Farbe floatet Bild

Tausendmal totgesagt und immer gut für ein Erweckungserlebnis – die Malerei. Adelheid Rumetshofer war mit „Floatings“ in der Galerie Sturm und Drang zu sehen. Tanja Brandmayr hat die Malerin getroffen und mit ihr über Raumwahrnehmung und Entmaterialisierung gesprochen.

Floatings, nach Farben benannt: „o. T. – bright and blue“ Bild Adelheid Rumetshofer

Floatings, nach Farben benannt: „o. T. – bright and blue“ Bild Adelheid Rumetshofer

Foto Olivia Wimmer

Foto Olivia Wimmer

Floatings war der Titel der Ausstellung, die im März und April in der Galerie Sturm und Drang zu sehen war. Floatings bezeichnet aber auch den unabgeschlossenen größeren Werkszyklus von Adelheid Rumetshofer, dem Überthema, dem sie sich schon mehrere Jahre widmet. So tragen die Ausstellungen der letzten Jahre diesen gemeinsamen Titel. Die Bilder selbst bleiben o. T., werden allemal nach Farbigkeit und Helligkeit benannt. Hinsichtlich Farbigkeit bewegt sich Rumetshofer mit ihren Bildern „innerhalb des gesamten Farbspektrums, mit einer Tendenz zu Blau“, so die Malerin. Weswegen wahrscheinlich Assoziationen mit Wasser, Meer und Weite naheliegen – und vielleicht auch zur unmittelbaren Wirkung eines Dahintreibens. Am Beginn dieser Entwicklung stand jedenfalls 2009 auch ein Initialerlebnis der Künstlerin am Wasser: Rumetshofer, man möchte meinen, fast malerisch klassisch an einem Teich sitzend, beschreibt einen Blick, der wie im Narrenkastl verschwimmt und erzählt von einer Wahrnehmungsänderung, die plötzlich mehrere Ebenen der Realität erfasst – Wasseroberfläche, Spiegelungen, Lichtreflexionen, das Grün unter der Wasseroberfläche. Oder, anders gesagt, die angesichtige Natur und der Raum löste sich in flächig-floatende Farbebenen auf, zumindest für einen ersten und eindrücklichen Moment. Nach dieser Initialzündung gab es, so Adelheid Rumetshofer, „keine Geschichten mehr zu erzählen, keine Landschaft mehr, keine Natur mehr zu malen“. Stattdessen das Interesse an Farben und Farbklängen, zu deren Gunsten die Auflösung der Form vorangetrieben wird. Vertiefung, Vernebelung, Düsternis, Helligkeit, Leuchtkraft – Rumetshofer „floatende“ Flächigkeiten sind dementsprechend unterschiedlich, entfalten aber Raumwirkung, scheinen so etwas wie Kontemplation über Farbe und Raum zu ermöglichen. Und in vielerlei Hinsicht werden Intention und Technik, die über mehrere Jahre nach und nach entwickelt wurden, in den ausgestellten Bildern sichtbar: mehrere Farbschichten und Ebenen, das Verwischen der Farben, die beinahe vollständige Aufhebung der Form und der Kontur, manches Mal Andeutungen von Geometrie, wolkenhafte Verdichtungen. Das alles öffnet Wahrnehmung, ermöglicht Erweiterung des Blicks, oder ein Verschwimmen von Innen und Außen, das sich nicht näher definiert. Eine merkwürdig diffuse Wirkung stellt sich ein und fordert beinahe auf, verschiedene Distanzen zu den Bildern einzunehmen. Und möglicherweise korrespondiert diese räumliche Bewegung mit der Hin- und Wegbewegung zum und vom Bild, die die Malerin selbst während des Arbeitsprozesses im Atelier vollzieht. Diesbezüglich gefragt, meint Adelheid Rumetshofer jedenfalls: „Es gibt viel Bewegung im Atelier“.

 

An anderer Stelle betont Rumetshofer die Wichtigkeit von Gegensätzen in ihrer Arbeit – nicht nur in formalen Fragen wie etwa der nach dem Umgang mit Vertikalen, Horizontalen, sondern durchaus auch in wuchtigeren Gegensätzen von „immer mehr Entmaterialisierung“ zugunsten der Farben und eines Farbsogs, dessen Kraft Räumlichkeit bewirkt. Und der Umstand, dass neben Raumwahrnehmung auch die Farbwahrnehmung je nach Fokussierung des eigenen Blicks variiert, oder auch „je nach Farbnachbarschaft, Tageszeit und Licht“, wie Adelheid Rumetshofer ergänzt, bringt mich an dieser Stelle nun endgültig zu einer kleinen Anmerkung über James Turrell, der als Landschafts- und Lichtkünstler irisierende Farb- und Raumeffekte zaubert – wenn auch, und dies ganz klar angemerkt, mit den noch reduzierteren Medien des Raums und des Lichts, also nicht mit den Mitteln der Malerei, und auch in einer anderen Größenordnung: Wir wissen natürlich, dass James Turrell in internationalen Dimensionen arbeitet. Ich halte diese Anmerkung aber für wichtig, einerseits, weil sich diese Assoziation unmittelbar und auf den ersten Blick eingestellt hat, und wie ich später von der Galeriemitarbeiterin erfahre, nicht nur bei mir. Und andererseits scheint dies gerade auch wegen der „anderen Dimension“ des Lichtes und des Raumes interessant, zumal der „Dimensionenwechsel, ein klassisches Thema der Malerei, nämlich das des Umgangs der zweidimensionalen Fläche mit dem dreidimensionalen Raum“, so die Künstlerin, sich in den Floatings vielleicht anders transformiert hat: Es scheint so, als ob eine Präsenzerfahrung in und mit Natur, den Weg in eine höhere Dimension der Abstraktion, in Stille und Leere, eingeschlagen hat. Und ohne ein Mäntelchen der spirituellen Wellness anziehen zu wollen: Es ist, was es ist. So gesehen trifft hier ein hoher Abstraktionsgrad auf die Fragestellung, „was denn hier eigentlich noch abstrahiert werde, wenn es von vorneherein nicht mehr um die Abstraktion der Gegenständlichkeit geht“ – oder um in den Worten der Künstlerin zu bleiben, „es geht um immer mehr Entmaterialisierung“. Eine Frage, die vieles, um nicht zu sagen alles öffnet – die naturgemäß jedoch nicht für die Betrachter beantwortet werden kann, auf die die Frage in aller Wucht und Zartheit zurückströmt. Entmaterialisierung, Raumerfahrung, Vertiefung: Mich tröstet etwa, dass derartige Erfahrungen nur durch körperliche Anwesenheit möglich ist, durch längeres Sitzen und Stehen vor den Bildern, durch eine Zeit des Betrachtens. Entmaterialisation also körperlich-räumlich präsent – ein weiterer schöner Gegensatz.

 

Derzeit ist ein kleineres Bild von Adelheid Rumetshofer in der Nordico-Ausstellung „Im Garten“ zu sehen: „Auf dem Auberg“ ist ein Landschaftsbild und stammt aus der Zeit vor 2009.

Außerdem aktuell:
„konkret und minimal“, Ausstellungsbeteiligung in der artmark galerie in wien, bis 16. Juni.
www.artmark-galerie.at

Bereits fixiert:
„Über den Tiefen“, Doppelausstellung mit Evelyn Kreinecker, Galerie der Stadt Traun, von 12. September bis 14. Oktober.
www.traun.at

„Vom Erscheinen und Verschwinden“, mit Willibald Katteneder, Galerie Forum Wels, von 3. bis 27. Oktober.
www.galerie-forum.at

Attentat Theater

Singen, Tanzen und das Spiel mit dem reißerischen Ernst. „Assassins“, das Attentäter-Musical, ist derzeit im Landestheater Linz zu sehen. Theresa Gindlstrasser hat am Ende viele Trumps gesehen, fragt sich, ob das eigentlich alles geht und stellt vergleichende Überlegungen zu „The Producers“ an.

Foto Reinhard Winkler

Foto Reinhard Winkler

Ein Musical, oder ist das dann ein Grusical?, über neun Attentate beziehungsweise Attentatsversuche auf acht US-amerikanische Präsidenten – ja, sowas gibt’s.
„Assassins“ von John Weidman (Buch) und Stephen Sondheim (Musik und Gesangstexte) heißt in der deutschen Fassung von Michael Kunze „Attentäter“ und läuft seit Anfang April am Landestheater Linz. Uraufführung war 1990 an einem Off-Broadway-Theater, später London, Berlin, nochmal New York, Kapstadt, Toronto. Jetzt also Linz.

Das Programmheft zitiert aus einem New York Times-Artikel des US-amerikanischen Psychiaters Robert Jay Lifton: „Jeder Mörder hat etwas Faszinierendes an sich. Er oder sie besitzt die spezielle Aura desjenigen, der das ultimative Verbrechen begangen hat und zum Gebieter über Leben und Tod geworden ist, wie ein böser Schamane oder ein wiedergeborener Mengele. Der Präsidentenattentäter ist sogar noch weitergegangen, indem er sich ein besonderes Opfer gesucht hat, einen symbolischen König und Anführer der Nation.“ Das klingt alles ganz nach Schau-Lust und Regelbruch-Gier, nach Sensations-Geilheit und ergötzlichem Spektakel für sittsames Publikum. Das sattsam im Dunklen sitzt, während Zeitgeschichte und Historisches für billige Pointen im trivialen Musical-Format verbraten werden. Shocking! Das „ultimative Verbrechen“! Wir zeigen mehr als einen Mord, wir zeigen einen „symbolischen“ Mord. Kann denn so ein Genre an so ein Thema heran? Ja, ich will nicht sagen „sowas gibt’s“, es gibt jedenfalls eine Assoziation: „The Producers“, die Filmkomödie von Mel Brooks aus dem Jahr 1968, wurde 2001 am Broadway aufgeführt und 2005 in der Regie von Susan Stroman neuverfilmt. In „The Producers“ planen zwei Produzenten einen bombastischen Musical-Flop, auf dass sich daraufhin bombastisch viel Geld hinterziehen ließe. Aber, gegen alle Wahrscheinlichkeit, gerät das Musical „Springtime for Hitler“ zum Erfolg und die beiden ins Häfn. Es gibt also ein Spiel im Spiel und dieses Spiel im Spiel, aka „Springtime for Hitler“ in „The Producers“, verunernstet den Nationalsozialismus zu einem ästhetisch überbordenden Arrangement aus Pirouetten drehenden SS-Männern, übermensch-großen Brezeln und einem wie bekifft winkenden Hitler.

Eingangs, Max Bialystock wird als ewig scheiternder Broadway-Produzent etabliert, findet sich übrigens einen Verweis auf „Hamlet“. Die Tragödie von Shakespeare (wahrscheinlich 1602 fertig gestellt) gilt als prominentes Beispiel des Mise-en-abyme-Motivs. Im Kontext der Theaterhandlung „Hamlet“ lässt Hamlet ein Theaterstück aufführen um den Mörder seines Vaters zu überführen. Auch die Linzer Inszenierung von „Attentäter“ greift auf das Spiel-im-Spiel-Verfahren zurück. Die sieben Attentäter und zwei Attentäterinnen werden nacheinander von einer Conférencier-Figur auf einer Bühne auf der Bühne einem Publikum aus lauter Trumps vorgestellt. Einer nach der anderen versingen sie ihre Attentate und performen für die Trumps.

„Make America great again“, blinkt es über der schummrigen Guckkastenbühne, die Eva Musil ins Schauspielhaus gebaut hat. Nach jedem Song, nach jeder Attentats-Performance jubelt die unter voluminösen Trump-Masken versteckte Statisterie. An Tischen verteilt, trinken sie Sekt, wenden dem Theater-Publikum den Rücken zu. Der Caspar-David-Friedrich-Moment holt die Betrachtenden spiegelbildlich ins Betrachtete hinein. Das Publikum im Landestheater Linz schaut einem anderen Publikum beim Schauen zu. Und staunt, dass diese Trumps offenbar so gar nicht das potentiell auch gegen sie gerichtete Spektakel als ein solches ernst nehmen. Die Trumps missverstehen die Attentats-Performance als Parodie, das Publikum im Schauspielhaus darf diesen Zusammenhang erkennen.

Darf sich selbst in diesem Zusammenhang erkennen. Womit wir wieder bei „The Producers“ wären. Dort missversteht das Publikum den Versuch mittels schlechtestem Drehbuch ever, in Kombination mit einem Tony-Award-fixiertem Regisseur und einem Altnazi in der Rolle von Hitler, einen Flop zu produzieren. Und missversteht dies als gut und klug gemachte Parodie, als gelungenen komödiantischen Umgang mit dem Nationalsozialismus. Für das Publikum vor dem Bildschirm wiederum wird stellvertretend das Showbusiness als Tanz ums goldene Kalb entlarvt. Das Spiel im Spiel generiert Selbstreflexivität: Gehe ich, sowie das Publikum, dem ich zusehe, hier etwas oder jemandem auf den Leim? Bin ich Teil dieser Gesellschaft des Spektakels?

„Jeder hat das Recht, sich frei zu entfalten“, singen die Attentäter und Attentäterinnen. Präsentieren ihre Morde und Mordversuche aus der Gedankenwelt des American Dreams heraus. „Heute Bettler, morgen Millionär!“. Die Figuren beharren auf ihrem Recht, ihre eigene Geschichte auch entgegen der historischen Forschung zu erzählen, beharren auf ihren Ideen von einer „großen Tat“. Das klingt dann manchmal recht revolutionär-romantisch: „Protestier, revoltier, bis sie alle hinhör’n!“. Manchmal auch schlicht sozialkritisch: „In einer Waffe steckt viel Arbeit drin. Viele schuften für sie ohne Sinn“. Aber wie sagte John Hinckley, der 1981 versuchte Ronald Reagan zu ermorden? „Waffen sind was Hübsches, stimmt’s? Sie können außergewöhnliche Leute töten, und das mit irrsinnig wenig Aufwand“.
Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist vor allem das Land der Schusswaffen, die von der Waffen-Lobby gerne als „Gleichmacher“ verstanden werden. „Was für eine Lust: Man krümmt nur einen Finger und verändert mühelos den Lauf dieser Welt“. Der Liberalismus des weißen Mannes mit der Handfeuerwaffe gebiert die Attentäter und Attentäterinnen, die weiterhin fröhlich behaupten: „Jeder hat das Recht, sich frei zu entfalten“. Sich also auch gegen andere frei zu entfalten.

Das alles ist schon gruselig. Also doch wirklich ein Grusical. Dieses Musical. Ich würde sagen: Eine gut und klug gedachte Parodie auf die unsolidarische Gedankenwelt, in der das Universum in zwei Teile zerfällt. Zuerst ich und dann der ganze Rest. Und der Rest steht unter mir. Übrigens war es Präsident Gerald Ford, dem von den insgesamt neun verhandelten Attentaten gleich zwei galten. Lynette „Squeaky“ Fromme versuchte am 5. September 1975 zwecks Erzwingung der Freilassung von Charles Manson auf ihn zu schießen. 17 Tage später probierte es Sara Jane Moore nochmal: „Ich tat es, um Chaos zu verursachen“.

 

www.landestheater-linz.at

Im Abseits – Fussball und Film.

Wie eine Sportlerin stelle ich mich einem Wettkampf und verinnerliche die sportpsychologischen ExpertInnentipps und lasse erst mal los, um mich ganz der Sache hinzugeben. Eine interessante TV-Diskussionsrunde mit ehemaligen und aktiven österreichischen SpitzensportlerInnen und SportexpertInnen beförderte den Zeitgeist an die Oberfläche. Der harte Kampf und eiserne Wille eines Hermann Meiers hätten wohl kaum mehr die Kraft und Möglichkeit zu jener grandiosen Entfaltung. Neben diesen kräftezehrenden Verschleiß braucht es heutzutage ein gutes Energiemanagement und die Kraft, der medialen Verfügbarkeit Grenzen zu setzen. Auf der anderen Seite veranschaulichen diese SportlerInnen ihre Erfolgsmethoden, die auch im alltäglichen Leben anzuwenden wären. Spüren. Im Moment sein – nicht schon im Ziel. Aber wann spüren wir uns schon im Alltag. Also so richtig guat, und ned nur so nebenbei. Irgendwie in dem Körper, der da a dabei is. Und welchem Ziel rennen wir eigentlich hinterher?

Ziele erreicht haben die teilnehmenden Kicker der Männer-Fußball-WM in Russland. Dieser widmet sich der Ballesterer #132 , ein Fußballmagazin zum Wertschätzen.

Fußball abseits des großen Rampenlichts zeigt das Fußballfilm-Festival ABSEITS von 6. Juni bis 9. Juni in Linz. Die Filme zeigen meist „Fußball als Vehikel für Alternativen und Ungehorsam und somit zur Antriebskraft für Fortschritt und Emanzipation“.

Der Eröffnungsfilm in der Kapu „Han, Dul, Sed“ erzählt von vier jungen Frauen aus Pjöngjang, die die Leidenschaft des Fußballs teilen. Sie spielen im nordkoreanischen Nationalteam, müssen nach einer Nichtqualifikation für die Olympischen Spiele ihr hohes Prestige und Ansehen zurücklassen und in ein normales Leben zurückfinden.
„Football Under Cover – Anstoß in Teheran“ ist die Geschichte des ersten offiziellen Frauenfußballspiels seit der iranischen Revolution vor 27 Jahren. Die Dokumentation zeigt den unerschütterlichen Willen der Beteiligten, und die Erfahrung, dass Veränderung möglich ist. Musikalisch wird DJ DAN ROCKER durch den Abend führen, der mit einer Autogrammstunde von „68 Dreadlocks“ abgerundet wird. Am nächsten Tag sind in der Kapu „Sankt Pauli! Rausgehen – Warmmachen – Weghauen“ und „Zwischen Himmel und Hölle“ zu sehen, letzterer ein Film von Oldenburger Fans über ihren Verein. Die filmemachenden Fans treten auch den Weg nach Linz zum Filmgespräch an.

Am Freitag verlagert sich das Filmfestival in die Stadtwerkstatt und bringt mit „Railroad Allstars“ und „Ladies’ Turn“ die 50%-Quote. Herzlichen Dank an dieser Stelle an alle Beteiligten. So einfach kann es gehen. „Railroad Allstars“ erzählt die Geschichte von Sexarbeiterinnen in Guatemala, die mit der Gründung eines Fußballvereines gegen sexualisierte Gewalt aufmerksam machen wollen.
Der senegalesische Verein „Ladies’ Turn“ organisiert Frauenfußballturniere in einem Land, wo Eltern und Männer es nicht gerne sehen, wenn junge Mädchen kicken. Begleitet werden drei der 19 Turnierteams, die mit Vorurteilen aufräumen und die Frauen an den Ball bringen wollen.
Musikalisch aufräumen und zum Tanzen einladen werden DJ Lotta Gaffa im Spektrum von Local Dub, African Beat und Electro Cumbia und DJane Ronit Rockit, die mit spacigen Mashups noch mehr einfordert.

Der Abschlußtag steht im Zeichen des österreichischen Fußballs und dessen Fankultur. Zuerst „Es geht sich immer nicht aus“, ein Film über den Traditionsverein „First Vienna Football Club 1894“, bekannt als Vienna von der Hohen Warte, und danach die dokumentarische Sichtweise von Dominik Thaller auf FC Blau Weiß Linz und seinem ehrwürdigen Ahnen, dem SK VÖEST , mit „Immer wieder geht die Sonne auf“. Das BlauCrowd DJ Team begleitet die fußballbegeisterte Meute ins Wochenende und bleibt hoffentlich fit genug für den Ute Bock Cup am Sonntag. Die Freund*innen der Friedhofstribüne und der Wiener Sportclub laden zum 10jährigen Jubiläum. Bei Fußball und Party, zugunsten von Projekten für Geflüchtete, lohnt es sich dabei zu sein. Herzlichen Dank für den Einsatz aller Beteiligten!

 

Tipps:
Fußball Film Festival ABSEITS 6. Juni – 9. Juni in Kapu & Stadtwerkstatt

10. UTE BOCK CUP am Sonntag 10. Juni beim Wiener Sportclub Platz, 1170 Wien, Alszeile 19

Zwei Männer in Griechenland

Von Silvana Steinbacher ist vor einiger Zeit ein Buch erschienen, das den erlebnissüchtigen Schauspieler Harald und den dicken Komplexitätsforscher Boris gemeinsam auf Urlaub schickt. Oder auch: Burnout trifft Halluzinationen. Passend zum Sommer: Lektüre und Leseprobe.

Schirminger funktioniert anfangs noch nach Haralds Vorstellungen. Bereitwillig schildert er seinen Zustand an der Grenze zum Tod, wie es auch seine Ärzte später bezeichnet haben. Er hat das Gefühl gehabt, den eigenen Körper abzulegen wie einen Anzug, auch die Fragen, ob bei der Operation etwas misslingen könnte, ob er sterben müsse, haben ihn nicht beschäftigt. Harald hört an dieser Stelle des Berichts noch etwas teilnahmslos zu, dann aber folgt das Stichwort, das die Mühen des Nachmittags, so hofft er, lohnen wird. Schirminger beugt sich vor, nur wenige Tische sind besetzt, doch er flüstert beinah konspirativ: „Dieser Zustand hat mein Leben verändert; ich empfand ein Gefühl der unbeschreiblichen Ruhe“, Harald unterbricht ihn: „Ruhe, sonst nichts?“
„Einfach Ruhe, wunderbar, sonst nichts.“ „Kein Glücksgefühl, keine Euphorie?“ Schirminger lockert seinen Gürtel, kratzt sich am Kopf und legt seine Beine auf den freigewordenen Stuhl seines Cousins. Es ist ihm anzumerken, dass er nicht nachvollziehen kann, worauf Harald abzielt.
„Ich weiß nicht, was Sie meinen, welches Glücksgefühl? Darüber, dass ich womöglich in der nächsten Sekunde sterben muss?“
„Aber man hört doch immer…?“
„Ach darauf wollen Sie hinaus, da muss ich Sie auf allen Linien enttäuschen. Ich habe kein Glücksgefühl erlebt, keine Euphorie empfunden, und das vielzitierte weiße Licht hat mich übrigens auch nicht besucht, wohltuende Ruhe, sonst nichts“, fügt er scherzhaft hinzu. Doch Harald überkreuzt ernst die Arme vor seiner Brust, seine Fußspitzen kreisen nervös, wie Boris bemerkt. Nach einer Pause sagt Schirminger noch: „Doch an eines kann ich mich noch erinnern.“
„Ja?“ Wirst du diese Stunden doch noch als Erfolg verbuchen, ich vergönn es dir nicht, Boris rührt ungeduldig und ärgerlich in seiner leeren Kaffeetasse.
„Es muss ungefähr vor dem Zeitpunkt gewesen sein, als die Ärzte ahnten, dass sie meinen Blutverlust stoppen, mich möglicherweise retten könnten, als ich mich von einer eigenartigen Traurigkeit umhüllt fühlte, ich kann es gar nicht anders ausdrücken. Ich dachte, „Scheiße, nie mehr einen Rausch, nie mehr Sonne, sich nie mehr am Anblick einer schönen Frau erfreuen.“ Boris lacht schallend, Schirminger stimmt gut gelaunt ein und stößt mit ihm an.
An dieser Stelle des Gesprächs dürfte Harald festgestellt haben, dass von Schirminger nichts mehr zu erwarten sein würde. Ohne Boris zu fragen, verlangt er die Rechnung, die Boris ohne ein Wort des Protests seinen Freund begleichen lässt. Harald reicht Schirminger die Hand, richtet Grüße an den Cousin aus, Boris verabschiedet sich herzlich und geht das kurze Stück zum Auto zügig, ohne auf seinen Freund zu warten. Normalerweise schlendern sie nebeneinander, und Boris, der auch auf der Insel meistens fährt, hält Harald manchmal sogar die Beifahrertür auf, was beide amüsiert.
Diesmal startet Boris, ohne zu beachten, ob Harald bereits im Auto sitzt und jagt den gemieteten Kleinwagen über die Schotterstraße. Eine angenehme Brise hat nach Haralds enttäuschendem Euphorie-Geplänkel die Hitze abgelöst, Harald streckt seinen Kopf durchs heruntergelassene Fenster und erfreut sich an dem kühlenden Wind. Er sieht Boris einige Male prüfend an und bedauert kurz vor ihrer Ankunft im Hotel, dass sie unnötigerweise einige Stunden verschwendet hätten, obwohl sie das Auto doch bereits am nächsten Morgen zurückgeben müssten. Wortlos biegt Boris daraufhin in einen Feldweg ein, versucht auszusteigen, kann sich aber in seiner Erregung kaum aus seinem Sitz erheben. Harald, der inzwischen längst ums Auto gelaufen ist, reicht ihm die Hand, Boris winkt ärgerlich ab, wuchtet sich noch zwei Mal hoch, dann steht er endlich in dem violetten Kräuterfeld. Harald starrt ihn an und sorgt sich um Boris’ Gesundheit; er hätte ihn in den vergangenen Tagen nicht so maßlos fressen lassen sollen. Mehrmals fragt er Boris, was ihm fehle und wie er helfen könne. Boris, sprachlos von dieser Wucht an Ignoranz und mangelndem Feingefühl, fuchtelt mit den Händen, stampft sogar auf wie ein kleines Kind. Harald erinnert sich an seinen Erste-Hilfe-Kurs, berührt Boris an den Schultern und fragt ihn: „Ist alles in Ordnung?“ Boris schaut ihn unverwandt an, reißt den Mund auf, bringt aber kein Wort heraus, seine Lippen beben, seine Knie schlottern. Heftige Zuckungen, gefolgt von Schockstarre, überlegt Harald. Er zerrt den Verbandskasten aus dem Handschuhfach. Bevor ihm einfällt, was er mit dessen Inhalt anfangen könnte, schleudert Boris ihm das Kästchen aus der Hand. Pflaster, Schere, Mullbinden landen auf dem Lavendel. Boris holt tief Luft, setzt sich wieder auf den Autositz und brüllt Harald zum ersten Mal in ihrer langen Freundschaft an:
„Es ist widerlich, wie du dich die vergangenen Stunden verhalten hast. Wie du ihm deine Zuwendung vorgetäuscht hast, nur um zu erfahren, wonach du in deiner Sensationslust gierst. Abstoßend! Mich wundert nicht, dass du seit Jahren keine Beziehung mehr zustande bekommst.“ Er steht auf, geht bedrohlich dicht auf Harald zu, nimmt seinen Kopf in beide Hände, lässt ihn mit einer unschlüssigen Geste wieder los und drosselt seine Stimme „Was siehst du eigentlich in anderen Menschen? Stützen, die Hab-Acht zu stehen haben, wenn sich der Herr wieder einmal auf seiner abstrusen Glückssuche befindet? Es muss dir klar sein, dass bei deinem jubelnden Entgrenzungszeug andere immer auch auf der Strecke bleiben.“
„Das versteh ich nicht, ich schade doch keinem.“
„Oh doch, mit deinem Desinteresse, deiner Ignoranz, deiner Blindheit, deiner Rücksichtslosigkeit anderen gegenüber; Eigenschaften, die du früher nicht hattest.“ Beide setzen sich in die geöffnete Wagentür, und eine Weile verharren sie Rücken an Rücken unmittelbar neben dem farbenfrohen Feld.

Harald steht ziemlich unschlüssig an einer Kreuzung und geht einige Male auf und ab. Kurz und kühl gestaltete sich der Abschied vor dem Hotel und da Boris keinen Zweifel daran ließ, dass sein Freund den Abend allein zu verbringen hat, weiß Harald in diesem Moment noch nicht recht, wohin mit sich.
Nach einer Weile bleibt ein Bus stehen, der Fahrer hupt, zuckt mit den Schultern, wartet, ob Harald einsteigen möchte. Von den hauptsächlich jungen Mitfahrenden erfährt er das Fahrziel des Busses, ein kleiner Ort, von dem er bisher noch nichts gehört hat. Die Fahrgäste befinden sich offensichtlich auf der Rückfahrt vom Strand zu ihren Hotels. Ihr Ton ist locker, freundschaftlich, einige dürften bereits am Nachmittag getrunken haben, die Gespräche werden lauter und ausgelassener, Harald entgehen die besorgten Blicke des Fahrers nicht.
Er erinnert sich jetzt, dass ihn die infantile Lebensfreude der Strandgäste am ersten Urlaubstag auch beflügelt hat. Wie ein Zaungast versucht er daher, diese rund zwanzig Urlauber zu beobachten. Sie denken nicht an Gipfelerlebnisse, Glücksgefühle oder den Kick. Sie kosten aus, was sich ihnen bietet, unmittelbar bietet: teils selbstverständlich, teils geradezu gierig.
Ein muskulöser Jugendlicher kotzt auf den Mittelgang und zerstört Haralds schönes Bild gerade. Der Bus hält, der Fahrer schnauft ärgerlich, murmelt Unverständliches, reicht dem Jugendlichen einen Fetzen, zwei Mädchen assistieren ihm; dann setzt der Chauffeur die Fahrt fort. Die Stimmung wird gedämpfter, nur noch wenige lassen die Flasche kreisen, einige schlafen ein. Harald wundert sich nach einer Weile, dass der Bus an keiner Haltestelle stehen bleibt. Nach einer dreiviertel Stunde nähern sie sich einer belebten Gegend, die Harald in dieser Geschmacklosigkeit auf der Insel nicht erwartet hätte. Illuminierte mehrstöckige Hotels tauchen wie aus dem Nichts auf, grelle Neonbuchstaben prangen an den zahlreichen Bars und Cafés, künstliche Palmen rahmen einige Häuserfronten ein. Wäre der beleidigte Boris jetzt an meiner Seite, würde er wohl an eine Halluzination glauben, überlegt Harald und zweifelt selbst einen Moment, ob er seiner Wahrnehmung trauen soll. Er fixiert den Hinterkopf des Busfahrers, den er zu manipulieren versucht. Bleib hier ja nicht stehen, fahr weiter. Na funktioniert doch, denkt Harald, danke, mein Guter hinter dem Lenkrad. Es ist sicher bald überstanden und dann eröffnet sich wieder der Blick auf eine malerische Bucht mit Taverne, wo mich bereits eine freundliche Kellnerin erwartet, mir herzlich zulächelt und sofort eine köstliche Vorspeise serviert.
Doch die Flaniermeile, oder worum immer es sich handeln mag, scheint kein Ende zu nehmen. Als sie gerade an einer Tankstelle vorbeifahren, stehen die Jugendlichen auf, packen ihre Sachen in ihre Badetaschen und gehen zu den Ausgängen. Und dann passiert es: Der Bus hält kurz darauf. Harald bleibt noch auf seinem Platz sitzen, doch ein Mädchen erklärt ihm, dies sei bereits die Endstation.

 

Am Ende der Leseprobe ist natürlich nicht Endstation.

Der Roman Pinguine in Griechenland im Verlagstext: „Harald hetzt in beinah suchtähnlichem Ausmaß den emotionalen Ausnahmeerfahrungen hinterher. Nichts ist ihm zu gefährlich oder trivial, um einem emotionalen Kick zu gelangen. Als Schauspieler kann er sich die Flow-Erlebnisse auf der Bühne holen und scheint befriedigt zu sein. Plötzlich aber erhält er seine Glückszufuhr nicht mehr. Zur selben Zeit ändert sich auch Boris’ Leben. Unerwartet und scheinbar ohne Auslöser wird er von Halluzinationen, die er gleichmütig als bereichernde Gratis-DVDs in sein Leben integriert, heimgesucht.“ Die beiden Freunde beschließen, gemeinsam Urlaub zu machen..

Silvana Steinbacher,
Pinguine in Griechenland
Verlag Bibliothek der Provinz, 2017

Die kleine Referentin

RZ_kinderseite#12_01

The European Grandma Project

Porträtfilme über neun Großmütter und ein Meta-Film von Alenka Maly, der wie ein Trailer des größeren Zusammenhangs funktioniert. Lisa Spalt schreibt über den diesjährigen Eröffnungsfilm von Crossing Europe und darüber, dass lange zu leben bedeutet, sehr verschiedene Realitäten zu erleben.

European Grandma on the road, crossing Europe. Foto Alenka Maly

European Grandma on the road, crossing Europe. Foto Alenka Maly

Meine Großmutter hat gegen Ende ihres Lebens oft gesagt, der Herrgott habe sie vergessen. Sie war der Meinung, langsam genug gelebt zu haben. Damals bewunderte ich meine Oma, die zwischen den üppig blühenden Pflanzen in ihrem Garten so nonchalant von ihrem eigenen Tod sprach. Aber ich dachte auch, dass sie von mir gebraucht werde und dass das dem Herrgott, mit dem sie da sprach, hoffentlich bewusst sei. Die Erkenntnis, dass der Mann sie irgendwann unweigerlich zu sich holen würde, hat nicht lange danach einen ersten Keil zwischen ihn und mich getrieben.

Zwei Ereignisse haben mich unlängst an den Satz meiner Großmutter denken lassen.

Das erste war eine Meldung aus den Salzburger Nachrichten. Der Salzburger Identitären-Chef Edwin H hatte zu den demonstrierenden „Omas gegen Rechts“ getwittert: „Wenn man länger lebt, als man nützlich ist und vor lauter Feminismus nie Stricken lernte. Meine Oma schämt sich für euch“.

Welch unsäglicher, klebriger Erguss!

Da wird im 21. Jahrhundert das Stricken zu Hause wieder einmal zum Synonym dafür, dass die „rechte“ Großmutter das öffentliche Leben anderen überlässt. (Damit wir vom Weltbild des Herrn H mehr erfahren können: Großväter gegen Rechts – formiert euch endlich!) Außerdem: Eine Frau strickt, und wenn heute Selbstgestricktes nicht gerade das Epizentrum modischen Schicks darstellt – umso besser! Die Frau – zumal die Großmutter – soll ja dort, wo es um die Welt geht, gar keine Rolle spielen. Sollte sie aber doch auf die Idee kommen, ihre bürgerlichen Rechte wahrnehmen und an Demonstrationen teilnehmen zu wollen, darf ihr, wie der agrammatische Sager des Herrn H wohl vermitteln will, durchaus die Daseinsberechtigung abgesprochen werden.

Die Großmutter: Schürze, Stricknadeln, Dutt – und dann der Kachelofen, in dem die Hexe verschwinden soll? Erinnert sich da wieder einmal einer nicht?

Wenige Tage darauf das zweite Ereignis: Alenka Maly hat mich 50 Minuten ihres (noch nicht fertig geschnittenen) Films „The European Grandma Project“ sehen lassen. Darin sprechen Großmütter aus mehreren europäischen Ländern über ihre Jugend. Es sind keine jungen Großmütter, ganz im Gegenteil: Sie sind zwischen 1920 und 1935 geboren. Die Frauen kommen aus verschiedenen Milieus, aus verschiedenen, wenn auch europäischen Kulturen. Zu Beginn des Films begegnen wir ihnen in ihrem Alltag. Sie kochen und schälen Kartoffeln, neben dem Bett steht der Rollator, frau verwünscht das Radiogerät, weil die gewohnten Sender plötzlich nicht mehr dort sind, wo sie gerade noch waren. Haben wir hier endlich diese von unserer offensichtlich schon wieder so großen Zeit verlangten Großmütter, deren Leben sich im Privaten abspielt? Nun, weit gefehlt. Denn hier wird eben gerade das Private zum Gegenstand der Öffentlichkeit, und dieser Umstand hat es in sich. Die Frauen beginnen zu erzählen, sie lassen ihren Alltag transparent werden auf die Geschichte, die hinter ihm steht und ihn gewissermaßen ja auch hervorgebracht hat. Und diese Großmütter haben unerhörte Erinnerungen, die glücklicherweise gehört werden. Sie haben – gut für uns – Enkelinnen, die Regisseurinnen sind und einem Aufruf zu einem Europa vereinenden Filmprojekt gefolgt sind.

Eingeladen haben zu diesem „European Grandma Project“ die Regisseurin und Schauspielerin Alenka Maly und ihre Mitstreiterinnen Barbara Steiner (Politikwissenschaften), Nora Gumpenberger (Vergleichende Literaturwissenschaften / Deutsche Philologie) und Veronika Peterseil (Konferenzdolmetscherin und Übersetzerin).

Gesucht: nicht nur ein neuer Blick auf die europäische Geschichte, sondern auch ein spezifischer Blick von filmemachenden Enkelinnen auf ihre Großmütter.

Als Vorgabe für ihr Porträt bekamen die Regisseurinnen einen Fragenkatalog, an dem sie sich lose orientieren sollten. Dann gings los.

Entstanden sind Porträtfilme von neun Frauen, die das einst so genannte 1000-jährige Reich auf sehr unterschiedliche Wei­se überlebt haben und nun gemeinsam beinahe tausend Lebensjahre zusammenbringen: Alenka Malys Großmutter, die als junge Frau in Gusen gearbeitet hat, Großmutter Ruchana aus Israel, die Deutschland als Jugendliche ganz allein verlassen und ihre Familie nie wiedergesehen hat, Großmutter Lubov aus Sankt Petersburg, die ihrer sterbenden Mutter in der verhungernden Stadt Leningrad das letzte Stück Brot gereicht hat, Monica aus Großbritannien, die sich als kleines Kind vorstellte, wie es wäre, wenn eine Bombe in den blühenden Garten vor ihr einschlüge, …

Es sind Lebensgeschichten, die nur die Betroffenen selbst erzählen können, wenn sie richtig bleiben sollen.

Daher werden sie hier besser ausgespart bleiben.

Aber über Aspekte, über Perspektiven kann gesprochen werden. Maly erzählt, dass sich immer, wenn sie ihre Großmutter bittet, von der Vergangenheit zu erzählen, eine spezielle Verbundenheit einstellt. Diese Verbundenheit zwischen den Enkelinnen und ihren Großmüttern ist beim Sehen des Films stark zu spüren, nicht zuletzt aufgrund des Settings. Denn jede Zuschauerin, jeder Zuschauer, befindet sich beim Sehen der Porträts von seiner Position im Raum her in der Rolle der Regisseurin, die hinter der Kamera unsichtbar bleibt und ihr Gesicht / die Linse zur erzählenden Großmutter wendet. Die erzählende Großmutter, die Trägerin der Geschichte: ein Topos, der hier ganz anders als die strickende des Herrn H Leben wird. Denn wir alle, die Öffentlichkeit, sitzen bei diesen Porträts als ZuschauerInnen vor der Leinwand / der Großmutter, die an die Öffentlichkeit geht. Wir haben eine Verabredung von Bedeutung: Das teilt sich mit. In dieser Veröffentlichung des Privaten wird deutlich, dass nur wir selbst die Öffentlichkeit sein können, dass wir zählen, dass die Geschichten einzelner Menschen die Geschichte ausmacht, dass es nicht darum gehen kann, dass jemand – hinter dem Ofen unsichtbar gemacht – für längst vergangene Füße Socken strickt.

Dieses Erzählen, die Geschichten der Frauen, verbindet unsere Gegenwart mit ihrer Vergangenheit, sodass Geschichte entsteht, nämlich als erlittene Realität hinter den Fakten um Führer, Verträge und Mächte, sie lässt uns überlegen, wie es in der Welt weitergehen soll, weil wir letztlich die Welt sind und eben nicht die Daten, die wir in der Schule lernen. Beim Sehen dieser Porträts ist zu spüren, wie wichtig es ist, zu wissen, wo man herkommt, und in diesem Spiegel der Frauengesichter auch ein wenig in die eigene Zukunft zu blicken.

Die Regisseurinnen Alenka Maly, Hadas Neuman, Fleur Nieddu, Anna Ólafsdóttir, Giorgia Polizzi, Berke Soyuer, Desislava Tsoneva, Maria Tzika und Ekaterina Volkova teilen mit uns diesen Blick. Und Alenka Maly hat schließlich zu den entstandenen Porträts einen Meta-Film gemacht, der wie ein Trailer für das Gesamtprojekt funktioniert.

 

Der rund 80-minütige Film, der eben nun bei Crossing Europe gezeigt wird, tritt ein in eine Zeit, in der die Schrift verloren geht und die Menschheit immer mehr zu denken scheint, es gebe weder eine vergangene Welt, an die man sich erinnern, noch eine Zukunft, für die man die Welt bewahren müsse. Wir stellen uns derzeit vielleicht noch vor, dass Tiere so leben: ohne Wissen um die Vergangenheit, im Moment etwas in sich hineinfressend, ohne Ahnung vom unweigerlich eintretenden Tod. Aber auch wir Menschen scheinen kaum mehr zu kapieren, dass wir als Menschen in der GESCHICHTE leben können, dass wir gestalten können, wenn uns die Geschichte etwas lehrt.

Unlängst hat mir ein junger Mensch erklärt, Lebensweisheit sei kein aktueller Wert mehr.

Ich meine, das „European Grandma Project“ könnte hier einige Aufklärung leisten – nicht nur darüber, was damals geschehen ist, sondern auch darüber, worauf es in allen Zeiten ankommt, was im etymologischen Sinn des Wortes „actuel“ ist, und das heißt „tätig“, „wirksam“ (eher nicht: strickend). Diese Großmütter haben uns zu den Themen Überlebensangst, Zufälligkeit, zum Wesentlichen und zum Kampf um die Menschwürde viel zu sagen. Und nicht zuletzt kommen sie über die von ihnen erzählte Geschichte, die Europa in viele Stücke explodieren ließ, als das eine Europa zusammen, das neben den heute so zahlreichen menschenverachtenden Bestrebungen eben auch vorstellbar wäre. Eine Nachfrage wert wäre es daher, warum dem Projekt von der EU keine Förderung zuteil wurde. Letztlich haben es die Stadt Linz und eine anonym bleiben wollende Sponsorin möglich gemacht. Und vielleicht kann sich sogar das Land Oberösterreich noch für eine Förderung entscheiden.

Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass das Projekt in jeder Schule zum Unterrichtsstoff gehörte. Geschichte bedeutet doch, Zeit zu verstehen und sich über die Verständnisweisen, Zukunft denkend, auszutauschen, um eine ganz persönliche Identität zu entwickeln. Zumindest habe ich es so erfahren. Meine Großmutter hat mir einmal davon erzählt, wie ihr Vater und ihre Brüder im ersten Weltkrieg fortmussten und ihre Mutter auf dem Acker weinend grüne Kartoffeln ausgrub, weil sie nichts mehr hatte, was sie den Kindern zu essen geben konnte. Bei diesem Aufblitzen von Geschichte ist mir klargeworden, dass lange zu leben bedeutet, sehr verschiedene Realitäten zu erleben, dass gleichzeitig mein Leben neben dem meiner Großmutter das Nebeneinander zweier Welten bedeutete, die doch innig verbunden waren. Damals hat sich bei mir das Gefühl eingestellt, dass die Welt vielfältiger und die Möglichkeiten zahlreicher sind, als wir erahnen können, und dass es daher sinnvoll wäre, achtsam zu walten. Ich denke, dieses Gefühl vermittelt auch dieser Film.

 

15 Jahre CROSSING EUROPE Filmfestival Linz

CROSSING EUROPE geht von 25. bis 30. April 2018 in die 15. Runde. Seit 2004 verschreibt sich das Festival der Idee, mit einer handverlesenen Auswahl von rund 160 Spiel- und Dokumentarfilmen anspruchsvolles europäisches Filmschaffen zu präsentieren. Das diesjährige Spotlight ist der aus Rumänien stammenden international renommierten Produzentin Ada Solomon gewidmet, der heurige Tribute-Gast ist der italienische Regisseur Edoardo Winspeare. Neben den drei Wettbewerbssektionen (Competition Fiction, Competition Documentary und Competition Local Artists) sind auch die seit Jahren etablierten Schienen Arbeitswelten, European Panorama Fiction & Documentary und Nachtsicht Teil der Programmstruktur. Weiters zu finden sind die Reihe Architektur & Gesellschaft und die 2018 zum vierten Mal präsentierte Schiene Cinema Next Europe.

 

THE EUROPEAN GRANDMAY PROJECT

Alenka Malys THE EUROPEAN GRANDMA PROJECT ist eine der fünf Eröffnungspremieren von Crossing Europe 2018. Der Film wird im Rahmen der Festivaleröffnung am 25. April in Anwesenheit von den neun Filmemacherinnen Alenka Maly (AT), Hadas Neuman (IL), Fleur Nieddu (GB), Anna Ólafsdóttir (IS), Giorgia Polizzi (IT), Berke Soyuer (TR), Desislava Tsoneva (GB), Maria Tzika (GR), Ekaterina Volkova (RU) präsentiert. Die Linzer Filmemacherin und Schauspielerin Alenka Maly nahm ihre eigene intensive „Gesprächsbeziehung“ mit ihrer Großmutter zum Anlass, um das europäische Oral History-Filmprojekt THE EUROPEAN GRANDMA PROJECT zu realisieren. Unter dem Motto „Grandmothers telling their versions of European history“ startete sie 2015 einen europaweiten Aufruf und fand acht gleichgesinnte Filmemacherinnen, die in Israel, Griechenland, Italien, Island, Bulgarien, Russland, England, der Türkei und Österreich parallel zueinander ihre Großmütter porträtierten. Diese, in den 20er und frühen 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts geborenen Frauen, erzählen darin ihren filmenden Enkelinnen von Krieg, politischen Umwälzungen, Liebe und Alltag zu ihrer Zeit in Europa. Neben dem Eröffnungsfilm The European Grandma Project werden in der Kulturtankstelle im Kulturquartier von 25.–30. April außerdem die ungekürzten Porträts der neun Großmütter gezeigt.

Frauenland retten

Ihre Mitarbeiterinnen engagieren sich für Frauen, deren Leben meist von Armut und Ausgrenzung geprägt ist, doch jetzt sind drei wichtige Anlaufstellen in Gefahr: Knapp vor Weihnachten wurde den Frauenberatungsstellen maiz, FIFTITU% und Arge SIE nämlich eine gar nicht frohe Botschaft überbracht: Die 100%ige Streichung der bisherigen Förderung aus dem Frauenreferat OÖ.

16729394_10154320715376623_9141058924879110748_n

Wenn ich mit einem wachen Blick durch die Stadt gehe, werde ich ihnen begegnen: der Migrantin, der Asylwerberin, der wohnungslosen Frau oder der Migrantin in der Sexarbeit. Ich könnte aber auch mit einer Künstlerin oder Kulturschaffenden sprechen, die nach individueller Information und Vernetzung sucht. Natürlich kann ich diese Frauen völlig aus meiner Wahrnehmung ausblenden, doch das ändert nichts an ihrem Leben, das meist nur von einer schwankenden Basis gestützt wird.

 

„Wir sind kürzlich umgezogen, denn die Miete in der Altstadt ist zu teuer geworden“, erklärt mir Luzenir Caixeta vom Verein maiz, Autonomes Frauenzentrum von & für Migrantinnen, als ich mich mit ihr und drei weiteren Frauen – Oona Valerie Serbest, Karin Falkensteiner und Bianca Wieland – im neuen maiz-Büro in der Linzer Scharitzerstraße treffe.

Die Frauen arbeiten zwar teils in unterschiedlichen Vereinen, es verbindet sie aber nicht nur ihr Engagement für Frauen, sondern momentan auch dieselbe missliche Lage, aus der sie jetzt einen Ausweg suchen. Es handelt sich dabei um maiz, um Arge SIE, Beratung, Begleitung und Wohnen für wohnungslose Frauen, und um FIFTITU%, Anlauf- und Vernetzungsstelle für Künstlerinnen und kulturschaffende Frauen. Diese Vereine – das sei betont – kümmern sich nicht etwa um die Freizeitgestaltung von Frauen, sondern um jene, die dringend Unterstützung suchen und die sich zum Großteil in akuten existentiellen Notlagen befinden. Maiz etwa berät derzeit jährlich 400 Migrantinnen in sieben Sprachen und Arge SIE 240 wohnungssuchende Frauen.

 

Was ist geschehen? Kurz vor Weihnachten wurden Mitarbeiterinnen der drei Frauenberatungsstellen zu Einzelgesprächen ins Frauenreferat des Landes Oberösterreich zitiert. Ihre Arbeit, so wurde ihnen jeweils mitgeteilt, gehöre nicht mehr zum sogenannten Kerngeschäft des Frauenreferats und aus diesem Grund werde die Förderung – insgesamt rund 60.000 Euro – umgehend gestrichen. Die Leiterin des Frauenreferats des Landes Oberösterreich, Beate Zechmeister, führte als Argument an – so erzählt mir Karin Falkensteiner von Arge SIE –, „dass die Zielgruppen der drei Vereine zu spezifisch seien, daher solle die Förderung aus anderen Bereichen kommen.“ Was denn unter einem Kerngeschäft zu verstehen sei, wurde den zuständigen Frauen nicht erläutert, und auch mir ist es nicht wirklich verständlich. Um die Lücke meiner Allgemeinbildung dahingehend zu schließen, ziehe ich den klugen Duden zu Rate, der mich wie folgt aufklärt: Ein Kerngeschäft ist ein „wichtiger, zentraler geschäftlicher Bereich; Geschäftsfeld, auf das sich ein Unternehmen o. Ä. spezialisiert“. Diese Definition verwirrt mich, schließlich zeigte sich vor allem die Spezialisierung der drei Vereine als Hindernis für eine weitere Förderung, so jedenfalls die Argumentation seitens der Politik. Keine Frage aber, dass die jahrelange Erfahrung und Spezialisierung der Mitarbeiterinnen für die ohnehin an die Peripherien der Gesellschaft gedrängten Ratsuchenden nur von Vorteil sein kann, aber das nur nebenbei.

Als ein anderer wesentlicher Punkt stellt sich die Frage, aus welchen „anderen Bereichen“ denn die notwendigen Gelder fließen sollten, denn bereits in den vergangenen Jahren wurden die Förderungen auch von anderen Seiten gekürzt.

Angesichts dieser Entwicklungen könnten wir jetzt natürlich auch über das Gesellschafts- und Frauenbild der politisch Entscheidenden zu sinnieren beginnen, und auch darüber, worauf wir uns denn künftig einstellen müssen. Ist das Leben, der Alltag von Migrantinnen, der obdachlosen oder akut wohnungssuchenden Frauen nur von geringer Relevanz? Sollen ihre Probleme an den Rand gedrängt werden, das Stadtbild nicht stören? Welches Signal sendet ein Frauenreferat aus, wenn es das Engagement gegen die Nöte der betreffenden Frauen nicht mehr als förderungswürdig erachtet?

Eine Leserin des Standard schreibt zu diesem Thema in ihrem Posting vom 17. Jänner 2018:

„Streichung von Fördermitteln für Migrantinnen, Kunst und Kultur und Beratung für wohnungslose Frauen – was für ein Klassiker … Kunst und Kultur – brauch ma ned, Migrantinnen sowieso nicht und auch das österreichische Heimchen hat am Herd zu bleiben.“

Der Vollständigkeit halber sei dazu erwähnt, dass natürlich auch inhaltlich gegenteilige Kommentare zu lesen waren. Doch kehren wir zurück zur Realität, dem Alltag der Vereinsmitarbeiterinnen und vor allem den Frauen, für die sie sich engagieren.

Ich frage Bianca Wieland und Karin Falkensteiner von Arge SIE, welche Konsequenzen diese Förderungsstreichungen für die betroffenen Frauen nach sich ziehen. Arge SIE ist gezwungen, die Wartezeiten zu verlängern, und muss an andere Stellen wie etwa FRIDA, das Tageszentrum für wohnungslose Frauen der Caritas, oder an die Notschlafstellen verweisen. Die Mitarbeiterinnen von Arge SIE können aber auch durch deren Spezialisierung, die sich jetzt offensichtlich als fatal entpuppt, gezielter für die Betroffenen arbeiten. Sie sind in der Lage, die Frauen zu beraten und auch psychosozial zu begleiten, ohne bei ihnen eine Opferrolle zu forcieren. Die komplette Streichung der Fördermittel seitens des Frauenressorts bedeutet für Arge SIE nun einen Verlust von einem Viertel des Jahresbudgets.

Maiz – der Verein berät und unterstützt Migrantinnen und geflüchtete Frauen rund um die Themen Arbeit, bei familiären Angelegenheiten und Fragen, Diskriminierung und Bildung – hat, um den laufenden Betrieb halbwegs fortführen zu können, bereits reagiert: Neben der Reduktion von Sachkosten, musste die Arbeitszeit von Mitarbeiterinnen gekürzt werden, Luzenir Caixeta etwa hat sich für die Altersteilzeit entschieden. Auch der Verein FIFTITU%, der sich für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Frauen in Kunst und Kultur einsetzt, ist, so Oona Valarie Serbest, gezwungen, Mitarbeiterinnen zu entlassen und Serviceleistungen einzustellen.

Als die vier Frauen von ihrer jetzigen Situation und möglichen Perspektiven sprechen, setzt sich in meinem Kopf ein Stichwort fest: Ehrenamt! Auch die drei Mitarbeiterinnen der betroffenen Vereine arbeiten jetzt weit über ihr Pensum hinaus, um die dringend nötigen Aufgaben zu bewältigen, die Frauen, die zu den Vereinen kommen, nicht im Stich zu lassen. Unter Ehrenamt wird altruistisches Handeln verstanden, soll dieses altruistische Handeln auch die Pflichten des Staates übernehmen und kann einstmals bezahlte Arbeit ins Ehrenamt münden?

Ein Zitat dazu aus der wissenschaftlichen Arbeit Ehrenamt zwischen Engagement, Instrumentalisierung und Selbstregulierung von Ursula Ebel:

„Foucaults Machtmodell steht für die Dynamisierung von Machtverhältnissen, die politische Förderung des Ehrenamts zielt auf die neoliberale Selbstorganisation und -führung im Ehrenamt ab. Aufgrund dieser Privatisierung einst öffentlicher Aufgaben werden die Tätigkeiten ihrer politischen Schlagseite enthoben. Ehrenamt fungiert nicht als individuelles Befreiungsideal fern neo­liberaler Politiken.“

Rechnet die Politik in selbstverständlicher Weise mit unbezahlter Arbeit bei einer Arbeitnehmerin, einer Frau? Vielleicht eher als bei einem Mann, oder wird es gar vorausgesetzt? Falls dem so sei, aus welchem Grund eigentlich? Wird die Arbeitskraft einer Frau geringer eingestuft als die eines Mannes? Das bleiben Vermutungen, die ich hier so stehen lassen will.

Da die zuständigen Frauen der drei Vereine die Streichung der bisherigen Förderungen keinesfalls akzeptieren möchten, haben sie in ihrer Freizeit die Kampagnenaktion Frauenlandretten ins Leben gerufen. Seit dem Start können Unterstützungsmails an Landeshauptmann Thomas Stelzer und Landesrätin Christine Haberlander (beide ÖVP) geschickt werden, um die Dringlichkeit der Förderungen zu betonen, Solidarität mit den Beratungsstellen zu zeigen. Den Vereinen wiederum wurde von politischer Seite geraten, sie sollten versuchen, durch Crowdfunding Gelder zu lukrieren. Jede und jeder, die oder der sich schon einmal bemüht hat, eine Crowdfunding-Aktion auf die Beine zu stellen, weiß, wie aufwendig und zeitintensiv dieser Prozess vor sich geht. Und damit schließt sich hier der Kreis zum aufgezwungenen Ehrenamt.

 

Kampagnenaktion: frauenlandretten.at

Arge SIE, arge-obdachlose.at/arge-sie

FIFTITU%, Vernetzungsstelle für Frauen in Kunst und Kultur OÖ, www.fiftitu.at

maiz, Autonomes Zentrum von und für Migrantinnen: www.maiz.at

Start Gangs – Stop Street Harassment!

Femsploitation-Filme und feministische Street Art Projekte: Sarah Held fragt nach dem Einfluss von Femsploitation auf die feministisch-aktivistische Kunstpraxis der Girl Gangs. Oder: Bildet Banden gegen Alltagssexismen!

There are no gangs around here. Foto Tobias Frindt

There are no gangs around here. Foto Tobias Frindt

Switchblade Sisters und weitere Exploitationfilme haben feministische Bewegungen einerseits inspiriert und andererseits wurden Filmproduktionen von feministischer Seite beeinflusst. So war es nicht verwunderlich, dass im transgressionsbereiten Kino der 1970er Jahre die Grenzen von stereotypen Geschlechterrollen überschritten wurden und mit klassischen Zuschreibungen von Sex und Gender experimentiert wurde. Der Exploitationfilm definiert sich als Low-Budget-Filmegenre, das in der Regel von expliziten Gewaltdarstellungen und sexuellen Handlungen geprägt ist. Allgemein werden die Grenzen zur Hardcore-Pornografie selten bis kaum überschritten. Das Genre weist viele themenspezifische und selbsterklärende Subkategorien, wie beispielsweise Sex- oder Blaxploitation auf. An dieser Stelle ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass in den 1970er Jahren schwarze Schauspieler*innen, Re­gisseu­r*innen etc. noch stärker aus dem Filmgeschäft ausgeschlossen waren als heute. Die Nischenproduktionen der Low-Budget-Filme boten somit schwarzen Akteur*innen (Blaxploitation) und Frauen (Femsploitation) die Möglichkeit, außerhalb des Mainstreams in Hollywood und den damit verbundenen Marktmechanismen als aktive Subjekte aufzutreten und selbstbestimmt Schlüsselposition bei (eigenen) Filmproduktionen zu besetzen.

Nicht nur die Roughies, also sexlastige und gewaltreiche Untergrundfilme, wie Russ Meyers Faster Pussy Cat Kill Kill!! (1965), sondern gerade Jack Hills Werke Switchblade Sisters oder Foxy Brown (und damit auch Pam Grier) regten zu feministischen Analysen an (siehe z. B. Feminale in Köln, 2000). Jack Hills bis Mitte der siebziger Jahre entstandene Filme können durchaus als von der zweiten Welle der Frauenbewegung geprägt bezeichnet werden. Sie zeigen selbstbestimmte Frauen im exploitativen Film und sind Teil des Subgenres Femsploitation. Es soll hier nicht der Eindruck einer feministischen Verklärung von Filmen, die (splatternde) Elemente an der Schnittstelle von Weiblichkeit, Sex und Gewalt zeigen, entstehen. Diese Filme wurden vorwiegend von Männern für Männer unter kapitalistischen Interessen produziert. Nichtsdestotrotz hat das exploitativ arbeitende Grindhousekino eine Vielzahl interessanter Filme hervorgebracht, die trotz literweise vergossenem Frauenblut, Vergewaltigungsszenen und blutigen Hexenjagden feministisch gelesen werden können. Es ist eine große Bandbreite an (wissenschaftlichen) Auseinandersetzungen mit Gender- und Exploitationfilmen entstanden. Diese erstreckt sich von diversen Publikationen, über Podien, bis hin zu Ausstellungen rund um das Thema. Aber wie ist es um deren Einfluss auf feministisch-aktivistische Kunstpraxis bestellt?

Das feministische Street-Art-Projekt Girl Gangs against Street Harassment wurde von Hills Switchblade Sisters stark geprägt. Frauen, die als starke gemeinsame Einheit auftreten und sich mit Waffen gegen gewalttätige Männer, wie auch gegen Staatsgewalt auflehnen, waren äußerst inspirierend für das Projekt. Die Frauengang in Switchblade Sisters strahlt einfach eine Coolness und Stärke aus, die heute noch wirkt und die heute noch immer gebraucht wird, um alternative Rolemodels zu generieren. Getreu dem Motto „Bildet Banden gegen Alltagssexismen“ praktiziert das Girl-Gang-Projekt eine subversive feministische Raumaneignung. Street Harassment wird gesellschaftlich häufig als Kompliment aufgefasst oder gar als schmeichelhaft bezeichnet, zudem geht damit oft eine Bagatellisierung einher. Dass für viele Frauen aggressives Flirtverhalten und sexuell-bezogene Bemerkungen das unbeschwerte Nutzen des öffentlichen Raums teils tabuisieren und somit den lockeren Aufenthalt darin schmälern können, wird im Mainstreamgespräch oft außer Acht gelassen.

Aufgeklebt werden die Girl Gangs an öffentlichen Unorten, wie beispielsweise dunklen Unterführungen, abgelegenen Wegen oder sie werden gezielt an Plätzen installiert, an denen häufig Street Harassment praktiziert wird. So markieren sie Plätze im öffentlichen Raum und machen diese Form des Alltagssexismus sichtbar. Die Girl Gangs versuchen mittels Cut-Up-Techniken (dabei handelt es sich um eine Collagentechnik auf Papierbasis) aus der stark männlich dominierten Street Art auf Street Harassment aufmerksam zu machen. Das Projekt ist eine visuelle Attacke gegen die verbreitete Praxis Frauen auf ihr äußeres Erscheinungsbild und ihre sexuelle Attraktivität zu reduzieren. Das Cut-Up zeigt eine gewaltbereit wirkende Girl Gang, bestehend aus lebensgroßen Fotoprints der Frauen. Die Girls lächeln die Betrachtenden nicht lasziv oder freundlich an, ganz im Gegenteil, sie sind bewaffnet mit Baseballschlägern, Äxten sowie dergleichen und starren die Betrachtenden bedrohlich an und entwerfen einen gegensätzlichen und unerwartet gewaltbereiten Entwurf von Weiblichkeit im öffentlichen Raum. Neben der Kennzeichnung von Street Harassment als ernstzunehmendes Problem, gilt es, Frauenbilder in der Werbung zu diversifizieren und im urbanen Raum einzugreifen. Die Paper Girls suggerieren zudem ein visuelles Gemeinschaftsgefühl. Die dunkle Unterführung wird zwar dadurch nicht weniger gefährlich, allerdings vermitteln die Paper Gangs gemeinschaftlich „Du bist nicht allein!“ und tragen so dazu bei, das vom Ort verursachte Unbehagen zu verringern. Das Projekt weist Parallelen zur Riot-Grrrl-Bewegung der 1990er Jahre auf. Dabei handelt es sich um ein feministisches Subkulturphänomen, das seinen Ursprung in den USA hat und mit dem Ziel entstanden ist, in der männlich dominierten Hardcore- und Punkszene aktiv zu partizipieren. Die Anhänger*innen der Bewegung gründeten Bands, publizierten Zines und veranstalteten Konzerte mit feministischen Bezügen. Die Bewegung war signifikanter Teil des Third-Wave-Feminism und verband auf unprätentiöse Art die Punk- und Hardcore-Subkultur mit einem feministischen Habitus. Feministische Theorien wurden vom trockenen Hörsaalcharakter entstaubt, auf die Straße getragen und somit einem Personenkreis zugänglich gemacht, der sonst möglicherweise keine Berührungspunkte mit feministisch-theoretischen Inhalten gehabt hätte. Ähnlich wie die Riot Grrrls subkulturellen Raum (zurück)eroberten, nehmen sich die Girl Gangs mittels Papier­avataren öffentlichen Raum und machen dabei nicht nur auf Street Harassment aufmerksam, sondern intervenieren gegen eindimensionale Weiblichkeitsinszenierungen im Kontext von Werbung. Die Girl Gangs setzen dabei auf eine radikale Bildsprache. Dabei gilt es hervorzuheben, dass das Projekt vom Exploitationkino der 1970er im Allgemeinen und vom B-Movie Switchblade Sisters im Besonderen inspiriert wurde. Hier findet keine Glorifizierung gewalttätiger Gruppierungen statt, sondern es wird ein subversiv-affirmativer Habitus praktiziert. So wie Grindhouse-Filme mit einem Augenzwinkern gesehen werden können, sollte auch die Bewaffnung der Girl Gangs als ein symbolischer und nicht als tatsächlicher Aufruf zur Gewalt gelesen werden. Gerade das Spiel mit dem Radikalen einerseits und Stereotypen andererseits im Kontext sexistischer Werbung im Stadtraum macht das Projekt besonders interessant. So entstehen unterschiedliche Wechselwirkungen, wenn eine Frauengruppe im Plakatformat zur Abwechslung mal nicht zu einem „Frauenabend“ zusammenkommt, sondern als bewaffnete und kampflustige Einheit in Erscheinung tritt.

Es lassen sich auch deutliche Parallelen zwischen den Maximen der Riot Grrrl-Bewegung und Switchblade Sisters ausmachen. Der Song Rebel Girl der Band Bikini Kill (Pussy Whipped, 1993) avancierte zur Hymne des feministischen Punksubgenres. Kathleen Hanna besingt weiblichen Zusammenhalt als Sisterhood und prägt damit die Haltung und Identifikation einer neuen aggressiven Girlkultur im Third-Wave-Feminismus. Sie und viele andere aktive Frauen schafften sich eigene, selbstbestimmte Rolemodels oder wurden selbst welche.

Eine ähnliche Verschwesterung ist im Plot von Switchblade Sisters zu finden. Der Film ist zwar von männlicher Gangdominanz der Silver Daggers gegenüber den Dagger-Debs, weiblicher Gegenpart der Männergang, geprägt. Das zeichnet sich durch Zwangsprostitution, Vergewaltigung sowie Machtspiele und Unterdrückung der Frauen ab. Zudem wird ebenfalls nicht wenig Handlungszeit auf die Inszenierung von Eifersucht und das Spinnen von Intrigen verwendet. So ist die Message des Films doch klar ein Appell an Frauen, sich aus männlicher Dominanz zu befreien und sich von eifersüchtigen Intrigen zu lösen. Das wird an mehreren Stellen deutlich, beispielsweise, wenn Protagonistin Maggie die Jezebels als unabhängige Frauengang ins Leben ruft und apodiktisch die feministische Etymologie des Begriffes postuliert. Damit schreibt Regisseur Hill Switchblade Sisters dezidiert in den Diskurs von Frauenemanzipation ein und referenziert auf feministisch gelesene Geschichtsfiguren. Im Film zeichnet sich dieser Sachverhalt im Zwiegespräch zwischen Maggie und der Leaderin der schwarzen Frauengang ab. Besonders markant zeigt sich die Verbundenheit der Frauengang, die gar als Blutsgeschwisterschaft bezeichnet werden kann, bei der Verhaftungsszene am Ende des Films. Statt dem im Plot als Running Gag verwendeten „There are no gangs around here“ bekennen sich alle Frauen geschlossen als Mitglieder der Jezebels und stehen somit gemeinsam füreinander ein. Diese Einschreibung verdeutlicht die Einigkeit und Einheit der Gruppe. Der Ausschluss der intriganten Figur Patch kann als Metapher dafür gelesen werden, dass sich die Frauengang von eifersüchtiger Zwietracht losgelöst hat.

Es wird hier ein ähnlicher Zusammenhalts­ethos erzeugt, der nicht nur in der Popkultur, vor allem unter Männern reproduziert wird. Das (Blutsbrüder)motto „Blut ist dicker als Wasser“ wird zum Sinnbild von Frauenfreundschaft umgedeutet. Daher zum Schluss ein pathosgeschwängertes: There are no boys around here.

Der berührende Stressfaktor Kunst

Bernadette Huber ist bekannt für künstlerische Projekte, die in sehr unterschiedlichen Räumen und Kontexten umgesetzt werden. Über Bernadette Hubers Arbeiten, über Feminismus, Arbeitswelt und über einen humanistisch-ironischen Stressfaktor Kunst schreibt Elisabeth Lacher.

In Ausstellungsräumen wie im öffentlichen Raum thematisiert Bernadette Huber gesellschaftspolitische Fragestellungen und legt dabei besonderen Wert auf einen feministischen Blickwinkel. Mit verschiedenen künstlerischen Mitteln greift sie in die Alltagsrealität der Menschen ein und fordert sie dadurch heraus, sich gesellschaftlichen Problemstellungen und Tabus zu stellen. Hubers vielschichtiges Werk zeichnet sich durch eine unglaublich große Liebe zum Detail, eine sinnliche Verspieltheit und ein humoristisches Augenzwinkern aus. In ihren Arbeiten zu Frauen, Sexualität und Körperlichkeit versteht sie Feminismus nicht als Vorschreibung, sondern als immer wieder neu auszulotendes Phänomen. Bernadette Huber wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, unter anderem 1999 mit dem Staatsstipendium für Bildende Kunst und 2012 mit dem Gabriele-Heidecker-Preis. Ihre Arbeiten sind national wie international in Ausstellungen zu sehen, zuletzt im Belvedere, im Leopold Museum und dem Wien Museum wie auch im Schiele Art Centrum Krumau.

In der Projektreihe Kunst, die berührt realisierte Bernadette Huber bisher drei feministische Interventionen, die auf unterschiedliche Weise mit Frauenbildern einst und jetzt spielen. Als Trägermaterial setzt sie den Frauenkörper ein und entlehnt dabei zwei Gemälde aus dem 16. Jahrhundert – wohlgemerkt, und wohl auch der Zeit geschuldet, von Männern gemalt. Das Bildnis Gabrielle d’Estrées und eine ihrer Schwestern aus der Schule von Fontainebleau hängt im Louvre und zeigt eine sinnliche Darstellung von badenden Frauen. Im Vordergrund sitzen zwei unbekleidete Frauen am Wannenrand und eine Frau berührt die Brustwarze der anderen. Bernadette Huber verwendet dieses Bildnis für eine Neuinterpretation und montiert auf den Frauenkörpern ihr eigenes Gesicht, das von einer kunstvollen Frisur umrahmt ist. Unwillkürlich schleicht sich beim Betrachten der badenden Kunstfigur in gedoppelter Form ein stilles Schmunzeln ins Gesicht. Diese gelungene Übersetzung von klassischer Kunst in die Moderne ist der Künstlerin hier außerordentlich gut gelungen und berührt die BetrachterInnen auf sehr persönliche und humoristische Art und Weise.

Im Jahr 2015 war die Arbeit in der Linzer Galerie Paradigma als digitaler Druck auf Plane und als Installation im Ausstellungsraum zu sehen. Vergangenen Sommer brachte Huber das Bildnis als Teil einer Ausstellung auch in den öffentlichen Raum der Stadt Steyr: so durfte es für knapp zwei Monate mit dem Stadtbus fahren: als Folie an der Rückwand des Fahrzeugs.

Bernadette Huber erläutert: „Für mich war das Interessante dabei, dass man im öffentlichen Raum auf einem Stadtbus anstelle von Werbung auf Kunst trifft: auf Kunst, die berührt. Anders als bei anderen Projekten in Steyr bin ich dieses Mal als Künstlerin nicht anonym geblieben, sondern die Kunstfigur HuberNADETTE schlüpfte in die Rolle der badenden Frauen. Darunter waren mein Logo und eine Telefonnummer aufgedruckt, die ich für das Projekt eingerichtet hatte. So konnten die Steyrerinnen und Steyrer direkt mit mir in Kontakt treten. Ich war sehr gespannt darauf, wie sie darauf reagieren würden. Schließlich kann man nie genau sagen, was durch eine interaktive Kunstinstallation im öffentlichen Raum dann tatsächlich ausgelöst wird.“

Bemerkenswert an Kunst, die berührt ist der Bruch, der auf mehreren Ebenen erzeugt wird. Besonders Gemälde der klassischen Kunst implizieren einen erhebenden, stillen, kontemplativen Kunstgenuss. Sie vermitteln einen Kunstbegriff, der Kunst als Hochkultur mit ihrem festen Platz im Museum definiert. Diese Kunst aus dem ihr zugewiesenen Platz im Museum herauszureißen und in eine profane Umgebung zu setzen, verleiht dem Kunstwerk – und auch der Erotik, mit dem das Kunstwerk spielt – eine neue Dimension.

Bernadette Huber legt Wert darauf, mit ihren Werken nicht nur in Ausstellungsräumen präsent zu sein. Für sie persönlich hat interaktive Medienkunst im öffentlichen Raum einen besonderen Stellenwert, da sie so die Kunst mitten in die Lebensrealität der Menschen bringen kann. Besonders beschäftigt sie diesbezüglich auch der umgangssprachliche „Tratsch“ in einer Stadt. „Menschen glauben gerne das, was sie glauben wollen“. Dies wurde 2010 in einem Projekt verdeutlicht, das mit der Macht des Tratsches spielte und das Bernadette Huber gemeinsam mit Christina Hinterleitner realisierte. Mit Bar NADETTE – Die Macht des Tratsches. Ein Stresstest für Steyrdorf setzte Huber ihren Wohnort einem regelrechten Stresstest aus und kündigte die Eröffnung eines erotischen Etablissements mitten im Stadtviertel Steyrdorf an.

Bernadette Huber verklebte die Fenster eines Altbaugebäudes mit himbeerroter Folie und Logo der Bar NADETTE und montierte ein dazugehörendes Türschild, das kunstvoll gestaltet auf das erotische Etablissement hinwies. Ein Flyer wurde via Postwurf an den Stadtteil geschickt und kündigte die Eröffnung des Bordells mitten im Herzen der Altstadt von Steyr an. Die ausgewiesene Webseite www.barnadette.at versprach erotischen Genuss auf höchstem Niveau mit diversen, lustvollen Damen und Herren.

In unmittelbarer Nähe zum ersten Weihnachtsmuseum Österreichs ein neues Puff? Zahlreiche Nachfragen und auch Beschwerden gingen damals ein. Die Bevölkerung war ratlos, was es mit der Bar NADETTE auf sich hatte. Schließlich kam ein Schreiben von der Stadtverwaltung an die „Damen und Herren der Bar NADETTE“ mit der Aufforderung, die Folien zu entfernen und hier kein Etablissement zu errichten, da es dafür schlichtweg keine Bewilligung gäbe.

Doch die Schaufensterverklebung blieb bis zur angekündigten Eröffnung als erotische Versprechung bestehen. Erst am Tag der Eröffnung entfernten rot gekleidete Personen – organisiert als Flashmob – die Schaufensterverklebung und enttarnten die Bar NADETTE als Fake-Bordell. In den Schaufenstern montierte die Künstlerin den Hinweis, dass Menschen alles glauben, was sie glauben wollen. Als Trost für diejenigen, deren Vorfreude enttäuscht wurde, gab es einen Wegweiser zu den anderen Bordellen in Steyr, inklusive Angabe der Gehminuten.

Bernadette Huber wurde für dieses Projekt mit dem Gabriele-Heidecker-Preis ausgezeichnet. Vor allem gelang ihr mit dieser Arbeit, auf künstlerisch-interaktive Weise das Thema käufliche Liebe, Prostitution, Tabu und Doppelmoral mit dem Tratsch einer Kleinstadt zu verknüpfen.

Die Künstlerin beschäftigt der Tratsch als interaktives Mittel auch weiterhin in ihren Kunstprojekten: „Für mich hat sich der Tratsch als Möglichkeit der Interaktion mit dem Publikum aufgetan. Mich interessiert daran die Vielschichtigkeit, die mögliche Interaktion, die Überschreitung beziehungsweise Provokation: Was kann der Katalysator des Tratsches sein, was ist Gesprächsstoff? Der Tratsch kann durch meine Projekte initiiert werden, aber dann nicht vorausgesagt oder beeinflusst werden. Für mich selbst ist das dann auch immer ein Stresstest, da ich in den Vorbereitungen zu einem Projekt nie weiß, wie sie ausgehen werden. Das ist immer eine Herausforderung, aber mein Interesse daran ist ungebrochen.“

Anlässlich des Festivals der Regionen 2015 in Ebensee realisierte Bernadette Huber eine sehr poetische Arbeit, mit der sie auf eine immer härtere und menschenfeindlichere Arbeitsrealität hinweist. Sie thematisiert mit In die Luft schauen die Fragilität von Erwerbsarbeit und die Austauschbarkeit von ArbeitnehmerInnen. „Wer nichts tut, fliegt“. Dieses Damoklesschwert, das über vielen ArbeitnehmerInnen hängt, dieser Imperativ, permanent tätig zu sein und genug tun zu müssen, wurde per Flugbanner als doppeldeutige Textbotschaft über Ebensee geflogen. Wer nichts tut, fliegt: Im wahrsten Sinne des Wortes oder übertragen als Grausamkeit des Arbeitsmarktes? Auch hier fehlt das humoristische Element nicht und brachte die EbenseerInnen dazu, in die Luft zu schauen, zu staunen und nachzudenken.

Mit einer zweiten Botschaft verweist Huber auch auf eine gewisse Härte der eigenen Arbeitsrealität als Künstlerin. Das zweite Banner, das per Flugzeug über Ebensee gezogen wurde, war mit SUCHE ARBEIT und Handynummer versehen: Teilweise skurrile, kreative oder auch überlegte Arbeitsangebote wurden auf die Mailbox gesprochen und per Soundinstallation in eine Ebenseer Gasse in den öffentlichen Raum zurückgespielt. Auf der Projekthomepage www.indieluftschauen.at sind die Arbeitsangebote weiterhin nachzulesen.

Der baldige 1. Mai würde sich übrigens gut für einen Besuch der Webseite und ein Nachdenken über Arbeitsrealitäten anbieten. Und angesichts der aktuellen politischen Situation bleibt wohl zu hoffen, dass Arbeitssuchende in Zukunft nicht zu solch drastischen Mitteln der Arbeitssuche greifen müssen, um künftig ihr tägliches Auskommen zu sichern …

 

www.bernadettehuber.at

Tipp für den 1. Mai: www.indieluftschauen.at

Alternativen zum Medienmarkt

Im Mai findet die mediana18 in Linz statt. Zu Medien, Kultur und Demokratie, sowie zum konkreten Konferenzthema „public open spaces“ hat Christian Diabl mit Alexander Barasits ein Interview geführt.

Am 19. Mai findet die mediana18 an der Linzer Kunstuni unter dem Titel „public open spaces“ statt. Was ist darunter zu verstehen?

Mit Public-Service-Medien sind Medien gemeint, die einen Auftrag im öffentlichen Interesse erfüllen, nämlich u. a. Information für den demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess zu vermitteln. Der Titel ist einem Thesenpapier1 entlehnt, das im Herbst 2017 in Deutschland als Offener Brief an die Politik verschickt und von Leuten wie Volker Grassmuck, Julia Reda oder Leonhard Dobusch unterstützt wurde. Die Initiative ist u. a. aufgrund von Angriffen gegen öffentlich-rechtliche Sender entstanden und tritt für eine Weiterentwicklung von Public Service Medien ein. Eine der Thesen ist, alle öffentlich-rechtlichen Anbieter zu einer starken gemeinsamen Plattform, „Public Open Space“, zusammenzuschließen. Dabei geht es nicht nur um ARD oder ZDF, sondern auch z. B. Wikipedia, Museen etc. Die Initiative ist durchaus auch als Alternative zu den marktbeherrschenden Intermediären wie Google, Facebook & Co gedacht, die aus einer reinen Verwertungslogik operieren. Wir greifen die Initiative auf, weil auch wir Reformbedarf beim ORF, aber auch der Frage des „Public Value“ in der österreichischen Medienlandschaft sehen und der ORF im Moment sehr stark in Frage gestellt wird.

Die mediana ist Teil eines größeren Symposiums, am Vortag findet der Open Commons Kongress im Wissensturm statt, der sich mit historischen und zeitgenössischen Wissensarchiven beschäftigt. Wo schließt die eine Konferenz inhaltlich an die andere an?

Der Open Commons Kongress beschäftigt sich unter dem Titel „Unwissenheit frisst Demokratie“ mit der historischen wie auch zukünftigen Entwicklung von Archiven, mit Gedächtniskultur, falschen Fakten und wie Wikipedia es schafft, trotz weitgehend ehrenamtlicher Produktion von Inhalten und nicht-kommerzieller Orientierung einen so hohen „Wahrheitsgehalt“ zu liefern. Die gemeinsame Klammer beider Konferenzteile ist die Diskursfähigkeit in unserer demokratisch organisierten Gesellschaft und wie diese angesichts des Strukturwandels der Öffentlichkeit erhalten und ausgebaut werden kann. Als Überleitung wird eine Podiumsdiskussion stattfinden mit VertreterInnen von Mediatheken des ORF, des Bayrischen Rundfunks (angefragt), des online-Audioarchivs der österreichischen Freien Radios sowie Wikipedia; dabei sein wird auch eine Medienkolumnistin des Falters. Ziel ist es den Aspekt von Public-Service-Archiven von Seite der Betreibenden, aber auch durchaus mit Blickrichtung auf die am Samstag folgende Plattformdiskussion zu erörtern.

In einer Demokratie haben Medien nicht nur die Aufgabe zu informieren, sondern auch Diskursräume zu schaffen, wo öffentliche Anliegen diskutiert und Meinungen gebildet werden. Wo siehst du dazu die unterschiedlichen Rollen öffentlich-rechtlicher, privat-kommerzieller und privat-nichtkommerzieller Medien?

Traditionell ist der Auftrag öffentlich-rechtlich organisierter Medien an ein strengeres Objektivitätsgebot gebunden mit einem Informations- und Unterhaltungsauftrag einschließlich „Special-Interest“-Bereichen wie Wissenschaft, Kultur etc. Privat-kommerzielle, wie z. B. ATV oder Puls4 haben zwar mehr Freiraum in der Information, unterliegen aber auch einem Objektivitätsgebot. Im privat-nichtkommerziellen Bereich haben zum Beispiel die Freien Radios den Auftrag, mit dem offenen Zugang eine Partizipationsfunktion zu erfüllen und medial unterrepräsentierten Gruppen eine Teilhabe am System zu bieten. Mit dem Strukturwandel der Öffentlichkeit infolge der Digitalisierung verschwimmen die Rollen aber zusehends. So bieten Freie Medien besonders in Oö nicht nur eine Plattform für Dritte, sondern beispielsweise mit dem Politikprogamm auf dorftv und dem Infomagazin FROzine auf Radio FRO zivilgesellschaftlich organisierte journalistische Eigenformate. Gerade im letzten Nationalratswahlkampf ist es auch privat-kommerziellen Anbietern gelungen, journalistisch anspruchsvolle, dynamische und kritische Diskussionsformate umzusetzen. Hervorzuheben ist sicherlich Corinna Milborn auf Puls4 – die übrigens auch bei der #mediana18 eine Keynote halten wird.

Die Digitalisierung hat die Medienlandschaft dramatisch und nachhaltig verändert. Wie wirkt sich das auf den Public-Service-Auftrag von Medien aus?

Leider wirkt sich das zunächst noch gar nicht aus, weil die Politik auf den Strukturwandel der Öffentlichkeit regulatorisch bisher nicht reagiert hat. Die Digitalisierung an sich ist ja nichts Neues, das findet in Österreich ja schon seit den späten 90ern statt. Relativ neu ist die Rolle und die Relevanz von Sozialen Medien wie Facebook und Co (sog Intermediären). In Deutschland informierten sich 2017 bereits mehr als 57% regelmäßig über solche Plattformen. Von ähnlichen Werten ist wohl in Österreich auszugehen. Meinungsbildungsprozesse sind ohne diese Intermediären also nicht mehr denkbar, sie haben in der Verbreitung die Leitfunktion übernommen, auch wenn dort natürlich viele Medieninhalte klassischer journalistischer Produkte verbreitet werden. Aber eben in einem anderen Kontext und anders aufbereitet. Wesentlich ist, dass die Präsentation nicht mehr redaktionell, sondern algorithmisch erfolgt. Umgekehrt nimmt die Mediennutzung im Sinne einer linearen Konsumation ab, ich schaue mir nicht mehr Abends die ZIB von vorne bis hinten an, sondern bekomme nur mehr einzelne Beiträge „zufällig“ in meine Timeline gespült.

Was könnte man dieser Dominanz entgegenhalten?

Eine Antwort könnte sein, eben solche Public Open Spaces zu schaffen, die zwar vielleicht auch Algorithmen verwenden, aber nach transparenten Kriterien, wo nicht jede menschliche Niedertracht durch besonders viel Response und damit Relevanz und Öffentlichkeit belohnt wird. Social Media könnten ja effektvolle partizipative Werkzeuge sein, die in einem vorher nicht dagewesenen Ausmaß ermöglichen, dass einzelne mit ihrer Meinung viele erreichen können. Leider müssen wir feststellen, dass dieses System v. a. jene fördert, die bereits über hohe Aufmerksamkeit verfügen und nicht die medialen „Underdogs“. Hier müssten Public Open Spaces ansetzen. Durch ein Zusammenfließen unterschiedlicher Zielgruppen in einer gemeinsamen Plattform könnte die gesellschaftliche Diskursfunktion stärker über die eigene Filterblase hinaus stattfinden. Die Freien Medien könnten hier ihr Spezial-Know-how und ihre Zugänge zu medial unterrepräsentierten Gruppen einbringen – auch wenn hier neue technische wie auch Format-Lösungen Platz greifen müssten.

Es gibt einen Vorschlag von Medienminister Blümel, eine gemeinsame österreichische Plattform von öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Medien zu schaffen. Was ist die Idee dahinter und was hältst du davon?

Der Vorschlag ist kein neuer und wird auch in Deutschland oder in Schweden diskutiert und ist etwa von der BBC mit einigen Beispielen unter Einbeziehung z. B. von Museen teilweise umgesetzt, auch gibt es dort bereits Kollaborationen mit kommerziellen Anbietern. Der Vorschlag ist sicherlich innovativ, aber man wird sich ein paar Aspekte genauer ansehen müssen. Von Seiten des Wettbewerbsrechts tun sich schon Probleme auf, wenn die marktbeherrschenden Medien sich zusammentun um gemeinsame Sache zu machen, es wäre hier auch insofern eine typisch österreichische Lösung, dass bei jedem neuen elektronischen Medium die bestehenden Platzhirschen bedient und die in Österreich in Hinblick auf Meinungsvielfalt sicherlich nicht ideale Medienlandschaft weiter einzementiert wird. Hier braucht es sicherlich Qualitätskriterien wie Unterwerfung unter einen Medienrat, Redaktionsstatut für die redaktionelle Freiheit oder Zahlung nach Kollektivvertrag. Grundsätzlich ist es aber m. E. richtig und wichtig, die Weiterentwicklung des ORF von einer Sendeanstalt zu einer öffentlich-rechtlichen Plattform zu diskutieren und zu vollziehen.

Die Freien Radios haben sich durchaus auch als Alternative zum damals noch dominanten ORF gesehen und auch wesentlich zum Fall des Rundfunkmonopols beigetragen. Ist es nicht eine Ironie der Geschichte, dass sie jetzt zur Verteidigung desselben ausrücken?

Das Rundfunkmonopol, das in Österreich fast 20 Jahre länger gedauert hat als in Deutschland oder Frankreich, war ja wirklich unerträglich, damals kam man am ORF nicht vorbei und hier gab es kaum innenplurale Elemente, abgesehen von der Statthalterfunktion der Landesstudios. Als Alternative haben wir uns dabei nicht gesehen, sondern als Ergänzung, aber die Arroganz von ORF-Vertretern, die keine Public-Value-Funktionen neben der selbst wahrgenommenen existent sahen, führten im Freien Mediensektor zum Teil zu einer kritischen Distanz. Letztlich war aber schon damals klar, dass beide Sektoren wohl eher Bündnispartner denn Konkurrenten sind. Dass die ehemals überragende Rolle des ORF jetzt so massiv gefährdet erscheint, hat schon eine gewisse Tragik.

 

Alexander Baratsits ist Mitgründer von Radio FRO und Initiator der #mediana18.

1 zukunft-öffentlich-rechtliche.de

 

mediana18
Gegenstand der Konferenz ist der Publi-Service-Auftrag von Medien im Kontext des Strukturwandels der Öffentlichkeit. Konkret  geht es um den Beitrag öffentlich-rechtlicher/kommerzieller/nicht-kommerzieller Medien zur politischen Willensbildung. Impulsvorträge und Workshops behandeln Fragen von Qualität und Inhalten, netzpolitischen Entwicklungen, Zugänglichkeit und Diversität sowie den Vorschlag einer gemeinsamen Plattform ORF & private Medien. Abschließend diskutieren Vertreter_innen aus Politik und Zivilgesellschaft, wie diese Anforderungen künftig medien- und netzpolitisch erfüllt werden können.
www.mediana.at