Dem gesellschaftlichen Verkehr mit Künstlern entrückt

Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie von Porträts über frühe Anarchist_innen – und den Anarchismus als eine der ersten sozialen Bewegungen überhaupt. Andreas Gautsch schreibt in dieser Ausgabe über Agathe Löwe, die Grafikerin der Revolution!

Im letzten Porträt über Karl F. Kocmata wurden die Zeitschriften Ver! und Revolution! erwähnt. Eine der Künstler_innen, die dort laufend ihre Grafiken publizierten, war Agathe Löwe. Als Künstlerin vergessen, als Kunsthandwerkerin anonym geblieben und selbst in der anarchistischen Bewegung ist sie eine der vielen Unbekannten, obwohl sie anregende Spuren hinterlassen hat.

Agathe Löwes Grafiken in Ver! und in der Revolution!
Die erste Veröffentlichung von Agathe Löwe in der Zeitschrift Ver! ist eine Zeichnung vom Dichter Arno Holz und erscheint im August 1918. Zwei Monate später wird auf einer Doppelseite ein Linolschnitt abgedruckt, der das erdrückende Elend in der Großstadt thematisiert. Hinter einem großen Torbogen sitzt eine Frau neben einem weiteren Durchgang, eingehüllt am Boden. Als wären die vielen Türen und Wege, die auf dem Bild zu finden sind, nicht für sie gebaut. Der Schnitt zeigt die Situation vieler Menschen in Wien nach dem Krieg, geplagt von Hunger, Wohnungsnot und Krankheiten.
Agathe Löwe war eine der vielen jungen Künstler_innen die, wie der Herausgeber Karl Kocmata, der Schriftsteller Fritz Karpfen und der Maler Michael Zwölfboth, den Kreis der Freien Künstlervereinigung Ver! bildeten. Wie alle Zirkel hatten auch sie ihr Stammkaffeehaus, das Ringcafé am Stubenring 18. Sie waren jung, modern, radikal, expressionistisch und verkörperten die Zukunft ihrer Zeit. Sie verabscheuten Patriotismus und Nationalismus, Militarismus und Krieg.
In der von Kocmata im Feber 1919 gegründeten Revolution! erscheint nach dem Peter-Altenberg-Linolschnitt im Heft 3 eine Grafik voll revolutionärem Pathos – eine wehende schwarze Fahne vor einer weißen Sonne mit spitzen schwarzen Strahlen. Hier zieht die Freiheit in eine strahlende Zukunft. Veröffentlicht wurde das Bild im März 1919, in einer Zeit, als die Russische Revolution für viele noch eine Hoffnung war, und es an unzähligen Orten Europas brodelte und gärte. In Österreich versuchten verschiedene linke Gruppen wie die Rote Garde und die frisch gegründete Kommunistische Partei die Revolution voranzutreiben. Auf dem am 1. Mai 1919 erstmalig erscheinenden, von Ignaz Holz-Reyther herausgegebenen Blatt Anarchist findet sich unter dem Leitartikel Freiheit, die wir meinen. ebenfalls ein Linolschnitt von Löwe mit dem Titel Die mühselig und beladen sind. Zu sehen ist ein Heer an einem Kreuz schleppenden, gebückten, weißen Silhouetten.
Bis ins Jahr 1921 lassen sich Grafiken von Agathe Löwe in verschiedenen Publikationen der jungen Avantgarde finden: zum Beispiel in der anarchistischen Zeitschrift Freie Jugend von Ernst Friedrich, der mit seinem Buch Krieg dem Kriege und dem ersten Antikriegsmuseum internationale Bekanntheit erlangte, oder in Irma Singers jüdischem Märchenbuch Das verschlossene Buch, in dem Löwe vier Textbilder gestaltete. Auch einige Titelzeichnungen von Büchern aus dem Ver! Verlag, wie beim Literarische Verbrecher-Album von Fritz Karpfen und dem Gedichtband Einsamer Wald von Kocmata, stammen von ihr. Eine kurze Erwähnung findet sich auch in dem Artikel Die Unabhängigen über eine Ausstellung im Haus der jungen Künstlerschaft.
Doch wer war Agathe Löwe? Was ist über sie heute noch zu erfahren?

Was können wir über Agathe Löwe wissen?
Sie war die Tochter des jüdischen Lederfabrikanten Moritz Löwy und seiner Frau Regine und hatte vier Geschwister. Geboren wurde sie im August 1888 in Hinterbrühl bei Mödling, ab 1907/08 besuchte sie die Kunstschule für Frauen und Mädchen. Für Mädchen aus bürgerlichem Haus war dies kein ungewöhnlicher Werdegang. Die 1897 gegründete private Kunstschule war in diesen Kreisen beliebt, hatte sie doch das Ziel, „dem weiblichen Geschlechte, so weit es Begabung und Fleiss erweist, auch auf dem Gebiete künstlerischer Betätigung eine uneingeschränkte Entwicklung ermöglicht werden soll.“ (Plakolm-Forsthuber, 1994: 52) Um die Jahrhundertwende hatte sich die künstlerische Landschaft in Wien auf mehreren Ebenen zu verändern begonnen. Junge und moderne Künstler_innen wie Gustav Klimt und Josef Hoffmann etablierten sich mit der Sezession als neuen Kunstraum. Auch Frauen schafften es langsam und mit Beharrlichkeit, als Künstlerinnen wahrgenommen zu werden und vor allem ausstellen zu können. Voraussetzung dafür war die Mitgliedschaft in einer Künstlervereinigung, bis Ende des 19. Jahrhunderts war diese für Frauen nicht möglich. Im Jahr 1910 gründeten einige Künstlerinnen die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs. Eine davon war Tina Blau, die auch an der Kunstschule unterrichtete.
Neben den emanzipatorischen Kämpfen der Künstlerinnen gab es auch eine ökonomische Entwicklung, die diesen Prozess unterstützte, jedoch unter anderen Vorzeichen. Um am Kunstmarkt konkurrenzfähig bleiben zu können, wurden in den Kunstwerkstätten ausgebildete, aber billige weibliche Arbeitskräfte benötigt.
Josef Hoffmann und seine Wiener Werkstätte (1903–1932) waren, sowohl was den Stil als auch die Vermarktung betrifft, Trendsetter. Hoffmann, der nicht nur an der Gründung der Sezession beteiligt war, sondern auch an der Kunstgewerbeschule unterrichtete, prägte den Kunstgeschmack des bürgerlichen Publikums einer ganzen Generation im Sinne einer klaren, stilvollen Formensprache und kunsthandwerklicher Perfektion. Im Gegensatz zur industriellen Massenproduktion sollten in überschaubaren Mengen edle Alltagsgegenstände, Möbel, Druckwerke und Stoffe hergestellt werden. Da in den Werkstätten überwiegend Frauen arbeiteten und auch neue künstlerische Impulse gaben, wurde diese von „Kritikern“ als „Weiberkunsthandwerk“ disqualifiziert.
Dieser Exkurs ist insofern wichtig, da sich Agathe Löwes Weg in diesen sozialen und ökonomischen Bedingungen wiederfinden lässt. Als Tochter einer jüdisch-bürgerlichen Familie besuchte sie die Kunstschule mit Unterbrechung bis 1916. Mit Kriegsende wirkte sie im Kreis der revolutionären Künstlervereinigung Ver!, machte ihre Grafiken für anarchistische Zeitschriften, agierte ab 1918 unter dem Künstlernamen Löwe. Selbst im Telefonbuch ist sie Anfang der 20er Jahre unter diesem Namen eingetragen. Im Oktober 1923 trat sie aus der israelitischen Kultusgemeinde aus, 1925 begann sie ein Studium an der Kunstgewerbeschule, in der Emailklasse von Josef Hoffmann. Sie schloss 1930 ihr Studium ab.
Ob sie jemals für die Wiener Werkstätte gearbeitet hat, ist nicht bekannt. In der einschlägigen Literatur wird ihr Name nicht erwähnt. Vielleicht hat sie ihr zugearbeitet oder ist für andere Kunstwerkstätten tätig gewesen. In den 20er Jahren ging es mit dem Kunsthandwerk schließlich bergab. Die Wirtschaftskrise ließ auch diesen Markt schrumpfen. 1932, im Jahr, als die Wiener Werkstätte Konkurs anmeldete, heiratete Agathe Löwe den Taxiunternehmer Ernst Schmied.

Zwei Briefe von 1949
Alle folgenden Informationen stammen aus zwei längere Briefen von Agathe Schmied, vormals Löwe, an den Bildhauer Gustav Ambrosi aus dem Jahr 1949. Den ersten hat Ambrosi, zu dieser Zeit bereits ein angesehener und hochdekorierter Künstler, beantwortet, den zweiten nicht mehr.
Die Anrede ist mit „Herr Professor“ zwar recht förmlich, der Tonfall entspricht jedoch mehr einer Plauderei. Im ersten Brief berichtet sie dem gehörlosen Ambrosi von den neuesten technischen Entwicklungen bei Hörapparaten, dass sie alles aus Zeitschriften erfahren habe und drückt ihr Bedauern darüber aus, dass der Maler Sturm Egger Skla, der seinerzeit seine Grafiken ebenfalls in der Ver! veröffentlicht hat, so früh verstorben sei. Sie erwähnt, dass er in der vergangenen Zeit immer nett zu ihr gewesen sei. Sie bedauert auch die Schäden, die die Bomben in Ambrosis Wiener Atelier angerichtet hatten. Weiters berichtet sie, dass sie sich nicht mehr der Malkunst widme, im Moment ihrem Mann beim Kolportieren von Zeitungen helfe und damit vollauf beschäftigt sei. Im Antwortschreiben geht Ambrosi auf die immensen Schäden an seinen Kunstwerken ein und meint, dass er sich nicht entmutigen lasse und sie wieder reparieren werde.
Im zweiten Brief beginnt Agathe Schmied wieder mit einer neuen technischen Erfindung, doch dann berichtet sie Folgendes: „Ich bin dem gesellschaftlichen Verkehr mit dem Künstlern völlig entrückt, seitdem ich heiratete, was für mich ein Glücksfall war“. Mit dem Glücksfall meint sie, dass sie die NS-Zeit in einer sogenannten Mischehe als Jüdin in Wien überleben konnte. Ihr Mann befreite sie „aus den Klauen der Gestapo, steckte ich schon damals im Sammellager drinnen, für die Deportierung bestimmt.“ Sie schreibt Ambrosi, dass ihre ganze Familie und Verwandtschaft in den Vernichtungslagern der Nazis umgekommen ist. Sie erzählt auch, auf welches Unverständnis sie bei Bekannten stößt, wie der Malerin Grete Wilhelm oder der Gattin ihres Malerlehrers Robert Philippi die nichts von den NS Verbrechen wissen wollten oder sie für Propaganda halten. In diesem Zusammenhang schreibt sie auch folgende Sätze: „Nur mein Mann bindet mich noch an Wien, sonst hätte mich nichts hier zurückgehalten. Die Zeit damals hatte tief ihre Spuren bei mir und auch bei meinem Mann geprägt.“

Zwei Briefe, ein dutzend Grafiken und die institutionell erfassten Daten, verstreut in Archiven und Bibliotheken, in Büchern, Zeitschriften und Datensätzen ist alles, was trotz intensiver Recherche zu Agathe Löwe (Schmied) zu finden ist. Es ist nicht viel, dennoch ist es ein kleines Universum, eines in Menschengröße. Ernst Schmied verstirbt 72jährig 1957 in Wien, Agathe neun Jahr später, beide wurden am Zentralfriedhof begraben. Die Gräber sind mittlerweile aufgelassen.
Der Kunstmarkt mit seinen Meistern und Stars ist ein reduktionistisches System, das fortlaufend ausschließt und Vergessenheit produziert. Vor allem Künstlerinnen sind davon betroffen. Ähnlich ergeht es der radikalen Arbeiter_innen- oder Alternativbewegung, die generell gern als Kuriosität betrachtet wird. Dass Agathe Löwe/ Schmied vergessen und in der Geschichte verschollen
ist, ist eine Konsequenz dessen.

 

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch entstanden.

Literatur:
Sabine Plakolm-Forsthuber: Künstlerinnen in Österreich 1897–1938,
Malerei. Plastik. Architektur, Picus Verlag, 1994

Neuentdeckung eines Linzer Urgesteins

Karl Wiesinger war eine prägende Gestalt der Linzer Kulturszene. Der 1991 in Linz verstorbene Schriftsteller gilt als einer der wichtigsten Repräsentanten der politisch engagierten Literatur in Oberösterreich. Durch seine kommunistische Haltung fühlte er sich vom Kulturbetrieb ignoriert. Schließlich narrte er diesen aber mit einem schillernden Husarenstück. Zurzeit erinnert eine Ausstellung im Linzer Stifterhaus an den vielseitigen Linzer Autor. Von Silvana Steinbacher.

Foto OÖ. Literaturarchiv/Adalbert-Stifter-Institut

Ein Mann steht in einem kleinen Boot und lächelt zufrieden in die Kamera, hinter ihm die Landschaft in einiger Entfernung. Ein Wochenendausflug mit Freunden, vermittelt mein flüchtiger Blick. Ich sehe mir ein Foto von Karl Wiesinger an, dem derzeit im Linzer Stifterhaus eine umfangreiche Ausstellung gewidmet ist.
Es dürfte kein leichte Arbeit gewesen sein, diese vielschichtige und facettenreiche Person in einer Schau zu bündeln, denke ich schon bald, als mir der Herausgeber der digitalen Edition der Tagebücher und Mitkurator der Schau Helmut Neun­d­linger von Karl Wiesinger erzählt.
Wiesinger, der politisch Kämpferische, der Journalist und Schriftsteller, der in Linz den verstaubten Kulturbetrieb der Nachkriegszeit prägte und die Linzer Literaturszene mit einem Pseudonym narrte, und schließlich der emsige Tagebuchschreiber, der in seinen Aufzeichnungen teils vernichtend über seine Zeitgenossinnen und -genossen, ja sogar seine engen Freunde herzog. Und wahrscheinlich gibt es noch so manch andere Seite an Karl Wiesinger zu entdecken.
Ich beginne mit einer Aktion rund um seinen „Bauernroman“ Weilling, Land und Leute. In einer Schaffenskrise erfindet Karl Wiesinger 1970 unter dem Pseudonym Max Maetz einen literarischen Bauern und lässt diesen ohne Interpunktionen und ohne Respekt vor sprachlichen Konventionen über sein Leben in Weilling erzählen. Weilling ist eine aus zwei Vierkanthöfen bestehende Siedlung in St. Florian. Die reale Verortung in diesem Buch wird Wiesinger noch zum Verhängnis werden und sogar Maetz’ „Tod“ bedeuten. Doch zunächst gelingt Karl Wiesinger genau das, worauf er abgezielt hat. Nachdem der mittlerweile 47-jährige Künstler bereits mehrere Niederlagen einstecken musste und seine Manuskripte von einigen Verlagen abgelehnt wurden, wird der Roman von der Düsseldorfer Eremiten Presse publiziert und durch neue Facetten ergänzt, und sein Max Maetz erregt mit diesem Buch bald Aufsehen. Wiesingers Coup des talentierten, wenig gebildeten Bauern, der mit Frische und unverbrauchtem Stil erzählt, schlägt also voll ein. Erst als sich Journalisten in Weilling auf die Suche nach Max Maetz begeben und dort natürlich nicht fündig werden, entscheidet sich der hinter der Kunstfigur verborgene Schriftsteller Wiesinger, sie kurzerhand sterben zu lassen und veröffentlicht sogar eine Sterbepate in einem lokalen Medium. Diese Aktion empfinden viele, die ohnehin über die Täuschung verärgert sind, als äußerst geschmacklos.
Warum ich dieses Ereignis hier an den Beginn setze? Es scheint mir charakteristisch für Wiesinger zu sein, soweit ich das, ohne ihn gekannt zu haben, überhaupt beurteilen kann.

Karl Wiesinger ist 1923 in Linz geboren und 1991 auch hier gestorben. Mit 19 Jahren betritt der politisch interessierte Mann die Bühne, die er bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen soll. Auch unter dem Eindruck der Februarkämpfe 1934, die er als Kind erlebte, sympathisiert er mit den Kommunisten und wird einige Jahre später Mitglied der KPÖ. 1941 wird Wiesinger zur Wehrmacht eingezogen und begeht an der finnischen Front Sabotageakte, die bald entdeckt werden. Nach einem Freispruch ist er weiterhin im illegalen kommunistischen Widerstand. An seinem Lungensteckschuss aus dem Krieg leidet er bis zum Ende seines Lebens – bereits zwanzig Jahre vor seinem Tod klagte er über Atemnot – und an seinem Lungenleiden ist er letztlich auch gestorben.
Im Linz der Nachkriegszeit und in der späteren Aufbruchszeit in den 1960ern wird Wiesinger trotz seiner kommunistischen Haltung eine prägende Figur.
Unter anderem gründet er gemeinsam mit Ernst Ernsthoff und Paul Blaha das Linzer Kellertheater, das damals, im Gegensatz zum heutigen Programm, einen durchaus anspruchsvollen, experimentierfreudigen Spielplan präsentierte. Auch beim „Club der Todnahen“, dessen Performances an jene der Wiener Gruppe erinnern, hat er sich engagiert.
Ab 1960 lebt Wiesinger dann als freier Schriftsteller, der Verkauf seiner Dentistenpraxis und eine Invaliditätspension ermöglichen ihm diesen Schritt. Er schreibt Hörspiele, Romane und Theaterstücke und er ist ein intensiver Tagebuchschreiber. Und diese – somit schlage ich den Bogen zur Ausstellung im Linzer Stifterhaus – spielen eine nicht unwesentliche Rolle für die beiden Kuratoren, den Germanisten Helmut Neundlinger und den wissenschaftlichen Mitarbeiter des Adalbert-Stifter-Instituts Georg Hofer. Die Tagebücher, ursprünglich im Besitz von Wiesingers Ehefrau, wurden vor sieben Jahren von Wiesingers Nichte dem Institut übergeben. Seit zwei Jahren bearbeitet Neundlinger diese Aufzeichnungen. „Karl Wiesinger hat auch über seine Kontakte genauestens Buch geführt und sich über jeden abfällig geäußert. Ursprünglich wollte er ja seine Tagebücher veröffentlichen. Glücklicherweise nahm er davon wieder Abstand. Ich denke, sonst hätte niemand mehr mit ihm gesprochen. Wiesinger war ein Mann der Selbststilisierung, der zum Teil auch Facetten aus seiner Biografie literarisch überhöht hat. Als Zeitdokument eines hochpolitisierten Menschen im Spannungsfeld des Ost-West-Konfliktes ist das Tagebuch jedoch eine wertvolle Quelle“, stellt Helmut Neundlinger fest. Einiges aus Wiesingers Tagebüchern fließt auch in die Ausstellung Vorwärts, Genossen, es geht überall zurück. Karl Wiesinger (1923–1991) ein.
„Das Konzept der Schau ist eher reduziert gehalten, sie besteht aus zweiundzwanzig Stationen, beinhaltet Zitate und Dokumenten, die unter anderem auch aus dem KPÖ-Archiv stammen“, erzählt mir Georg Hofer.
In seinen literarischen Texten thematisiert er hauptsächlich die Zwischenkriegszeit über NS- Regime bis in die Nachkriegsära des Kalten Krieges. Und er benützt seine fiktiven Figuren hauptsächlich, um ihre Zerrissenheit in den Zeitläuften zu demonstrieren. So unter anderem in seinem erstmals 1967 publizierten Roman Achtunddreißig. Angesiedelt ist Achtunddreißig am Vorabend des Einmarsches deutscher Truppen. Besonders einprägsam empfand ich beim Lesen des Buches, wie der Autor hier die Diskrepanz zwischen der Unentschlossenheit des jüdischen Protagonisten und der kalten Zielorientiertheit der Nationalsozialisten darstellt. In ihrer Wankelmütigkeit vertraut die Hautfigur darauf, dass ein Leben unter den Nazis für ihn vorstellbar sein könnte. In einer klaren Sprache schreibt Wiesinger über seine Themen mit der Intention, eine bestimmte Botschaft zu transportieren. Drei seiner Romane, eben Achtunddreißig, Standrecht und Der rosarote Straßenterror, in denen Wiesinger prägnante Zäsuren der jüngeren Geschichte Österreichs, nämlich 1934, 1938 und 1950, thematisiert, sind vom Promedia Verlag 2011 neu aufgelegt worden. „Ich würde wohl am ehesten von einer Agit-Pop-Literatur sprechen“, stuft Helmut Neundlinger Wiesingers Stilistik ein. „Wiesinger verzichtet fast gänzlich auf psychologische Ansätze, auch bei seiner Figurenzeichnung fehlt teils die Tiefe.“ Auch der 1997 verstorbene Schriftsteller Franz Kain, mit dem Wiesinger eine lange gemeinsame, auch freundschaftliche Geschichte verband, vermerkte in einer Rezension durchaus auch kritische Punkte. In Bad Goisern sind beide zur Schule gegangen, bei der Neuen Zeit, der oberösterreichischen Ausgabe der Volksstimme, begegneten sie einander wieder. Kain wagte nun in einer Rezension von Wiesingers Drama Der Poet am Nil die „Wurzellosigkeit“ und „mangelnde weltanschauliche Eindeutigkeit“ zu kritisieren. Ich möchte kurz Wiesingers nicht wirklich freundliche Tagebucheintragungen, von denen niemand verschont wurde, in Erinnerung rufen und überlege mir für einen Augenblick, mit welch scharfer Pranke der Apodiktiker Wiesinger wohl auf diese Beurteilung seines Freundes reagiert haben könnte.
Gegen Ende betrachte ich noch einmal eingehend ein Foto. Es zeigt den Arbeiterschriftsteller, als ihm 1981 der „Berufstitel Professor“ verliehen wird. Fast ein wenig erstaunt sehe ich auf dem Foto einen seriösen Herrn im schwarzen Anzug und mit stolzer Miene, wie zumindest ich es interpretiere. Wie diese Anerkennung auf den Provokateur und Verächter alles Bürgerlichen gewirkt haben mag, wussten wohl nur wenige Freunde. Angenommen hat Wiesinger den Titel jedenfalls. Und noch einmal komme ich zum Beginn meines Textes zurück. Er bleibt vielschichtig und facettenreich: Wiesinger, der Rebell, der sich die Anerkennung der Gesellschaft, der er kritisch gegenüberstand, dennoch immer wieder wünschte.

 

„‚Vorwärts Genossen, es geht überall zurück‘. Karl Wiesinger (1923–1991)“
Linzer Stifterhaus
Bis 28. Mai 2020
Öffnungszeiten: täglich, außer Montag 10.00 bis 15.00 Uhr

neue begegnungen finden statt.

Zweifellos stellen Prosa und Lyrik der 1939 in Linz geborenen und heute in Thalheim bei Wels lebenden Schriftstellerin Waltraud Seidlhofer gleichermaßen maßgebliche wie notorisch unterschätzte Zeugnisse der österreichischen Literatur nach 1945 dar – meint Florian Huber über Waltraud Seidlhofer, die im Dezember in der Galerie Maerz liest.

in allen diesen begegnungen spielt der zufall eine wesentliche rolle. Foto Otto Saxinger

Obwohl Angehörige ei­ner jüngeren Autorinnengeneration wie Flo­rian Neuner (*1972), Ronald Pohl (*1965), Robert Pros­ser (*1983) oder Lisa Spalt (*1970) Seidlhofers Poesie stets Vorbildwirkung für ihre eigene Schreibpraxis attestierten, wartet ihr umfängliches, unter anderem mit dem Kulturpreis des Landes Ober­österreich für Literatur (1991), dem Heimrad-Bäcker-Preis (2008) und dem Georg-Trakl-Preis für Lyrik (2014) ausgezeichnetes Werk nach wie vor auf die Entdeckung durch das breite Lesepublikum. Viele Jahre ging die Autorin daher nach einem abgebrochenen Germanistik- und Anglistikstudium an der Universität Wien einer Bibliothekarstätigkeit in Linz und später in Wels nach, die ihr ein regelmäßiges Einkommen sicherte und vermutlich auch die Entstehung ihrer literarischen Texte begünstigte, in denen sie sich nicht nur als Kennerin der Klassiker der Literatur- und Wissenschaftsge­schich­te, sondern vor allem auch ihrer Zeit­ge­nossinnen erweist. Neben den Vertreterinnen einer avancierten Dicht- und Bildkunst aus dem Umfeld der Grazer und Wiener Gruppe und der Linzer Künstlervereinigung Maerz haben etwa surrealistische Schreibweisen und die französischen Schrift­steller des Nouveau Roman wie Alain Robbe-Grillet und Michel Butor im Werk von Seidlhofer vielfältige Spuren hinterlassen. Mit Letzteren verbindet sie ein starkes Interesse am Urbanismus, und mit diesen verbindet sie ebenso der Verzicht auf eine nacherzählbare Handlung und damit verbundene Identifikationsfiguren sowie der Gebrauch von formelhaften, gelegentlich bis zur gezielten Erschöpfung wiederholten Redewendungen und Sprechweisen in ihren Büchern. Ab Ende der 1950er-Jahre verfasste Seidlhofer erste eigene Gedichte, die 1971 schließlich in den vom Kulturamt der Stadt Linz veröffentlichten Band bestandsaufnahmen mündeten. Während das poetische Sprechen zu dieser Zeit bisweilen von den Empfindungen eines lyrischen Ich getragen scheint, kommt in den Folgepublikationen eine Distanznahme gegenüber einer ausschließlich am Prinzip der Einfühlung orientierten Dichtung zum Vor­schein, die noch in ihrer neuesten Veröffentlichung wie ein fliessen die stadt im Wiener Klever Verlag aus diesem Jahr bemerkbar ist.

Bereits der Titel ihres Prosadebüts fassa­den­texte, das 1976 die Reihe der Er­zähltexte der edition neue texte des Linzer Verlegers und Schriftstellers Heimrad Bäcker eröffnete, ist daher programmatisch zu verstehen. Anstatt mithilfe psychologischer Kunstgriffe hinter die Fassaden der die Literaturgeschichte bevölkernden Individuen und ihrer Triebschicksale zu blicken, widmete sich Seidlhofer den Zumutungen moderner Biografien an­hand einer Darstellung der sie um­ge­benden Außenwelten. Den Text durch­zie­hen Gespräche zwischen „ich“ und „p“, deren mangelnder Tiefsinn nicht länger durch Bedeutsamkeit verheißende Eigennamen kaschiert werden muss. Auch in späteren Texten der Autorin bleibt bis­wei­len unklar, wer in wessen Namen spricht und inwiefern dieses Sprechen Gültigkeit beanspruchen kann. Am Höhepunkt der neuen Innerlichkeit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur der 1970er-Jah­re, wie sie etwa von Dichterinnen wie Peter Handke, Peter Schneider, Botho Strauß, Karin Struck oder Christa Wolf proklamiert wurde, formulieren die fassadentexte einen poetologischen Gegenent­­wurf, der die Beziehung zwischen den Dingen und ihren Bezeichnungen, zwischen Text und Welt zur Disposition stellt, wie bereits zu Beginn des Textes deutlich wird: „die stadt besteht fürs erste aus fassaden./jeder, der in einer stadt ankommt, wird sofort mit dieser konfrontiert./es gibt keine moeglichkeit, den fassaden zu entrinnen.“ Die Architektur spiegelt die En­ge der gesellschaftlichen Verhältnisse, de­ren ereignishafte Charakterisierung als „fürs erste“ unentrinnbare Realitäten an ihre geschichtliche Gewordenheit erinnert und dementsprechend ihre Überwindung nahelegt. Vielleicht mag man dabei auch an Ludwig Wittgenstein (1889–1953) denken, der in § 18 seiner posthum publizierten Philosophischen Untersuchungen notiert: „Unsere Sprache kann man ansehen als eine alte Stadt: Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.“ Wie die Schriften des österreichischen Philosophen sind auch die Prosa und Lyrik von Waltraud Seidlhofer von der Frage nach den grundlegenden Elementen einer Sprache und der ihnen angemessenen Lebensform bestimmt. „so als stellten sie selbst sich in frage/treten woerter/aus den passagen/zie­hen sich/von den schemen zurueck“, heißt es dazu passend in einem ihrer Gedichte. Die Zurückdrängung des klassisch-poetischen Vokabulars, die weitgehende Abwesenheit allegorischer Bezüge weckt bei den Leserinnen die Lust an neuen Begriffen und ihnen korrespondierende Erfahrungen: „neue begegnungen finden statt./in allen diesen begegnungen spielt der zufall eine wesentliche rolle.“

Ob und wie sich aus dem Zufälligen der Wahrnehmung des Individuums eine konsistente Weltsicht schält, prägt dabei nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form von Seidlhofers fassadentexten und ihres Schreibens insgesamt, wie der Dichter Christian Steinbacher über die 1986 ebenfalls in der edition neue texte erschienene Prosa geometrie einer landschaft bemerkt: „[D]er Entwurf selbst wird gleichsam zum Protagonisten jener fiktiven Räume, Landschaften, Geschehnisse, die von ei­nem scheinbar daran unbeteiligten Subjekt fixiert worden sind.“ Auf längere Passagen, die mit einem vergleichsweise ge­ringen begrifflichen Inventar große Anschaulichkeit erzielen und in ihrer Blockhaftigkeit die Konturen einer Stadt mit Gebäuden, Plätzen und Straßenzügen evo­zieren, folgen in den fassadentexten daher kürzere Textabschnitte, deren Gedichtförmigkeit den Lesefluss irritieren und dem Bedürfnis nach einem kontinuierlichen Fortgang der Geschehnisse eine souveräne Absage erteilen. Anstatt ihre Sicht vom „Lauf der Dinge“ (so der Untertitel einer Publikation aus dem Jahr 2012 im Klever Verlag) lediglich darzulegen, appelliert die Autorin an die Mündigkeit ihrer Leserinnen und Leser, denen sie dadurch zu einer kritischen Reflexion ihrer eigenen Sicht­wei­sen und Erkenntnisinteressen, also ei­nem rundum beglückenden Lektüreerlebnis, verhilft.

 

Waltraud Seidlhofer
Lesungsabend zum 80. Geburtstag der Dichterin
Künstlervereinigung MAERZ
16. Dezember 2019, 19.00 Uhr
maerz.at

Schlagwort Theatergerechtigkeit

„Stahlstadt.online“ war ein Online-Theaterprojekt, das schon im August und im September während der Ars gelaufen ist – als Alternate Reality Soap und als offline Escape-Room-Event. Das Projekt hatte aber vor allem auch eine praktische Stoßrichtung für junge Menschen mit Fluchterfahrung. Theresa Luise Gindlstrasser gibt einen Einblick in das Community-Projekt und spricht danach mit den beiden, die das neue Theaterformat entwickelt haben – mit Clara Gallistl und Philipp Ehmann.

Kommen und gehen – auch mal von der Stahl City in die Plus City. Foto Stahlstadt Online

Und dann ist schon wieder was passiert. Für eine Instagram-Story war die 19-jäh­rige Schülerin @sefdisefda gerade noch da­mit beschäftigt, von @luca.ned.lucas zu schwärmen (der aber mit @notyourjuliett zusammen ist), als im nächsten Bild die Farben verschwimmen und Photoshop ein weißes Loch in die Aufnahme reißt. Auch @amirmstahl erging es ähnlich: Endlich Arbeit gefunden als Verkäufer in einem Kleidungsgeschäft, verzweifelt der 21-jährige Afghane am oberösterreichischen Idiom eines Kunden und beendet seine Insta-Story mit einem Foto vom weißen Loch. Seither war er verschwunden. Das Profil von @linzliebe suggeriert, dass solche „Portale“ auch in Wien gesichtet wurden.

Von 26. August bis 6. September war die Alternate Reality Soap „Stahlstadt.online“ öffentlich zu verfolgen. Das Theaterprojekt passierte online über Instagram und Youtube, am 5. und 6. September kam es im Rahmen des Ars Electronica Festivals in der PostCity Linz zu einem offline Escape-Room-Event. Egal ob digital oder analog, Hauptsache: Interaktion. Die „Theatervorgänge“ schreiben sich über die sozialen Medien in die Instagram-Realität der Abonnentinnen und Abonnenten ein. Auf die Kommentare, fertig, los! Was hat es mit den weißen Löchern auf sich? Solch Niederschwelligkeit ermög­licht das Erleben von Theater ohne Ticket-Kauf, Stillsitzen oder Lektüreschlüssel.

Für „Stahlstadt.online“ haben die Expertin für Community-Building Clara Gallistl und der auf immersives Theater und Urban Gaming spezialisierte Regisseur Philipp Ehmann mit einer Gruppe von 25 Jugendlichen, mehrheitlich mit eigener Fluchterfahrung, zusammengearbeitet. Die Story des Vorhabens wurde in monatlichen Workshops gemeinsam erarbeitet. Außerdem beteiligt sind zwei professionelle Schauspielende.

Vor dem Verschwinden von Amir und Sefda, also vor Beginn des eigentlichen Krimi-Plots, waren Alba, Aimée-Valerie, Matti und Alex (die Personen hinter diesen Pseudonymen betreuen gemeinsam das über den Projektzeitraum hinaus weiterhin auf Instagram bestehende @linzliebe) hauptsächlich mit Konzertmit­schnitten und Momentaufnahmen der schönen Stahlstadt beschäftigt. Im Vor­dergrund stehen aber Videos, die sich mit den Themen Wohnungssuche und Sprach­erwerb oder der Frage, wie und wo junge Leute in Oberösterreich sich freiwillig engagieren können, auseinandersetzen. Aimée-Valerie gibt Tipps für den Umgang mit Angst und Alex unterstützt Amir bei der Suche nach Arbeit.

Das Theaterprojekt „Stahlstadt.online“ hatte insofern vor allem eine praktische Stoßrichtung: Junge Geflüchtete sollen mit Informationen versorgt werden, die für ein selbstständiges Leben in Ober­öster­reich notwendig sind. Auf der Internetbühne verschwimmen nicht nur „real“ und „fiktional“ oder „Agierende“ und „Pu­bli­kum“, sondern auch „Unterhaltung“ und „Informationsweitergabe“. Publi­kums­seg­men­ten, die sich im klassischen Theater nicht repräsentiert fühlen, soll ein Zu­gang ermöglicht werden. Sich wie­derzufinden in den Geschichten, die Theaterkunst über das Leben erzählt, ist ein wichtiger Schritt gegen die Isolation und für die Teilhabe an Gesellschaft und Kultur.

Clara, du hast 2017 bei dem in der Tribüne Linz aufgeführten Community-Theaterprojekt „Perspektiven des Alltags. Neues Oberösterreich“ mitgearbeitet. Wie kam es in Folge zu „Stahlstadt.online“?
Clara Gallistl: Bei einem Treffen mit Landesrat Rudi Anschober haben wir über eine damals neu durchgeführte Studie über die Darstellung von jungen Geflüchteten in oberösterreichischen Medien gesprochen. Die Landesintegrationsstelle versucht über ihre Homepage, über Flyer und Folder Informationen weiterzugeben – über Deutschkurse, Wohnung, Geld, Freizeit. Es ist fraglich, ob diese Medien die Jugendlichen wirklich erreichen. Aber: Jugendliche, egal woher sie kommen, haben ein Smartphone, sind auf Youtube, Instagram und benutzen WhatsApp. Basierend auf diesem Gedanken habe ich ein erstes Konzept entwickelt und bin daraufhin mit Philipp Ehmann in die Planungsphase gegangen. Wir kennen uns schon sehr lange und haben ähnliche Vorstellungen davon, wie wir Theater machen wollen.

Wie wollt ihr denn Theater machen?
Philipp Ehmann: Wir treffen uns in den Geschichten, die wir erzählen wollen. Wir wollen nicht: Geschichten von weißen Männern auf der Bühne für weiße Männer im Publikum erzählen. Sondern eine komplexe, diverse Gesellschaft abbilden, nämlich so, wie unsere Gesellschaft einfach auch ist, wir sind nicht alle cis, wir sind nicht alle weiß, wir sind nicht alle Mann. Wer wird im Theater wie repräsentiert? Es geht auch darum wahrzunehmen, dass Jugendliche Individuen sind. Teilweise in der Pubertät, teilweise nicht, und es geht darum wahrzunehmen, dass die Menschen, mit denen wir arbeiten, verschiedene Bedürfnisse haben.
CG: Mein Schlagwort ist: Theatergerechtigkeit. Ein transparenter Umgang mit den Ressourcen, ein fairer Umgang mit den Beteiligten, sei es in Bezug auf Honorare oder die Weitervermittlung von Kontakten, das Ermöglichen von Vernetzung, das Verfassen von Referenz-Schreiben, dass alle gesund und gut arbeiten können, die Möglichkeit zur Reflexion auf den Prozess, dass alle mit einem positiven Gefühl rausgehen und das Projekt gut abschließen können – das ist für uns wichtig. Dabei muss aber niemand der Teilnehmenden die gesamte Komplexität des Projektes verstehen – woher das Geld kommt, wie viel Arbeit dahintersteckt, wie sich der Raum oder die Gruppe ergeben. Das ist die Aufgabe von uns, als Organisations-Team. Außerdem: Neue Touchpoints zu schaffen, die nicht das Leporello oder die Hand von der Mama sind.
PhE: Es gilt, Arten des Erzählens zu finden, die sich an Menschen wenden, die normalerweise nicht ins Theater gehen. Es gilt herauszufinden, wie wir Geschichten mit Geflüchteten erzählen können und nicht nur über sie.

Wie ging es mit der Entwicklung von „Stahlstadt.online“ weiter?
PhE: Leider hingen wir, was die Förderung betraf, in monatelanger Unklarheit und mussten im Endeffekt das Projekt verschieben. Anstatt wie geplant bei der Ars 2018 herauszukommen, waren wir dort nur mit einem Info-Stand vertreten und konnten „Stahlstadt.online“ erst 2019 umsetzen.
CG: Vor Beginn des Projekts habe ich eine Community-Building-Strategie entwickelt, aber wegen der ungewissen Verzögerung konnte diese nie von A bis Z umgesetzt werden. Zum Beispiel war es nicht möglich, mit einem gemeinsamen Kick-Off-Event zu starten, bei dem sich eine teilnehmende Gruppe hätte konstituieren können. Teilweise waren die Teilnehmenden schon klar, aber uns war noch nicht klar, ob das Projekt überhaupt in dieser Größenordnung würde stattfinden können.

Wie sah diese Community-Building-Strategie aus?
CG: Es gab drei Ziele. Erstens: Eine Gemeinschaft aufbauen. Damit diese Jugendlichen nicht mehr vereinzelt in ihren Lebenssituationen abhängen, sondern auf eine Community zurückgreifen können. Allen Teilnehmenden wurde eine Dokumenten-Mappe zur Verfügung gestellt, mit Fotos und Protokollen, für Bewerbungsgespräche oder Termine bei Gericht bezüglich Asylverfahren. Zweitens: Aufbau einer medialen Plattform, wo die Jugendlichen Peer to Peer die für sie relevanten Inhalte vermitteln können. Die Seite von @linzliebe wird insofern weitergeführt. Drittens: Abbau der negativen Vorurteile gegenüber geflüchteten Jugendlichen in der oberösterreichischen Gesamtgesellschaft. Leider konnte unsere großangelegte Werbekampagne für @linzliebe mit ober­österreichischen Stars und VIPs aufgrund der unklaren Fördersituation nicht umgesetzt werden.
PhE: Es geht immer um Kommunikationsprozesse. Mit Jugendlichen, die oft von vielen Emotionen und Eingebungen bestimmt werden, so zu kommunizieren, dass Informationen auch wirklich ankommen – das ist ein Prozess.
CG: Ich nenne es: Pubertät plus. Weil die Jugendlichen teilweise traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, teilweise in Asylverfahren sind und damit also nicht abschließen können. Die werden oft hin und her gerissen und verstehen es selber nicht genau. Es ist ein Privileg, dass wir hier sitzen und über das Projekt reden können, dass wir die emotionalen, zeitlichen, finanziellen Kompetenzen haben, dass wir hier entspannt sitzen können.
PhE: Bei „Stahlstadt.online“ konnten die Jugendlichen kommen und gehen – wir wollten ein Angebot sein, aber wir wollten auch darauf reagieren können, falls es jemandem nicht gut geht. Es braucht soziale und emotionale Intelligenz um abzuklären, wann es notwendig ist, streng zu sein und auf Abmachungen zu beharren, wann es aber wichtiger ist, Freiheiten zu geben und da zu sein, wenn jemand etwas braucht.

Ihr habt euch für ein Online-Theaterprojekts entschieden. Warum?
PhE: Es ist schon ein sehr komplexes Projekt. Wir haben uns gefragt: Wäre es sinnvoller gewesen, einfach einen Text zu inszenieren, also einfach ein Theaterstück auszuwählen und dieses dann gemeinsam zu erarbeiten? In den gemeinsamen Textwerkstätten ist zutage getreten, wie verschieden das Vorwissen über Theater, über kreatives Arbeiten ist. Oder: Deutsch­kenntnisse.
CG: Hätten wir an der Inszenierung eines vorgegebenen Textes gearbeitet, wäre Anwesenheit der Beteiligten notwendig gewesen. Wiederholbarkeit bedeutet Stress. Für die Einzelnen und für die Gruppe.
PhE: Bei uns wurde viel improvisiert. Wir haben einige Takes für die Instagram-Videos gemacht und uns dann für den Besten entschieden, das ist eine viel entspanntere Arbeitsweise.

Beim Verfolgen von „Stahlstadt.online“ habe ich mich so einsam gefühlt, wie es im Theater, wo ich mit anderen gemeinsam sitze, nie der Fall wäre. Theater und Social Media – wie denkt ihr über diese Verbindung?
PhE: Ältere Semester – da zähle ich auch uns dazu – fällt das Verfolgen einer Geschichte über Instagram schwer, es ist etwas Ungewohntes. Unter 20jährige sind aber eh alle zehn Minuten auf Insta und kriegen das eh mit.
CG: Eine Teilnehmerin hat es so formuliert: „Instagram hast du immer und überall, egal wo du
bist, bei Theater musst du hingehen, Entscheidungen treffen und dann kostet es noch Geld“. Ein anderer Teilnehmer hat mittlerweile eigenständig eine Geschichte verfasst. Für ihn ist es ganz klar, dass diese über Instagram erzählt werden soll. Dann können alle Freunde, egal wo auf der Welt die sind, diese Geschichte verfolgen. Instagram und Realität – das geht für die Jugendlichen seamless zusammen.
PhE: Was von einem theatralen Standpunkt her als dramaturgische Lücken, als das Fehlen von Informationen für den Fortgang der Geschichte gelten muss, das nehmen die Jugendlichen im Rahmen einer sprunghaften, schlaglichtartigen Instagram-Dramaturgie in Kauf.
CG: Wir hatten in den ersten drei Tagen 3000 Views pro Charakter, @linzliebe hat mittlerweile 510 Follower, da werden wir mittlerweile auch getaggt, das läuft, das verbreitet sich, ohne dass wir was machen.
PhE: Online kannst du wirklich auf deine Zielgruppe fokussieren. Mit einem entsprechenden Marketingbudget wäre fünfmal so viel möglich. Ein Wunsch, ein Ziel, ein Vorhaben für das nächste Mal! Theresa Luise Gindlstrasser, geboren 1989, lebt und arbeitet in Wien. Studiert dort Philosophie und bildende Kunst. Schreibt dort, und manchmal woanders, meistens über Theater.

 

www.stahlstadt.online
@stahlstadtkids
@linzliebe

Urteil mit Signalwirkung

Zwei Farbbeutel, unbekannte Täter und ein Urteil, das aufhorchen lässt: Nach der Demonstration gegen den rechtsextremen Kongress zur Verteidigung Europas 2016 – bei zwei Gebäuden entstand Sachschaden – klagten die Geschädigten die Demonstrationsveranstalter. Die sollen nun rund 23.000 Euro bezahlen. Ein Urteil, das die Versammlungsfreiheit in eine völlig neue Perspektive rückt. Eine Betrachtung von Silvana Steinbacher.

Rebellion und Pflicht. Foto Otto Saxinger

 

Dieses Urteil hat meine Phantasie beflügelt. Dies­­mal gefielen mir meine gedanklichen Aus­­flüge allerdings ganz und gar nicht. Erste Vision: Ich schmuggle mich in eine Pegida-Demonstration, klopfe ein paar markige Sprüche, ziehe mir in einem unbeobachteten Moment ein Tuch übers Gesicht und knalle mit voller Wucht einen Farbbeutel gegen ein Gebäude und einen Ziegelstein gegen ein Autofenster. Anschließend schleiche ich in eine Seitengasse. Dass die Veranstalter der Demo durch meine mutwillig herbeigeführte Zerstörung wahrscheinlich ordentlich zur Kassa gebeten werden, erfüllt mich schon jetzt mit Hochgenuss!

Zweite Vision: Ich gehe an einem Platz vorüber, auf dem sich viele Menschen versammeln, um endlich ihren Unmut über einen politischen Missstand – und diese sterben bekanntlich nicht aus – zu äußern. Sie möchten von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, haben lange im Vorhinein diesen Termin im Netz vereinbart! Immer mehr Menschen schließen sich der Gruppe an, doch die Atmosphäre droht bald chaotisch zu werden, denn die Polizei hindert die DemonstrantInnen zunächst, ihre Route einzuschlagen, und treibt sie schließlich sogar auseinander. Die Kundgebung, so die berechtigte Argumentation der Polizisten, sei nicht ordnungsgemäß angemeldet worden. Und tatsächlich hat es niemand gewagt, sie offiziell zu veranstalten, um bei etwaigen Schadensfällen nicht finanziell ruiniert zu werden.

Und jetzt zur Realität und zum aktuellen Fall:
Am 29. Oktober 2016 trafen sich die rechten Recken in den Linzer Redoutensälen, den Festsälen des Landes OÖ, und hielten ihren Kongress zur Verteidigung Europas ab. Diese Veranstaltung war eines der größten rechtsextremen Vernetzungstreffen im deutschsprachigen Raum. Das Bündnis Linz gegen Rechts rief zu einer Demonstration gegen diesen Kongress auf, und diesem Aufruf folgten rund 2000 Menschen. Im Zuge der Versammlung wurde je ein Farbbeutel gegen den Kaufmännischen Verein und ein Gasthaus geschleudert. Daraufhin klagten die Geschädigten die Sozialistische Jugend OÖ und die Kommunistische Jugend Ö. Sie hatten die Kundgebung angemeldet.
Keine Frage, natürlich ist es ärgerlich und mehr, wenn Gebäude, Autos oder was auch immer im Zuge einer Demonstration beschädigt werden. Laut Gesetz haben in diesem Fall die Verursachenden die finanziellen Folgen zu tragen, doch eben jene ausfindig zu machen, bleibt in der Praxis schwierig. So auch bei der Demonstration Ende Oktober 2016.
Im konkreten Fall fand voriges Jahr die Verhandlung an jeweils zwei nicht aufeinanderfolgenden Tagen statt. Nina Andree, Landesvorsitzende der Sozialistischen Jugend OÖ und mit der Kommunistischen Jugend Ö eine der Veranstalterinnen der Demo, berichtet mir von diesen Verhandlungstagen. Die Richterin, so sagt sie, erschien ihr in ihrem Verhalten neutral, Andree konnte keine Voreingenommenheit bei ihr erkennen. Ihre Fragestellungen waren detailliert und sachlich. Videos von der Kundgebung wurden gezeigt, ZeugInnen von beiden Seiten befragt, der Hergang der Demonstration so gut wie möglich rekonstruiert.
Im Juni dieses Jahres sprach nun das Bezirksgericht Linz den Klägern in erster Instanz einen Schadensersatz inklusive der Prozesskosten zu. Die beiden Jugendorganisationen müssen demnach laut Urteil 23.263,45 Euro bezahlen. Sie haben gegen das Urteil berufen. „Sollte es in der zweiten Instanz erneut zu einem Schuldspruch kommen, würden wir Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichen“, stellt Nina Andree fest.
Begründet wird das Urteil unter anderem damit, dass die Veranstalter verpflichtet gewesen wären, verdächtige Personen – wie viele von 2000? – auf gefährliche Gegenstände zu durchsuchen. Doch zu diesem Vorgehen sind Zivilpersonen, wie es die Veranstalter sind, gar nicht berechtigt.
Die Juristin und Kriminologin Angelika Adensamer arbeitet für den Arbeitskreis epicenter works, der sich auch für die Wahrung von Grundrechten engagiert. Sie kann sich nicht vorstellen, dass das jetzige Urteil hält. Juristisch gesehen ist es verfassungswidrig, fügt sie hinzu. Sie würde es als Markstein der Justizgeschichte betrachten, falls das Urteil nach der Berufung nicht aufgehoben würde, stellt die Juristin fest, außerdem könnte das Urteil Tür und Tor öffnen, sich unter falscher Flagge in eine Demonstration zu schmuggeln, um dort etwas zu beschädigen und so dem politischen Gegner zu schaden (siehe die erste Imagination zu Beginn des Textes).
Nun hat das Bündnis Linz gegen Rechts, dem viele Organisationen und eben auch die Sozialistische Jugend OÖ und die Kommunistische Jugend Ö angehören, eine Kampagne eingerichtet, um eventuelle, auf sie zukommende Kosten bewältigen zu können:
linz-gegen-rechts.at/versammlungsfreiheit-verteidigen

So weit so gar nicht gut.
Versuchen wir ausgehend von diesem Linzer Fall die Konsequenzen und Perspektiven zu überdenken. Bei den aktuellen medialen Berichten zu diesem Urteil sind in den Postings, die ich immer als Stimmungsbarometer werte, durchaus auch Zustimmungen zu der vorläufigen richterlichen Entscheidung zu finden. Was würde es, sollte das Urteil Schule machen, beispielsweise für die Friday-for-Future-Demonstrationen bedeuten, die hauptsächlich von Jugendlichen veranstaltet werden? Wären deren Eltern nach wie vor mit diesem Urteil einverstanden, sollte eine der Kundgebungen einmal ausarten?
Ich stelle mir auch die Frage, was denn dieses Urteil für das Versammlungsrecht, aber auch was es grundlegend für unser demokratisches Verständnis bedeuten würde. Soll ein hart errungenes Recht zwar auf dem Papier unangetastet bleiben, in der Praxis aber ausgehöhlt und hintertrieben werden, nur damit die Fassade stimmt? Wie nach dem Motto: Wir laden zum Schwimmen ein, aber leider wurde der Pool nicht eingelassen.
Ich kann mir unter diesen Voraussetzungen – ich erinnere: der oder die Veranstalter hätten jeden etwaigen Schaden zu übernehmen – nicht vorstellen, dass jemand jemals wieder die Courage aufbrächte, eine Demonstration anzumelden, es sei denn er oder sie ist sehr reich, naiv oder über die Maßen mutig.
Die Versammlungsfreiheit zählt in jedem demokratischen Staat zu den Grundrechten. Bereits im Jahr 1867 wurde dieses Recht in Österreich im Staatsgrundgesetz verankert. Im Februar 2017, um in die jüngste Vergangenheit zu blicken, plante der damalige Innenminister Wolfgang Sobotka am Demonstrationsrecht zu rütteln und wollte eben genau dies: Sogenannte VersammlungsleiterInnen sollen für Sachbeschädigungen durch DemonstrantInnen haften. Dies rief in weiten Kreisen Empörung hervor.
Daraufhin relativierte Sobotka, sprach sich aber dafür aus, „Spaßdemos“ zu verbieten. Was bitte ist eine Spaßdemo? Mit der Kundgebung gegen die Abhaltung des Kongresses zur Verteidigung Europas wollten sich die VeranstalterInnen sicherlich keinen Jux machen. Sie arbeiten alle ehrenamtlich und hätten Besseres zu tun, als sich ausgerechnet auf diese Art und Weise zu amüsieren. Einige meiner Bekannten und Freunde nahmen den Anlass ebenfalls sehr ernst. Sie reisten aus Salzburg und Wien an, um gegen die Abhaltung dieses Kongresses zu demonstrieren, der dann ja auch zum letzten Mal in den Linzer Redoutensälen über die Bühne ging. Und schließlich erinnere ich mich noch an zwei wesentliche Demonstrationen in Österreich, die im Sinne der AktivistInnen erfolgreich waren: Die Demonstrationen gegen Zwentendorf und die Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des bereits fertiggestellten Atomkraftwerks 1978, und die Besetzung der Hainbuger Au 1984.
„Unser Leben beginnt aufzuhören an dem Tag, an dem wir über wichtige Dinge Stillschweigen bewahren“, sagte der legendäre Bürgerrechtler Martin Luther King. Oder auf Grund mangelnder Alternativen Stillschweigen bewahren müssen.

„Keine Gewalt, sondern Erkenntnis!“

Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie von Porträts über frühe Anarchist_innen und den Anarchismus als eine der ersten sozialen Bewegungen überhaupt. Andreas Gautsch schreibt in dieser Ausgabe über Karl F. Kocmata – einen Anarchisten und Zeitungsherausgeber mit rauem Tonfall.

„Die Österreichische Scheißfreundlichkeit wurde revolutioniert. Das Produkt dieses Tuns war die Wahl in die Nationalversammlung. (…) Aber die Danke schön-, Bitte sehr- und Küß die Hand-Republikaner, dieses Volks ohne Rückgrat und Besinnung, das zu den monarchistischen Fes­ten und Festzügen mit derselben Begeisterung lief als es sich zur Wahl in die Nationalversammlung wie eine Schafherde treiben ließ, dieses Volk holt seine Gesinnung aus den vergifteten Quellen des deutsch-österreichischen Blätterwaldes.“ (Revolution, Nr. 1, Jänner 1919, S. 1)

Von der Revolution! bis zur Ver!
So polterte vor hundert Jahren, im Jänner 1919, der Anarchist, Schriftsteller und Re­dakteur Karl Friedrich Kocmata im Leitartikel der ersten Ausgabe seiner Wochenzeitung Revolution!. Der Autor war zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter mehr. Bereits im letzten Kriegsjahr hatte er den Jungen und Wilden der expressionistischen Avantgarde, zu der er ebenfalls zu zählen ist, mit der von ihm 1917 gegründeten Zeitschrift Ver! ein Sprachrohr gegeben. Neben Gedichten, kunstvollen Gra­fiken, meist Linolium- oder Holz­schnit­ten, finden sich darin zeitgenössische Auseinandersetzungen über Krieg, Naturheilkunde, die Lebensreformbewegung, wie auch über das Schaffen von Egon Schiele oder das letzte Schönbergkonzert. Hinzu kommen ausführliche Hom­magen an die Säulenheiligen dieses Ver!-Kreises: Karl Kraus und Peter Altenberg. Letzterer steuerte Titel und Schriftzug der Zeitschrift bei. Der Literaturwissenschaftler Thomas Reineke zählte über 100 Mitarbeiter_innen, die in der kurzen Zeit ihres Bestehens von 1917 bis Jänner 1919 dort publizierten, die meisten Namen sind heute vergessen, abgesehen von dem bereits erwähnten Peter Altenberg oder dem Anarchisten Erich Mühsam.
Kocmata selbst trat in der Zeitschrift eben­falls als Autor in Erscheinung, beispielsweise mit einer Kritik am herrschenden Literaturbetrieb. Er sah die Aufgabe der Literatur in der Volksbildung und nicht in der Unterhaltung. „Mich dünkt, daß gerade dies fade, unwahre Ästhetisieren dem Schrifttum in Österreich schwere Nachteile brachte. Das Lesepublikum wur­de verzogen: Das Lesen, das eine Angelegenheit auch des Denkens sein soll, wurde ihm zu leicht gemacht, wenn man es nicht gar als überflüssig betrachtet.“ (Ver!, September,1917, S. 30) Die damals wie auch heute ökonomisch schwierige Situation für Autor_innen kritisierte er ebenfalls und vertrat hier die Ansicht, dass die soziale Frage der Kulturschaffenden nur von diesen selbst zu lösen seien. Wie das aussehen könnte, führte er in diesem Artikel nicht näher aus, sondern begnügte sich damit, seinen Pessimismus hinsichtlich einer staatlichen Unterstützung kundzutun: „Heute weiß ich, daß der Staat wohl ein Interesse an der Förderung der Volksbildung haben sollte, doch ist jegliche Hoffnung auf diese Unterstützung aussichtslos.“ (Ver! September 1917, S. 31)

Vom Gesindel zur Avantgarde
Diese Skepsis gegenüber dem Staat entspricht nicht nur seiner anarchistischen Einstellung, sondern auch seiner eigenen Lebenserfahrung. Als sechstes Kind einer Wiener Arbeiterfamilie im Jahre 1890 geboren absolvierte er zunächst eine kaufmännische Ausbildung und entwickelte sich in den 1910er Jahren zu dem für die anarchistische und sozialrevolutionäre Bewegung typischen autodidaktisch gebildeten Intellektuellen. Diese vertrauten auf ihren Wegen der Befreiung und Selbstermächtigung weniger den Versprechungen und Politiken der dominierenden sozialdemokratischen Bewegung, sondern den anarchistischen Idealen der individuellen Autonomie und gegenseitigen Hilfe. Obwohl Kocmata ein Mensch der Worte war, entwickelte er keine eigene anarchistische Theorie, sondern orientierte sich an Personen wie Leo Tolstoi, Pierre Ramus oder Peter Kropotkin. Er war mehr ein Praktiker – Redner, Journalist, Dichter und Her­ausgeber und zählte, neben Pierre Ramus, Olgar Misar und Max Nettlau zu den auffälligeren Anarchist_innen der ersten Jahr­zehnte des 20. Jahrhunderts in Österreich. Zumindest, wenn man den schriftlichen Output als Gradmesser nimmt.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg bewegte sich Kocmata in den anarchistischen Kreisen um den bereits erwähnten Ramus (Rudolf Grossmann). Dieser hatte Anfang des 20. Jahrhunderts der anarchistischen Bewegung in Österreich, dank seiner umtriebigen propagandistischen und publizistischen Tätigkeiten, wieder neues Leben eingehaucht. In seine Zeitschrift Wohlstand für Alle!, die für Herrschafts- Gewaltfreiheit stand, verfasste Kocmata unter dem Pseudonym Karl F. Heiding seine ersten Artikel. Im Jahr 1911 brachte er auch seine erste eigene Zeitschrift, die den klingenden Titel Das Gesindel. Monatsschrift für die Wiener Gesellschaft, trug, heraus. Ramus lobte diese als „eine ganz eigenartige Produktion unserer Wiener Zeit­schriften-Literatur, die an Lesbarem unendlich arm ist. Der Geist der Freiheit weht durch das Heftchen und verdient dieselbe Beachtung und Förderung seitens aller Vorkämpfer für ein neues Leben und für eine Revolution auf dem Gebiete unserer heute so korrumpierten und hohltönenden Literatur.“ (Ohne Herrschaft. Literarisches Beiblatt des „Wohlstand für Alle“ Nr. 5, Mai 1912,) Im Folgejahr war jedoch bereits Schluss mit dem Gesindel, stattdessen gründete er den Adria Verlag und brachte u. a. einen Gedichtband von Hugo Sonnenschein heraus. 1914 ging er nach Berlin und trat dort mit Franz Pfemfert, Herausgeber der bedeutenden Zeitschrift Die Aktion in Kontakt. Der Stam­mersdorfer Arbeitersohn war nun im Zentrum der linken, expressionistischen Avant­garde angekommen.

Gegen Krieg und seine Apologeten
Zurück von Berlin, der Krieg war ausgebrochen, kam er zunächst in Untersuchungshaft, später wurde er für kriegsuntauglich erklärt und im November 1917 zog man ihn ins Kriegspressequartier ein, wo er Schriftleiter der vom freisozialistischen Reichsratsabgeordneten Simon Starck herausgebenen Zeitung Neue Bahnen wurde. Wie bereits erwähnt begann er in diesem Jahr auch mit der Zeitschrift Ver!. Mit dem Zusammenbruch des Habsburger Imperiums und dem Ende des Ersten Weltkrieges machte sich eine Aufbruchsstimmung breit, in der in Wien dutzende Zeitschriften und Zeitungen gegründet wur­den. Jede sozialistische oder intellektuelle Strömung und Vereinigung hatte ihr publizistisches Organ und Kocmata beendete Jänner 1919 seine Ver! und setzte nahtlos mit der anarchistischen Zeitschrift Revolution! fort. Die verschiedenen Zeitschriften waren sowohl künstlerische Ausdrucksmittel als auch Orte politischer Aus­einandersetzung, Diskussion und Schreibgefechte, womit wir beim Spezialgebiet Kocmatas gelandet wären. Wie im Eingangszitat ersichtlich liebte er den rauen, polemischen Tonfall mehr als die feine Klinge. Sein Spott und seine Verachtung galten vor allem jenen Schriftsteller_innen, die sich in den Zeiten des Kriegs für die Kriegspropaganda einspannen ließen und sich nach dem Krieg ganz republikanisch oder gar revolutionär gebärdeten. Den Kriegsdichtern widmete Kocmata bereits 1916 eine scharfe Polemik. In der letzten Nummer der Revolution!, die im Jänner 1920 erschien, kam er nochmals darauf zurück und verfasste einen wunderbaren Leitartikel, in dem er seine Kritik an Autor_innen wie Felix Salten, Alfred Petzold, Alice Schalek noch einmal bekräftigte. „Nicht oft genug können die Namen dieser Menschen genannt werden (…) da die Tinterln gesund und munter sich die Augen reiben und sich einer Neuorientierung der politischen Verhältnisse unterziehen, sich diesen Verhältnissen geschickt und gewandt anpassen.“ (Revolution, Nr.33/34, Dezember 1919, S. 1)
Als bekennendem Kriegsgegner und Antimilitaristen waren ihm nicht nur diese intellektuellen Wendehälse ein Gräuel, sondern auch jeglicher Patriotismus und das in der noch jungen Republik wieder auflebende Heeres- und Milizenwesen. Kocmata lehnte jede Form von Zwang und Waffengewalt ab und schaffte hierfür die Kurz­formel: „Keine Gewalt, sondern Erkenntnis!“ (Revolution, Nr. 19, 28.Juni 1919, S. 1)

Vom Ende der Revolution und Rückzug von der Bewegung
Mit dem langsamen Abklingen der revolutionären Phase in Österreich wandte sich Kocmata zu Beginn des Jahres 1920 verstärkt der proletarischen Bewegung und Fragen des Klassenkampfes zu. Zusammen mit Genoss_innen versuchte er ein Organ einer anarchistisch-syndikalistschen Gewerkschaft, den Arbeiter-Kampf auf die Beine zu stellen. Die Zeitung existierte jedoch nur ein paar Ausgaben lang. Anschließend zog sich Kocmata von der anarchistischen Bewegung immer mehr zurück. Seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit Pierre Ramus zerbrach in einem Streit, der sich bereits 1919 abzuzeichnen begann und in der Zeitung Revolution! nachlesbar ist.
Von 1921 bis 1925 arbeitete Kocmata bei der in dieser Zeit sozialdemokratisch ori­entierten Tageszeitung Der Abend, verfasste zwei Schriften über Prostitution in Wien und arbeitete danach als Redakteur bei kleineren Blättern. Über seine Tätigkeiten in den 30er Jahren ist kaum etwas bekannt und überliefert. Soweit es sich anhand von Aussagen seiner letzten Weggefährten rekonstruieren lässt, verstarb Kocmata verarmt und vereinsamt, physisch und psychisch zerrüttet, im Winter 1943 auf einer Parkbank in Wien. (vgl. Thomas Reinecke: Karl F. Kocmata und Ver!-Kreis, in: Klaus Amann, Armin A. Wal­la (Hg.), Expressionismus in Österreich. Literatur und die Künste., Wien, 1994, S. 110)

 

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch entstanden.

Metall und mehr

Forum Metall, Forum Design sowie die Meisterklasse für Metall: Ein großangelegtes Ausstellungsprojekt würdigt das Wirken von Helmuth Gsöllpointner – als Künstler, Netzwerker, Vermittler und Lehrender. Die Landesgalerie Linz ist neben Kunstuniversität, Galerie MAERZ und Kunstraum LinkZ an dieser Kooperation beteiligt. Kuratorin Inga Kleinknecht gibt einen Überblick.

Bürowand von Helmuth Gsöllpointner in der Kunsthochschule Linz, um 1990. Foto Unbekannt

Dass Metall weit mehr sein kann als ein wichtiger Werkstoff für Industrie und Technik und sich nahezu allen Bereichen der künstlerischen Gestaltung etablieren kann, hat Helmuth Gsöllpointner unter Beweis gestellt. Mit Projekten, wie dem Forum Metall (1977) und dem Forum Design (1980) hat er sich in die jüngere Kunstgeschichte Oberösterreichs eingeschrieben. Er initiierte aber auch den Weg für eine solide universitäre Ausbildung für Studierende, die sowohl die Technik der Metallverarbeitung als auch die Prinzipien von Kunst und Design erlernen wollen.

Während seiner Zeit als Professor der Meisterklasse für plastisches Gestalten in Metall war Gsöllpointner Rektor der Kunst­universität (1977–1981) und konnte in dieser Doppelfunktion seine Vorstellungen und Pläne für eine Kombination von künstlerischer Ausbildung und technischen Fertigkeiten gezielt umsetzen. Dabei ging es ihm vor allem darum, neue Maßstäbe in der Optimierung von Lehrinhalten zu formulieren. Es galt nicht nur die Technologie und Methodik der Me­tallverarbeitung zu vermitteln, sondern vor allem das geistige und künstlerische Potential der Studierenden zu fördern. Die „Integration der Linzer Hochschule für Gestaltung in das Bewusstsein der Bevölkerung im allgemeinen und der Absolventen der einzelnen Studienrichtungen in das Praxisleben und in die Wirtschaft im besonderen“1 bezeichnet Gsöllpointner als sein Herzensanliegen.

Wesentlich sind die innovativen Lehrmethoden, die das Experimentelle, die erlebnishafte Erfahrung sowie das projektbezogene Arbeiten und die außerschulischen Veranstaltungen als Teil der Ausbildung berücksichtigen. Das Klima in den Metallklassen hat legendäre Episoden und bleibende Erinnerungen hervorgerufen und gleichzeitig zu kreativen Prozessen angeregt, die weit über die reine Metallverarbeitung hinausgehen.

„Gestalten in Metall heißt Gestalten in allen Materialien“, dieser von Helmuth Gsöllpointner geprägte Leitsatz, oder besser gesagt sein Credo, klingt bis heute nach und wird immer wieder gerne zitiert, wenn die Meisterklasse ihre Erinnerungen Revue passieren lässt.

Seine erste Abteilung für Metallplastik gründete Gsöllpointner 1955 in den Lehrwerkstätten der VOEST Alpine AG in Linz. Ermöglicht wurde diese Lokation durch eine Vereinbarung von Bund und Voest und die Unterstützung des damaligen Generaldirektors der Voest, Herbert Koller. „Durch die Situierung im Gelände der Voest waren nicht nur alle technischen Möglichkeiten der Metallbearbeitung gegeben, sondern auch der unmittelbare Kontakt zur Industrie, welcher besonders im Bereich der Industrieformgebung ideale Voraussetzungen schafft.“2

Die erste Generation der Meisterklasse studierte somit hautnah im dualen System von Industrie und Kunst. In der männerdominierten Runde – unter anderem mit Beni Altmüller, Gerhard Bogner, Charles Kaltenbacher und Gerhard Knogler – behaupteten sich die ersten weiblichen Positionen, allen voran Waltrud Viehböck. Eine erste räumliche Annährung zur Kunsthochschule war eine Außenstelle, die Werkstatt in der Linzer Bischofstrasse. Die Übersiedlung in die Reindlstrasse brachte die Meisterklasse schließlich auch räumlich noch ein Stück näher an die Kunsthochschule.

Für Gsöllpointner galt in allen Phasen, in denen er seine Meisterklasse unterrichtete, die Grundprinzipien von Technik und Handwerk sowie Kunst und Gestaltung gleichermaßen einzutrichtern. Nicht zuletzt um seine Schützlinge so aufzubauen, dass ihnen später beruflich eine große Bandbreite an Möglichkeiten offenstehen konnte.

Impulse, die rein künstlerischer Natur waren, überließ er Künstlern wie Gerhard Knogler, Anregungen zur ausgeprägt technischen Seite wiederum kamen etwa von seinem Kollegen Kristian Fenzl. Gsöllpoint­ner vergleicht beide gerne mit einem irrationalen und einem rationalen Flügel3. Die Pufferzone zwischen den beiden Flügeln bildete der Meisterschüler und später Lehrende Stefan Brandtmayr. Der technische Erfindergeist, der Daniel Düsentrieb der Runde, war Arthur Viehböck. In und um Gsöllpointners Meisterklasse wirkten dem­nach unterschiedliche Kräfte und Widerstände, die genau in dieser Polarität verschiedene individuelle und künstlerische Ausprägungen der Studierenden ermöglichten.

Aufmerksamkeit von internationaler Seite erlangte die Meisterklasse schließlich mit dem Projekt „Netz Europa“ (1994), das zu einem regen Gedankenaustausch mit Gastprofessoren führte und Studienaufenthalte im Ausland ermöglichte. Hauptanliegen der Meisterklasse blieb das „Kennenlernen neuer Strukturen und die Auseinandersetzung in offener Diskussion“.4

Die aktuelle Ausstellung der Landesgalerie Linz hat es sich zum Ziel gesetzt, nicht nur einzelne künstlerische Positionen zu zeigen, sondern eben genau diese Grundstimmung der Meisterklasse zu dokumentieren. Neben Schnappschüssen aus der Zeit vermitteln einzelne Filmdokumente von diversen Projekten oder Studienreisen etwas von dem künstlerischen Austausch, der auf gemeinsamen Erlebnissen und Gesprächsrunden basierte.

Diskutiert wurden Fragestellungen mit städteplanerischen Relevanz, zum Beispiel die Erhaltung des Steyrer Wehrgrabens. Dabei ging es um die Regulierung und Revitalisierung des Wasserstandes im technischen Sinne und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die durch künstlerische Ob­jekte und Installationen angeregt wurde.
Weitere Themenfelder bilden die Gestaltung von Innenräumen und Außenanlagen von Häusern und öffentlichen Plätzen bis hin zu neuen Ideen rund um das Thema Form und Funktion von Denkmälern. Der sogenannte Zigarettenturm der Linzer Tabakwerke von Karl-Heinz Klopf und Gerhard Knogler gehört zu den bekannten Beispielen, die eine neue Richtung im Umgang mit Großplastik im urbanen Raum widerspiegeln.
Darüber hinaus entstanden Ideen zur Erweiterung des Mediums Skulptur, die funktional und spielerisch sein kann. Exemplarisch dafür ist die „Kuppel“ von Wolfgang Georgsdorf zu nennen, die sich dauerhaft im Skulpturenpark der Landesgalerie befindet. Der Künstler verschweißte Eisenfundstücke aus der Voest zu einer Art Behausung, die im Inneren mit einer Schaukel erlebbar gemacht werden sollte. Die Erweiterung von Möglichkeiten von Gestaltung und Design wurde neu definiert und in allen Maßstäben umgesetzt. Schmuck und Objektdesign entwickelte sich zu einem wichtigen Schwerpunkt in der künstlerischen Auseinandersetzung der Meisterklasse.

Die Ausstellung fokussiert Werke aus der Studienzeit und Diplomarbeiten der KünstlerInnen, wirft aber gleichzeitig einen Blick auf die vielfältigen beruflichen und künstlerischen Karrieren. Das Spektrum reicht dabei von KünstlerInnen, die Metall als Werkstoff wählen (Wolfgang Georgsdorf, Gerhard Gutenberger, Andreas Sagmeister, Bibiana Weber), sich der Bildenden Kunst verschrieben haben (Beni Altmüller), konzeptuell arbeiten (Peter Sommerauer) oder in mehreren künstlerischen Sparten tätig sind (Karl-Heinz Klopf, Barbara Mungenast, Ursula Witznany), über GrafikerInnen, Produkt- und IndustriedesignerInnen (Rainer Atzlinger, Andreas Bauer, Christian Kreiner), ModemacherInnen und SchmuckgestalterInnen (Andrea Auer, Tina Haslinger) bis hin zu FotografInnen (Norbert Artner, Gregor Graf, Katharina Struber), TechnikerInnen, FilmemacherInnen (Ella Raidel) und BühnenbildnerInnen (Stefan Brandtmayr), die in der Metallproduktion arbeiten oder an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung lehren (Susanne Jirkuff).

Es geht aber auch um Kunstschaffende, die ganz andere Wege gegangen sind, einfach weil sie in der Meisterklasse von Helmuth Gsöllpointner gelernt haben, den Mut zu haben, mal etwas anderes auszuprobieren und ihr Leben zu gestalten.

 

1 Helmuth Gsöllpointner: Meisterklasse für plastisches Gestalten – Metall an der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz, in: Intelligenz der Hand, Metallgestaltung in Österreich am Beispiel von Arbeiten der Meisterklasse für Metallgestaltung an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und der Meisterklasse für Plastisches Gestalten – Metall an der Hochschule für Künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz, Wien 1980, Vorwort.

2 Helmuth Gsöllpointner, Kristian Fenzl, Josef Priemetshofer, Gerhard Knogler (Hgg.): Metall, 1976/1977, Linz 1977, Vorwort.

3 Vgl. Helmuth Gsöllpointner, Meisterklasse Metall, 10 Jahre Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung in Linz, Ternberg 1984, S. 6.

4 Helmuth Gsöllpointner, Gerhard Knogler, in: Meisterklasse Metall Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung, MK Metall, Linz 1994, Vorwort.

 

METALL UND MEHR. Helmuth Gsöllpointner und seine Meisterklasse Eröffnung: Mi., 13. Nov. 2019, 19.00 Uhr
Ausstellungsdauer: 14. Nov. 2019 bis Jan. 2020
www.landesmuseum.at/de/standorte/landesgalerie-linz.html

Wie macht man das?

Forum Metall, Forum Design sowie die Meisterklasse für Metall: Ein großangelegtes Ausstellungsprojekt würdigt das Wirken von Helmuth Gsöllpointner – ein zweiter Blickwinkel von Ausstellungsgestalter Stefan Brandtmayr.

Helmuth Gsöllpointner, um 2000. Foto Andreas Bauer

Wie macht man das?
Eine Ausstellung gestalten,
eine Ausstellung, über einen Menschen, der mein Lehrer war und jetzt mein Freund ist.
Professor, Rektor, Einmischer, Haudegen (mit Familie) und Künstler. Das alles, außer Diplomat und sicher noch einiges mehr.

Da taucht es auf dieses Wort „mehr“ und ich werde darauf zurückkommen.

Er wird jetzt 86 und hat den Förstersohn nie abgelegt. Wer kann schon von sich behaupten, einen Bilch durch das Mensafenster zu erkennen. „Ansprechen“ zu können.
Wie also gestaltet man eine Ausstellung, die keine Werkschau zum Oeuvre dieses Mannes sein soll, sondern vielmehr den Blick auf das Biotop seiner „Meisterklasse Metall“ freilegen soll.
Wikipedia verweist auf Linzwiki (ja das gibt’s wirklich), wenn man Fakten zur Gründung braucht.

Irgendwie begann alles im Linzer Stahlwerk mit den ersten Studenten und einer „-In“ und entwickelte sich ab 1973 zu einer Abteilung mit Hochschulambitionen.

Die „Meisterklasse Metall“ entstand und wie beim chemischen Element, welches hier namensgebend war, hatte es was zu tun mit „Ehr“ und „Furcht“ und dem dazwischen.
Ich bin erst 1978 eingestiegen, also fehlen mir etliche Jahre. Jahre, die eine männerdominierte Gemeinschaft nahe dem Hochofen verbrachte. Die Artusrunde mit Ateliers in der VOEST. Einer der wichtigen Lehrer meiner Studienzeit, Gerhard Knogler, war ein einfühlsamer Chronist dieser, auch seiner ZEIT.
Wunscheim, Lackner, Geever … Wie Serienhelden sind die Namen bei nächtlichen Streifzügen aufgepoppt. Vom späteren Bibliotheksdirektor bis zum Vietnamveteranen war alles vertreten, was einem klassischen Männerbund entsprach. Ergänzt durch Altmüller, Bogner, Bucheder, Kaltenbacher, um nur einige zu nennen. Allesamt Künstler und Lauser zugleich.
Aber da war auch noch die Student-In Waltrud Viehböck, die als eine der wenigen, bis zu ihrem Tod, in ihrer künstlerischen Arbeit „dem“ Material treu geblieben war.

Was für eine Fügung. Vielleicht war sie auch die Türöffnerin für das Weibliche in diese Testosterongemeinschaft. Später verstärkt durch Edith Zacherl, durch die manche den Begriff Emanzipation das erste Mal erklärt bekamen und zwar deutlich.
Streitkultur und Vielfalt hatten uns erreicht!

Die Meisterklasse wurde ab dieser Zeit auch zur Heimat von vielen Studentinnen. In manchen Jahren hatten sie die „Absolute“. Das hat den Studienplan verändert und den Ereignishorizont. Schmuckgestaltung, Mode, Theater und Film wurden neben Design und Bildender Kunst zu Sehnsuchtszielen und manchmal war die Quersumme der einzelnen Disziplinen der wichtigste Eingriff in die dominante DNA der ursprünglichen Lehre. Einer Lehre, die doch sehr stark ein handwerkliches Fundament forderte und nun vermehrt mit inhaltlichem Diskurs konfrontiert wurde.
Wenn man die Berufsbilder der Absolventinnen betrachtet, erkennt man, wie wichtig dieser Diskurs war und wie richtig die Forderung war.

Nach MEHR!

Als ich den Auftrag zur Gestaltung dieser Ausstellung bekommen habe, stand der Titel schon fest.

METALL UND MEHR

Ich hätte ja MEER vorgeschlagen, aber wer widerspricht schon zwei Kuratorinnen.

Also, wie geht das, wie ist der architektonische Ansatz, eine Struktur zu etablieren, die diesem Klima gerecht und ein Ort der Dinge und Bilder wird.
Liebe Gabi, liebe Inga ich habe Euch einfach beim Wort genommen. Präziser gesagt bei den Worten.
Das Ergebnis sehen wir im November.

Überwachen und Strafen

Shu Lea Cheang kooperiert im September bei der Showcase-Extravaganza STWST48 mit der Stadtwerkstatt. Parallel dazu läuft immer noch ihr Beitrag bei der Biennale in Venedig. Sarah Held hat Shu Lea Cheangs Biennale-Arbeit gesehen und schreibt zu 3X3X6 – und künstlerischem Responding auf Unter­drückungsmechanismen.

Der Überwachungs-Dummie am Eingang. Foto Sarah Held

Shu Lea Cheang vertritt mit ihrer Arbeit „3X3X6“ den taiwanesischen Pavillon auf der 58. Biennale in Venedig. Die in Europa lebende Künstlerin mit taiwanesischen Wurzeln arbeitet mit variationsreichen Medien wie Performance, Net Art, Videoinstallation, Kunst im öffentlichen Raum und ist neben ihrer künstlerischen Arbeit auch als Filmemacherin (z. B. „Fluid0“, 2017) tätig. Sie wird mit ihrer Arbeit „BRANDON“ (1998–1999) als Pionierin der Net Art benannt, diese Arbeit gehört zur Sammlung des Solomon R. Guggenheim Museums, New York City. Thematisch beschäftigt sich Cheang kritisch mit verschiedenen soziopolitischen Dimensionen von Gesellschaft in Korrelation mit wirtschaftlichen Faktoren, geographischem Raum und der (Neu)definierung von Geschlecht, Geschlechterrollen sowie den damit zusammenhängenden kulturellen Mechanismen, die Diskriminierungen und Ausschlüsse begünstigen. Ihre Arbeiten können als Interventionen in tradierte Denk- und Wahrnehmungsmuster gelesen werden. Gemeinsam mit Kurator Paul B. Preciado hat sich Shu Lea Cheang auf der diesjährigen Biennale der Schnittstelle von Überwachen und Strafen, (vermeintlich) devianter sexueller Orientierung und Identitätskonstruktionen außerhalb zäher und starrer Binarismen angenommen.
Die Biennale zeigt die Arbeit nicht im Arsenale, wo das Gros an Pavillons verschiedener Vertreter*innen unterschiedlichster Nationen zu sehen ist, sondern im Zentrum von Venedig. Nur einen Steinwurf vom touristischen Treiben am Markusplatz, neben dem Dogenpalast, liegt direkt am Pier der Palazzo delle Prigioni neben der bekannten Seufzerbrücke. Er gehört zum Gefängnistrakt, in den auch der Legende nach die seufzenden Inhaftierten gehen mussten. So spiegelt sich in der Historizität des Ausstellungsraums auch ein Teilkonzept der künstlerischen Intention Cheangs bezüglich gesellschaftlicher und staatlicher Repressions- und Sanktionierungsmechanismen. Die Referenz auf Foucaults gefängnistheoretische Auseinandersetzung wird in diesem Artikel durch Raum und Thema der Ausstellung gar obligatorisch. Das Thema von Überwachung und Abstrafung prägt „3X3X6“. Bereits beim Betreten des Gebäudes passiert man einen künstlichen Dummy-Portier in einem hölzernen (Über)Wach(ungs)häuschen, der als visueller Vorbote auf Kontrollstrukturen dient, denn wer die Arbeit besucht, wird gleichzeitig von zwei 3D-Kameras gescannt und aufgezeichnet. Eine Datenschutzerklärung weist daraufhin, dass die ermittelten visuellen Daten zwar gespeichert werden, aber die einzelnen Personen unkenntlich gemacht und die Daten nur im Rahmen der Installation auf der Biennale verwendet werden.
„3X3X6“ ist im Mezzanin des Palazzos in drei Raumeinheiten eingeteilt. Die Arbeit wird über „Room A“ betreten, dort finden die Besucher*innen panoptisch angelegte Projektionsstellwände, die implizieren, sich als Besucher*in in deren Mitte zu stellen. Es werden Menschen gezeigt, deren Bewegungsmuster sich immer wieder zwischen realer Abbildung und metrischer 3D-Morphierung transformieren. Kurator Paul B. Preciado beschreibt die Intention dieses Raums folgendermaßen: „Here, gender and racial morphing become queer digital strategies to disrupt the tradition of colonial and anthropometric identification techniques, extending from Alphones Bertilon’s criminological photography of the nineteenth century to today’s facial recognition technologies.“ Mit dieser Inszenierungspraxis kritisiert die Künstlerin rassistische und von Homophobie geprägte Rasterfahndungen. Auf Raum B/C wird im Folgenden detaillierter eingegangen, der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle Raum D aufgeführt, in dem die technische Kontrolleinheit, der Server, der das Ausstellungsprojekt steuert, inszeniert ist.
Die Räume B und C sind V-förmig angelegt, miteinander verbunden und laden die Besucher*innen ein, zwischen zehn auf dem Boden installierten Monitoren um­her­zugehen. Im dunklen Raum zeigt Shu Lea Cheang Kurzclips von zehn Personen, die aufgrund von sexueller Begierde, Krankheit oder Handeln inhaftiert wurden und/oder von weiteren Repressionsformen betroffen waren. Die Beschaffenheit des Raums mit seinem massiven Mauerwerk erzeugt eine Kerkeratmosphäre. Die Assoziation altertümlicher Gefängnisräumlichkeiten wird auch stark von den zudem popkulturell induzierten und internalisierten Vorstellungen von solchen Räumlichkeiten gefördert. Die Bildschirme zeigen poppig-schrille Clips von historischen Persönlichkeiten, wie „Casanova X“ und „Sade X“, über „Foucault X“, sowie Menschen, die durch kontroverse Delikte auffällig geworden sind. Beispielsweise „B X“, eine Frau, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil sie ihrem Mann nach wiederholter Vergewaltigung den Penis abtrennte und im Müllschredder im Waschbecken entsorgte. Weiters sieht man die Person („MW X“), die sich von Armin Meiwes essen lassen wollte, letzterer wurde in den Medien als Kannibale von Rothenburg bezeichnet. Die letzte Installation beschäftigt sich mit einer Gruppe Frauen („FSB X“) aus Südafrika, die für „harvesting sperm“1 von Männern verurteilt wurden.2
Die Körper-Raum-Beziehung, die die Installation erzeugt, ist – kaum verwunderlich – von Beklommenheit gefärbt. Dafür sorgt einerseits der Gefängnistouch des physischen sowie des metaphysischen Raums, der durch die Inhalte der Videoinstallationen erzeugt wird. Diese zeichnen sich durch mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten aus als nur den offensichtlich gemeinsamen Nenner „X“. Alle Akteur*innen in den Videoclips wurden wegen sexueller Begehren (staatlich) verurteilt. Klammert man die unterschiedlichen Verstöße gegen das Strafrecht der einzelnen Delikte aus, geht es bei allen um eine Verletzung der Entscheidungsfreiheit und staatliche Bevormundung.
Cheang bedient sich bei der Inszenierung ihrer, von der Gesellschaft als deviant gelabelten Subjekte, einer Verqueerungsstrategie, indem die Darsteller*innen häufig mit dem Original brechen. So wird „Sade X“ von einer dicken Frau verkörpert oder „B X“ ist eine Drag-Queen. Während die Arbeit nicht an explizitem Material geizt, wird auch an dieser Stelle immer wieder mit den Erwartungshaltungen der Rezipient*innen gebrochen, wenn beispielsweise die Armin-Meiwes-Figur das Innenleben eines Computers verspeist, anstatt einen abjektiv inszenierten Penis.
Der Künstlerin gelingt es durch die Arbeit, beispielsweise mit verspielt-schriller Video­ästhetik, die thematisch schwer konsumierbaren Inhalte auf ironisch bis witzige Weise darzustellen. Das kann durchaus als vereinfachte Zugänglichkeit zum Thema verstanden werden. Die Inszenierungspraxis der Ausstellung spiegelt ein aktuelles Zeitgeistphänomen. So zeichnet sich ein Spiel mit dem Austauschen von Kunst und Popkultur ab. Scheinbar erfüllt die Arbeit alle Diversitätsanforderungen, es werden nicht-normative Körper gezeigt, es findet Genderbending statt, Rollen werden getauscht, karikiert und überzeichnet. Beispielsweise „Foucault X“ ist als stereotyper „Lederschwuler“ mit Ketten im Dungeon zu sehen.
Allerdings finden die eigentlich queeren Momente woanders statt, worauf auch Preciados kuratorischer Kommentar verweist. Diese zeigen sich in der ästhetischen Referenz auf eigene Arbeiten (z. B. „Fluid0“), in unerwarteter Inszenierung, hyperbolischen Bildsprachen bestehend aus Animationen, die sich bewusst auf einem Lo-Fi-Level und die 90er Jahre anlehnen, z. B. beim zerhäckselten Penis oder der „BX“-Persiflage einer rollenkonformen Hausfrau aus Formaten wie der „Donna Reed Show“. Weiters in der slapstickhaften Darstellung von schwer verdaulichen Inhalten unter Verwendung von GIF-überladener Social-Media-Ästhetik von „FSB X“. Genau diese, den traditionellen Blick verqueerende Perspektive erzeugt in der Inszenierung der Ausstellung eine quietschbunte queer-feministische Transformation, die von einer gar bissig-morbiden bis dissoziativen Komik geprägt ist. Ähnliche Bildsprachen und Ästhetiken findet man beispielsweise auf der diesjährigen Transmediale, die stark vom Aufgreifen von Web-2.0-Ästhetiken aus Instragram, Snapchat und vor allem Retro Net Art und Cyberfeminismus geprägt war, in der Arbeit „Ghosts“ von Christa Joo Hyun D’Angelo, die gerade in der Berliner Galerie im Turm gezeigt wird oder Tabita Rezaires Arbeit „Ultra Wet – Recapitulation“ in der Ausstellung „Hysterical Mining“, Kunsthalle Wien.
„3X3X6“ öffnet viele Fragen und Denk­räume, wesentlich mehr als dieser Artikel aufzeigt. Abschließend kann mit einem zwinkernden Auge aufgeführt werden, dass einige Betrachter*innen vielleicht die Inszenierung von Foucault in Leder und Ketten im BDSM-Dungeon zu offensichtlich, vielleicht sogar etwas flach erscheint, wenn in „Foucault X“ die foucaultsche Machttheorie rezitiert wird, aber das in Korrelation mit Ausstellungsraum und der hyperbolischen und subversiv-affirmativen Arbeitsweise Shu Lea Cheangs auch schon wieder Sinn macht, vielleicht sogar fehlen würde.

 

1 Quelle: Videoinstallation zu „FSB X“.

2 Weitere Adaptionen von realen Fällen können der Begleitbroschüre zur Ausstellung entnommen werden.

Shu Lea Cheangs Biennale-Arbeit: 3x3x6.com
Shu Lea Cheang diesen September in Koop mit STWST: stwst48x5.stwst.at

weaving in

Das Klangfestival Gallneukirchen findet heuer bereits zum elften Mal statt und macht aus dem kleinen Städtchen im Mühlviertel einen Hotspot der experimentellen Musik. Von 13.–15. September wird ein umfangreiches Netz aus Musik, Filmen, Installationen, Bildern und Texten gewebt. Alexander Eigner sprach mit zwei der Organisator*innen, Tanja Fuchs und Vinzenz Landl, über das Programm, was ein Zine ist und über Surprises.

Wortsammlung. Foto Marlene Haider

Seit 2008 wird das Klang­festival jährlich in Gallneukirchen veranstaltet. Zunächst in idyl­lischer Atmosphäre am Warschenhofer Gut, etwas außerhalb des Zentrums. Der Weg zur Musik führte damals über Wiesen, vorbei an Kühen und Misthaufen hin zu einem Stadel, wo sich der große Krach abspielte. Im Jahr 2015 endete allerdings die Zusammenarbeit zwischen dem Landwirt und dem Organisationsteam des Klangfestivals.

Leerstand
Diese Trennung war nun nicht das Ende der experimentellen Kunst in Gallneukirchen, vielmehr wurde sie dadurch auf ein neues Level gehoben. Mitten im Ortszentrum war plötzlich ein leerstehendes Gebäude, die Alte Nähstube, welches vom Verein Klangfestival seit 2016 regelmäßig benutzt wird. In diesem Jahr gab es kein typisches Klangfestival, sondern eine ganze Reihe von Veranstaltungen unter dem Namen „Klangfolger“. Der geänderte Rahmen zog viele neue Menschen an, was am vielseitigen Programm (Konzerte, Lesungen, Performances etc.) liegen mag, oder an der neuen Lokalität. Ein altes leerstehendes Gebäude hat eben einen ganz eigenen Charme. Als das Klangfestival 2018 zum gewohnten Format zurückkehrte, wurde außerdem ein weiterer Leerstand als Veranstaltungsort dazugeholt – die alte Feuerwehrhalle. Zwischen Gemeindeamt, Schule, unweit von Bank und Kirche wurde die „Halle X“ eingerichtet. Diese musste zwar raumakustisch etwas umgestaltet werden, dient seither allerdings als Hauptveranstaltungsort. Die Alte Nähstube erhielt für das diesjährige Festival den Beinamen „Soundspace # Alte Nähstube“. Der Soundspace soll die Zentrale des Klangfestivals darstellen, in der man sich treffen, ausruhen, sehen, hören, probieren kann. Hier können lose Fäden zusammenfinden und neue Verbindungen entstehen – weaving in!

Konzept
Mit dem diesjährigen Motto „weaving in“ versuchen die Veranstalter*innen ein Konzept zu erarbeiten, das sich durch das ganze Festivalprogramm ziehen soll. Spartenübergreifend werden zeitgenössische und experimentelle Strömungen verbunden, wobei neue Verflechtungen und Knotenpunkte entstehen. Das Klangfestival möchte damit Lösungen anbieten, für eine Gesellschaft von Einzelkämpfer*innen, leerstehenden Gebäuden und Unsichtbarkeit. Selbst sichtbar wird das Klangfestival spätestens bei der Eröffnungsfeier. Am Freitag um 19.00 wird mit „Vabrassmas“ eine Marching und Brass Band im New Orleans Style mit fünf Blasinstrumenten, zwei Percussions und mit zwei Stimmen lautstark durch die Straßen Gallneukirchens marschieren und das Festival gebührend eröffnen.

Klänge – Freitag
„Musheen“ sind drei Frauen: Sie verwenden in etwa gleich viele Griffe auf der Gitarre, dazu Schlagzeug, Loop-machine gepaart mit politischen Texten. „Gischt“ aka Ursula Winterauer ist nicht nur Musikerin, sondern auch die Gründerin des Labels „Ventil“. „Rojin Sharafi“ wurde in Teheran geboren und lebt in Wien. Sie sieht sich selbst als Sound-Artistin zwischen akustischer, elektronisch-akustischer und elektronischer Musik. Sie arbeitet allerdings auch interdisziplinär mit Projekten aus Film, Performance und Tanz. „Mermaid & Seafruit“ ist ein polnisch-österreichisches Duo bestehend aus Magdalena Chowaniec und Markus Steinkellner. Sie verbinden verschiedenste Musikstile wie Hip-Hop, Hardstyle und Noise zu einer knallharten Reflexion auf die eigene Gesellschaft.

Klänge – Samstag
Auf geballte Live-Power kann man sich bei „Ausländer“ freuen, wenn das Kollektiv seine Show einleitet: „We support the idea of Anarchism as collective functionality without any form of authority — that’s why we are all Ausländer“. Ausländer bieten neben ihrer unmissverständlichen Haltung einen Mix aus Punk, Electro und Noise. Ein weiterer Höhepunkt am Samstag wird das Ensemble „Gabbeh“. Die unkonventionelle Besetzung aus Klarinette, Kontrabass und Gesang lässt Klangwelten verschmelzen und erzeugt einen leidenschaftlichen, österreichisch-persischen Dialog. Weitere Auftritte am Samstag: „Duo Hofmaninger/schwarz“, „Katharina Ernst“ und „Guili Guili Goulag“.

Zine, Interventions & Surprises
Zum ersten Mal wird es beim Klangfestival ein Zine geben. Aber was ist das überhaupt? Es ist auf jeden Fall kein simples Programmheftl. Es ist viel mehr als das. Es ist eine Sammlung aus verschiedensten Texten, Bildern und Perspektiven, die zusammen ein vielschichtiges Kunstwerk bilden. Unter dem Leitmotiv weaving in wurden in einem Open Call Beiträge aus den Bereichen Kunst, Kultur, Gesellschaft, Politik und Literatur gesammelt. Dieses Projekt wird am Samstag präsentiert und kann vor Ort erworben werden. So bleibt das Klangfestival und die Wieder-Verknüpfung auch über den Zeitraum des Festivals hinaus sichtbar. Mehr kann man dazu noch nicht sagen; ebenso noch nicht zu den „Interventions & Surprises“, die beim Klangfestival auf die Besucher warten und immer wieder an den Strukturen der klassischen Festivalordnung rütteln werden.

Workshop – #KlappeAuf – Styx
Abseits der zahlreichen Konzerte gibt es noch weitere musikalische Akzente. Bereits am 8. und 9. September findet ein Workshop in Gallneukirchen statt. Dabei wird im Zusammenschluss von Jugendlichen aus der Region, der Sozialen Initiative und Student*innen der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien der Soundtrack für das Klangfestival 2019 erarbeitet, aufgenommen und schließlich am Samstag, 14. September, im Soundspace #Alte Nähstube präsentiert.

Hinter #KlappeAuf steckt eine Gruppe Filmschaffender, die bei der Verleihung der österreichischen Filmpreise 2018 zum Widerstand gegen Verhetzung und Entsolidarisierung aufgerufen hat. Sie verwenden Kunst und Kultur, um auf politische Diskurse zu reagieren. Mittels Kurzfilmen wollen sie die Zivilcourage und die Solidarität zwischen den Menschen stärken. #KlappeAuf ist parteiunabhängig und führt Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen und Positionen zusammen. Das passt perfekt zum Motto: weaving in. #KlappeAuf wird am Samstag und Sonntag verschiedene Beiträge zum Festival leisten.

Wenn das Klangfestival am Sonntag dem Ende zugeht, wartet mit „Styx“ noch ein schwerer und düsterer Film, der zur leichteren Verdauung zu einem Brunch serviert wird. „Styx“ handelt von der Notärztin Rilke (Susanne Wolff), die alleine auf dem Atlantischen Ozean segelt und nach einem schweren Sturm ein in Seenot geratenes Flüchtlingsboot entdeckt. Ihre Notrufe bleiben ungehört und größere Schiffe ziehen einfach vorbei. Rilke muss selbst aktiv werden. Der Film, bei dem Wolfgang Fischer Regie führte, wurde 2018 unter anderem mit dem Deutschen Menschenrechtsfilmpreis geehrt.

Das Klangfestival bietet seinen Gästen ein äußerst umfangreiches und spannendes Programm, was viele Menschen aus Gallneukirchen, Linz und Umgebung bereits seit mehreren Jahren sehr zu schätzen wissen. Gäste von außerhalb sind auch herzlichst willkommen. So gibt es in fußläufiger Distanz zum Festival einen Campingplatz, der nicht nur idyllisch, sondern auch gratis ist. Auch hier können lose Fäden zu neuen Verknüpfungen zusammenfinden und damit dem Motto des Klangfestival 2019 gerecht werden: weaving in!

 

Klangfestival Gallneukirchen
13.–15. September 2019
Info: klangfestival.at
Tickets: klangfolger.kupfticket.at
klangfestival.at/tickets