Das selbstoptimierte chi-mashie

Vom chinesischen Fluidum über amerikanische Kunststoffbehälter, weg von der Performance-Maschine hin zum humorig-kritischen Brei: Gerlinde Roidinger im Gespräch mit Julia Hartig und Teresa Fellinger über Entstehung, Arbeitsansätze und Entwicklung des Performance-Duos chi-mashie und das Durchhalten in den darstellenden Künsten.

The Go-Getter: Parties sind die Antwort. Foto Robert Puteanu

Als Performance-Duo chi-mashie agiert ihr beide – Julia Hartig und Teresa Fellinger – gemeinsam. Welche künstlerischen Inhalte stehen hinter dem Namen chi-mashie und wie ist dieser und eure Zusammenarbeit entstanden?
chi-mashie: Gemeinsam ergründen wir beide verschiedene Facetten des Lebens in einer patriarchal geprägten, vom Kapitalismus durchwachsenen Welt. Wir gehen auf unterschiedliche Orte ein und kreieren gemeinsam mit dem Publikum Situationen, die zwar oft einen Hang zum Absurden erkennen lassen, aber immer einen wahren Kern haben. Unsere Arbeit basiert auf umfangreichen Recherchen. Die Handlung unserer Stücke ergibt sich aus dem Collagieren von Fakten, die auf eindringliche, oft humorvolle Weise dargestellt werden.
Teresa Fellinger: So beschäftigen wir uns zum Beispiel mit der „Selbstoptimierungsindustrie“, der Lebensgeschichte der Erfinderin der Tupperware-Partys oder mit aktueller Arbeitsmarktpolitik.
Julia Hartig: Unsere Zusammenarbeit hat sich durch unsere damalige WG-Situation ergeben. Unser erstes Projekt haben wir in 1,5 Wochen auf die Beine gestellt und dabei haben wir einen anderen, leichteren Zugang, als wir ihn im Studium gelernt haben, für uns entdeckt. Außerdem haben wir gesehen, dass wir als Projektpartnerinnen total „matchen“. Davon wollten wir mehr.
Genau genommen ist unser Name durch den Tippfehler eines Veranstalters entstanden. Wir haben mit einer so genannten „chi-machine“ performed. Daraus wurde „chi-machie“ und wir haben dann noch „mashie“ daraus gemacht, abgeleitet von „mashed“ (Anm. Red., engl.: zerdrückt, zerstampft).
Die Begriffe „chi“ und „machine/mashie“ empfanden wir als krassen Gegensatz und genau darum geht es uns auch. Diese Mischung aus Komfort, Humor, „Wellness-Charakter“, Lebensenergie und Unbehagen, Repetition, Durchhalten, den Schein aufrechterhalten, letztendlich auch Zerstörung ist eine Strategie, die wir verfolgen.  

Welcher Kontext/welche Vorgeschichte hat euch zur Performance geführt und wie definiert ihr für euch den alles- und nichtssagenden Begriff Performance?
TF: Ursprünglich haben wir beide Bildende Kunst studiert. In der Klasse „Experimentelle Gestaltung“ lag der Schwerpunkt auf konzeptbasierter Arbeit. Das merkt man auch in unseren Stücken.
JH: Nach dem Studium habe ich eine Tanzausbildung absolviert und mich intensiv mit Choreografie und verschiedenen Performance- und Schauspiel-Methoden beschäftigt.
TF: Ich habe dann irgendwann begonnen, Installationen zu inszenieren, die das Publikum miteinbeziehen. Da habe ich entdeckt, welchen Reiz es für mich hat, nicht nur einfach jemandem etwas vorzusetzen, sondern eine gemeinsame Erfahrung zu schaffen.
Beide haben wir schon vor unserer Zusammenarbeit verschiedenste Felder des weiten „Genres“ Performance betreten. Für uns war es das direkte Feedback und die Kommunikation – ja, manchmal fast Komplizenschaft mit dem Publikum, die uns überzeugt hat; etwas, das wir in Ausstellungssituationen nicht oft erlebt haben.
JH: Performance ist einerseits ein sehr dankbarer Begriff, weil er für „alles andere“, was nicht genau Theater, nicht genau Bildende Kunst, nicht genau Tanz ist, verwendet werden kann; andererseits muss man ihn halt wirklich oft erklären. Der Begriff hat sich auch stark verändert bzw. erweitert, also von seiner Verankerung in der Tradition der Bildenden Kunst zu einem Cross-over mit mittlerweile zahlreichen Untergenres.

Welche Hindernisse fordern euch in eurer Arbeit und auf welchen lässt sich aufbauen?
JH: Ein Hindernis könnte sein, manchmal nicht mehr genau zu wissen, wo wir eigentlich hingehören. Das macht sich z. B. bei Förderanträgen bemerkbar, bei denen wir entscheiden müssen, ob wir für Bildende oder Darstellende Kunst einreichen. Die Produktionsbedingungen sind nicht immer einfach und irgendwie ist nie so viel Zeit da, wie wir eigentlich bräuchten.
TF: Wir machen alles zu zweit, von der Recherche über das Schreiben der Stücke und das Erarbeiten der Performance, der Kostüme, des Bühnenbildes sowie auch die Öffentlichkeitsarbeit, Förderanträge, Budgetierung usw. Das kann manchmal mühsam sein, andererseits stoßen wir während solcher Prozesse auch immer wieder auf Dinge, die sich in unsere Stücke einflechten lassen. 

Wie schafft ihr es, künstlerische Prozesse von Anfang bis Ende, also von der Idee bis zur Präsentation und Reflexion, zu ermöglichen und wie lässt sich Kunstproduktion für euch im aktuellen Gesellschaftskontext realisieren?
JH: Wir starten immer mit persönlichen Beobachtungen wie z. B. auch bei unserem aktuellen Stück Elevator Pitch. Die Teilnahme an einem AMS-Kurs war eine große Inspiration. Danach recherchieren und beobachten wir, teils sehr lange. Meist haben wir dann eine große Sammlung an Found Footage.
TF: Dann kommt die Phase des Ausprobierens, Erforschens von Gesten, Textfetzen, Aneignen von spezifischem Vokabular und Handlungen; Dinge in neue Kontexte setzen, alles über den Haufen werfen, neu anfangen, reduzieren, nachfragen, hinterfragen, darüber sprechen, manchmal auch etwas liegen lassen.
JH: Danach haben wir einzelne Bausteine/Szenen, die wir aneinanderreihen. Fertig werden ist so eine Sache. Oft wachsen unsere Projekte noch weiter. Z. B. hatte die Performance The Go-Getter zuerst eine Länge von 25 Minuten, mittlerweile dauert sie 35 Minuten und wir möchten noch auf 50–60 Minuten erweitern. Es gibt noch so viel Material, das wir verarbeiten wollen. Wie weit wir kommen, hängt oft auch mit den Produktionsbedingungen zusammen.

Welches Setting der Präsentation habt ihr für die Performance The Go-Getter gewählt und welches Feedback hat euch bisher von Seiten des Publikums erreicht?
TF: The Go-Getter ist eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Tupper-Party. Angelehnt an den Ablauf einer klassischen Tupper-Party greifen wir Verkaufs- und Unterhaltungstechniken von sogenannten Tupper-Ladies auf und kehren neben der beeindruckenden Lebensgeschichte der Verkaufspionierin Brownie Wise auch allerhand überraschende Fakten über die Firma Tupperware unter dem Teppich hervor. Auf der einen Seite bewegen wir uns so also in einem Setting, von dem wahrscheinlich jede:r zumindest schon einmal gehört hat, auf der anderen Seite setzen wir die Sache aber in ein ungewohntes Licht und lassen so Aspekte mitschwingen, die auf einer Tupper-Party bestimmt nicht zu finden sind. Wir erzählen die Geschichte durchaus witzig, es kann einem aber auch das Lachen im Hals stecken bleiben. 
JH: Mit dieser Arbeit können wir auf verschiedene Formate eingehen: Vom herkömmlichen Bühnensetting über museale Räume bis zum privaten Wohnzimmer; sogar eine Luxusloft in einer Senior:in­nen­residenz war einmal dabei. The Go-Getter ist eine Performance, die bestimmt sehr viel Aufmerksamkeit erfordert, weil auf so vielen Ebenen agiert und erzählt wird. Wir sind immer wieder überrascht, wenn wir nach der Performance vom Publikum hören, dass es danach so viel mehr über die Firmengeschichte weiß und selbst noch weiter recherchieren möchte. Was wir auch häufig hören, ist, wie überraschend es ist, dass alles, was wir darbieten, auf Funden, Recherchen und Fakten basiert und wir nichts davon frei erfunden haben. Das liegt wahrscheinlich daran, dass manches so schräg ist, dass es kaum zu glauben ist.

Worauf richtet ihr den Fokus in eurer aktuellen Arbeit Elevator Pitch und welche Aspekte dürfen dabei inhaltlich für euch keinesfalls fehlen? Welche Themen lasst ihr bewusst außen vor?
TF: Das Stück Elevator Pitch schöpft aus der Bild- und Sprachwelt des Assessment Centers. Dabei bedienen wir uns sowohl am Vokabular der Marketing-Industrie und Selbstoptimierungs-Ratgeber als auch am Jargon der Arbeitsmarktpolitik – und wir stellen uns vor allem viele Fragen: Haben wir genug? Sind wir genug? Tun wir genug? Können wir genug? Wissen wir genug? Muss es erst einmal schlechter werden, bevor es besser wird? Und was hat ein Marshmallow mit unserem Erfolg zu tun? Wie weit wollen wir gehen, wenn unsere Persönlichkeit als unser Kapital gilt? Woran messen wir unsere Erfolge? Wo bleiben unsere Bedürfnisse? Und wie weit lassen wir uns vereinnahmen, bis es uns letztendlich reicht? 
JH: Wir thematisieren mit diesem Projekt unter anderem Algorithmen, die auf vielen Ebenen stark diskriminierend sind. Gerade da muss man vorsichtig sein und sich seiner eigenen Privilegien bewusst werden.

Was ist das Besondere/Sehenswerte an euren Performances?
TF: Eine Publikumsstimme hat es so formuliert: „Politische Message geschickt ver­packt mit großer Menge an Humor.“

Julia Hartig und Teresa Fellinger werden im Herbst unter anderem bei der diesjährigen VIENNA ART WEEK / „Challenging Orders“ vertreten sein, mit „The Go-Getter“.
Details tba. 
www.chimashie.net

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