Damit der Faden nicht reißt …

Feministische Wegbereiterinnen werden von Autorinnen jüngerer Generationen portraitiert. Was sie zugleich verbindet und trennt: ihr Alter, ihre Blickwinkel, ihre Erfahrungen, ihr Feminismus. Über das Buch Kämpferinnen und seinen lebensgeschichtlich orientierten Zugang schreibt Tanja Brandmayr.

 

„Die Texte sind hochpolitisch, überraschend, nachdenklich und poetisch. Ihre Überzeugung: Es muss weitergehen!“ ist auf der Rückseite des Buches zu lesen und man möchte dem uneingeschränkt zustimmen. Was die Zugänge selbstverständlich eint, lässt sich auf den ersten Blick mit den auf den Buchdeckeln ersichtlichen Ansagen „Fight Patriarchy“ (vorne) und „Smash Sexism“ (hinten) zusammenfassen. Dies veranschaulicht die ebenso kräftige wie fragile Geschichte in einem Kampf, der weitergeführt werden muss. Und ein kleines Detail zur Gestaltung: Neben dem Buchtitel „Kämpferinnen“ und den drei Herausgeberinnen-Namen Birgit Buchinger, Renate Böhm und Ela Großmann, sind die zwölf interviewten Wegbereiterinnen und zehn portraitierenden Autorinnen der jüngeren Generation gemeinsam und ununterschieden am Buchdeckel genannt – was man, über das vermeintlich Trennende der Generationen und Feminismen wohl als Zeichen für die Notwendigkeit von immer wieder neu zu bildenden Kollektiven für die übergeordnete Sache lesen kann. In diesem Sinn wären das hier: Marlies Hesse, Helma Sick, Sissi Banos, Christina Thürmer-Rohr, Mira Turber, Frigga Haug, pimp ois, Erica Fischer, Katherina Braschel, Christina von Braun, Gabi Reinstadler, Susanne Feigl, Elisabeth Stiefel, Theresa Lechner, Maria Mies, Nicole Schaffer, Irene Stoehr, Katharina Krawagna-Pfeifer, Ute Remus, Maria-Amancay Jenny, Heide Göttner-Abendroth und Gudrun Seidenauer.

Bei den Kämpferinnen handelt es sich um zwölf Frauen und um lebensgeschichtlich orientierte Interviews/Gespräche, die zuerst vorwiegend von den Herausgeberinnen mit den feministischen Wegbereiterinnen geführt wurden. Diese kommen größtenteils aus dem deutschsprachigen Raum, aus unterschiedlichen aktivistischen, politischen, kulturellen, ökonomischen etc. Feldern und sind – als eine der wenigen wirklichen gemeinsamen Vorgaben – spätestens 1945 geboren. Dieses Material wurde, um die Texte zu verfassen, an Feministinnen der jüngeren Generation weitergegeben. Was wiederum zu einer Vergrößerung und Vermehrung von Beschäftigung führte, alles in allem zu einem fruchtbaren Prozess. Dazu ist seitens der Herausgeberinnen im O-Ton zu lesen: „Der ursprüngliche Plan für dieses Buch war, die Porträts selbst zu verfassen. Verschiedene Hürden auf diesem Weg mündeten schließlich in das Vorhaben, den Stab bereits im Tun weiterzureichen. So wurde aus einem Solo ein kollektiver Produktionsprozess, was unserem feministischen Bewusstsein umfänglich entspricht. Indem sich jetzt junge und jüngere Frauen mit diesen Geschichten auseinandersetzen, passiert ein Transferprozess. Um den Faden nicht reißen zu lassen.“

Dieser Transferprozess gelingt insofern auf besondere Weise, als dass die lebensgeschichtlich orientierte Auseinandersetzung sich neben dem feministischen Kampf auch immer auf ein Eintauchen in die fremde und eigene Biographie stützt („Bei diesen Überlegungen tauchte ich in meine eigene Biographie“). Dieses Eintauchen findet diejenigen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede vor, die sich nicht nur durch andere Arbeitsfelder und Haltungen auszeichnen, sondern sich auf grundlegende Weise durch die Gesamtheit von Schicht, Hintergrund, Status, Milieu, Zeit, Zeitgeist unterscheidet und speist – was bis heute im Diskurs zu einer Erweiterung des feministischen Bewusstseins, als auch zumindest teilweise zu heftigen Kämpfen führt. Gerade in der Offenlegung dieser lebensgeschichtlichen Unterschiede lässt sich aber die Gesamtheit von höchst kollektiven, wie individuellen Vorgaben kennzeichnen, die die feministischen Leben zwischen Persönlichem, Privatem und Politischem prägen. Manche Frau wurde im Selbstverständnis der 1950er und ff-Jahre etwa rundum derartig runtergemacht, dass man schreien möchte. In einem anderen Text findet man wiederum die (zumindest, was die Schule betrifft) tröstliche Zeile: „Entgegen eines oft bemühten Klischees der 1950er Jahre ist das Klima an ihrer Schule eher liberal. So ist es selbstverständlich, dass alle Mädchen studieren, ihr eigenes Geld verdienen wollen und darin, sowie in ihren Anstrengungen, die klaustrophobischen Verhältnisse zu verlassen, von ihren Lehrer:innen unterstützt werden“. Also zumindest punktuell Unterstützung gegen die gesellschaftliche Enge, die Frauen systematisch von eigenständigen Entscheidungen fernzuhalten verstand. An diversen Stellen finden sich Verweise auf NS-Erfahrung, familiäre Verstrickungen und die autoritären gesellschaftlichen Strukturen gesamt.

Christina von Braun etwa, 1944 geborene Kulturtheoretikerin, Autorin und Filmemacherin, hat gegen diese Verstrickungen von vielen Seiten angearbeitet: Deren Portraitistin Mira Turba beschreibt zum Beispiel ihren Ansatz, sich zur eigenen Kultur in Distanz zu setzen, um im kulturellen Vergleich zu sehen, woraus die eigene Kultur besteht. Wichtige Faktoren in Brauns Verständnis sind die Psychoanalyse als größerer kultureller Schlüssel oder eine Natura als kulturelle Konstruktion („Man hält das für Natur“). Es geht im Text um Christina von Brauns Nähe zu Frankreich, die Liberation von 1968, die Sehnsucht nach dieser Situation („Denn bald ist von der revolutionären Situation des Vorjahres in der Stadt nur noch die veränderte Wahrnehmung von Hierarchien, Denkweisen, dem Verhältnis zwischen den Geschlechtern und eine fortdauernde latente Sehnsucht nach dieser Situation zu spüren“). Braun wird in Frankreich Zeugin einer frühen Aufarbeitung der französischen Kollaboration mit den Nazis. Ihr Streben nach Aufklärung, Wahrheit, die Thematisierung von Unterdrückung führt zu einem umfangreichen Werk von Büchern und Filmen, die sich auch mit historischen (NS-)Aufarbeitungen oder mit der Konstruktion von (Frauen-)Rollen auseinandersetzen, auch im eigenen familiären Zusammenhang (das Buch „Stille Post“, über: „die Botschaften und Erbschaften ihrer Familie, mit der Mutter als Mittlerin“). Sie benannte als biographischen Einschnitt ein „Erkennen des Nicht-Ich“ oder musste sich mit den Widersprüchen ihrer eigenen Rolle als Ehefrau beschäftigen. So hatte sie zwar das Privileg, Bücher und Filme machen zu können. Aber als sie, wie in Frankreich gängig, eine Kinderfrau engagierte, um arbeiten zu können, führte das in Deutschland zu heftigen Anfeindungen. Später wurde sie zu einer Quereinsteigerin im akademischen Betrieb, wo sie die Gender Studies mit aufbaute.

Selbstverständlich beleuchten einige Texte im Buch auf starkem feministischem Fundament die ökonomischen Zusammenhänge als Generalschlüssel für Unterdrückung, etwa die Analyse über die Alleinrelevanz des „ökonomischen Mannes“ und das Paradigma, auf dem die kapitalistische Maschine beruht: Diese ökonomische Perspektive findet sich unter anderem bei Elisabeth Stiefel (Text: Birgit Buchinger und Ela Großmann). Insgesamt belegen gut geschriebene Texte und zahlreiche Aha-Erlebnisse die allumfassende Tragweite von Ökonomie und Geschichte. Und das facettenreich: Mit ihrem Porträt über Irene Stoehr streift Autorin Maria-Amancay Jenny ein Phänomen, das heute in freier Wildbahn nicht mehr ganz so häufig anzutreffen ist, nämlich das der „Hausfrau“: An der Debatte „Lohn für Hausarbeit“ entsponnen sich in den 1970ern vehement ausgetragene Haltungskonflikte zwischen den feministischen Lagern. Und Irene Stoehr besticht in ihrem feministischen Ansatz durch Komplexität, Genauigkeit und einer gewissen Liebe zum gewitzten Widerspruch. „Gerade wir Feministinnen gingen doch davon aus, dass die Frauen ‚seit ewigen Zeiten‘ unterdrückt wurden und die meisten Frauen ‚schon immer‘ Hausfrauen gewesen seien. Stattdessen erfuhr man: Das ist ziemlich neu. Der private Haushalt und mit ihm die Hausfrauenrolle kamen erst mit der Industrialisierung (…)“. Dieser Zusammenhang zwischen Kapitalismus und unbezahlter Arbeit der Frauen im geschichtlich-ideologischen Kontext der Industrialisierung faszinierte Stoehr: Dementsprechend war nicht der Lohnarbeiter die wichtigste Säule im Kapitalismus, sondern die Hausfrau. („Das gefiel mir besonders, weil es eine marxistische Kritik am Marxismus war“). Selbstredend ist dies nur eine unter mehreren Thematiken bei Stoehr, die später unter anderem die Frauenzeitschrift UNTERSCHIEDE mit herausgegeben hatte. Besonders mit dem Untertitel sollte eine breite Leserinnenschaft angesprochen werden: „Auf diesen Untertitel waren wir ein bisschen stolz (…): ‚Für Lehrerinnen und Gelehrte, Mütter und Töchter, Gleich- und Weichenstellerinnen; Freundinnen, Tanten und Gouvernanten aller Art‘“. Und mit der großen Bedeutung, die dieses Projekt UNTERSCHIEDE für sie hatte, geht auch hier ein Sinn für denjenigen Widerspruch einher, in dem man selber lebt: „Die wenig spezialisierte gemeinsame Arbeit an der Herstellung und Gestaltung eines originellen ‚Produktes‘ gehört zu meinen besten Erfahrungen feministischer Berufsarbeit, was sie natürlich – weil unbezahlt und nebenbei – gar nicht war.“ An vielen Stellen im Buch gibt es neben theoretischen und zeitgeschichtlichen Raffinessen (z. B. bei Stoehr auch die Debatte um einen abzulehnenden „Staatsfeminismus“) auch Verweise auf Kontinuitäten in ein Jetzt, etwa wenn Stoehr auf die Weiterentwicklung des Themas der Hausarbeit und der damals so genannten „reproduktiven Arbeit“ in Richtung heutiger Care-Arbeit verweist. Oder wenn sich Elisabeth Stiefels Forderung nach „lebensdienlichem Wirtschaften“ und die von ihr heftig kritisierte „Dominanz der Produktion“ in heutiger Anwendung durchaus als Vollversagen des Kapitalismus in Richtung Umwelt und Ökologie lesen lässt.

Hier können nur wenige Aspekte von Kämpferinnen angesprochen werden. Insgesamt bedeutet ein Eintauchen in feministische Grundlagen und Biographien der heute mindestens 77-jährigen Feministinnen auch, diejenigen Komplexitäten und Widersprüche zu streifen, die sich in einem Leben schlichtweg zusammenmischen. Manches Mal konnten sie überwunden oder bewältigt werden, ein anderes Mal mussten sie auch nur ausgehalten werden – und das ist widerständig gemeint: „Der Kampf um die eigene Selbständigkeit, die Existenz ist für viele raumgreifend und belohnt sie oft erst in späten Jahren damit, endlich tun zu können, worauf sie sich immer schon vorbereitet haben“, so die Herausgeberinnen. Über Gedanken der Macherinnen des Buches gibt das Schlusskapitel „Schön und bitter“ Auskunft. Es beginnt mit der kritischen Reflexion des biografischen Selbstes sowie mit Vermerken, dass, sinngemäß zitiert, „keine der Portraitierten zuerst aus ihrem Leben erzählte“. Es zollt der gemeinsamen Sache, den Portraitierten und ihrem Lebensweg Anerkennung. Es bietet Einblicke in das Making-of des Buches und bündelt Eindrücke, die man während des Lesens selbst recht farbenreich gewinnen konnte: Etwa, dass es innerhalb der feministischen Strömungen und auch zwischen den Aktivistinnen schon immer große Unterstützung, aber auch Gefechte gab (wenig überraschend). Es stellt die feministischen Wellen punktuell in Relation, benennt Hauptlinien und bemerkt bei den Feministinnen der älteren Generation, beispielhaft genannt, stärkere Reibungsflächen mit den Müttern, oder auch die relative Absenz bei den Gesprächspartnerinnen hinsichtlich des Themas Sexualität, zweifelsohne Unterschiede zu einem heutigen Feminismus. Außerdem stellen die Herausgeberinnen neben der vorgestellten Vielheit die „selbstkritische Frage nach (fehlender) Diversität und Intersektionalität“. Dennoch formuliert das Buch Grundlagen, auf denen sich in viele Richtungen weiterargumentieren lässt. Es zeugt von beeindruckender Kraft und Klarheit, die sich in den Texttiteln und Zwischenüberschriften spiegelt („Die Würde und das Geld“, „Auf der Suche nach dem guten Leben“, „Kein Ort, nirgends“, „Nein“, …) Damit kommen wir zum Anfang und Klappentext zurück: Yes, indeed, hochpolitisch, überraschend, nachdenklich und poetisch. Absolut gelungen, auch im Sinne einer Leser:innenschaft, die ihrerseits in ihre eigene Biographie einzutauchen vermag. Und hinter all dem feministischen Kampf, der wegen diverser Umstände auch heute gerne ins Abgekämpfte driftet, was auch ok ist, strahlt Kämpferinnen Ruhe, Stärke und Selbstsicherheit aus.

 

Birgit Buchinger, Renate Böhm, Ela Großmann (Hg.)
Kämpferinnen
Mandelbaum Verlag, 2021

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