Editorial
Wir schreiben’s hier in ein paar Sätzen hin – nicht für die aktuelle LeserInnenschaft, die weiß ohnehin Bescheid, detailreich und experienced – sondern für die Nachwelt, die sich sonst vielleicht nicht auskennt: Wir hatten eine Corona-Krise, wegen der Sars-Cov-2-Pandemie gab es in Österreich einen Lockdown des öffentlichen Lebens, seit 15. März 2020 und etwa zwei Monate später eine schrittweise Öffnung. Systemrelevanz, Kurzarbeit, Ungleichheit, Ungleichbehandlung, Überbelastung, Online-Videokonferenzen bis die Augen glühen, eine Kultur down wie nie, Prekariat, Krisensituationen in den Homes, plötzliche Ahnungen über das tatsächliche Ausmaß der globalen Zusammenhänge, Überwachung, noch mehr Kapitalakkumulation a la Amazon, Umbau in Richtung rechts – das sind einige Dinge, die sich nach Schulterschluss, erster Solidarität und unter einem Berg selbstgebackenem Brot im Corona-Biedermeier darlegten. Ja genau, Dinge, die immer da waren.
Und das gab und gibt es in der Krise auch: eine im globalen ökologischen Katastrophenzustand zumindest einige Wochen geschonte Umwelt, Menschen, denen es mit dem Herunterfahren des täglichen Stress-Desasters durchaus auch besser ging als vorher, und man staune, hier und da flackerten Diskussionen über ein zukünftiges Mehr an Solidarität, einer tatsächlichen ökologischen Wende oder auch eines bedingungslosen Grundeinkommens auf. Da und dort konnte man sich plötzlich zumindest ansatzweise ein Ende des Kapitalismus imaginieren, was bemerkenswert ist, denn das Ende des Kapitalismus soll ja angeblich weniger vorstellbar sein als das Ende der Welt. Allerdings: Die Wirtschaftshardliner wetzen schon ihre Klingen, in Vorschau auf eine Wirtschaftskrise, die bereits angekündigt ist und wie der Virus in Wellen kommen soll.
Wie wir auf diese Zeit zurückblicken werden – sicher anders als im derzeit permanent aufgeregten Erleben- und gleichzeitig Reflexionsmodus. Wir verzichten hier auf die großen Stellungnahmen zur Lage der Virus-Nation. Und sagen im Geiste Wiltrud Hackls, die für uns die Work Bitch verfasst: Umdenken, Dudes! Und Corona hin oder her: Es geht sowieso schon länger um einiges mehr als um eine lasche alte oder neue Normalität. Und wir schließen uns da ganz an: Bei der Kultur nicht aufzuhören, sondern einmal anzufangen, das wär ja tatsächlich mal was ganz anderes. Bitte da und dort nachlesen.
Anlässlich unseres Entfalls des „Professionellen Publikums“ in dieser Nummer: Als wir nach dreimaliger Planänderung zwischen zuerst regulär vorbereiteten Veranstaltungstipps, Home-Lifehacks und den klassischen Must-Have-Tipps der Marke Feuchter-Veranstaltungstraum-im-Netz nun schlussendlich doch wieder zu so einer Art – sagen wir es – neuer Normalität bei den Veranstaltungstipps übergehen hätten können, war es für diesmal zu spät. Die Aluhut-Fraktion vom Autokino-Regime hat alle kritischen Kulturschaffenden im Keller eingesperrt und zapft ihnen seitdem eine Substanz namens „Letzter Nerv“ ab, die Bevölkerung wurde mit einer Impfung gegen das so genannte kritische Kultur-Virus versehen, um sie schlussendlich mit 5G um die Ecke des echten Lebens zu bringen. Und die Echsenmenschen haben Stadtregierung und Landhaus gekapert. Sie haben das Virus ursprünglich freigesetzt und bauen seither die Kulturlandschaft zum Industriecluster mit Autokino um. Also, kurz gesagt: Es war kein professionelles Publikum erreichbar. Lustig ist das alles aber nicht, deshalb dröseln wir auf, beginnend mit Punkt 1, kein „Professionelles Publikum“ im Heft: Wir hatten von Anfang an kein Interesse beim aufgeregten Corona-Mainstreaming mitzuspielen, oder beim Marsch ins Netz, wo wir eigentlich eh schon alle dauernd sind. Wegen Ideologie-Alarm und den ohnehin auf der Hand liegenden guten Gründen, warum man gewisse Dinge im körperlichen Leben abhält. Jetzt, wo wieder so etwas wie öffentliches Leben da ist: Das Professionelle Publikum ist sich für diese Nummer einfach nicht mehr ausgegangen, zum einen wegen weitgehend noch nicht vorhandener Veranstaltungsfixierungen, individuellen Zeitvorlaufs und zum anderen hat es Referentin-seitig mit Inseraten und Finanzierung zu tun. Wir wollen unsere LeserInnenschaft aber nicht langweilen, deshalb weiter mit „Lustig ist das sicher nicht, wir dröseln auf“, Punkt 2, das erwähnte Autokino in der Conspiracy: Zuerst eine Autokino-Debatte im Jahr 2020, mehr Retro geht eigentlich nicht, und jetzt eine tatsächliche Autokino-Umsetzung auf dem Jahrmarktsgelände, geht‘s eigentlich noch? Dies als „Festival“ verklickern zu wollen, das dann noch im nächsten Jahr fortgesetzt werden soll, ist so was von deppert, dass man sich nur fragen kann, ob die Verantwortlichen und Macher gegen die Wand gelaufen sind – und bei dieser Formulierung wird bewusst auf eine Gender-Mainstreaming-Formulierung verzichtet. In diesem Zusammenhang kann ganz nebenbei auch bemerkt werden, dass wir eine neue Kulturstaatssekretärin haben, Andrea Mayer. Sie ist kompetent und könnte sicher den Unterschied zwischen Bespaßungsmodellen und Kultur im größeren Sinn erklären. So einen Blödsinn wollen wir von ihr aber nicht verlangen und lieber feststellen, dass mit der zurückgetretenen Ulrike Lunacek gerade seitens einiger saturierter Kultur-Platzhirsche ziemlich unfair umgegangen wurde, sowohl was ihren tatsächlichen Spielraum als auch diverse untergriffige Kommentare betrifft. Das hängt dann weiter zusammen mit „Lustig ist das sicher nicht, wir dröseln auf, Punkt 3“, mit dem oben erwähnten letzten Nerv der Kulturschaffenden: Abgesehen davon, dass ein paar Haberer eine oft recht zweifelhafte neue Normalität aufbauen wollen, geht es vielen KünstlerInnen und tatsächlichen Kulturtreibenden richtig schlecht – wegen eines oft ohnehin spärlichen Einkommens und nunmehrigen kompletten Verdienstentfalls und den allgemein mulmigen Aussichten für den Herbst. Hier kein Geld frei zu machen und stattdessen so was wie „Kreativität in der Krise“ einzufordern, ist blanker Zynismus. Unpackbar. Und zum Schluss mit „Lustig ist das sicher nicht, wir dröseln auf, Punkt 4“, nochmal zurück ins Conspiracyland, zu den Echsenmenschen und zum Umbau der Kulturstrukturen im Land OÖ: Dunkler Gossip durchspült die Stadt, ein Strom aus bizarren Informationen, echter Sorge und Fassungslosigkeit. Herr Landeshauptmann, tun Sie doch was für die Menschen!
Auf dem Pfad des kollektiven Too Big To Fail wandeln Ihre Referentinnen – und wünschen viel Spaß beim Lesen,
Tanja Brandmayr und Olivia Schütz