Das Schlafen und die prekäre Realität
Schlafen. Chillen. Herumlungern. Herumkauern. Umadumkugeln. Dösen. Faulenzen. Prokrastinieren. Vegetieren. Schmarotzen. Obezahren … Anlässlich der Aktion Nullstellung schreibt Galina Baeva – eine ursubjektive Annäherung an das Thema Schlafen als Protest.
NULLSTELLUNG
Während der covidbedingten Lockdowns kam das gesellschaftliche und kulturelle Leben zum Erliegen, gleichzeitig wurde die Rolle von Kunst und Kultur in der heutigen Gesellschaft neu diskutiert. Die prekären Beschäftigungsverhältnisse und unsicheren Bedingungen, in denen Künstler*innen und Kulturtätige arbeiten und leben, wurden in den Fokus gerückt.
Im Juni 2022 wurde im Rahmen der TKI open 22_liegen die Idee des Schlafes als Protest und Widerstand als Performance mit 20 Tiroler Kunst- und Kulturakteur*innen in Innsbruck durchgeführt. Die Dokumentation der Aktion bildet die Grundlage einer Ausstellung, die im Dezember 2022 im Innsbrucker Reich für die Insel stattfindet. Diese untersucht den Stellenwert künstlerischer und kultureller Praxis im Kontext einer leistungsorientierten Gesellschaft – ihre Ausgangspunkte, ihre Motivationen und ihre Sackgassen.
Initiatorinnen von Nullstellung sind die linz-basiert arbeitenden Künstlerinnen Katharina Brandl, Violeta Ivanova, Angelika Windegger, Karla Woess.
NULLSTELLUNG
Eröffnung: Fr 2. Dezember, 19:00 h
Ausstellung: 3.–14. Dezember 2022
Raum Reich für die Insel, Innsbruck
Schlafen.
Liegende Menschen im öffentlichen Raum konnte mensch im Juni 2022 im Bereich des Tiroler Landesmuseums in Innsbruck beobachten. „Was machen die da?“, war sicher eine Frage, die bei Passant*innen auftauchte. Oft war die erste Reaktion sich zu fragen, ob es ihnen gut geht, ob sie ohnmächtig geworden sind. Vielleicht wurde es gleich als Aktion verstanden, vielleicht auch nicht. Bei denjenigen, die es als Aktion, als Performance wahrgenommen haben, wurden Fragen aufgeworfen, die sich im besten Fall selbst beantwortet haben. Bei manchen könnte es Lesarten verursacht haben, wie: „Eh klar! Da liegen sie wieder. Nichtstuer“. Doch sobald die verteilt auf dem Areal liegenden Menschen in ihrer Gesamtheit gesehen wurden, konnte das Rätsel entziffert werden.
Dass so ein simpler Akt wie das Schlafen – höchst intim, aber explizit und radikal in die Öffentlichkeit getragen – eine Spanne von Deutungen aufmacht, von „Nichtstuer“ bis hin zur Protestform, finde ich spannend. Wollten die Künstler*innen des Projektes Nullstellung – Katharina Brandl, Violeta Ivanova, Angelika Windegger, Karla Woess – dieses Spannungsfeld zwischen Protest und Nichtstuer bewusst öffnen? Haben sie die Verbindung zwischen Protest und Faulheit in Kauf genommen, wollten sie sogar explizit provozieren?
Der Akt des Schlafens – sei es performativer Akt oder bloße Notwendigkeit – ist ein essenzieller Teil von sozialen Bewegungen und Widerstandsmomenten. Seit eh und je. Schon in den Protesten gegen den Vietnamkrieg verwendeten die Protestierenden den Akt des Schlafens, um Raum einzunehmen, um ihrer Unerschütterlichkeit Ausdruck zu verleihen. Das Schlafen in der Öffentlichkeit, wie bei Occupy Wall Street in New York oder beim Refugees Protest in der Wiener Votivkirche, prägte sich in unseren Köpfen als Akt von Mut und Unerschrockenheit ein: Auch Protestierende müssen irgendwann real schlafen. Zwei menschliche Bedürfnisse, Schlafen und Essen beziehungsweise Nicht-Schlafen und Nicht-Essen, sind die ultimativen Formen des Protests für Menschen in Not. Ausgetragen in der Öffentlichkeit bekommen sie die besondere Bedeutung des zivilen Ungehorsams. Schlafen wird als Recht und nicht als Privileg deklariert.
Eine neue Note bekam das Schlafen mit der Black Lives Matter-Bewegung in den USA. Es wurde dort bewusst als Protestaktion eingesetzt und sollte auf das „Verschlafen“ und Ignorieren von Rassismus in der weißen amerikanischen Gesellschaft und Elite hinweisen. „To be asleep“ im Gegensatz zu „woke“ widerspiegelt das bewusste „Nicht-sehen-Wollen“ von Missständen, struktureller Gewalt und Polizeigewalt, der Schwarze und People of Color in den USA ausgeliefert sind. „To be woke“ bedeutet demgegenüber aufgerüttelt zu sein und ist ein Akt des Augenöffnens gegenüber den Lebensrealitäten minorisierter Bevölkerungsgruppen, ein Akt, der eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien erfordert.
Damit zurück zur eingangs erwähnten Aktion in Innsbruck, zum Projekt Nullstellung: laut Beschreibung wollten die Teilnehmer*innen und Künstler*innen ein Zeichen gegen den beschleunigten Alltag setzten und das Schlafen als essenziellen Teil des Schaffensprozesses, des Denkens und des Künstler*innen-Seins postulieren: Das Pennen als Urform kreativer Prozesse und Praxis! Bei der Vorstellung der liegenden Menschen, in ihrer Gesamtheit, denke ich jedoch an ein Sich-Weigern, an ein Sich-Entziehen einer notorischen Dynamik eines Immer-Tuns und Immer-mehr-Tuns. An die Aktion denkend, taucht in meinem Kopf außerdem das Bild der leeren Straßen während der Lockdowns der letzten zwei Jahren auf und das plötzliche Erkennen, was und wieviel mir kulturelle Teilhabe und Teilnahme bedeutet. All das, was da nicht möglich war und wie ich es vermisste. Ich denke an die erzwungenen Schlaf-Orgien während der Lockdowns und die Sehnsucht einzuschlafen und dann aufzuwachen, wenn alles vorbei ist und die Welt wieder in Ordnung ist. Die Welt wieder in Ordnung … so was! Denkend an die Aktion, tauchen außerdem die Fragen auf: Was passiert, wenn die Kunst nicht mehr da ist? Was passiert, wenn es keine Künstler*innen mehr gibt? Was passiert, wenn ich mir Kunst nicht mehr leisten kann? Wer zahlt die Künstler*innen, wenn ich mir Kunst nicht mehr leisten kann? Wessen Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ich mir Kunst leisten kann? Wessen Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Künstler*innen Kunst schaffen können?
Es gibt nur eine Antwort: Es ist die Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Künstler*innen Kunst machen und dafür gerecht entlohnt werden. Es ist seine Aufgabe, die Rahmenbedingungen bereitzustellen, auf dass ich mir Kunst leisten kann und gerecht für kulturelle Teilhabe und Teilnahme bezahlen kann. Der österreichische Staat anerkannte diese Aufgabe mit der Ratifizierung der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von der UNESCO im Jahr 2006: § IV Rechte und Pflichten der Vertragsparteien1. Und mit dem Regierungsprogramm 2020-2024 hat sich Österreich verpflichtet, der Konvention Folge zu leisten.
Verschlafen oder how to stay asleep
Die IG Kultur Österreich startete die Kampagne Fair Pay vor 10 Jahren. Über jahrelang andauernde Kommunikation und auf Druck seitens der Interessensvertretungen aus dem Kultursektor, wurde der Punkt in das Regierungsprogramm 2020–2024 aufgenommen. Somit verpflichtete sich der Bund eine Fair-Pay-Strategie zu entwickeln und diese gemeinsam mit den Gebietskörperschaften zu verankern. So weit so gut. Der Bund war der erste, der Fair-Pay-Schemata als Vorgabe für Förderungsbewilligungen aufgenommen hat. Salzburg, Graz und Wien zogen nach. Tatsache ist aber, dass Kulturförderungen sich aus verschiedenen Fördertöpfen speisen und solange es keine einheitliche Regelung in Bezug auf Fair Pay im Kultursektor zwischen allen Fördergeber*innen gibt, ist es nicht möglich, tatsächlich und konsequent Fair Pay für Angestellte und Honorare für Künstler*innen zu zahlen. Eine vor kurzem veröffentlichte Blitzumfrage der IG Kultur Wien verdeutlicht das Problem: Die unterschiedlichen Förderrichtlinien und Handhabung im Versuch, Fair Pay umzusetzen, machen aus dem undurchdringlichen österreichischen Förderwesen einfach ein Balagan. Die Forderung nach einer Reform des Förderwesens und nach Vereinheitlichung der Richtlinien der Gebietskörperschaften ist seit langer Zeit ein Thema. Und seit langer Zeit wird das Thema verschlafen. Immerhin gibt es einen Fair-Pay-Reader des Kulturrats, der eine ideale Welt der Kunst imaginiert: mit 38,5 Wochenstunden Arbeit, Gehaltsschemata und Honorarsätze, die einen wirklich aus dem Schlaf reißen. Tatsache ist jedoch: nach 10 Jahren Lobby-Arbeit und etlichen Kampagnen schlafen wir immer noch und verschlafen den historischen Moment, endlich die Kulturarbeit als Arbeit anzuerkennen. Es hilft weder die Verpflichtung zur Konvention, noch das Regierungsprogramm, noch der Druck der Interessensvertretungen. The Artist is a Tramp! Der Akt des Schlafens in der Kulturpolitik Österreichs bedeutet ein systematisches Ignorieren der Lebensrealitäten Hunderter und Tausender von Künstler*innen, Veranstalter*innen, Kulturvermittler*innen etc., die von ihrer Kunst- und Kulturpraxis alleine nicht leben können und gezwungen sind, woanders für ihre Rechnungen Geld zu verdienen. Und damit nicht genug! Selten bekommen sie Honorar für die Teilnahme an einer Ausstellung und wenn doch, dann kommt das Angebot dafür, bezahlt zu werden, selten von größeren Institutionen. Diese bezahlen gerne mit sogenanntem symbolischen Kapital, von dem aber die Rechnungen zu Hause nicht gedeckt werden.
Ausschlafen
Ich will endlich ausschlafen. Ich will die Diskussionen zwischen Verwaltung und Politik, zwischen Kulturpolitik und wem sonst noch immer, ob das, was ich mache, Arbeit ist, verschlafen – und dann aufwachen, wenn diese endlosen Diskussionen nicht mehr nötig sind. Ich will meinen Kater, das Vorgaukeln einer Zukunft, die nur alleine von mir selber abhängig ist, ausschlafen. Ich will endlich nichts leisten müssen, damit ich mir Kunst leisten kann.
www.kultureninbewegung.org
www.unesco.at/en/culture/diversity-of-cultural-expressions/cooperation-and-networking
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