Fahrt doch zur Hölle, ihr Fleißigen!

Ja, das war arschknapp und nein, das Land ist nicht gespalten – ideologisch bedingte binäre Verhältnisse haben ja auch niemanden gestört als es noch nicht blau/grün sondern schwarz/rot hieß, oder? Das knappe Ergebnis für Van der Bellen hat mich keineswegs mit diesem Land versöhnt – immerhin wurde deutlich, dass 50 Prozent einen Mann mit deutschnationalem Bekenntnis als Bundespräsident Österreichs sehen wollen. Pervers irgendwie. So knapp und kurz – so wenig gut. Österreich ist sehr eigenartig, und das mittlerweile nicht mehr nur bei näherer Betrachtung: Wie sonst ist zu erklären, dass eine Partei, die längst und in weiten Teilen des Landes Teil des Establishments ist, bei Wahlen mit dem Kampf gegen das Establishment, also gegen sich selbst reüssiert. Und während Anhänger dieser Partei in sozialen Medien sich für Moderatorinnen, die es wagen ihrer Arbeit nachzugehen – also Fragen zu stellen und Interviews zu führen – wünschen, vergewaltigt zu werden, erschießt ein amtsbekannter Neonazi am Wahlwochenende einige Menschen, ohne dass sich groß jemanden darüber erregt, dass amtsbekannte Neonazis ungehinderten Zugang zu Waffen haben. Ein wirklich eigenartiges Land, wobei einem Land ohne Meerzugang ja grundsätzlich zu misstrauen ist, Binnenländerinnen fehlt einfach die Gewissheit, dass die Sonne jeden Abend im Meer versinkt und die Vorstellungskraft, dass sich am Horizont etwas anderes auftun kann als das, was man kennt. Phantasielosigkeit, Fleiß, Strebsamkeit sind die herausstechenden Merkmale vieler Menschen hier, Drögheit und Langweile die selbstgestrickten Mäntel, die in langen Winternächten wärmen. Ein Land, das zunehmend und nicht erst seit Norbert Hofer (der aber die Verkörperung des Begriffs sehr nahe kommt) den talentfreien Fleißigen gehört. Die talentfreien Fleißigen gehen kein Risiko ein, lassen sich nicht gehen und ihr Lächeln erinnert an unsere Katze, wenn sie mit einer Spitzmaus im Maul in die Küche läuft – das fiepende Geräusch der Spitzmaus inklusive. Die talentfreien Fleißigen sind – naturgemäß – gute Beobachter, können fein auswendig lernen, nehmen auf, was und wie andere es tun. Nehmen Strukturen, adaptieren und kopieren sie. Sie sind gute Mitspieler, teamfähig und keine allzu kritischen Geister. Fühlen sich wohl in Seilschaften, weil dort weder ihr geringes Selbstwertgefühl noch ihr Mangel allzu rasch entdeckt werden würde. Sie sind nicht in erster Linie oder gar nur männlich – das täuscht meiner Meinung nur ob des vermehrten Vorkommens von Männern in Führungspositionen und Männern als politische Kommentatoren, und sie sind auch nicht ausschließlich politisch rechts Stehende – wenngleich die in den letzten Jahren viel daran gearbeitet haben – aus der Not heraus – sich mit den Attributen der talentfreien Fleißigen zu schmücken – ordentlich, ruhig, nach außen gelassen, konservativ und fast bürgerlich – die dreckigen Hooligans, Wutbürgerinnen und einfach nur irren Facebookposter zur Mäßigung und Ordnung rufend – wie es nach der BP-Wahl Hofer und Strache geschickt aber höchst unglaubwürdig taten. Davon abgesehen aber sind die talentfreien Fleißigen auf jeder Seite des politischen Spektrums zu finden. Sie sind ebenso austauschbar wie parteipolitisch in Tarnfarben gehüllt, finden sich auch in den shabbyschicken Hipsterbars, gesellschaftspolitische Gespräche führend, stets darauf vorbereitet, ein Zitat in den Vollbart gegenüber zu brummen. Irgendwann wird die Zeit dieser talentfreien Fleißigen auch wieder zu Ende sein, ganz gewiss – und es werden Begriffe wie „anständig“, „ordentlich“ und „fleißig“ in mir wieder weniger Brechreiz hervorrufen. Ein rauchender Bundespräsident ist sogar für eine Nichtraucherin wie mich ein Anfang. Viel Hoffnung habe ich trotzdem nicht, denn viel zu lange hatten die strammen, talentfreien Fleißigen Zeit, dieses Land mit ihrer langweiligen Dumpfheit zu durchziehen. Die Koffer bleiben erstmal und vorsorglich noch gepackt.

Kulinarische Scharmützel eines professionellen Dilettanten

Ni Hao – Huhn Kung Pao
So – auf geht’s. „Der Weg ist das Ziel“ – ein Zitat frei nach Konfuzius gibt mir gleich den kulinarischen Kulturkreis vor. Der versprochene Chinarestaurant-Test ist da. Der Slowdude wandelt auf der chinesischen Innenstadtachse und nimmt auch Taiwan mit auf in die Liste der Samples – wir halten es mit der chinesischen Führung und sehen Taiwan als abtrünnige Provinz.
Auserkoren für den großen Test wurden Fu Cheng an der Donaulände, die Goldene Pagode im wohl schönsten Gebäude an der Donaulände – dem Linzer Generalitower und Kim San am Hauptplatz. Vorab: Der Slowdude liebt die chinesische Küche, alle Spezialitäten der einzelnen Provinzen kennt er aus dem Effeff und ist auch selbst in der Zubereitung ein wahrer Meister. So gesehen kann man ihm nichts vormachen.

Fu Cheng:
Wie viele andere vermisse ich das alte Lokal. Das Lokal war etwas runtergerockt, aber hatte durchaus Ambiente mit Charme. Der Umbau – ein paar Jahre her – hat aus der grindigen Bude eine Art Flughafenloungebistro mit Arztwarteraumflair gemacht. Unendlich auswechselbar und echt misslungen. Aber wichtig ist ja die Küche. Und die ist OK. Wird in Linz Menschen von außerhalb ein Chinarestaurant empfohlen, wird meist das Fu Cheng genannt – weil lecker Nudeln, kein Glutamat und gute vegetarische knusprige Ente. Die Ente – ob echt oder gefaked – ist gut, authentisch gewürzt und hat eine sehr ausgewogene Fleisch-Nudel-Gemüse-Aufteilung. Die Vorspeisen: auch durchwegs sehr gut. Kann man empfehlen – durchaus. Richtig gut sind auch die Suppentöpfe. Preisleistung ist OK – etwas im oberen Segment. Der Slowdude sagt 6 von 10 Punkten – die 4 Punkte minus haben die Architekten zu verantworten.

Goldene Pagode:
Auch hier gleich zum Ambiente. Hier wird geliefert, was wir von einem Chinarestaurant erwarten – nicht cool und schick, aber auch nicht shabby. Wer auf Interieurdesign wert legt, ist hier fehl am Platz – aber es ist durchaus gemütlich. Und: Die Goldene Pagode ist das Chinarestaurant mit Wirt. Denny Lau wandelt charmant von Tisch zu Tisch, begrüßt Stammgäste persönlich und unterstützt sein Personal. Das wünscht sich der Slowdude – Wirtinnen und Wirte, die präsent sind. Zur Kost: eine unüberschaubare Speisekarte, viele Gerichte – manche im Original, manche europäisiert. Und das Surplus – was der Slowdude super findet – viele Gerichte mit Bio-Zutaten aus der Region. Getestet wurde das Bio-Ochsenfleisch aus dem Mittagsangebot: Ein Gedicht! Ein wunderbares Gericht mit feiner Ingwernote. Der Slowdude sagt 9 von 10 Punkten. Abzug nur für die Rauchergruppen an der Bar, die einem das Essen verleiden können.

Kim San:
Ein Chinarestaurant wie aus meiner Kindheit. Deko wie damals. Eine Systemgastro-Standardbuffettheke gepaart mit den Gewölbebögen schaffen ein besonders eigenartiges Ambiente und eine strange Akustik. Und fast Unsichtbarkeit – was positiv als auch negativ ist. Möchte man sein Ruhe – ein Traum. Hat man Durst – ein Albtraum. Zum Essen: Im Test war das Mittagsbuffet – allyoucaneat auf Flatrate. Preisgünstig. Wenn man satt werden möchte und keine kulinarischen Feinheiten erwartet, durchaus vertretbar. Das knusprige Huhn mit Knoblauchsauce ist selbst nach der Warmhaltebehandlung noch richtig gut – einzig der Reis befindet sich schon auf dem Weg in einen eher zähflüssigen Aggregatzustand. Der Slowdude sagt 7 von 10 Punkten. 3 minus für den Reis. Eigentlich ganz gutes Essen zum fairen Preis.

Na, was sagt ihr? Ich habe mich bemüht und versucht, ernsthaft Ambiente und Küche zu bewerten. Das mache ich nie wieder. Ab sofort kommen vom Slowdude nur mehr absolut subjektive Beobachtungen und skurrile oder wirklich tip-top kulinarische Entdeckungen.

Kommentare, Hinweise und Tipps via E-Mail an slowdude@gmx.at.

Euer
Slow Dude

Keine will mehr.

Als im Zuge der Grippewelle in den letzten Wochen deutlich wurde, dass in Wien an den Wochenenden kaum Kinderärztinnen aufzutreiben sind, wurde ein Experte zur Sachlage interviewt. Der meinte an diesem Tag im Radio wiederkehrend und eher lakonisch, man habe es halt mit einer Generation von Ärztinnen zu tun, die auf ihre „Work-Life-Balance“ achteten. Und die Wochenendarbeit als etwas Unangenehmes betrachteten. Aber dass man die Attraktivität der längeren – also auch Wochenendarbeitszeiten – durch höhere Bezahlung steigern könnte. Das klingt eklig. Angesichts der vielen Menschen, die sich einen Dreck um ihre Work-Life-Balance kümmern können, von Logistikarbeiterinnen bei Amazon ganz zu schweigen. Am gleichen Tag erfuhr ich, dass der deutsche Vizekanzler sich ein paar Tage frei nimmt, weil seine Tochter erkrankt ist. Am Freitag kämen die Großeltern. Das klingt nur im ersten Moment schön, hemdsärmelig und rührend; im zweiten Moment ist es ebenso eklig, denn es macht nur deutlich, wie groß mittlerweile der Gap ist zwischen Menschen, die sich aussuchen können, wann sie wo zu welchen Bedingungen arbeiten und jenen, die sich aus dem Prekariat fliegend in ein neues Proletariat entwickeln: Sie können von ihren Jobs weder leben noch sind sie rechtlich abgesichert, einzig der Konzern profitiert von ihrer Arbeitsleistung. Bemerkenswert dabei ist die Menge an Büchern, die man zu diesem Thema bei Amazon bestellen kann. Das Leben, die alte Ironie-Bitch.

Während sich also Ärztinnen nach einem freien Wochenende und der deutsche Vizekanzler nach ein paar Tagen mit seiner kranken Tochter sehnen, arbeiten sich zum Beispiel und vor allem Handelsangestellte buckelig, viele mit der Gewissheit, dass ein krankes Kind zu Hause zwar wartet, die eine Woche Pflegefreistellung, die der Kollektivvertrag pro Jahr vorsieht, aber ausgeschöpft ist. Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Ich finde es großartig, wenn auch männliche Arbeitnehmer vorleben, dass Sich-frei-Nehmen, um ein Kind zu pflegen etwas absolut Normales ist. Ich bin ein absoluter Fan von Menschen, die für sich entscheiden, dass Arbeit nicht alles ist, kein Sinnersatz, und Geld niemals das ersetzen kann, was an Zeit verloren geht. Allerdings muss diese Diskussion dann für alle Berufe und Tätigen geführt werden und es sollen alle von der Diskussion profitieren. Und das ist derzeit nicht der Fall. Ich erinnere an die jeweiligen kritischen öffentlichen Statements und Interviews, wenn von längeren Arbeitszeiten und Sonntagsöffnungszeiten, im Handel etwa, die Rede ist: … und gerne auch an die Aufschreie seitens der Verantwortlichen, als die verheerenden Arbeitsbedingungen bei Amazon ruchbar wurden: …

Genau, es gibt sie nicht. Ich stellte mir also vor, dass beim nächsten „Vorschlag“, Angestellte doch länger und öfter im Geschäft oder im Lager arbeiten zu lassen, eine der Vertreterinnen der Handelsangestellten aufsteht und sagt: Das geht nicht, das bringt meine Work-Life-Balance aus dem Gleichgewicht, und wenn, dann brauchen wir finanzielle Anreize, um den Wochenenddienst an der Kassa und im Lager attraktiver zu machen, bitte schön.

Es wird wohl nicht passieren. Und deshalb sollten auch Ärztinnen und Politikerinnen sich aktuell vielleicht weniger um ihre Work-Life-Balance kümmern als um das Recht für Alle zu sagen: Ich will nicht mehr.

Die Kapu und andere mindere Brüder.

Gestern in der neuen Kapu-Bar. Wir sind seit dem Umbau zum ersten Mal dort, stellen fest, es schaut ein bisschen aus wie das Cafe Strom, wegen des Bodens, wegen der Holzmöbel, was weiß ich wegen was. Stell dir vor, es wären noch Pflanzen an der Decke, sagt eine von uns. Oder es wäre, wie im Cafe Strom, die Boltzmannformel an die Wand geschrieben (nur Insider wissen, dass es sich bei S = k log W um das geheime Betriebssystem der Stadtwerkstatt handelt). Das bringt uns mit ein paar Gedankensprüngen weiter auf die Idee: Überhaupt, wenn die Kapu-Bar eins zu eins dem Cafe Strom nachgebildet wäre, das wär’s eigentlich gewesen. Im Gleichen mal was komplett anderes kreieren! Und why not, es gibt immerhin den Künstler Thomas Demand, der aus der Erinnerung oder nach Fotografien Szenerien oder Orte im Original nachbaut, stellen wir fest.

Thomas Demand ist leider nicht für eine Befragung anwesend, dafür kommt der Sänger von Valina herein, und er stellt bei seinem Valina-Abschiedskonzert-Auftritt drei Tage später indirekt übrigens auch eine Verbindung zwischen den Lokalen her, indem er seine Lieblingsclubs der Stadt benennt, Stadtwerkstatt und Kapu – und wir sehen das, kurz gefasst, auf die Bars der beiden Häuser umgelegt, und falls Zweifel aufgetaucht sind, sowieso auch: Strom ist super, Kapu-Bar ist super. Und auch eh ganz anders, ja! – damit der Zeitsprung zurück zu diesem Abend. Die nächste, nennen wir es nassforsch: Celebrity, die an diesem Abend noch dazu unsere Nähe sucht: der gutgelaunte CEO vom NEXTCOMIC Festival. Um nicht vom Ewigselben des Ewiggestrigen zu reden, und weil es um die Nachbarschaften der Kapu geht, legen wir unseren Gesprächsfokus aber nicht auf den einen Nachbarn der Kapu, die Burschenschaft, sondern auf den anderen Nachbarn: die Kapuzinerkirche. Auch mal was anderes.

Wir erfahren Wunderliches: Die Innereien eines adeligen Theoretikers der Kriegskunst in der Gruft, mal ein black gospel chor, Flüchtlingsunterkunft im dazugehörigen Gebäude schon lange. Und dann erzählt der jetzt kopfschüttelnde Comicmann über die minderen Brüder der Kapuziner selbst, dass sie in ihrer traurigen Bescheidenheit nicht einmal zu merken scheinen, dass ihre Kirchturmuhr stehen geblieben ist. Was das für eine Kirche sein soll, die so etwas nicht bemerken will … eine Institution, die einst das Monopol auf die Zeit hatte, ergänzen und wiederholen wir eindringlich, will nicht bemerken, dass ihre Uhr stehen geblieben ist. Und er wieder: „Die Uhren bleiben stehen, die Bäume gehen ein, die Bienen suchen sich ein neues Volk, wirklich traurig“. Er oder die Kapu haben deshalb schon länger vor, den Brüdern einen Bausatz für eine Digitaluhr am Kirchenturm vor die Tür zu legen, sagt er! Ein schönes Projektvorhaben, auf jeden Fall wären wir für die Digitaluhr-Anzeige am Kirchenturm, bekräftigen wir! Wir kaprizieren uns auf die Frage, dass es interessant wäre zu wissen, wann genau diese Kirchturmuhr stehen geblieben ist, denn: Es stellt sich außerdem die viel radikalerer Frage, ob dieses Ignorieren der Zeit vielleicht nicht Verweigerung, stiller Protest der minderen Brüder zum Fortschritt selbst sei – denn das sichtbare Anbringen von Uhren auf weltlichen Gebäuden galt besonders in den dynamischen Zeiten der 1920er Jahre da oder dort als Zeichen für Fortschritt. Deshalb, um die neue Zeit und den Protest umfassender und aktueller einzuleiten, raten wir dann gleich zur Atomuhr, mit Digitalanzeige am Turm. Vielleicht bringt das ja besseren Fortschritt als den, der nach den 20er Jahren kam. Wir verzetteln uns etwas in allgemeineren Fragen zu Atomuhren, Relativität und Zeitsprüngen (zeitdilatations- und massenkontraktionsfrei? Superposition? Zuviel Mensch im technischen System?) um beim Hinausgehen aus der Kapu-Bar zu bemerken, dass die Kapuzinerbrüder zumindest nicht für billige Scherze zu haben sind – denn ihre Uhr steht immerhin nicht auf fünf vor zwölf, sondern ganz kryptisch genau auf Zwölf: Alpha gleich Omega, Anfang gleich Ende.

Wir warten also auf die Digitaluhr am Kirchenturm – als Kooperationsprojekt von Kapu und Kapuzinerkirche. Tourismusverwertbar, winwinwinwinwinwinwinwin-Situation garantiert. Oder auf eine neue Zeit. Oder konkreter: auf das NEXTCOMIC Festival, das unter anderem im März in der Kapu gespielt wird.

 

Gewinnfrage: Wer sind die beiden namenlosen Größen in der Kapu-Bar?
Namen mit dem Betreff „Kapu-Bar-Celebrities“ an diereferentin@servus.at schicken. Die ersten beiden ZusenderInnen gewinnen mit der richtigen Antwort je 25 Giblinge.

Ich bin müde.

Und, nein, es liegt nicht am warmen Wetter. Ich bin einfach nur so wie derzeit viele Menschen rund um mich müde. Alle schleichen wir mit dem gleichen erschöpften Gesicht um die Ecken, schauen uns an, lächeln und versinken wieder im reinen Funktionsmodus. Weil wir zu viel arbeiten? Oder auch ‚nur‘ beschäftigt sind? All die Großartigen da draußen, die seit Wochen an den Grenzen und an Bahnhöfen daran arbeiten, dass Geflüchtete nicht in der Kälte schlafen müssen. Das ist definitiv Arbeit, die geleistet wird. Arbeit, die jene auffängt, die Politiker_innen zu wenig wert sind. Auch Menschen wie A. arbeiten seit Wochen in Österreich. Der syrische Englischlehrer dolmetscht. Natürlich unentgeltlich. Weil er als Asylwerber nichts verdienen darf. Arbeiten schon. Obwohl viele wie ich bereit wären, ihn für seine Dolmetsch-Dienste zu bezahlen. Und er so dadurch eigenes Geld verdienen könnte. Unser Konzept von Arbeit & Asyl ist fürchterlich dumm. Im Zuge einer Diskussion über die unterschiedlichen Arbeitskonzepte und -begriffe in Österreich, erklärte kürzlich eine Bekannte eben jenem syrischen Lehrer den Begriff „Freiberuflichkeit“: „Weißt du, als Freiberufliche, da arbeitest du immer, bist niemals krank, und hast keinen Urlaub. Was nicht heißt, dass du nicht viel reist. Aber es ist kein Urlaub, es ist Arbeit. Freunde, die angestellt sind allerdings meinen, dass du ja eh nur dann arbeitest, wenn du Lust hast und die übrige Zeit unterwegs bist. Daran musst du dich gewöhnen. Krank sein kannst du dir nicht leisten, deshalb bist es auch nicht. Am Jahresende zahlst du einen Teil dessen was du verdient hast, an die SVA und einen anderen ans Finanzamt. Und dann fragst du dich, wo der Rest geblieben ist.“ Ich war erschüttert. Einerseits darüber, dass diese Beschreibung einem Asylwerber gegeben wird, dessen Situation an sich nicht gerade von einem Übermaß an Hoffnung geprägt ist; andererseits, und damit zurück zum Thema Arbeit und Müdigkeit, darüber, wie präzise sie 25 Jahre auch meiner Arbeitsrealität beschrieb. Mit luxuriösen Unterbrechungen wie ein echter Angestelltenvertrag inklusive Überstundenpauschale oder hybriden Ergänzungen wie die 14 Jahre als „ständige freie Mitarbeiterin“, mit deren Hilfe sich ein großes Medienunternehmen den Luxus gönnte, zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbare Journalistinnen zu sozialversicherungstechnisch (für das Unternehmen) besonders günstigen Konditionen am Werken zu halten. Da waren wir irgendwie angestellt und irgendwie doch nicht. Am 8. Dezember jedenfalls galten wir nie als Angestellte, wodurch es alljährlich zu durchaus von Sarkasmus geprägten Gesprächen kam, wer von uns „ständigen Freien“ wohl heuer die dienstgeberschonende Reportage über die Rechte von Handelsangestellten machen würde. Vorboten von Praxen, wie sie sich im Kultur- und Medienbereich etablieren. Da überbieten sich aktuell die Geschäftsführungen dabei, Konstrukte zu erfinden, um den Kostenfaktor Mitarbeiter_in – völlig egal, ob angestellt oder freiberuflich tätig – loszuwerden: am unelegantesten natürlich, indem man versierte Mitarbeiter_innen gegen Praktikant_innen ersetzt. Andere Strategien sind „Änderungskündigungen“, mithilfe derer Journalist_innen mit vielen Dienstjahren, guten Verträgen und ebensolchen Aussichten auf Pensionen und Abfertigungen wieder „günstiger gemacht werden“. Nicht alle akzeptieren dankenswerter Weise diese Praxis und so wechselten in den vergangenen Monaten etliche renommierte Kulturredakteur_innen in Österreich Medium oder Branche. Nicht alle aber haben die Chance zu wechseln. Sie akzeptieren also die Ketten-Verträge, die Kürzungen, die Golden Handshakes und (Alters-)Teilzeit „Angebote“, ganz einfach weil sie Angst haben. Angst aber ist klarerweise das Gegenteil von freier, mutiger und diskursfreudiger Kultur(politik)berichterstattung. Und genauso schaut die Medienlandschaft in Oberösterreich derzeit auch aus. Keep them busy. Beschäftigt halten mit Existenzängsten, unabhängig ob mit den eigenen oder jenen anderer. Das betrifft Kultur- und Medienarbeiter_innen zurzeit ebenso wie Sozialarbeiter_innen und die vielen Freiwilligen. Wir tun dahin, wir halten alles am Laufen, wir hinterfragen wenig. Dafür sind wir mittlerweile ohnehin viel zu müde.

Kulinarische Scharmützel eines professionellen Dilettanten

So. Ich oute mich als Gastro-Konservativer. Also nicht komplett – aber ein bisschen. Mich selbst als Konservativen – egal in welchem Kontext – zu beschimpfen fällt mir nicht leicht. Aber es kommt soweit. Der mutige Plan war es, den geneigten Lesern ein Best-Off der innerstädischen Fleischlaberlkultur zu präsentieren. Nicht ein oder zwei Adressen, sondern in Listenform aufbereitet und als visueller Leckerbissen mit einer fleischfärbigen Infografik hinterlegt. Quasi die Haute-Route durchs fleischfressende Linz ohne Rücksicht auf Gluten, Laktose oder Sellerie. Nach eingehender Recherche bieten im Testzeitraum keine Wiazhäuser im Bereich der Hauptplatzes Fleischlaberln in der Mittags- oder Speisekarte an. Stattdessen im Angebot: Halbfertig-Orgien in den Gastrostätten von Lentos und AEC und Entsetzliches am Beginn der Landstraße. Klebrige Donuts und ranzige Aschanti. Überall grinst einen der bayrische „Promikoch“ mit basedowscher Fresse an und verspricht magische Momente. Wieder einmal entmutigt und an der Grenze zur Verzweiflung begebe ich mich auf die Suche nach einer Ersatzbefriedigung und finde eine neue Mission: Der große Würstelstandtest. Vor meinem inneren Auge wieder eine wunderschöne Infografik mit Stadtkarte und in niedliche Grafiken umgeformte Käsekrainer oder Leberkässemmeln. Ich beginne eine Liste – und komme nach kurzer Zeit zur Erkenntnis – die gibt es alle nicht mehr! Nur mehr der Warme Hans und die Stände am Schillerpark und Taubenmarkt sind geblieben – ausgenommen von ein paar Satelliten am Wissensturm, in Auhof und an der Peripherie. Aber wo sind die innerstädtischen Würstelstände nur hingekommen? Der Klassiker nach einem Parkbadbesuch, die schnelle Frankfurter am Weg nach Wilhering an der Donaulände und die Möglichkeit zur Wurst am Hinsenkampplatz. Da fällt es mit wieder ein – stadtbekannt – es war die persönliche Mission des Altbürgermeisters, die störenden Hütten aus dem Weg zu räumen. Man munkelt ja auch, dass der Neubau des Parkbads nur eine Alibiaktion war … Der eigentliche Grund: Die Würstelstandentfernung. Ein paar Jahre später wird mittels Foodtrucks und daran angehängten Festivals probiert, die klaffenden Lücken zu schließen. Wunderbar. Ich merke aber schon selbst, ich komme nicht zum Punkt – meine eigentliche Mission stockt. Versprochen das nächste Mal: Der große China-Restaurant-Rund-um-Check. Das soll­te es keine gröberen Probleme geben. Daumen halten!

Kommentare, Hinweise und Tipps via E-Mail an slowdude@gmx.at.

Euer
Slow Dude

Zu Weihnachten.

Gestern Abend in einer Bar merkt meine Freundin an, dass es nicht die großen Sätze des Orakels von Delphi – worüber sie gerade lese –, seien, die sie interessieren, etwa das Erkenne dich selbst. Sondern vielmehr fasziniere sie der kleine, unscheinbare, quasi ganz unten in den Stein gerotzte letzte Spruch des Orakels, der da angeblich hieß: Die meisten sind schlecht. Ich denke: Wie schön ist das denn, so einfach, so klar. Die meisten sind schlecht. Ich setze das Zitat ein paar Mal an diesem Abend als Kommentar ans Ende einer Erzählung, was erstaunlicherweise jedesmal wieder amüsant ist. Währenddessen weht es immer wieder Leute ins Lokal, und sie rennen danach wieder raus aufs nasse, schwarze Kopfsteinpflaster. Hier in der Stadt ist gerade so genannter Altstadtbrennpunkt. So wird das zurzeit zumindest kolportiert. Nicht nur wegen der Gepflogenheiten auf dem Pflaster draußen – das auch. Gentrifizierungsprozess in vollem Gange. Aber besonders wegen des Lokals, in dem wir sitzen, ein von interessierten Kreisen so bezeichnetes Krisenlokal, Schandfleck und Sicherheitslücke in einem, in der die Stimmung aber gerade richtig gut ist. Wir reden ein wenig über die Veranstaltung, die wir zuvor besucht haben, in der es um die Abschaffung des Todes ging: Wir machen uns darüber lustig. Wie die meisten machen wir uns gerne lustig über etwas, auch wenn dieses Lustigmachen selbst offensichtlich lächerlich ist.

Dann kommt W von draußen rein. Er ist so ein Nachtlebenmensch, den ich vom Sehen kenne. Beziehungsweise haben wir, über die Jahre, auch schon einige Male miteinander geredet. Er steuert auf mich zu, reicht mir freundlich die Hand zum Gruß und fragt mich freudestrahlend mitten in der Nacht, in der Bar: ob ich einen Apfel möchte? Er hat ihn schon ausgepackt und überreicht ihn mir. Ein paar Leute im Lokal schauen schief. Aber meine Freundin will auch einen. Das gefällt ihm und er sagt: „Das ist ja schöner als ich mir das vorgestellt habe“. Er ist wieder draußen bei der Tür, und ich bin wirklich kurz erstaunt.

Unmittelbar danach wird quer durchs Lokal mit voller Wucht ein Glas in die Ecke gedroschen. Es zersplittert in alle Richtungen. Ein Typ in Military-Hosen rennt wütend hinaus. Es ist kurz ruhig an der Bar vor uns, erschrockenes Luftanhalten. Dann beginnen die Vögelchen an der Bar wieder zu zwitschern, als sie merken, dass der Mann nicht zurückkommt. Die Typen nehmen erleichtert einen Schluck. Es fällt der erste Schmäh auf den Lokalboden. Wieder den Mund zu einem Lächeln verziehen, denn, wenn’s dann schon mal passt, sind die meisten schon recht lässig. Auch wir machen weiter, nun eine jede mit einem Apfel vor sich auf dem Tisch. Ein liebestoller Mann fühlt sich magisch angezogen, vielleicht wegen der beiden Äpfel, und drängt sich an den Tisch, stülpt sich mit einem Blick über uns und erzählt vom armen Freund. Traumatisiert, denken meine Freundin und ich, aber er selbst wolle „nur Liebe, nur Liebe, Liebe, Liebe“. Das geht aber trotzdem nicht und meine Freundin bellt ihn weg.

Viel später verabschieden wir uns – nächtlicher Hauptplatz, aufziehender Sturm. Ich gehe heim und berühre den Apfel in der Manteltasche. Ich denke an W. W ist so ein Typ, bei dem Leute schon mal den Kopf abwenden, wenn er kommt. Was ihm aber nicht groß was auszumachen scheint. Als ich über den stürmischen Platz gehe, fällt mir die Geschichte mit seiner Exfreundin ein, die er mir einmal erzählt hat: Vor vielen Jahren hatte ihn diese Frau nach Strich und Faden betrogen. Nicht nur in allen Facetten betrogen und belogen, sondern auch komplett ausgenommen, verarscht und so weiter. Sie war dann plötzlich auf Jahre verschwunden, er beim Erzählen noch immer fassungslos. Er hat sie dann plötzlich und zufällig am Hauptplatz an einem strahlend schönen Tag wiedergesehen, sozusagen erwischt und sofort zur Rede gestellt wegen des Betrugs, der Verarsche, des Geldes. Sie hat ihn ausgelacht. Am Ende hat er ihr mitten am Platz eine runtergehaut. Und wurde dabei beobachtet. Seitdem, wie er mir erzählt hat, bekommt er jedes Mal von einem, ihm bis zu diesem Ereignis völlig unbekannt gewesenen, aber ihm mittlerweile schmerzhaft vertrauten Typen jedesmal eine runtergehaut, wenn dieser ihn sieht – als unverzeihliche Erinnerung daran, dass er eine Frau geschlagen hat. Soviel zu den meisten guten und schlechten Taten. Aber das ist gar nicht der Punkt der Sache. Denn erzählt hat mir W diese Geschichte einmal kurz nach Weihnachten, vor vielen Jahren, auch in der Altstadt. Ich habe ihn gefragt, warum er so mitgenommen aussieht, verletzt und mit einem Verband am Kopf. Ich erfahre in diesem Zusammenhang von der Watschengeschichte – und dass der Racheengel ihn am Weihnachtstag wieder einmal erwischt hat. Darüber hat er sich aber gar nicht beklagt. Sondern mit großem Staunen von der Taxifahrerin erzählt, die ihn anschließend ins Allgemeine Krankenhaus gebracht hat. Und die nach Stunden, an diesem Weihnachtstag, als er fertig war und wieder draußen aus dem Gebäude, immer noch auf ihn gewartet hat. Mehrmals hat er mich erstaunt aufgefordert mir vorzustellen: dass diese Taxifahrerin stundenlang auf ihn gewartet habe. Und ihn dann einfach so nach Hause gebracht hat.
Ich vermute, dass W auch irgendwie weiß, dass man nicht davon ausgehen kann, dass die meisten besonders gut sind.

Vom freien Arbeiten und den immer gleichen Strukturen.

WORK B**CH
Eine Arbeitskolumne von Wiltrud Hackl

Die Beschreibung einer Situation aus der Situation heraus ist ein schwieriges Unterfangen. Möchtest du dir die Arbeit machen, über Arbeit zu schreiben? war die Frage. Aber klar doch, die im Nachhinein betrachtet hoffentlich nicht vorschnelle Antwort. Immerhin gehöre ich als eine, die mit immaterieller Arbeit Geld verdient und das in atypischen Verhältnissen, zu einer Gruppe von Arbeiterinnen, die seit Jahren ohnehin ausführlich beschrieben wird. Von innen wie von außen. Ohne allerdings, dass sich deshalb an den Rahmenbedingungen viel geändert hätte.

Fallen wir eigentlich noch auf, machen wir uns noch bemerkbar oder haben wir uns arrangiert mit der Situation und akzeptieren befristete Ver­träge, unklare Arbeitsbedingungen, schaufeln uns von einem Projekt und einem Versicherungsloch zum anderen – weil wir doch ohnehin so gut im Organisieren sind? Betonen wir wei­ter­hin, dass unsere Arbeitsentwürfe frei gewählt sind, einer notwendigen, kritischen Verweigerungshaltung entspringen, und sich durch Selbst­bestimmung und hohe Ansprüche an unser eigenes Arbeitsverhalten im Kontext vorgegebener Strukturen auszeichnen? Oder riecht das mittlerweile nach Selbstbetrug? Fakt ist, und das für viele von uns: Egal wie viel wir arbeiten (und eigentlich tun wir das ständig, weil wir es uns anders gar nicht leisten können), an ein längerfristiges existenzsicherndes Einkommen glaubt wohl keine mehr.

Unsere Arbeitsleben sind geprägt von Entwürfen, deren Prämissen Unabhängigkeit und Flexibilität sind. Als einziges stabiles Element woll­ten und wollen wir es sein, die sich in diesem Fluss an Herausforderungen bewähren: wachsen, aber doch die gleichen, kompromisslosen Neugierigen bleiben. Wir sind vielleicht und sehr polemisch ausgedrückt jene Luxuswesen, für die der Begriff Prekariat erst erfunden wurde. Refuse to Choose, bloß nicht festlegen, nicht einordnen, nicht langweilen lassen. Wir waren und sind die, die lieber selbst erfinden – sich selbst und am besten gleich noch die dazugehörigen Strukturen. Und dass diese Strukturen sich ändern würden, davon waren wir überzeugt.

Aber wann zur Hölle haben wir deshalb auf jede Form von existentieller Absicherung verzichtet? Überlegungen wie die oben beschriebenen machten irgendwann tatsächlich Sinn und ließen sich ein Stück weit und an guten Tagen leben. Mit Honoraren, die dem Ausmaß der geleisteten Stunden und dem Aufwand an Arbeit gerecht wurden. Die Ausgangssituation war schließlich gar nicht übel: Wir wurden in einer Zeit sozialisiert, in der eine gescheite Bildungs- und Gesellschaftspolitik als notwendig empfunden wurde. Experimentieren und Scheitern hielt man vor knapp vier Jahrzehnten hierzulande nicht nur für etwas Positives, es wurde nachgerade erwartet. In unserer Generation waren Erwartungen, was Modernität, Flexibilität und kreatives Denken betraf, gebündelt. Lifelong Learning hieß eine der Karotten, mit der man uns am Laufen hielt. Und unter Karriere verstanden wir höchstens eine Fixanstellung zu Bedingungen, die den Willen zum kritischen, flexiblen Arbeiten und Denken ausreichend entlohnen würde. Arbeitsmarkt und Arbeitsbedingungen, die würden sich schon weiterentwickeln. Wir hatten ja keine Ahnung.

Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht, die sind – so müssen wir erkennen – ebenso dröge und schwerfällig wie die Langeweile, vor der uns stets graute. An­stelle von neuen, intelligenten Arbeitsbedingungen, in denen alle für ihre Arbeit ein gleichwertiges, existenzsicherndes Auskommen finden, treten Termini wie Ich AG und freie Dienst­nehmerinnen oder – als aktuellster, wenn auch gar nicht mehr neuer Coup des Kapitalismus – Kreativwirtschaft: Wer verinnerlicht, dass jedes Wissen und Talent ökonomisiert und kommerzialisiert werden könne und Erfolg sich ganz allein auf die Bereitschaft zur Selbstausbeutung begründet, fragt schließlich nicht länger nach arbeitsrechtlichen Bedingungen.

Neu in Linz.

LOKALE LOKALE
Fortgehen mit der Neuen Beverly

Ich bekomme als neu gemeldete Bürgerin der Stadt Linz ein Gutscheinheft für städtische Einrichtungen und beschließe, den Bädergutschein einzulösen, sitze wenig später in einer Wärmekabine. Der Mann gegenüber beginnt ein Gespräch darüber, dass heute „wenig los“ ist. Drei Frauen kommen rein, zuerst stilles Schauen, dann er zu einer der Frauen: „Ich war schon sieben Mal auf Kur, das Herz!“. Gefühlter Stolz. Eine Frau verlässt die Kabine. Er sagt auf einmal: „Die Dame hat gar nicht geschwitzt.“ Plötz­liche Hinwendung zu mir: „Schwitzen Sie?“. Alle Blicke auf mir.

Kurz später bin ich draußen aus der Kabine und bewege mich durch die Becken. Heute hat das hier etwas von der Stimmung eines Sanatoriums. Im warmen Was­ser sitzen Leute, die Erholung brauchen, Burnout-Rekonvaleszente und Arbeitsrückkehrer. Ich fange im Sprudelbecken für einen Moment den Blick eines Mannes auf, der starr und mit hochgeklebtem Augenlid ins Leere schaut, das Bild bleibt hängen. Er kommt mir wie eine stille und zugerichtete Figur vor. Die notdürftig zusammengeflickte Menschenhaufenwirklichkeit als Beibild zur Weltillusion. Das Wasserbecken als zynische Regenerationszone der brutalen Welt da draußen. Etwas später, auf dem Weg in den Ruhebereich begegne ich wieder dem herzkranken Connaisseur, der mit seinem ununterbrochenen und lautstarken Reden so tut, als ob er hier alleine zuhause wäre. Und weil er auch mit den Angestellten ausführlich über Außerirdische wie A. Gabalier, J. Hees­ters oder E. A. von Hannover diskutiert, stelle ich fest, dass er tatsächlich hier zuhause ist, im Gegensatz zu mir, die ich hier nur meinen werbemäßig versprochenen „Wellness-Kurzurlaub“ ver­bringe. Als es um den Geruch der dazu­kom­menden Ehefrau geht, wird es kurz indiskret, denn sie stellt richtig, dass sie sicher nicht fischle, denn sie habe Hühnerbrust gegessen.

Am späten Nachmittag auf dem Weg zur Donau werde ich von einem Mann angesprochen, den ich nicht sehr gut verstehe, der aber 300 Euro braucht, um nicht am selben Abend delogiert zu werden – die Caritas habe ihm nur einen kleinen Betrag gegeben. Als ich ihm auf die vorgeschlagenen 100 Euro zwei Euro geben will, beginnt er zu weinen und sagt: „Bitte, liebe Frau, wenigstens 10 Euro“. Ich rede am Abend mit einer Freundin darüber. Wir sitzen in einer Bar und sie erinnert sich, dass ihr etwas Ähnliches passiert ist und wir rätseln, ob das auch tatsächlich derselbe Mann gewesen sein könnte. Beiden ist uns schon passiert, dass bei Unzufriedenheit über den gegebenen Betrag laut geschimpft wurde. Zuerst Weinen und dann plötzlich Wut … und wir verstehen es ja. Vor allem wenn es um Differenzen von zwei zu 100 Euro geht. Wir fühlen uns beide hilflos. Im Aquarium spricht uns dann ein kleiner knorriger Typ an und schimpft los. Wortbrocken und Satzteile machen langsam Sinn. Er empört sich über so einiges und fasst dann zusammen: „Überall auf der Welt erleben Menschen schlimme Sachen, Katastrophen, Kriege, Flucht, wirklich schlimme Sachen, aber hier in Europa glau­ben die Leute, es sei hart, den Jakobsweg zu gehen“. Nach­satz, be­vor er abzieht: „Europäer sind solche Idioten“. Wir sehen ihm nach. Plötzlich changiert das Empfinden. Ich bemerke, dass die zehn Euro, die ich am Nachmittag hergegeben habe, die zehn Euro waren, die ich mit meinem Gutscheinheft für Neubürgerinnen beim Eintritt ins Bad gespart habe. Mein Neusein in der Stadt ist übrigens relativ, ich arbeite und lebe hier schon seit Jahren, war nur nicht gemeldet. Mein erster offizieller Tag als Linzerin hingegen, das sage ich zu meiner Freundin: Gutsein auf Gutschein. Das sage ich nochmal und rufe es schon fast ins Lokal hinein: Gutsein auf Gutschein! Immerhin ist die Ersparnis wieder weg, das sage ich dann auch noch meiner Freundin: Ich bleibe somit der Stadt nichts schuldig. Wenigstens das. Und ich sage noch: Gut so! Als ob irgendetwas gut wäre.

Kulinarische Scharmützel eines professionellen Dilettanten

DON’T DISS THE COOK
by The Slow Dude

Zum Einstand: Linz als kulinarische Wüste zu bezeichnen ist etwas übertrieben, aber dennoch nicht ganz von der Hand zu weisen – sinnbildliche Illustration dieser trockenen Geschichte ist die weltberühmte Linzer Torte. Während in vielen vergleichbaren europäischen Städten regional produzierte, intelligente Küche auf dem Vormarsch ist, begnügt sich Linz wie so oft (und nicht nur kulinarisch) mit der Zweitverwertung von pseudo-zeitgeistigen Trends. Donut-Buden dort und da, Pulled-Pork-Trucks vor dem Architekturjuwel Brucknerhaus und Fast-Food-Ketten, die rund ums Schmidttor mit Italo-Kulisse die Massen abspeisen. Und die paar Wirtshäuser, die sich ein Make-over gönnen können, kommen über die kreative Neubenennung oder die Verballhornung des Wortes Wirtshaus oft nicht hinaus. Wia’zHaus. Wo sind die KöchInnen mit weißer Schürze und Kochhaube? Oder gibt es nur noch unterarmtätowierte Gastro-Hipster, die mit schwarzen Latexhandschuhen in Fleischfasern wühlen? So sitzen wir deprimiert im Gastgarten des Fischerhäusls vor einer Schiffsattrappe an der Urfahraner Donaulände und trinken Heineken-Bier. Das ist es. Oder? Nein. Es gibt viele hervorragende GastronomInnen, die mit Einsatz, Wissen und Engagement ihre neuen Stätten betreiben und in den letzten Jahren durchaus das Niveau der Stadt in gastronomischer Sicht deutlich heben konnten; oder deren traditionelles Wirken weiterhin Bestand hat und auch für die Zukunft gesichert werden konnte: So verfügt Linz – auch ohne geifernd eventisierte Streetfood-Inszenierung – über eine stattliche Auswahl an Wüstelständen, Imbissbuden und Essen-für-Unterwegs-Institutionen, die es nirgends anders in dieser Form gibt und die nur in Linz authentisch funktionieren. „Der Leberkäs-Peppi“, der „Warme Hans“, Jindraks belegte Brötchen und Steckerl-Fisch beim Hollaberer sind nur einige Orte der autochtonen Linzer Gastlichkeit. Nicht alles Bio, nicht alles High-End, aber alles „im Original“.

Die kleine Reihe „DON’T DISS THE COOK“ widmet sich in den nächsten Kolumnen speziellen Linzer-Gastronomie-Besonderheiten oder Skandalen und beurteilt diese möglichst subjektiv. Also, der Slow Dude kommt langsam in die Gänge und meint: „Pulled Pork“ für’n Arsch, her mit dem Leberkäs!

Kommentare, Hinweise und Tipps via E-Mail an slowdude@gmx.at.

Euer
Slow Dude