SLOWDUDE ONLINE FEATURE

Wie physikalisch versprochen nun virtuell eingehalten: das geheime Café-Strom-Toast-Rezept:


Zutaten:

2 Scheiben Kastenvollkornbrot von der Bäckerei Brandl

Selbstgemachte Kräuterbutter (Butter, Knoblauch, Salz, Rosmarin, Thymian, eine Brise Pfeffer)

Bio Toastschinken

Bio Mozzarella (am besten den harten in Wurstform*)


Zubereitung:

Butter gleichmässig am Vollkornbrot verteilen, Schinkenscheiben 1x falten und quer aufs Brot legen, darüber nicht zu dünne Schnitten vom Mozzarella. Dann bei 180° für ca. 5 – 7 Minuten ins Backrohr. Besonders gut gelingt der Toast in Öfen mit Grillfunktion.


* diese Formulierung stammt nicht aus der Feder des Slow Dude

The Metal Underground Resistance

Bands, Party und der Heavy Metal Spirit: Valerie Straßmayr hat Domenik Riedl und Bastian Moser getroffen. Die beiden veranstalten Metalkonzerte in Linz sowie dieses Jahr zum ersten Mal das Festival ‚Steel City Sorcery‘ von 7. – 8. September in der Kapu. Hier, online, die ungekürzte Version über die Linzer Community, die Festivalorganisation und den Underground.

1,2,3 ... Ranger. Foto Stell City Sorcery

1,2,3 … Ranger. Foto Stell City Sorcery

Meine erste Frage wäre, wer alles Steel City Sorcery macht? Seid das ihr zwei oder sind noch mehr Leute beteiligt?

D: Da ist auf jeden Fall noch Jannis dabei, der Artwork und Design macht und ich zähle auch unseren näheren Freundeskreis dazu.

B: Es ist eine Community, ohne die wir das ganze eigentlich nicht gestartet hätten, weil wir gesagt haben, dass von vorneherein ein Kernteam da sein muss, wo man ein Backup hat. Das ist wichtig, alleine für die Aftershow-Parties…

D: Wer da auflegt, die zählen wir schon auch dazu, das sind immer dieselben Leute.

Warum habt ihr das Steel City Sorcery ins Leben gerufen? Oder es als Veranstaltungsreihe gemacht?

B: Weil wir gesagt haben, dass es mit einem Konzert sicher nicht getan ist. Wenn man einen Fixpunkt schafft, bekommt man mehr Angebote und kann umso bessere Bands machen und es ist ziemlich schnell ein Selbstläufer geworden. Mit dem haben wir gar nicht gerechnet, dass das wirklich so aufgeht. Ich hab mir das erst nochmal angeschaut. Ich hätte mir nie gedacht, dass nach Ewig Frost, Deathstorm und Brand gleich einmal Ranger kommt, was für mich genau in die Richtung geht, wo ich von Anfang an hinwollte. Das war ein ziemlicher Startschuss, auch wenn es ein halbes Jahr später war.

D: Für mich war es schon von Anfang an als Reihe ausgelegt…

B: Das schon, aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass wir gleich Chancen bekommen unsere persönlichen Präferenzen so stark zu vertreten. Ich hätte schon gedacht, dass wir zuerst in österreichischer und nähere Umgebung herumgrundeln. Aber gleich einmal cooler Speedmetal aus Finnland, da sag ich nicht nein.

Also war es schon ein Ziel von euch, dass ihr bekannter werdet oder bekanntere Bands herbekommt, nicht nur Underground?

D: Naja, es ist eigentlich eh noch hübsch Underground, finde ich. Da könnte man aber lange diskutieren, was überhaupt Underground ist.

B: Da kommt man vom Hundertsten ins Tausendste! Sagen wir einmal Underground‘s Finest, doch international, wo man sagt ok, die Bands haben zu Recht schon einen kleinen Ruf, sind aber doch weit weg vom Mainstream.

D: Ich finde ja das Ganze ist etwas an die Live Evil-Schiene aus London angelehnt.

B: Die haben einfache eine super Mixtur beisammen.

D: Die waren eigentlich die ersten, die sowas begonnen haben. Demnach sind in anderen Städten auch solche Sachen entstanden. Darum glaub ich, dass wir unbewusst auch so ein Ableger sind.

B: Da kannst du über Branding diskutieren. Wir machen ja auch Death und Blackmetal-Bands, aber das muss auch immer diesen schönen Gossencharme vom Heavy Metal haben. Es muss halt zusammenpassen. Das ist die Königsdisziplin.

Wie seid ihr eigentlich zu dem Namen Steel City Sorcery gekommen? Steel City lässt sich ja noch recht leicht herleiten…

D: Ganz viel blöd sein…

B: Weil es zauberhaft ist und weil es supergeil klingt!

D: Ich weiß gar nicht, wie lange wir überlegt haben. Das ging glaub ich relativ schnell. Irgendwem ist das einfach so mal rausgerutscht.

B: Steel City Sorcery… Das kannst du besoffen auch sagen.

Die Steel City Konzerte sind eigentlich immer in der Kapu. Seid ihr von der Kapu? Oder wie kam es dazu?

D: Hauptsächlich sind sie aus dem Grund da, weil ich hier sowieso arbeite und Booking mache. Das gehört zu meinen Booking-Tätigkeiten dazu. Es war irgendwie logisch, dass wir das hier machen. Wieso soll ich mir eine andere Location suchen, wenn man das hier einbetten kann. Bis jetzt haben wir einmal ein Konzert in einem Linzer Keller veranstaltet.

Das waren Eisenhand und Hellbringer, oder?

D: Ja genau. Ich find es auch okay mal wo anders Sachen zu machen. Die Homebase ist aber hier.

Das ist eh eine der besten Locations.

B: Ja, der Flair ist perfekt.

D: Ich würde es auch nicht in der Stadtwerkstatt machen wollen, ich denk, die würden unten keine Freude mit den Afterparties haben. Da schmeißt du einen Sessel und bist schnell draußen. Hier ist das einfach egal.

Ich hab auch das Gefühl, dass in der Kapu die Stimmung am leiwandsten ist. Wie ich angefangen habe auf Konzerte zu gehen, war ich in Linz mehr im Keller und im Ann & Pat.

B: Das kann man schon sagen, hier geht das ja auch schon über Jahrzehnte.

D: Das Ann & Pat hat, leider finde ich, etwas nachgelassen mit den Bands, die spielen. Früher haben da bessere Bands gespielt.

B: Man muss auch dazu sagen, dass die dort einen Rahmen haben und einfach abspecken müssen.

D: Ja, die haben immer nur Freitage.

B: Das ist halt ein Jugendzentrum, die sind anders strukturiert. Hier können wir unsere Narrenfreiheit mehr ausleben.

D: Wir können uns schon gescheit auslassen. Das ist cool.

Meine nächste Frage hat sich ja praktisch schon zum Teil geklärt, dass ihr vor Steel City Sorcery schon Veranstaltungen organisiert habt.

D: Ich mache das jetzt schon seit sieben Jahren.

B: Du hast im MuKuKu angefangen. Das total auf DIY basiert war.

D: Da haben wir in der Gemeinde in Kremsmünster, einem, wenn überhaupt, 5000-Seelendorf, in ein Haus in den ersten Stock, einfach die ärgsten Bands eingeladen. Jahrelang, das war jedem im Ort total egal. Das war richtig geil.

Tut sich dort heute noch etwas?

D: Da ist jetzt das Tumult drinnen. Die machen auch noch Konzerte, aber nicht so viele.

B: Ja, das sind schon weniger.

D: Wir waren auch vollkommen wahnsinnig. Wir haben zweimal im Monat eine Show dort organisiert. Das ist eigentlich viel zu viel, für das, dass es irgendwo am Land ist.

B: Da ist die Dorfcommunity einfach noch größer gewesen. Von denen sind viele Richtung Wien weggezogen. Wenn du dort den Kern hast… Da müssen einfach Leute mitziehen, sonst können wir da gar nichts machen. Underground ist Underground und da merkst du einfach, vor allem im Dorf, liegt es einfach an zwei Personen oder an einem, der einfach motiviert ist. Wenn der wegfällt, dann ist alles weg, wenn der die ganze Partie zusammenhält.

D: Du dürftest ja auch schon seit zwei Jahren Konzerte machen. Die Zeit vergeht schnell.

B: Vorher hab ich Adem, von Death Over Eferding, beim Booking geholfen. Das ist schon in die Schiene geschlagen. Wir wollen geile Bands, es geht um die Party und das Ausleben vom Heavy Metal Spirit.

Bist du ein Eferdinger?

B: Ja ich bin ein Eferdinger.

D: Es ist ganz wichtig, dass man im Team mindestens einen Eferdinger hat. Sonst geht da gar nichts.

B: Das ist der Deal! Wenn du die Schiene fährst, schadet es zumindest nicht. Da gibt es eine Tradition in diesem Nest!

Wie unterscheidet sich die Organisation von einem Konzert und einem Festival? Ihr macht ja jetzt zum ersten Mal das Steel City Sorcery Festival.

B: Die Größenordnung.

D: Es ist auf jeden Fall die Größenordnung. Ein Hauptproblem ist, dass ich die ganzen Bands nicht im Haus schlafen lassen kann. Ich hab halt für 10-15 Leute mit Matratzen Platz. Das ist mal das Erste, ich muss Hotels suchen, was ich sonst nicht mache. Es kommen Acts, die man vielleicht einfliegen lässt. Da kommt Flüge checken dazu, das hab ich sonst noch nie gemacht. Normalerweise kommen immer tourende Bands mit ihrem Bus. Die brauchen nur einen Parkplatz und passt. Für mich persönlich war Flug buchen etwas, was mich gar nicht zaht.

B: So haben wir auch immer selbst gekocht. Bis jetzt waren das maximal vier Bands.

D: Das macht einen Unterschied, ob ich für 15 Leute Catering mache, oder für 35.

B: Das geht sich alleine nicht mehr aus. Der Anspruch ist auch ein anderer. Man will schon, bei einem Festival, wo man hofft, dass auch Leute von weiter wegkommen, Bands von weiter weg holen. Dann überlegen wir uns natürlich auch, wie man unser Festival wirklich herausstechen lassen kann, aus der Fülle an geilen Festivals, die es mittlerweile schon überall gibt. Die Qualität nimmt nicht ab. Man könnte sich jetzt schon zerreißen.

D: Man könnte ohne Problem jedes Wochenende wo hinfahren.

B: Ja genau, und wir haben trotzdem den Anspruch, die Tickets günstig zu halten, möglichst faire Preise zu machen. Es ist einfach cool, keinen abzuzocken, vor allem für etwas, das eine Herzensangelegenheit ist.

Die zwei Tage kosten 40€. Das ist für dieses Lineup auf jeden Fall fair.

B: Ja, wir überlegen uns gerade eh, wie es sich ausgeht.

D: Da bin ich mittlerweile schon positiver gestimmt. Ich hab am Wochenende schon von Leuten aus Bayern und Leipzig gehört, dass sie sich schon freuen zu kommen. Ich glaub, wir haben schon ein gutes Einzugsgebiet.

B: Ok, wenn du gut drauf bist, bin ich es auch.

D: Dazu kommt auch, dass wir draußen auch etwas Lustiges machen wollen. Schnaps mit Gurkerl etc. Das Rahmenprogramm ist total wichtig.

B: Dazu wollen wir auch noch nicht zu viel verraten.

D: Was auch noch dazukommt, bei einem Fest mit so vielen Bands an einem Tag, darf man die Organisation nicht unterschätzen. Bei normalen Konzerten mit drei Bands, da sind alle am Nachmittag da. Soundcheck, Essen, Konzert. So müssen sie viel früher da sein, wenn sie checken wollen. Den Zeitplan muss man viel tighter einhalten. Wenn bei sechs Bands, jede eine halbe Stunde Verspätung hat… Dann spielt die letzte Band um drei in der Früh und das interessiert dann auch keinen mehr. Da bin ich gespannt wie das funktioniert. Normal ist es hier recht leger. Sehr freundlich ausgedrückt. Es ist mir ein persönliches Anliegen, dass das an dem Wochenende halbwegs passt. Ich will ja auch genug Zeit für die Afterparty haben!

Macht ihr selbst Musik oder spielt in Bands?

B: Ich spiele in zwei Blackmetal Bands. Kringa gibt es schon relativ lang. Bei Hagzissa gibt es die Idee schon relativ lang, ist aber erst jetzt umgesetzt worden. Das nutzt mir schon sehr viel, wenn ich die Hintergrundgeschichten kenne. Hätte ich einfach nur als Fan angefangen, mich in die Organisation hineinzuhauen, wäre es mir um einiges schwerer gefallen. Das erleichtert das ganze schon.

D: Ich spiele in Eisenhand, einer Heavy Metal Band. Dann hab ich noch mit Jannis ein Black Metal Impro-Projekt. Es wird vermutlich weiterhin Impro bleiben, vielleicht kommt etwas mehr Struktur.

B: Wir zwei haben auch noch etwas mit einem Gitarristen geplant.

D: Ja, genau. Das ist aber noch am werden. Das kommt erst.

B: Ja, da muss man noch schauen. Es wird auf jeden Fall eher etwas Richtung Speed Metal werden.

D: Ich glaub auch, dass draus etwas wird. Ich bin motiviert.

Wie kam es bei euch dazu, dass ihr überhaupt Metal gehört habt?

D: Da wird es bei mir peinlich. Mit 15/16 Pagan Metal. Das Heidenfest im Posthof war ganz groß. Da warst du doch auch dort!

B: Ja, da kannten wir uns aber noch nicht.

D: Eluveite und Equilibrium haben da gespielt. Das waren so meine Anfänge.

B: Du hast gar nicht gesagt, dass es für mich auch peinlich wird!

D: Dann ist es recht schnell Black Metal geworden und jetzt immer mehr Heavy Metal.

B: Back to the roots! Bei mir war es auch klassisch. In der Schule nimmt jemand eine Metallica-CD mit. Geil! Dann kommst du drauf, dass der Papa viele Schallplatten hat. Da ist dann AC/DC, Motörhead und Deep Purple dabei. Dann ist das aber irgendwie zu fad und man will härter und böser sein… und dann ist man trotzdem irgendwie beim Pagan Metal gelandet.

D: Das ist die eine Abbiegung, die du falsch gegangen bist.

B: Da waren dazwischen auch Dimmu Borgir, Marduk und Cannibal Corpse. Und wenn man es nicht besser weiß… Man muss sich halt hintasten. Es gibt ja richtig viele geile Bands und es wird schwierig, dass du gut filterst. Man kann im Underground so viel graben. Es ist ein Wahnsinn!

D: Es ist dann mehr die Angst, dass da so viel Musik ist, die man hören will und man hat nicht genug Zeit im Leben.

Über so was darf man gar nicht zu viel nachdenken. Da wird man verrückt.

D: Total.

B: Die Aufmerksamkeitsspanne ist auch so gering geworden. Man hört nur mehr schnell auf Bandcamp hinein. Eigentlich furchtbar.

D: Das Heidenfest war ja wirklich einer meiner Konzert-Anfänge. Wir sind da fast schulklassenmäßig hingefahren.

B: So populär war das damals. Da haben wir ja eine gute Entschuldigung, dass man sich kaum entziehen konnte.

D: Das war schon cool.

Das Heidenfest habe ich ja noch nie vorher gehört.

B: Das war 2008, glaub ich. Eluveite, Equilibrium, Ensiferum, Korpiklaani

D: Equilibrium haben da ihr zweites Album oder so herausgebracht.

B: Finntroll war sicher Headliner!

D: Nein, die waren im Jahr darauf.

Dafür habe ich da eine gute Entschuldigung, dass ich noch nie davon gehört habe. 2008 bin ich sechs Jahre alt gewesen.

D: Ich glaub aber, da du und ich und die Leute, über die wir uns kennengelernt haben, dort waren, das ist schon ein bisschen … wenn du es darauf auslegen möchtest … die Geburtsstunde.

B: Naja, wenn man es darauf auslegt…

D: Nein, es war die Empfängnis. Geburtsstunde war später!

B: Man sieht halt, dass es damals zwei Mal im Jahr im Posthof Konzerte in der Richtung gab. Natürlich geht da jeder hin, der irgendwie affin für die Musik ist. Das war uns schon zu wenig, was in Linz passiert ist. Das ist schon, wo wir sagen: das kann’s nicht geben. Es gibt ein Aps und nach wie vor ein Thüsen Tak. Es ist dahingestellt, wieviel Spaß man in diesen Beiseln haben kann, aber grundsätzlich hat es da immer Leute gegeben, denen das gefällt. Warum sollte man da Konzerte aussterben lassen, wenn das das Wichtigste ist. Sich treffen, das ausleben…

D: Bis auf die zwei Mal im Jahr, wo im Posthof eine fette Metalpartie hereinprallt.

B: Ja, das kannst du aber auch aufschreiben, wenn Kreator da mit ihren Luftballons herkommen, dann ist das keine Metal-Show für mich… so gut die Alben Extreme Aggression und Endless Pain auch sind.

Das haben sie letztes Jahr im Gasometer auch gebracht… mit Konfetti und Luftballons.

D: Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern…

B: Ich hab ja gewusst, dass so was in die Richtung kommt. Ich hab mir aber gedacht, schau ich mir das an. Pungent Stench spielen auch. Insanity Allert sind live auch immer witzig. Aber ich bin dort gestanden und nach dem halben Set hab ich mir gedacht: Ich will nicht mehr. Wie lang ist das wieder aus, dass im Posthof so eine Metalshow war?

D: April, oder? Ja.

B: Aber davor. Jahre… um wieder den Bogen zum Thema zurückzuspannen.

D: Ich weiß die Frage gar nicht mehr.

B: Warum wir Metal hören… weils im Posthof war.

Wie motiviert findet ihr die Linzer Metalszene?

D: Die da sind, sind schon motiviert, aber ich hab das Gefühl, dass ich nicht mal alle kenne.

B: Das ist ja auch schon schön, für so eine kleine Stadt wie Linz. Bei den Leuten, die da sind, denk ich mir: Ihr habt euch die Bands angehört, ihr freut euch, dass sie spielen und ihr steht nicht nur im Eck. Das freut mich besonders.

D: Der Spirit im Saal, der passt.

War es leicht euch zu etablieren?

D: Ja. Die Leute haben eigentlich darauf gewartet, dass es etwas gibt. Das hat man auch gemerkt. Das spricht auch dafür, da es im Herbst auch noch viel gibt. Das ist gerade echt ein Ding, das noch ein bisschen anhalten wird. Bis sie wieder alle gesättigt sind.

B: Das wird in der Zukunft vielleicht ein Thema.

D: Das heißt halt, dass es vielleicht nur mehr ein Konzert pro Monat, oder alle zwei Monate ein Konzert gibt. Nicht, dass es ganz aufhört.

Ihr seid ja auch noch nicht so alt, aber merkt ihr einen Unterschied zur Community von damals und heute. Sind heute noch die gleichen Leute dabei?

D: Ich finde es immer so schön, wenn Leute von ‚früher‘ zu den Shows kommen und es ihnen gefällt. Ich hab schon ein paar im Saal mit einem zufriedenen Grinsen gesehen. Da denkt man sich: Passt, ich hab die Alten auch damit abgeholt. Das ist schon cool.

B: Da rennt die Nostalgiekamera. Das ist cool, aber eher die Ausnahme. Die kommen vermutlich, weil sie sich denken, jetzt waren wir schon echt lange nicht mehr unterwegs. Ich weiß es aber nicht. Man kennt sie zu wenig. Ich kenn zwar ein paar von den alten Eferdingern, aber die kommen nicht her. Die wissen schon, dass es was gibt, sind aber auch schon ruhiger geworden.

D: Ich denk, es geht mehr um generell die Linzer Urgesteine, die sich das anschauen. Wo auch Leute aus dem Porn To Hula-Umfeld da sind. Die sind vielleicht auch nur wegen dem Phil, der die Technik macht, da. Der Vergleich zu früher fällt mir ja schwer, vermutlich liegt das am Alter.

B: Ich hab bei unserem Publikum schon das Gefühl, dass die meistens sogar jünger als wir sind. Maximal bis in unser Alter. Ab 30 sind das schon Ausreißer.

Kennt ihr noch Veranstalter, die früher Metalkonzerte in Linz gemacht haben?

D: Nein, eigentlich gar nicht. Außer man zählt den Post-Metal in der Kapu dazu, der einmal passiert ist. Aber von der Schiene, die wir fahren, kenn ich eigentlich keinen.

Habt ihr Wünsche für die Zukunft hier in Linz?

D: Ich würd gerne ein Open Air Fest machen.

B: Das wär schon ein kleiner Teenie-Traum.

D: Aber das ist noch weit weg. Nächstes Jahr sicher noch nicht. In zwei Jahren wahrscheinlich auch noch nicht. Aber das wollen wir.

B: Schön wäre es auf jeden Fall, wenn wir jedes Jahr ein Festival in dieser Größenordnung machen können. Da können wir total zufrieden sein.

Welche Location würdet ihr euch für ein Open Air in Linz vorstellen?

D: Ich wär da ganz pragmatisch und würde am Rodelgelände in Ottensheim anfragen. Wo auch das Ottensheim Open Air stattfindet. Das Gelände ist cool, man kann baden gehen… Man setzt sich zwar ins gemachte Nest, aber bei so einer Mammutaufgabe wie ein Open Air organisieren, stört das nicht. Da ist jede Aufgabe, die nicht zu organisieren ist, eine Erleichterung. In Linz gibt es eh nicht so viel Möglichkeiten dafür. Da muss man eben etwas nach außerhalb gehen. Ottensheim erreicht man aber noch gut mit allem. Da spricht nichts dagegen, es dort zu machen. Wann es überhaupt einmal spruchreif wird.

Manche größeren Bands wie Bell Witch oder Church of Misery spielen ja in der Kapu, aber nicht als Steel City Sorcery Konzert? Wie grenzt ihr das ab?

B: Das stimmt, das hätte beides unter der Reihe laufen können.

D: Das hängt damit zusammen, dass ich zum Beispiel Bell Witch einfach selber gebucht habe. Da haben wir gar nicht darüber geredet und das ist ein Kriterium für Steel City. Das war glaub ich wirklich der Grund. Wir reden normal schon darüber, was wir machen.

B: Es ist wirklich schwer, das abzugrenzen. Es ist eine Gefühlssache. Klare Trennlinien gibt es da nicht.

Bei euch spielen ja keine Punkbands. Die Linzer Punkszene war schon immer größer als die Metalszene. Wollt ihr euch klar vom Punk abgrenzen und eine reine Metalkonzertreihe sein?

D: Eigentlich will ich das gar nicht machen.

B: Ich auch nicht. Ich bin ein großer Punkfan. Wir fragen auch schon seit Jahren bei Indian Nightmare an, die eine perfekte Mischung zwischen Metal und Punk sind. Auch von der Ästhetik perfekt für die Kapu. Das kann man mit Metalbands gut zusammenbuchen, wo teilweise ja noch Berührungsängste bestehen. Das wird aber vom Gefühl her auch immer besser.

D: Bis jetzt hat sich das auch noch nicht so ergeben. Wenn wir einen Headliner haben, sind uns bis jetzt keine passenden Punkbands eingefallen. Am Festival spielen auch Vole aus Tschechien. Das ist lupenreiner Punk. Das passt super. Spiker sind mit ihrem Straßenrock auch eher punkig.

B: Ja ziemlich Deutschpunk. Wir wollten das von Anfang an auch mischen.

D: Auf jeden Fall nicht abgrenzen. Das ist das Schlechteste, das man machen kann.

B: Beim Festival haben wir immer schon gesagt: Da spielen mindestens ein bis zwei Punkbands.

Was war für euch persönlich das beste Konzert, das ihr gemacht habt?

D: Sagen wir es auf drei gleichzeitig? Mich würd es interessieren, ob wir das Gleiche sagen. 1…2…3…

D, B: Ranger!

D: Das war einfach rundum geil. Vom Lineup, viele Leute waren da, die Stimmung war gut. Es ist bei Ranger voll abgegangen. Das war fast schon zu gefährlich. Es hat einfach alles gepasst.

B: Für mich war das die offizielle Geburtsstunde. Da hat man gewusst, dass das funktioniert und dass man das machen kann. Es hat eine Rundum-Bestätigung gegeben. Das war ja ein totales Experiment. Die haben 500€ gekostet. Es war ein totales Zittern. Aber wenn Hip-Hop-Shows in der Kapu teilweise mehr kosten und unter der Woche stattfinden, dann müssen wir uns so etwas auch trauen.

D: Das war das erste Mal, dass wir uns wegen den Gagen und den Kosten denken mussten, wenn 50 Leute kommen, dann ist das eine Niederlage.

B: Und die Hütte war voll. Es war die geilste Party. Da hat alles gestimmt.

Wann war das Konzert?

D: Jänner vor einem Jahr.

B: Ja, das war Ende Jänner 2017. Das war das zweite, das wir je gemacht haben nach drei österreichischen Bands. Die anderen zwei Bands waren eh auch Österreicher. Aber Küenring kennen wir seit Jahren. Das ist einfach unwiderstehlicher Charme.

D: Küenring sind auf jeden Fall ein Anhör-Tipp. Die kennen meiner Meinung nach viel zu wenig Leute.

B: Viel zu wenige! Sie schauen ja auch nicht wie die Rockstars aus. Beurteile die Leute nie nach ihrem Aussehen.

Habt ihr Küenring nicht diesen März auch wieder hergeholt?

B: Denen hat es so gefallen, dass sie ihre Album-Releaseparty hier machen wollten, obwohl sie alle Wiener sind.

Hattet ihr schon negative Erfahrungen mit Bands oder Bandmembers, die hier gespielt haben?

D: Nein, eigentlich gar nicht. Das sind meistens nette Leute.

B: Die sind sehr dankbar.

D: Die meisten sind sehr froh, dass sie hier im selben Haus schlafen können. Ja, es hat nie wirklich was gegeben. Wir kümmern uns auch um die Leute. Ich hatte schon lange Nächte mit Bandleuten, wo wir bis acht in der Früh hier zusammengesessen sind. Vor allem gerade mit Leipziger Partien.

B: Ähnliche Musik, ähnliches Alter…

D: Da gibt es eine Connection. Linz – Leipzig, da gibt es unserer Meinung nach schon eine Verbindung. Das ist cool.

Fragen bei euch Bands aus Eigeninitiative an, oder liegt das mehr an euch?

B: Ja, mittlerweile müssen wir viel mehr ablehnen, als wir eigentlich wollen, weil das Programm in der Kapu relativ dicht ist oder weil die Anfragen teilweise zu knapp sind.

D: Man hat schon gemerkt, wie das kontinuierlich mehr geworden ist. Am Anfang ist noch nichts gekommen, dann hab ich mal die ersten Bands angeschrieben. Auf einmal bist du auf irgendwelchen Verteilern von Booking-Agencies.

Hat bei euch schon jemand angefragt, den ihr hier nicht spielen lassen wollt?

B: Ja schon, aber mehr, weil es uns nicht reingepasst hat.

Also habt ihr da schon Kriterien, dass ihr Bands teilweise nicht spielen lasst, weil sie zu kontrovers sind oder einfach von der Musik nicht passen.

D: Beides. Bei manchen Bands check ich das schon ab, wenn ich mir denke, die klingen vielleicht jetzt ein bisschen edgy. Da schaut man halt dann. Das Gute ist, dass die Musik meistens auch scheiße ist. Das macht das dann relativ einfach zum Absagen. Da muss man eine klare Linie ziehen. Das ist ganz wichtig.

B: Ich hab das vorher nicht dazugesagt, aber ich bin auch aus der Kapu-Betriebsgruppe. Auch aus Respekt vor den Werten der Kapu und welche Leute dann halt kommen würden. In aller Klarheit willst du hier keine Nazis haben und keine Leute, die andere einfach abfucken. Es gibt eben gewisse Bands, die so kontrovers oder auch einfach deppert sind.

Fragen solche Bands dann auch an, weil sie die Kapu nicht kennen?

B: Ja, eher so.

D: Aber auch selten. Einmal war so eine Partie, bei deren Label Zorn herauskommt, da wird einem schon ein bisschen schwindelig. Damit hab ich mich viel beschäftigt und das ist schnell ein Ausschlusskriterium. Die Musik ist meistens eh scheiße, das ist einfach so.

Spielen bei euch auch Bands, die euch gar nicht gefallen, weil ihr denkt, den Leuten taugt das?

B: Naja, nicht gar nicht, aber es gibt ja Vitamin B.

D: Wie auch überall schleicht sich Korruption durch alle Ebenen.

B: Lassen wir das so stehen. Es gibt Vitamin B. Im Endeffekt haben wir es nie bereut. Das war mehr im Vorhinein.

Welche Bands wollt ihr einmal unbedingt herholen?

B: Aura Noir.

D: Daran arbeiten wir schon seit über einem Jahr. Dort ist die Tour immer wieder verschoben worden. Jetzt spielen sie im Dezember und kommen nur einmal nach Graz. Ich will Aura Noir auf jeden Fall lieber hier als in Wien haben. Ich weiß nicht wieso. Ich glaub, die wären hier einfach geiler. Gewaltbereit will ich ja auch noch immer machen, das ist aber noch nicht so weit.

B: Leipziger Hardcore Punk, wie er uns eben richtig gut gefällt! Old school, ehrlich, Mittelfinger, g‘schissen. Geil.

D: Zwei Mittelfinger mindestens!

B: Ja. Also Aura Noir und Gewaltbereit.

D: Anfangs haben wir ja sogar eine Liste geschrieben. Devision Speed war die erste Band.

D: Die Anfangsliste haben wir ganz gut abgearbeitet.

B: Bei Deathhammer wissen wir noch nicht, ob die uns die Hütte wegreißen.

D: Ich glaub, das ist dann so das letzte, das wir machen. Das müssen wir uns überlegen, aber nachdem ich den Sänger letztes Wochenende wieder gesehen habe, denk ich mir, dass das schon echt geil wäre.

Würdet ihr auch mal gerne so eine große Band wie Pungent Stench herholen?

B: Da haben wir tatsächlich schon überlegt, sind aber noch nicht auf einen grünen Zweig gekommen.

D: Stench wären für mich eher ein Headliner für irgendwas irgendwann mal.

Gibt es abschließend noch etwas, das ihr noch sagen wollt? Was vielleicht noch offengeblieben ist?

D: Danke an die Leute, die immer kommen und die das zaht, was wir machen.

B: Das ist echt das wichtigste. Und auch das Community-Ding, das wir vorher angesprochen haben. Das ist ganz wichtig. Und auch, dass uns die Leute daran erinnern, wenn etwas deppert laufen sollte.

Wir sind auf jeden Fall offen für Feedback.

SILK Fluegge: „Disappear“

Das eigene und das fremde Hintergrundrauschen. Im Dezember hatte „Disappear“ in der Linzer Gesellschaft für Kulturpolitik (gfk) Premiere. Die Performance mit dem Untertitel „Zum Verschwinden in der Welt des anderen“ positioniert zwei Welten zweier junger Menschen zueinander – sozusagen als Gedankenstrom und Hintergrundrauschen. Ein Stück von SILK Fluegge, dem Kollektiv, das sich seit mehreren Jahren urbane zeitgenössische Tanz- und Kunstformen mit Fokus Jugendarbeit vornimmt.
Zwei weitgehend am Rücken aneinander stehende Personen, Frau und Mann, offenbaren jeweils zwei gegenübersitzenden Zuschauergruppen ihre Beziehung zu sich und den anderen. Vom Band kommen eingesprochene Text- und Gedankenströme, die ihre Wirkung jeweils nur in eine Richtung des Publikums entfalten – sprich: der jeweils andere Part bleibt lediglich als Hintergrundrauschen zu hören, bleibt sozusagen nur erahnbar. Detto das zu Sehende: Im Fokus steht die Person, die frontal zur jeweiligen Publikumsgruppe ihren Gedankenfluss ausbreitet. Sie übersetzt den eigenen Gedankenstrom in Bewegung, die als körperliches Nachspüren des eigenen gedanklichen Hintergrundrauschens bezeichnet werden kann, quasi als körperlich bewegtes, reduziertes, minimales in Beziehung setzen mit sich selbst – immer vor der anderen Person, die in ihrer abgewandten Welt dasselbe macht, und folglich nur von hinten und im Hintergrund zu sehen und zu hören bleibt. Es folgen kleinere, auch kontrapunktisch gesetzte Aktionen des miteinander in Beziehung Tretens, Einschübe von Interaktion, Umrunden, es zeigen sich kurz und merkwürdig  aufbauende Personenkonstrukte; und nachdem fast so etwas wie eine Kontaktaufnahme erfolgt ist – in der Mitte des Stücks und nach etwa 50 Minuten – erfolgt ein Perspektivenwechsel des Publikums, das sich auf die andere Seite zu begeben hatte, um hinan „die andere Seite“ zu sehen und zu hören.

Nach diesem erstaunlich wortlos und zügig vonstatten gehenden Platzwechsel, der wohl auf Spannung im Publikum rückschließen lässt, wie es denn nun weitergeht auf der anderen Seite, stellt sich mit der einstellenden 1:1-Wiederholung kurz die Frage, ob sich Gedankenströme (noch dazu zwei Gedankenströme) tatsächlich derart wiederholbar zeigen sollten (Körper und Gedanken flottieren frei und niemals fix montiert) – oder ob es tatsächlich gut ist, das Hintergrundrauschen des Anderen derartig offenzulegen, zu entzaubern. Gerade wegen dieser fein gebauten Arbeit, deren Atmosphäre zu einem wesentlichen Teil aus der Magie des Moments, der Präsenz von „echten“ Menschen, und – wie es halt mit echten Menschen so ist – aus einem doch rätselhaft bleibenden nicht genauen Verstehen, aus einer nicht restlosen Aufklärbarkeit der eigenen sowie der anderen Gedanken- und Körperwelt aufgebaut scheint. Dann zeigt sich: Es gibt – der bisherigen Konzeption des Stücks folgend – ohnehin keine andere Seite, nur eine andere Welt. Sozusagen eine zweite Seite der Beziehungslosigkeit, oder auch einer ins Publikum gespiegelten Botschaft, dass es eventuell schwierig geworden ist, überhaupt schon einmal nur mit sich selbst in Beziehung zu treten. Es zeigt sich eine zweite Darstellung, von der ersten abweichend und dennoch ähnlich … Und während die junge Frau eine Tendenz zeigt, Gedanken zu wälzen, der Realismus wiegt hier in der körperlichen Überprüfung hinsichtlich allgemeiner Frohbotschaften – von „Balance“ oder „Relationship“ etwas abgeklärter – und ein „Being“ bleibt reduziert („Calmness of the soul, calmness of the body“, „And in the same time just being …“) –, läuft beim anderen schlichtweg ein Film ab. Der einer verschmitzten Leichtigkeit, wenn die Banalität des eben-nicht-in-Beziehung-Kommens zu irgendetwas überhöht wird, was gleichzeitig einladend lächelnd wie hochstilisiert ignorant scheint, durchaus humoresk angedeutet (und nach einer eingestreuten Vaterproblematik wie in eine klassisch männliche Beziehungsunfähigkeit hineingerannt: „Give space to the people“, „Do not influence them“, „Let them move on with their lives“, „Just try not to influence them“). Dies unter anderem beispielhaft angeführt.
Insgesamt ist „Disappear“ als vielschichtiges Bedürfnis nach der eigenen und der anderen Welt lesbar, als große Schwierigkeit, aber auch, trotz Erkenntnis über die schwierige Realität des eigenen und fremden Hintergrunds, als Ahnung dessen, dass man doch irgendwie und irgendwann mal in der Wahrnehmung der anderen Person auftauchen könnte. Als kleine charmante Feinheit zum Schluss auch die Ahnung dessen, dass auf der Suche nach der Appearance in der Welt des Anderen eine verständigende Sprache auch durch verschiedentliche Aspekte des Nichtverstehens erfolgen könnte: Ohnehin durch unsere Körper, die ihre eigene Wahrheit in sich tragen. Aber am Ende tauchen auch im Text kleinere Versatzstücke von Lachen, tierisch anmutende Geräuschen und Fremdsprachen auf … und wie Pflänzchen strecken sich die Arme der beiden zueinander. Kein Versprechen auf Happy End, sondern zarte Hoffnung im Moment. Die DarstellerInnen Olga Swietlicka und Matej Kubus überzeugen durch Präsenz – in einem textlich, dramaturgisch und darstellerisch fein gebauten, klug reduzierten und atmosphärisch einnehmenden Stück.

 
„Disappear“, 6. Dezember, gfk – Gesellschaft für Kulturpolitik, Linz

„Die Kunst als fünfte Gewalt im Staat?“

Wolfgang Ullrich und Tom Bieling über Artivismus.

In jüngster Zeit, vor allem im Zuge der Flüchtlingsdebatte mehren sich Projekte, die sowohl als Kunst verstanden als auch an politischer Wirksamkeit gemessen werden wollen. Das Stichwort lautet „Artivism“, zusammengesetzt aus dem Englischen „Art“ und „Activism“. Zu den bekannteren Vertretern zählen Künstlergruppen wie das Zentrum für politische Schönheit, Tools for Action, The Yes Men, Peng Collective, Enmedio, Dashndem oder Arbeiten von John Jordan, Liam Young, und Ai Weiwei.

Mit zum Teil performanceartigen, nicht selten provokanten Aktionen, werden – auch unter Zuhilfenahme von Social Media – politische Diskurse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und angefeuert. Dabei bleibt bisweilen unklar, inwiefern beides – künstlerischer und politischer Anspruch – miteinander verbunden und wechselseitig begründet sein soll.

Handelt es sich bei dieser Unklarheit um eine Schwäche oder eher um eine gezielte Strategie? Wolfgang Ullrich und Tom Bieling werfen einen Blick auf artivistische Ansätze und inspizieren, wie sie funktionieren und was an ihnen problematisch ist.

[Tom Bieling:] Im Verlauf der letzten Jahre mehren sich künstlerische Projekte, die sich im Kosmos aus investigativem und sozialem Engagement, politischem Aktivismus und Aktionismus bewegen, deren Leitmotiv eines zivilen Ungehorsams symbolische Funktionen beinhaltet, die aber auch an direkten, lebensweltlichen Interventionen interessiert sind. Gerade im Zuge der Flüchtlingsdebatte gibt es zahlreiche Projekte, die sowohl als Kunst verstanden wie an politischer Wirksamkeit gemessen werden wollen. Dabei bleibt jedoch oft unklar, wie beides – künstlerischer und politischer Anspruch – miteinander verbunden und wechselseitig begründet sein sollen. Handelt es sich bei dieser Unklarheit um eine Schwäche oder ist sie Teil der Strategie?

[Wolfgang Ullrich:] Das ist sicher Teil der Strategie – allerdings einer, die ich fragwürdig finde. Das Ziel dabei ist, dass man sich, wenn man im Zuge zivilen Ungehorsams Gesetze übertritt oder auch nur mit Anklagen zu rechnen hat, eine Aktion aber als Kunst gelabelt ist, auf die Kunstfreiheit berufen kann. Diese wird gleichsam als eine Art von Blankoscheck verstanden, den man zückt, sobald es eng wird. Allerdings wird dabei übersehen, dass man auch mit der Berufung auf Meinungsfreiheit in einem Rechtsstaat schon sehr weit kommt. Natürlich sind keine Gesetzesbrüche damit zu rechtfertigen. Andererseits ist es aber auch eine merkwürdige Vorstellung, sich als Künstler exklusive Rechte herausnehmen zu wollen – und zu glauben, man müsse sich nicht an Gesetze halten. Da frage ich mich, was für ein Selbstbild solche Menschen haben, ja woraus genau sie ihre Überlegenheit gegenüber anderen, ihren Anspruch auf Immunität eigentlich ableiten. Das geht, so scheint mir, nur mit einem sehr hochtrabenden Genie-Begriff. Zudem wurde die Kunstfreiheit historisch nie als pauschale Immunität verstanden. Vielmehr gab es eine Art von Deal zwischen den Künstlern und der Gesellschaft: Jene dürfen die gewagtesten Dinge tun, solange sie die Grenzen, in denen sie auftreten, klar definieren und respektieren. Auf der Theaterbühne, zwischen zwei Buchdeckeln, auf einem Gemälde, bei einer Performance im Ausstellungsraum darf ich als Künstler andere Menschen verfluchen oder irgendwelche Symbole beschmutzen, darf gegen die Demokratie wettern oder Welten imaginieren, in denen Mord erlaubt oder Vergewaltigung eine bloße Mutprobe ist. Doch sobald ich die Grenze zwischen Kunst und Realität, ja den Spielraum der Kunst übertrete, werde ich auch vom Künstler zum Bürger – und habe mit denselben Konsequenzen für ein gesetzeswidriges Handeln zu rechnen wie jeder andere auch. Es gibt im übrigen viele Beispiele dafür, dass Künstler diese Grenze anerkannt haben, aber mit ihrer Autorität dennoch etwas zu bewirken versuchten. Als etwa in den 1980er Jahren Schriftsteller wie Heinrich Böll gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen protestierten und dabei Zufahrten von Militärstützpunkten blockierten, haben sie sich nie auf die Kunstfreiheit berufen, sondern nahmen bewusst in Kauf, wegen Nötigung verklagt und verurteilt zu werden.

In diesem Zusammenhang wird in letzter Zeit auch wieder vermehrt mit dem Begriff der sozialen Plastik hantiert, der ja in den 1970er Jahren von Joseph Beuys als Versuch formuliert wurde, eine bestimmte Vorstellung gesellschaftsverändernder Kunst zu erläutern. Die darin ausgedrückte Abkehr einer rein formalästhetischen Erschließung von Kunst galt vor allem der Zuwendung zur aktiven Mitgestaltung von Politik und Gesellschaft durch alle Beteiligten, inklusive Künstler und Rezipienten. Inwieweit greift dieses Prinzip bei den artivistischen Projekten, die Sie sich in jüngster Zeit genauer angesehen haben?

Beuys’ Konzept der „sozialen Plastik“ war vor allem gegen die Institutionen der modernen Zivilisation gerichtet. Für ihn waren Bürokratie und Industrialisierung, Rationalisierung und technischer Fortschritt Übel, die mit den kreativen Kräften der Menschen überwunden werden sollten. Beuys war ein Sozialromantiker und Kulturkritiker, der das Organische dem Mechanischen gegenüberstellte und in der „sozialen Plastik“ das Ideal eines organischen Staates erblickte. Deshalb war er etwa auch für direkte Demokratie – eine Demokratie ohne Institutionen, die aus seiner Sicht nur zu Erstarrung und Korruption führen. Bei zeitgenössischen artivistischen Projekten kann ich keine entsprechende Grundsatzkritik an der Moderne erkennen. Vielmehr greift man einzelne Themen sehr punktuell auf, ohne sich auf ein großes Geschichtsbild oder eine metaphysisch-ideologische Weltanschauung zu berufen.

Der Großteil artivistischer Arbeit basiert gleichwohl auf einem erweiterten Kunstbegriff. Die Universalisierung des Kunstbegriffs bringt freilich auch Rezeptionsungewissheiten mit sich: Bemisst man die Arbeit nach politischen Wertmaßstäben oder nach Kriterien der Kunst? Braucht es eine dritte, eigenständige, symbiotische Bewertungskategorie? Oder ist genau diese Frage egal? Schließlich bleibt die Wirkmächtigkeit einer im Deckmantel der Kunst agierenden Protest-Intervention häufig ungeklärt, wenn sie sich im öffentlichen Diskurs verliert. Schlimmstenfalls bleibt sie gegenüber einer „tatsächlichen“ politischen Aktion wirkungslos, gerade weil sie „nur“ als Kunst interpretiert wird.

Was Sie hier ansprechen, ist gleichsam die Kehrseite dessen, was ich vorher erwähnt habe. Dass Künstlern in einem abgegrenzten Raum Immunität zugestanden wird, sie dort also in völliger Freiheit agieren dürfen, ist damit erkauft, dass das, was sie tun, keine reale Wirkung auf die Welt jenseits der Kunst hat. So wie andere Instanzen sich nicht in die Autonomie der Kunst einmischen, besitzt umgekehrt alles, was als Kunst auftritt, den Status eines Als-ob, einer höchstens möglichen Realität. Wenn nun Aktivistengruppen in der realen Welt agieren und dies dennoch als Kunst verstanden wissen wollen, müssen sie damit rechnen, dass man ihre Aktivitäten als lediglich symbolisch und bloßes Als-ob wahrnimmt, eben weil man sich vom Kunstpostulat beeindrucken lässt. Dann droht Wirkungslosigkeit. So etwas wie eine dritte Bewertungskategorie kann es meiner Meinung nach nicht geben: etwas kann nicht zugleich real und möglich sein.

Zumindest stehen die Themenspektren des Artivismus immer in Zusammenhang mit einem konkreten Zeitgeschehen. Aber auch seine Stilmittel sind meist schwer von den damit in Verbindung stehenden Protestkulturen zu trennen. Soziale Bewegungen, insbesondere Protestbewegungen erweitern ihr Formenrepertoire ja permanent. Dabei werden immer auch neue Herangehensweisen ausprobiert und weiterentwickelt. Denken wir beispielsweise an die humorvoll verspielten Aktionen der „Clowns“ im Zuge der Antiglobalisierungsbewegung. Gegenseitige Befruchtungen und ästhetische Überschneidungsformen von Kunst und Protestbewegungen finden sich immer wieder. Sei es im Zuge der Bürger-, Frauen- und Studentenbewegung der 1960er Jahre oder der Friedens- und Umweltbewegung der 1970er und 1980er Jahre. Die Grenzverläufe zwischen Kunst und Aktionismus sind dabei nicht immer ganz eindeutig: Wenn Pjotr Pawlenski sich vor dem Kreml seinen Hodensack an den Boden nagelt, so geschieht dies aus einer Protesthaltung heraus, aber eben auch als künstlerische Positionierung. Die hieran sich entfachenden gesellschaftlichen Diskurse, auch zu der Frage, wo Kunst anfängt und bloßer Protest aufhört, sind dabei fester Bestandteil der Aktion. Gerade in Zeiten massenmedialer Verbreitung durch Social Networks werden hier Dimensionen erreicht, die Künstlern (und Protestlern) früherer Dekaden verwehrt geblieben sind. Hiermit sind zwei Seiten einer Medaille verbunden: Zum einen ermöglicht die große Reichweite es, Themen auf die Straße zu bringen. Zum anderen müssen sich Artivisten den Vorwurf gefallen lassen, ihre Aktionen dienten nur der Generierung von Klickzahlen. Schmälert es das Anliegen und das Ansehen der Kunst, wenn durch sie vorrangig eine Art „Clicktivismus“ befördert wird, bei dem sich der Betrachter zurücklehnen und in seiner womöglich ohnehin affirmativen Grundhaltung bestätigt sieht? Oder wie Hanno Rauterberg es in der ZEIT ausdrückt: Überzeugt „der Künstler mit seiner Kunst nur die ohnehin Überzeugten“?

Wenn Sie die Geschichte der Protestbewegungen ansprechen, dann kann man wirklich kaum stark genug hervorheben, dass diese oft sehr innovativ und präzise hinsichtlich ihrer Stilmittel und Artikulationsformen waren. Eine Geschichte und Typologie der Ästhetik des Protests ist noch nicht geschrieben. (Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ weist in eine andere Richtung.) Auch weil es da so viel Bemerkenswertes gibt, erscheint es mir unnötig und eitel, wenn heutige Protestgruppen ihr Tun gleich als Kunst verstanden wissen wollen. Es ist nicht neu, dass Protest eine gestaltet-ästhetische Dimension hat. Und, wie gerade besprochen, es schadet vielleicht sogar der Wirkkraft einer Aktion, wenn sie von vornherein als Kunst deklariert wird. Aus meiner Sicht spräche aber nichts dagegen, wenn nachträglich – im Zuge einer historischen Aufarbeitung von Protestkulturen – einige Aktionen mit Kunst verglichen oder dieser sogar zugesprochen würden.

Dass sich Logistik und Ästhetik von Protestkultur zuerst durch die Massenmedien, mittlerweile durch die Sozialen Medien immer wieder verändern, ist zwangsläufig. So etwas wie Clicktivismus kann man daher nicht zum Vorwurf machen, im Gegenteil sind Aktionen sogar eher unzeitgemäß, wenn sie die viralen Möglichkeiten des Internet nicht zu nutzen versuchen. Man kann höchstens fragen, ob bei manchem, was geklickt wird, nicht mehr Aktivität vorgegaukelt wird, als tatsächlich vorliegt. Dann halten User sich für Mitwirkende, die etwas real verändern können, obwohl ihr Verhalten eher symbolische Funktion besitzt. Und Hanno Rauterberg hat recht: Die meisten Formen von Artivismus können höchstens diejenigen mobilisieren, die ohnehin schon dieselbe Einstellung wie die Kunstaktivisten vertreten. Diese versuchen oft auch gar nicht, andere Milieus zu erreichen und Menschen zum Umdenken zu bewegen; vielmehr sind sie stark an ihrem Publikum orientiert, dessen Erwartungen sie entsprechen wollen. Auch hier ist es im letzten eher ein Nachteil, wenn Projekte als Kunst deklariert werden. Man wendet sich dann, wie im Fall anderer Kunstformen, an Interessierte, Insider, gar ein Spezialpublikum – eben an diejenigen, die sich mit (politischer) Kunst beschäftigen – und nicht an die Bürger in ihrer Gesamtheit, deren Meinungsbildung man zu beeinflussen anstrebt.

Vielen artivistischen Projekten und Aktionen der jüngsten Zeit ist gemein, dass sie in Teilen der Bevölkerung Unbehagen und Empörung hervorrufen. Und zwar sowohl in Bezug auf ihre Form als auch auf ihre Funktion. Ein oft gehörtes Argument in solchen Empörungsdiskursen lautet: Die Kunst solle sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Ist es denn aber nicht legitim, dass der Künstler sich konkret mit den Mitteln der Kunst zu bestimmten Positionen und Phänomenen verhält? Die Frage nach politischem Handeln und gesellschaftlichen Idealen stellt und beantwortet er letztlich nicht nur mit anderen Werkzeugen und Methoden, sondern auch mit einer anderen Zielvorgabe als beispielsweise politische Entscheider oder Sozialarbeiter.

Der Vorteil der Kunst besteht freilich immer darin, dass es den Adressaten (z. B. der Staatsmacht) bisweilen schwerfällt, adäquat auf die Aktion zu reagieren. Im Falle von Pussy Riot beruft man sich dann auf fadenscheinige Religionsparagraphen oder führt monströse Regelwerke ein. Wie verhält es sich denn eigentlich mit Verwechslungsgefahren? Wann hören Subversion und der reine Protest auf? Wo beginnt letztlich die Kunst, im Gegensatz zu – sagen wir – politischer oder Sozialarbeit?

Wir müssen hier natürlich unterscheiden, ob es sich um Artivismus in einem westlichen Rechtsstaat handelt oder, wie im Fall von Pussy Riot, um Politaktivismus in einem Staat, in dem die Unabhängigkeit der Justiz nicht sichergestellt ist, wo also ein hohes Risiko eingeht, wer eine gegenüber der Staatsmacht dissidente Meinung artikuliert. Mein Eindruck ist, dass das Bedürfnis, auch als Künstler Anerkennung zu finden, bei Gruppen im Westen deutlich größer ist. Man könnte darin sogar ein Wohlstands- und Luxusphänomen erblicken: Man will nicht nur eine bestimmte politische Haltung artikulieren, sondern auch ein Gefühl von Auserwähltheit verspüren, das Künstler schon immer besessen haben. Gerade weil man in seiner bürgerlichen Existenz nicht bedroht ist, wenn man in einem Rechtsstaat Aktivist wird, verschafft man sich also einen Thrill – eine Exponiertheit – damit, dass man sich zum Künstler erklärt.

Aus dieser selbsterklärten Sonderstellung der Artivisten resultiert aber auch jene spezifische Form von Unbehagen und Empörung in Teilen der Bevölkerung, die Sie ansprechen. So fühlen sich viele – insbesondere weniger gebildete – Menschen von Kunst und gerade von zeitgenössischer bildender Kunst generell überfordert und zurückgesetzt; sie erscheint ihnen oft elitär, rätselhaft, unverständlich. Sie spüren bei den Akteuren Dünkel und Snobismus. Und wenn dann etwas nicht nur als Kunst auftritt, sondern auch noch eine politische Haltung zum Ausdruck bringt, die der eigenen widerspricht, dann kann lange angestauter Unmut, ja dann können Ressentiments, die erst einmal nur der Kunst gelten, in aggressiven Unmutsbekundungen münden. Dass ihnen Kunst fremd ist, haben viele Menschen lange und immer wieder geschluckt, aber dass sie außerdem für etwas steht, das sie ablehnen, ist zu viel für sie. Dann ist auch die entsprechende politische Haltung für sie Ausdruck eines Snobismus, eines elitär-weltfremden Denkens. Man sieht daran einmal mehr, dass die Berufung auf einen Kunststatus den Aktivisten nicht unbedingt nützt: Sie zementieren so politische Lager – und so gut sie ihr spezielles Publikum erreichen und begeistern, so sehr bestärken sie andere in ihrer Ablehnung. Aber vielleicht stört sie das auch nicht, da es ihnen mehr um ihre Rezipienten als um die Gesellschaft insgesamt geht, ja da sie ihr eigenes Gefühl von Auserwähltheit und Überlegenheit noch stärker empfinden, wenn ihnen auch Widerstand begegnet – und wenn dieser von Menschen kommt, die ihnen intellektuell unterlegen sind. Insofern könnte man auch sagen, dass es der Sache nach kaum etwas gibt, was sozialdemokratischen Idealen stärker zuwiderläuft als der heutige Artivismus. Statt daran zu arbeiten, möglichst vielen Menschen Anschluss zu geben und sie mitzunehmen, disqualifiziert man sie als ungebildet und unmoralisch, nur um sich selbst umso besser fühlen zu können. Artivismus ist, etwas überspitzt formuliert, eine spezielle Form von Neoaristokratismus.

Dazu muss festgehalten werden, dass die Kunst heute auch viel schneller auf Menschen und deren Meinungen trifft, die vormals von ihr nicht tangiert wurden, etwa weil man sich in anderen Medienkanälen bewegte. In den sozialen Netzwerken wirkt das Aufeinanderprallen häufiger und vor allem vehementer. Überhaupt scheint in vielen der jüngsten Artivismus-Projekte die Rolle der (sozialen) Medien zentral sein. Aktionen wirken dann besonders erfolgreich, wenn sie viral gehen und die dabei entfachten Debatten möglichst kontrovers sind. Besteht hierbei nicht auch die Gefahr, sich allzu sehr in skandalträchtige Denkmuster zu begeben und sich den Regelwerken der massenmedialen Aufmerksamkeitsökonomie unterzuordnen? Anders gefragt, lässt sich einem – als solchem empfundenen – Elend entgegenwirken, wenn man es mit elends-voyeuristischen Mitteln thematisiert?

Vor allem stellt sich auch die Frage, ob der Anspruch, Kunst zu machen, mit einer Skandalisierungslogik des Boulevards vereinbar ist, denn traditionell hat sich Kunst massenmedialen Kategorien ja gerade verweigert. Manche Gruppen gehen hier jedoch sehr professionell vor, indem sie einerseits etwas präsentieren, das die Bedürfnisse der Skandalpresse befriedigt, andererseits aber Elemente einbauen, die ausschließlich ihre eigene Klientel, also das Kunst- oder Theaterpublikum bedienen. Denken Sie etwa an die Aktion „Flüchtlinge fressen“, die das Zentrum für politische Schönheit im Juni 2016 veranstaltete. Dass da Tiger in Käfigen ausgestellt wurden, denen sich angeblich Flüchtlinge zum Fraß vorwerfen lassen wollten, stellte eine breite Berichterstattung in den Massenmedien sicher, ebenso sorgte es für vorhersehbare Proteste von „besorgten Bürgern“ und Tierschützern und damit für noch mehr Aufmerksamkeit. Für die Leute, die mit ein bisschen Klicken die Welt verbessern wollen, gab es zugleich ein Crowdfunding und eine Website, auf der man für oder gegen einzelne Flüchtlinge voten konnte. Und für die Intellektuelleren und das exklusivere Kunstpublikum fanden Reden im Theater sowie Diskussionsrunden statt. Die einzelnen Teile der Aktion waren so angelegt, dass man sie ganz unabhängig voneinander rezipieren, also gezielt nur das wahrnehmen konnte, was den eigenen Interessen und Erwartungen am besten entspricht. Hier scheint mir ein Maximum an Zielgruppenorientierung und Aufmerksamkeitsmanagement erreicht zu sein.

Offen bleibt stellenweise, inwieweit all dies der Sache an sich dient. Nehmen wir das Beispiel des Projektes „Green light“ von Olafur Eliasson, bei welchem er kürzlich in Wien Lampen von einer Gruppe Geflüchteter zusammenbauen ließ, die dann für einen guten Zweck verkauft werden sollten. Und lassen wir die Frage, inwieweit hier das Label „Artivism“ überhaupt greift, einmal außer Acht. Wenn es tatsächlich um einen konstruktiven Beitrag in Bezug auf die Situation von Flüchtlingen geht, ist solch ein Projekt dann nicht letztlich kontraproduktiv?

Das Kontraproduktive dieser Aktion besteht für mich darin, dass es Eliasson nicht gelungen ist, das undifferenzierte, vielfach klischeehafte Bild, das in der Öffentlichkeit von Flüchtlingen herrscht, zu modifizieren, ja dass die gesamte Aktion sogar auf diesem klischeehafte Bild basiert. So ließ man die Flüchtlinge öffentlich und in Gruppen arbeiten, so als benötigten sie keine Privatsphäre und träten gleichsam von Natur aus immer nur im Plural auf, man ließ sie die immer selbe simple Tätigkeit verrichten, so als seien sie ungebildet und kaum lernfähig, man bot ihnen mit der Lampe ein Objekt, das nur eine rudimentäre Symbolik von Hoffnung zum Ausdruck bringt, so als seien sie für komplexere Inhalte oder Formen zu primitiv. Ob man mit traumatisierten Menschen aus der eigenen Kultur auch so umgegangen wäre, ist sehr zu bezweifeln. Gegenüber Flüchtlingen fehlt es bei einem Projekt wie „Green light“ also offenbar an Empathie. Dabei hat man doch gerade der Kunst in ihrer Geschichte immer wieder zugetraut, ja sogar von ihr verlangt, dass sie in der Lage ist, durch eine Stimulierung der Einbildungskraft Empathie für Menschen in anderen Lebensverhältnissen zu stiften.

Es entsteht mitunter der Eindruck, dass gerade im Flüchtlingskontext viele kunstaktivistische Projekte aus einem naiven, unreflektierten Zusammenhang heraus entstehen. Der große Gestus des humanitären Aktes, des Handelns im Auftrag der Menschlichkeit, entpuppt sich dabei schnell als profaner, banal plakativer Schnellschuss. Wenn es tatsächlich um Kunst um des Aktivismus Willen geht, stellt sich die Frage, inwieweit die jeweiligen Künstler dem wirklich gerecht werden. Einige der jüngsten, populäreren Artivismus-Gruppierungen sind jedenfalls mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Aktionen würden in erster Linie der Schärfung ihrer eigenen Marke dienen und weniger der Sache an sich.

Das stimmt, allerdings ist dieser Vorwurf vielleicht manchmal etwas ungerecht und einseitig. So hat man es durchaus oft als Aufgabe von Künstlern angesehen, dass sie einen eigenen Stil entwickeln und sich in Szene setzen, also, wenn man so will, ihre eigene Marke schärfen. Erst vor dem Hintergrund, dass es bei Projekten der Artivisten um Flüchtlinge geht, erscheint das auf einmal als zu egoistisch und selbstverliebt. Dass das Schicksal der Flüchtlinge nicht unbedingt im Zentrum des Interesses steht, ist jedoch in anderer Hinsicht, wie ich finde, viel interessanter. So richten sich viele Projekte – nicht zuletzt auch „Green light“ – an ein Kunstpublikum. Wie viele andere Formen zeitgenössischer Kunst bieten sie dabei die Chance auf Partizipation: aktive Teilnahme an politischem Protest oder an Integrationshilfen. Man kann etwa eine der Lampen online oder im Museumsshop kaufen, bei anderen Projekten kann man spenden oder eigene Zeit und Fähigkeiten zum Einsatz bringen. Angesprochen werden damit wertebewusste Bürger, die längst gewohnt sind, vor allem Kaufentscheidungen nach moralischen Kriterien zu fällen und dafür einen Mehraufwand zu leisten. Wenn man etwas teurer kauft, damit von diesem Geld unterprivilegierten Menschen geholfen werden kann, erfährt man den eigenen Konsum als ein Handeln, das die Welt verändert. Etwas kritischer könnte man darin einem Ablasshandel erblicken, mit dem die Konsumenten und genauso die Teilnehmer an artivistischen Aktionen ihr schlechtes Gewissen – die Sorge, selbst zu wenig zu tun – besänftigen, vielleicht sogar in gutes Gewissen verwandeln. Künstler wie Eliasson sind also gerade deshalb beliebt, weil sie dem Publikum eine Gelegenheit verschaffen, durch Partizipation Schuldgefühle abzuarbeiten. Diese entstehen insbesondere bei Menschen, die selbst keine Opfer sind und auch kaum erfassen können, was es heißt, eines zu sein. Entsprechend wollen sie gerne eine Art von Tribut leisten. Daher braucht nicht zu wundern, wenn die Qualität artivistischer Projekte nicht daran gemessen wird, wie überzeugend sie ein alternatives Bild von Flüchtlingen zu etablieren vermögen oder ob sie durch Empathieleistungen wirksame Solidarisierungsbewegungen in Gang setzen können. Sofern es vielmehr darum geht, Rituale zur Entlastung von schlechtem Gewissen anzubieten, ja sofern vor allem der Seelenhaushalt des Publikums von Bedeutung ist, unterscheidet sich aktuelle politische Aktionskunst im Übrigen kaum von anderen, oft als elitär oder konservativ verdächtigten Kunstgattungen aus der Geschichte der Kunst. Wie schon so oft geht es auch diesmal um eine Art von Läuterung des Publikums.

Die Frage ist ja, wen kann ich mit einer Arbeit so überzeugen, dass sich auch wirklich etwas ändert? Wer genau mit der Kunst adressiert werden soll und wer sich letztlich von ihr angesprochen fühlt, scheint häufig nicht klar zu sein. Der eigentliche Clou bei Schlingensiefs Container-Aktion beispielsweise bestand ja damals darin, dass genau nicht nur Leute aus den eigenen Reihen angesprochen wurden, sondern es tatsächlich auch um einen Miteinbezug einer breit gefächerten Passantengruppe und somit auch rechter Wähler ging.

Sie sprechen einen wichtigen Unterschied an. So scheint mir im Fall fast aller heutigen Aktivistengruppen, wie schon ausgeführt, sehr wohl klar zu sein, an wen man sich adressiert. Eben an jenes bildungs- und konsumbürgerliche Publikum, das ein Verantwortungsgefühl angesichts der herrschenden politischen Zustände empfindet, aber entweder nicht die Möglichkeiten sieht oder nicht engagiert genug ist, um in anderer Form als bei einer mehr oder weniger symbolisch bleibenden Kunstaktion mitzuwirken und so zu einem besseren Gewissen zu gelangen. Bei den stärkeren Aktionen von Schlingensief war hingegen bemerkenswert, dass weder die Adressaten klar waren noch die Botschaft. Da gab es keinen klaren Frontverlauf zwischen „gut“ und „böse“ – als Rezipient oder Partizipant musste man vielmehr damit rechnen, sich plötzlich ganz woanders als erwartet wiederzufinden. Um es zuzuspitzen, könnte man auch sagen, dass Schlingensief nicht gutes Gewissen, sondern schlechtes Gewissen erzeugte. Bei ihm konnte und sollte man sich nicht zu bestimmten Werten bekennen, sondern bisher ungeahnte Seiten und Abgründe in sich entdecken.

 

In der Druckausgabe der Referentin ist eine gekürzte Version dieses Interviews abgedruckt. Diese Version ist das vollständige Interview.

 

Artivismus, Teil 2, in einem der kommenden Hefte.

 

Wolfgang Ullrich, Autor, Kulturwissenschaftler und Kunstphilosoph, lebt in Leipzig und München. Zuvor u. a. Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Forscht zu Geschichte und Kritik des Kunstbegriffs, bildsoziologischen Themen und Konsumtheorie.

www.ideenfreiheit.de

Dokumentation Gehsteigschrift #1

 

„Wenn die ganze Welt lügt, wohin flüchte ich? If the whole world is a liar, where do I seek Asylum?“
13. November 2014, Traiskirchen, Österreich

Es ist Donnerstag, der 13. November 2014. Die Zeitungen berichten schon seit einiger Zeit über das Asyl-Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen, Niederösterreich. Es gab dort kürzlich den Fall einer ansteckenden Viruserkrankung, und seitdem schlachten, wie üblich, die rechtspopulistische Partei FPÖ sowie nutznießende lokale PolitikerInnen die Situation aus, um ihre Meinungen und Vorstellungen in der Öffentlichkeit kundzutun. Schnell wird die eigentliche Problematik, dass durch den aktuellen Flüchtlingsstrom innerhalb kurzer Zeit verhältnismäßig viele Asylsuchende in Österreich Schutz und Hilfe suchen, in den Hintergrund gedrängt. Denn die großen Mäuler der Populisten halten die öffentliche Diskussion in Schach. Die Aufmerksamkeit wird von den Bemühungen um konstruktive Problemlösung weggezogen, umgeleitet in einen politischen Schachzug.

Der Parteivorsitzende der FPÖ, Heinz Christian Strache, kündigt für den Abend des 13. Novembers eine Protestkundgebung am Hauptplatz von Traiskirchen an. Die Sozialistische Jugend und Netzwerke gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit kündigen eine Gegendemonstration an. Um 18:30 Uhr erschallen am Hauptplatz, der etwa einen Kilometer vom Erstaufnahmezentrum Traiskirchen entfernt liegt, die Reden der freiheitlichen Politiker und die Proteste der Gegenveranstaltung. Zu diesem Zeitpunkt beginnt zwischen Hauptplatz und Erstaufnahmezentrum die Akteurin Elisabeth Lacher, ihren Beitrag auf den Gehsteig in der Johann-Foissner-Straße zu schreiben.

Zur Vorbereitung ist Elisabeth Lacher am Nachmittag nach Traiskirchen gefahren und zwischen Erstaufnahmezentrum und Hauptplatz hin- und zurückspaziert. Sie fühlte eine Betroffenheit während des Gehens. Sie war betroffen von den Kameras entlang der Zäune an jeder Ecke, von der Schleuse beim Eingang des Zentrums, bei der sich die Asylsuchenden an- und abmelden müssen. Sie hat sich überlegt, wie es ihr ergehen würde, wäre sie auf diesen Ort angewiesen. Sie hat nachgedacht, ob sich diese Frage PolitikerInnen und Bevölkerung wohl auch manchmal stellen. Ob diese dann auch die Betroffenheit spüren? Ob sie auch einen Schmerz spüren, wie ihn Elisabeth Lacher an diesem Tag spürte, als sie über die Situation nachdachte und durch Traiskirchen spazierte?

Und sie beginnt nachzudenken. Denkt an die Menschen, die hinter dem Zaun leben. Denkt darüber nach, was sie über Flucht und Migration bereits gelesen und erfahren hatte. Erinnert sich an ihre Reise nach Westafrika vor 10 Jahren. Denkt daran, was ihr die WestafrikanerInnen damals von Migration nach Europa erzählt hatten. Welche Möglichkeiten es in Europa für AfrikanerInnen gäbe. Welches gute Leben in Europa möglich sei. Sie denkt daran, wie ihr Postkarten gezeigt wurden von Verwandten und Bekannten, die auf unterschiedlichen Wegen nach Europa emigriert sind. Stolz zeigten diese ihr die Postkarten, erzählten vom guten Leben, das die Fortgegangenen in Europa haben. „Er hat es geschafft“, sagt eine stolze nigerianische Mutter über ihren ältesten Sohn, der mit 19 Jahren aus der Armut einer Lehmhütte ohne fließendes Wasser im Umkreis von fünf Kilometern, nach Europa geflüchtet ist. Regelmäßig berichtet er von einer guten Arbeit, von einer schönen Wohnung und schickt der Mutter Geld für die jüngeren Geschwister. Auch diese träumen davon, ein gutes Leben in Wohlstand in Europa zu haben, wenn sie alt genug sind um auszuwandern.

Damals spürte Elisabeth Lacher dieselbe Betroffenheit wie an diesem Tag der FPÖ-Kundgebung in Traiskirchen. In den Briefen und Berichten an die in der Heimat Gebliebenen war kein Wort zu lesen über die Mühen, eine Arbeit zu finden. Über die Mühen des Alltags. Über das, was es noch heißt, in Europa zu leben. Kein Wort über Einsamkeit, Ausgeschlossen Sein, Angst, Fremde, Heimweh. Wahrscheinlich wollten sich die Gegangenen diese Blöße nicht geben, denkt Elisabeth Lacher. „Ich würde das bei meiner Mutter wahrscheinlich genauso machen“, gesteht sie sich ein. Oder die Flucht aus Armut und Bedrohung lässt Europa wirklich als Schlaraffenland erscheinen. Elisabeth Lacher konnte sich diese Frage nicht beantworten.
Während sie durch Traiskirchen spazierte dachte sie auch daran, wie es sein muss, nicht mal die Wahl zu haben ob man migriert oder nicht, weil man flüchten muss. Wie es sein muss, diese Entscheidung gar nicht treffen zu können. Weil man fort muss um Leib und Leben zu wahren.
Elisabeth Lacher wollte weg. Sie wollte eigentlich nicht hier sein. An diesem Nachmittag in Traiskirchen, vier Stunden bevor die Dummheit am Hauptplatz durchs Mikrofon erschallt und den akustischen Raum der Öffentlichkeit verschmutzt. Aber sie blieb, sie musste etwas entgegensetzen. Sie konnte es anders nicht ertragen.

„Wenn die ganze Welt lügt, wohin flüchte ich? If the whole world is a liar, where do I seek Asylum?“

Um 18:30 Uhr geht sie zu einem ausgewählten Gehsteig zwischen Hauptplatz und Asylzentrum und schreibt ihre Frage in deutscher und englischer Sprache zwei Stunden lang als Endlosschleife auf den Boden. Zu Beginn sind kaum PassantInnen unterwegs. Während des Schreibens spürt sie die wenigen Vorbeigehenden. Sie spürt die Irritation, die sie auslöst. Die meisten weichen umgehend aus. Sobald der erste Satz geschrieben ist, versuchen einige der Leute, mit der Schreiberin ins Gespräch zu kommen. Doch diese überhört das Gesagte und schreibt unbeirrt weiter. Neben der Irritation, die sie auslöst und wahrnimmt, kommen nun auch Rückmeldungen hinzu. Oft hört sie zustimmende Worte wie „Schön“ von den PassantInnen. „Toll, was Sie hier machen“. Manche Personen regen sich auf: „Was macht denn die für einen Blödsinn da?“ „Ist dir fad?“ „Hat wohl nix zu arbeiten“.

Da von Seiten der Schreibenden keine Reaktion kommt, gehen diese PassantInnen dann doch relativ schnell weiter. Es dürfte ihnen langweilig sein, sich über etwas aufzuregen, wenn sie dabei ignoriert werden.

Nach etwa eineinhalb Stunden sind die Reden am Hauptplatz vorbei. Nun kommen viele Personen an der am Gehsteig knienden Schreiberin vorbei. Der Satz ist nun schon einige Male wiederholt und wächst als Zierleiste am Gehsteig entlang. Die Akteurin wird von den vorbeikommenden FPÖ-SympathisantInnen heftig beschimpft. „Du grüne Umweltverschmutzerin!“ „Scheiß Alternative!“ „Depperte Künstler!“ Sie hört diese Beschimpfungen und spürt die aufgeheizte Stimmung nach der Rede der Populistenmäuler. Meist kommen die Schimpfenden in Gruppen vorbei, einer beginnt sie anzumaulen, manchmal steigen die anderen mit ein. Vom Trubel unbeirrt schreibt Elisabeth Lacher weiter. Die Schimpfenden müssen kurz ausweichen, schreien im Weitergehen noch ein paarmal zurück, sind aber schnell wieder weg. Hier gibt es für die Großmäuler nichts zu tun. Eine Frau zu beschimpfen, die am Boden kniet und wortlos ihre Gedanken niederschreibt, macht auf Dauer keinen Spaß.

So konnte die Gehsteigschrift in Ruhe fertiggestellt werden und zierte für einige Tage den Gehsteig in der Johann-Foissner-Straße in Traiskirchen. Bis der Regen kam und den Schriftzug wegschwemmte.

PROJEKTREIHE „GEHSTEIGSCHRIFTEN“, Schreibperformances
Das Projekt „Gehsteigschriften“ ist ein von der Akteurin Elisabeth Lacher selbstinitiiertes Performanceprojekt im öffentlichen Raum. Elisabeth Lacher wählt hierfür Orte aus, die entweder temporär oder permanent Schauplatz des öffentlichen Interesses sind. Sie nutzt dort stattfindende politische Veranstaltungen, Demonstrationen oder Kundgebungen, um ihre Ansichten zur Thematik am Gehsteig sichtbar zu machen.

PERSÖNLICHE ZIELSETZUNG DER AKTEURIN:
Kunst hat die Möglichkeit, bei Menschen eine andere Resonanz zu erzeugen, als sie das alltägliche Leben normalerweise bietet. Das ist für die Akteurin ein wesentlicher Bestandteil der Performance. Sie will vorbeikommenden Personen eine alternative Sichtweise zur Verfügung stellen, als Angebot zur persönlichen Reflexion.
Durch die Gehsteigschriften wird sichtbar, dass es neben der üblich geführten öffentlichen Diskussionen und medialen Berichterstattungen noch viele andere, der eigenen Persönlichkeit angepasste Möglichkeiten gibt, öffentlich Stellung zu nehmen. Für Elisabeth Lacher selbst ist sind die Schreibperformances auch ein Sensor. Durch die Geschehnisse während der Performance lässt sich unmittelbar erkennen, inwiefern es an einem öffentlichen Ort möglich ist, temporär die eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen.

PROJEKTKONZEPTION UND REALISIERUNG: ELISABETH LACHER

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Wir bremsen nicht für Babys, nicht?

 

Mit dem Baby Success Club hat eine Handvoll Linzer Eltern begonnen, Fragen nach Kunst, Leben und Produktion neu zu mixen. Oder: Betreuungs-Selbsthilfezweck und künstlerischer Sinn.
Der Baby Success Club präsentierte schon zu Sommerbeginn mit der Ausstellung „Wir bremsen nicht für Babys“ die künstlerischen Werke seiner Mitglieder zum Thema Elternschaft – „als Ergebnis eines durch das Mitbetreuungs-Rotationsprinzip des Clubs erfolgreich weitergeführten Schaffensprozesses“. Soll heißen: Ab Anfang 2014 übernahmen die selbstorganisierten Club-Eltern jeweils Betreuungszeiten für ein Grüppchen Kinder, die freigestellten Eltern konnten in Zeitfenstern von mehreren Stunden pro Woche der Kunst nachgehen. Dass Kunst und Kind sich immer noch ein wenig spießen, mag einerseits einer eindimensionalen Vorstellungswelt des produktiven Seins  geschuldet sein.  Vielleicht ist es für Künstlerinnen und Künstler sogar besonders irritierend, das erwartete Kaminfeuer der familiären Gefühle zu entfachen, während der tatsächlich existenzielle Vorgang der Geburt arbeitstechnisch kalt lassen sollte: Vor allem künstlerisch arbeitende Mütter stehen (und standen immer schon) unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie nicht ohne Bruch im produktiven Getriebe der Kunst bleiben – vor allem, um nicht gnadenlos aus dem System Kunst hinauszufallen. Kommen dann noch andere „Kleinigkeiten“ dazu, dass laut Terri Frühling, eine der Baby-Sucess-Clubmütter, Kinderbetreuung in regulären Krabbelstuben daran scheitert, dass Mütter ein Anstellungsverhältnis nachweisen müssen – was für freie Kunstschaffende einigermaßen schwierig sein dürfte. So gesehen sei laut Frühling „Betreuung fast wichtiger als die Ausstellung“.  Wenngleich ganz bewusst die durch die Elternschaft veränderten Umstände künstlerisch ins Visier genommen wurden. Elke Punkt Fleisch, ebenfalls Ausstellende, fasst diese Auseinandersetzung als „wichtige künstlerische  Beschäftigung mit aktuellen persönlichen Ereignissen“ zusammen.

Ein Auszug der im Salzamt gezeigten Werke: Elke Punkt Fleisch hat ihre Technik der „Abformungen“ auf Körperabformungen zwischen Mutter und Kind ausgeweitet. Zwischen weich und hart entstehen  bei den Objekten „Stillereien“ sehr materielle Abdrucke von Beziehung und körperlicher Funktion. Wenn man so will, entfaltet sich zwischen den weichen Berührungen von Mutter und Kind, sozusagen innerhalb von Liebe und Sorge, die einfordernde Geometrie der Bedürfnisse. Terri Frühling rechnet in ihrem kleinteiligen Tafelbild „Ankunft“ sowohl mit dem Krankenhaus ab, sowie mit ihrer eigenen Unwissenheit darüber, „was da kommt“. Wahrscheinlich könne zwar „niemand darüber wirklich vorbereiten“, aber besonders wenig tun das die tausend medialen Bilder der fröhlichen Ankunft. Ganz im Gegenteil, grausig und real  habe sich ihr bei jedem Aufblicken während der Geburt ein anderes Schreckensbild der Normalität präsentiert, Babypech, Schleim, Schmerzen, Blut, nach Rauch stinkende Ärzte, Peinlichkeiten im doppelten Wortsinn, vorher, nachher und mittendrin. Geburt also  als Trauma, das es zu bewältigen gilt – gegen die Schönfärberei der Ereignisse, gegen die fälschlich kolportierte Tatsache, dass Leben harmlos und zu jeder Zeit in geregelten Bahnen abläuft. Dass Eltern durchaus zu einer gefährdeten Spezies mutieren, lässt sich vielleicht auch mit einer Arbeit von Rebecca Paterno erahnen. Das Objekt „doppelbett“, ein Doppelbett als Gitterbett, ist mit dem Ausstellungstext gesprochen, „der Ambivalenz der Gefühle zwischen Freud und Leid, Freiheit und Abhängigkeit, Hoffnung und Sorge, Geborgenheit und Einsamkeit gewidmet“.  Die Verfangenheit in dieser wachschlafenen Ambivalenz ist eine Möglichkeit der Betrachtung.  Die andere, eventuell etwas subjektivere Interpretation, vor allem in der Zusammenschau der ebenso kinderleichtfüßig wie abgründig daherkommenden Ausstellung, ist die etwas hintersinnige Umkehrung, die Kinder als kleine Wesen erahnen lässt, die rücksichtslos expandieren und wachsen, aus ebendiesen Bedürfnissen einfordern, und die eventuell, wenn sie könnten wie sie wollten, ihre Eltern auch mal  ins Gitterbett stecken würden. Also, die unheimliche Erkenntnis, dass Babys sowieso nicht für ihre Eltern bremsen: Der Mensch fordert ein, das Kleinste ist seinem Wesen nach anarchistisch, der erwachsene Mensch erlebt sich dysfunktional, alle sind in ihren mehr oder weniger lustvollen Bedürfnissen gefangen.
Am Ende noch die aktuellen Bezüge: Rebecca Paternos Doppelbett wandert in die Lentos-Ausstellung „Rabenmütter“, die im Oktober eröffnet. Das Salzamt startet, so der Leiter des Atelierhauses Holger Jagersberger, eine längerfristig mitzudenkende Auseinandersetzung über die „zeitlichen Rändern des Lebens“. Der Baby Success Club selbst setzt seine Aktivitäten fort. Diesbezüglich last but not least: In diesem Heft gibt es eine Seite, die von Terri Frühling und Elke Punkt Fleisch gestaltet wurde.

Alle Teilnehmenden und Infos: www.babysuccess.club