Zum Rostigen Esel

Viele Leute kommen, weil sie wissen, hier könnte es das Teil noch geben: Über Fahrradwerkstätten, kollektive Arbeit und die Herausforderungen auf zwei Rädern hat Magnus Hofmüller mit VertreterInnen des ersten Linzer FahrradmechanikerInnenkollektivs Zum Rostigen Esel gesprochen.

Magnus Hofmüller: Danke für die Möglichkeit zum Gespräch! Gleich zu Beginn: Eine kollektive Fahrradwerkstatt – wie kam es dazu und wie wurde die Idee geboren, wie schaut sowas aus?
Rostiger Esel: Max hatte in Wien schon einen Fahrradladen, der als Kollektiv funktioniert. Als er dann aus privaten Gründen nach Linz gezogen ist, hat er ein paar Leute aus dem Umfeld der Bike Kitchen* gefragt, ob wir nicht vor Ort eine solch kollektive Fahrradwerkstatt aufbauen und starten möchten. Es war im Jahr 2014, als wir mit der Planung begonnen hatten, und wir haben dann 2015 als Gruppe von 5 Personen begonnen. Das erste Geschäftslokal war in der Lessingstraße. Zu Beginn war es noch ein Einzelunternehmen mit Angestellten, wurde dann aber rasch zur Rechtsform der OG, der so genannten Offenen Gesellschaft – was einem Kollektiv viel mehr entspricht. Aktuell sind wir 7 beteiligte Personen an der OG, ein Lehrling und 2 Angestellte, die kurz davor sind, in die OG einzutreten.

MH: Eure Idee ist, dass alle MitarbeiterInnen auch Teil des Kollektivs sind und alle die gleichen Möglichkeiten und Anteile haben.
RE: Ja, genau. Dass alle gleich viel verdienen ist uns sehr wichtig. Im ersten Jahr gibt es aber so eine Art Probezeit in Form einer normalen Anstellung und auch zu einem fixen Stundensatz.

MH: Wie gestaltet sich der Alltag in einem Kollektiv von gesamt 10 Personen? Stichworte: Dienstplan, Geschäftsführung und so weiter …
RE:
Wir haben alle 2 Wochen ein Plenum innerhalb dessen wichtige Entscheidungen getroffen werden und viel besprochen wird. Der Dienstplan ist ein Kalender der „bespielt“ wird – keiner teilt Dienste ein. Er muss nur voll werden. Es gibt eine ungefähre Stundenpeilung jedes Mitglieds am Beginn des Jahres. Je nach Kapazität und persönlicher Planung. Je nachdem wird zwei, drei oder vier Tage pro Woche gearbeitet. Wir kennen ja unseren Gesamtbedarf an Stunden und können das dann gut einteilen und überblicken.

MH: Das heißt, der Anteil ist nicht in Stunden umgelegt, sondern kann individuell angepasst werden.
RE: Ja, das hat aber nichts mit dem Mitspracherecht zu tun, das ist uns besonders wichtig, jede Stimme zählt gleich viel. Egal, wieviel „Stundenleistung“ erbracht wird.

MH: Organisation?
RE: Der Bereich Organisation und Administration wird so gut wie möglich aufgeteilt. Der Backoffice-Bereich wird so gut wie möglich gestreut. Aber es wird auch je nach Vorlieben, aber auch Fähigkeiten intern verteilt. Und auch hier zählt die Stunde gleich: Egal ob Werkstatt, Organisation oder Office.

MH: Wie sieht das bei euch mit der Ausbildung aus?
RE: Wir haben Max mit einem Fahrradmechaniker-WIFI-Kurs, weil es bis vor zwei Jahren gar keine Möglichkeit für eine Lehre in diesem Bereich gegeben hat, und Gerald mit einer Fahrradmechatroniker-Lehre. Die anderen Teile unseres Kollektivs sind Autodidakten. Und nicht zu vergessen unseren Lehrling Veronika. Sie macht die Ausbildung von der Pike auf.

MH: Wo liegen eure Schwerpunkte auf Werkstatt und auf Shop Seite?
RE: Verkauf ist nicht unser Hauptschwerpunkt. Wir haben einen Teileshop, der möglichst effizient gehalten wird. Sättel, Schlösser und Ersatzteile stehen da im Vordergrund. Und natürlich alles, was zur Sicherheit und StVO gehört. Aber keine Kleidung, Fahrradtaschen oder ähnliches. Im Werkstattbereich machen wir mittlerweile alles – auch Tätigkeiten, die wir zu Beginn nicht im Angebot hatten. Das betrifft zum Beispiel Federgabeleinstellung, aber auch E-Bikes oder nachträgliche Elektro-Motorisierung von normalen Fahrrädern.

MH: Ein Fokus von euch sind ja auch Lastenräder – wie kam es dazu?
RE: Hier müssen wir Joe auf die Schulter klopfen. Der wollte Lastenräder in Linz verkaufen und wir haben ihn mal machen lassen. Im ersten Jahr ging es schleppend voran. Aber als 2016, 2017 die öffentliche Förderung von Lastenrädern beschlossen wurde, kam es zu einer deutlichen Veränderung. Da ging plötzlich mehr. Wir hatten nur zwei Vorführräder, ein Bakfiets und ein Bullitt. Und das Ladenlokal in der Lessingstraße wurde zu klein, wir mussten umziehen. Mittlerweile sind zwei Drittel des Shop-Umsatzes Lastenräder und seit fünf Jahren verdoppelt sich dieser jedes Jahr.

MH: Um drei Herausforderungen zu nennen: Corona, Lieferkette und Teuerung. Wie geht ihr damit um? Was betrifft euch besonders?
RE: Wir sind zu Beginn 2020 hier im neuen Ladenlokal in der Museumstraße eingezogen, hatten dann ab März gleich den Lockdown und wussten nicht, was wir durften und was nicht. Wir wurden dann aber recht rasch als systemrelevant eingestuft und durften öffnen. Und dann kamen die „Kellerräder“. Die Menschen haben im Lockdown ihre Wohnungen und Keller durchgeräumt. Es ist regelecht explodiert, wir hatten in diesem Jahr über 1000 Stunden mehr gearbeitet als im Jahr davor. Die Verfügbarkeit von Ersatzteilen ist völlig unzuverlässig geworden. Zum Bespiel mussten wir auf Ketten über sechs Monate warten. Wir sind aber auch gut im Improvisieren und haben ein Augenmerk auf Re-Use-Teile. Das macht uns auch unabhängiger. Viele Leute kommen, weil sie wissen, beim „Rostigen Esel“ könnte es das Teil noch geben.
Wir haben beobachtet, dass Fahrräder und das Drumherum nur 5% teurer geworden sind – also weniger als andere Güter. Also sind wir auch nicht so betroffen. Die Energieteuerung trifft uns fast gar nicht, wir brauchen wenig Strom und heizen mit Holz.

MH: Abschließend noch zum Randthema „Fahrrad und Linz“. Was meint ihr zur aktuellen Situation und zum Ausblick in die Zukunft?
RE: Linz ist eine Autopendlerstadt. Die Linzer Politik denkt, dass die Pendler aus den Umlandgemeinden ihre WählerInnen wären und nicht die LinzerInnen. Der Verkehrsfluss geht über alles. Es gibt kaum Schutz für RadfahrerInnen, keine Tempo-Kontrollen und Angst, Parkplätze umzuwidmen. Es fehlt einfach der Mut, Fahrradwege attraktiver zu machen und bei neuen Projekten den Fahrradverkehr auf Augenhöhe mitzuplanen. Linz ist hier wirklich nicht modern und auf der Höhe der Zeit. Es müsste einfach mehr Raum für alternative Verkehrskonzepte geschaffen werden. Hier wäre zum Beispiel die Nibelungenbrücke eine gute Möglichkeit.

MH: Danke für das Gespräch!

GesprächspartnerInnen: Die kollektiven Menschen des Rostigen Esels.

Fahrradwerkstatt Zum Rostigen Esel
Museumstraße 22, 4020 Linz
Montag bis Freitag 10:00–13:00 h, 14:00–18:00 h
www.rostigeresel.at

Hello Velo! Oder Hello Yellow.

Eine Radbahn für Linz. Im Hafenviertel hat sich Magnus Hofmüller das neu gebaute Velodrom angesehen und Sigrid Grammer und Johannes Staudinger zum Gespräch getroffen.

Es ist ein regnerischer Nachmittag im Linzer Hafenviertel, an dem ich mich mit Johannes Staudinger vom Verein Velodrom Linz und Sigrid Grammer von Hello Yellow beim neu gebauten Velodrom namens „Hello Yellow“ treffe. Die UCI-genormte Bahn ist seit Juli dieses Jahres fahrbereit. Und um die Entstehung und die Möglichkeiten zur Nutzung zu erkunden, habe ich mich mit den beiden verabredet.

MH: Ein ganz einfache Einstiegsfrage: Was ist ein Velodrom und wofür wird es genutzt?
JS: Ein Velodrom ist eine Radsportanlage zum Bahnradfahren. Es wird in sportlicher Hinsicht zum Trainieren der Endgeschwindigkeit, zum Üben eines runden Tritts und zur Übung der „Disziplin“ des sogenannten Zugfahrens genutzt. Züge sind Fahrradgruppen aus mehreren FahrerInnen, die im Windschatten hintereinanderfahren und sich im Kreisel abwechseln. Es können auch mehrere Züge auf einer Bahn unterwegs sein.

MH: Der Verein Velodrom Linz setzt sich seit mehr als 7 Jahren für ein Velodrom in Linz ein. Die Firma Schachermayer hat dies nun umgesetzt – wie kam es dazu bzw. wann haben sich die Wege gekreuzt bzw. die Ideen zueinander gefunden?
SG: Die Fa. Schachermayer hat 2019 den benachbarten Pumptrack eröffnet und sieht das Velodrom als eine Art Erweiterung. Der Firmeninhaber ist sportbegeistert, passionierter Radfahrer und ihm ist es ein Anliegen, einen Raum der Bewegung und Begegnung zu schaffen. Und dies mit besonderem Fokus auf den städtischen Raum, um dort die Möglichkeiten zu erweitern. Das Velodrom steht der Allgemeinheit – mit besonderem Fokus auf junge Menschen und natürlich auch den MitarbeiterInnen zur Verfügung.
JS: Die Wege haben sich Ende 2020 gekreuzt. Die Ideen zu einem Velodrom in Linz wurden unabhängig voneinander geboren. Es kam zu einer Kontaktaufnahme und einem Ideenaustausch. Die Entscheidung zum Bau fiel dann sehr schnell und wurde von Gerd Schachermayer allein getroffen. Der Verein Velodrom Linz wurde dann mittels einer Partnerschaft involviert – es war ja naheliegend, da sich der Verein seit vielen Jahren mit dem Thema beschäftigt.

MH: Ich möchte hier trainieren – wie wäre die Vorgehensweise:
JS: Es gibt zwei Herangehensweisen. Die erste ist für Interessierte ohne Erfahrung, die über das Webformular mit Hello Yellow in Kontakt treten und sich für einen kostenlosen Einführungskurs anmelden. Hier kann man Bahnluft schnuppern und das Fahren im Oval auf zur Verfügung gestellten Bahnrädern ausprobieren. Wenn man Bahnerfahrung hat, kann man direkt per Mail Kontakt aufnehmen und muss glaubwürdig dokumentiert die Bahnerfahrung hinterlegen. Mittels Zutritts-Key ist die Nutzung dann möglich. Die Zeitslots können online reserviert werden. Für Mitglieder der Vereins Velodrom Linz gibt es die Möglichkeit, am eigens reservierten Vereinszeitslot am Montag zu trainieren und man hat auch Zugriff auf die Trackbikes der Anlage.

MH: Ist der ÖRV (Österreichische Radsport-Verband) in irgendeiner Form integriert?
JS: Der ÖRV und der OÖRV nutzen das Velodrom bereits. Das ist eine Abmachung zwischen Hello Yellow und dem Verband, der in eigens reservierten Slots trainiert. Hier werden zum Beispiel oft zwei Wochen am Stück trainiert.
SG: Hello Yellow weiß ob der Attraktivität für Kadertrainings, der Hauptfokus liegt aber in der Nutzung durch die breite Allgemeinheit.

MH: Das Ferry Dusika Stadion wurde heuer abgerissen und Hello Yellow ist nun das einzige Velodrom in Österreich. Merkt man hier eine gesteigerte Aufmerksamkeit?
JS: Ja, man sieht eine gewisse Dynamik in der Szene in Österreich. In Linz ist die Szene gewachsen und in Wien natürlich etwas geschrumpft, aber es gibt einige WienerInnen, die die Anlage hier nutzen. Es gibt auch seit der Eröffnung von Hello Yellow Medienberichte, dass Bahnen in Kärnten oder auch in Graz in Planung sind. Sehr positiv ist das Wachstum der Szene und das hohe Interesse in Linz.

MH: Gibt es mittel- oder längerfristig auch Pläne, neben der Trainingsnutzung auch Wett­bewerbe oder Veranstaltungen abzuhalten?
SG: Grundsätzlich soll die Anlage schon für Veranstaltungen geöffnet werden – so wurden bereits die Staatsmeisterschaften angefragt – das ist sich aber einfach noch nicht ausgegangen. Hier muss man die Entwicklung abwarten und abwägen, welche Möglichkeiten sich anbieten.
JS: Es gibt keinen dezidierten Publikumsbereich. Einstweilen gibt es aber die Möglichkeit, vom vorbeigeführten Gehweg durch den Plexiglasschutz bei Trainings zuzusehen. Man kann aber durchaus überlegen, in Zukunft auch kulturelle Veranstaltungen durchzuführen.

MH: Was ist die Motivation der Fa. Schachermayer, sich so intensiv im Radsport zu engagieren? Ist das Imagetransfer oder Mäzenatentum?
SG: Das Engagement ist nicht nur auf den Radsport fixiert – es geht im Weitesten um Bewegung und Sport. Die soziale Kom­po­nente ist auch eine ganz wichtige und dieser möchte man in Linz Rechnung tragen. Der breite Zugang für die Allgemeinheit steht im Zentrum.

MH: Der Verein Velodrom Linz war lange Jahre eher ein Interessensverein, der Lobbying für ein Velodrom in Linz geleistet hat – und natürlich auch Veranstaltungen mit gesellschaftspolitischem und kulturellem Fokus veranstaltet hat – hier zu nennen das Kirschblüten Radklassik oder die Tour Gino Bartali. Jetzt ist aber der Sport im Mittelpunkt – wohin geht die Reise?
JS: Die Aktivitäten bleiben bestehen. Das Engagement für das Hello Yellow ist einfach dazugekommen und ist eine neue Facette im Vereinsportfolio. Wir heißen ja Velodrom Linz – Verein für Sport und Kultur. Der Bereich Sport wurde jetzt einfach verstärkt. Wir haben derzeit schon 50 Mitglieder – davon hätten wir vor einem Jahr nur träumen können.

MH: Danke für das Gespräch und die Führung!

GesprächspartnerInnen:
Sigrid Grammer, Leitung Medien im Konzern­marketing der Firma Schachermayer
Johannes Staudinger, Obmann und Sprecher Verein Velodrom Linz

Hello Yellow Hafenviertel,
Prinz-Eugen-Straße 30, Linz

Anmeldung und Kontakt:
Interessierte ohne Bahnerfahrung müssen einen Einführungskurs absolvieren. Der Kurs ist gratis, die Anmeldung dafür erfolgt unter: www.hello-yellow.at/velodrom/einschulungstermin-velodrom

Erfahrene, die nachweislich Bahnerfahrung mitbringen, nehmen Kontakt auf über velodrom@hello-yellow.at

Trainingszeiten
Die freien Timeslots zum Trainieren sind online einzusehen unter: www.hello-yellow.at/kalender

Mitglieder des Vereins Velodrom Linz können montags von 16 bis 20 Uhr im vereinseigenen Trainingsslot trainieren. www.velodrom-linz.at/mitglied-werden

Zugang
Mittels Zugangschip. Dieser kann nach dem Einführungskurs bzw. dem Nachweis über Bahnerfahrung gegen eine Kaution von Euro 50,– gelöst werden.

Saisondauer
Anfang April bis Ende Oktober

www.hello-yellow.at
www.velodrom-linz.at

Es fehlt an Mut. Es gibt Lichtblicke. Alles wird gut.

Wenn man Linz als Fahrradmikrokosmos sehen möchte, wartet man entweder auf den Urknall oder man sehnt den Weltuntergang und die damit verbundene Katharsis herbei. Meint Magnus Hofmüller.

So ist politisch zwar einiges in Bewegung geraten, bloß, ob die Richtung stimmt und der nötige Mut zugegen ist, wird sich zeigen. Der glücklose ehemalige Verkehrsstadtrat hinterlässt ein trauriges Erbe. Für sämtliche VerkehrsteilnehmerInnen. Der Neue, der sich im Wahlkampf ja zumindest als fahrradfreundlicher Politiker präsentiert hat, muss sich erst beweisen. Und die Zeit von Warten-wir-auf-dies-und-warten-wir-auf-das sind vorbei. Große Metropolen (z. B. Paris), aber auch vergleichbare Mittelstädte (z. B. Freiburg) schaffen es, in kürzester Zeit Maßnahmen zu setzen, die das mobile Leben angenehmer, sicherer und ökologischer machen. Und keine Angst vor Verboten – manchmal müssen diese sein. Das einzige Projekt aus der Ära Hein, das zumindest teilweise nachhaltig wirkt, ist das Parkverbot am Urfahraner Jahrmarktgelände. Zeter und Mordio wurde von Verbänden und Pendler-IGs geschrien – und genauso schnell war das Schreien auch wieder vorbei. Positive Fakten schaffen und nicht nur Entscheidungen zu Ungunsten von Fuß- und Radverkehr, darum geht es. So ist auch das Prozessdesign entscheidend. Geht man in Linz von einem guten Status Quo und einem „bloßen“ Verbesserungspotential aus, war man in Paris ehrlicher zu sich selbst und letztendlich auch zur Bevölkerung. Die Planung in Paris ging von einem desaströsen Ist-Zustand aus. So sollte man in Linz wohl auch starten. Und den Rufern „Die frechen Radler wollen alles“, sollte man das Programm von Freiburg näherbringen, denn dieses setzt auf einen moderaten und gut moderierten Umgang miteinander.
Aber auch einfach couragiertes Herangehen würde schon viel helfen. Wo sind zum Beispiel die Fahrradvorrangrouten, die Linz von Nord nach Süd und von West nach Ost an den Hauptverkehrswegen verbinden? Wo sind die fahrradfreundlichen Auf- und Abfahrten, und Spuren auf den Brücken? Wo sind die ernstgemeinten Konzepte für sanfte Mobilität? Politisch wären das doch wohl mehrheitsfähige Absichten. Grüne, KPÖ und Linz+ sind ja ausgewiesene Fahrradfreunde. Und die ÖVP ja, wie es scheint, auch. Und selbst die verkehrsmäßig oft etwas verpeilte SPÖ könnte dazulernen – sie betreibt ja zumindest schon den Radverleih der Stadt. Man hat in Linz einfach an entscheidenden Positionen noch nicht begriffen, dass das Fahrrad und seine FürsprecherInnen keine lästigen Randerscheinungen sind, sondern ein zentrales Instrumentarium für moderne zukunftsgewandte Stadtentwicklung.

Als Lichtblick kann man die private Initiative der gelben Firma aus dem Linzer Hafen nennen. Aktuell wird der schon vor Jahren eingerichtete und öffentlich zugängliche Pumptrack um ein sogenanntes Velodrom erweitert. Eine abgeschlossene Rundstrecke für Trainings- und Wettfahrten. So wird ein Hotspot für Fahrradfreunde geschaffen, der der sportlichen Seite des Radsports im Zentralraum hoffentlich neuen Antrieb gibt. Der Verein Velodrom Linz, der sich seit Jahren für eine derartige Anlage eingesetzt hat, ist fürs nötige Einführungstraining verantwortlich und wird sicher das eine oder andere Event vor Ort gestalten. So gesehen blicken wir radsportlich in ein gutes 2022 und verkehrspolitisch in ein unsicheres Ge­meinderatsjahr. Hoffen wir das Beste.

Ein kleiner Tipp für die LeserInnen, die noch ein Präsent suchen und Fahrrad mit Kunst verbinden möchten, ist der feminist machines–Fahrrad-Kalender 2022 von Silke Müller. Quelle und Kontakt: silkemueller.net/fahrradkalender-2022

Three Peaks Bike

Lokaler Radverkehrsverdruss oder internationale Fahrradlust? Magnus Hofmüller fiel die Wahl nicht schwer: Er interviewte Jana Kesenheimer und Gerald Minichshofer, die gerade vom einem wunderbaren Rad­rennen quer durch Europa zurückgekehrt sind.

MH: Ihr habt beide ein unglaubliches Langdistanzrennen hinter euch. Und zwar das von Adventure Bike Racing organisierte Three Peaks Bike Race, das heuer von Wien nach Barcelona geführt hat. Du, Jana, hast das mit dem fünften Platz beendet (7 Tage, 11 Stunden und 37 Minuten) und du, Gerald, als Achter (8 Tage, 4 Stunden und 8 Minuten). Wie kommt man dazu, sowas zu machen?
JK: Ich hatte nie das Ziel, mit meinem Radfahren bei solchen Formaten mitzumachen. Ich bin da eher hineingestolpert und dann ist es irgendwann eskaliert. Ich komme aus einer sportbegeisterten Familie mit einem Radsport-Vater, und wuchs mit Tour de France im Fernsehen auf. Die Radtouren meiner Kindheit lösten bei anderen Leuten oft Verwunderung aus. Nach jugendlicher Radsport-Verweigerung und einem Exkurs in Marathon und Triathlon musste ich meinem Vater recht geben und fahre seitdem nur mehr Rad.
GM: Ich habe begonnen Brevets zu fahren. Das sind Distanzfahrten von 200, 400, bis hin zu 600 Kilometern. Es sind keine Rennen und es gibt nur eine Maximalzeit und keine Wertung. Das bekannteste ist der Klassiker Paris-Brest-Paris mit 1200 km. Über einen Freund bin ich dann auf das Three Peaks Bike Race gekommen – er hat gemeint: „Das schaffst du auch!“

MH: Wie kompetitiv ist ein solches Format oder ist es letztlich nur ein Rennen für oder gegen sich selbst?
GM: Mein Ziel ist, ins Ziel zu kommen und die Platzierung ist daher nebensächlich. Ich fahre nicht gegen die MitfahrerInnen, sondern gebe einfach mein Bestes. Während des Rennens orientiere ich mich nur, wer vor und hinter mir ist – rein als Ansporn. Im Gegenteil, man ist viel alleine am Weg und freut sich über jede Begegnung. Aber es ist trotzdem ein Rennen – auch natürlich gegen sich selbst.
JK: Spannende Frage. Es ist sehr unterschiedlich. Kommt auf die Person drauf an. Ich komme aus dem Radmarathon und der ist mega-kompetitiv. Richtig bissig – auch unter den Frauen. Mit echt oft fiesen Kommentaren. Nach meinem Sturz wollte ich weniger striktes Training und begann mit Bikepacking. Und so kam es zur ersten Anmeldung zum Three Peaks Rennen im Vorjahr. Und da war die Stimmung unter den Leuten gleich ganz anders. Extrem nett und unterstützend. Es geht stark drum, sich selbst was zu beweisen und man fährt meist alleine und gegen sich. Jedoch ist mir ein guter Platz schon wichtig und ich bin stolz drauf. Aber ohne Top-Platzierung als Ziel.

MH: Wie sieht der Tagesablauf während des Rennens aus? Gibt es Strukturen oder Tagesabläufe? Das Format des Rennens gibt ja nichts vor, außer so schnell wie möglich das Ziel zu erreichen.
GM: Das einzige wirkliche Fixum ist, dass ich 3 Stunden pro Tag schlafen muss. Der Rest ist nicht planbar. Die ersten beiden Tage vielleicht – aber danach übernimmt das Rennen. Es entscheidet die Tagesverfassung und das Gefühl, wie es mir geht. Wichtig ist ein gute Routenplanung.
JK: Bei meiner ersten Fahrt war ich sehr planlos unterwegs. Machte kurze Power-Naps und hatte keine längeren Schlafphasen; und so wurde die Müdigkeit zum größten Gegner. Dieses Jahr war der Plan, einen festen Rhythmus zu etablieren und das ist mit auch gelungen. Ich habe mich immer zwischen 23 und 1 Uhr hingelegt und mindesten 3 Stunden geschlafen.
Dann bin ich nach 3 oder 4 Stunden losgefahren und bin dann nur mehr am Rad gesessen. Die Morgenstunden waren am schwierigsten. Die Zeit zwischen 7 und 10 Uhr. Ich habe auch die Pausen gestrichen, bin nur in kleine Geschäfte oder Tankstellen gegangen und habe am Rad gegessen – damit ich keine Zeit liegen lasse.

MH: Ein weiterer wichtiger Faktor: Erholung und Ernährung. Wie sieht es mit der Nahrungszufuhr und der Unterbringung aus? Gels und Powerbars? Isotonische Spezialmischungen? Oder das, was die Tankstelle hergibt?
JK: Ich esse keine Sportnahrung. Gels und Riegel habe ich nicht. Am liebsten esse ich gekochte Kartoffeln am Rad [lacht]. Während der Fahrt esse ich, was es „schnell auf die Hand“ gibt – Obst, Brot mit Käse, Snickers und Gummibärchen. In Frankreich gab es zum Beispiel gute Quiche oder Baguettes mit Belag.
GM: Ich lasse das auf mich zukommen, brauche aber keine Spezialgels oder ähnliches. Ich vertrage normales Essen auch in dieser Situation gut und brauche es auch, dass es schmeckt. Die Qualität – überhaupt Bio und viel Gemüse – ist mir sehr wichtig. Ich möchte hier meine alltäglichen Gebräuche nicht über Bord werfen. Meine Ernährung ist zum Großteil vegetarisch. Ich habe aber den Fehler gemacht, in den ersten Tagen wegen der einfachen Verfügbarkeit McDonalds zu besuchen. Das tat mir überhaupt nicht gut. Da sind mir landwirtschaftliche regionale Angebote wie die 24h-Ackerbox bei Villach viel lieber – obwohl ich das am Wurzenpass mit 18% Steigung aufgrund des Gewichts etwas bereut habe. Auf der weiteren Route, zum Beispiel in der Schweiz, sind die Tankstellen sehr gut ausgerüstet und in Frankreich sind Pains au chocolat meine Hauptnahrung. Die Schlafplätze waren recht in Ordnung – immer entlang der Route im Biwaksack. Wichtig ist, gute Plätze zu nützen und nicht zu lange weiterzufahren. Das verschwendet oft Kraft und letztendlich auch Zeit.

MH: Zum Setup. Gerald, du fährst ein Stahlrad (von Alex Singer) mit Felgenbremsen und 650B Reifen, hast zudem Taschen aus gewachster Baumwolle (von Gilles Berthoud). Jana, du fährst einen Carbon-Renner (von Specialized) mit Bikepacking-Ausrüstung, wie der sogenannten Arschrakete und Rahmentaschen. Könnt ihr mir etwas zu eurem Equipment sagen?
GM: Es ist ein klassisches Ranndoneur-Rad. Ursprünglich wäre ein maßangefertigtes, etwas leichteres Stahlrad geplant gewesen, aber aufgrund der Liefersituation bin ich mit dem Rad aus 1976 gefahren. Das funktioniert für mich am besten, da ich einen flexiblen Rahmen brauche, der meinen Rhythmus zulässt. Das Gewicht ist für mich zweitrangig. Und mir ist Alu oder Carbon zu steif – und ich bekomme schnell Probleme in den Knien. Die Reifenbreite, die ich fahre, ist 37 mm und das bietet guten Komfort auch auf schlechten Straßen.
In den Taschen ist der Biwaksack, Regenkleidung, eine echte Wolljacke – die benötigt am meisten Platz, war aber nötig, weil es auf den Pässen empfindlich kalt wurde. Eine Reflektorweste, Armlinge, Beinlinge, Handschuhe, kleines Werkzeugset und Licht. Zahnbürste, Seife und Sonnencreme. Und Fruchtriegel – als Notration. Hose hatte ich nur eine – und die hatte ich an.
JK: Ich habe seit dem Vorjahr Unterstützung von Specialized im Bereich Material und fahre gefühlt das leichteste Rennrad, das es am Markt gibt. Gerade bei meinem Körpergewicht sind 2–3 Kilo Ersparnis schon sehr deutlich zu spüren. Mit Gepäck hatte es zirka 15 kg. Ich habe ein sehr minimalistisches Setup: Schlafsack, Isomatte, Rettungsdecke, Armlinge, Knielinge, Handschuhe und Regenjacke. Ich wollte ohne Extrakleidung (kurze Shorts und T-Shirt) fahren – davon hat mich mein Freund aber abgebracht. Im Gegensatz zum Vorjahr hatte ich nur Satteltasche, Rahmentasche und kleines Bag am Oberrohr. Und keine Lenkertasche mehr.

MH: Welche Übersetzung fährst Du?
GM: Kettenblätter 48/30 – Zahnkranz 12/28
JK: Kettenblätter 50/34 – Zahnkranz 12/34

MH: Was steht nächstes Jahr am Programm?
GM: Das Silk Road Mountain Race oder Atlas Mountain Race würden mich interessieren. Also auch mehr ins Gelände oder Off-Road. Oder Rennformate wie French Divide oder Slovakia Divide sind auch sehr spannend.
JK: Ich wollte heuer noch die Transpyrenees fahren – das Rennen wurde aber leider abgesagt. Jetzt fahre ich einfach so zum Radeln hin. Und den Ötztaler Radmarathon fahre ich auch noch.

 

Gerald Minichshofer, *1994 in Linz (AT), lebt in St. Marien und ist Fahrradmechaniker im Fahrradladen „Zum Rostigen Esel“ in Linz. Er interessiert sich für Fahrradgeschichte und nimmt regelmäßig an Brevets und Bikepackingrennen teil. Der tägliche Arbeitsweg mit dem Fahrrad bildet nach eigenen Angaben die Grundlage für seine Kondition.

Jana Kesenheimer, *1994 in Freudenstadt (DE), lebt seit vier Jahren in Innsbruck und ist Doktorandin der Sozialpsychologie. Sie beschäftigt sich beruflich mit Umweltverhalten und verbringt die restliche Zeit meist auf dem Rad. Weil sie am liebsten bergauf fährt, kommt die Kondition ganz von allein.

Ein Mahnmal …

… des mobilisierten Individualverkehrs. Linz müsste sich eigentlich glücklich schätzen. Eine riesige – zwar zum Großteil versiegelte – meist unverbaute Freifläche inmitten des Stadtzentrums. Magnus Hofmüller kommentiert die aktuellen Umgestaltungspläne des Donauareals.

Bild Magnus Hofmüller

Gemeint ist das Areal zwischen Nibelungenbrücke und der Brücke formerly known as Eisenbahnbrücke. Ein Filetstück. Andere Städte beneiden Linz sicher um ein solches, voller Optionen strotzendes Stück Stadtraum. Als LinzerIn dürfte man sich moderne Lösungen erwarten, die die Möglichkeiten und Probleme der Gegenwart aufgreifen und in etwas Zukunftsorientiertes transformieren. Simple Stichwörter wie „neue Mobilität“, „lebenswerte Stadt“, „Naherholungsgebiete“ und „urbane Freiflächen“ kommen einem da in den Sinn. Aber leider. Nein. Linz.

Als problemschwangere Klammern dieses Areals fungieren die Brücken: Die alte Brücke ist Zeitzeugin völlig verpeilter und zusammengestückelter Verkehrsplanung – und das seit Jahrzehnten. Mit einem Fuß- und Fahrradweg, der einzig als Aggressionsbeschleuniger taugt. Die neue Brücke ist Beweis dafür, dass die Verantwortlichen wenig bis gar nichts dazugelernt haben. Die neu gestaltete Hinführung für FußgängerInnen und RadfahrerInnen auf der Urfahraner Seite lässt nichts Gutes erwarten. Und der Fahrrad- und Fußweg-Bypass – die sogenannte Himmelbauer-Brücke – zwischen den beiden Brücken wurde als I-Tüpfelchen erfolgreich verhindert. Kein Mensch weiß eigentlich wieso.

Aber das wirkliche und titelgebende Mahnmal ist die riesige Betonfläche zwischen AEC und „SV Urfahr 1912“-Fußballplatz. Diese wurde zwar von der Funktion als Parkplatz großteils befreit, aber das Vorhalten dieser Fläche für einen 2 x im Jahr stattfindenden Jahrmarkt ist schon sehr befremdlich. Und ist auch Sinnbild dafür, dass man „unangenehme“ und kurzfristig unpopuläre Maßnahmen in Linz nie umsetzen wird. Würde man die Fläche als Park umwidmen, vom Betonkorsett befreien und renaturieren, und den Jahrmarkt an einen anderen Ort verlegen, gäbe es zwar einen Aufschrei – der aber schnell vergessen wäre. Genauso schnell wie das eingeführte Parkverbot auf derselben Fläche. Hier fehlt es eindeutig an Mut und Gestaltungswillen.

Jetzt mühen sich seit Jahren Bürgerinitiativen und Projektgruppen mit guten Ideen für das Areal – wie eine Insel oder eine Badebucht. Aber, anstatt die Konzepte aufzugreifen und im Rahmen der räumlichen und budgetären Möglichkeiten umzusetzen, kommt in Linz wieder einmal alles ganz anders. Nämlich komplett anders. Und hier den Zuständigen Böswilligkeit zu unterstellen ist einfach unfair. Es fehlt nämlich an einer fachlich kompetenten, kreativen und mit Umsetzungsmacht ausgestatteten Stadt- und Verkehrsentwicklung. Die unabhängig und mit Expertise von außen in einem moderierten und transparenten Prozess die Stadt für die Zukunft fit macht. Ein frommer Wunsch. In Linz passiert leider im Moment das Gegenteil – und die Menschen, die initiativ werden, können nicht gestalten, sondern müssen ihre Kraft ins Verhindern des Schlimmsten stecken.

Lesestoff auf zwei Rädern

Wahre Liebhaber, Freaks oder die Professionellen unter uns sind zwar saisonunabhängig auf dem Fahrrad unterwegs. Aber für viele andere gilt: Der Frühling kommt und damit die Fahrradsaison. Der Verkehr verlagert sich wieder etwas mehr auf zwei Räder, die wärmere Luft motiviert zu sportiven Langstreckenfahrten. Magnus Hofmüller hat Lesetipps rund ums Thema.

Das Fahrrad ist nicht nur Verkehrsmittel oder Sportgerät – mit seiner Geschichte und all seinen unterschiedlichen Ausprägungen ist es Kulturgut, Fetischobjekt und Projektionsfläche für Wünsche und Träume zugleich. Natürlich kann man das auch von Auto, Eisenbahn oder anderen Objekten sagen, die als technisches Hilfsmittel der Fortbewegung dienen. Jedoch ist das Fahrrad demokratischer, diverser, zugänglicher, verständlicher und natürlich auch leistbarer. Fahrräder bieten ein breites Feld zur Auseinandersetzung und daraus wiederum ergibt sich eine Vielzahl an Publikationen unterschiedlichster Art. Und da Mensch nicht nur nie genug Fahrräder haben kann, sondern dies genauso für Bücher und Hefte zum Thema gilt, ein paar Tipps zum geschriebenen Wort rund ums Fahrrad.

A Cycling Lexicon: Bicycle Headbadges from a Bygone Era (englisch)
Phil Carter, Jeff Conner
Gleich als Einstieg ein Werk für wahre Nerds: Auf knapp 400 Seiten werden Fahrradplaketten oder auch Steuerkopfschilder historischer Räder gelistet. Ein wahrer Augenschmaus und Wissensschatz – ein Lexikon der Fahrradheraldik. Es kommen natürlich Markenklassiker wie Schwinn, Peugeot oder Hercules vor. Aber auch Schätze aus asiatischer oder russischer Produktion aus den 1920er Jahren werden gezeigt. Ein ideales Geschenk für passionierte Fans von Retrofahrrädern.

Everyday Bicycling – How to Ride a Bike for Transportation (englisch)
Elly Blue
Ein kleines, feines Büchlein für den Alltag auf zwei Rädern. Der Satz auf der Rückseite „Rediscover the joy of getting around on two wheels“ trifft den Grundtenor des Buches perfekt. Es geht nicht um die sportliche Variante des Radfahrens, sondern ums Pendeln, Einkaufen und Transportieren mittels Fahrrad. Fahrradfahren als integraler Bestandteil des Alltags. Mit Tipps und Tricks von der Kleidung bis zum Bike.

Die Regeln (Orig.: The Rules) (deutsch)
Velominati
Hier kommen die sportiven FahrerInnen voll auf ihre Kosten. Quasi ein Muss in jedem Bücherregal. Fünfundneunzig Regeln, die ernst und humorig an das Thema heranführen sowie nützliches und unnützes Wissen bereitstellen, weisen den Weg in den Geheimbund der echten RennradfahrerInnen. Themenfelder wie rasierte Beine, Bräunungskanten und Espressoarten sind ebenso enthalten wie Material- und Trainingstipps. Also, wie Regel #90 sagt: „Bleib auf dem großen Blatt“.

Lob des Fahrrads (deutsch)
Marc Augé
Das zweite kleine Büchlein der Auswahl. Dieses ist weniger praktisch orientiert, sondern feiert die Fahrradrevolution von Kopenhagen bis Paris. Als LinzerIn liest man das natürlich mit einer gewissen Wehmut … aber Hoffnung ist wichtig! Allein Kapitelüberschriften wie „Vélo Liberté“ machen gute Laune – eine schnelle Lektüre für FahrradutopistInnen.

 

How to survive als RADFAHRER (deutsch)
Juliane Schuhmacher
Die Stadt und das Fahrrad – eine ewige Kampfzone? Ja und nein, wenn man der Lektüre von Juliane Schuhmacher folgt. Diese gibt Tipps, wie man möglichst konfliktfrei durch den RadlerInnenalltag in der Stadt kommt und Spaß dabei hat, Motivation gewinnt und sich sicher durch den Verkehr bewegt.

 

Strassenkampf (deutsch)
Kerstin E. Finkelstein
Die Autorin diagnostiziert eine ständige Zunahme des Autoverkehrs und eine immer gereiztere Stimmung unter den VerkehrsteilnehmerInnen. Und damit liegt sie natürlich richtig. Und deshalb fordert sie auf 200 Seiten eine eindeutigere und mutigere Verkehrspolitik und den Abschied von der autozentrierten Verkehrsplanung. Positiv argumentiert und konsequent in der Formulierung. So geht sie etwa in Bezug auf Fahrrad und Verkehr dem Gegensatz von Wirklichkeit und veröffentlichter Wahrnehmung in der medialen Berichterstattung auf den Grund. Fast eine Pflichtlektüre für alle verkehrspolitisch interessierten RadlerInnen.

Fausto Coppi (deutsch)
Walter Lemke
Eine umfassende Dokumentation des Lebens der italienischen Radsportlegende Fausto Coppi. Die von einem Bewunderer verfasste und akribisch aufgezeichnete Lebensgeschichte ist ein Zeitdokument des Radsports. Der unkonventionelle Sportler Coppi machte nicht nur durch seinen ungewöhnlichen Fahrstil auf sich aufmerksam, sondern auch durch sein durchaus bewegtes Privatleben. Dieses wird im Buch aber nie voyeuristisch betrachtet, sondern setzt es aus der Distanz betrachtet mit dem des Sportlers in Verbindung und erklärt Zusammenhänge.

Domestik (deutsch)
Charly Wegelius
Ein Bericht aus der Mitte des Rennradsports – ein Insiderreport. Der Autor fuhr jahrelang als Profi in internationalen Rennen mit: und zwar als sogenannter Domestik, das sind Helfer für Etappen-, Sprint- oder Gesamtsieger. Egal, ob als Versorger für Getränke und Nahrung oder als Windschattenspender – immer am Limit und immer im Dienst für andere Fahrer. Ein ungeschönter und direkter Blick in den Profisport.

Stadt mit mobilen Persönlichkeitsstörungen

Der Stadt Linz, die in einem etwa 5 Quadratkilometer großen Gebiet wie Urfahr-Zentrum 10% der Fläche – also zirka 0,5 Quadratkilometer – ohne mit der Wimper zu zucken der Autobahn zum Fraß vorwirft, muss man im Jahr 2020 wohl zu einer umfangreichen Therapie raten. Magnus Hofmüller und ein semi-professionell angelegter und eher laien-psychologisch formulierter Versuch, 5 verschiedene Diagnosen zu stellen.

Foto privat

Fall 1: Ersatzhandlung(en)
Man will ja nicht den Finger in die offene Wunde legen, aber Linz hat ein Brückenproblem. Und zwar nicht ob ihrer Anzahl, sondern aufgrund der fairen Aufteilung zwischen den unterschiedlichen Mobilitätsformen. Dutzende nationale und internationale Studien böten ein fundiertes Rüstzeug, dieses Problem anzugehen. Aber diese werden nicht angefasst. Stattdessen werden Mikroaktionen gestartet, die eher hilflos wirken. „Aktion scharf“ gegen BrückenradlerInnen, die gegen die Fahrtrichtung unterwegs sind, ein LED-Geschwindigkeitssmiley, der das Schnellfahren eher game-ifiziert als es zu unterbinden, oder ein neuer Anstrich, der wohl dünnsten RadlerInnenspur in Europa. Am launigsten sind aber die Ersatzhandlungen, die aus den Schubladen von Freizeitparkdesignern zu kommen scheinen: Seilbahnen und Hängebrücken. Hier ist dringender Handlungsbedarf.

Fall 2: Prokrastination
Lösung C ist erst möglich, wenn A und B fertig sind. Ein Radstreifen auf der Nibelungenbrücke ist erst möglich, wenn die oder die Brücke fertiggestellt ist. Der belegte Fakt, dass mehr Autospuren mehr Autoverkehr evozieren, verhallt in den meisten Parteigremien in Linz wohl ungehört. Dass aber mutige und vielleicht kurzfristig unpopuläre Regelungen Abhilfe schaffen könnten, wie in anderen Kommunen, ist bis Linz noch nicht vorgedrungen. Das ist schade – Linz hätte mit seiner Lage das Potential, Arbeit, Kultur und Leben in Einklang zu bringen. Weil mit einfachen, aber scheinbar zu harten Eingriffen Wohnraum, Gewerbezonen, Freizeitflächen usw. durchaus miteinander und ineinander funktionieren könnten. Es wird einfach immer weiter – seit Jahrzehnten – vertröstet und weiter vertröstet.

Fall 3: Verleugnung
Die grundsätzlich positive Idee eines Radmotorikparks wird durch die vorgeschlagene Location konterkariert. Die Idee: Die Anlage unter den massiven Betonstützen der neuen Autobahnbrücken-Konstruktion zu verstecken. Nichts gegen eine sinnvolle Nutzung der Brachflächen, aber eine schon geschundene Spezies noch weiter vorführen? Radverkehr – egal ob als Verkehrsmittel oder Sportaktivität – braucht mehr Sichtbarkeit, Sicherheit und nutzbaren Raum. Eine Stadt sollte zu ihren RadfahrerInnen stehen und diesen – gleich wie dem Autoverkehr – die angemessene Wich­tigkeit zusprechen. Nicht Fahrradzonen verstecken, verschmälern oder ignorieren.

Fall 4: Selbstverzwergung – Mikroeingriffe anstatt Masterplan
Linz – also die Kommune – betreibt des Öfteren Selbstverzwergung und macht sich als Player im Zentralraum oft kleiner bzw. unwichtiger als die Stadt ist. Linz könnte die Spielregeln aktiver gestalten, was zum Beispiel Park-and-Ride, Verkehrsführung für PendlerInnen usw. betrifft. Stattdessen probieren die einzelnen politischen AkteurInnen mit eher reflexartigen öffentlichen Auftritten ihre jeweiligen Zielgruppen zu befrieden. Stichwort Spurverbreiterung/Busspur an der Donaulände oder Radweg auf der Nibelungenbrücke. Ein größerer Wurf wie z. B. ein Linzer Verkehrsgipfel, der von Fachleuten geführt wird und konkrete Maßnahmen nach sich zieht, steht wohl noch in weiter Ferne. Zu sehr ist man in seinen Klüngeln verhaftet und fürchtet sich vor unpopulären Eingriffen.

Fall 5: Toxische Beziehungen der VerkehrsteilnehmerInnen
Die nicht naturgegebene, aber in Linz dennoch problematische Beziehung unterschiedlichster VerkehrsteilnehmerInnen bzw. Interessengruppen wird nicht aktiv moderiert, sondern eher befeuert und für die eigene (verkehrs)politische Agenda genutzt. Wobei hier der Nutzen wohl eher kurzfristig ist als nachhaltig wirkt. Im Gegensatz zu toxischen Paarbeziehungen kann man diese Beziehungen nicht auflösen, sondern muss sie therapieren. Oder sie wird weiter eskalieren. Auch hier sollten parteipolitische Grenzen überwunden und das konstruktive Gespräch gesucht werden. Andere Städte schaffen das auch – und auch hier wieder die Hinweise auf ExpertInnen und deren Erkenntnisse. Nicht zuletzt: Verkehrs- Städte,- und MobiltätsplanerInnen sind oft auch gute TherapeutInnen.

Als Quintessenz und Analyse: ExpertInnen, ExpertInnen und ExpertInnen ranlassen. Das ist wohl das einzige Breitbandmedikament zur Lösung dieser Probleme.

Und, was in Linz noch nicht angekommen ist, auch wenn der Terminus Innovationsstadt durchaus oft erwähnt wird: Das Fahrrad ist ein modernes, zukunftsträchtiges und innovatives Verkehrsmittel.

Linz wird von der Zukunft eingeholt werden

Dass Linz ein veritables Mobilitätsproblem hat, wird eigentlich von keiner Seite geleugnet. Die Lösungs­ansätze und Präferenzen könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein. Der Baukulturvermittler und momentan karenzierte Leiter des Architekturformus OÖ, Franz Koppelstätter, steht Magnus Hofmüller Rede und Antwort.

Ein warmer Sommerabend im August. Franz Koppelstätter nebst Tochter Maya treffen zum Parkgespräch im Linzer Volksgarten ein. Hier wirkt Linz wie eine Großstadt – unterschiedlichste Menschen bewegen sich zu Fuß, mit dem Fahrrad, in Öffis oder – im Übergangsbereich des Parks zur Straße – mit dem Auto sozusagen „mäandernd miteinander“. Am Linzer Hauptplatz krampft sich die Stadt hingegen zwischen Blumendorf, Barockfassade und – wie im Volksmund liebevoll genannt – Innovationsschrebergarten dahin. Vieles wirkt improvisiert oder überhaupt nicht geplant.

Magnus Hofmüller: Wo siehst Du die hauptsächlichen Ursachen für die schlechte Verkehrspolitik mit speziellem Blick auf die Fahrradmobilität in Linz?
Franz Koppelstätter: Es sind meiner Ansicht nach nicht einzelne Akteure, sondern es liegt an der Kommunikation untereinander. Die Kommunikation zwischen den PolitikerInnen mit unterschiedlichen Ressorts, bzw auch, wie die BürgerInnen angesprochen werden, läuft nicht ideal.

MH: Die Diskussion – insbesondere in Social-Media-Kanälen und/oder Onlineforen – ist sehr aufgeheizt. Denkst du, dass diese Auseinandersetzung förderlich ist oder eher die Fronten verhärtet?
FK: Wahrscheinlich muss man die Diskussion anheizen, um einen gewissen politischen Druck aufzubauen. Um Verbesserungen herzustellen, braucht es allerdings viel mehr als die Provokation – die ich nicht grundsätzlich für schlecht empfinde. Aber es braucht auch den produktiven Diskurs.

MH: Der Sommer 2020 zum Beispiel. Der autofreie Hauptplatz wurde zum kommunikativen Fiasko, bei dem am Schluss jeder gegen jeden war. So forderte die Gewerkschaft, die Busspur von der stark befahrenen Straße der Donaulände auf den Fuß- und Radweg zu verlegen – und diesen weiter auf die grüne Wiese zu verpflanzen. Die Wirtschaft vertritt soundso die These, dass der Hauptplatz nur mit Autos wirtschaftlich rentabel sein kann.
FK: Hier muss ich womöglich die Gewerkschaft ein wenig in Schutz nehmen – ich kenne das Konzept nicht im Detail, aber soweit ich weiß, forderte sie hauptsächlich, den öffentlichen Personen-Nahverkehr auszubauen, was an sich schon eine gute Sache ist – und nur in einem kleinen Absatz wurde diese Umnutzung erwähnt. Aber grundsätzlich denke ich, scheitert es an der Parteipolitik, weil sich die Bruchlinien in der Diskussion genau an den Parteigrenzen festgemacht haben.

MH: Aber wieso sind in Linz im Vergleich zu anderen Städten nicht einmal kleinste Korrekturen möglich? Sind etwa die WählerInnen von Spö, Övp und Fpö alles aggressive AutofahrerInnen und die WählerInnen der Grünen, von den Neos und der Kpö alles militante RadfahrerInnen?
FK: Wahrscheinlich nicht. Ich denke, das grundsätzliche Mindset der politischen Entscheider ist verkehrt, nämlich, dass die größte Fraktion der VerkehrsteilnehmerInnen – die AutofahrerInnen – befriedigt wird und dann nachrangig die anderen Mobilitätsformen wie öffentlicher Personen-Nahverkehr, FußgängerInnen und RadfahrerInnen. In dieser Reihenfolge wird geplant und umgesetzt. Und nicht umgekehrt, wie es notwendig wäre, um eine lebenswertere Stadt zu ermöglichen. Und der politische Fehler an dieser Sichtweise ist – so glaube ich – ,dass man denkt, dass AutofahrerInnen nur AutofahrerInnen sind, dass RadfahrerInnen nur RadfahrerInnen sind usw. Es gibt aber keinen Autofahrer, der mit dem Auto zum Auto fährt … Der Autofahrer ist genauso Fußgänger. Das Einteilen der Menschen in einzelne Mobilitätskategorien ist der politische Fehler, weil das nicht der Realität entspricht.

MH: Ganz einfach: Versteht die Politik die Formel „Stadtraum = Lebensraum“ nicht?
FK: Diese Formel kann man eigentlich nicht missverstehen. Womöglich schafft es die Politik nicht, Expertise einzuholen. Ich meine aber nicht nur das Wissen von ExpertInnen, sondern auch das Wissen, das über die ganze Stadt verteilt als riesengroße Ideenwolke schwebt. Diese müsste man mit geeigneten Formaten abholen und umsetzen. Stichwort: Partizipation.

MH: Glaubst du, dass die momentane Situation des Radverkehrs in Linz ein Sinnbild für die gesamte Stadtentwicklung ist? Alles läuft sehr unkoordiniert, vieles ist in der Warteschleife.
FK: Das Bild, dass es keine zusammenhängende Idee gibt, wo man hinmöchte – nicht als Masterplan gedacht, aber eben als Idee, als Wunsch oder als Utopie – das fehlt mir. Die Vorstellung, wie man die Stadt in 20, 50 oder 100 Jahren sehen möchte, das fehlt eindeutig. Es wird eher auf Zuruf und Lobbyinteressen hin entwickelt. Da kann sich kein zusammenhängendes Bild ergeben.

MH: Die eine Seite: Linz ist eine Stadt zwischen prosperierender Wirtschaft, Industrie, Kunst, Kultur und Wissenschaft. Mit Formaten wie Ars Electronica, der erfolgreichen Johannes-Kepler-Universität und der Kunstuni. Die andere Seite: Verkehrskonzepte sind tiefste Provinz und jenseitig alt. Wohin geht hier die Entwicklung?
FK: Linz wird von der Zukunft eingeholt werden – früher oder später. Es kann nicht so bleiben. Nur habe ich die Befürchtung, dass Linz hintennach sein wird – im Wettbewerb der Städte. Die Städte, die weit nach vorne denken und sich auf die Herausforderungen der Zukunft einstellen, zum Beispiel auf den Klimawandel, die machen das sehr proaktiv. Linz wird innovativ darin bleiben, Konzepte anderer Städte zu spät zu übernehmen.

MH: Glaubst du, braucht es mehr Radikalität in der Umsetzung von Konzepten? So werden Best-Practice-Beispiele aus Kopenhagen, den Niederlanden oder New York oft mit dem Argument der nicht vorhandenen Vergleichbarkeit abgedreht.
FK: Natürlich ist es naheliegend, vergleichbare Städte heranzuziehen. Man kann sich aber auch bei großen Städten was abschauen, sprich, sich in Linz durchaus an London oder New York orientieren. Und natürlich braucht es Radikalität in der Umsetzung. Jede Stadt, die das Primat des Autos verfolgt, wird sich in der Zukunft sehr schwer tun, weil es vielfältige negative Auswirkungen auf die Lebensqualität hat.

MH: Wie kann man militante Grüngürtelschutzradler und aggressive und rasende Pendler beglücken? Beide agieren aus einer Not heraus und beide sind auch längerfristig Verlierer. Niemand steht freiwillig stundenlang im Stau und niemand fährt freiwillig auf einem gefährlichen Fahrradweg.
FK: Die Fronten sind sehr hart und politisch wird eher kurzschlussartig reagiert. Jede Idee wird nach der Farbe beurteilt, ob rot, blau, schwarz, grün, pink oder dunkelrot. Und dann wird nach politischer Präferenz entschieden, ob man die jeweilige Idee gut oder schlecht findet. Das ist macht- und parteipolitisch sicher nachvollziehbar, aber im Sinne einer verantwortungsvollen Stadtentwicklung grundfalsch. Und wahrscheinlich wäre der richtige Schritt, die altösterreichische Farbenlehre zu überwinden. Ich denke auch, dass es der Bevölkerung egal ist, woher eine Idee kommt, sondern es geht einzig um die Verbesserung der Lebensqualität. Die Bürger wollen einfach sicher über die Straße kommen, die wollen, dass sie schnell und sicher und flott von A nach B gelangen können, die wollen in der Nacht ohne Verkehrslärm schlafen und ohne Sorge ihre Kinder aus dem Haus gehen lassen. Deswegen ist es politisch wahrscheinlich nicht so schlau, sich immer nur auf die Parteiposition zu konzentrieren. Vielleicht sollte man, wenn man etwas vorbauen möchte und auch politisch eine Zukunft haben möchte, die akuten Probleme erkennen und auch lösen, ohne dabei immer an die nächste Wahl zu denken.

MH: Ist die Trennung von Fuß- und Radwegen bzw. Autospuren das Optimum oder wären wesentlich mehr Shared-Spaces/Begegnungszonen eine Erleichterung?
FK: Die Evidenz sagt, dass Shared Spaces sowohl mehr Sicherheit bieten als auch wirtschaftlich viele Vorteile bringen. Eine Stadt als Lebensort braucht solche Bereiche und profitiert auch von ihnen. Natürlich braucht es auch Ausnahmen, wie zum Beispiel in Industriegebieten.

MH: Ein Player in Linz ist natürlich auch der Tourismus. Die offizielle Stelle bewirbt zum Beispiel die Ausstellung „Autokorrektur“ im Architekturforum (Anm: Info zur Ausstellung unten), aber bringt sich selten in die Diskussion ein, wie etwa zum Thema Hauptplatz. Ist das parteipolitisch motiviert oder ist der Tourismus in der Verkehrsplanung nur Zaungast?
FK: Der Linz Tourismus würde darauf angesprochen sicher auf seine politische Unabhängigkeit pochen. Eigentlich würde die Stadt – gelegen an einem der beliebtesten Radwanderwege Europas – touristisch von einem beruhigten Hauptplatz und einer optimierten Brücke massiv profitieren. Die RadfahrerInnen könnten den Radweg einfach Richtung Innenstadt verlassen und Frequenz für die Stadt bringen. Aktuell kann man unterhalb des AECs beobachten, wie die RadtouristInnen von der Situation irritiert, schockiert und gestresst sind. Wenn man herausgefunden hat, wie man in die Innenstadt kommt, ist man schon wieder am Umkehren.

MH: Braucht Linz einen Fahrradentscheid wie zum Beispiel die Stadt München? Oder sind hier die Interessengruppen für den Fahrradverkehr zu schwach übersetzt?
FK: Es wäre schön, wenn Linz es schaffen würde – und es würde auch nicht schaden! Ich bin aber skeptisch, da, wenn ich die letzten Begehren so ansehe, diese immer parteipolitisch vereinnahmt wurden. Es waren nie wirkliche Bürgerentscheide, sondern immer Klientelentscheide. Zum Beispiel bei der Eisenbahnbrücke haben sich die Parteien sehr früh festgelegt und haben versucht, den Standpunkt durchzusetzen. Hier sind wir weit weg von einer Entscheidung, die sich aus einem bürgerschaftlichen Diskurs ergibt. Wer hat mehr Reichweite, wer kann besser mobilisieren, wer hat mehr loyale AnhängerInnen – es wurde nicht nach faktenbasiert entschieden.

MH: Das heißt, Linz ist nicht reif dafür?
FK: Linz hat möglicherweise nicht die politische Kultur dafür. MH: Danke für das Gespräch!

 

Franz Koppelstätter ist Kinderwagenpilot, Freizeitradler und Baukulturvermittler. Außerdem ist er karenzierter Leiter des afo architekturforums ober­österreich.

Das Interview fand als Aktion im Rahmen von „Bicycle Happening“ statt: Das ursprüng­liche Festivalformat „Bicycle Happening“ wird als Multiformat vom Verein cycling matter betrieben und weiterentwickelt.

Tipp:
Autokorrektur
Wie beeinflusst Mobilität den Raum, in dem wir leben?
Ausstellung, noch bis 16. Oktober 2020
Veranstaltungsort: afo architekturforum oberösterreich Herbert-Bayer-Platz 1, Linz

Tour Gino Bartali

Johannes Staudinger im Kurzbeitrag über eine Gedenktour von Linz nach Mauthausen.

Am 6. Mai organisierte der Verein Velodrom Linz eine so genannte freie Ausfahrt mit dem Fahrrad zur Befreiungsfeier nach Mauthausen. In Memoriam Gino Bartali, einem italienischen Radprofi, der während des Zweiten Weltkrieges für den Widerstand und für die vom NS-Regime bedrohten Juden wichtige Dokumente in seinem Fahrradrahmen versteckte und durch die Toskana transportierte. Die Tour wurde im Vorfeld mit dem Mauthausen-Komitee und Lisa Bartali, der Enkelin Gino Bartalis, akkordiert.

Frühmorgens vom Linzer Hauptplatz startend, nahmen bei dieser Tour 25 RadlerInnen aus verschiedenen Fahrradszenen teil. Die 26 km lange Strecke verlief über den Donauradweg bis nach Langenstein, von dort über den Wiener Graben hinauf zum Schloss Marbach und dann weiter über einen geschotterten Güterweg zur Gedenkstätte Mauthausen. Dort angekommen war es jeder und jedem selbst überlassen, die Feierlichkeit vom eigenen Standpunkt aus zu besuchen und zu betrachten. Zu Mittag fuhr der Pulk der „Tour Gino Bartalie“ mit einem kleinen Zwischenstopp die gleiche Strecke nach Linz zurück. Die Tour fand heuer zum ersten Mal statt und wird 2019 wiederholt.

Im nächsten Land ist es gefährlich

Maria Haas reist mit dem Rad. Sie fährt tausende Kilometer und nimmt sich dafür Zeit. Die in Linz lebende, gebürtige Vöcklabruckerin engagiert sich bei der Critical Mass und dem Hausprojekt Willy*Fred. Mit Johannes Staudinger plauderte sie über Fahrradreiseprojekte.

Wohin wird dich deine nächste Fahrradreise führen?

Plan ist es, im April für sechs Monate weiter in den Osten zu fahren. Es gibt dort Länder, die ich gerne sehen würde. Ich möchte auf jeden Fall nach Georgien und in den Iran. Der Weg dorthin ist aber noch unklar.

OK, der Weg ist unklar. Aus deinen Erfahrungen bisheriger Reisen, wie gehst du zum Beispiel bei der Auswahl deiner Schlafgelegenheiten vor? Spontan oder im Voraus?

Ich nutze oft das Angebot von Couch Surfing und Warm Showers. Warm Showers ist ähnlich wie Couch Surfing, nur dass es ausschließlich für Radfahrer und Radfahrerinnen ist, und es ist viel cooler, weil die Leute dort alle unglaublich freundlich sind. Bei Couch Surfing kannst du schon mal auch schräge Leute treffen, aber bei Warm Showers hat das bisher immer gepasst. Auf dieser Internet-Plattform sind einfach weltweit viele Menschen, die selber gerne wegfahren und Menschen, die gerne wegfahren würden.

Wie schnell reagieren Gastgeber solcher Plattformen, wenn du einen Schlafplatz benötigst?

Unterschiedlich. Glücklicherweise habe ich aber mein Zelt mit, und da bin ich mit dem Zelt oft schneller, einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Im Iran sind anscheinend sehr viele auf dieser Plattform angemeldet. Theoretisch könnte ich mir jetzt schon eine Route auf ein halbes Jahr vorplanen, nur interessiert mich das nicht. Bei mir müssen Gastgeber spontan sein. Wenn’s passt, dass ich mich einen Tag vorher anmelden kann, OK, wenn nicht, such ich mir ein Zimmer oder stell mir das Zelt auf. Es kann auch passieren, dass du unter Umständen fünf Unterkünfte anschreibst und keiner meldet sich zurück. Es ist grundsätzlich aber einfach supernett über diese Plattformen, weil die Gastgeber oft noch ihre Stadt herzeigen, oder es wird gemeinsam gekocht, was ein großer Pluspunkt ist, wenn du alleine reist.

Deine erste Reise führte dich dann nach?

Irland. Das war ein irrsinniges Ding, weil vermutlich bin ich vorher nie weiter als 20 km mit einem Rad gefahren. Ein Freund von mir hat damals in Dublin für zwei Semester studiert und der hat gesagt, ich soll vorbeischauen. Sämtliche Freunde von uns haben ihn auch besucht und sind alle schnell nach Dublin geflogen, für 5 Tage oder fürs Wochenende. Ich dachte mir, das ist aber komisch mit dem Flugzeug, das interessiert mich nicht, das war nicht stimmig für mich. Ich hab überlegt, wie ich dort sonst hinkommen könnte. Trampen hätte ich in Erwägung gezogen, was vermutlich auch funktioniert hätte. Hat mich dann aber auch nicht gefreut, solange in irgendwelchen Autos zu sitzen. Und der Freund in Dublin hat mir damals erzählt, wie unglaublich kompliziert es war mit dem Zug nach Irland zu reisen. Dann blieb eigentlich nur mehr das Fahrrad. Ich wollte sowieso eine Reise machen und hatte gerade ein Freisemester. Nach Dublin war ich dann zweieinhalb Monate unterwegs, die mich voll bereichert haben. Jeden Tag habe ich neue Menschen kennengelernt und du kommst in neue Städte, Dörfer und Wälder. Jedes Land hat seine kleinen Eigenheiten, die es ausmachen und die Leute sind irgendwie stolz und zeigen einem was. Und es ist auch lustig, weil manche sagen, dass es im nächsten Land voll gefährlich und zum Aufpassen ist. Und dann bist du im nächsten Land, wo sie dir wieder sagen, im nächsten Land ist es gefährlich. Die Belgier sagen, in den Niederlanden ist es voll gefährlich. Überall sagen sie dir das!

Wie sah deine Tour nach Irland aus?

Die Donau stromaufwärts nach Donau­eschingen, von dort nach Basel. Dann wollte ich eigentlich quer durch Frankreich fahren. Hab mich aber anders entschieden und bin nach Luxemburg. Luxemburg ist eine total abstrakte Stadt. Es geht dort einfach beinhart um Kohle. Ich würde die Stadt, glaube ich, kein zweites Mal mehr besuchen. Weiter bin ich über Belgien nach Niederlande bis Rotterdam, von wo ich auch noch kurz nach Amsterdam rauf bin. Von Rotterdam mit der Fähre nach England. In London bin ich das letzte Stück mit dem Zug ins Zentrum gefahren, weil in den Londoner Vorstädten der Verkehr ziemlich arg ist. Aus London raus fuhr ich eine halbe Stunde wieder mit dem Zug. Weiter mit dem Rad nach Wales, wo ich leider krank wurde und dadurch gezwungen war, ein weiteres Mal auf den Zug umzusteigen. Das ist mir ziemlich auf die Nerven gegangen, weil ich in Wales unbedingt mit dem Rad fahren wollte. Wales, Großbritannien sind für mich absolutes Traumland zum Radfahren. Die Landschaft dort ist unglaublich schön.

Die Vorbereitungen für eine erste Reise solcher Art sind sicherlich aufwendig?

Die ganzen Sachen fürs Rad aufzutreiben war relativ aufwendig. Welche Taschen kaufe ich, welchen Gaskocher, solche Sachen eben. Dazu hab ich mich relativ intensiv mit Basics beschäftigt, wie zum Beispiel einen Patschen zu flicken. Was mich gar nicht interessiert hat, war das Routenplanen. Ich hab das nur überschlagsmäßig im Vorfeld betrieben, aber meine Schwester hat mich dann dabei unterstützt.

Und letztes Jahr bist du mit dem Rad zu deiner Schwester nach Rumänien gefahren?

Ja! Meine Schwester hat den Europäischen Freiwilligendienst über Erasmus+ dort gemacht, sprich, sie war zehn Monate in Rumänien. Ich hab das einfach super gefunden und hab gesagt, ich besuche dich mit dem Fahrrad. So bin ich eben nach Cluj in Transsylvanien gefahren. Ich bin über den Donauradweg bis nach Budapest, dann parallel zur Donau und weiter bis Arad, wo ich über die Grenze von Ungarn nach Rumänien bin.

Wie gehst du mit der Organisation deines Gepäcks um?

Ich benütze Packtaschen vorne wie hinten am Rad seitlich montiert. Ich brauche einfach viel Zeugs. Ich habe auch Kochsachen mit, die in einer vorderen Tasche sind, die zweite kleine Tasche vorne beinhaltet meine Waschsachen und das Werkzeug. Hinten ist dann eine Tasche mit Gewand und in der zweiten Tasche stecken Isomatte, Schlafsack und der Regenschutz. Das Zelt liegt hinten quer über dem Gepäckträger. Meine Taschen haben Zimmernamen: Küche, Badezimmer, Schlafzimmer und Gewandkasten.

Deine Reise in den Iran, was beschäftigt dich dazu besonders?

Das spannende an dieser Reise wird sein, dass ich dieses Mal niemanden gezielt besuchen werde. In Dublin besuchte ich einen Freund, in Rumänien meine Schwester und bei einer kürzeren Reise nach Slowenien bin ich zu einem Konzert gefahren. Jetzt ist es zum ersten Mal unklar, welches Land das Zielland ist, ob es das für mich überhaupt gibt, ob es eine Rundreise wird, oder ob ich einfach solange fahre bis ich kein Geld mehr habe und nachhause fliegen muss. Ich habe auch schon überlegt, was ich mache, damit ich am Weg bleibe. Das Ziel bei den bisherigen Reisen war schon immer wichtig für mich. Freunde von mir haben mir gesagt, ich solle mir in Teheran ein Kaffeehaus aussuchen, irgendeines, und es mir als Ziel setzen, dort einen Kaffee zu trinken. Einfach aus dem Grund, damit ich nach eventuell drei schlechten Tagen nicht einfach den Hut draufhau und sag, ich fahr heim. Das ist nämlich ein wenig die Befürchtung, die Angst vor einer Kurzschlusshandlung, die ich habe, ohne Ziel.

 

Links: Internet-Plattform Warm Showers:
www.warmshowers.org

Radio-FRO Radiointerview mit Maria Haas von Michi Schoissengeier:
www.fro.at/wir-radeln-mit-maria-nach-rumaenien