgeist herumgeisternde Artificial Intelligences werden schon ganz fuchtig, weil sie das Imaginäre hinter der Big-Data-Rechnung auch haben wollen, aber keine Ahnung haben, wie sie das gebacken kriegen. Die Referentin schielt hier themenbezogen auf die Inhalte des Kooperationsblattes Versorgerin. Und natürlich ist die Referentin-Redaktion keineswegs fortschrittsfeindlich, das muss hier auch mal gesagt werden, nein, sondern: Die Technologie ist unsere Freundin, klar! Sogar unsere kleine Freundin, sagt auch Die kleine Referentin in der Regel. Und auf Terri Frühling wollen wir als kontinuierliche Mitarbeitern somit auch hinweisen. Sie war wieder in Sachen unschuldiger Blick unterwegs: Die Kleinen lernen sich jetzt alles selbst.

Oh my God, Jubiläen – irgendwie sind es heuer einige, oder? Fangen wir mal mit Crossing Europe an, das heuer zum 20. Mal stattfindet. Christine Dollhofer, ehemalige Intendantin bis zur 2021er-Ausgabe, hat vom very Beginn an aufgebaut und das europäische Filmfestival zu dem gemacht, was es heute ist. Wir bedanken uns im Namen der ganzen Stadt dafür und winken ihr an dieser Stelle zu! Und winken natürlich auch in Richtung aktuellem Intendantinnen-Gespann Sabine Gebetsroither und Katharina Riedler, womit wir beim diesjährigen Festival Ende April wären, und dem Tribute-Gast Angeliki Popoulia. Über den Film Silence 6-9, wo sie unter der Regie von Christos Passalis spielt, schreibt Florian Huber, auch ein immer wieder gern gelesener Autor der Referentin. Ein Bildausschnitt von Silence 6-9 hat es aufs Cover geschafft. Ein weiteres Jubiläum im Heft: Das Stifterhaus ist 30, 1993 wurde es von der Forschungs- zur Veranstaltungsstätte erwei­tert. Silvana Steinbacher, ebenso geschätzte permanente Autorin der Referentin, hat die aktuelle Ausstellung Stifter: Illustriert besucht. Mit diesen beiden Jubiläums-Hinweisen schie­len wir aber auch schon auf die Juni-Nummer der Referentin, die 2023 das Mega-Jubiläum von 50 Jahre Kunstuniversität ins Auge zu fassen beabsichtigt. We will see!

Was gibt es sonst noch? Wir gehen an die Peripherie. Das bedeutet in Linz, sich nicht im totalen Zentrum der Landstraße zwischen Mozartkreuzung und Hauptplatz zu befinden – und wir wollen damit auch sagen: Peripherie ist gut! Bedeutet in dieser Ausgabe: Ein Bericht über die Kulturinitiative Schlot, die sich bereits seit längerer Zeit in der Franckstraße befindet. Den Text hat Conny Erber verfasst. Und der Film Longing for Home wurde im Februar im Kliscope von SILK Fluegge gezeigt, die Tanzinitiative ist neuerdings auch in der Peripherie des Linzer Südens angesiedelt. Und damit führen wir das Heft an die ultimative Peripherie: Nach Traun und zur Ausstellung Der Boden ist Lava. Simon Pfeiffer hat uns in diesem Zusammenhang einen assoziativen Text zur Verfügung gestellt. … Und es sei an dieser Stelle ein weiterer Kulturort im Nicht-Zentrum genannt: Das Initiativen-Konglomerat in der Schießhalle, das wir auch bereits jetzt für einen Textbeitrag in der Referentin-Juni-Ausgabe ins Auge fassen.

Und apropos ins Auge fassen: Wir weisen hin auf den Medienkongress Im Auge der Infodemie und auf Sonia Nandzik, die Ende März beim Kongress anwesend ist. Sie berichtet im Vorfeld des Kongresses und in dieser Ausgabe über die Arbeit von ReFOCUS Media Labs.

Und natürlich kein März-Heft ohne Beiträge zum Weltfrauentag! An dieser Stelle kurz, aber im Heft umso vehementer vertreten: Ayan Rezaei hat für uns einen feministischen Beitrag mit Perspektiven aus dem Iran verfasst. Und pa! fügt der leider konstanten Präsenz von sexualisierter Gewalt die Praxis von Callouts hinzu.

Damit:

Im Frühling nicht auf Friedensspaziergänge hereinfallen!

Der Boden ist Lava, die Energiekosten auch.

Die Referentinnen
Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Editorial

Der Metabolismus der Stadt, die aktuelle Ausstellung im afo architekturforum, beginnt den Textreigen in dieser Referentin. Schöne erste Zeile im Ausstellungstext zu den Stoffwechselprozessen der Stadt: „Unter dem Asphalt wird der Platz knapp“. Ja, ist so. Damit an dieser Stelle eine Empfehlung, sich die hervorragend gemachte Schau anzusehen.

Gefühlt eng wird es auch über oder auf dem Asphalt – nämlich dahingehend, was sich überall an Verdauungs- und Rülps-Prozessen in der Stadt and elsewhere in der Welt zusammenbraut. So war im November zum Beispiel über dem Asphalt nicht nur das üble rechte Demonstrant:innengesocks der Identitären zu finden, samt erfreulicher linker Gegenpräsenz, also derer, die die Welt vor diesen Hasspredigern abschirmen wollen. Sondern auf dem Asphalt wurden auch – wie soll man das benennen? – Autodemonstrationen gesichtet, die vollkommen sinnbefreit gegen Preissteigerung und Ukrainekrieg „demonstrierten“, während sie aufs Gaspedal drückten.

Aber gut. Reden wir kurz über Preissteigerungen. Der Strompreis wird sich 2023 angekündigterweise um ein Vielfaches erhöhen. Man will es nicht richtig verstehen, was das ausschließlich mit dem Ukrainekrieg zu tun haben soll und hat das Gefühl, dass man sich nicht nur auf ein Dystopia von langen Kriegen einstellen muss, sondern in Zukunft den Strom für den eigenen Haushalt gleich selbst an der Börse kaufen muss.

Erwähnen wir auch kurz die erhöhten Kosten, die verschärfte Ressourcenlage und den prekären Arbeitsmarkt. Dies zwingt zum Beispiel unsere Druckerei, den Landesverlag, einen soliden Mittelstandsbetrieb, ihren Standort in Wels Mitte kommenden Jahres zuzusperren. Die Referentinnen-Redaktion war und ist immer noch schockiert und erinnert sich in diesem Zusammenhang an einen Redaktionsausflug in den Betrieb. Es wurde bereits damals (2015!) beim Rundgang erzählt, dass es zunehmend schwieriger wird, die Preise zu halten. Weil etwa Altpapier an der Börse gehandelt wird und man deshalb gezwungen sei, Altpapier, das hier gesammelt wird, zu Weltmarktpreisen zu kaufen.

Benennen wir deswegen auch kurz den Zusammenhang zwischen einem überkommenen Kapitalismus, der zwar schon mehr als tot ist, aber dennoch als superaggressiver Zombie weiterlebt. Und kombinieren wir das mit der Rede von den alten weißen Männern, die als Phänomen und Spezies zwar noch nicht ganz tot sind, aber richtig gut riechen tun sie tatsächlich auch nicht mehr. Wir meinen hier im Übrigen nicht Männer über 60, sondern diejenige autoritäre Macher-Spezies, die uns zwar in privaten, gesellschaftlichen und politischen Belangen den Scheiß eingebrockt hat, den wir jetzt vorfinden, aber immer noch so weitermachen möchte; oder etwa aktuell denjenigen jungen Leuten, die Püree oder sonstigen Brei auf Bilder werfen, salbungsvoll erklärt, dass es hier doch um humanistische Werte geht, die zu schützen seien, während die Ökologie den Umwelt-Sturzbach runterrauscht. Und ja, wir finden es eigentlich auch scheiße, dass diese Bilder angepatzt werden. Aber darum geht’s hier nicht.

In Linz gab es übrigens eine FP-Anfrage an die Museen, zu den Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz unserer Bilder vor Gatsch. Und man möchte antworten: Ja, wenns um Sicherheitsfrage geht, dann ist die Kunst was wert. Zu Aspekten von Autorität und deren poetisch-groteske Durchbrechung seien hier exemplarisch zwei Texte erwähnt: Barabara Eder schreibt in ihrem Text über Alice im Wunderland über eine Kritik an den Autoritätsfiguren im viktorianischen England bzw. über den logischen Abgrund des Absurden. Und Thomas Raab, der einen „antiautoritären“ Sprachansatz bei Christian Steinbacher reflektiert, erwähnt ein Zitat von Oswald Wiener, das da lautet: „folgerichtigkeit, die den kontakt zur wirklichkeit verliert, erzielt bekanntlich eine starke poetische wirkung“. Ja, stimmt: Je weniger Kontakt zur Wirklichkeit, desto folgerichtiger wirkt der Wahnsinn.

Fragen wir uns noch kurz, was in der Kultur rundum los ist: Wir wissen es nicht wirklich. Wir sehen zum Beispiel unter der Woche reges Treiben in Bibliotheken, am Donnerstagabend gut besuchte Lesungen, Freitagabend zum Beispiel komplett leere Cafes, Samstagmittag flau frequentierte Einkaufspassagen und Samstagabend etwa volle Clubs. Und dazwischen sehen wir auch so einiges.

Über die Zusammenhänge und unterirdisch guten Verbindungen, die sich zwischen den Texten auftun, möge sich die werte Lese­r:in­nenschaft selbst ein Bild machen. Anmerkung der Redaktion dazu:

Unbedingt alles von vorne bis hinten lesen. Ist eh schon wieder so bald dunkel.

Die Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Editorial

Alles ist vulnerabel. Das Material schreit. Zu den Worten, die sich zuletzt viral verbreitet haben, gehört vulnerabel. Ursprünglich hatte der Begriff seinen Ausgangspunkt in der Medizin – mittlerweile ist er zum Multifunktionswort geworden, das von verletzlich über gefährdet bis hin zu benachteiligt bedeuten kann.   

Wir finden den Gebrauch dieses Wortes im Grunde viel zu paternalistisch und ausgrenzend, denn sind wir nicht alle vulnerabel im Sinne von verletzlich? Schließlich ist der Mensch ein Mängelwesen. Und was seine Natur nicht an seiner Verletzlichkeit mitbringt, das tun sich Menschen noch gegenseitig an, von wegen: Die Hölle, das sind die anderen.  

Dass auch ganze Systeme oder Infrastrukturen verletzlich sein können, zeigt sich aktuell an den vielen offenbar gewordenen Problemen wie Pflegenotstand, Alterseinsamkeit, Anstieg psychischer Krankheiten, soziale und materielle Benachteiligung, Gewalt gegen Frauen oder die erschütternd hohe Zahl an Femiziden, die politisch und zivilgesellschaftlich bearbeitet, bewältigt und in Zukunft verhindert werden müssen.  

Der seit Februar von Putin geführte Angriffskrieg auf die Ukraine bringt neben unfassbarem menschlichem Leid nun auch eine Energiekrise, deren Folgen gegenwärtig noch gar nicht abschätzbar sind. Und da ist dann noch die menschengemachte Klimakrise, die durch Treibhausgase, die beim Verbrennen von fossilen Stoffen in die Atmosphäre geblasen werden, den Planeten aufheizen. Die Folgen dieser Klimakrise waren in diesem Sommer 2022 auch auf lokaler Ebene, vor unser aller Augen, sichtbarer denn je: Vielerorts führten Dürre und Hitze zu Waldbränden, Ernteausfällen und Niedrigwasser. Zudem wird für Ältere, Kinder und Vorerkrankte die zunehmende Hitze zum Gesundheitsrisiko. Und wenn plötzlich auch Versicherungen anfangen, diese Dinge ernst zu nehmen, dann weiß man, was Sache ist. Viele Expert:innen mahnen: Jetzt ist Alarmstufe Rot.  

Wir finden uns in unruhigen Zeiten, in aufgewirbelten Zeiten, in trüben und verstörenden Zeiten – oder wie es schon 2019 bei der Biennale in Venedig hieß: May you live in interesting times – entsprechend einem chinesischen Sprichwort respektive Fluch. Viele der bei dieser Biennale ausgestellten Arbeiten haben die Verwerfungen, die Auswirkungen eines superausbeuterischen globalen Kapitalismus, eines jahrhundertelang praktizierten Kolonialismus, einer Geschichte der Unterdrückung oder auch einer hegemonialen Monokultur ins Zentrum ihrer Auseinandersetzung genommen. Und selbstredend ist der Kunst zu jeder Zeit die Kritik immanent eingeschrieben. Aber was heute und jetzt diesbezüglich als Material der Auseinandersetzung für eine jüngere Künstler:innengeneration zur Verfügung steht, zeigt in aller Brüchigkeit recht eindrücklich: In diesen interessanten Zeiten ist beinahe alles fragil geworden und in der Lage, verletzt werden zu können.

Vulnerabel. In der Referentin-Redaktion haben wir zuletzt über eine Arbeit von Gesine Grundmann gesprochen, die im Juli 2022 auf Residency im Salzamt war – und die an dieser Stelle exemplarisch erwähnt sein soll. Sie hat für die Referentin über zwei ihrer Arbeiten berichtet: Von GEN UGG EKR IEGT, im Zentrum von Linz als nach außen gerichtete Botschaft auf die Fassade des Salzamtes gehängt, und weiter östlich, auf Höhe des Winterhafens, am Donaustrand aufgestellt, von der Arbeit OI, einem Beton-Ei, das in ein Kunststoff-Netz eingehüllt wurde. Wir haben länger über diese Fragen des Textes, des Kontextes und der Materialitäten gesprochen. Von Botschaften, die sich zwischen Genug Krieg und Nicht-genug-kriegen-können, geradezu in alle Materialien einschreiben und weiterschreiben lassen, auch in den Beton des Eis. Vom Umstand, dass heute viele Künstler:innen die Frage des Materials und der Materialität primär aufgreifen. Oft findet sich ein künstlerischer Ansatz, der das Material nicht unbedingt (nur) in ästhetischer Revolte darstellt, sondern in seiner Verbundenheit und Verbindlichkeit, im Kontext, durchaus auch in einer Art widersprüchlichen Empfindsamkeit, in Vulnerabilität, in Verbindung tretend. Abschließend haben wir dann noch über eine kurze Textstelle gesprochen, die in Michel Houllebecqs Poetologie Lebendig bleiben gleich zu Beginn abgedruckt ist. Diese soll hier – auch gegen einen rein anthropozentrischen Blick – zitiert werden: „Das Universum schreit. Im Beton drückt sich die Gewalt ab, mit der er zur Mauer geprügelt wurde. Der Beton schreit. Das Gras wehklagt unter den Zähnen des Tieres. Und der Mensch? Was werden wir über den Menschen sagen?“

Viele Künstler:innen – speziell einer jüngeren Generation – arbeiten mit diesem Ansatz der Verbundenheit bzw. einer weiter gefassten Empathie. Es steht zu hoffen, dass ihnen Gehör verschafft wird. Es steht aber zunächst auch zu hoffen, dass die Künstler:innen-Ateliers – Künstler:innen als ebenso vulnerable Gruppe der Gesellschaft – im Herbst und Winter nicht kalt bleiben. Denn es geht um größere Umbrüche. Es geht um Solidarisierung. Und wir müssen diese Solidarisierung – wie es aussieht – größer und perspektivisch umfangreicher denken, als das eigentlich vorstellbar ist. Denn metaphorisch gemeint: Wenn an einer Stelle der Sauerstoff entzogen wird, bricht anderswo ein Feuer aus.

Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass dieses Editorial auch als Vorwort des Salzamt-Kataloges EXPOrt, IMpORT, imPULS 2022 abgedruckt wird – und empfehlen den Katalog und die Arbeiten der darin präsentierten Künstler:innen. Watch out!

Über die interessanten Texte in dieser Referentin mögen sich die Leser:innen selbst ein Bild machen.

We live in fucking interesting times.

Die Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Editorial

Im Schlepptau der globalen Pandemie und mitten im Krieg muss wohl nichts gesagt werden, um den Leser davon zu überzeugen, dass wir in einer Ära leben, in der die Auswirkungen der vernetzten Technologien mehr und mehr in die öffentlichen und privaten Räume unserer Gesellschaften vordringen.

Der Schriftsteller und Künstler James Bridle vertritt die Ansicht, dass die viel gepriesenen vernetzten Infrastrukturen – in Kombination mit den grassierenden destabilisierenden Auswirkungen des Klimawandels und der nur scheinbar unlogischen Dynamik der globalisierten geopolitischen Spannungen – vor allem die Erosion unserer Fähigkeit, die Welt um uns herum zu verstehen, verursachen, anstatt zu ihrer Verbesserung beizutragen.

Bridle zufolge sind die Folgen der weit verbreiteten Übernahme von Technologien de facto mitverantwortlich für die Entstehung von Merkmalen, die denen eines neuen dunklen Zeitalters ähneln, in dem die Komplexität und die Gleichzeitigkeit der unmittelbaren, weltumspannenden Rechenmaschinen uns in Verschwörungen oder kollektive, kognitive Fehleinschätzungen treiben. Im Kern handelt es sich dabei um eine sich selbst verstärkende Schleife: Wir sind verloren in der Art und Weise, wie jeder von uns mit der uns umgebenden Welt in Beziehung steht, und versuchen dennoch, uns an dieselben Quellen des Unverständnisses zu wenden, um Ordnung zu schaffen, was eine Rückkopplungsschleife von unangepassten Lesarten erzeugt.

Die Auswirkungen des Klimawandels sind Warnzeichen für ein umweltschädigendes Verhalten; psychologische und soziale Störungen, wirtschaftliche Ungleichgewichte, der Verlust eines Realitätssystems oder die kraftvolle Wiederkehr der Geschichte in einem zu lange ignorierten Kriegsbildungsprozess: all dies kann als Zeichen des Endes der Epoche gelesen werden, die gemeinhin als westliche Moderne bekannt ist, die vielleicht naiverweise für ewig gehalten wurde und die sich nun definitiv in einem Moment der Krise und des Wertewandels befindet, wenn nicht sogar mehr.

Was ist jetzt zu tun? Auch wenn wir uns nicht unbedingt dem Ende unserer Epoche nähern, wie der Philosoph Federico Campagna in Technik und Magie anklingen lässt, scheint es dennoch dringend geboten, darüber nachzudenken, welche Werte wir für die Zukunft bewahren und welche wir aufgeben sollten.

Angesichts der Tatsache, dass unser Zeitalter so sehr von fehlerhaften technologischen Prozessen geprägt ist, fragen wir uns, ob Problemlösungspraktiken aus demselben technologischen Raum kommen können, der diese Probleme eigentlich verursacht. Jedenfalls sollte es um die Frage gehen, wie Konzepte der Fehlersuche dabei helfen könnten, und welche Strategien im Szenario des ständigen Notstands und der allgemeinen Unsicherheit vorstellbar sind.

Oder anders gefragt: Wenn die Realität von der Technik geformt wird, können wir sie dann DEBUGGEN?

Geschätzte Leser:innenschaft, dieser Text oben stammt ausnahmsweise nicht aus der Originalfeder der beiden Referentin-Herausgeberinnen, sondern stellt einen ins Deutsche übersetzte Passage aus einem der drei englischen Texte im Heft dar. Diese wurden ebenso ausnahmsweise in dieser Referentin in Originalsprache belassen und berichten über AMRO, dem servus.at-Festival Art Meets Radical Openness. Das internationale Open-Source-, Netzkultur- und Kunstfestival steht heuer unter dem Motto debug, und wird im Juni an mehreren Orten in Linz abgehalten. Die Passage oben ist der Anfang von Davide Bevilaquas kuratorischem Statement und betrachtet den weiteren Kontext vom Bug als Fehler, und einem Debug als Fehlervermeidung im Programm.

Soll an dieser Stelle heißen: Unbedingte Leseempfehlung der Redaktion, Übersetzungsprogramm-Hinweis auf deepl.com (geht mit dem Text in der Online-Ausgabe der Referentin) – und finally: zu AMRO debug hingehen um zu sehen und hören, was Sache ist.

Wir empfehlen selbstverständlich die fehlerfreien anderen Texte unserer großartigen Autor:innen in der Referentin 28.

Bitte selbst durch die Ausgabe krabbeln.

Bugged and debugged,

die Referentinnen Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Editorial

Es reiht sich Krise an Krise. So als ob die vielen sich aneinanderreihenden Krisen nicht zu Ende gehen dürften. So als ob sich in jeder Krise, wie im Bauch einer Babuschka, eine immer neue Krise befinden müsse. Und Stand der Dinge in den letzten Februartagen: Jetzt also auch noch Krieg. An den Rändern Europas. In Europa.

Tatsächlich … Krieg? Aber nein: Ein Krieg ist das nicht – folgende Korrektur: Es heißt Spezialoperation, Friedensmission, in der russischen Medienlandschaft, deren Mitspieler, bis auf einige wenige, die tapferen Widerstand leisten, weitestgehend auf Kreml-Linie gebracht wurden. Dort ist das Wort „Krieg“ neben dem Begriff „Invasion“ seit einigen Tagen nicht mehr erwünscht … Und so setzen Fake Words zu neuen, bisher nicht erreichten Höhenflügen an … – und der Begriff des Euphemismus ringt einem hierbei nur mehr ein müdes Lächeln ab.

Fake News aus Fake Words kreieren dann eine Fake World. Und verloren geistern sie nun herum, die Wörter, die keinerlei Halt finden, willkürlich ausgespuckt in Zeit, Raum und Wahnsinn.

Man fragt sich mittlerweile – leider nicht zum ersten Mal – ob es diese eine Welt tatsächlich noch gibt, und was das dann ist, dieses andere, mit dem man konfrontiert ist. Und dann verwirft man den Begriff, der einem durch den Schädel brummt, weil das, was da vor den eigenen Augen passiert, keine Parallelwelt mehr ist. 

Und ja, dann denkt man an Dante.

Gleichzeitig fühlt man ihn, den schweren eiskalten Atem. Die Zensur schlägt zu: Eine wächserne Puppe, die auf der Bettkante sitzt. Wer weiß, wer gemeint ist? Sie wohnt im Kreml. Sie geifert und lacht. Es dröhnt und schallt. Plötzlich riecht es nach verbranntem Fleisch und nach Irrenhaus, nach Paranoia und Tod. Endlich der herbeigesehnte Schlaf. Was im Traum alles passiert: Menschen, die mit Fahnen bewaffnet sind. In Russland. Wie staatsgefährdend. Wie bizarr. Wie verstörend. Fort mit ihnen. Sie werden eingesperrt. Auf dass gesiebte Luft ihre Köpfe reinwaschen möge. … … Kein Ende in Sicht.

Die Referentin hat für diese Zeilen ihre Mitarbeiterin Sandra Brandmayr gebeten, einen Blick in diverse russische Medien zu werfen. Diese Impression ist das Ergebnis. Sie bleibt ohne Ende. Wir ziehen somit einen relativ großen Bogen zu einem Editorial, das normalerweise auf die Inhalte der Ausgabe verweist. Wir nehmen einen uns passend vorkommenden Satz heraus, der aus dem Professionellen Publikum stammt: Und dann speibt man schon fast, aber kontrolliert. Das Zitat findet sich beim Tipp von Alexander Till. Bitte über den tatsächlichen Zusammenhang selber nachlesen.

Aber so ist das irgendwie.

Das andere Zitat, das wir an dieser Stelle anführen wollen, stammt von Sabine Gebetsroither und Katharina Riedler, auch aus dem Professionellen Publikum. Es ist auch aufs Cover gewandert und sagt, was Linz nach Corona braucht. Nämlich: Tanzen, tanzen, tanzen. Das war vor Russlands Krieg in der Ukraine. Und ja, stimmt aber auch.

Und das ist auch Fakt: Wie soll sich das zusammen ausgehen?

Damit eine Schlussanmerkung zum Internationalen Frauentag: Nach dem Kriegsbeginn plant Feminismus & Krawall im Moment den 8. März um. Zu einem Happening, das den öffentlichen Raum zurückerobern und Solidarität bezeugen will.

Zum 8. März am Linzer Hauptplatz laden ein,

die Referentinnen

Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Editorial

May you live in interesting Times. Ein Wunsch, der noch nie etwas Gutes verheißen sollte. Eine Realität, in der wir angelangt sind.
Notieren wir einige Highlights. Menschen verkünden derzeit zu Hauf, lieber ins Gefängnis gehen zu wollen, als sich impfen zu lassen. Manche davon haben sich früher zwar schon mal gegen Tropenkrankheiten impfen lassen, Urlaubsreise und so, macht aber nix. Andere drohen, zwischen Querdenker-Demo und Widerstands-Schweinsbraten die Krankenhäuser zu sabotieren, dort ist eh fast nichts los. Oder behandeln sich gleich selbst mit Entwurmungsmittel, auch nicht schlecht. Herpferd hats schließlich gesagt. Na gut. Das sind die Zeiten zwischen Lockdown und Knockdown.
Vor dem allgemeinen Lockdown hat in der Szene der Begriff „professioneller Kulturbereich“ nochmal kurz aufhorchen lassen, bzw. der Umstand, dass kleinere Kulturinitiativen im halben Lockdown nicht veranstalten oder spielen sollten, größere aber schon durften. Ein Kommentar zu dieser unterschiedlichen kulturellen Systemrelevanz aus der Szene, dem wir zweifelsohne zustimmen könnten: Der Begriff „professioneller Kulturbereich“ bedeutet mit anderen Worten wieder einmal: Die von der Politik determinierte Unterscheidung zwischen Hochkultur und freie Szene und die Privilegierung der Ersteren. Dies ist die Diskussion, die hier zu führen ist.

Ja, die Unterschiede bestehen, dazu aber ein andermal. Wir kommen nun nämlich zu Familie Seif. Die Redaktion möchte die geschätzte Leser*innenschaft über ein Linzer Weihnachtsmärchen, das sich im nahen Umfeld zugetragen hat, informieren und gleichsam darauf hinweisen, dass Spenden unter dem angegebenen Konto jederzeit willkommen sind.

Frau Seif ist 2015 mit ihren zwei kleinen Kindern im Zuge der Flüchtlingswelle am Landweg nach Österreich geflüchtet. Ein Fluchtgrund neben Krieg, fehlender Nahrung und Grundversorgung war auch der Mord an ihrem Ehemann durch den IS. Die Familie war mit dem Leben bedroht. Valarie Serbest kennt die Familie, sie schreibt:

Ich durfte Frau Seif 2018 durch die Schule kennenlernen. In einem ersten Schritt haben sich unsere Söhne in der Nachmittagsbetreuung angefreundet. Schnell haben sich auch wir Mütter und unsere beiden Töchter kennengelernt. Seit 2018 war ich auf der Suche nach einer sicheren Wohnungssituation für die Familie, wo Ankommen und Integration ermöglicht werden kann. Aufgrund des Flüchtlingsstatus schieden Genossenschaftswohnungen aus, „leistbare“ Privatwohnungen sind mir – trotz intensiven Suchens – kaum untergekommen; und wenn, wurden Sie nicht an eine Familie, die unter Existenzminimum leben muss, vermietet. Die Erstwohnung in Linz war eine privat vermietete Kellerwohnung mit hohem Schimmelbefall für 680 Euro im Monat. Aus Kostengründen musste die Familie dann in den Spinatbunker umziehen und auf 20 m² unter widrigsten Bedingungen, die weder mit Kinderschutz noch Kinderwohl zu vereinbaren waren, leben. Nach drei Jahren intensiver Suche konnte ich nun glücklicherweise endlich im September eine Wohnung finden, bei der die Vermieterin bereit war, an Familie Seif mit marktüblichen, aber erschwinglichen Konditionen zu vermieten. Die Wohnung befindet sich im Franckviertel mit familiärem Umfeld. Die Familie ist überglücklich und das erste Mal – nach sechs Jahren – in einem sicheren Umfeld in Österreich angekommen. Die private Vermieterin hat sich auch bereiterklärt nur zwei Monatsmieten Kaution einzuheben und die Küche, Schränke, Mikrowelle, Lampen ohne Ablöse an die Familie abzutreten.
Die Mutter kann sich nur das Notwendigste zum Überleben leisten. Der gesamte Besitz der Familie besteht aus einer sehr alten Couch, zwei Klappbetten für die Kinder, einer Waschmaschine und einem Fernseher. Da der Bezugstermin in der neuen Wohnung im Franckviertel erst später möglich war, konnte die Kündigungsfrist im Spinatbunker nicht eingehalten werden. Es mussten noch zwei Monatsmieten an den Vermieter abgegolten werden, der leider nicht bereit war, auf diese zu verzichten. Die Gesamtkosten für die Übersiedlung bestehend aus den zusätzlichen Monatsmieten, der Kaution für die neue Wohnung, dem Ankauf von noch notwendigem Mobiliar und einer Basisausstattung an Geschirr, Bettwäsche und Wasserkocher, war für die Familie unmöglich selbstständig aufzubringen. Meine persönliche Verantwortung verstand ich darin, für die alleinerziehende Frau diese Kosten, rund 3.000 Euro, privat zu übernehmen und ihr eine Starthilfe zu ermöglichen, die sie und ihre Kinder schon lange verdient haben.

Die Referentin ersucht nun mit Valarie Serbest um Unterstützung, jeder Betrag ist willkommen.

Spendenkonto: Frauenlandretten
AT78 5400 0000 0070 4643
HYPO Oberösterreich
Verwendungszweck: Familie

Die Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Editorial

2021 ist das Jahr, in dem der Klimawandel alias Klimakrise so richtig im allgemeinen Bewusstsein angekommen ist: Wetterkapriolen, die Tote fordern und de facto geologische Verwerfungen auslösen, und das mitten in Europa, vor den Haustüren. Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber es geht ums Überleben? Marina Wetzlmaier hat in Oberösterreich bei den jungen Klima-Initiativen und der Klima-Allianz recherchiert. Sie stellt fest, dass im Land OÖ keine Klimaziele formuliert sind? Aber was nicht ist, kann ja noch werden? Dauert’s 10 Jahre, 20 Jahre? Es sind ja nur irreversible globale Prozesse im Gang. Und wenn plötzlich lokal bis global Banken und Versicherungen vom Klimawandel als ernstzunehmende Bedrohung zu reden beginnen, dann sollte man sich auskennen. Das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), das Gremium der Vereinten Nationen zur Bewertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel, hat übrigens gerade seinen 6. Bericht veröffentlicht. Er bildet wichtige Grundlage, führt die neuesten Studien der Klimawissenschaft zusammen. Der Bericht ist im Netz unter www.ipcc.ch/report/ar6/wg1 zu finden. Es wird ungemütlich. Und dazu passend ebenso drastisch wie verloren: Am Cover ein Bild aus einer Aktion von Extinction Rebellion OÖ.

Was haben wir noch in diesem Heft? An mehreren Stellen geht’s ums Fahrrad, darum kümmert sich Magnus Hofmüller. Er hat für uns den Linzer Godfather of Fahrradi besucht – ja, Hannes Langeder. Ein kleiner Velocipedisten-Hinweis findet sich auch in Mariusz Latas Text. Fix ist Leseprobe für die neueste Ausgabe der Idiome. Dieses 14. Heft für neue Prosa hat Florian Huber für uns umrissen. In einem zweiten Text in dieser Referentin widmet sich Florian Huber außerdem der Erinnerungskultur – und er stellt diverse NS-Verwicklungen von Emmy Haesele und Rudolf Bayr gegenüber. Ersterer ist aktuell eine Ausstellung im Lentos gewidmet, zweiterer kommt in der Stifterhaus-Ausstellung zum Residenz-Verlag vor.

Wir zitieren aus einem weiteren Text: „Ende Mai wurde innerhalb eines Straßenfests die Umbenennung der Glaubackerstraße in Agathe-Doposcheg-Schwabenau-Straße gefordert: Glaubacker hat Hitler am Balkon gemalt und sich dem Nationalsozialismus angedient, Doposcheg-Schwabenau war eine engagierte Malerin, die Bedeutendes für die Linzer Kunstszene geleistet hat. Bewilligen muss diese Umbenennung allerdings erst eine HistorikerInnenkommission. Von den rund 560 Straßennamen in Linz, die nach Persönlichkeiten benannt sind, entfällt nicht einmal ein Zehntel auf Frauen.“ Damit sind wir im Text von Silvana Steinbacher gelandet. Sie berichtet über die Straßenfest-Aktion von Elisa Andessner, aber vor allem über den Walk of Fem, der von den Künstlerinnen Betty Wimmer und Margit Greinöcker auf der Donaupromenade umgesetzt wurde. Vom Street Style dieses Walk of Fem, den Betty Wimmer im Gespräch einmal als „mehr Street Art als Glamour“ benannt hat, kommen wir zu einer, sagen wir, Death Positive Street Art, sprich zu Graffitis am Linzer Barbara-Friedhof. Dort hat Christian Wellmann den Verein sagbar besucht. Der Verein wurde von Nicole Honeck und Verena Brunnbauer gegründet, um dem Tabuthema Tod „leichtfüßiges“ Leben einzuhauchen … Und in der kulturell gültigen Klammer Tod und Sex wollen wir außerdem auf den Text der Sexarbeiterin Pauli Dares hinweisen – sie nennt einige Widersprüche der „Selbstbestimmung“ in unser aller Leben, um vor allem gegen Diskriminierung von Sexarbeiterinnen und für Respekt zu plädieren.

In dieser Referentin gibt es natürlich einiges mehr. Ein Lieblingsstück der Redaktion ist etwa der Textauszug aus Robert Stährs Buch Plan. Dessen Protagonist bringt da anscheinend mal so richtig Akkuratesse in den Aktivismus seiner kleinen Welt. Und damit noch ein letzter Sprung zurück zur großen Welt: Wir verweisen auf die ökosexuelle Bewegung der guten alten Annie (Sprinkle). Sie schlägt vor, in ein Liebesverhältnis zum Planeten zu gehen. Und wem das spinnert und lächerlich vorkommt: Die größeren Spinner sind die, die im Namen von Macht und Geld fortlaufend Elend auf der Welt verbreiten. Wir vermuten ja, dass es neben dem Müllberg und dem Gift, das ökologisch existiert, auch einen psychischen Müllberg am vorläufigen Ende der Geschichte gibt. Und da spricht nicht der Weltgeist, sondern: Wie viel Leid Menschen anderen Menschen angetan haben und antun, das ist unaussprechlich. Wie wir in den Medien gesehen haben: In Afghanistan hängen sich Menschen an Flugzeuge, die starten.

Damit, die Referentinnen

Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

Editorial

Foto Die Referentin

Wir beginnen die teilweise Wiedereröffnung der Kultur und die teilweise Wiedereröffnung dieser Referentin (kleiner Scherz) mit einer Textminiatur über die charmanteste Kultur-Mimikry in der Stadt. In den vergangenen Monaten bot die Kunsthalle Linz im Rahmen ihrer Reihe Szene Panorama den hiesigen Kulturspaces „eine Plattform für Interventionen und Lebenszeichen“. Alle zwei Wochen gab es in den zwei Kunst-Kuben (jeweils einer am Hauptplatz und einer beim Salonschiff Florentine) bis Ende Mai „neue, großartige Ausstellungen jeweils von einem anderen Verein zu sehen“ (O-Ton Kunsthalle). Die letzten beiden Ausstellungen von Szene Panorama wurden von Salzamt sowie Kapu am 15. Mai eröffnet: Das Salzamt eröffnete zuerst die Saliera am Hauptplatz, neben den Kundgebungs-Ungeheuerlichkeiten einer Horde Corona-Leugner. Dabei kam es zu folgendem kleinen „Meinungsaustausch“ am Rande des Geschehens, sprich in der Nähe der Saliera-Kunsthalle, die wiederum in unmittelbarer Nähe zum Eingang der öffentlichen Toilettenanlagen im Rathaus platziert ist: Es näherte sich ein in eine Österreich-Flagge gehüllter Typ dem Rathaus-Klo. Jemand rief ihm nach: „Derfn die Nazis jetzt schon ins Rathaus?“. Seine Antwort: „Wos host gsogt?“. Nochmal dieselbe Frage: „Derfn die Nazis jetzt schon ins Rathaus?“. Seine Antwort: „Und i bin stoiz drauf“. Es gab übrigens ein paar Tage vorher, am 8. Mai, einen anderen Zwischenfall im Rahmen einer anderen „Kundgebung“: Dort wurde ein Mann von der Polizei mitgenommen, der die Meute als Nazis bezeichnet hatte. Er wurde mitgenommen. Nicht die Komiker. Am 8. Mai. Aber gut, mittlerweile werden Hitler-Reden von diesen „Mahnern“ abgespielt: Totaler Kurzschluss im Hirn. Sozusagen 5G-gaputt. Damit wechseln wir wieder zum 15. Mai und zur Eröffnung der zweiten Kunsthalle. Bei der Florentine unter den Bäumen. Prä-Gastgarten-Stimmung mit winzigen Bieren und Sektchens. Prä-Post-Corona-Kulturinseln am Urfahrmarktgelände, das selbst größeren Umgestaltungsplänen entgegenharrt.
Wir sehen am Cover den noch verhüllten Kubus der Kunsthalle. Unter dem schwarzen Stoff befand sich das Werk Afterhour der schönen Kapu-Artists. Es war wenige Minuten später eröffnet. Das Werk war bis Ende Mai exponiert. Wir applaudieren im Nachhinein – und wünschen uns mehr Kunsthallen-Schauen im Herbst.

Schließen wir mit einer Lieblingspassage aus der Projektbeschreibung zu Afterhour: „Der Spannungsbogen […] verleiht dieser Arbeit das Element der Ewigkeit mit Hinweis auf die Gratwanderung zwischen Art Brut und Brutalismus.“

Und wir gehen exemplarisch zu einem thematisch anderen Lieblingssatz in dieser Ausgabe: „Solidarität und Support unter Frauen ist wichtig, aber das nimmt uns nicht das Schleudertrauma, wenn wir regelmäßig mit dem Kopf gegen gläserne Decken krachen.“ (Lisa-Viktoria Niederberger)

Und wir weisen mit einem Lieblingstitel dieser Ausgabe – „Über die Gegenfröhlichkeit und die Gemeinschaft der Schreibenden“ (Andreas Pavlic) – auf die Gemeinschaft der Autor:innen dieser Ausgabe hin.

Lieblingsbild dieser Ausgabe: Der Filmstill aus dem Crossing-Trailer.

Countdown 5, 4, 3, 2, 1

Wie immer gute Sachen.

Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

www.diereferentin.at

Editorial

Denn eine wichtige Feststellung für dieses ganze Projekt ist, dass unsere Gegenwart die beste Zeit für Manifeste ist!

Der Satz stammt aus dem Interview, das Anna Maria Loffredo mit Andreas Zeising für diese Referentin #23 geführt hat. Unter dem Titel Es wird keine Bilder mehr geben! geht es im angesprochenen Text, bzw. im angesprochenen Projekt um KünstlerInnen-Manifeste der Avantgarde und Neoavantgarde, bzw. um ein Ausstellungsprojekt mit Studierenden, das ab Ende April im Atelierhaus Salzamt gezeigt wird.

Abgesehen davon, dass die „Salzamt-Manifeste“ recht reizvoll zwischen radikalem Statement und Vermittlungskonzept changieren (studentisch, gesellschaftlich), wundert es einen nicht sehr, dass Andreas Zeising, darauf angesprochen, ob er denn Anknüpfungspunkte der behandelten Manifeste und ihrem appellativen, kämpferischen Ton zur jetzigen Zeit sehe, die Frage recht eindeutig mit Ja beantwortet: „Was Künstler:innenmanifeste immer wieder konstatieren, ist ja eine tiefgreifende Krisis des ‚Systems‘ und ein Lähmungszustand der Politik“. Diesen Dingen lasse sich „nur durch eigene Aktion und kreatives Handeln beikommen“. Und dass aktuell die Straße nun bester Ort, und unsere Gegenwart beste Zeit für diverse Manifestationen ist, das spiegelt sich in Grass-Root-Bewegungen aller Art – „von Greta Thunberg und linken Aktivisten bis hin zu Corona-Demos, auf denen Wutbürger, rechte Ideologen und alternative Spinner zueinander finden“.

Ist das nun tatsächlich die Folie dessen, was wir gerade erleben? Zumindest erkennen wir derlei Aspekte auch in der aktuellen „Kleinen Referentin“ von Terri Frühling, die wir dieses Mal aufs Cover platziert haben. Ebenso erkennen wir den kämpferischen Appell in Wiltrud Hackls Kolumne „Work Bitch“, diesmal zum Weltfrauentag am 8. März. Da und dort lassen sich weitere Bezüge im Heft finden, auch zu Themen wie Digitalisierung, einer Ästhetisierung des Künstlichen oder zu einer Wiederkehr radikaler Nationalismen. Wir ersuchen die Leserinnen und Leser sich hier selbst zu orientieren. Unsererseits also auch absolute Zustimmung: Wir erkennen ebenfalls eine tiefgehende Krise des Systems. Sagen wir ja nicht zum ersten Mal. Und wer nicht. Und wahrscheinlich ist nicht unbedingt der berühmte Riss durch die Gesellschaft das valide Bild, sondern der Riss (oder die Dummheit) des Systems zieht sich vermutlich – noch schlimmer – durch die einzelnen Individuen selbst, die in sich die Widersprüche nicht mehr zu überbrücken imstande scheinen. Abgesehen davon, dass der Riss, oder die gefährliche Dummheit selbst zum Ort zu werden scheinen, an dem wir mehr und mehr bald leben werden müssen. Und wer’s immer noch nicht wahrhaben will, die passenden drastischen Stichworte hierzu sind: Ein Anti-Modernismus, der lieber in erkenntnisferne oder despotische Gefilde flüchtet, statt Fakten zur Kenntnis zu nehmen und solidarisch zu handeln. Befürchtete weitere Gesundheitskrisen. Die Klimakatastrophe. Das Wiedererstarken radikaler Kräfte. Die zunehmenden Ungleichheiten. Eine diffuse Melange all dessen.

Am Ende ein kurzer Themenschwenk: Wir bemerken in den letzten Monaten neben der allseitigen Ermüdung über die Zustände auch zarte, andere Arten von Kontaktaufnahmen, alte, neue Arten von Distribution, visionär gedachte Arbeitsweisen und ein tastendes Connecting, das Neues versucht. Mal sehen was da rauskommt. Einstweilen fühlen wir:

How it is like to be a BAT VIRUS.

Diesen Frühling im Fledermaus-Ultraschall-Modus,
die Referentinnen Tanja Brandmayr und Olivia Schütz www.diereferentin.at

Editorial

Keine Corona-Tagebücher mehr, keine Balkonkonzerte – der zweite Lockdown ist ja doch nicht nur schlecht. Aber im Ernst: Vor und hinter den Kulissen hat sich Ernüchterung breitgemacht. Wir machen ja eh weiter, aber im Untergrund formieren sich die Dinge in einer unglaublichen Gemengelage von Krisen neu – irgendwo zwischen einem guten radikal Neuen, das wir noch nicht kennen können und einem schlechten radikal Neuen, das wir hoffentlich nicht näher kennenlernen werden (frei nach Gramsci: Wir wissen noch nicht, welches Balg da noch nicht geboren werden kann, wir hoffen aber das Beste). Vielleicht fragt sich jetzt so manche Leserin, so mancher Leser: Muss man denn überhaupt von „gut“ und „schlecht“ reden, muss es denn immer gleich „radikal“ sein? Tja, einerseits gab und gibt es schon Vorgeschmäcker und Tatsachen, Stichwort diverse todesgetriebene Gesellschaftsordnungen, die man radikal ablehnen muss, andererseits zerrinnt uns derzeit die Natur und die Umwelt quasi zwischen den Fingern; jenseits jeder Conspiracy und jedes Pathos. Sprich, diese und noch mehr Realitäten stellen sich derzeit durchaus radikal und noch schlimmer: existenzbedrohend dar. Andererseits, stimmt schon, ja … zumindest scheint man mit herkömmlichen Radikalreflexen und den üblichen schnellen Antworten nicht weiterzukommen, weniger denn je. Selbst Herbert Kickl, Chef-Charismatiker des superrechten Kleinhäusler-Agitprop-Jargons schlechthin, jammert nur mehr dahin, so weinerlich, als ob er irgendwo am Weg sein Mojo verloren hätte. Das fällt schon auf. Mindestens eine tiefe Skepsis durchzieht jedenfalls die Entwicklungen, während sich die meisten ins Notwendige fügen. Schlimm genug.

Zum Heft: Barbara Eder analysiert einen Digitalisierungs-Diskurs ausgehend vom neuen Kunstuni-Studiengang „Critical Data“, und die wohlfeil kalkulierten Interessen von Politik, Wirtschaft und Industrie rund ums neue digitale Gold. Ingo Leindecker kritisiert aus der Warte der Freien Medien das enorme Missbrauchspotential, das mit den neuen, an sich wichtigen Hass-im-Netz-Regulierungsgesetzen einherzugehen vermag. Aus diesem Zusammenhang stammt übrigens der am Titel zitierte Begriff des „Overblockings“. Eine international angelegte Geschichte von Kunststreiks thematisiert die Publikation von Sofia Bempeza, die Vanessa Graf gelesen hat. Lokalen historischen BürgerInnenprotest in Lambach hingegen hat Silvana Steinbacher anhand des ebenfalls neu erschienenen Buches von Marina Wetzlmaier und Thomas Rammerstorfer ins Visier genommen. Was alles im Heft sonst noch zu finden ist: Minimalismus, Anarchismus, Musik, Literatur, bitte sich hier selbst ein Bild machen. Die Redaktion kann jeden einzelnen Beitrag empfehlen. Hier an dieser Stelle aber noch eine besondere Empfehlung für die Ausstellung Amor Vincit Omnia – das am Cover abgebildete Feminist Until Death stammt aus der Reihe No-Polit Poster von Linda Bilda, der die Retrospektive im Lentos gewidmet ist.

Kleines Detail: Interessant ist, dass beim Professionellen Publikum die Kunstuni-Ausstellung „Best off“ drei Mal getippt wurde. Die Redaktion vertraut aufs freie Spiel der angefragten professionellen Kräfte. Deshalb auch von dieser Seite, ganz im Sinne dessen, dass das Starke noch populärer gemacht werden soll, von Redaktionsseite ungeschaut hier Empfehlung Nummer 4: Unbedingt hingehen!

Und finally: Wir freuen uns sehr, einen Auszug aus Lisa Spalts kontradiktorisch dirigiertem Siegerinnen-Text der Floriana abdrucken zu können. Und beschließen das Editorial mit einer Textstelle aus Die grüne Hydra:
Tatsächlich dachte ich schon seit Längerem, man lasse uns leben. Ich meine: Man ließ uns leben, wie man uns früher arbeiten hatte lassen.

In dem Sinne: Leben Sie weiter.
Ihre Referentinnen, Tanja Brandmayr und Olivia Schütz

www.diereferentin.at