Fahrt doch zur Hölle, ihr Fleißigen!
Ja, das war arschknapp und nein, das Land ist nicht gespalten – ideologisch bedingte binäre Verhältnisse haben ja auch niemanden gestört als es noch nicht blau/grün sondern schwarz/rot hieß, oder? Das knappe Ergebnis für Van der Bellen hat mich keineswegs mit diesem Land versöhnt – immerhin wurde deutlich, dass 50 Prozent einen Mann mit deutschnationalem Bekenntnis als Bundespräsident Österreichs sehen wollen. Pervers irgendwie. So knapp und kurz – so wenig gut. Österreich ist sehr eigenartig, und das mittlerweile nicht mehr nur bei näherer Betrachtung: Wie sonst ist zu erklären, dass eine Partei, die längst und in weiten Teilen des Landes Teil des Establishments ist, bei Wahlen mit dem Kampf gegen das Establishment, also gegen sich selbst reüssiert. Und während Anhänger dieser Partei in sozialen Medien sich für Moderatorinnen, die es wagen ihrer Arbeit nachzugehen – also Fragen zu stellen und Interviews zu führen – wünschen, vergewaltigt zu werden, erschießt ein amtsbekannter Neonazi am Wahlwochenende einige Menschen, ohne dass sich groß jemanden darüber erregt, dass amtsbekannte Neonazis ungehinderten Zugang zu Waffen haben. Ein wirklich eigenartiges Land, wobei einem Land ohne Meerzugang ja grundsätzlich zu misstrauen ist, Binnenländerinnen fehlt einfach die Gewissheit, dass die Sonne jeden Abend im Meer versinkt und die Vorstellungskraft, dass sich am Horizont etwas anderes auftun kann als das, was man kennt. Phantasielosigkeit, Fleiß, Strebsamkeit sind die herausstechenden Merkmale vieler Menschen hier, Drögheit und Langweile die selbstgestrickten Mäntel, die in langen Winternächten wärmen. Ein Land, das zunehmend und nicht erst seit Norbert Hofer (der aber die Verkörperung des Begriffs sehr nahe kommt) den talentfreien Fleißigen gehört. Die talentfreien Fleißigen gehen kein Risiko ein, lassen sich nicht gehen und ihr Lächeln erinnert an unsere Katze, wenn sie mit einer Spitzmaus im Maul in die Küche läuft – das fiepende Geräusch der Spitzmaus inklusive. Die talentfreien Fleißigen sind – naturgemäß – gute Beobachter, können fein auswendig lernen, nehmen auf, was und wie andere es tun. Nehmen Strukturen, adaptieren und kopieren sie. Sie sind gute Mitspieler, teamfähig und keine allzu kritischen Geister. Fühlen sich wohl in Seilschaften, weil dort weder ihr geringes Selbstwertgefühl noch ihr Mangel allzu rasch entdeckt werden würde. Sie sind nicht in erster Linie oder gar nur männlich – das täuscht meiner Meinung nur ob des vermehrten Vorkommens von Männern in Führungspositionen und Männern als politische Kommentatoren, und sie sind auch nicht ausschließlich politisch rechts Stehende – wenngleich die in den letzten Jahren viel daran gearbeitet haben – aus der Not heraus – sich mit den Attributen der talentfreien Fleißigen zu schmücken – ordentlich, ruhig, nach außen gelassen, konservativ und fast bürgerlich – die dreckigen Hooligans, Wutbürgerinnen und einfach nur irren Facebookposter zur Mäßigung und Ordnung rufend – wie es nach der BP-Wahl Hofer und Strache geschickt aber höchst unglaubwürdig taten. Davon abgesehen aber sind die talentfreien Fleißigen auf jeder Seite des politischen Spektrums zu finden. Sie sind ebenso austauschbar wie parteipolitisch in Tarnfarben gehüllt, finden sich auch in den shabbyschicken Hipsterbars, gesellschaftspolitische Gespräche führend, stets darauf vorbereitet, ein Zitat in den Vollbart gegenüber zu brummen. Irgendwann wird die Zeit dieser talentfreien Fleißigen auch wieder zu Ende sein, ganz gewiss – und es werden Begriffe wie „anständig“, „ordentlich“ und „fleißig“ in mir wieder weniger Brechreiz hervorrufen. Ein rauchender Bundespräsident ist sogar für eine Nichtraucherin wie mich ein Anfang. Viel Hoffnung habe ich trotzdem nicht, denn viel zu lange hatten die strammen, talentfreien Fleißigen Zeit, dieses Land mit ihrer langweiligen Dumpfheit zu durchziehen. Die Koffer bleiben erstmal und vorsorglich noch gepackt.