Das Rad richtig raushängen lassen

Der Linzer Harald Huckey Renner ist Schlagzeuger, Rapper, Kulturarbeiter – und überzeugter Radfahrer. Johannes Staudinger plauderte mit ihm am Südbahnhofmarkt über das Fahrrad als Verkehrsmittel und Kunstobjekt sowie darüber, dass bezüglich Velo alle Zeichen in Linz gerade auf Grün stehen.

 

Meine Frau und ich waren vor einiger Zeit in Tallinn, Estland. Wir borgen uns oft und gerne Fahrräder aus, um die Umgebung relativ easy kennenzulernen. Dort gab es Miniräder zum Ausleihen, was ziemlich lässig war. Das wär doch auch bei uns was, jetzt, wo sowieso davon gesprochen wird, wieder ein Fahrradverleihsystem nach Linz zu bringen? So ein Leihsystem hat es auch Mitte der 80er in Bologna gegeben. Das System war gratis. Das wurde dann aber wieder eingestellt, weil sich die Einheimischen zu oft die Räder behalten haben. So unter dem Motto, ich leih mir morgen sowieso wieder ein Rad aus. Die haben sich die Räder ins Vorhaus gestellt, weil am nächsten Morgen wäre dann keines mehr zur Verfügung gestanden. Das ist dann aber eben zu oft passiert.

 

In Wien war es beim ersten Verleihsystem anfangs das gleiche. Grundsätzlich kommt die Idee für Fahrradverleihsysteme aus der Anarchistenszene aus Amsterdam. Dort wurde gesagt, wir stellen einfach Fahrräder auf die Straße und jeder nimmt sich eines, wie es gerade gebraucht wird. Aus dem ist eigentlich ein Geschäftsmodell entstanden.

Gibt es aber jetzt noch in Amsterdam! Ein ex-besetztes Haus, das jetzt ein Cafe, veganes Restaurant und Fahrradwerkstatt und -verleih ist. Dort bekommt man halt nur wirklich alte Räder, die repariert sind. Amsterdam ist eine riesige Fahrradstadt, abgesehen davon kannst du überall fahren, es gibt überall Radwege, die breit genug sind und jeder darf sie nutzen, und die Menschen kommen auch zurecht damit, bezugnehmend auf Fußgänger, usw., die Autofahrer nehmen auch schon mehr Rücksicht, passen schon mehr auf. Das ist natürlich ein Traum und keiner legt auf teure Carbonräder oder Citycruiser wert, 90, 95 Prozent sind Hollandräder. Das sind die mit dem breiten Rahmen, die ausschauen, wie ein besseres Waffenrad. Wir haben uns dann bei Mikes Bikes welche ausgeliehen. Ein Privater, der dort verleiht und repariert, der Mike eben. Der ganze Verleih ist dort in zwei Minuten erledigt. Angeblich ist es in Dänemark, in Kopenhagen noch besser, lässiger?

 

Du meinst die Fahrradinfrastruktur und -freundlichkeit generell? Mittlerweile gibt es einen Wettkampf der Fahrradstädte in Europa.

Was überhaupt keine Fahrradstadt ist, ist Lissabon. Da hab ich mir gedacht, was ist mit euch, aber wie ich dann dort war, hab ich es verstanden. Da geht es die ganze Zeit nur so rauf, dort siehst du voll wenig Radfahrer. Es geht nicht, dort kannst du nicht andauernd Berge bezwingen. Hamburg haben wir uns auch angeschaut. Dort haben wir auch den Radverleih gesehen, der, glaube ich, mit der Stadt Hamburg und irgendwie mit der deutschen Bahn zusammenhängt. Billig ist mir dieser Verleih nicht vorgekommen. Eh klar, das ist immer die Sichtweise vom Geldbörsl, aber ich finde, im Sinne von alle Öffis müssen gratis zu nutzen sein, dass auch ein Fahrradverleihsystem, wenn möglich, gratis angeboten werden muss, zumindest für echt jeden leistbar sein muss. Ein Euro am Tag wär OK, aber viele Leute können sich z. B. nicht 12 Euro am Tag leisten. Am schönsten wäre ein Gratis-Leihsystem. Man kann sich einfach ein Rad nehmen, welches man dann zurückstellt und man traut den Leuten einfach soviel Vernunft zu. Das muss man halt entsprechend promoten. In Barcelona hingegen sind wir auf zwei Fahrradverleihstationen aufmerksam geworden, wo wir uns dann auch gleich welche ausborgen wollten. In der Tourist-Info hat man uns dann gesagt, dass der Verleih superbillig sei, aber nicht für Touristen, sondern nur für Barcelonetis. Wir sind zerknirscht wieder raus auf die Straße gegangen.

 

Wie ist dein Blick auf das Fahrrad in der Kunst bzw. wo taucht es in Kunst und Kultur für dich auf?

Das Fahrrad hat immer zur Kunst und Kultur gehört. Veranstalter wie Musiker sind mit dem Fahrrad unterwegs, das war schon immer Teil unserer Kultur. Wie oft bin ich für die KAPU flyern und plakatieren gefahren? Natürlich ist hier auch das Fahrrad das Gescheiteste. Aber nicht als Sportgerät, sondern als nützliches Fortbewegungsmittel. Ich brauche keine fancy Fahrräder, für mich muss das Fahrrad laufen, sehr stabil sein, darf nicht kaputt werden. Ich verlange nicht mehr davon. In der Kunst fällt mir auf, dass das Fahrrad auch immer mehr zum Thema wird und auf den Fahrradboom reagiert wird. Dazu fällt mir natürlich Hans Schabus ein. Das Fahrrad fällt mir aber auch ein, weil immer mehr Künstler und Musiker mit dem Rennrad fahren. Da fällt mir Hans Falkner von Attwenger ein, der gleich Dynamo Neubau in Wien mitbegründete. Kulturarbeiter und Künstler nutzen das Fahrrad vermehrt. Sie lassen es heutzutage richtig raushängen. Früher gab es das nicht so. Man hat so das Gefühl, als würde das Fahrrad offensiver in Szene gesetzt.

 

Wo ist eigentlich dein Fahrrad jetzt? Es ist ja immer bei dir vor dem Haus gestanden?

Mir wurde der Sattel gestohlen! Es gibt für mein Fahrrad leider keine genormte Sattelstütze, die den nötigen Durchmesser hat. Jetzt kann ich wahrscheinlich, wegen des Sattels das ganze Fahrrad entsorgen. Wir haben eh noch gesucht, weil sich ja oft irgendwelche Typen einen Jux machen und den gestohlenen Sattel beim nächsten Hauseck wegwerfen. Jetzt frag ich noch beim rostigen Esel. Vielleicht finden die eine Lösung. Ich brauch einfach wieder ein Miniradl! Dabei hab ich das Rad in letzter Zeit eh immer wieder ins Haus gestellt, aber ich sehe es nicht ein, warum ich das Rad nicht einfach vor der Haustüre abgesperrt stehen lassen kann, ohne dass mir jemand irgendwas zertrümmern oder runterstehlen muss! Für mich ist wichtig, dass ich in der Früh beim Haus rausgehe, aufs Rad steig und damit fahre. Ist ja cool! – bin eh oft spät dran, da will ich es nicht noch auch vorher aus dem Keller herauftragen müssen. Jetzt wurden mir schon Miniräder nahegelegt, welche man zusammenlegen kann. Sowas brauch ich nicht wirklich.

 

Obwohl, so ein zusammenlegbares Rad könntest du dann in der Straßenbahn in Linz mitnehmen.

Eh, aber ich fang nicht bei der Mozartkreuzung an das Rad zusammen zu klappen, damit ich es nach der Straßenbahnfahrt bei der Goethekreuzung wieder aufklappen kann. Räder müssen wieder generell in den Öffis mitgenommen werden dürfen. Das geht ja in anderen Städten auch, wie in Wien oder Amsterdam! Wenn es da eine Möglichkeit gäbe, mit Haltevorrichtungen auf der Bim oder mit einem Schiebewagon, wo man vor dem Fahrer die Räder raufschiebt. Einfach als Erweiterung für den öffentlichen Verkehr! Das würde vielleicht wieder mehr Autofahrer umdenken lassen? Ist immer eine Frage, wie offen auch die Politik dafür ist? Gerade in Linz, aufgrund der Verkehrsituation, würden jetzt alle Zeichen dafür auf Grün stehen!

 

Du bist auch Mitglied des Vereins Velodrom Linz. Was machst du dabei?

Ich hab mich dem Verein angeschlossen, weil ich es interessant und lässig finden würde, hier in Linz ein Velodrom zu bekommen. Ich bin jetzt nicht der große Rennfahrer, aber ich denke mir, das wär doch super. Objektiv kann man sagen, zusätzlich zu sportlicher, kultureller oder touristischer Seite, was immer man darin sehen kann, wäre es doch eine Erweiterung für die Stadt. Hinge natürlich auch vom Ort ab, an dem man es bauen würde, was bietet man dort alles an, da fallen einen eh tausend Sachen ein, wie ist es nutzbar für die Anwohner? In diesem Sinne wäre ein Velodrom sicherlich eine interessante Geschichte für Linz.

Ort und Werkzeug

2015 fuhr der Bildhauer Hans Schabus für sein Kunstprojekt „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“ mit dem Rennrad von San Francisco nach New York. Johannes Staudinger fuhr nun mit seinem Rennrad von Linz nach Wien, legte dabei in 8 Stunden und 57 Minuten 232 km zurück, verbrannte 8506 Kalorien und führte mit Hans ein Ateliergespräch über das Fahrrad in seiner künstlerischen Arbeit.

Hans, wir kennen uns seit 1998 und ich hab dich ja nicht kennengelernt als Radfahrenden. Aber bei einem Treffen 2014 fiel mir auf, dass du total süchtig nach Radfahren warst und mir erzählt hast, „Ich schau beim Fenster raus und sobald ich merke, dass das Wetter halbwegs passt, sitz ich am Rad“. Was hat dich am Ende doch zum Radfahren gebracht?

In meiner Kindheit habe ich als 13-Jähriger bei einem Zeichenwettbewerb teilgenommen und da gewann ich ein 10-Gang- Rennrad. Aber keines von der Sorte, welches man heute noch gerne besitzen würde, nichts Cooles, sagen wir so. Es hat in meinem Umfeld keine Radfahrer gegeben. Mit fünfzehn, sechzehn Jahren waren für uns Motorräder, Schifahren und im Sommer Fußballspielen interessant, aber nicht Radfahren. Ich hab mir immer gedacht, wenn ein Radfahrer bei uns auf das Nassfeld, auf den Passo di Pramollo raufgefahren ist, um Himmelswillen, das möchte ich nie in meinem Leben machen, das ist das Verrückteste, was man im Leben machen kann. Später, als ich bereits in Wien war, bin ich immer zu Fuß gegangen, weil ich so in der Stadt viel gesehen habe, Sachen, die für mich neu waren, in den Geschäften, den ganzen Stadtvierteln usw. Ich habe für mich so etwas wie eine Kultur daraus gemacht, nämlich die des Erwanderns, oder des Ergehens. So um 1997 bezog ich ein neues Atelier in einem anderen Bezirk, wo das tägliche zu Fuß Gehen dann zu weit wurde. Ich kaufte mir dann ein altes Rennrad, ein Francesco Moser, eine Spur zu klein, aber mit dem fuhr ich in der Stadt herum. Leider wurde mir dieses Rad 2001 gestohlen. Von einem Onkel, der früher Rennradfahrer war, bekam ich daraufhin ein altes Dancelli. Ich bin aber noch immer nicht richtig Rennradfahren gegangen. Es hat lange gedauert, nämlich bis 2010. Da hab ich mit dem Rauchen und dem Fernsehen aufgehört, und mit dem Rennradfahren begonnen. Eigentlich über einen Freund, der mir das Buch von Robert Penn „Vom Glück auf zwei Rädern“ schenkte. Ich las dieses Buch und war praktisch infiziert! Daraufhin ergab sich eins aufs andere. Hier im 20. Bezirk gab es CAPO, das schönste Fahrradgeschäft, welches gerade vor ein paar Wochen zugesperrt hat, in den 80ern umgebaut wurde und eine Betonfassade mit einem kreisrunden Fenster hatte, welche vom Architekten Carlos Scarpa hätte sein können. Ich wusste, CAPO baut Räder, ich bin zu ihm rein, ließ mir ein Rad bauen und war dann gleich in dieser ganzen Welt gefangen.

Es ist also alles noch nicht solange her. Es hat nicht lange gedauert und bei einem Residency-Projekt auf Sri Lanka hast du ein Fahrrad in deine Arbeit eingebaut?

Genau, das war dann ein bisschen später. Im Winter von 2011 auf 2012. Dort hatten wir eine Ausstellung in Colombo. Ich war damals dabei, etwas mit einem alten, rostigen Rad eines Arbeiters der Residency zu machen. Man muss sich vorstellen, die Räder dort sind alle komplett verrostet wegen der hohen Luftfeuchtigkeit und der salzigen Luft. Der Rahmen hatte richtig große Rostlöcher, wo man hindurchsehen konnte. Andererseits haben die Menschen dort einen Materialbegriff, dass alles was glänzt, dauerhaft ist, d.h. Chrom, Glas und Poliermittel sind must-haves. Ich habe dieses Fahrrad dann zerlegt, die Teile abgelaugt, verchromt, wieder zusammengebaut und sozusagen so etwas wie eine rückwärtige Veredelung durchgeführt, wobei die Oberfläche noch immer zerfressen war, aber jetzt eben verchromt. Doch irgendwann wird sich der Rost wieder durch die neue Chromschicht arbeiten. Anschließend fuhr ich mit dem Rad in einer Tagesfahrt 150 km zur Ausstellung. Die Straße, der Verkehr sind dort anders, es sind Fußgänger, Fahrradfahrer, Auto-, Lastwagen- und Motorradfahrer alle dichtgedrängt beisammen. Das ist, wenn man so sagen möchte, ein visuelles Unterfangen, jeder schaut auf jeden, aber es ist auch brandgefährlich, weil der Verkehr einfach anders funktioniert als bei uns.

Mit diesem verchromten Rad möchte ich die Brücke zur letzten Ausstellung schlagen, wo du 2015 5352 km durch Amerika geradelt bist, „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“. Wie ist es dazu gekommen?

Man muss hier einen Schritt zurückgehen, weil mit dieser Radreise in Sri Lanka und gleichzeitig in Wien, das Begreifen meiner Umgebung mit dem Fahrrad, da hat sich bei mir einiges getan. Nämlich, wie groß so ein Wirkungskreis mit einem Rennrad sein kann. Man kommt relativ weit und sieht sehr viel. Ich bin von Grund auf ein sehr neugieriger Mensch und entdeckte das Fahrrad als Werkzeug, um meine Abenteuerlust zu stillen. Ich hab dann auch begonnen, Wien geographisch ganz anders zu begreifen. Das hat mich irre beflügelt. Das mit dieser amerikanischen Reise hat dann so angefangen, dass diese Radfahrlust immer größer und größer wurde, fast schon unstillbar, d.h. es ist in mir dieser Wunsch größer geworden einfach einmal nichts anderes zu tun als Rad zu fahren. Da ich mit den USA gute Erinnerungen verbinde, weil ich einmal in L.A. eine längere Residency hatte, habe ich einfach die Liebe zum Radfahren, zur USA und das Verlangen nach Alleinsein und einfachen Tätigkeiten, wie das Treten der Pedale, miteinander verknotet. Anfangs war es gar nicht als künstlerisches Projekt gedacht, sondern wirklich als Auszeit. Dann aber ist der künstlerische Egoismus zurückgekommen und hat gesagt, du musst eine Ausstellung daraus machen.

Wie ist dieses Projekt, die Reise mit dem Rad durch Amerika dann generell vom Kunst-Publikum aufgenommen worden?

Es ist ja wirklich schwierig, weil was ich nicht möchte ist, dass es sozusagen so etwas Heroisches ist, wenn man so etwas macht. Weil, das Einzige, was wirklich herausfordernd ist, ist die dafür notwendige Zeit auf die Seite zu schaufeln. Bei mir waren das sechs Wochen, mit An- und Abreise, 50 Tage, die man organisieren muss. Ich kann es jetzt schwer einschätzen, wie so etwas gelesen wird, wie man so was verstehen kann. Für mich war es sehr interessant, es zu machen.

Werden jetzt in deiner Kunst öfter Fahrräder vorkommen?

Nein, das denk ich jetzt nicht, aber… wer weiß? Aber interessant ist ja tatsächlich, wie Konrad Paul Ließmann gesagt hat, dass Fahrräder Reflexionsmaschinen sind. Also, dass das so ein Ort ist, so ein Werkzeug, um über bestimmte Dinge nachzudenken.

In deinen Arbeiten gibt es immer wieder Zitate auf die endlose Säule von Brancusi. Das hat bereits Anfang der 2000er begonnen, wo du die Säule auch in Rumänien, in Targu Jiu besucht hast. Jetzt gibt es die Idee von dir, mit deinen Studierenden mit dem Fahrrad von Wien nach Targu Jiu zu reisen. Was können sich davon Studierende erwarten bzw. mitnehmen?

Was interessant ist für Studierende, diese Reise zur endlosen Säule zu machen, ist erstens einmal, dass man so was wie ein Ziel hat, ein Ziel fokussiert, adressiert. Das Ziel ist diese Skulptur von Brancusi, die endlose Säule, die wichtigste Skulptur des 20. Jahrhunderts, und um diese Skulptur zu begreifen, müssen wir für uns den Raum erobern, der hier dazwischenliegt. Erobern im Sinne einer Aneignung, dass man es auch körperlich begreift und erfährt, als Gruppe, dazu ist das Fahrrad ein wunderbares Werkzeug. Deswegen denke ich, dass das für uns alle einfach eine tolle Erfahrung werden kann, etwas gemeinsam zu machen. Es auch zu sehen, was da dazwischen ist, und es auch aufzunehmen mit allen zur Verfügung stehenden Synapsen.

 

Links:

Aktuelle Ausstellung: Hans Schabus’ Cafe Hansi im Mumok, Wien:
www.mumok.at/de/events/cafe-hansi

Hans Schabus’ Blog „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“:
from-tall-trees-to-tall-houses.blogspot.co.at

Buch „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“, Harpune Verlag: www.harpune.at/schabus.html

Nachschau: Ausstellung im Salzburger Kunstverein „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“:
www.salzburger-kunstverein.at/at/ausstellungen/vorschau/2016-02-20/hans-schabus

Nachschau: Ausstellung in Kunsthalle Darmstadt „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“:
www.kunsthalle-darmstadt.de/Programm_3_0_gid_1_pid_151.html

Post von Lieselotte!

Christine Pavlic ist Künstlerin, Fahrradbotin und Kulturarbeiterin. Ein Tag ohne Fahrrad ist ihr mittlerweile fremd und sowieso kennt man sie schon einige Zeit, da sie mit ihrem Rennrad durch die Linzer Straßen fegt und Zustellungen erledigt. Über ihre Engagements plaudert sie mit Johannes Staudinger bei Jazz im Strom und einem musikalischen Ständchen von Kommando Elefant.

Als gebürtige Innsbruckerin, bist du damals schon mit dieser Fahrradaffinität nach Linz gekommen?

Gar nicht, weil ich habe in Innsbruck am Berg gewohnt, und da war es natürlich auch immer sehr mühsam. 2006 bin ich weggezogen, bevor der ganze Radsport-Hype nach Innsbruck gekommen ist. Ich war ein paar Mal mountainbiken, aber das war irgendwie nicht das meine. Nein, ich bin eigentlich total spät zum Radfahren gekommen, mit meinem Projekt der Lieselotte Maier hat es angefangen (Anm.: Kunstobjekt eines fahrradbetriebenen Katamarans). Weil ich draufgekommen bin, wie genial Räder sind, wie einfach sie sind, weil man sie so schnell verstehen kann und gut nutzen kann. Ursprünglich wollte ich ein Boot bauen und das Fahrrad ist dann als Mittel zum Zweck zum Einsatz gekommen. Da hab ich begonnen, mich mit Fahrrädern auseinanderzusetzen.

In welchem Kontext ist es zu dem Projekt mit dem Fahrradboot Lieselotte Maier gekommen und wie kamst du dann zu den Linzer Fahrradboten?

Angefangen hat es 2011 mit einer Vorlesung bei Leo Schatzl auf der Uni. Dort ist es um Wasser und öffentlichen Raum gegangen. Daraus ist die Idee entstanden, machen wir uns einfach unser eigenes Boot und veranstalten dann ein Wettrennen, also eine eigene Kür, welches Boot eleganter ist. Ich hab mich ab dem Zeitpunkt total reingefreakt, wobei ich am Ende die einzige war, die ein Boot gebaut hatte. Mir hat es aber so getaugt, ich hab dann gleich zwei Monate durchgebaut und viel Zeit aufgewendet. Dadurch konnte ich Kontakt zu vielen Radlleuten aufbauen. 2014 hab ich dann das Diplom gemacht und mir das erste Rennrad gekauft. Ein Pinarello, das war super! Nach drei Monaten war ich Fahrradbotin. Mich hat es voll ins Radfahren reingezogen! Eine Freundin, die vorher die einzige Radlbotin in Linz war, hat mich gefragt, ob ich nicht Fahrradbotin werden möchte. Ich hab noch gezögert, nein, nein, und dann doch, OK, ich mach es, voll cool!

Du bist dann gleich für die Green Pedals gefahren?

Ja!

Wie oft bist du als Botin im Einsatz?

Jetzt nur mehr einen Tag in der Woche. Früher bin ich zwei, drei Tage gefahren und jetzt mit meinem Job geht das einfach nicht mehr. Irgendwann muss man sich halt auch entscheiden.

Wie sieht euer Dienstplan aus?

Wir sind ein fixes Team, das heißt, es gibt einen fixen Plan mit kleinen Abweichungen. Wenn ich zum Beispiel an einem Montag nicht kann, springt jemand anderer ein. Wir sind ja nur zu zehnt, das heißt, es ist alles sehr familiär. Ein Arbeitstag dauert von acht bis siebzehn Uhr, man kann aber auch einen halben Tag bis eins fahren.

Welche Transporte werden von euch abgewickelt?

Kunden sind Druckereien, Grafikbüros, aber auch Ärzte, wo verschiedene Proben durch die Stadt transportiert werden. Es gibt Touren, da fährt man vier, fünf Ärzte an, und bringt dann die Proben zu einem Krankenhaus. Drucksorten, Dokumente, Blumen, Hüte, alles Mögliche transportieren wir. Ich hab sogar schon ein Gebiss transportiert.

Mittlerweile werden bei euch auch Lastenräder eingesetzt?

Ja, mit denen können wir bis zu 100 Kilo transportieren. Aber 100 Kilo hängen sich an. Wir haben nicht viele Fahrten mit so schweren Lasten, aber das ist dann schon eher grenzwertig. Das Gewicht muss ausbalanciert werden, aber es geht. Tagtäglich möchte ich nicht mit 100 Kilo herumfahren.

Was hältst du von dieser ganzen Lastenfahrradwelle? Mittlerweile steigen ja auch die großen Logistikfirmen auf Lastenfahrräder um?

Prinzipiell ist das super. Jedes Auto weniger, jedes Radl mehr auf der Straße ist super! Ist immer auch die Frage, wo es sich hin entwickelt. Bei der letzten Fahrradboten-Meisterschaft in Kopenhagen hab ich mir gedacht, cool, das ist dort einfach so selbstverständlich, da gibt es Lastenfahrradparkplätze vor den Geschäften, mit eingezeichneten Lastenfahrrädern am Boden. Aber auch bei uns in Linz sieht man jetzt schon viele Familien mit Kindern drinnen. Das ist in den letzten zwei Jahren erst so richtig gekommen. Es ist natürlich auch ein großes wirtschaftliches Interesse dahinter. Das wird es immer geben, aber für die Stadt und den Straßenverkehr finde ich es gut! Der Straßenverkehr in Linz ist natürlich etwas traurig, da muss sich was ändern.

Man muss sich als Radfahrer in Linz auch seinen Platz schaffen!

Wenn man als Radbote fährt und die ganze Zeit viel auf der Straße ist, da ärgert man sich nicht die ganze Zeit, da sucht man sich den schnellsten und einfachsten Weg. Während dem Botenfahren ärgere ich mich viel weniger über schlechte Radwege, als wenn ich privat fahre. Der Fahrstil als Botin ist einfach anders. Wenn du acht Stunden mit dem Fahrrad fährst, da fährst du anders. Da bleibst du nicht immer stehen und fährst auf dem Radweg und suchst dir einen gemütlichen Weg, sondern du fährst einfach.

Wie viele Frauen fahren bei den Linzer Fahrradboten?

Ich bin zwei Jahre alleine gefahren. Insgesamt sind wir jetzt bei Green Pedals und Veloteam zwischen sechs und acht Frauen. Was echt super ist, weil wie ich die zwei Jahre alleine gefahren bin, war das schon deprimierend. Es macht schon einen Unterschied, wenn mehr Frauen fahren. Weil, wenn einfach ständig mehr Frauen als Boten zu den Kunden kommen, dann ist das nicht mehr so was Besonderes. Es ist einfach normal. Früher gab es immer wieder so Sprüche, wo ich mir gedacht habe, in welchem Jahrhundert leben wir? Man merkt den Unterschied, dass es jetzt besser wird.

Du wirst weiterhin Fahrradbotin bleiben?

Derweil schon, es ist jetzt zwar etwas knapp von der Zeit, weil ich gerade meinen Diplomabschluss mache. Aber ich werde es sicher nicht aufgeben. Jetzt kommt ja dann die OERBM, die österreichische Radbotenmeisterschaft nach Linz.

Was kann man sich von der OERBM 2017 erwarten?

Eine super Location, die Postcity am Linzer Hauptbahnhof, und eine Mischung zwischen Sport und Fahrradkultur, es gibt eine Kunstausstellung in der Stadtwerkstatt, Partys, Goldsprint, Bikepolo, Mainrace, Forum, … Stattfinden wird das Ganze von Freitag, 23. bis Sonntag, 25. Juni!

Du bist auch bei der Bike Kitchen in der KAPU engagiert?

Ja, es gibt recht tolle, neue Tendenzen, nämlich, dass es ein paar motivierte Frauen gibt, die mehr Energie investieren wollen, und im Moment gibt es immer wieder FLIT-Workshops (Anm.: FLIT steht für Frauen, Lesben, Inter, Trans). Hierbei geht es darum, einen Raum zu schaffen, um Workshops anzubieten, in einem ruhigen Rahmen, wo Fahrrad-Basics erklärt und diskutiert werden. Jeden letzten Donnerstag im Monat treffen sich speziell Frauen bei der Bike Kitchen, sie kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, und es sind immer zwischen fünf und fünfzehn Teilnehmerinnen dabei. Das finde ich ziemlich lässig, dass es auch darum geht, möglichst vielen Leuten die Sicherheit zu geben bzw. ihnen beizubringen, sich das eigene Rad wieder selber herzurichten, die Basics kennenzulernen und weiterführend auch Spaß an der Maschine zu haben, dass es eine so easy Maschine ist, die so vielseitig nutzbar ist. Oder zum Beispiel auch, das taugt mir voll, haben einige von uns aus alten Laufrädern eine riesige Kuppel, Felge an Felge, gebaut, die dann einfach mit Bohnen und Hopfen bepflanzt wurde, ein begrüntes Laufradgebilde, das dann einfach mehr ist als das Fahrrad, das einen von A nach B bringt.

Am Ende stieß die Band Kommando Elefant vor ihrem Auftritt in der Stadtwerkstatt zu unserem Interview hinzu. Sie intonierten den 50 Jahre alten Klassiker „Bike“ von Pink Floyd: I’ve got a bike. You can ride it if you like. It’s got a basket, a bell that rings and things to make it look good. …

 

Lieselotte Maier: lieselottemaier.blogspot.co.at

OERBM 2017: oerbm2017.sccm.at

Fahrradbotendienst Green Pedals: www.greenpedals.at

Fahrradbotendienst Veloteam: veloteam.at

Steel City Cycle Messengers: www.sccm.at

 

Neue Förderung der Stadt Linz für Lastenfahrräder und Fahrradanhänger: www.linz.at

Die Stadt Linz unterstützt Privatpersonen, Fahrgemeinschaften, Betriebe/Organisationen (mit Standort bzw. Hauptwohnsitz in Linz) beim Kauf von Lastenfahrrädern, Elektro-Lastenfahrrädern und Fahrradanhängern.

Manner-Wafferl, ein Apferl und rasierte Beine

Über seine frühe und spätere Leidenschaft für den Radrennsport unterhält sich Johannes Staudinger mit Andreas Baumgartner, der auch Leiter des Theaters des Kindes ist.

Draußen ist es noch Winter bei null Grad Celsius, einige wenige huschen am Cafehaus in der Herrenstraße mit ihren Rädern Richtung Frühling vorbei. Drinnen, im Warmen sitze ich bei kubanischer Musik, Hundegebell und Kaffeetratsch mit Andreas Baumgartner. Wir führen ein Gespräch über Andreas’ Engagement im Radsport und über seine Arbeit als Theatermacher und Schauspieler.

Mit welchem Alter hast du begonnen Rennen zu fahren?

Mit 17, so um 1990, 1991, relativ spät.

Du bist also in einem Alter eingestiegen, wo man eigentlich beginnt auszugehen! Was hat dich grundsätzlich zur Entscheidung gebracht, dich für den Radrennsport zu interessieren?

Mein Bruder ging in eine Lehre. In der Berufschule hatte er einen Kollegen, der ist beim RC Lambach gefahren. Mein Bruder hat mir immer von diesem Radfahrer erzählt, dass der zum Beispiel am Morgen zum Frühstück immer ein Packerl Manner-Wafferl und einen Apfel aß. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mir irgendwann ein Rennrad kaufte.

Konntest du dir das Rennrad gleich selber leisten?

Ich glaube, es haben mir meine Eltern gekauft und ich hab etwas dazugezahlt. Ich bin dann gleich nach Lambach zum Radgeschäft Grassinger gefahren und hab gefragt, ob ich nicht beim Lambacher Verein fahren könnte? Nach dem ersten Training ist es gleich ratzfatz gegangen und ich war drinnen.

Wie viele Jugendfahrer wart ihr?

Zwei, drei. Ganz wenige, …

Wie lange bist du dem Radrennzirkus treu geblieben?

Bis 1993, 1994. Das war die brutale Zeit, wo EPO gekommen ist (Anm. Red: EPO wurde als Dopingmittel verwendet). Ich bin dann in meinem zweiten Junioren-Jahr, dieses Erlebnis erzähl ich immer wieder, am Start der Dusika-Tour gestanden und neben mir stand ein Pole oder ein Bulgare, so genau weiß ich das nicht mehr. Ich blickte auf die Seite, sagte Hello!, woraufhin mein Gegenüber langsam den Kopf hob und mich mit starrem, leerem Blick nicht mehr aus den Augen ließ. Dann gab es den Startschuss und die sind gefahren wie die Wahnsinnigen.

Die jungen Fahrer wurden damals mit EPO versorgt?

Das kann ich nicht sagen, ich weiß nur, dass damals einiges nicht mit rechten Dingen zuging! Ich selber hab mir viel erkämpft, von der Technik her hat alles gepasst, aber ich habe nicht unbedingt die besten körperlichen Voraussetzungen gehabt. Ich wusste, ich kann in Österreich mitfahren, vielleicht einmal mit viel Glück eine Österreich-Rundfahrt fahren, aber mehr auch nicht. Das war es mir dann einfach nicht mehr wert.

Wie hast du das Band zum Radsport aufrecht gehalten, oder hast du einen totalen Schnitt gemacht?

Ich machte einen totalen Cut. Aber ich blieb immer am Radsport interessiert. Zum Beispiel war die Tour de France im Fernsehen ein Fixpunkt im Sommer, oder auch die Österreich-Radrundfahrt.

Wie kamst du dann zu Schauspiel und Theater?

Wir gründeten eine Amateur-Theatergruppe in Schwanenstadt. Dort haben wir u.a. „Die Munde“ von Felix Mitterer gespielt. Ein Jahr später machten wir dann noch eine Lesung. Danach entschied ich mich, die Aufnahmeprüfung in Linz zu machen, wo ich sofort aufgenommen wurde. Von 1996 bis 1999 studierte ich dort Schauspiel. Währenddessen haben wir in Linz unsere eigene Theatergruppe gegründet, die hieß „TheaterUnser“.

Wer war da noch dabei?

Rudi Mühllehner, Karl Lindner und Henry Mason. Henry ist jetzt wieder in Linz und macht bei mir im Theater des Kindes eine Inszenierung. Nach der Gründung der Gruppe haben wir gleich viel gespielt. Ich bin ein Kind der Freien Szene. Ich bin nicht nach dem Studium in die Freie Szene, sondern während des Studiums. Wir waren sehr aktiv und ich habe extrem viel gelernt, vor allem auch im organisatorischen Bereich.

Nun bist du seit 2003 künstlerischer Leiter beim Theater des Kindes. Was würdest du als eine Besonderheit eures Hauses herausheben?

Stücke nicht unbedingt so umzusetzen, wie man es erwartet. Herausforderungen suchen, gewisse Aspekte aus dem Stück herauskitzeln, die uns besonders interessieren, mit Ästhetiken spielen. Wir arbeiten mit vielen verschiedenen Menschen zusammen. Wir holen immer wieder neue Bühnenbildnerinnen, neue Musiker. Wir haben viele Leute dafür gewinnen können, in ihrem Leben erstmals für Kinder zu arbeiten. Wir machen sehr eigene Geschichten, zum Beispiel eine Heidi-Inszenierung für drei Schauspieler. Mit diesem Stück haben wir auch den Stella 2014 gewonnen, den Preis für herausragendes Theater für Kinder und Jugendliche. Dieses Stück haben wir bereits über 150 Mal gespielt. Auch wenn wir Klassiker machen, versuchen wir sie auf unsere Art und Weise umzusetzen. Das ist unser großes Ding.

Wie kannst du fürs Theater des Kindes deine Begeisterung aufrechterhalten?

Ich hab immer gesagt, solange mir noch was einfällt, solange mach ich diesen Job. Und uns fällt immer noch was ein, es macht Spaß, und es laufen uns immer wieder neue Themen über den Weg. Es soll sich nicht zu wiederholen beginnen, denn dann wird es gefährlich.

Wie bist du dann wieder zum Radsport zurückgekommen?

Das hat 2011 begonnen. Ich bekam immer mehr körperliche und vor allem psychische Probleme. Es stellte sich heraus, dass ich unter Panikattacken litt. Meine Frau hat mir geraten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Was ich dann auch tat. Im Sommer darauf lag ich auf der Couch und schaute Tour de France. Meine Frau kam zu mir rein und fragte, hast du dich schon mal in den Spiegel geschaut? Ich schnaufte einmal durch und sagte, gut, dann geh ich Radlfahren. Ich hab mich auf mein Citybike gesetzt und bin losgeradelt. Nach zwei Wochen sagte ich zu meiner Frau, dass ich mir wieder ein Rennrad kaufe. In diesem Sommer hab ich innerhalb kürzester Zeit 10 Kilo abgenommen. Im Herbst bin ich dann gleich bei einem Radmarathon mitgefahren. Über den Winter trainierte ich weiter und bin dann wieder in den Rennzirkus eingestiegen. Das Kirschblütenrennen 2013 war dann wieder mein erstes Rennen.

Eigentlich gleich wieder voll in das nächste Szenario rein?

Ja, aber das hat mir das Leben gerettet. Ich hab einfach gemerkt, dass ich nach einer Stunde am Rad in einen Flow kam, wo die Gedanken wieder leichter wurden.

Hast du dir zu Beginn gleich wieder die Beine rasiert?

Sicher! … Dank meines Vorstandes und meiner Kollegen konnte ich die Arbeit am Theater für ein halbes Jahr reduzieren. Dadurch konnte ich mich fast ausschließlich auf das Training konzentrieren. Ich bin die 13er, 14er und die 15er Saison voll gefahren und hatte aber dann in der Steiermark ein prägnantes Erlebnis. Bei einem Rennen in Hartberg hatte ich plötzlich einen Puls von 208. Ich ließ die Beine hängen, rollte ins Ziel und sagte mir, so Andreas, jetzt heißt es wirklich aufpassen. …

2016 traf ich mich mit meinem Teamkollegen Simon und erzählte ihm, dass ich ein U-23 Elite-Team gründen möchte. Wir schrieben ein Konzept für Sponsoren, ich habe mit den jungen Fahrern von meinem alten Verein gesprochen, ob sie das wollen und wenn ja, dann ziehen wir das durch. Ich hab den ganzen Sommer durchgearbeitet. Ich schrieb hunderte E-Mails, machte hunderte Anrufe und bekam hunderte Absagen. Überall hab ich es probiert und schlussendlich auch viel aufgestellt. Es war ein langer und mühsamer Prozess, aber im August war dann klar, dass KTM einsteigt. Danach ging es Schlag auf Schlag, und viele weitere Sponsoren kamen dazu. Nun fahren wir als Team FELDBINDER OWAYO KTM auf internationalem Terrain.

Ihr nehmt im März auch gleich an der Tour of Rhodos teil.

Das wird der Wahnsinn! Dort stehen wir am Start mit Wiggins, Hrinkow, Lotto, also mit richtig starken Continentalteams. 186 Starter!

Wie viele Betreuer nehmt ihr nach Rhodos mit?

Wir fahren mit allen neun Fahrern nach Rhodos, es dürfen aber nur jeweils sechs starten. Zum Auftakt bestreiten wir auch noch den GP of Rhodos. Wir wollten allen die Möglichkeit geben zu fahren. Drei verzichten auf das Tagesrennen, drei verzichten auf die Rundfahrt. Gleichzeitig machen wir dort auch ein Trainingslager. Somit bin nur ich als Betreuer mit und die drei, die gerade keinen Renneinsatz haben, müssen mithelfen. Das ist gut, denn so wachsen wir als Team zusammen und jeder sieht, wie es abläuft. Unser Team hat in Österreich sicher eine Monopolstellung, denn niemand verschreibt sich so dezidiert der Nachwuchsarbeit wie wir.

 

Theater des Kindes, www.theater-des-kindes.at

Team Feldbinder Owayo KTM, www.rennteam-ooe.at

Klingelingeling! – Ausfahrt mit Ottawa

Wer sich in der österreichischen Fahrradszene bewegt, wird früher oder später auf die Wienerin Barbara Ottawa treffen. Sie ist Journalistin, Vielfahrerin und begeisterte Langstreckenfahrerin. Sie war die erste Frau, die an einem Tag die 200 Kilometer-Strecke bei In Velo Veritas knackte. Dennoch, als Fahrradaktivistin würde sie sich nicht bezeichnen, da sie ihre Zeit lieber mit dem Radfahren verbringt. Ein Interview von Johannes Staudinger.

Was waren deine ersten Erinnerungen ans Radfahren und was hat in dir die Begeisterung dafür ausgelöst?

Als Kind hat Radfahrenlernen einfach dazugehört, es war spannend, was Neues, gewisse Freiheit. Ich bin auch immer wieder die 10 km ins Gymnasium geradelt – aber damals nur bei Schönwetter. Allerdings habe ich dann, als ich nach Wien und kurzzeitig nach London gegangen bin, eigentlich für mehrere Jahre komplett mit dem Radfahren aufgehört. Erst vor nicht einmal 5 Jahren hat mich meine kleine Schwester einmal zu einer Radveranstaltung (das erste Tweed Ride Picknick in Wien in der Freudenau) mitgenommen. Seither bin ich eigentlich kaum mehr vom Rad gestiegen. Über einen neuen Bekannten aus der Tweed-Runde bin ich zum Langstreckenfahren gekommen. Bei der Critical Mass habe ich einen Boten kennengelernt, der mich mit dem „Transport-Fieber“ angesteckt hat.

Als Betreiberin des Blogs viennabeo.net schreibst du regelmäßig über Themen rund ums Radfahren. Wie gehst du bei der Auswahl deiner Themen vor? Fliegen dir die Inhalte einfach so zu?

Ich schreibe einfach sehr gerne. Das mach ich schon länger als Radfahren! Und mit dem Radln habe ich einfach eine völlig neue Themenwelt entdeckt. Einerseits, weil viele Leute (auch andere Radfahrer) z. B. meine Begeisterung für Langstrecken nicht verstehen, das muss ich ihnen erst erklären. Und andererseits habe ich auch ein völlig neues Publikum – für andere Radfahrer kann ich Texte über Dinge schreiben, die wir wahrscheinlich alle erleben oder sie über Radfahrerlebnisse im Ausland, bei Reisen etc. informieren.

Deinen Lebensunterhalt bestreitest du als professionelle Journalistin in der internationalen Finanzwelt. Daneben schreibst du aber auch für die Wiener Zeitung, dazu in der Geschichtsbeilage „Zeitreisen“ und den Drahtesel der Radlobby. Wie stark unterscheiden sich die einzelnen Herausforderungen, für dieses oder jenes Magazin zu schreiben?

Auf diese Weise bleibt es spannend. Ich mag es, für unterschiedliche Zielgruppen und über diverse Themen zu schreiben. Es passiert, finde ich, sehr leicht, dass man sich in einem Spezialgebiet „ausruht“ und dadurch aber die Fremdperspektive auf das Thema verliert. Aber ohne diese Sicht von außen kann man meiner Ansicht nach nicht gut schreiben. Und um zwischen unterschiedlichen Texten den Kopf frei zu bekommen, kann ich mich ja jederzeit aufs Rad setzen – und sei es nur für einen Ortswechsel vom Home-Office ins Kaffeehaus. So gesehen ist das Radfahren fast wie der eingelegte Ingwer beim Sushi – der Geschmacksneutralisierer.

Für das Drahtesel-Magazin hast du an einem Spezial zu Fahrradwirtschaft in Österreich mitgewirkt. Nun wurde auch in Wien die Wiener Fahrradschau, die Schwester der Berliner Fahrradschau, als neues Messeformat präsentiert. Wie siehst du die Bestrebungen, das Fahrrad in Österreich wieder stärker in ein wirtschaftliches Rampenlicht zu stellen?

Grundsätzlich eine wichtige wirtschaftliche Schiene und auch ein tolles Geschäftsfeld. Wie überall gibt es aber natürlich auch in der Fahrradwelt jene, die nur Profit machen wollen und das um jeden Preis. Und dann gibt es die, die schon lange in dieser Fahrradwelt leben, arbeiten und von vielen neuen „hippen“ Profitwegen ausgeschlossen bleiben. Oft wird das Fahrrad und fahrradbezogene Botendienste, etc. von Firmen noch immer eher als „netter Werbegag“ gesehen, denn als ernst zu nehmende Dienstleistung.

Du bist auf dem Rad eine Vielfahrerin, fährst Langstrecken alleine und bei Vintage Rides, bist bei Tweed Rides dabei, stellst nebenberuflich Pakete als Fahrradbotin zu und bewegst dich auch sonst mit dem Rad durch die Stadt. Was muss passieren, damit du einmal nicht mit dem Fahrrad unterwegs bist, und was macht den Reiz der unterschiedlichen Facetten aus?

Letztes Jahr konnte ich nach einem Fahrradsturz ein Monat nicht radeln und dieses Jahr bin ich einmal mit der U-Bahn zu einem Treffpunkt gefahren, weil wir eine mehrtägige Wanderung gemacht haben. Ansonsten fällt mir nicht viel ein, das ich ohne Fahrrad mache. Ein Opernbesuch im Abendkleid gilt zum Beispiel nicht als Ausrede, weil man sich am Zielort fast immer umziehen kann! Auf Dienstreisen mit dem Zug kommt das Faltrad mit. Und wenn das Fahrrad mal in die Werkstatt muss, geht es mit dem City-Bike nach Hause. Die unterschiedlichen Facetten haben sich mehr oder weniger ergeben: Meine erste wirkliche Langstrecke bin ich gefahren, weil ich ohnehin von Wien nach Graz musste, Botenfahren ist einfach ein toller Ausgleich zum Sitzjob und man kann etwas Sinnvolles tun, während man Intervalltraining macht. Und gerade in Wien macht es sowohl zeit-technisch als auch wegen größerer Flexibilität für mich immer Sinn, mit dem Rad zu fahren.

Wie und wo findest du deine Räder? Welches Fahrrad fand zuletzt in deine Sammlung?

Am Anfang waren alles Second-Hand-Stahlrahmen, teilweise klassisch auf einem Vintage-Flohmarkt gekauft. Teilweise mit befreundeten Mechanikern neu zusammengestellte Single-Speeds oder Rennräder. Seit kurzem habe ich ein nagelneues Cross-Bike mit Scheibenbremsen und integrierter Schaltung – das macht auf Langstrecken schon Sinn. Die 320 km der Donau entlang hab ich zwar auch ohne geschafft, aber angenehmer wird die nächste Reisefahrt sicher.

Oft bist du auch in Linz auf dem Rad anzutreffen, aber auch viel in Wien, Graz und anderen Städten der Welt unterwegs. Welche Stadt gefällt dir bezüglich Fahrradkultur und -mobilität am besten, was sagst du zu Linz, und was sind deine Maßstäbe für eine fahrradfreundliche Stadt?

Hier eine Wertung vorzunehmen, ist wirklich schwierig. In jeder Stadt, in der ich bisher geradelt bin (eigentlich nur Mitteleuropa) gibt es Positives sowie Negatives. Oft gibt es tolle Ansätze, aber bei näherem Hinsehen manchmal nur Einzelprojekte. Sicher gefühlt habe ich mich überall ungefähr gleich. Natürlich sind kleinere Städte wie Linz „gemütlicher“, weil meiner Einschätzung nach der „Straßenkampf“ weit weniger aggressiv ausgetragen wird als in Wien. Das ist nämlich eines der größten Probleme in Ballungsräumen, dass es ein „jeder gegen jeden“ unter den Flächennutzern gibt, da muss man sich auch immer selbst an der Nase nehmen und z. B. bedenken, dass Autofahrer ein viel eingeschränkteres Sichtfeld haben und Fußgänger hinten keine Augen.

Eine radfreundliche Stadt ist es für mich dann, wenn sich jemand offensichtlich Gedanken darüber gemacht hat, wo für Radfahrer sinnvollerweise Platz ist – und nicht nur z. B. auf einer Brücke einen schmalen Streifen für Radler abgezwickt hat, oder Radfahrerüberfahrten hinter parkenden Autos versteckt.

Das kommende Jahr feiert das Fahrrad seinen 200. Geburtstag. Was wird bei dir im Fahrrad-Kalender 2017 fix eingeplant sein?

Auf jeden Fall die Piratislava – eine von BotInnen organisierte Schnitzeljagd nach Bratislava im Jänner, bei der man sich natürlich als Pirat verkleiden musst. Immer wieder werde ich auch bei der monatlichen Critical Mass teilnehmen. Dann natürlich die Tweed Rides in Wien und vielleicht auch mal andernorts. Die In Velo Veritas auf alten Stahlrahmen darf nicht fehlen. Eine Radreise wäre auch mal wieder fällig – vielleicht Kroatien. Und wahrscheinlich eine Charity-Fahrt entweder Passau-Wien oder Wien-Klagenfurt – an einem Tag natürlich. Und dazwischen mit Packerl am Rücken quer durch Wien.

Eine Fahrradbau-Passion

Wege, sich ein Fahrrad anzuschaffen, gibt es viele. Die wohl schönste Art ist es, sich selber eines zu bauen. Abseits von industriellen Fertigungen in Fernost greifen immer mehr Menschen und Kollektive zu Schraubstock und Säge, um ihre Vorstellungen vom perfekten Fahrrad Wirklichkeit werden zu lassen. Gedanken aus Johannes Staudingers passioniertem Fahrradbauerhirn.

Im Herbst 2013 beschloss ich mein eigenes Bahnrad zu bauen, um damit alsbald durch die steilen Kurven des Wiener Radstadions brausen zu können. Dieser Wunsch begleitet mich bis heute und ist bis dato unerfüllt. Trotzdem, um ein solches Projekt in Angriff zu nehmen, bedarf es einiger Recherchearbeit und als ausgebildeter Maschinenbauer war es meine Vorstellung, dass das fertige Geschoss im Handumdrehen vor mir stehen würde.

Ich entschied mich, einen gemufften Stahlrahmen mit klassischer Diamantrahmen-Geometrie zu fertigen.

Ohne eigene Werkstatt und passendem Werkzeug war ich auf die Hilfe weiterer Weggefährten angewiesen, die über die nötigen Tools, den entsprechenden Platz und die notwendige Verve verfügten. Im Internet fand ich einführende Literatur, ein Rahmenbau-Set bestehend aus Stahlrohren und Muffen, im nahegelegenen Baumarkt scharfe Feilen und Sägeblätter. In einem versteckten Keller der Linzer Altstadt stürzten wir uns auf einer wackeligen Werkbank über unser Projekt. Es wurde gemessen, diskutiert, die Rohre auf Gehrung geschnitten und bald war das vordere Trapez, schön in einer Flucht, bestehend aus Ober-, Unter-, Sattel- und Lenkrohr, zusammengesteckt. Dieses Konstrukt zu verlöten, führte uns nach Schwertberg in eine abgelegene Kunstschmiede. An einem herbstlichen Vormittag konnten wir den ersten Teil des Bahnrades in Händen halten. Doch waren die Lötergebnisse nicht zu unserer Zufriedenheit und an den entsprechenden Verbindungsstellen hing überschüssiges, hart erkaltetes Lötzinn, welches erst feinsäuberlich entfernt werden wollte. Zu diesem Zeitpunkt war das den Fahrradrahmen komplettierende hintere Dreieck noch in weiter Ferne. Bei einem pensionierten Schmied in Urfahr-Auhof mit der letzten in Linz existierenden Schmiedeesse mit offenem Feuer versuchte ich mein Glück. Leider vergebens.

Weitere Internet-Recherchen ließen mich den Blog „Eine Chronologie des Scheiterns“ der Wiener Selberbruzzler entdecken, welche im Kollektiv für den Eigengebrauch individualisierte Stahlrahmen-Räder bauen. Ausgestattet mit zwei Kisten besten oberösterreichischen Bieres trat ich die Reise nach Wien an, um ihnen einen Besuch abzustatten. Dort wurde ich freundlichst in die Geheimnisse des Fahrradbaus eingeweiht, was in mir den Wunsch nach weiterer Wissensvertiefung schürte. Da ich gerade über ein gewisses Maß an Freizeit verfügte, versendete ich an die namhaftesten Rahmenbauer Mitteleuropas mein Anliegen, als Praktikant in ihren Werkstätten auszuhelfen, um ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter blicken zu dürfen. So landeten meine Anfragen in Italien, in der Schweiz, in England, in Tschechien, in Ungarn und in Deutschland. Die einzige Antwort erhielt ich vom Fuße der Dolomiten, vom Großmeister des Stahlrahmenbaus, von Dario Pegoretti. Er ließ mich wissen, dass er zurzeit keine Ausbildungen anbieten könne und er mir auf meiner weiteren Suche alles Gute wünsche …

Heuer, am 1. und 2. Juli fand bereits zum zweiten Mal das Bicycle Happening Linz beim Kunstmuseum Lentos statt. Bis dato wurde eine breite Palette interessanter Beiträge rund um das Thema Fahrradkultur präsentiert. Für mich als „passionierten Fahrradbauer“ war es dann umso erstaunlicher, dass es parallel zu mir Gruppen und Einzelkämpfer gab, welche mit dem Bauen von Fahrrädern schon viel weiter waren als ich. Die handgefertigten Stahlrahmen von Menoid mit ihren 36-Zoll-Laufrädern sind ein wahrer Augenschmaus und sind auch spannend zu fahren. David erzählte, dass sich ein kleines Kollektiv wöchentlich in einer Werkstatt in der Salzburger Straße trifft, um neue Räder zu entwickeln. Das nötige handwerkliche Wissen erlernte er bei einem Kurs eines deutschen Rahmenbauers. Seit Fertigstellung seines ersten Menoids habe er unzählige Anfragen erhalten noch weitere Fahrräder dieser Art zu bauen.

Neben dem wieder modern gewordenen Rahmenbau-Material Stahl sind natürlich auch andere Werkstoffe wie Carbon und Holz nicht zu vernachlässigen. Schon im letzten Jahr beim Bicycle Happening präsentierte die Linzer Fahrradmanufaktur My-Esel ihre Holzrahmen-Fahrräder, welche mittlerweile markttauglich und käuflich erwerbbar sind. Der in Linz ansässige Kunststofftechnik-Student Daniel Laresser beschäftigt sich intensiv mit der Carbonfaser und bietet mit seiner Marke Dalleno durchdachte Rennmaschinen an. Und Räder aus Bambus sind auch im Linzer Stadtbild seit einiger Zeit zu entdecken, wobei hier das Kollektiv Ma Bambooride aus Wien federführend ist.

Natürlich darf beim Bicycle Happening die Kunst nicht zu kurz kommen. Neben einer fabelhaft kuratierten Ausstellung im Linzer Raumschiff waren bei den Talks vor dem Lentos die Künstler Manfred Grübl und Hannes Langeder, sowie der Ausstellungsmacher Günter Mayer zu Gast. Grübl berichtete über seine Erfahrungen, wie er in der von Autos überfluteten Stadt Los Angeles mit seinem selbstgebauten Schleif-Fahrrad von Tür zu Tür fuhr, um den Menschen ihre Messer und Scheren zu schleifen. Hannes Langeder gab Einblick in seine neuesten Projekte, wobei er mit seinem neuen „Verfolger“ beim Lentos vorfuhr. Günter Mayer, Galerieleiter der Galerie der Stadt Wels, präsentierte sich selbst, angemessen in einem Vintage-Radtrikot und beschrieb seine Berührungspunkte mit Fahrradkultur, wobei er uns dann auch gleich wissen ließ, dass in seinem Haus am 1. Dezember 2016 Dario Pegoretti die Aussstellung „twentyone pieces“ eröffnen wird.

 

Link- & Info-Box 

Ceeway – bike building supplies
www.framebuilding.com

Selberbruzzler. Wiener Fahrradbaukollektiv. Eine Chronologie des Scheiterns.
www.selberbruzzler.at

Bicycle Happening. Ein Fest der Fahrradkultur im und rund ums LENTOS Kunstmuseum Linz
www.bicyclehappening.at

My-Esel. Linzer Fahrradbauwerkstätte für individualisierte Fahrradrahmen aus Holz.
www.my-esel.com

Dalleno. Auf Carbonrahmen spezialisierte Rennradschmiede des Kunststofftechnik-Studenten Daniel Laresser.
www.dalleno.com

Ma Bamooride. Räder aus Bambus.
www.bambooride.com

Galerie der Stadt Wels. Dario Pegoretti / twentyone pieces – Vernissage am Do. 1. Dezember 2016
www.galeriederstadtwels.at

Manfred Grübl. Sharpener/Scherenschleifer…
manfredgruebl.net/current

Hannes Langeder.
han-lan.com

Paris Maderna. Fahrradbauer seit Mitte der 1990er und Rahmenbauer von Ferdinand GT3 RS, sowie Fahrradi Farfalla.
mcsbike.com

Dario Pegoretti
www.dario-pegoretti.com

Der Schrecken einer Stadt

Praktisch über Nacht nahmen die Dinge ihren Lauf: Eine fröhliche Stadt, bekannt für ihre automobilfreundliche Politik, versank im Chaos umweltschonender und menschenfreundlicher Mobilität. Johannes Staudinger visioniert das Szenario einer schrecklichen Hoffnung.

Der wachsende Druck seitens einer bisher verborgen gebliebenen Intelligenz zwang die Stadtregierung zum geschlossenen Rücktritt. Eine offenherzig, weltgewandte, hemdsärmelig agierende Politikerin wurde bestellt, übernahm ab nun an die Agenden der Stadt und läutete damit eine Ära unvorstellbaren Ausmaßes ein. Auslöser waren, aus bisher unverständlichen Gründen, der zu einem Politikum verkommene, längst überfällige Abriss einer historischen Brücke und die daraus entstandenen Unbequemlichkeiten für den motorisierten Individualverkehr. Die ansonsten so heiteren, der hiesigen Wirtschaft zuträglichen Autofahrer aus nah und fern mussten ein tägliches, von morgens bis abends stattfindendes Langsamfahren in Kauf nehmen. Die Regierung der Stadt kam damit aber ausgezeichnet zurecht und schritt aufrechten Hauptes in die Zukunft.Trotz alledem bündelten sich undurchsichtige Kräfte aus alternativen Kanälen, welchen bis dahin kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Unterschätzte Kräfte, denen es gelang, eine Bewegung zu mobilisieren, die eine unvorstellbare politische Wucht erlangte, und das gesamte Regierungsteam zurücktreten ließ.

Somit war der Weg für eine rücksichtslose Umstrukturierung geebnet. Mit einer Frau an der Spitze und einem multikulturellen Team wurden neue Wege beschritten, deren Auswirkungen lange das Bild der Stadt prägen sollten. An erster Stelle wurden Baustopps für eine neue Brücke und die großen Autostraßenprojekte verordnet. Die dafür vorgesehenen Investitionen wurden einem neuen großen, allumfassenden Programm zugewiesen. Alle waren davon betroffen, die 200.000 Bewohnerinnen, die 100.000 Pendler, Kinder, Alte, Frauen, Geschäfte, Fabriken, Schulen, Universitäten und auch die Asylanten. Und alle machten sie mit!

Schritt für Schritt nahm die Stadt neue Gestalt an. Dort, wo vorher dem Auto größte Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wurde auf sogenannten shared paths der Verkehr ausschließlich für Radfahrerinnen, öffentliche Verkehrsmittel und Zuliefer- und Einsatzvehikel freigegeben. Die maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit wurde auf 20 km/h reduziert und Besitzer kraftstoffverbrennender Fahrzeuge wurde eine Citymaut in der Höhe von 250 Euro im Monat vorgeschrieben.

Wer sich trotzdem entschied, mit dem Auto durch das Zentrum zu fahren, musste durch die massiven Einschnitte mit einer Nettofahrzeit von einer Stunde rechnen. Als Alternative wurde ein Förderprogramm für den Ausbau des Fußgänger- und Fahrradverkehrs und des öffentlichen Verkehrs gestartet. In den öffentlichen Verkehrmitteln war es von Beginn an erlaubt, Fahrräder mitzunehmen, was unvorstellbar klingt, aber das war bei weitem noch nicht alles. Der gesamte öffentliche Verkehr wurde zur Freifahrt freigegeben. Für jede und jeden war das Mitfahren in Bus und Straßenbahn ab diesem Zeitpunkt gratis. Über die ganze Stadt wurde zusätzlich ein gratis Elektro-Minibus-System gespannt, wie man es aus Damaskus oder Helsinki kannte. Mittels smarter Technologie konnte man den Minibussen seine Position übermitteln, wodurch man von einem sich in nächster Nähe bewegenden Bus abgeholt und auf schnellstem Weg zu seiner Wunschdestination chauffiert wurde. Parallel zu all diesen Maßnahmen, überwucherten zwei kostenfrei zu nutzende Fahrradverleihsysteme die Stadt, welche aufgrund ihres kostenneutralen Betriebes als Vorzeigeprojekte international hofiert wurden.

Die Wirtschaft sprang ebenfalls auf den Zug auf und führte diese Programme auch in ihren Arealen ein. Die Pendler lud man ein, die mobilen Dienste der Stadt zu nutzen, an den modern eingerichteten Transferzonen, an den Schnittstellen Stadt-Land. Die Pendlerpauschale wurde abgeschafft und die dadurch frei gewordenen Mittel dem Ausbau der sanften Mobilität zugeführt. Der Handel gab für jede umweltfreundlich zurückgelegte Shopping-Fahrt einen Rabatt von 30 Prozent auf die gekaufte Ware. Die Logistik bediente sich ebenfalls der neu geschaffenen Konzepte, wobei massenhaft Lastenräder Waren und Menschen transportierten.

Die Stadtbewohnerinnen verbrachten ihre Lebens- und Freizeit in den neu geschaffenen, verkehrsberuhigten Superblock-Systemen, welche auf Kenntnissen aus Marokko und Italien beruhten. Kleine Stadt-in-Stadt-Systeme, in welchen sich spezialisierte Handels- und Handwerksbetriebe ansiedelten und sich alle Generationen im öffentlichen Raum zum Feiern trafen. Herkömmlicher Verkehrslärm gehörte der Vergangenheit an, nur das auf- und abschwellende Getratsche der Alten und das Kichern der Kinder ergaben die akustische Kulisse.

Am Ende kam es dann auch noch zum Bau einer neuen Brücke. Diese stand aber dem motorisierten Individualverkehr nicht mehr zur Verfügung, denn das alte Konzept entsprach der neuen Regierungstruppe in keiner Weise.

Als neues Wahrzeichen der Stadt diente das von Athen hergebrachte, abgewrackt alte, aber neu restaurierte Olympische Velodrom, welches nach neumodernen Aspekten nachhaltiger Architektur der breiten Öffentlichkeit für Freizeit- und Sportaktivitäten zur Verfügung gestellt wurde. Bei der feierlichen Eröffnung, an welcher über die Hälfte der Einwohnerinnen teilnahmen, gab der britische Sänger Richard Hawley ein Konzert, wobei sein Lied „Tonight the streets are ours“ zur Schreckens-hymne erhoben wurde.

Wie konnte eine Gesellschaft solch Einschränkungen, solch Horror ertragen?

 

PS: Keine Angst, wenn sich die Kinder nach dem nächsten Fahrradausflug erkundigen.

2. Bicycle Happening Linz, Fest der Fahrradkultur, Fr. 1. und Sa. 2. Juli 2016 beim Kunstmuseum Lentos/Linz
Talks, Aktivitäten, Filme, Ausstellungen, Kunst
www.bicyclehappening.at

Neue Zeit Fest – M8, Sa. 25. Juni 2016 in der Melicharstraße 8, 4020 Linz
Lastenfahrrad-Testride, Fahrradständertaufe, gratis Fahrradcheck mit Lastenfahrradwerkstatt von Rostiger Esel, Kinderprogramm, uvm.
www.facebook.com/NeueZeitFest

Das Fahrrad is the Message

Wenn hier die Aussage des Medientheoretikers Marshall McLuhan „The Medium is the Message“ umformuliert wird, so aus einem lustvollen Interesse an den unzähligen alternativen Medien, Autorinnen und Veranstaltungen, die dazu beitragen, Fahrradkultur zu denken. Von der ersten hiesigen Vintage-Rundfahrt bis hin zu Film und Fahrradcomics: ein medialer Ausflug von Fahrradmod Johannes Staudinger.

In den 1980ern zertrümmerten wir als Kinder bei gewagten Jumps unsere Miniräder auf zusammengeschobenen Erdhügeln, welche als Überbleibsel aus dem Arbeitersiedlungsbau neben halbfertigen Häusern in die Höhe ragten. Mangels finanzieller Spielräume der Eltern reichte es nicht zu stabilen BMX-Rädern, mit denen es auf den selbstgebauten Geländestrecken besser gewesen wäre, verwegene Tricks hinzulegen. Oft kam es zum Bruch von Achsen, Lenkern und Rahmen, die mittels handwerklichen Geschicks der Eltern unter Einsatz von Schraubenschlüssel und Schweißapparat wieder repariert wurden, und wir konnten weiterhin dem wilden Radfahren frönen. Diese Art der Sozialisierung in den Straßen unserer Siedlung hinterließ bei mir den Wunschtraum, es zum Radrennprofi zu bringen.

Über eine aufmerksame Lehrerin flog mir das Buch „Radsport – Tips, Technik, Training“ des mehrfachen Siegers der Österreich-Radrundfahrt, Wolfgang Steinmayr, in die Hände. Ab da war diese kleine Fibel mein treuer Begleiter für den Weg nach oben in Teenager-Zeiten. Nächtens las ich, versteckt unter der Bettdecke, und versuchte mir das Wissen Steinmayrs zu verinnerlichen. Besonders beeindruckten mich die Schilderungen seiner Siege am Großglockner, die er durch das Durchfahren der Kehren auf der Innenseite gewann – und nicht wie seine Gegner, welche auf dem steilen Anstieg zum Ausrasten die Kehren am äußeren Rand durchfuhren. Meine erste und auch letzte Glocknerbefahrung als 15-jähriger belehrten mich eines Besseren und ließen mich meine Träume ad acta legen.

Doch die Bücher blieben.
Unzählige Publikationen zu Fahrradthemen schwirren am Markt umher und werden sich unter eingefleischten Aficionados gegenseitig empfohlen. Zwei Bücher taten sich zuletzt besonders hervor. „Rennradfieber – Lust und Leidenschaft auf dünnen Reifen“ von Wolfgang Gerlich und Othmar Pruckner, sowie „Die Geschichte der Puch-Fahrräder“ von Walter Ulreich und Wolfgang Wehap. Rennradfieber behandelt eine breite Themenpalette, die vielen darin schreibenden Autorinnen beleuchten aus verschiedenen Perspektiven ein Leben mit dem Rennrad. Fans der alten Grazer Marke Puch kommen mit dem Geschichtsbuch voll auf ihre Rechnung, wird denn ein vollständiges Bild von Fahrradtypen, Industrie und Gründerfamilie gezeichnet. Beide Bücher bieten eine solide Wissensgrundlage, um bei der heuer zum ersten Mal in Oberösterreich durchgeführten Vintage-Radrundfahrt, der Kirschblüten Radklassik am 5. Mai, mit Weggefährtinnen ins Plaudern zu kommen.

Neben den Büchern findet man eine unglaubliche Menge an Informationen zu Fahrradkultur im Internet, in Blogs und Online-Magazinen. Der Blog viennabeo.net der Fahrradaktivistin Barbara Ottawa – sie selbst ist passionierte Langstreckenfahrerin und bei den Vienna Tweed Rides engagiert – gibt Einblicke in ein buntes Sammelsurium an Fahrradstorys. Darüber hinaus schreibt sie auch im Print-Magazin Drahtesel der Radlobby. Wie auch Die Referentin werden das australische Magazin Treadlie und Momentum Mag aus Kanada von Frauen herausgegeben. Treadlie von Tamsin O’Neill, sowie Momentum Mag von Mia Kohout sind preisgewürdigt, sind online als auch in Printform erhältlich und vermitteln ein breites Spektrum an Fahrradkultur.

Inhaltlich bewegt sich die heuer zum zweiten Mal stattfindende Linzer Veranstaltung „Bicycle Happening“ beim Museum Lentos auf ähnlichen Pfaden, wobei hier mit vielen Partnern auch ein breites Aktivitäten- und Filmprogramm angeboten wird. Welche Filme die besten in Sachen Fahrradkultur sind, darüber kann gestritten werden. Große Aufmerksamkeit wird momentan dem Film „Bikes vs Cars“ des schwedischen Filmemachers Fredrik Gertten zuteil, der mit seinem Film gegenwärtig auf internationaler Kinotour ist und im Jänner auch bei uns zu sehen war. Wer den Termin versäumt hat, hat die Möglichkeit, auf vimeo.com diese mehrfach ausgezeichnete Fahrradaktivistinnen- und Umwelt-Doku nachzusehen. 2014 wurde der kunstvolle Film „Violet“ des belgischen Filmemachers Bas Devos beim Crossing Europe Filmfestival präsentiert. Im Zentrum der Geschichte befindet sich eine Meute junger BMX-Kids, in deren Reihen ein Mord verübt wurde. Brillant dabei, mit welcher Ruhe die Jugendlichen mit ihren Bikes durchs Revier ziehen und sich daraus auch das Stimmungsbild des Filmes ergibt. Bleibt zu hoffen, dass es beim diesjährigen Crossing Europe im April wieder Ähnliches zu entdecken gibt.

Der 2004 Oscar-nominierte Animationsfilm „Das große Rennen von Belleville“ von Sylvain Chomet kommt immer zur Sprache, wenn man nach der Verknüpfung von Comic- und Fahrradwelt fragt. Besteht ja die Gemeinsamkeit dieser beiden Welten darin, dass sie sich immer damit auseinandersetzen müssen, zu wenig ins rechte Licht der Öffentlichkeit gerückt zu sein. Doch begibt man sich auf die Suche nach Fahrradthemen im Comic-Kosmos, so wird man fündig.

Die amerikanische Fahrradmarke Schwinn wagte sich 1949 an das Thema Comic heran und erstellte für seine neuen Fahrräder „Paramount Racer“, „Deluxe Autocycle“ und „The Hollywood“ ein fantastisches Heft, wobei neben der Darstellung der eigenen Produkte auch die Meilensteine der Fahrradgeschichte gezeichnet dargestellt wurden. 1975 kreierte der Stanford-Student Louis Saekow „Sprocket Man“, einen Comic-Helden, der in Magazinen und auf Postern den Studenten am Uni-Campus den sicheren Umgang mit dem Fahrrad vermitteln sollte. Als legendär kann das 2014 veröffentliche Comic-Buch „Legends of the Tour“ von Jan Cleijne bezeichnet werden. Cleijne zeigt hier mit feiner Feder die oft auch traurige Geschichte der Tour de France. Der in Utrecht lebende Tobi Dahmen erzählt in seinem Comic „Fahrradmod“ seine eigene Geschichte als Fan der Modkultur, nur aber war er nicht am Motorroller unterwegs, sondern fuhr bei den Partys mit dem Fahrrad vor. Der Berliner Zeichner Markus Mawil Witzel, dessen Comics regelmäßig im Berliner Tagesspiegel veröffentlicht werden, beschäftigt sich wie auch in seinem letzten Großwerk „The singles collection“ – der Blick in den Darstellungsindex bestätigt es! – sein ganzes Leben über mit Fahrradgeschichten. Mawil wird seine Kunst beim heurigen Nextcomic Festival von 10. bis 20. März auch in Linz präsentieren.

Übrigens, dieses Medium, das Sie in Händen halten, wird von den Linzer Veloboten über die ganze Stadt verteilt.

 

Buch: Die Geschichte der PUCH-Fahrräder
www.weishaupt.at/neuerscheinungen/389_die_geschichte_der_puch-fahrraeder

Buch: Rennradfieber – Lust und Leidenschaft auf dünnen Reifen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines schnellen Sports
shop.falter.at/rennradfieber.html

Vintage Radrundfahrt Kirschblüten Radklassik, 5. Mai 2016
www.kirschbluetenradklassik.at

Blog von Barbara Ottawa
viennabeo.net/de

Radlobby OÖ – Magazin Drahtesel
www.radlobby.at/oberoesterreich

momentum magazine – latest and greatest cycling culture news
momentummag.com

treadlie magazine – magazine for bike lovers
treadlie.com.au

2. bicycle happening Linz, Fest der Fahrradkultur, 1. und 2. Juli 2016
www.bicyclehappening.at

Bikes vs Cars – Film von Fredrik Gertten, 2015
www.bikes-vs-cars.com

13. crossing europe Filmfestival Linz, 20. bis 25 April 2016
www.crossingeurope.at

Schwinn Bicycle Comic Book
www.thechainlink.org/profiles/blogs/1949-schwinn-comic-book

Comic “Sprocket Man, the Superman of bike safety, returns”
transportation.stanford.edu/alt_transportation/Sprocketman.shtml

Comiczeichner Jan Cleijne – Legends of the tour
en.jancleijne.nl

Comiczeichner Tobi Dahmen – Fahrradmod
www.fahrradmod.de

Comiczeichner Markus Mawil Witzel – The singles collection, Ausstellungsbeitrag bei Nextcomic 2016
www.mawil.net

8. Nextcomic Festival Linz, 10. bis 20. März 2016
www.nextcomic.org

Vom Stürzen und Fallen

Eine wesentliche, nicht wegzudenkende Komponente des Radfahrens ist der Sturz, welcher glimpflich, aber auch tragisch enden kann. Johannes Staudinger, unser Mann fürs Rad, denkt vielleicht schon an Glatteis und Winter, unternimmt jedenfalls eine Ausfahrt in die Gefilde der Kunst mit Rad, um danach über praktische Dinge zum Sport zu gelangen.


Nackt braust sie nächtens auf dem Rad durch die Stadt. Ein Lächeln ziert ihr Gesicht und das lange, dunkle Haar weht wild im Fahrtwind. Der Himmel ist voll mit Sternen behangen, ein greller Lichtkegel weist ihr den Weg über das holprige Kopfsteinpflaster. Ihre Beine hat sie von den Pedalen gehoben, um das Vehikel kunstvoll bei voller Fahrt zu balancieren.
Das Bild „Die Radfahrerin“ vom Linzer Künstler Mario Michaelis ist eine Allegorie auf das Radfahren, auf ein ausschweifendes Leben voller Lust und Lebensfreude. Es ist das Festhalten eines Moments, ohne Gedanken daran zu verschwenden, was zuvor war und was noch kommen mag. Ein Stürzen, ein Fallen ist nicht vorhersehbar, wie es die Eigenheit eines jeden Sturzes ist.

Mir selbst sind als begeisterten Radfahrer schon so einige Stürze widerfahren. Als sportlicher Jugendfahrer durchschlug ich, bergauf fahrend, mit dem Kopf die Heckscheibe einer am Fahrbahnrand stehenden Luxuskarosse aus der Schweiz. Der Schock saß tief. Neben eines ausgeschlagenen Schneidezahnes, einer Blessur am Kinn und eines gestauchten Fahrradrahmens sind die äußeren Umstände und die Vorgeschichte des Crashs ins Genre der Humoreske einzuordnen: Die Schweizer hielten an dieser Stelle nicht abrupt, sondern verweilten dort schon einige Zeit, um mit Großmutter und Enkelkind in einem Feld rastende Störche auf der Durchreise zu beobachten – auf einer weit einsehbaren, leicht ansteigenden Geraden. Ich war mit dem Rennrad unterwegs, um mir für mein erstes Ferialpraktikum ein Monatsticket beim nahegelegenen Bahnhof zu besorgen und verband die Fahrt mit einer kleinen Trainingseinheit für ein am gleichen Tag stattfindendes Zeitfahrrennen. Konzentriert fuhr ich meine Linie tief am Rad liegend, den Blick nach unten auf den Asphalt gerichtet, damit ich nicht ins weiche Fahrbahnbankett geriet. Unfall und Sturz waren unvermeidlich.
Ein paar wenige Stürze mehr begleiteten mein Leben, wobei diese durchwegs tröstlichen Ausgang fanden, und rückwirkend betrachtet eventuell auch Kunstvolles in sich bergen.
Vielleicht können die modernen, smarten Technologien dazu beitragen uns beim Radfahren weniger stürzen zu lassen? So wie in der Automobilindustrie bereits Systeme zur Anwendung kommen, die uns über Fahrbahnbeschaffenheit und Verkehrsaufkommen informieren.
Christoph Fraundorfer von My-Esel und Florian Born entwickelten zum Beispiel im Rahmen des heurigen Ars Electronica Festivals eine App, welche Schlaglöcher erkennt, speichert und mittels eines am Fahrrad angebrachten Markierungsgeräts, diese im Vorbeifahren markiert, um nachfolgende RadfahrerInnen zu warnen und den Kommunen darüber Feedback zu geben, wo Straßenbelage nachgebessert werden müssen. Oder die Fahrrad-Navigations-App von bikecitizen in Graz, welche die geeignetsten Fahrradrouten in der Stadt, auf Basis des Wissens von Fahrradboten, anbietet.

Ganz ohne App kam hingegen der niederländische Performance- und Konzeptkünstler Bas Jan Ader in den 1960 und 70ern aus. Wahrscheinlich würde er aber auch heute nicht auf diese Technologien zugreifen wollen, denn das Fallen und das Ungewisse waren wesentliche Bestandteile in seinem Œuvre. In seiner Falling-Serie mimt Ader den tragischen Helden, der slapstickhaft fällt. In Fall II, Amsterdam fährt er geradewegs mit dem Fahrrad auf einen Kanal zu, um dort über die Kante zu kippen und im trüben Wasser zu versinken. Der dieser Aktion innewohnenden Äs­thetik des unkontrollierbaren Moments fand viele Nachahmer und wurde über die Jahre hinweg oftmals zitiert. Leider verschwand Ader 1975 beim Versuch alleine den Atlantik auf einem kleinen Segelboot zu überqueren und blieb seither verschollen.

Zum Glück und ohne zu stürzen fand der Künstler Hans Schabus seinen Weg zurück von seiner 5352 km langen Solo-Fahrt mit dem Fahrrad quer durch Nordamerika. Schabus, der des Öfteren das Rad in seinen Arbeiten in Szene setzt, lässt in seinem Werk Parallelitäten zur Kunst Aders erkennen und geht dabei ähnlich kontemplativ vor, indem der Blick des Betrachters auf die künstlerische Aktion selbst gerichtet ist.
Geistiges Sich-Versenken in einen fahrradtechnischen Akt thematisierte auch der Künstler Sam Starr in seiner Arbeit Circulus von 2010. Er konstruierte eine Radbahn in eine stillgelegte Bibliothek und drehte dort seine Runden voller Konzentration und Andacht. Die Stille beim Lesen in einem Leseraum wird dem unermüdlichen Fahren im Oval gleichgesetzt. Wer jemals in den Genuss kam, in einem Radoval, einem Velodrom zu fahren, weiß darum Bescheid, wie schwer es anfänglich ist, gegen all die auftretenden Kräfte anzukämpfen, um auf der Bahn zu bleiben und nicht zu stürzen. Umso größer dafür ist dann das Lustempfinden, wenn man Balance und Rhythmus gefunden hat. Auch deshalb ist schon längst ein Velodrom für Linz vonnöten.

Florian Born und Christoph Fraundorfer – ESEL-Complain
www.aec.at/futurelab/residency-network/connectingcities

Bike Citizen – Fahrrad-Navigations-APP
www.bikecitizens.net

Bas Jan Ader – Here Is Always Somewhere Else/Fall II
www.youtube.com/watch?v=IA_BFCyytBQ

Hans Schabus – The long road from tall trees to tall houses
Ausstellungseröffnung am 19. Februar 2016, Salzburger Kunstverein
from-tall-trees-to-tall-houses.blogspot.co.at

Sam Starr – Circulus
vimeo.com/12844053

Wenn das Lastenfahrrad Berge mobilisiert

Was das Bewegen von Gütern und Personen in der Stadt betrifft, ist unschwer ein Trend hin zum Einsatz von Lastenfahrrädern in Linz zu erkennen. Immer öfter darf der Transport von beispielsweise Kindern und auch Lasten von bis zu 200 kg in der Stadt beobachtet werden. Eine Bestandsaufnahme von Johannes Staudinger.

Fahrradfahren im urbanen Raum gewinnt an immer größerer Bedeutung. Sich mit dem Radl von A nach B zu bewegen, um Besorgungen, Behördengänge, Arbeits- und Freizeitwege zu erledigen oder sich einfach mit Freunden gemütlich auf einen Drink zu treffen, ist wieder Bestandteil des alltäglichen Stadtbildes.

Seit ein paar Jahren trifft man in Linz auf Menschen, welche mit ihren Rädern Güter oder Kinder transportieren. So werden Kids frühmorgens von den Eltern zum Kindergarten gefahren, Drucksorten von der Druckerei zum Kunden geliefert, Getränke fahrend an dürstende Donaubadende verkauft, Radioübertragungsstudios zum Außeneinsatz gezaubert, Caterings zur Firmenfeier zugestellt, Infostände zu ihren neuen Einsatzorten bewegt, ganze Wohneinrichtungen umgesiedelt und Soundanlagen zur spätabendlichen Party verfrachtet. Zum Einsatz kommen dabei neben Lastenfahrrädern auch vielfach Fahrradanhänger, welche mit ein paar wenig geschickten Handgriffen montiert sind.

Pioniere der ersten Stunde in Linz waren die Bike Kitchen und die Fahrradbotendienste Green Pedals und Veloteam, die Anfang der 2010er Jahre mit selbstgebauten und angekauften Transporträdern für Aufsehen in der Stadt sorgten und auch gegenwärtig verstärkt auf den Einsatz dieser Räder vertrauen. Das Bewusstsein, so die Fahrradboten, sei mittlerweile sogar dahingehend gesteigert, dass die Kundschaft teilweise im vorhinein beim Ordern einer Güterüberstellung darauf hinweist, dass es aufgrund des Gewichts und der Sperrigkeit des Gutes besser sei, gleich mit dem Lastenrad den Transport in Angriff zu nehmen. Der Einsatz von Lastenfahrrädern erlebt einen Boom und wird in den nächsten Jahren wesentlichen Zuwachs erleben, so die Veloboten.

Und trotz dieser erfreulichen Entwicklung und Bereicherung in Sachen Lastenradmobilität hinkt Linz dem europäischen Trend, an vorderster Stelle sei hier natürlich Kopenhagen erwähnt, hinterher. Langsam, langsam mahlen die Mühlen hier, um dieses enorme Potential hinsichtlich Lebensqualität, Verkehrspolitik, Umweltschutz und Wirtschaftsimpuls zu erkennen. Liegen die Vorteile dieser Art von Mobilität doch auf der Hand, wirkt sie doch verkehrsentlastend, dadurch staumindernd, lärmfrei, umweltschonend und ist dabei noch anregend für den Kreislauf. Die CO2-Reduktion liegt sogar bei nahezu 100%! Eine im Zuge des EU-Projektes cyclelogistics erstellte Studie des Grazer Forschungsinstituts FGM Amor kommt bei ihren Untersuchungen soweit, dass 51% des gesamten innerstädtischen Gütertransportverkehrs mittels Lastenfahrrädern erledigt werden können! Das bedeutet, dass die erwähnten 51% in Linz bisher noch immer von umweltbelastenden und schadstoffausstoßenden Lastenfahrzeugen absolviert werden.

Aber wo liegt der Hemmschuh für eine Stadt wie Linz, sich hier aktiv in Szene zu setzen und endlich aufzuschließen, um in Sachen Fahrrad- und insbesondere an Lastenfahrradmobilität europäisches Niveau zu erreichen? Linz und dessen Politik wirkt wie eine tief in Lethargie versunkene Stadt, welche trunken und mit seichtem Blick alle Angebote, Innovationen und Hilfestellungen rundum sich umstößt oder gleich im Vorfeld abweist. Gedanken an Nibelungenbrücke, verhunzte Lückenschlüsse im Radwegenetz, Donausteg, Eisenbahnbrücke, autofreier Hauptplatz und vieles mehr kommen auf, wenn die letzen Jahre an missglückter Verkehrspolitik betrachtet werden. Um Umsetzungsideen und aktuelle Best Practice Projekte zu entdecken, bräuchte es dazu eigentlich nur einen Blick in die jüngere Vergangenheit von Linz, oder einen Blick in europäische Projekt-Datenbanken.
Bereits 2009, im Jahr, wo Linz europäische Kulturhauptstadt war, veröffentlichte die Initiative Hörstadt Linz eine Grundsatzstudie „Urban Vision Linz. Ganze Stadt, halber Lärm“, in welcher, ausgehend vom Bedürfnis, grundlegend die Lärmkulisse der Stadt Linz auf ein verträgliches Maß zu senken, ein Plan vorgelegt wurde, wie man den lärmenden Verkehr auch unter Zuhilfenahme von Transporträdern reduzieren könnte. Und die Studie ging darüber hinaus, denn es wurde vorgeschlagen, den inneren urbanen Stadtkern größtenteils und unter restriktiven Maßnahmen, nur mit wenigen Ausnahmen vom fossilen Automobilverkehr zu trennen, indem Park- und Fahrangebot für PKWs und LKWs auf ein Minimum reduziert werden, das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln erhöht wird, breitere und für Radtransporten aller Art allein zu nutzende Wege zur Verfügung gestellt werden, ein dezentraler Logistikring rundum das Zentrum entstehen soll, von welchen aus das Stadtinnere mit Mitteln sanfter Mobilität beschickt wird. Das klang und klingt in den Ohren der Linzer Politik utopisch. Nichts hat sich seither wesentlich in dieser Angelegenheit verändert.
Im Vergleich dazu gibt es europaweit hervorragende Projekte, welche durch Selbstbewusstsein in Sachen Fahrrad- und Lastenradmobilität strotzen. München, London, Paris, Bozen, Danzig, Piräus, Athen, Lissabon, Genua, Brighton, Mannheim, Hamburg, Strasbourg, Vitoria-Gasteiz, Groningen, Ljubljana sind Städte, die durch ihr Engagement, was das Investment in Fahrradförderungen, die allgemeinen Zielsetzungen in alternative Mobilität und generell den Willen betrifft, bestehende Verkehrskonzepte umzukrempeln, in letzter Zeit für Aufsehen sorgten und internationale Anerkennung ernteten.

Nun ist es ja nicht so, dass Linzerinnen und Linzer dem Nutzen von Lastenfahrrädern und grundlegend dem urbanen Fahrradfahren abgetan wären, aber es fehlt an der Zurverfügungstellung der notwendigen Infrastruktur und den dafür notwendigen Förderungen. Nicht nur für die Radfahrenden selbst, sondern auch etwa für innerstädtische Einrichtungen und Wirtschaftstreibende.

So bleibt es vorerst den LinzerInnen überlassen, aus eigener Kraft Berge zu versetzen und von sich aus, beharrlich der hiesigen Politik gegenüber ihren Willen zur Veränderung zu äußern, indem sie sooft und soviel wie möglich auf das Fahrrad steigen und dadurch einen Paradigmenwechsel einläuten.

Förderungen für Transportfahrräder werden vorerst von Land OÖ und Stadt Linz nicht angeboten. Die Städte Graz, Hartberg und Lustenau sind in dieser Angelegenheit österreichweit Vorreiter.
Das Lebensministerium mit dem Masterplan Fahrrad 2015–2025 bietet eine Transportrad-Förderung für Vereine und Kommunen an.

 

Info- & LinkBox

Clean Air – EU Projekt
Cargo bikes in commercial transport
www.cleanair-europe.org/en/projects/vcd/ebc/cargo-bikes-in-commercial-transport

Cycle Cities – EU Projekt
INTERREG IVC Program zur Förderung des Fahrradverkehrs
www.cyclecities.eu

Zum rostigen Esel
Erstes Linzer Fahrradmechanikerinnenkollektiv
Lastenfahrradverkauf in Linz
www.rostigeresel.at

GerRad
Stadt. Rad. Liebe.
Lastenfahrradverkauf in Linz
www.gerrad.at

cyclelogistics
Europäisches Lastenfahrrad-Forschungsprojekt
www.cyclelogistics.eu

Bike Kitchen Linz
Offene-non-profit Selbsthilfewerkstatt
bikekitchenlinz.nil-fisk.org

Veloteam Linz
Fahrradbotendienst
veloteam.at

Greenpedals Linz
Fahrradbotendienst
www.greenpedals.at

Steelcity Cycle Messengers
Verband der Linzer Fahrradbotinnen
steelcitycyclemessengers.blogspot.co.at

Imagine Cargo
Rad – Bahn – Rad Frachtservice
www.sustainablecourier.com

Stadt Linz
Einkaufsräder- und Fahrradanhängerverleih
www.linz.at/verkehr/3424.asp

Radlobby OÖ
ooe.radlobby.at

VCÖ – Mobilität mit Zukunft
www.vcoe.at

Klimaaktiv – BMLFUW
Förderung für Transporträder
www.klimaaktiv.at/foerderungen

Hörstadt
Menschengerechte Gestaltung der akustischen Umwelt
www.hoerstadt.at/ueberuns/veroeffentlichungen.html

Bicycle Happening
Jährlich stattfindendes Fest der Fahrradkultur in Linz
www.bicyclehappening.at