To be or not to be connected.
Der Film DREAMS REWIRED – DIE MOBILISIERUNG DER TRÄUME war Ende Mai beim Festival „Art Meets Radical Openness“ zu sehen. Der Film erzählt eine atemberaubende Technologiegeschichte, die poetisch wie hypnotisierend Brücken von den Anfängen um 1900 ins Hier und Heute schlägt. Hier ein Interview mit Manu Luksch, eine der drei Regisseurinnen des Films.
Dreams Rewired – Die Mobilisierung der Träume ist eine „atemberaubende Montage filmischer Fundstücke, über die technologischen Entwicklungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts“. Es sei außerdem zum Film zitiert: „Aus über 200 Spielfilmen, Wochenschauen, wissenschaftlichen und ästhetischen Experimenten entstand eine dicht gewebte und bildgewaltige Erzählung voll mit hellseherischen Momenten, irrwitzigen Details und überraschenden Wendungen“. Nichts weniger als die Tatsache, dass jedes Zeitalter sich selbst für das fortschrittlichste hält, wird in Frage gestellt. Zudem hält der Film neben der großen Technologieerzählung absolut bemerkenswerte „Nebenerzählungen“ parat: Er stellt uns viele Pionierinnen vor, so auch Alice Guy, der der erste Regieposten der Filmgeschichte überhaupt zugesprochen wird. Ein anderer, ins große Ganze verwobener Erzählstrang beleuchtet die Bedeutung des Fernsehens, das als televisuelle Utopie, als „Ideengeber und fantastischer Fluchtpunkt“ älter ist als das Kino. Dass „Broadcasting“, die begriffliche Gleichsetzung zum Fernsehen überhaupt, ursprünglich auf einen Begriff aus der Landwirtschaft zurückgeht, auf ein „Saat streuen“, ist insofern interessant, als dass Broadcasting „Ideensaat ausstreut“. Was wiederum nur eines der sprechenden Details darstellt, die im Film zu sehen sind.
In einer derartig neu aufgerollten Erzählung werden natürlich Brückenschläge zur heutigen medialen Welt virulent. Manu Luksch, in London lebende Regisseurin, ist zum Festival AMRO und seinem diesjährigen Motto „Waste(d)“ angereist und hat im Vorfeld ein Interview zu Dreams Rewired, zu Hintergründen, zu persönlich antreibenden Fragestellungen und ihren weiteren Plänen gegeben.
Du zeichnest für Drehbuch und Regie, gemeinsam mit Martin Reinhart und Thomas Tode. Nun wird mit Archivmaterial eine Technologiegeschichte erzählt. Das verwendete Archivmaterial als „Gedächtnismaterial“ wird im Film großartig und sinnlich erfahrbar – poetisch, hypnotisch, magnetisch zieht der Film seine Betrachterinnen in einen Bildstrom. Ich meine dieses sinnliche Element zur Technologie ist insofern höchst passend, als dass alles mit allem verbunden scheint – die Träume, die Verheißung, die Ängste, also alles Individuelle und Höchstpersönliche, dann wieder die Macht, die Politik, der Kommerz, zudem im größeren Zeitsprung die Vergangenheit, die Zukunft … Wie gestaltete sich eure Arbeit in diesem größtmöglichen kognitiven wie sinnlichen Zusammenhang, in diesem Widerspruch, wo alles miteinander verbunden scheint?
Deine Frage trifft es auf den Punkt – wie lädt man Zuseher auf eine gemeinsame Reise durch eine Geschichte ein, die endlos erscheint? Zeitlich, räumlich und inhaltlich endlos, da der Film unsere Beziehung zu Medientechnologien nicht nur als Infrastruktur und Werkzeug reflektiert, sondern auch als virtuelle Raumerweiterung und als Versuch Zeit zu manipulieren. Thema sind auch die Versprechen jeder Innovation, die Machtspiele im Zusammenhang mit Zugang zu den Medien und Regulierung derselben, und folgerichtig auch das Spiel mit unseren Emotionen – Begeisterung über die ersehnten „super powers“ – etwa Überwindung von Distanz oder Zeitreisen in die Vergangenheit als auch Bedenken über die raschlebigen Veränderungen oder neue Abhängigkeiten.
Aus mir unerklärlichen Gründen sind Technologiegeschichten meist rund um Erfinderpersönlichkeiten strukturiert, und suggerieren eine strikte chronologische Entwicklung. Nehmen wir das Beispiel des Fernsehers – als Erfinder wird John Logie Baird oder Vladimir Kosmich Zworykin genannt, doch vor ihnen konzipierten Paul Nipkow, Karl Braun, Lee de Forest, Boris Rosing, Philo Farnsworth und andere bereits das Fernsehen oder essentielle Bestandteile. Die Vorstellung mithilfe eines Gerätes Geschehnisse in der Ferne mitzuerleben, ist so alt wie die des Hellsehens, und rückte spätestens mit dem Telefon (Hören über Entfernung) in greifbare Nähe. In Literatur finden wir Phantasien, die „elektronische Teleskope“ oder das „Telephonoscope“ beschreiben, wie etwa Albert Robida in „La Vie Electrique“ (1890). Die Jahreszahl des Patents oder der Produktion einer Erfindung bedeutet nicht, dass sie sofort weltweit eingesetzt wird. Ihre Durchsetzung dauerte unterschiedlich lange – es galt nicht nur ein Nord-Süd-Gefälle, sondern auch eine Land-Stadt-Verzögerung zu überbrücken.
Mein Leitfaden, um mich nicht zu „verirren“, war meine zutiefst persönliche Frage an unsere Kommunikations- und Informationstechnologien: die Frage nach dem Einfluss des Smartphones auf unsere Autonomie.
Wir machen damit den Sprung von der Vergangenheit ins Jetzt: Archivmaterial steht natürlich in der Funktion einer „erinnerten Faktensammlung“. Es stellt hier aber auch eine Art kollektives Unbewusstes dar, als vergangene Zukunftsideen, als Träume über ein vergangenes Utopia. Euer Film ist ja auch ein Beitrag zu einer faszinierenden, vergessenen Technologiegeschichte, eine Erinnerung an einen nicht eingelösten Wunschtraum. Es wird an die „idealistischen Ursprünge“ zu Beginn des letzten Jahrhunderts erinnert, um letzten Endes „das Konzept einer medialen Öffnung für das 21. Jahrhundert als positive Lehre aus der Geschichte“ vorzuschlagen. Kannst zum Verlauf von Technologieentwicklung, bzw. zu deren Verwertung etwas sagen?
In seinem Buch „The Master Switch: The Rise and Fall of Information Empires“ (2010), beschreibt Tim Wu seine Sichtweise der Geschichte von Kommunikationsinfrastruktur auf sehr einsichtige Weise. Demnach verläuft die Geschichte in Zyklen – offene, gemeinnützige Strukturen werden mit der Zeit zu konsolidierten und geschlossenen Systemen. Erst wenn eine durchschlagende Innovation das alte System ablöst, kommt es wieder zu einer Öffnung, bis sich Besitzverhältnisse und Regelwerke wieder verfestigen und einengen. Monopolistische Konzerne und Regierungen stecken dabei wohlig unter einer Decke. Silvio Berlusconi und Thaksin Shinawatra sind zwei erschreckende Beispiele von Medienmogulen, die in die Position des Premiers, bzw Ministerpräsidenten gelangten. Die Enthüllungen der Snowden-Dokumente bezeugen denselben spiralenförmigen Verlauf – die weltweit größten Internetkonzerne stehen in enger Beziehung mit der US-Regierung und entziehen hiermit den Regierungskritikern die Kommunikationsinfrastruktur, von der sie abhängig sind.
Zu diesem gegenwärtigen Zeitpunkt sind wir zu einem bestimmten Grad abhängig von der Infrastruktur, die uns das Smartphone zugänglich macht. Um Veränderungen zu bewirken, muss auf gesellschaftlichem Level agiert werden um Forderungen zu formulieren. Dazu müssten wir uns zuerst dem Zangengriff von Abhängigkeit und Komfort, mit dem uns das Smartphone umklammert hält, entwinden. Ich hoffe, dass der Film zum Nachdenken anstößt und die Dringlichkeit vermittelt, dass sich alle an der Gestaltung unserer Medienlandschaft und Dateninfrastruktur beteiligen sollen.
Ich wechsle von Technologie und Politik im engeren Sinn zu emotionaleren Dingen und bin beim Begriff der Verheißung hängen geblieben … das Theremin etwa, das erste immaterielleste, technologische Instrument überhaupt, hat der Filmkomponist Siegried Friedrich an einer Stelle auch im Zusammenhang einer sexuellen Konnotation, also einer sexuellen Versprechung eingesetzt. Was die Rolle der Frauen neben dieser sexuellen Konnotation anbelangt, gibt es außerdem eine andere Verheißung – die der Befreiung: Es wird auch die Rolle der Frauen thematisiert – unter anderem der ersten Regisseurin Alice Guy. Lässt sich hier exemplarisch zur Rolle der Frauen und zu einem emanzipativen Moment etwas sagen?
Die Weltausstellungen rund um die Jahrhundertwende zeigten Pionierarbeiten, Prototypen von Medientechnologien, wie sie im Alltag noch nicht gängig waren – und begeisterten Millionen von Besuchern mit der Aussicht, dass sie in nicht allzu langer Zeit für alle – wirklich alle zur Verfügung stehen würden, nicht nur für Privilegierte, die bis dahin exklusiv in den Genuss von Annehmlichkeiten gekommen waren. Die elektrischen Medien würden infrastrukturellen Fortschritt und neue Möglichkeiten in das Leben von Arbeiterschicht, Migranten, Frauen, – und heute erweiterbar auf Kinder – einbringen.
Die Aufbruchsstimmung in den Städten im Morgenrot der Moderne betraf Frauen auf unterschiedlichste Weise, und in den Archiven kommen sie häufig als selbstbewusste, oft überlegene Akteurinnen vor, die nicht nur als Benutzerinnen die Medien für sich einzusetzen wussten – wie etwa die Protagonistin in Louis Seel’s Animation Wiener Bilderbogen 1 (1926), die über Funkverbindung ihrem untreuen Mann eine Ohrfeige verpasst und sich dann mit ihrem eigenen Liebhaber außerhalb des Äthers in einem Propellerflugzeug vergnügt. Die Frauen kommen aber auch als Pionierinnen vor – wie etwa die Mädchen, die ihre Dörfer an das Kommunikationsnetzwerk der Russischen Revolution anbinden, indem sie gemeinsam Morse- und Rundfunkgeräte bauen, oder eben die Gaumont-Angestellte Alice Guy: als Sekretärin der damaligen Fotofirma besuchte sie das legendäre Screening der Lumière-Brüder. Da sie von Büchern umgeben aufgewachsen war – ihr Vater betrieb ein Buchgeschäft – erkannte sie sofort das Potential des Films Geschichten zu erzählen. Sie fragte ihren Boss, ob sie die Lumière-Kamera, die er erworben hatte, benutzen durfte. Er gestatte ihr nach erledigter Büroarbeit, und natürlich unbezahlt, damit zu arbeiten. Ihrem ersten Film „La Fée aux Choux“ (1896) sollten noch hunderte von Kurzfilmen folgen, die Gaumont verhalfen zu einem der größten Filmverleiher der Zeit zu werden. Da die Produktionen narrativer Filme es nicht mehr erlaubten, dass alle Aufgaben – wie Licht, Kamera, Bühnenbild – vom Filmemacher selbst getragen wurden und Arbeitsteilung am Set mit sich riefen, gilt Alice Guy nicht nur als erste Regisseurin, sondern eine Frau war sozusagen der erste Spielfilmregisseur der Welt überhaupt.
Eine Frage zu eurem Arbeitsprozess: Wie hat sich eure Arbeit gestaltet – eine Arbeit, die auf allen Ebenen, wie in einem Begleittext zum Film zu lesen ist, einerseits aus Affirmation, andererseits aus Widerstand besteht, zumindest in der ästhetischen Weise der Bearbeitung?
Meine Koregisseure Martin Reinhart und Thomas Tode hatten bereits jahrelang in Archiven Europas Filmmaterial recherchiert, das unsere erste Begegnung mit Medientechnologien eingefangen hatte. Das Material konzentrierte sich auf den Zeitraum der 1880er bis 1930er Jahre, da bis dahin alle heute gängigen Medienutopien angedacht, wenn auch nicht unbedingt umgesetzt waren. Es war meine Aufgabe, auf Basis dieses Materials ein Narrativ zu entwickeln – rund um die Utopien, wie diese Technologien unser Leben beeinflussen würden. Es wurden zuerst die raren historischen Filmfundstücke ausgewählt um die Erzählung zu leiten, gleichzeitig entstanden Text und Soundkonzept dazu. Ich wollte weder Text bebildern noch Bilder kommentieren, sondern Aussagen durch die Symbiose von Bild, Text und Sound finden.
Ich meine mich außerdem erinnern zu können, dass Siegfried Friedrich einen Preis für die musikalische Arbeit am Film bekommen hat. Oder auch die wunderbare Tilda Swinton, die die englische Erzählstimme gibt. Wie ist es denn zu dieser Zusammenarbeit gekommen? Aber, vor allem: Wie hat sich denn das Team generell geformt, oder wie hat sich hier die Zusammenarbeit generell gestaltet?
Die Arbeit an Erzählung, Schnitt und Rechteklärung streckte sich über drei Jahre. Während der gesamten Phase arbeitete ich eng mit dem Komponisten Siegfried Friedrich zusammen, als auch dem Co-Autor Mukul Patel. Mit jeder Veränderung des Bildes wurde auch, um Längen, Rhythmus, Stimmung, etc. zu gestalten, Erzähltext und Musik überarbeitet.
Die Verleihung des Deutschen Dokumentarfilmmusikpreis 2016 beim DOK.fest München an Siegfried Friedrich, die Anfang Mai stattfand, freute das gesamte Team von Dreams Rewired besonders. Seine Musik hatte nicht nur die unvorstellbar komplexe Aufgabe, Material aus ca. 200 unterschiedlichen Quellen zu verbinden, sondern auch, den stilistischen Reichtum der Epoche musikalisch zu reflektieren, und die Leseweise der historischen Bilder aus dem Blickwinkel der heutigen Zeit zu unterstützen.
Der Erzähltext wurde nicht nur wegen seines Volumens, sondern auch wegen der unterschiedlichen Stile, von wissenschaftlichen bis hin zu improvisierten Textpassagen, eine Herausforderung. Ich hatte bereits vor einigen Jahren mit Tilda Swinton an einem meiner Filme, FACELESS (2007), gearbeitet, und so hatte ich bereits während des Verfassens des Textes zunehmend ihre Stimme im Hinterkopf. Natürlich war Tilda wieder einmal die ideale Stimme, und wir freuten uns sehr über ihre Zusage.
Die abschließende Frage: Der Film hatte im Frühjahr 2016 Österreich-Kinopremiere, wurde etwa auch schon auf der Diagonale 2015, im Linzer Moviemento gezeigt, und zuletzt bei „Art Meets Radical Openness“, einem Festival vom freien Netzprovider servus. Der Film kann zudem schon eine beträchtliche Anzahl von internationalen Spielorten aufweisen. Wie geht’s denn nun weiter mit Dreams Rewired? Was wünscht du dir für den Film? Und wie geht es für dich persönlich mit deiner Arbeit weiter, wohin gehen die nächsten Schritte oder Projekte?
Dreams Rewired hatte eine exzessive internationale Filmfestivalpräsenz, und in den USA erschien der Film bereits auf DVD und VOD. Es gibt bereits Interesse von akademischer Seite, den Film in Publikationen zu besprechen, und sogar in Curricula zu integrieren. Es gibt auch Interesse aus der Kunstwelt – etwa der National Art Gallery in Washington oder des Neuen Medienkunstfestivals in Seoul, Screenings in ihr Programm aufzunehmen. Ab nächstem Jahr beginnt die Fernsehauswertung – ARTE und 3sat haben bereits zugesagt. Der Film wurde bereits in fünf Sprachen übersetzt, und ich würde mir wünschen, dass er in all diesen Sprachen als DVD oder über VOD zugänglich gemacht werden kann.
Ich stecke bereits tief in den Vorbereitungen für mein nächstes Filmprojekt über das Smart-City-Phänomen: weltweit befinden sich Städte in einer Art Wettrennen um mit ihrer guten Platzierung im City-Ranking Firmen, Investment und Millenials anzulocken. Als schnelle Lösung zur Aufwertung von Standorten bieten IT-Konzerne smart infrastructure, die Vernetzung mit unzähligen Sensoren, an, die es ermöglicht, die Abläufe der Stadt über Echtzeit-Datenanalyse zu überprüfen und im Idealfall Engpässe und Katastrophen vorauszusagen. Genau dieses Potential der Vorhersage auf der Basis von autogenerierten Daten (Big Data) kann auch auf enger definierte Stadtbereiche oder Haushalte angewandt werden. Mögliche Formen des Machtmissbrauches in diesem Bereich sind noch sehr unterbeleuchtet. Mit dem Film möchte ich einen Einstiegspunkt zu diesem Thema anbieten, um eine viel stärkere Beteiligung von Seiten der Bevölkerung zu stimulieren. Schließlich sollen die Erfahrungen und Bedürfnisse der Bewohner die Diskussion um die Zukunft der Stadt prägen, nicht Technologiejargon. In diesem Sinne habe ich eine Webseite gestartet, das SmartCityABC, wo wöchentlich ein Wort aus dem gängigen Smart City Vokabular auf humorvolle Weise entmythologisiert wird. Es war sehr ermutigend, als meine neue Produktion bereits im Vorfeld mit einem Preis ausgezeichnet wurde – dem Artivism Elevate Preis 2015.
SmartCityABC
Dreams Rewired
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AMRO
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Manu Luksch