Out Demons Out

Ein altgewordener Fan aus Österreich trifft den einstigen Polit-Rock-Berserker Edgar Broughton und versucht ihm klarzumachen, wie dessen Musik ihn damals vor der Enge und Bedrückung im dörflichen Post-Nazi-Österreich gerettet hat. „Out Demons Out!“ ist ein Faction-Roman über die Edgar Broughton Band – Walter Kohl hat einen Textauszug des eben erschienenen Buches zur Verfügung gestellt.

… do you wanna be a hero?

Oh Sir, I do.

One more question:

Right, Sir.

Do you wanna go to war, boy?

Oh yes please Sir, yes please Sir!

Charly hatte sie immer beneidet, die Rockmusiker. Wegen der vielen Frauen, der Hotelnachtorgien, der langen Haare und wilden Bärte, hatte er gedacht, als er selber sechzehn war und ihm Hilda und der Maurer und die Klosterschule, auf die sie ihn geschickt hatten, vorschrieben, wie lang seine Haare sein durften. Nicht sehr lang nämlich. Nur unwesentlich länger, als sie der Maurer getragen hatte, damals, bei der Hitlerjugend und im Reichsarbeitsdienst und beim U-Boot-Corps.

Im Kino sah er den Woodstock-Film, die unsägliche frühe deutsche Synchronfassung mit der oberlehrerhaften Kommentarstimme, die mit leicht empörter Besorgtheit vor Drogenmissbrauch warnt. Am tiefsten beeindruckten ihn Grace Slick, weil sie so schön war, und Country Joe McDonald, weil er so wütend anschrie gegen – ja, wogegen eigentlich? Charly wusste nicht, wogegen dieser Mann im Army-Parka wütete, doch es war gut. In der Wiener Stadthalle sah er Hair. Die Progressiven aus der Maturaklasse hatten die Busreise in die Hauptstadt organisiert, gegen zähen Widerstand des Gymnasialdirektors hatten sie durchgesetzt, dass auch Schüler aus der fünften und sechsten Klasse teilnehmen durften.

Charly verstand nichts von dem, was vorne vorging. Irgendwie drehte es sich um Vietnam. Er wusste nichts von Vietnam. Er kannte die Fotos aus dem Stern, das rennende nackte Kind mit der verbrannten Haut, der eine Vietnamese, der einem anderen Vietnamesen in kariertem Hemd mitten auf der Straße mit einer kleinen Pistole in den Schädel schoss, die riesigen Flugzeuge, die irgendwie zu eckig und zu lang aussahen, aus denen die Bomben träufelten wie Regentropfen. Er hatte wahrgenommen, dass die paar Gammler aus den Nachbardörfern, die manchmal mit ihren auffrisierten Mopeds durch das Dorf geknattert waren, in Lederjacken und mit Ketten behängt, auf einmal alle die grünen Armeejacken trugen, Ami-Jacken nannten sie sie. Sie gaben an vor den jüngeren Buben und den Mädchen, es seien original amerikanische Uniformjacken aus Vietnam, gebraucht, die Zellstofffabrik drüben beim Flughafen kaufe die auf, um daraus Papier zu machen, die Arbeiter suchten die wenig beschädigten Jacken raus und verkauften sie unter der Hand. Da, sagten die Burschen auf den Mopeds und zeigten auf Löcher im grünen Stoff, das sind Einschusslöcher.

Die Welt draußen wurde einem einfach erklärt, wenn man als junger Mensch in einem Dorf lebte. Die Vietnamesen waren die Guten, die Amerikaner die Bösen. Die Mopedrocker mit ihren Country Joe-Jacken waren auf der richtigen Seite. Warum viele von ihnen die amerikanische Flagge auf den Parka-Rücken genäht und etliche die Tanks ihrer Mopeds und ihre Helme mit den Stars and Stripes bemalt hatten, wie Fonda in Easy Rider, das irritierte keinen, die Rocker nicht, und auch nicht die jüngeren Burschen, die sein wollten wie sie. Und auch nicht, dass sich sogar die Väter irgendwie klammheimlich zu freuen schienen, weil die amerikanischen Soldaten jetzt die Arschlöcher waren, die Amerikaner, denen sie sich ergeben hatten müssen, die dann zehn Jahre lang das Kommando hatten, mit denen ihre Mädchen vögelten, denen ihre Kinder um Kaugummi bettelnd nachliefen.

Es hatte für junge Menschen einfach alles, was jung und neu und aufregend war, irgendwie mit Vietnam zu tun in diesen Jahren. Doch in der Wiener Stadthalle sah Charly auf der Bühne in all dem Hippie-Flower-Power-Getue nur die nackten Brüste und Ärsche der Schauspielerinnen im Trockeneis-Nebelgewabber.

Charly und sein Bruder waren Buben gewesen, wie sie in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Krieg zu Zigtausenden auf den Dörfern lebten: Simpel gestrickt, an nicht viel mehr interessiert als möglichst wenig Zeit mit der Schule und den Hausaufgaben zu verschwenden, als Winnetou und Old Shatterhand über die Kuhwiesen und durch das Unterholz in der Au zu schleichen, sich Nachmittage lang mit verfeindeten Bubenbanden zu prügeln und die bunten Bildchen aus den Verpackungen der Schokoladeriegel mit dem italienischen Namen zu sammeln, zu tauschen und in die Alben zu kleben, zuerst Tiere der Welt und dann Szenen aus Karl May-Romanen. Abends dann ein bisschen fernsehen.

Nichts Besonderes war an so einem Landleben junger Menschen. Musik spielte keine Rolle. Musik, das war das Gedudel aus dem Saal des Wirtshauses, das in den Nächten der Feuerwehr- und Kameradschaftsbund- und Landjugendbälle im halben Dorf zu hören war, Polkas und Märsche und Walzer, wenn die Kapelle des Musikvereins aufspielte, schlecht interpretierte Schlager, wenn eine Tanzcombo ihre elektrifizierten Instrumente quälte. Musik, das waren scheppernde Klänge aus den Musicboxen in den Wirtshäusern. Von hundert Singles, die zur Auswahl standen, war die Hälfte von Slavko Avsenic und seinen Original Oberkrainern, die andere Hälfte Schlagerlieder, so überarrangiert und im Studio aufgemotzt, dass sie unwirklich klangen. Ganz zu schweigen von den Texten, die wirklich aus einer nirgendwo existierenden Unwirklichkeit kommen mussten. Am Abend träumen sie von Santo Domingo und weißen Orchideen. Die Liebe ist ein seltsames Spiel, sie kommt und geht von einem zum andern. Es hörte sich genau so schmalzig und bescheuert an wie die Opern, die sich Hilda manchmal im Fernsehen ansah. Am Tag als der Regen kam, lang ersehnt, heiß erfleht, klang wie ein schlechter Witz in dieser feuchten kalten Donau- und Voralpenlandschaft. Aber da sah wenigstens die Sängerin auf dem Single-Cover, das innen an die Glaswand der Musicbox geklebt war, geil aus, ganz anders als die Frauen und Mädchen im Dorf.

Zaghaft und anfangs kaum wahrnehmbar kam die Rockmusik in die Provinz. Neben Connie Francis und Dalida und Wanda Jackson und den Oberkrainern tauchte was auf in den Musicboxen, das anders klang. Jack the Ripper von Casey Jones, Keep on running von Spencer Davis, Paint it black von den Rolling Stones. Es gefiel Charly, weil es die Alten deutlich sichtbar ärgerte, wenn man eine Fünf-Schilling-Münze einwarf und fünf mal hintereinander Led Zeppelins Whole Lotta Love laufen ließ, stellt die Negermusik ab!, brüllten sie im Wirtshaus. Aber zu einem Fan, einem fanatischen Anhänger, machte es Charly nicht.

Dann hörte er das erste Mal Edgar und seine Band. Und sah ihn. Im Fernsehen, im Beat-Club aus Bremen. American boy soldier hieß der Song. Fasziniert saß er vor dem Bildschirm und wusste sofort: Das ist etwas anderes. Die meinen es ernst. Da geht es um mehr als bei den Troggs und Tremeloes und Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick und Tich.

Es musste um Vietnam gehen, um Krieg jedenfalls, die Panzerattrappe, das viele Yes Sir-Gerede ließen keine andere Interpretation zu. Doch Vietnam war Charly egal. Was ihn gebannt zusehen ließ, war der erste Satz, den er von Edgar Broughton hörte. Der erste Frage in dem Song: What d’you wanna do boy? Genau. Das war es. Das war die Frage. DIE Frage.

Charly konnte die Popmusik nicht ernst nehmen. Es schien ihm Mädchenzeugs zu sein. Ihm, dem Kind, kam dieses Getue und Gesinge vor wie Kinderkram. Letzten Endes kamen diese Erwachsenen, die sich seltsam verkleideten und einfache Lieder trällerten, dem Kind Charly vor wie Kinder. Wohingegen er und die anderen männlichen Kinder im Dorf die Erwachsenen waren, in ihren Spielen. Sie beschäftigten sich mit ernsthaften Erwachsenendingen. Sie waren Krieger. Soldatenkinder. Kindersoldaten.

Alle Buben trugen Waffen, immerzu, einige schon vor Erreichen der Schulpflicht. Spielzeugrevolver, Stoppelgewehre, Luftdruckgewehre. Auf den Kirtagen in den umliegenden Dörfern gab es mehrere Stände, die nichts anderes verkauften als Faustfeuerwaffen für Kinder. Meist Revolver, möglichst langläufig, in Halftern aus Kunstleder an breiten Gürteln mit rundum laufenden Schlaufen für die Patronen, wie sie die Cowboys in den Wildwestfilmen trugen, am beliebtesten waren silbern lackierte Colts mit Griffschalen aus rotem Plastik, darauf als flache Reliefs Köpfe von Pferden oder Indianerhäuptlingen im Profil, mit wehenden Mähnen.

Die Mütter und Väter hatten nichts einzuwenden gegen diese Spiele. Es schien ihnen eine Selbstverständlichkeit zu sein für Buben. Es war gerade ein paar Jahre her, da hatten die Väter alle Pistolen getragen und Karabiner. Was sie aber nicht duldeten, und was man vor den Alten verstecken musste, waren echte Waffen. Die gab es in großen Mengen. Die Söhne der einstigen Wehrmachtssoldaten fanden Bajonette und HJ-Dolche überall in den Wäldern rund ums Dorf. Die Landser hatten sie weggeworfen, als es vorbei gewesen war, damals im Mai.

Die Klingen waren rostig, und die Heftschalen fehlten meistens. Die Buben schnitzten flache Holzstücke, die sie an den Griff klebten und dann dick mit Isolierband umwickelten. Mit Schleifpapier rieben sie den Rost von den Klingen, schärften sie mit Wetzsteinen, die die Bauern für ihre Sensen benutzten. Und dann zogen sie durch die Gegend, rechts am Patronengürtel die silbernen Colts, links die Bajonette, und fühlten sich für eine Weile stark und sicher.

Eigentlich waren wir auch boy soldiers, sagte Charly, noch immer den Arm um die Schulter des Bruders gelegt.

Ja, sagte der Bruder, kleine Scheißer mit Kapselrevolvern und Jungschar-Dolchen und stumpfen Bajonetten. Und voller Angst.

Ich spüre heute noch ein Kribbeln, so was wie Aufregung, wenn ich American Boy Soldier höre, sagte Charly. Ich mag dieses Lied.

Ich mag es auch sehr, sagte Edgar. Da sind so viele Geschichten damit verbunden.

Es war bei den Konzerten die langsame Nummer. Die Fans warteten darauf. Aber nicht weil es die Ballade war, die jede Rockband im Repertoire hatte. Sondern weil es den Leuten, die den Song hörten und ihn mochten, etwas bedeutete. Das Lied galt als das Underground-Protestlied gegen den Krieg. Doch es verbreitet keine Parolen, verkündet keine Botschaften. Es legt einfach los wie ein kleiner Sketch, eine Vertonung des damals in vielen Jugendzimmern und Wohngemeinschaften hängenden Posters vom klischeehaft dargestellten Uncle Sam mit den bösen stechenden Augen, der mit dem Zeigefinger wie mit einem Revolver auf den Betrachter zielt, I want YOU for US-Army!

Zwei Stimmen, ein Rekrutierungswerber, der einem unbedarften gelangweilten Jungen das Soldatenleben schmackhaft macht, das ein Held-Sein, ein kurzer Dialog wie auf einer Theaterbühne, sparsamste Gitarrenakkorde, dann ein paar hingetupfte Klopfer auf den Becken, anschwellender Trommelwirbel wie bei Militärmusik, so fängt es an.

Also, die Version, die Charly und sein Bruder an diesem späten Märznachmittag 1970 im Fernsehen sahen, beginnt so. Magst du die Farbe Grün? Davon gibt’s massenhaft dort, wo du hingehst! Magst du kleine gelbe Menschen? Möchtest du nicht ein paar umlegen!? Möchtest du in den Krieg ziehen? Und Arthur Grant sagt nur noch und immer wieder, oh ja Sir, bitte Sir, bitte Sir, und Steve Broughton trommelt heftig los, aber nur ganz kurz, gleich wird aus dem Ganzen ein folkiges nettes Liedchen, aber was Edgar singt, ist gar nicht nett, sie schicken mich heim, die Knochen zerschossen, Arthur und Steve pfeifen dazu und spicken Edgars Zynismus – lasst mich euch erzählen, was für ein gutes Leben die Army einem jungen Mann bieten kann – mit la-la-la und shoo-bee-doo-wah und Zeilen aus Baby Love von den Surpremes.

In jener Zeit, als Charly und sein Bruder das erste Mal Wasa Wasa auf den Plattenteller legten und sich American Boy Soldier wieder und wieder anhörten, war die Edgar Broughton Band auf Tournee, unterwegs in ganz Deutschland.

Da ist diese Geschichte mit amerikanischen Soldaten, sagte Edgar. Wir hatten drei Gigs in einer Woche, ich weiß die Orte nicht mehr, in Bonn war einer, und die anderen recht nahe. Darum waren wir die ganze Zeit im selben Hotel, was auf Tour sonst nicht oft vorkommt. Irgendwann mal wollten wir was rauchen, wir haben einfach Typen gefragt, wo kriegen wir hier Gras oder Haschisch. Fahrt in den und den Ort, haben die uns gesagt, da hängen immer zwei Schwarze rum, Soldaten, Amerikaner, da kriegt ihr was. Und so war es auch. Wir haben die getroffen, sie sind rein in unseren Range Rover. Die haben einen Chillum dabei gehabt, ein Riesending!

Edgar lachte und hob die Hände, um die Länge des Tonrohrs zu zeigen, dreißig Zentimeter mindestens. Oh Mann, stöhnte er, die haben mehr Hasch reingepackt, als wir in einer ganzen Woche geraucht haben. Da hast du dir Schwaden reingezogen! Lachte wieder und spielte vor, wie er an dem Rohr gesaugt hatte, röchelnd wie einer der am Ersticken ist. Und geriet ins Schwärmen: Das waren so wunderschöne Kerle! Absolut fit, muskelbepackt, mit strahlenden Augen. Der Löwe und der Tiger, so haben wir sie genannt, sagte Edgar. Die hatten drei Einsätze in Vietnam hinter sich und warteten nun auf den Flug zurück in die Heimat.

Ist irre, Mann, sagten die Musiker, wie schafft ihr das? Wenn du einen überlebst, ist es Glück, zwei ist der Wahnsinn, aber drei!?

Kein Problem für uns, lachten der Löwe und der Tiger. Uns hat es dort gefallen.

Die GIs und die Band trafen sich ein paar Mal während dieser Woche in der Nähe von Bonn. Sie zogen sich den Rauch aus dem Riesen-Chillum rein, und erzählten Geschichten, die Musiker über ihre Konzerte und die verrückten Fans und die Groupies. Und über ihre aktuellen Schwierigkeiten mit dem Tour-Management, da gab es Streitereien wegen Abrechnungen, unangenehme Geldgeschichten. Der Löwe und der Tiger redeten von Vietnam. Was sie dort getan hatten. Es waren schlimme Dinge.

Die beiden waren Killer, sagte Edgar in der oberösterreichischen Terrassennacht. Sondereinsätze. Marines. Oder Navy Seals, irgend so was. Wirklich üble schlimme Geschichten haben die erzählt.

Am Tag der Abreise lud die Band den Löwen und den Tiger ein zum Frühstücken im Hotel. Wieder fingen sie an zu schwärmen von ihren Abenteuern im Dschungel, Apocalypse-Now-Drogentrips voller Gewalt und Mord.

Hey, sagte dann der Tiger. Ihr seid coole Typen. Wir mögen euch. Wir kommen zu euch nach London.

Ja, sagte der Löwe. Ihr habt doch dieses Problem mit dem Management. Wir kommen und lösen es!

Wir machen das für euch, sagte der Tiger. Kostet euch nichts. Wir mögen euch.

Ihr sagt uns den Namen von jedem, der euch Probleme macht, sagte der Löwe, ihr sagt uns, wo er lebt, und dann müsst ihr euch nie wieder Gedanken machen wegen der Sache.

Edgar fiel das Herz in die Hose. Nein, nein, nein, stammelte er, so wild ist das nicht, wir regeln das am Zivilgericht. Danke euch, Jungs, das ist toll – aber wir wollen wirklich keine Auftragskiller, die für die Edgar Broughton Band arbeiten! Die Fans würden es nicht verstehen. Niemand würde es verstehen!

„Charly, längst jenseits der sechzig angelangt, trifft auf den Helden seiner Jugendtage: Edgar Broughton, der mit seiner Band in den siebziger Jahren Leben und Weltsicht einer Generation von Jugendlichen geprägt hat. In einem trostlosen Dorf aufgewachsen, idealisierte Charly Broughton, der seine Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse nie verleugnete und für die raue, politische Facette der Rockmusik stand. Seine Musik (vor allem aber, was Charly in deren Texte hineinfantasierte) erhob ihn aus der spießigen Idylle in eine größere, mutigere Gedankenwelt. Nun, Jahrzehnte später, ergreift Charly die Gelegenheit und bucht sein Idol für die Geburtstagsfeier seines Bruders. Es folgen Abende, Nächte, Tage, in denen nicht nur Edgar sich erinnert, sondern in denen Charly lernt, sein Leben ein wenig mehr zu akzeptieren.“ So heißt es im Verlagstext und weiter: „Walter Kohl nähert sich in seiner Huldigung an eine der prägenden Figuren der britischen Rockmusik literarisch an – und erfährt ganz nebenbei seine eigene Geistervertreibung.“

 

Out Demons Out

Ein Roman über die Edgar Broughton Band

von Walter Kohl

erschienen im Frühjahr 2017

im Picus Verlag, Wien

 

Buchpräsentationen am 20. April im Tunnel Wien und am 25. April im StifterHaus Linz.

An beiden Abenden wird Edgar Broughton persönlich das musikalische Begleitprogramm gestalten.

„Don’t Dance with Fear and the Rain will disappear“

Christine Hinterkörner sorgte bereits im Winter mit dem ersten Album „Fat Black Spider“ ihres Avantgarde-Pop-Projekts Madame Humtata in der Musikwelt für Aufsehen. Daniel Steiner hat sie getroffen und fragt nach, was Madame Humptata aktuell betreibt.

Mit einer auf Klavier, Bass und Schlagzeug basierenden Instrumentierung und von der herausragenden Gesangsleistung Hinterkörners lebend, erntete Fat Black Spider in den Rezensionen der Musikpresse großes Lob. Referenzen auf Björk, Soap and Skin bis zu Kate Bush wurden gemacht. Doch Madame Humtata wird den – gerne in Schubladen kategorisierenden – MusikjournalistInnen das Leben in Zukunft nicht leicht machen und mit dem sich gerade in Arbeit befindlichen neuen Werk musikalisch gänzlich neue Wege gehen. Das Wort Techno steht im Raum!

Gleich vorweg möchte ich anmerken, dass es sich bei diesem Artikel um keine Rezension des neuen Madame Humtata-Albums handeln wird. Die Arbeiten am Werk sind noch im Gange, folglich gibt es für produktionsfremde Ohren auch noch keinen Ton zu hören. Das Erscheinungsdatum des neuen Albums, dessen Titel noch geheim ist, ist für Herbst 2017 anvisiert. Gespräche mit Labels laufen, Details können hier aus verhandlungstaktischen Gründen selbstredend nicht veröffentlicht werden. Alle meine Informationen über die neuen Stücke stammen aus einem im Cafe Traxlmayr geführten Gespräch mit Christine Hinterkörner. Trotzdem erscheint es mir opportun, bereits jetzt zu versuchen, die in mir in diesem Gespräch geweckte Neugier durch einige Zeilen auf die geneigte LeserInnenschaft zu übertragen.

Bereits Werner Gröbchen bemerkte zu Fat Black Spider, dass „permanente Verwandlung und Zurückverwandlung, dieses Hin- und Her, die ständige Häutung und Freilegung immer neuer, tiefer und tiefer liegender Persönlichkeitsschichten“1 zentral für das Verständnis des Projekts Madame Humtata sind. Musik, Choreographie und Kostüme bei der Life-Performance sowie die Videoarbeiten stellen vielmehr gleichberechtigte Teile eines Ganzen dar, die zwar auch einzeln für sich genommen funktionieren, ihre ganze Kraft jedoch erst in Kombination entfalten. Ganzheitlich betrachtet könnte also auch der angekündigte radikale musikalische Paradigmenwechsel Madame Humtata an sich gar nicht so radikal verändern wie zuerst gedacht.

Christine Hinterkörner beschreibt die musikalische Gefühlslage ihrer neuen Arbeiten als großstädtisch, gegenüber einem mediterranen, mit Sicherheit ihren häufigen Barcelona-Aufenthalten geschuldeten Grundgefühl der Fat Black Spider-Zeit. Fast-Forward statt Laid Back, eine Aufforderung zum Ausbruch durch Tanz. Komponiert am Klavier funktionieren die neuen Stücke auch als Songs2, die elektronische Umsetzung erfolgt erst in einem weiteren Schritt. Hier kommt wie bereits beim Debüt-Album Jazzpianist Michael Hornek als Produzent ins Spiel. Die Inspiration für die Kompositionen bezieht Hinterkörner von Außen, von neuen Städten, Landschaften, durch das Ausloten von Grenzen. Im Schaffensprozess eines Lieds steht daher der Text an der zweiten Stelle, nicht von der Wertigkeit, sondern ganz profan in der Reihenfolge des Machens. Während sie die Texte der Fat Black Spider-Songkollektion selbst schrieb, werden diese beim neuen Album von Patrik Huber aka Georgie Gold beigesteuert. Fasziniert von dessen tiefgründiger bildhafter Sprache wollte Christine Hinterkörner für Madame Humtata das Experiment wagen, diese Texte mit ihrer Stimme und ihrer Art zu singen kollidieren lassen.

In puncto Kostüm hingegen greift Hinterkörner wieder auf eine bewährte Zusammenarbeit zurück. Basierend auf eigenen Entwürfen entsteht die oft surreale „Humtata Couture“ gemeinsam mit der bekannten Modeschöpferin Daniela Karlinger, die unter anderem auch für die Konkurrenz wie Lady Gaga tätig war. Bereits fertig ist die „Sculpture of Zig Zag“, ein analoges 3D-Kostüm aus Spitzen, welches auch als schattenwerfender, organisch-digitaler Kristall oder als dunkle Erleuchtung zu beschreiben ist.

Diejenigen, welche ich erfolgreich mit meiner Neugier angesteckt habe, müssen sich, wie eingangs erwähnt noch bis zum Herbst gedulden. Zur Überbrückung der Wartezeit kann ich aber folgende Projekte, bei denen Christine Hinterkörner mitwirken wird, empfehlen: „End of the Rain“, ein interdisziplinärer Ausbruch basierend auf Texten aus dem Buch „Poems for Anarchy“ von Patrik Huber im Rahmen des Tanzhafenfestivals am 29. Mai in Linz. Und „Wallflowering“, eine Performance gemeinsam mit Iris Heitzinger und Franceoise Boillant in der ARGE Salzburg am 8. März. Viel Vergnügen!

 

1 www.be24.at/blog/entry/651693/madame-humtata-fat-black-spider

2 Als Nebenprojekt ist eine spätere Veröffent­lichung in reduzierter Version angedacht

Die Unmöglichkeit der Zeit

„Ein Sommernachtstraum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“: Kurt Palm inszeniert ein Stück, das als Probe für ein Obdachlosen-Shakespeare-Festival angelegt ist. Groteske Zeiten und verstaubte Konventionen: Wer hat an der Uhr gedreht? fragt sich Christian Wellmann angesichts des Stücks und definiert einen DEFCON-Modus „65 Minuten nach 5 vor 12“ am Theater Phönix.

„Ist es wirklich schon so spät“, trällerte Pink Panther Paulchen mit dem Cartoon-Clouseau im Vorabend-Fernsehen. Bett­hupferl, Zeit vorbei, gute Nacht. Traumpanther gleitet, Roadmovie in den Wolken endet abrupt. In „Ein Sommernachts­traum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“, einer dem Geiste des Sozialismus verpflichteten Groteske/Palmeske, wird der Slapstick-Inspektor Clouseau mit Aktentasche (und Diaprojektor) zum wiederkehrenden Indikator, als Vorbote zum Tod1. Seine stoischen Auftritte als DDR-Diavortragender (grandios repetitiv gespielt von Tom Pohl), der als Clouseau von der Bühne abgeht, werden zu einer Endlosschleife, in der die Zeit aussetzt. „Es wird ja immer absurder“, dieser Stehsatz beendet dann stets dieses absurde Treiben und alles danach scheint ungetrübt weiterzulaufen, nichts ist passiert.

„Wer hat an der Uhr gedreht?“ Im neuen Theaterstück von Kurt Palm, einer lose angelegten Fortsetzung der 09-Aufführung „Der Zwerg ruft“ in ebenjenem Theater Phönix, liegt dieser Zeit-Loop als Verfremdungseffekt im Epizentrum des Zeitlochs, das sich über das ganze Stück erstreckt. Darin werden jegliche Illusionen des Publikums wie ein Rudel Kätzchen ertränkt. Die Zeit springt von Klippe zu Klippe, von einer möglichen nahen Zukunft (Marslandung), dem Jetzt (Trump-Bezug), einer stehengebliebenen Zeit (Sozialismus/Kommunismus), zur Vergangenheit (der Original-Sommernachtstraum, das Schwelgen der drei Hauptcharaktere, DDR) bis zur direkten Zukunft des Stücks selbst, das (zu) oft angesprochene Ende des Stücks. Alles von postmodernen Sprenkeln durchzogen, die ebenfalls in der Zeit eingefroren sind. Gitterstäbe der Postmoderne, am Bestehenden fummelnd. Nichts wird unversucht gelassen, die Zeit ungreifbar, glitschig zu machen. Darum herum schlängelt sich eine vordergründig seichte Story mit Kalauern, üppig aufgetischt, wie’s sich fürs ländliche OÖ gehört. Fettig, triefend, die (zu) oft erwähnte Abneigung Palms gegen das konservativ eingeschnürte Land ob der Enns schmachtet sich am Abgrund des gerade noch Verträglichen vorbei. Der DEFCON-Modus der zentral im Theaterraum hängenden Uhr ist auf 1 Uhr festgenagelt, natürlich bleibt die Zeit hier stehen, auf 65-Minuten-nach-5-vor-12. Wobei DEFCON 1 = Uhrzeit 1 Uhr die maximale Einsatzbereitschaft bedeutet, alle Truppen werden eingesetzt = Trump-Zeit? Fake Time?

Der Begriff der Zeit verschmilzt mit dem Ursprungsmaterial Shakespeares. Eine Gratwanderung entlang eines verstaubten Kommunismus-Begriffs, den Palm jetzt festhalten und in die Gegenwart/Zukunft retten will. „Der Sommernachtstraum“ ist Trash-Theater, ein Messie-Versatzstück, eine postmoderne Zeitkapsel – sie nimmt alles, das direkt greifbar ist (Requisiten) oder überhöht werden kann (politisches Geschäft/Gesellschaft), lädt es ironisch auf, und wickelt es um das Original-Stück herum. Metafiktion, selbstreflektierend, ja teilweise selbstverliebt, eitel. Der Überraschungseffekt bleibt (zu) oft auf der Strecke, aber auch das ist wohl Absicht, um Reaktionen im Publikum zu generieren. Die Gehirnwäsche in Palms Sommernachts-Interpretation funktioniert, weil einem Brocken apportiert werden, die einen beschämen, vordergründig (absichtlich) platt rüberkommen, provozieren. Landestheater-Polemik, OÖN, Stadtwache, rechte Hirnstillständler, der gsöchte Pforra – mit Genuss bohrt Palm in die Fontanelle des Jetzt-Zustands, hier, im Oberstübchen von Österreich. Den Skandal suchend, obwohl einem dabei manchmal auch eine, äh, Face-Palm auskommt ob der Pop-Politik mit seichten Schmähs abzulenken, unterhalten um zu vergessen. Da wären wir wieder beim Zeitbegriff.

Episches Theater nach Brecht ist hier genauso drinnen wie Beckett, Flann O’Brien, klar, ist ja eh immer bei Palm dabei, aber: Handelt es sich hier eigentlich um ein Theaterstück? Oder einen Laienschelmenschwank? Eine zufällige Probe, von zufällig vorbeischauenden Probenden? Den Versuch einer Probe? Ist die DDR der hier auftretende Tod? Auf alle Fälle schimmert ein durchgängiger, jedoch disziplinierter Dilettantismus durch, alle drei Hauptdarsteller (solidarisch: gefühlt gleichlange Texte) erblühen in dieser von ihnen abverlangten Gratwanderung glaubhaft.

„Der Sommernachtstraum“ hat als Klassiker der Laientheater-Inszenierung (im englischen Sprachraum) immer noch eine große Tradition. Reflexionen auf zeitgenössische Irrungen lassen sich treffender – zeitlos – bestreiten, wenn sie in klassische, erprobte Universalstücke getränkt sind. Das gibt es schon, seit das Gilgamesch-Epos, das Ursprungswerk der Literatur, von griechischen Dichtern geplündert wurde – eines der meist kopierten Stücke überhaupt, auch William Shakespeare bediente sich bei dieser Mutter aller Schriften.

Mit Konservativem ebensolches in den Arm kneifen. Im Original sind es Handwerker, die ein Theaterstück proben, hier sind es drei gefallene Engel, die eine Probe zu einem Obdachlosen-Shakespeare-Festival im Vereinsheim der KP Linz abhalten – und mit Tod, Geistern und dem DDR-Clouseau in ebenjenes Zeitloch kippen. Dieses Stück im Stück wird dort geprobt (eigentlich nur der Versuch), und steht im Mittelpunkt von Palms Inszenierung. Demaskierung eines Klassikers mit Lokalkolorit, das einen vermeintlich verstaubten Inhalt (Shakespeare) mit dem verstaubten Linz (Athen) und Kommunismus (Gespenst) staubbewedelt. Im besten Wer-hat-uns-verraten-Sozialdemokraten-Chic, in Linz täglich Brot, rollt dieser surreale Traum über alles und jeden. Der Tod tanzt vor dem Bildnis Stalins, Mekka ist dort, wo die Toiletten sind.

Probe der Probe: die Vorzüge, die Hauptprobe des Stücks besucht zu haben und in der letzten Reihe zu sitzen – hinter einem nur Regie und Assistenz – „viel zu leise“, „leere Plätze“ (Anm.: 22 leere Plätze bei der Hauptprobe im frostigen Jänner, glatteisbedingt!), Block gefüllt, Knacken von Bleistiftspitzen, murmelmurmel … So gesehen war die öffentliche Hauptprobe eigentlich die wahre Premiere, das eigentliche Stück, bzw. eines Stückes, das sich selbst als Probe definiert, mehr Probe geht nicht, nach dem ersten Mal, dieser Hauptprobe, ist’s keine Probe mehr …

Alle Dinge ändern sich. Auch dieser Text ist ein Probegalopp eines Beschreibungsversuchs, der nur einen Zweck verfolgt: eure dafür verwendete Zeit unabänderlich an dieser Stelle abzulegen. Zum Wiederauffinden und immer wieder Zurückkehren, als Mahnmal für ein nie mehr wiederkehrendes Zeitgefühl.

1 Aktentaschen-Indikator, humoristischer Versuch, aus dem Füllungszustand der Aktentasche von Alan Greenspan schon bei dessen Erscheinen zur jeweiligen US-Notenbank-Sitzung auf die späteren Entscheidungen zu schließen.

 

Kurt Palm liest außerdem im März im StifterHaus aus seinem Roman „Strandbadrevolution“.

Wir zitieren aus dem Verlagstext: „Im Sommer 1972, in dem die Amerikaner Nordvietnam bombardieren, bereitet Ernst, der sich nach seinem Idol von den Rolling Stones Mick nennt, mit seinen Freunden im Strandbad die Revolution vor. Während sein Vater meistens in der Garage beschäftigt ist und seine Mutter die Tiefkühltruhe zum Bersten anfüllt, sollte Mick eigentlich für die Französisch-Nachprüfung lernen, lässt sich jedoch von zwei bislang im Bad noch nie gesichteten Mädchen ablenken. Doch schließlich endet dieser Sommer nicht nur für Candy, den jüngsten der Freunde, mit einer Katastrophe. Kurt Palm erzählt, wie lange ein Sommer in der Provinz in Österreich sein kann und wie kurz und unerbittlich das Leben.“

 

Lesung StifterHaus

16. 03. 2017 19.30–21.00 h

KURT PALM: „Strandbadrevolution. Roman“

„Ein Sommernachtstraum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“

Noch bis 9. April im Theater Phönix

theater-phoenix.at

 

Claus Harringer hat auf Radio FRO einen Beitrag übers Stück verfasst – unter anderem ist darin über Kurt Palms Abneigungen gegen die Theaterkonventionen und das Theater an sich zu hören.

fro.at/article.php?id=11934

Von Menschen und Flaggen

Mitte März wird bei den Tanztagen im Posthof Helena Waldmanns neues Stück „Gute Pässe Schlechte Pässe – eine Grenzerfahrung“ gezeigt. Die Choreographin und Regisseurin gab – im Vorfeld und noch während der Erarbeitungsphase des Stücks – ein Interview über Flaggen, Grenzen und politische Haltung in der Tanzkunst.

Jeweils vier TänzerInnen und AkrobatInnen treffen auf 20 Mauerbauer – das ist in Kurzbeschreibung der Plot des Stücks „Gute Pässe Schlechte Pässe – eine Grenzerfahrung“. Dahinter und darunter liegt die Auseinandersetzung mit Grenzen und Grenzübertritten, mit Tanz, Akrobatik, kultureller Differenz und ökonomischer Diskrepanz. Helena Waldmann ist international tätige Choreographin und Regisseurin und gilt als eine mit globalen Themen agierende Künstlerin. Weitläufige Einflüsse für ihre ungewöhnlichen Arbeiten nimmt sie aus der ganzen Welt und aus unerwarteten Lebensbereichen mit auf die Bühne. Anfang März hat das neue Stück in Ludwigshafen Premiere, die Österreichpremiere erfolgt kurz danach im Linzer Posthof. Hier das Interview, die Fragen hat Tanja Brandmayr gestellt.

Zum aktuellen Stück „Gute Pässe Schlechte Pässe – eine Grenzerfahrung“ haben Sie ein etwa halbminütiges Video auf ihre Homepage gestellt, auf dem eine durchsichtige Flagge zu sehen ist, die im Wind weht. Ich fand dieses Bild ungemein zart und widersprüchlich in einem, gleichzeitig hoffnungsvoll und unheimlich. Vielleicht können Sie verraten, wo sie diese Visualisierung gefunden haben, bzw. wie Sie darauf gekommen sind und ob diese durchsichtige Flagge auch im Stück vorkommt?

Bei einem der ersten Treffen mit meinem Dramaturgen Tobias Staab sprachen wir über Nationalhymnen und Fahnen. Ich erzählte ihm, dass die Akrobaten, mit denen ich arbeiten werde, eine „human flag“ performen können. Da „weht“ ein Mensch sozusagen wie eine Flagge am Mast. Vom menschlichen Körper als Fahnenmaterial sind wir auf transparentes Fahnenmaterial gekommen und so auf die Künstlerin Edith Dekyndt und ihr wunderbares Video „One Second of Silence – (Part 1) N.Y.“ von 2008. Das Original ist 18:29 min lang*. Da ich im Stück mit richtigen „human flags“ arbeiten kann, werde ich in der Inszenierung auf die durchsichtige Flagge aber verzichten.

Diese Ambivalenz der Unsichtbarkeit scheint das Thema Grenzen perfekt einzufangen: Geld oder Warenströme passieren zunehmend ungehindert die Grenzen, Menschen hingegen nicht. Sie sprechen von guten Pässen, etwa dem deutschen Pass, der die Einreise in 178 Länder ermöglicht, und schlechten Pässen, die das in weit geringerem Ausmaß tun. Sie sprechen davon, dass die Bewegungsfreiheit von Menschen von der Kreditfähigkeit ihrer Staatszugehörigkeit abhängt. Und hinsichtlich der Grenzen von den großen zeitlosen existenziellen Fragen nach Identität, dem Widerspruch von Sicherheit und Freiheit. Sie schreiben interessanterweise zu Ihrem Stück: „Die einmal errichtete kulturelle Differenz scheint umso nötiger zu werden, desto deutlicher wird, dass die Grenze gar nicht oder nur virtuell existiert.“ Ist das die Analyse des Jetztzustandes – die große Ähnlichkeit nach innen, andererseits der Ausschluss, und insgesamt eine unüberwindbare gesellschaftspolitische, kulturelle und ökonomische Diskrepanz?

Ich glaube, es ist immer eine Frage, wie und an wen die Menschen ihr legitimes Sicherheitsbedürfnis delegieren. Eine Grenze kann der eigene Gartenzaun sein, aber auch die Atmosphäre unserer Erde. Wie man Grenzen definiert, zumal als stabile Gebilde, die sie mit einem kurzen Blick in die Geschichte ja niemals gewesen sind, das ist meines Erachtens eine kulturelle Verabredung. Man denkt bei Grenzen gleich an Sprachgrenzen, aber nur ein Blick in die Schweiz zeigt, dass selbst diese Grenze nur eine gedachte sein kann. Dabei unternehmen wir doch fast alles, um uns dieser Grenzen gewiss bleiben zu können. Wir jubeln für Nationalmannschaften, wir identifizieren unsere Zugehörigkeit mit der Farbe unseres Passes – was aber, sobald es um die Farbe der Haut geht, auch nicht immer zu helfen scheint. Wir versuchen bunt zu sein, aber immer nur innerhalb von Grenzen, und das meine ich, gebildet aus tatsächlich völlig virtuellen Volkswirtschaften eines virtuellen Binnenmarkts oder eines virtuellen Bruttoinlandsprodukts. All diese Kennzahlen bezeichnen in Wirklichkeit doch nur das, was in die Kasse einzelner Staaten gelangt, während die tatsächlichen Geld- und Warenströme nahezu ungehindert um den ganzen Globus reisen. Warum Menschen nicht genauso reisen können, oder nur analog zum Ansehen ihres Reisepasses, will mir nicht in den Kopf. Liegt es vielleicht daran, dass sich der Wert eines Passes in genau dem Maße bestimmt, wie es gerade um die Kreditwürdigkeit eines Landes bestellt ist? Zumindest ist es doch erstaunlich, dass die Pässe, die einem den Eintritt in andere Länder ohne Visum oder mit Visa on arrival erlauben, in der Regel von Ländern ausgestellt werden, die auch die internationalen Finanzagenturen im Ranking mit AAA, also top bewerten, während die Kreditwürdigkeit afrikanische Länder oder Afghanistan, Syrien usw. auf demselben Ramsch-Niveau bewertet sind wie die Pässe ihrer Einwohner.

Als Bühnenkünstlerin lassen Sie zur Verdeutlichung der kulturellen Differenz Tänzer und Akrobaten aufeinandertreffen, als symbolische Kollision von unterschiedlichen ästhetischen Überzeugungen und Traditionen. 20 menschliche „Mauerbauer“ formieren außerdem Menschenmauern – oder versinnbildlichen die vierte Wand zum Geschehen an sich … Im Sinne einer Annäherung, etwa, dass sowohl der zeitgenössische Tanz als auch der Cirque Nouveau seine Grenzen ständig erweitert, und sich die Formen ja auch annähern: Ist das konkret ästhetisch-kulturell dann doch nicht auch ein Match des eher feinen zeitgenössischen Unterschiedes? Das hat ja auch was Humoreskes?

Humor finde ich schön, und angesichts der auch ästhetischen Debatten sehr nötig. Ist das jetzt noch Ballett oder etwa nicht? Hat das noch Stil oder wurde er dem zeitgenössischen Tanz geopfert? Wann wird endlich mal wieder „richtig“ getanzt? All diese Erwartungen finden ihren Ausgangspunkt in der Ausbildung, also in den jungen Jahren von Tänzern und Akrobaten, die nominell zwar, wie in Rotterdam oder Berlin, zusammen studieren, tatsächlich aber sehr früh zu Spezialisten erzogen werden, und die sich, wie das bei Jugendlichen normalerweise der Fall ist, gegenseitig auch ein wenig verachten. Die einen machen Show, die anderen Theater. Die einen können erstaunliche Tricks, die anderen nicht. Dafür werden Tänzer vom Staat alimentiert, Akrobaten nach Möglichkeit aber nicht. Auch hier wimmelt es vor virtuellen Grenzziehungen und es ist wohl tatsächlich der Postmoderne und ihrer Idee vom Patchwork zu verdanken, dass sich die Unterschiede nach Möglichkeit so horizontal wie möglich einebnen sollten. Heute hingegen geht es gegen den Schlachtruf „Alles ist möglich“ wieder tüchtig zur Sache. Das Theaterensemble sei besser als eine freie Gruppe. Die Oper besser als der Tanz. Das historisch Gewachsene besser als irgendetwas in der Gegenwart Entstehendes. Richtig lachen kann ich da nicht. Und auf der Bühne von „Gute Pässe Schlechte Pässe“ werden wir genau diese künstlichen Differenzen weidlich ausschlachten.

Ihre politische Haltung ist unübersehbar, sie agieren global. Sie hatten ein Stück über den Nahostkonflikt, eines über Textilarbeiterinnen in Bangladesch, „Letters from Tentland“ handelte von iranischen Frauen. Sie arbeiten mit Menschen vor Ort zusammen. Wie kommen Sie zu ihren AkteurInnen?

Über das Interesse. Meist leite ich, wie in Teheran, einen 1–2wöchigen Workshop. Oder finde eine Partnerschaft wie in Bangladesch, eine Tanzschule. Aus der Auswahl der Teilnehmer dort entwickelt sich dann das Casting für eine Produktion. Auch für „Gute Pässe Schlechte Pässe“ wurde ich bei einer Tänzer-Audition in Berlin fündig. Bei den Akrobaten war es allerdings etwas energie- und zeitaufwendiger. Ich bin ein Neuling in dieser Szene, bekam hier aber Hilfe von Anke Politz, der Geschäftsführerin des Berliner Theaters Chamäleon, um an die richtigen Artisten heran zu kommen. Bis ich die vier Akrobaten gefunden hatte, die sich auch auf mich einlassen konnten, das hat länger gedauert, was vor allem am System der Akrobaten liegt. Ein Artist arbeitet in der Regel mindestens 3 Monate, oft aber auch 6 Monate lang en suite an einem Varietétheater. Man kann ihn also für einzelne Vorstellungen an verschiedenen Orten gar nicht engagieren, da sie sich aus ihren täglichen Vorstellungen nicht verabschieden können. Es gibt aber Akrobaten, die ihr starres System satthaben – und die hab ich jetzt in meiner Gang.

Welche Beziehungen entstehen während, oder auch nach einer Stückerarbeitung?

Da ich von beteiligten Künstlern immer erwarte, dass sie an der Autorenschaft des Stücks beteiligt sind, wird unsere Beziehung in den meisten Fällen sehr eng und vertraut.

Was die Formensprache ihrer Arbeiten anbelangt: Empfinden Sie sich selbst als eine Art Grenzgängerin, in dem Sinn, dass Sie derartig verschiedene künstlerische Stilmittel einfangen, tänzerische Stile, theatralische Mittel? Ich meine etwa „GlückStück“, das die starke Macht des tänzerisch-theatralen Ausagierens feierte, fast anarchisch wirkend – im Gegensatz zu „revolver besorgen“, das die Demenz thematisiert – und das als klassisches Soloballett in gewisser Weise den Verlust der strengen Form auf die Bühne bringt. Was treibt Sie um, welche Fragen, welche Bildsprachen – und was sind die Dinge, die Sie als verbindende Elemente betrachten?

Mich treibt das Nomadische. Die Neugierde auf den Rest der Welt. Ich habe alle Kontinente der Welt bereist und auf vier von ihnen mit meinen Stücken gespielt. Manchmal fällt mir auf den Reisen etwas auf, das ich nicht vergessen kann. Ich nenne das meine „Fundstücke“. Aus diesen Fundstücken entwickeln sich oft auch die Themen für meine Tanz-Inszenierungen. „BurkaBondage“ zum Beispiel beruht auf Workshop-Erfahrungen in zwei so unterschiedlichen Ländern wie Japan und Afghanistan. Die Zuschreibungen, die bei uns etwa das japanische Shirbari, also Bondage, und die Burka in Afghanistan erfahren, hat nicht unbedingt etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Zuschreibungen sind etwas Trennendes. Guck mal, die unterdrückte Frau unter der Burka. Guck mal, die gefesselte Frau, total das Opfer. Zuschreibungen trennen. Das ist ein Aspekt, der mich auch bei „Gute Pässe Schlechte Pässe“ interessiert. Was, wenn nicht Unterstellungen, bringt Menschen dazu, überhaupt Grenzen zu ziehen? Und was, wenn nicht die Suche nach dem Glück oder die Phänomenologie des Vergessen treibt uns an?

Vielleicht können Sie über das Verhältnis des Ästhetischen und des Politischen ein paar Worte sagen? Ihre Bühnenarbeiten sind, wie oben angedeutet, thematisch und global weit gestreut, bleiben dabei aber auch selbstreflexiv auf den eigenen Bühnenkosmos bezogen, sind Ästhetik, Analyse und Wagnis – oder in der Gegenüberstellung auch Provokation. Bei „Made in Bangladesh“ haben Sie etwa auch die harte Arbeit der TextilarbeiterInnen dem westlichen TänzerInnenprekariat gegenübergestellt. Der sich emanzipierende Mensch als das politische und ästhetische Thema schlechthin?

Das ist nicht falsch. In „Made in Bangladesh“ ging es um Textilfabriken, um die Arbeitsbedingungen dort, aber es war doch ein Stück für Tänzer, denen es oft nicht besser ging als den Näherinnen, die sich immerhin hoch gearbeitet und ihre relative Rechtlosigkeit in ihrem Dorf hinter sich gelassen hatten. Wie sollte ich da nun die Situation der Tänzer übersehen, auch wenn es im Stück zunächst um die Ursachen der globalen Dumping-Spirale geht? Gibt es die denn nicht auch bei uns? Immer mehr gut ausgebildete Künstler kämpfen um einen immer geringer finanzierten Theaterjob. Es fällt mir wirklich schwer, da die Augen zu verschließen. Ich bin nicht absichtlich eine politische Künstlerin. Ich weiß nur nicht, wie man das Politische übersehen soll. Manchmal beneide ich Künstler, die das können und sich für die übrige Welt gar nicht interessieren.

Die abschließende Frage: Sie befinden sich zum Zeitpunkt des Interviews noch in der Stückerarbeitung. Wie entwickelt sich das Stück, wie geht es Ihnen persönlich mit dem Status Quo der Erarbeitung?

Gut, danke der Nachfrage, sehr gut, weil das Stück von Neugierde angetrieben wird, von der Lust, Neues von Tänzern und den Akrobaten zu lernen, von Zeitgenossen, die sich etwas trauen, die etwas wagen, die etwas riskieren. Jetzt tun sie es mit mir, aber an allen anderen Tagen auch ohne mich. Ich bin ziemlich elektrisiert von einem Team, das sich schon am ersten Probentag getraut hat, mit wildfremden Menschen, die ich als „Mauerbauer“ einfach mit eingeladen habe, umzugehen. Was übrigens verblüffend einfach war. Sie haben sich einfach menschlich einander genähert und herausgefordert.

 

Helena Waldmann: www.ecotopiadance.com, www.helenawaldmann.com

* Die im Interview erwähnte durchsichtige Flagge der Künstlerin Edith Dekyndt vimeopro.com/user15725279/edith/video/ 65647087

 

„Gute Pässe Schlechte Pässe – eine Grenzerfahrung“, Helena Waldmann:

14. März, 20 Uhr, Posthof Linz

Das Stück wird innerhalb der Tanztage Linz gezeigt.

Alle Stücke: www.posthof.at

NEXT COMIC

www.nextcomic.org

Anna Haifisch ist eine der featured artists beim Festival Next Comic, das von 16.–24. März in Linz stattfindet. Wir haben sie im Salzamt besucht, wo sie im Februar und März Artist in Residence ist. Anna Haifisch hat uns für die Referentin einen Comic zur Verfügung gestellt, der aus ihrer Artists-Serie stammt. Wir können verraten, dass Sie selbst sich, im Gegensatz zum dargestellten Artist, im Salzamt sehr gut aufgehoben fühlt. hai-life.com.

Gemischte Gefühle

Mit sachlicher Noblesse schreibt Léonie Hubauer (10) über das Ausstellungsformat Klasse Kunst.

In der Ausstellung „Gemischte Gefühle“ in der Landesgalerie Linz geht es um Gefühle und Emotionen.
In drei verschiedenen Bereichen werden sie altersgerecht für Kinder und Jugendliche behandelt.
An den Wänden hängen viele Porträts und Malereien, auf denen man Personen und Tiere sehen kann, deren Mimik und Gestik ein bestimmtes Gefühl ausdrücken.
Man kann selbst viele Sachen ausprobieren und sich über seine und die Gefühle der Menschen in seiner Umgebung Gedanken machen, zum Beispiel konnte man sich selbst in Handspiegeln betrachten und beobachten, wie man aussieht, wenn man verschiedene Gefühle zeigt.
Besonders gut haben mir der Raum mit den Spiegelwänden, wo Porträts ausgestellt waren, und ein bunter Raum mit Comic-Zeichnungen am Boden, wo CD-Player an der Wand befestigt waren, und man sich Lieder anhören konnte, die verschiedene Gefühle ausdrückten, gefallen. Ich finde die Ausstellung sehr sehenswert und kann sie nur weiterempfehlen.
Danach war ich noch in der Klemens-Brosch-Ausstellung, wo ich dessen Zeichnungen bewundert habe, weil sie besonders fein gezeichnet waren.

Gemischte Gefühle. KLASSE KUNST – noch bis 12. März 2017 in der Landesgalerie.

Auf diesen Bildern zu sehen: „Schrei“ von Oktavia Schreiner, eine Videoarbeit von 2014, und das „Spiegelzimmer“ mit vielen Porträts und Stimmungslagen. Zur Ausstellung von KLASSE KUNST gehört auch das Bild am Referentinnen-Cover: Es ist ein von der Redaktion fotografierter Bildausschnitt des Bildes „Juristische Grauzone auf Kuhhaut“ von Catharina Bond. Das ganze Bild und die Ausstellung selbst anschauen gehen!
Bereits zum fünften Mal zeigt das Landesmuseum das Ausstellungsprojekt KLASSE KUNST. Mit jährlich wechselnden Themen richtet sich dieses Format an Kinder, Jugendliche und Erwachsene und transformiert dabei Kunstvermittlung zu einem intellektuellen und sinnlichen Prozess. Mit der Ausstellung „Gemischte Gefühle“ greift KLASSE KUNST den Umstand auf, dass Kunst immer schon emotionale Sogwirkungen erzeugt hat, und verführt das Publikum, sich dargestellten sowie eigenen Emotionen hinzugeben. Damit knüpft das Projekt gezielt an kindliche und pubertäre Lebensrealitäten an und ermöglicht durch die Beschäftigung mit vor allem zeitgenössischen Kunstwerken eine Auseinandersetzung mit der eigenen Achterbahn der Gefühle.

Im Winde verlogen

Lisa Spalt hat im Herbst in der Reihe maerz_sprachkunst aus ihrem aktuellen Roman gelesen und ist außerdem am Podium zum Themenkomplex Literatur und Politik gesessen. Für die Referentin schreibt sie über die grassierende unerträgliche Gleichsetzung von Fiktion und Welt und erläutert ihr „Manisoft des Psittacismus“.

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Im Jahr 1552 veröffentlicht Gerolamo Cardano, der Erfinder der Kardanwelle, seinen Traktat „De Subtilitate“. Darin erwähnt er die Möglichkeit eines Sprechens, das ohne entsprechendes Denken auftritt, und vergleicht es mit dem einer Elster oder eines Papageis. In den Jahrhunderten darauf taucht dieses „Sprechen wie ein Papagei“ bei verschiedenen AutorInnen und unterschiedlich definiert wieder auf, so – um nur dieses eine Beispiel zu nennen – bei Leibniz, der in „Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand“ (1703/04) erstmals den Terminus „Psittacismus“I verwendet, um den sinnentleerten Gebrauch von Wörtern zu bezeichnen. Er spricht in diesem Zusammenhang von Gedanken und Raisonnements, die nicht empfunden sind, sondern anderen nachgeplappert werden. Die Worte gehen mithin an den ursprünglichen Überlegungen, die sie hervorgebracht haben, vorbei und sind „im Winde verlogen“, wie der Philosoph sich ausdrückt.II

Nun stellt sich die Frage, wie ein derart negativ behafteter Begriff in der Kunst fruchtbar gemacht wird und wie er zu diesem Behufe verstanden werden könnte.

Vielleicht ganz von vorne: Die Poetin beschäftigt sich in meiner Vorstellung mit der Erprobung von Sprache. Sprache schafft im Alltag Fiktionen von Welt, die poetische Fiktion erprobt diese Fiktionen des alltäglichen Sprachgebrauchs. Ich wähle hier bewusst nicht den Begriff des Experiments: Für mich schafft die Poesie keine wissenschaftlichen Versuchsanordnungen. Dennoch arbeitet sie an den Grundlagen. Sie erprobt die Möglichkeiten, sich in Sprache zu bewegen, es geht ihr darum, Bewegungsmöglichkeiten zu finden, zu testen und vor allem zu genießen, so wird sie eher nicht feststellen, einkasernieren, einengen. Eine spezifische Möglichkeit solcher Poesie wäre es daher auch, wie ich jetzt einmal behaupten möchte, sich psittacistisch zu betätigen. Und ich möchte diese Betätigung hier probeweise als ein „absichtliches Vorbeisprechen an den Fiktionen von Welt“ in den Raum stellen. Dieses „absichtliche Vorbeisprechen“, das ist der Psittacistin wichtig, soll jedoch keine endgültige Definition des poetischen Psittacismus sein. Das Wort „Definition“ stammt schließlich vom lateinischen Wort für Grenze („finis“), und Grenzen aufzuweichen liegt der Psittacistin doch wesentlich näher, als sie zu setzen, obschon es auch in diesem Zusammenhang Ausnahmen geben wird. Das Vorbeireden der Psittacistin an dem, was ihr als (sprachgewordene) Welt erscheint, wäre, das möchte ich probeweise in den Raum stellen, eines, das vielleicht als Erstellung von Fiktion im Sinn der „Philosophie des Als ob“ von Hans Vaihinger zu verstehen wäre: Eine Fiktion ist bei ihm eine gedankliche Konstruktion, von der man annimmt oder zu wissen glaubt, dass sie nicht der Welt entspricht, die aber helfen kann, mit der Welt umzugehen und sie zu erforschen. Der „Horror vacui“, die Angst vor der Leere, mit der man einst erklärte, warum Wassermoleküle zusammenhalten, ist ebenso eine dieser Fiktionen wie wahrscheinlich die Erklärung über das Phänomen der KohäsionIII eine gewesen sein wird. Nichtsdestotrotz boten und bieten derlei Fiktionen Möglichkeiten, die unterschiedlich beurteilt werden können. Auch „das Gute“ kann beispielsweise als eine solche Fiktion angesehen werden, und ihre Verwechslung mit der sogenannten Realität bringt immer wieder Folgen der einen oder anderen Art hervor. Mit Hilfe poetischer oder allgemein künstlerischer Fiktionen aber können wir nun vielleicht ein bisschen erproben, welche Möglichkeiten des Denkens und der Sprache es gibt, Welt zu fingieren, wohin die Extremierung gängiger Denk- oder Sprechweisen führt, was geschieht, wenn wir einzelne Verfahren des Denkens oder Sprechens isolieren, absolut setzen, völlig außer Acht lassen, wir können hier befreiende Erfahrungen von Nutzlosigkeit, von genüsslichem Delirieren machen, die uns der Alltag nicht erlaubt, die sich aber vielleicht auch später als ihr Gegenteil entpuppen, wir können spüren, wie wir normalerweise „ticken“, denn die absichtliche, phantastische Fiktion lässt uns in der Abweichung von unseren gewöhnlichen Verfahrensweisen erleben, was wir, ohne es zu merken, als normal oder wahr setzen. Poesie ist vielleicht die Erfahrung der Herstellung von Sinn und Bedeutung – eine Erfahrung, die den Menschen auszeichnen könnte, die womöglich nur ihm zugänglich ist. Nun muss hier dem Einwand begegnet werden, dass der Psittacismus derzeit doch keineswegs in der Kunst, sondern vor allem in der Politik fröhliche Urstände feiere. Aus dem Slogan „Heimatrecht ist Menschenrecht“, den ursprünglich die Vertriebenenverbände formulierten, weil sie in die vor dem II. Weltkrieg bewohnten Territorien zurückkehren wollten, wird hierzulande neuerdings ausgerechnet ein Recht abgeleitet, die als Heimat bezeichnete Nation vor Migration zu schützen. Die Rolle der „Verteidiger Europas“ wird komplett sinnentleert von dezidierten Gegnern der Europäischen Union beansprucht, die wie selbstverständlich europäischen Werten wie der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Gültigkeit von Rechten „ohne Ansehen der Person“ etc. gänzlich abhold sind. Man ruft nach Meinungsfreiheit, die man als Freiheit zu rassistischer, diskriminierender und geschichtsverfälschender Betätigung verdefiniert, man eignet sich Eigenschaftswörter wie „alternativ“ an und bedient sich überhaupt an jedem Sprech, der in irgendeiner Weise neue Anhänger generieren könnte. Und tatsächlich, diese politischen Psittacismen sind erfolgreich. Sie finden Anhänger, die – kaum zu glauben – noch gezielter an den Tatsachen vorbeigehen als ihre wirr redenden Propheten: In gänzlicher Verkennung der Situation laufen Scharen von Menschen diesen Führern nach, als würde man an den Schauplatz eines Unfalls rennen, um zu sehen, wie aus dem Fremden da am Boden das Blut herausrinnt. Man möchte rufen: „Das ist kein Schauspiel!“ Aber die verständnislosen Blicke der Umwelt lassen einen verstummen. Nicht selten könnte man als BetrachterIn dieser Auswüchse denken, man habe es nicht mehr nur im Netz mit den wahren Psittacisten der Stunde, nämlich mit Social Bots, zu tun – diesen kleinen Propaganda-Computerprogrammen, die die sozialen Netzwerke nach Reizwörtern durchsuchen und, wenn sie fündig werden, ihre aus einem vorgegebenen Pool zusammengeflickten Nachrichten platzieren. Nein, auch die Reden physischer Personen wirken bereits oft wie die von Robotern, die mit bedeutungsschwangeren sprachlichen Versatzstücken bis zum Platzen vollgestopft wurden. Warum hängt sich Hofer die Wendung „So wahr mir Gott helfe“ um? Man kennt sie hierzulande nur aus US-amerikanischen Filmen und Serien, in der österreichischen Angelobungsformel gibt es sie nicht. Will Hofer den Nimbus einer heldenhaften Filmfigur um sich breiten? Bedient sich der Mann bei Schwurformeln aus Ghana, der Türkei bzw. der Ukraine? Warum? Zu vermuten ist: Beim politischen Psittacismus geht es um einen im ursprünglichen Sinn des Wortes. Es geht um die Aneignung tönender Rede ohne jegliches Verständnis und ohne Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Folgen ihres Einsatzes, um die verständnislose Gleichsetzung von Fiktion und Welt usw. Der poetische Psittacismus dagegen wäre einer, der vor seiner Verantwortung größten Respekt zu zeigen pflegt. Er entspringt dem Gedanken, dass wir Welt nicht erkennen, sondern nur immer wieder erproben und erfahren dürfen. Er schafft Fiktionen, die so beschaffen sind, dass sie auf keinen Fall für wahr gehalten werden können: Ja, poetische Fiktionen sind im Idealfall immer zu schön, zu schiefmäulig, zu wild, zu abwegig etc., als dass sie Wahrheit postulieren könnten. Und als liebenswürdige, sehr persönlich formulierte Versuchsballons gebieten sie, wie persönliche Erfahrungen gezeigt haben, fast jedem Hassposting Einhalt, was beweisen könnte, dass Bots mit Liebenswürdigkeit nun wirklich nicht umgehen können. Jedenfalls: Ja, auch die poetische Psittacistin hält es für einigermaßen erwiesen, dass wir trotz aller Skepsis Handlungen in dem Raum setzen müssen. Wir müssen, so sieht es aus, alltäglich und künstlerisch innerhalb dieser Sprachwelt agieren, in der ständig Fiktion und Tatsache verwechselt werden. Wir müssen damit umgehen, dass verständnislose verbale Kraftmeierei vorgibt, wohin die Welt rollt, dass diese nur mehr die Marschrichtung als einzige Himmelsrichtung kennt usw. Die so missbräuchlich verwendete Sprache ist und bleibt auch vermutlich das Medium, über das wir unsere Welt zu organisieren haben, auch wenn wir noch so sehr an ihrer Brauchbarkeit zweifeln. Umso mehr erscheint es der Psittacistin geboten, sich mit dieser Sprache und ihrer Kraft, Welt hervorzurufen, auseinanderzusetzen. Es erscheint ihr wertvoll, die (harten) Manifeste all dieser weltweit aufstehenden starken Männer, die den Globus zu ihrem Jahrmarkt erklärt haben, mit ihrem nahezu täglich umformulierten „Manisoft des Psittacismus“ ein bisschen aufzuweichen …

1 Das Manisoft des Psittacismus ist so ungefähr eine immer wieder versuchte Annäherung an etwas, was wir gerne ein bisschen beschreiben würden.

2 Die Psittacistin phantasiert in Anerkennung der Hypothese, dass der Mensch die Natur sein könnte, welche von der Natur nicht unbedingt etwas versteht, dass der Mensch die Natur sein könnte, welche von der Natur, die er ist, nicht wirklich verstanden wird.

3 Es gibt in der Welt der Psittacistin wahrscheinlich kein Alles und kein Nichts, ganz sicher ist das aber nicht.

4 Die Psittacistin nimmt daher nicht wenig ein bisschen ernst, hat aber zum Teil eine ansehnliche Abneigung gegenüber Aspekten des Wichtignehmens.

5 Die Psittacistin versteht einigermaßen wenig. Ihr Leitspruch: Scio me parvum scire.

6 Obwohl die Psittacistin kaum etwas durchschaut, sollte sie sich dennoch zumindest in Ansätzen zu Teilen des Lebens verhalten. Dieser Umstand, den sie unvollständig erkennt, beunruhigt sie einigermaßen.

7 Die Psittacistin möchte durchaus irgendetwas ein bisschen verbessern. Sie sucht daher nach halbwegs passenden Werten und stolpert im Zuge dessen nicht selten leicht orientierungslos herum.

8 Die Psittacistin spricht zuweilen schon in der Kindheit laienhaft am Leben vorbei. Dann macht sie dieses Laientum zum Teilzeitberuf, um zumindest ein wenig von ihrer Unfähigkeit zu profitieren.

9 Die Psittacistin beschäftigt sich mit der Schaffung von Fiktionen, welche Fiktionen als Instrumente der Alltagsbewältigung auf die Probe stellen.

10 Auch für Nicht-Psittacistinnen haben derart gesetzte psittacistische Handlungen recht gute Auswirkungen und daneben weniger gute oder umgekehrt. Manche Auswirkungen werden von der Psittacistin zum Teil ignoriert, zum Teil übersehen. Es seien daher alle, die sich mit dem Psittacismus beschäftigen, eingeladen, die Gedankengebäude weiterzudenken und um glückbringende Möglichkeiten zu erweitern.

I von Griechisch „psittacos“ für Papagei

II Das große Werk über den Psittacismus trägt den Titel „Le psittacisme et la pensée symbolique: Psychologie du nominalisme“ (1886) und stammt von Ludovic Ducas.

III Die „Kohäsion“ bezeichnet in Chemie und Physik die Kräfte, welche Atome oder Moleküle innerhalb eines Stoffes zusammenhalten.

 

Von Lisa Spalt erscheint im März 2017 im Verlag Czernin das Buch „Die 2 Henriettas“. Deutsche und Österreicher, die im 19. und 20. Jahrhundert in die USA auswandern, stehen im Mittelpunkt einer Geschichte, in der nichts erfunden, aber alles Fiktion ist. Ausgangspunkt der Recherche ist ein Konvolut von Fotografien aus dem Nachlass eines Verwandten. Die Erzählerin verwächst zusehends mit den historischen Henriettas und knöpft sich, verbal ungebremst, das World Wide Web vor – jene einzige Informationsquelle, die sich mit widersprüchlichen Daten zunehmend zwischen sie und ihre Vorfahren stellt. Die Sehnsucht nach Wahrheit, Hintergründen und Räumlichkeit prallt an dem flachen Gebilde ihres Bildschirms ab, den sie auf der Suche nach Informationen vor Augen hat.

Aus dem Verborgenen …

… in die Unendlichkeiten gemalt, hat die Künstlerin Claudia Nickl bereits 2012 eine Arbeit, welche in großformatigen Malereien Wolkenformationen darstellen. Bei Interview-Spaziergang und Atelierbesuch zeigen sich sehr unterschiedlich umgesetzte Arbeiten und der hintergründige Zugang einer Malerin zu einem Medium, das in den letzten Jahrzehnten regelmäßig für tot erklärt worden ist.

Malerei im Informationszeitalter

Das Gespräch, das sich während der Interview-Tour durch die Innenstadt entspinnt, entwickelt sich bald als Gedankenstrom á la Virginia Woolf und verweigert im mäandernden Begehen der Route konsequenterweise bald den Interviewleitfaden. Ein umfangreicherer Fragenkomplex stellt sich vor dem Schaufenster der „Galerie Berghammer“ in der Herrenstraße ein, wo eine abstrakte Malerei der Künstlerin ausgestellt ist. Es sind Fragen zur alten Kulturtechnik Malerei und wie es heute um diese bestellt ist: Gibt der Zeitgeist etwas vor, was nach einer neuartigen, unorthodoxen Umsetzung verlangt? Und wenn ja, hemmt die unveränderte Fläche der Leinwand die Umsetzung einer Idee? Inwieweit dringen digitale Bildsprachen und neue Sehgewohnheiten in die Malerei ein? Vermag die stets mitvermittelte Stoa der Malerei in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomien, die sich im Netz unaufhaltsam befeuern und konkurrieren, bei den Betrachtern noch etwas auszulösen? Wortreich hat man manche Post-Art-Kuratoren schon vom Staffelei-Ismus reden gehört … Lange Rede, kurzer Sinn, ganz diesem wortwörtlichen Sinn folgend, fällt die Antwort Claudia Nickls entsprechend knapp, selbstsicher und etwas kryptisch aus: Das Format mag zweidimensional sein, doch was transportiert wird, lasse sich nicht in und durch eine Form begrenzen, da es neben dem Wirklichkeitssinn einen Möglichkeitssinn gibt, der in jedem Vorhaben das Faktische des 2D-Rahmens als gedachte Begrenztheit überwindet, sich Bahn bricht und etwas Einmaliges und Singuläres offenbart. Die Faszination, dass die Malerei eine Kunstform ist, die es schafft, sich auf das unzugängliche und unbeherrschbare Innere in Menschen zu beziehen ohne es dabei auszuliefern. Wie bei einem Porträt. Eine großformatige Porträtmalerei der Künstlerin kann man beispielsweise in der Nähe des Taubenmarktes sehen. Im vorderen Bereich des „Wirt am Graben“ ist eine Malerei ausgestellt, die in schrill-poetischer Farbgebung eine alte Frau abbildet. Das Bild zeigt die mittlerweile verstorbene Großmutter der Künstlerin, die im Leben der Malerin eine wichtige Bezugsperson war und für die Künstlerin in einer Phase der schweren Krise überraschend eine Schlüsselrolle gespielt hat. In der Nacht bevor sie stirbt, weilt Claudia Nickl zum Glück nicht in Paris, ihrem damaligen Aufenthaltsort, sondern in Linz. Ohne Ankündigung auf das Bevorstehende, sondern intuitiv einer Eingebung folgend, bricht sie auf und kann so noch die letzten Stunden an ihrer Seite verbringen.

Ahnenforschung, Trauma und unter 500 Claudias in Paris

Das Ziel Paris vor Augen, zog es die Studentin der Kunstuniversität Linz in den 00er Jahren zuerst aber in unterschiedliche Richtungen, als hätte sie einen Kompass eingebaut, bei dem die Nadel nervös-willkürlich diverse Richtungen anzeigt – und dort einrastet, wo schließlich die Orte ihrer Kindheit markiert sind. Auch zeitlich war nicht die eine Zukunft in die eine Freiheit angedeutet. Neben der Zukunft zielten Aufmerksamkeit und Wahrnehmung direkt in die Vergangenheit hinein, die durch einen dringlichen, dunklen Ruf einen regelrechten Sog entwickelte. Eine paradoxe Situation, in der die Realität bereits eine Zukunft andeutet, sich aber letztlich in einer unerklärbaren Gleichzeitigkeit auch auf das längst Vergangene beziehen will. Die Studienphase gleicht unter diesen Umständen einer verzerrten und gespannten Gegenwart, die viele Richtungen andeutet und bedeutet. Es geht nicht nur darum, ein Handwerk an der Universität zu erlernen, wo Nickl „die Experimentelle“ belegt, sondern sie lernt sich selbst zu experimentieren und damit ihr eigenes Selbstverständnis und ihre Biografie zu klären. Eine Reise in die Vergangenheit ohne Anleitung, welche die Studentin dazu führen wird, sich ihrem Trauma zu stellen. Mutterseelenallein, unverstanden sein. Der damalige Intendant des Landestheaters, Gerd Willert, wird ihr als Freund sagen, es handle sich um „Das Drama des begabten Kindes“. In der Phase der persönlichen Aufarbeitung, die sie bei unserem Gespräch als Ahnenforschung beschreibt, lotet sie seelische Untiefen aus, was sich als Askese im äußeren Leben manifestiert. Die Reduktion auf das Allernotwendigste, auf das Existenzielle, hat die Bewegungen im Inneren begleitet. Kunst und Pfandflaschen gegen Kleingeld eintauschen. Kunst und verhandeln lernen, mit männlichen, durchwegs sehr viel älteren Mentoren. Als ein Förderer sein Wort nicht hält, fordert die Neo-Reduktionistin das Versprechen ein und verwandelt Objekt und Situation in einem einzigen Akt. Trotz notorischer Not wird ein Geldschein zur Kunst erklärt; Nickl transformiert ihn, indem sie ihre Unterschrift darauf zeichnet. Kunst und Brachen für das Kunstschaffen finden. Kurz vor dem Aufbruch nach Paris legt sie noch mit einem Kollegen eine betonierte Leerstands-Brache in der Innenstadt offen, sie nutzen den Ort für ihre Kunst. Das aufgelassene Autohaus in der Dametzstraße werden nach dieser Aktion noch andere Künstler und Kollektive für ihre Vorhaben zu verwenden wissen. Bevor Claudia Nickl nach Paris aufbricht, werden ihr auch Warnungen mit auf den Weg gegeben: Denn dort wird sie nicht die Einzige sein – es warten bereits 500 andere Claudias in Paris! Und Claudia Nickl war im Künstlerviertel an der Seine dann tatsächlich nicht die Einzige. Am Montmartre lebt sie in einem sozialen Kaleidoskop von unterschiedlichen Individuen und Beziehungen auf. Neue Freundschaften und ein Atelierplatz. Durch den geheimen Trick der Mimikry (die eine scharfe Beobachtungsgabe erfordert) lernt sie leicht und schnell Französisch, sie spielt Schach und trinkt Whiskey mit den Porträtmalern; es ist wie eine Zeitreise in das alte Paris von Degas, van Gogh, Valadon und Matisse. Sie trifft auf das Künstlerkollektiv La Generale, dem sie sich temporär anschließt. Sie findet in Paris zur Malerei – und kehrt wieder nach Linz zurück. Zurück in Linz wird Nickl später dann erneut ein leerstehendes Hinterhaus besetzen.

SCHMUSEN ohne doppelten Boden und eine neue Farbtheorie

Fünf große Wolkenbilder der Diplomarbeit von 2012 sind im Museum Angerlehner ausgestellt. Werke, denen die Künstlerin ein hochformatig-bebildertes Buch mit dem Titel »Nuances des Nuages«, das Goethes Wolkentheorien beinhaltet, beigefügt hat. Die Malereien folgen einem radikal minimalistischen Duktus: entstanden durch einen immer wiederkehrenden Strich, in Form einer liegenden Acht. Diese Bewegung entspricht einem mathematischen Zeichen, dem Unendlichkeitszeichen, das durch die Wiederholung zu den Wolken wird, in denen die horizontalen Achter nur selten als diese zu erkennen sind. Die Idee, ein Schema fortlaufend zu wiederholen, hat ein meditatives Moment, ist aber auch zu verstehen durch den starken Bezug der Künstlerin zur Geometrie im Allgemeinen. Seelenverwandt ist ihr die, in der Kunstgeschichte weniger bekannte, schwedische Malerin Hilma af Klint, die universelle Formen auf ihren emotionalen Gehalt hin untersucht, ihr großes Œuvre jedoch zeitlebens nie ausgestellt hat. Andere an Geometrie angelehnte Malereien von Claudia Nickl findet man in Linz beim Friseur in der Klosterstraße, die im Gegensatz zur transzendenten Wolken-Serie, stark reduktionistisch sind. Abgesehen von geometrischer Ursachenforschung, asketischem Lebensstil ohne doppelten Boden und Hausbesetzung für die Kunst, schert Claudia Nickl in ihrem Kunstschaffen aus, wann immer es der Moment fordert. Manche erinnern sich noch an die Zeit, bevor der Donaustrand zur beliebten Sommerlocation avancierte und wo folgende Idee kurz vor dem Auftakt zu Linz09-Kulturhauptstadt Europas entstanden war: Für kurze Zeit wurden an der Nordseite der Schlossmauer von Nickl die blutroten SCHLOSSMUSEUM-Buchstaben in das Wort SCHMUSEN verwandelt. Das aktuelle Projekt von Claudia Nickl ist hingegen ein intellektuelles, das eine weibliche Perspektive des 21. Jahrhunderts mit Theorien abgleicht, die Jahrhunderte zurückliegen. Vertraut mit Farbe, Geometrie und seelischen Tiefen plant Nickl eine Dissertation bei Thomas Macho, in der ausgehend von Newtons und Goethes Farbtheorien ein hermeneutischer Prozess in Gang gesetzt werden soll, wo die neue Farbtheorie auf holistische Gefühlslagen hin untersucht wird. Dieses in personeller Konstellation ungewöhnliche Dreieck – Nickl, Newton, Goethe – lässt mit Spannung auf die Resultate warten.

Der Zauber und der Schock der Anfänge

Lentos-Direktorin Stella Rollig wechselt im Jänner 2017 ins Belvedere. Elisabeth Lacher hat sie aus diesem Anlass zu Abschieden und Neuanfängen befragt – und natürlich zur künstlerischen Positionierung der Häuser und zur Gegenwartskunst.

Stella Rollig in der Ausstellung Die Sammlung. Klassiker, Entdeckungen und neue Positionen – während einer Führung mit Publikum. Foto MaschekS.

Stella Rollig in der Ausstellung Die Sammlung. Klassiker, Entdeckungen und neue Positionen – während einer Führung mit Publikum. Foto MaschekS.

EL: Sie sind seit dem Jahr 2004 Direktorin des Linzer LENTOS und haben damals den langjährigen Direktor Peter Baum abgelöst, ein Jahr nachdem die Neue Galerie zum LENTOS Kunstmuseum wurde und in den Museumsbau an der Donau übersiedelte. Vor zwei Wochen gaben Sie bekannt, dass Sie ab Jänner 2017 das Wiener Belvedere als künstlerische Direktorin übernehmen. Mit welchem Gefühl verlassen Sie Linz und das LENTOS, um Ihre neue Stelle in Wien anzutreten?

SR: Mit einem sehr guten Gefühl. Und zwar deshalb, weil ich im LENTOS, gemeinsam mit dem gesamten Team, in den beinahe dreizehn Jahren, die ich hier war, sehr viel erreicht habe. Wir konnten eine Vielfalt an Ausstellungen mit tollen Künstlerinnen und Künstlern realisieren. Wir haben an interessanten Themen, Forschungsschwerpunkten und Publikationen gearbeitet. Und genau diese Dinge waren es, die ich mir von Anfang an für meine Arbeit im LENTOS gewünscht habe. Es ist für mich wirklich ein sehr glücklicher und zufriedener Rückblick, mit dem ich das LENTOS verlasse. Und ich bin sehr froh über meine neue Aufgabe und Herausforderung im Belvedere.

EL: Wenn man zwei Zitate nebeneinander stellen würde: Das von Hermann Hesse sicher schon sehr oft gehörte Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne und der Volksmund, der sagt, Aller Anfang ist schwer, wo sehen Sie sich derzeit?

SR: (lacht) Auf jeden Fall bei Hesse, ganz spontan gesagt. Aber auch voller Überzeugung, denn ein solcher Aufbruch ist etwas so Reizvolles und Belebendes. Die Vorfreude ist wirklich sehr groß. Ich sehe meine neue Aufgabe natürlich auch als Herausforderung. Das Belvedere ist ein Haus, das ungleich größer als das Linzer LENTOS ist. Als österreichisches Bundesmuseum und als Ort mit einer einzigartigen Geschichte hat das Belvedere einen besonderen Stellenwert. Wie auch das 21er Haus auf seine eigene Weise eine besondere Geschichte hat. Die Identität des Belvedere mit seinen verschiedenen Standorten, ein viel größeres Team und ein deutlich höheres Budget sind natürlich eine größere Aufgabe. Und ähnlich wie zu Beginn im LENTOS folge ich auch im Belvedere einer sehr starken Vorgängerin nach, die ihre Handschrift hinterlassen hat. Und dem muss und möchte ich gerecht werden.

EL: Wenn Sie an das Jahr 2004 zurückdenken, als Sie das LENTOS übernommen haben, welches Zitat war damals zutreffender?

SR: Der Anfang hier war schon schwierig, obwohl ich mich natürlich auch damals sehr gefreut habe auf meine Aufgabe im LENTOS. Für mich kam das doch ziemlich unerwartet und auch ungeplant. Ich hatte mich zuvor eigentlich nie in einer Museumslaufbahn gesehen. Aber es war eine großartige Chance, auf die ich damals aufmerksam gemacht wurde. Ähnlich wie jetzt beim Belvedere, wurde ich auch damals angesprochen und zu einer Bewerbung motiviert. Und ich hatte für das LENTOS von Beginn an eine sehr starke Vorstellung und Vision davon, was für ein Haus es sein kann und was man bewirken will. Nun, fast dreizehn Jahre später, ist es dasselbe beim Belvedere. Ich sehe die Möglichkeiten des Hauses und habe eine Vision dazu entwickelt.

EL: In Ihrer Anfangszeit im Linzer LENTOS gab es ja diese politische und mediale Schlammschlacht gegen Sie als Person und das, wofür Sie stehen, wofür Ihr Kunstbegriff steht. Wenn Sie nun aus der Distanz darauf zurückblicken, gibt es von Ihrer Seite dazu noch etwas zu sagen?

SR: (überlegt kurz) Die Frage ist interessant formuliert. Ob es von mir noch etwas zu sagen gibt. Nein, eigentlich nicht.

EL: In unserem letzten Gespräch erwähnten Sie, dass die Arbeit als Museumsdirektorin in Ihrer Biografie ein Jump – nicht im Sinne von Crack – war. Können Sie diesen Jump noch einmal kurz umreißen?

SR: Genau, ich meinte einen Sprung, aber nicht im Sinne von Bruch. Die Arbeit als Direktorin des LENTOS war in vielerlei Hinsicht völlig anders als das, was ich zuvor machte. Der größte Unterschied zu meiner Arbeit davor war sicher das Publikum, zu dem ich mit meiner Arbeit sprach. In Linz war es ein Museumspublikum einer mittelgroßen Stadt, das größtenteils noch keine Erfahrung mit aktueller, zeitgenössischer Kunst hatte. Mein Vorgänger hat hier in Linz zwar Pionierarbeit geleistet, indem er die moderne Kunst des 20. Jahrhunderts nach Linz gebracht hat, sein Schwerpunkt lag jedoch bei Malerei Informel, nicht so sehr bei Konzeptkunst.

Ich habe dann als Erstes eine Medienkunstausstellung mit Darren Almond realisiert und erst im Nachhinein verstanden, welch ein Schock diese Ausstellung für ein unvorbereitetes Publikum gewesen sein muss. Damals hat sich dann auch dieser Konflikt entzündet, der auf einer sehr unangenehmen, persönlichen Ebene ausgetragen wurde, anstatt inhaltlich und sachlich ausgesprochen zu werden. Man hat sich damals vorgestellt, dass es im LENTOS weiterhin Ausstellungen geben sollte, wie Peter Baum sie gemacht hat. Mit bekannten Künstlern wie Picasso und Chagall, und dass diese nun vervielfacht auf einer größeren Fläche gezeigt werden.

Aber das wäre, realistisch gesehen, gar nicht möglich gewesen, und das ist es auch bis heute nicht, da das LENTOS hierfür gar nicht mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet war. Das prägt die Positionierung und die Arbeit des LENTOS Kunstmuseums bis heute, dass es finanziell mit den Mitteln einer mittelgroßen Kunsthalle auskommen muss.

EL: Wie sind Sie mit diesem Konflikt, dass ein Programm erwartet wurde, das aus budgetären Gründen unmöglich umzusetzen war, umgegangen?

SR: Als man mich als Direktorin ins LENTOS holte, war es ja aufgrund meiner Kompetenzen und meinem Ruf als Spezialistin für Gegenwartskunst. So habe ich, gemeinsam mit dem Team, ein aktuelles und zeitgenössisches Programm entwickelt, das zu den finanziellen Möglichkeiten des Hauses genauso gut passt wie zu einer Stadt wie Linz. Ich habe schon in meiner Bewerbung im Jahr 2004 erwähnt, dass die Stadt Linz nicht nur demografisch gesehen, sondern seit dem 2. Weltkrieg in ihrer Positionierung zunehmend an einer Neuerfindung des Images arbeitete, mit den Begriffen der Zukunftsorientiertheit, des Experimentierfreudigen, des Innovativen. Mit großen Leitprojekten wie der Ars Electronica. Dazu passte einfach ein Museum, das den Fokus auf Gegenwartskunst legt. So stärkte das LENTOS Kunstmuseum nachhaltig das Image von Linz als moderner Kulturstadt.

EL: Um auf das große Thema der Kunst und ihre Möglichkeiten zu sprechen zu kommen. Was kann die Kunst? Gerade in einer Stadt wie Linz?

SR: Kunst kann immer sehr viel. Das war besonders gut zu sehen im Jahr 2009, welches aus meiner Sicht ein sehr erfolgreiches Kulturhauptstadtjahr war. Die Kunst ist ein wichtiges Bildungsinstrument. Nicht im Sinne von reinem Faktenerwerb, sondern weit darüber hinaus. Kunst steht für einen offenen, integrativen Bildungsbegriff. Sie ermöglicht Menschen, unabhängig von medialer Manipulation zu denken, sich selbst ein Bild über die Welt zu machen. Kunst spricht nie eindimensional und aufs Erste verständlich. Man muss sich und der Kunst Zeit geben für eine Auseinandersetzung. Und was mir auch sehr wichtig ist, ist der Umstand, dass Kunst einfach auch glücklich macht. Das alles macht diesen hohen Wirkungsgrad der Kunst aus. Sie kann eine Begegnung mit mir selbst, mit meinem Ich, meinem Leben und meinen verborgenen Ideen und Wünschen sein. Gleichzeitig besitzt Kunst auch eine stark soziale Komponente. Das kann in der Auseinandersetzung mit sehr stillen Kunstwerken sein, wie das zum Beispiel in der Ausstellung von Cathy Wilkes letzten Sommer erlebbar war. Oder auch in partizipativen Kunst- und Vermittlungsprojekten.

EL: Sie haben im Lauf der Jahre immer wieder verschiedene Gruppen in das Museumsprogramm miteinbezogen, die ansonsten wohl nur als BesucherInnen ins LENTOS gekommen wären, wenn überhaupt. Ich denke an das Projekt mit den AsylwerberInnen letztes Jahr, oder die immer wiederkehrende Miteinbeziehung der Schwulen- und Lesbenbewegung Hosi Linz.

SR: Ich sehe das Aufeinanderzugehen, den Austausch und das Miteinander mit verschiedenen Menschen als eine wichtige Aufgabe des Museums. Diesen Ansatz möchte ich auch in das Belvedere mitnehmen. Ein Museum hat die Aufgabe, nicht nur gesellschaftliche Visionen zu entwickeln, sondern diese auch zu leben.

EL: Im Mission-Statement des LENTOS Kunstmuseums ist zu lesen: Kunst als Medium zum Verständnis der Welt, Kunst als Katalysator der Erfahrung der individuellen Lebensrealität, Kunst aber auch als Mittel zur Erprobung sozialer Möglichkeiten. Sie sprechen auch gerne vom Museum als einem Ort der Utopie. Wenn Sie auf Ihre Arbeitsspanne im LENTOS zurückblicken, welche Schritte und Impulse würden Sie als Ihre wichtigsten bezeichnen, um diesem Anspruch gerecht zu werden?

SR: Das erste und wichtigste Medium des Museums ist die Ausstellung. Und wenn ich mir die Ausstellungsgeschichte dieser letzten, fast dreizehn Jahre vor Augen führe, dann sind darin viele Themen und Positionen zu finden, die genau diesen Kunstbegriff vertreten. Wir haben im LENTOS sehr viele Ausstellungen gemacht, mit einzigartigen Künstlerinnen und Künstlern, die genau zu dieser Verfasstheit unserer heutigen Welt Aussagen machen. Dazu fallen mir spontan Ursula Biemann, Oliver Ressler oder Gil & Moti ein, und ich könnte jetzt unwahrscheinlich viele Künstlerinnen und Künstler aufzählen, mit denen wir zusammen gearbeitet haben. Es zieht sich eine Art emanzipatorisches Moment durch das Ausstellungsprogramm. Und auch eine Auffassung von Geschlechterpolitik als Gesellschaftspolitik, welche sehr viele dieser KünstlerInnenpositionen vereint. Bei vielen ist auch eine feministische Grundhaltung zu erkennen, zum Beispiel in der großen Ausstellung zu Valie Export. Mir selbst ist auch aufgefallen, dass wir viele schwule Künstlerpaare oder Beyond-Gender-Paare gezeigt haben, die mit ihrer Arbeit Geschlechterrollen, Klischees und Stereotypen infrage stellen, wie Eva & Adele, Gil & Moti oder Gilbert & George. Es gab auch große Themenausstellungen wie die Rabenmütter oder Der nackte Mann, die diese Lebensrealitäten und Lebensmöglichkeiten untersucht haben. Mit der Kunst an den Lebensrealitäten und an der Verfasstheit unserer Welt von heute dranzubleiben, zieht sich als roter Faden durch das gesamte Programm.

EL: Sie haben zuvor erwähnt, dass Ihr Vorgänger Peter Baum die moderne Kunst des 20. Jahrhunderts nach Linz gebracht hat. Man könnte hier fortsetzend sagen, dass Sie in den letzten dreizehn Jahren die zeitgenössische Kunst nach Linz gebracht und im LENTOS etabliert haben. Woher kommt Ihre Leidenschaft für die zeitgenössische Kunst?

SR: Dazu gibt es biografische Schlüsselmomente. Einerseits hatte ich das Glück, dass ich bereits in meiner Kindheit viel an zeitgenössischer Kunst gesehen habe. Meine Eltern waren mit uns Kindern genauso im Kunsthistorischen Museum, wie auch im 20er Haus. Als ich erwachsen wurde und meinen eigenen Weg eingeschlagen habe, war es vor allem die persönliche Bekanntschaft mit Künstlerinnen und Künstlern. In meiner Studienzeit habe ich viele Leute kennen gelernt, die Kunst studiert haben. Und ich habe das, was sie machten, gleichermaßen bewundert wie auch verstanden. Während meines Studiums der Kunstgeschichte habe ich mir auch sehr viel Wissen und Zugang zur Kunst selbst angeeignet. Vieles wurde am Kunstgeschichteinstitut auch gar nicht unterrichtet. Es gab also eine persönliche Entwicklung, die mich zur Gegenwartskunst gebracht hat. Ein Schlüsselmoment war dann dennoch die Christo-Ausstellung, die Ende der 1970er Jahre in der Wiener Secession gezeigt wurde. Es waren Aufnahmen seines Projekts running fence zu sehen. Christo hatte quer durch die kalifornische Landschaft bis zur Küste seine Vorhänge in die Landschaft gebaut. Bis zu diesem Zeitpunkt kannte ich selbst hauptsächlich Malerei und Skulptur. Dieses Projekt von Christo war für mich dann wirklich faszinierend und so schön anzusehen, und ich erkannte damals, welch unterschiedliche Erscheinungsformen Kunst haben kann. Ich war begeistert und von diesem Moment an auch gepackt von den Möglichkeiten der zeitgenössischen Kunst. Die 1970er Jahre blieben dann für mich so etwas wie eine Lieblingsepoche in der ganzen Kunstgeschichte.

EL: Wegen dem Aufbruch und der Erweiterung des Kunstbegriffs?

SR: Ja, diesen Aufbruch haben wir auch in einer Ausstellung des LENTOS dieses Jahr gesehen, in Ich kenne kein Weekend. Aus René Blocks Archiv und Sammlung. Hier konnte man den Zeitraum ab Ende der 1960er Jahre bis zum Ende der 1970er anhand des Wirkens einer Schlüsselfigur Revue passieren lassen. In den Dokumenten, Werken und Filmen, die zu sehen waren, konnte man noch einmal miterleben, wie Künstlerinnen und Künstler ganz neue Möglichkeiten für sich erschlossen haben. Wie alles neu definiert wurde. Allein die Fragen danach, was eine Ausstellung ist und was ein Kunstwerk ist. Plötzlich haben Kunstwerke auch geklungen, waren Musikstücke, Performances in Galerien und vieles mehr. Eine Besonderheit an dieser Zeit war sicher auch, all das zum ersten Mal machen zu können. Diese Freiheit, die spürbar wurde. Für mich ist das nach wie vor die schönste Zeit der Kunstgeschichte.

EL: Ich danke Ihnen für diese spannenden Einblicke in Ihre Gedanken über die Kunst und Ihre Begeisterung für die Kunst. Obwohl Sie sicher noch viele spannende Gedanken und Begebnisse erzählen könnten, muss ich zum Ende des Interviews kommen. Sie verlassen nun, nach fast dreizehn Jahren, das Linzer LENTOS. Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger?

SR: Ich wünsche ihr oder ihm, dass Linz sie oder ihn neugierig und gutwillig aufnimmt. Dass es eine gute, positive Anfangsenergie gibt. Für mich wäre es auch schön, wenn das Profil, das wir diesem Haus gegeben haben, auch aufgenommen und weiterentwickelt wird. Und ich wünsche ihr oder ihm, da die Nachfolge auch für das Nordico Stadtmuseum zuständig sein wird, dass es eine gute und sichere Zukunft für diese beiden Häuser gibt, da beide Häuser für Linz unverzichtbar und notwendig sind.

EL: Was wünschen Sie dem LENTOS Kunstmuseum?

SR: Eine strahlende Zukunft.

 

Stella Rollig (* 1960 in Wien) ist österreichische Kulturmanagerin, Autorin und Journalistin. Sie ist seit 2004 künstlerische Direktorin des LENTOS Kunstmuseums und seit 2011 zusätzlich des NORDICO Stadtmuseums in Linz.

Mit Jänner 2017 wird sie zur wissenschaftlich-künstlerischen Leiterin des Bundesmuseums Österreichische Galerie Belvedere berufen.

 

IMPULSFRAGEN

Welches ist ihr Lieblingskunstwerk in der derzeitigen Dauerausstellung Die Sammlung?

Egon Schieles Bildnis von Vater und Sohn (Doppelbildnis Heinrich und Otto Benesch)

Welche Ausstellung des Lentos war die für Sie eindrücklichste?

See This Sound. Versprechungen von Bild und Ton im Jahr 2009.

Haben Sie einen Lieblingsort in der Stadt Linz?

Den Donaustrand in Alturfahr.

Ein besonderes Bauwerk in Linz ist für Sie …?

… der Pavillon am Urfahraner Parkplatz. Ein leerstehendes Gebäude, in dem sich früher die Touristeninformation befand. Mich fasziniert dieser Pavillon.

Wären Sie ein Kunstwerk des Lentos, dann wären Sie …?

… die Ila von Albin Egger-Lienz, die in der Dauerausstellung zu sehen ist.

Marianne.von.Willemer Preis

Kathrin Stumreich hat mit ihrer Arbeit „What would Ted Kaczynski’s daughter do …?“ den diesjährigen, von Stadträtin Eva Schobesberger verliehenen, Marianne.von.Willemer Preis für digitale Medien, gewonnen. Wir gratulieren herzlich!

„Kathrin Stumreich wirft mit ‚What would Ted Kaczynski´s daughter do …?‘ einen humorvollen und medienkritischen Blick auf eine ambivalente Gesellschaft von technophoben und technikgläubigen NutzerInnen. Mit der von ihr geschaffenen Figur Crystal Tesla antwortet sie auf Fragen zu Überwachung, Anonymität und Identität in einer stark von digitalen Medien abhängigen Realität. Ihre fiktionale Geschichte ist durch medien- und kulturhistorische Zitate aufgeladen, und verweist in ihrer Form auf die Selbstinszenierung der Digital Natives. Mit ihren Apparaturen und DIY-Werkzeugen wehrt sie vermeintlich ein System der Kontrolle ab.

Kathrin Stumreich legt damit ein herausragendes Werk digitaler Medienkunst vor. Besonders überzeugt hat der transdisziplinäre Ansatz“, begründet die Jury ihre Entscheidung.

In unserer nächsten Ausgabe folgt ein Beitrag über die Künstlerin und deren Arbeiten, die zu Beginn 2017 im Rahmen einer Sonderausstellung im Ars Electronica Center zu sehen sein werden.

Infos: www.kathrinstumreich.com

www.linz.at/frauen/5021.asp