Gläserne Museumsdecken
Zwischen investigativer Recherche und feministischem Manifest – seit dem 1. Mai ist Die Quote online und zeigt: In den Kulturinstitutionen des Landes OÖ und der Stadt Linz mangelt es Frauen an beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten. Ebenso wird offengelegt, wie wenige Menschen schlussendlich unser „Kulturland“ prägen. Lisa-Viktoria Niederberger berichtet und spoilert: Es sind Männer.
„Auch wenn wir gerne alle lieber im Postpatriarchat Postfeministinnen sein wollen – die Quotenforderung ist immer noch notwendig” – sagt Oona Valarie Serbest, Künstlerin und Geschäftsführerin von Fiftitu%, einer Beratungsstelle für Frauen* in Kunst und Kultur. Warum es die Quotenregelung immer noch braucht, das zeigt das aktuelle Projekt Die Quote. Auf der gleichnamigen Homepage, dem Ergebnis ausführlicher Recherchearbeit, wird die Geschlechterverteilung in den großen kulturellen Einrichtungen des Landes Oberösterreich und der Stadt Linz mit intuitiven und leicht verständlichen Grafiken sichtbar gemacht. Die Landesmuseen, das Landestheater, der Posthof – Kulturstätten gestalten Gesellschaft, prägen und vermitteln Werte: Sie tragen zur Entstehung einer öffentlichen Meinung bei. Wollen wir eine offene, pluralistische Gesellschaft, in der Frauen, genauso wie marginalisierte Gruppen, eine hörbare Stimme haben und repräsentiert werden, muss dieser Leitgedanke einer offenen, pluralen Gesellschaft sich nicht nur in Sammlungen, Programmheften und Sonderausstellungen widerspiegeln, sondern auch in den Menschen, die diese Programme erstellen und Sammlungen kuratieren.
Die Quote zeigt, wie utopisch dieser Wunsch ist, wie realitätsfern. Beginnen wir bei Ergebnissen zu den Institutionen des Landes Oberösterreich. Seit der Umstrukturierung von der Landeskulturdirektion hin zur OÖ Landes Holding im Frühjahr 2020 wurden Tätigkeits- und Zuständigkeitsbereiche massiv verschoben. Das Ergebnis dieser Veränderung ist am deutlichsten bei der Landeskultur GmbH ersichtlich. Denn ihr alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer ist jetzt gleichzeitig auch wissenschaftlicher Direktor und Leiter von 22 Sammlungen, sowie aller 16 Standorte des Landesmuseums. „Ich sehe Die Quote primär als Materialsammlung, als Werkzeug um notwendige Fragen zu stellen”, erklärt Oona Valarie Serbest. Kritische Fragestellungen ergeben sich aus dieser neuen Struktur des Landesmuseums genug, beispielsweise: Kann das ein Mensch leisten? Fachlich? Zeitlich? Logistisch? Kann jemand tatsächlich Leiter von all diesen Sammlungen und Häusern sein? Was heißt das für die künstlerische Vielfalt? Wenn eine Person einzig und allein für alle Landesmuseen verantwortlich ist, ist sie gleichzeitig auch maßgeblich verantwortlich für die Kulturlandschaft des Landes. Diese Kulturlandschaft wird nun primär geprägt vom Kunstbegriff eines Individuums. Diese Riesenaufgabe trägt nicht nur eine große moralische Verantwortung, sondern ebenso eine finanzielle: Es stehen diesem Menschen dafür bis zu 36 Millionen Euro Steuergelder jährlich zur Verfügung. Und wer kontrolliert, was damit passiert? Im Gegensatz zur OÖ Theater und Orchester GmbH verfügt die Landeskultur GmbH über keinen Aufsichtsrat. Sie hat den alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer als Zentralgestirn.
Oona Valarie Serbest resümiert: „Es ist der Landeskultur GmbH wirklich sehr daran gelegen, dass diese Struktur so nirgends aufscheint. Die Vermutung liegt nahe, dass man als Holding nicht zu offensichtlich zeigen möchte, dass es da um eine Person geht, die eben nicht nur so viele Posten, sondern auch viel Geld verwaltet!“ Alle Zahlen, auf die sich das Projekt bezieht, sind im Internet auffindbar, nichts davon ist per se geheim, aber die Aufbereitung durch den Verein Fiftitu% zeigt: Hier gibt es Erklärungs- und Änderungsbedarf. Dem Zentralgestirn eine co-künstlerische Leitung w/d an die Seite zu stellen, nicht als seine Untergebene, sondern ebenso fix verankert in der GmbH wie er, wäre ein wichtiger erster Schritt und ist eine ebenso dringende Forderung des feministischen Vereines, wie die ehestmögliche Einsetzung eines Aufsichtsrates.
Die leere Mitte
Auch kaum zu übersehen: die leere Mitte, die im Zuge von Umstrukturierungen weniger werdenden Jobs in der mittleren Führungsebene. Wo sind sie, die Sammlungsleiterinnen, Kuratorinnen, die künstlerische Leitung? Und ja, auch wenn diese Entwicklung Männer und Frauen betrifft, hier wird bewusst ein generisches Femininum verwendet, denn diese Berufe, die auch in der Landesholding weniger zu werden scheinen, werden zu einem sehr großen Teil von Frauen ausgeübt. Der Frauenanteil in den Geistes- und Kulturwissenschaften liegt derzeit in Österreich bei 71 %. Was heißt das konkret für Frauen in Linz, die im Kunst- und Kultursektor Karriere machen wollen, und zwar nicht in der freien Szene, sondern etwa als Landesangestellte? Es gibt kaum Jobs! Schlichtweg, weil etwa Jobs einer Sammlungsleitung zu einer Projektleitung „downgegraded“ scheinen. Schlecht in einer Stadt, die mit Studiengängen wie Kulturwissenschaften, Kunstwissenschaften oder Medienkultur und Kunsttheorien jährlich hochspezialisierte und qualifizierte Absolvent*innen in die Arbeitswelt entlässt. Es werden ergo in Linz nach wie vor Menschen ausgebildet für Berufe, die sie in den bestehenden Strukturen kaum oder nur massiv erschwert ausüben können, weil es schlichtweg immer weniger Posten für sie gibt. Alleine der Wegfall der mittleren Führungsebene in den Landesmuseen: über ein Dutzend Arbeitsplätze für Geisteswissenschaftler*innen, die jetzt nicht mehr da sind. Das sieht auch Oona Valerie Serbest höchst kritisch: „Es muss eine zentrale Forderung von uns Kunstschaffenden bzw. Kunststudierenden sein, dass diese Posten wieder frei gemacht werden. Wir haben auch ein Recht auf Karriere!“
Hier erlebt man das Scheitern der neoliberalen Erzählung: Es ist eben nicht so, dass du ganz nach oben kommst, wenn du gut bist, dich bemühst, auch als Frau. Die Faktenlage zeigt: in dieser Branche, in diesem Bundesland, hast du keine Chance. Und das ist ein Armutszeugnis für ein Land, erst recht dann, wenn die Landeshauptstadt darin sich noch immer mit dem schon etwas verjährten Titel „Kulturhauptstadt“ rühmt. Parallel dazu der vom Land OÖ ausgeschriebene und auf 2000€ dotierte Frauenförderpreis für Unternehmen: Ein Witz, der wehtut.
Hausarbeit ergo Verwaltung
„Moment mal!“, könnten Kritiker*innen jetzt empört aufrufen, „Die Quote zeigt doch auch, dass sich der Frauenanteil in der Landesholding im Vergleich zu 2007 um ganze 19,9 % erhöht hat, jetzt bei 61,8 % liegt“. Ja, aber: Hier wird klar ersichtlich, dieses tradierte Köpfe-Zählen, um zu zeigen, dass eine Geschlechterausgewogenheit in Unternehmen besteht, ist der falsche Weg. Natürlich gibt es Frauen auch in den hiesigen Kulturinstitutionen: ab der unteren Führungsebene und als Mitarbeiter*innen in den Shops, als Garderobieren und als Museumsaufsichten – den schlecht entlohnten Jobs primär, den körperlich anstrengenden mit Arbeitszeiten abends und/oder am Wochenende. Das alleinige Vorhandensein einer hohen Frauenquote ist kein Garant dafür, dass diese Frauen auch in allen Positionen vertreten sind, oder eine valide Karriereoption haben. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen beträgt in der OÖ Landesholding 9 %. Man findet die Frauen stattdessen in Bürotätigkeiten, sie gehen ans Telefon und koordinieren die Besuche von Schulklassen – „In institutions, housework is called administration“, wird hierzu auf Die Quote die feministische Theoretikerin Sarah Achmed zitiert.
Alles Einzelfälle?
Ein Vergleich mit Institutionen der Stadt Linz zeigt: auch hier vorwiegend „Boyclubs“, mangelnde Transparenz und ein großer Rechercheaufwand, um Männerüberschuss in Führungspositionen sichtbar zu machen: „Das AEC verwendet beispielsweise in seinem eigenen Organigramm nur Nachnamen, sodass mensch nicht merkt, dass es hier kaum Frauen gibt!“, erklärt Oona Valarie Serbest dazu. Das Unternehmen Ars Electronica Linz GmbH setzt in der obersten Führungsebene ebenso auf zwei Männer, beide sind außerdem eingetragene Geschäftsführer der übergeordneten Kreativität, Kultur & Veranstaltungen der Stadt Linz Holding GmbH. Zusätzlich ist einer der beiden noch Co-Geschäftsführer sowie künstlerischer Direktor des Ars Electronica. Auch hier werden also insgesamt drei Führungspositionen von ein und derselben (männlichen) Person besetzt. Von zehn möglichen Führungspositionen ist ausschließlich die administrative Leitung weiblich im „Museum der Zukunft“.
Es ginge aber auch anders, wie das Stadtmuseum Nordico zeigt: Sobald es Frauen in den oberen Führungsebenen gibt, findet man sie auch im Mittelbau, gibt es plötzlich eine weibliche Museumsleitung. Wir brauchen diese Positivbeispiele ganz dringend. „We rise by lifting each other up“, wird häufig auf feministische T-Shirts und Demoschilder geschrieben. Und natürlich: Solidarität und Support unter Frauen ist wichtig, aber das nimmt uns nicht das Schleudertrauma, wenn wir regelmäßig mit dem Kopf gegen gläserne Decken krachen.
Dass diese gläsernen Decken existieren, Posten für Frauen frei gemacht werden müssen, hat die Quote schmerzhaft sichtbar gemacht. Sie zeigt aber auch, wie wichtig Fiftitu% und ähnliche Vereine sind. Nur unabhängige Strukturen wie sie können derlei Missstände aufzeigen. Sie sind eine demokratiepolitische Wichtigkeit, der es durch den permanenten Kampf um Existenzberechtigung und Niedrigst-Förderungen massiv erschwert wird, noch mehr von dieser essenziellen, aufklärerischen Arbeit zu leisten. Und falls Fiftitu% nächstes Jahr zufällig die Subventionen von Stadt oder Land gekürzt werden sollten, dann wissen wir jetzt, warum.
diequote.at