Der neue Feminist Desolatismus. Kunstverwertung.

Lokale Lokale, die Ausgeh-Kolumne der Referentin, streift dieses Mal bei diversen Eröffnungen herum. Es beginnt im lichten Linz und endet im dunklen Land Oberösterreich. Am Ende stellt sich die Frage: Kulturland retten? Die kolumneschreibend ausufernde 50.000 Euro Klit ist in der Referentin #10 eine Gruppe von Menschen, die unter anderem in der Tabakfabrik, im Valie Export Center, im Cafe Meier, im Schlossmuseum und bei qujOchÖ auf Besuch war.

Was hat die Stadt schon mit der Tabakfabrik gelacht, über verkräuselte Botschaften von Kreativaortas, -triaden und -kathedralen und vieles mehr an Wunderwuzzi-all-in-one-Eierwollmilchsau-Begrifflichkeiten, die in den letzten Jahren in schöner Regelmäßigkeit als PR-Rauchwolken mühelos aus den Schloten der – sagen wir es ähnlich verquirlt – denkenden Industriemanufaktur aufgestiegen sind. Der PR-Hype hat sich schon länger gelegt, fällt uns auf, als wir in die Tabakfabrik zur Eröffnung des neuen Valie Export Centers gehen. Eine schöne Sache, das Center. Dort performt zur Eröffnung die Formation Dr. Didi, was meine Freundin wenig später im Cafe stirnrunzelnd kommentiert mit: „Aber das ist ja das andere Universum!“ Und wer sich jetzt nicht auskennt: Dr. Didi = 3 Haberer (an sich eh sehr super) und Valie Export = feministische Ikone (unter anderem). Na gut. Schade jedenfalls, dass vom Kunstunirektor Reinhard Kannonier weder die bei der Eröffnung frisch verkündete und anwesende neue Leiterin des Valie Export Centers, Sabine Folie, noch die schon länger für das Center arbeitende Geschäftsführerin Dagmar Schink, auf die Bühne geholt wurden. Und das löste bei doch einigen Anwesenden richtiggehend schlechte Stimmung aus. Erheitern konnte uns, dass während Bürgermeister Lugers Rede und seiner zum Ausdruck gebrachten Freude über das neue Center in den hinteren Reihen flüsternd angestimmt wurde: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ – eine kleine private Einlage von Stehnachbarn, die sich wohl nicht auf das Center bezogen hat und die allerdings eh fast niemand mitbekommen hat. Der Bürgermeister schätzt unbequeme Kritik, sagt er auch immer wieder in seinen Reden, und so soll es sein. Lustig auch, dass passend zu Valie Exports Status als international anerkannte Medienkünstlerin, Kulturstadträtin Doris Lang-Mayrhofers wiederkehrende Parole von der Unesco City of Media Arts zunehmend selbst einen gewissen performativen Charakter entwickelt, in gewohnt frischer Manier. Wir lieben es. An Marketing und Kunst denke ich noch, als meine Freundin und ich auf dem Rückweg ins Cafe Meier schauen. Mir fällt ein, dass bei einer anderen Eröffnung drei Wochen vorher, im O.K bei „Alice – Verkehrte Welt“ der den LH vertretende Politiker überhaupt nur vom Tourismus gesprochen hat. Er hat bis zum Kaiser und seiner Verlegung der Sommerresidenz nach Bad Ischl ausgeholt (Beginn des Kulturtourismus, und Alice als kulturtouristische Fortsetzung, wirklich? Habe ich das geträumt??). Wir holen weiter aus. Mein Sitznachbar meinte damals, die Rede sei absichtliche Parodie gewesen … ich bin aber nicht so überzeugt davon, dass das neue Türkis da so viel Spaß versteht und die Politik bringt’s mit dem Tourismus schlichtweg auf den Punkt. Am Ende wurde dann fast vergessen, die KünstlerInnen auf die Bühne zu holen, aber das kann bei so viel Spektakel leicht passieren. Ich sage zu meiner Freundin im Cafe: „Verkehrte Welt“. Sie lächelt müde. Und abgesehen von all den angesprochenen Diskrepanzen, wir holen noch weiter aus: Wirklich schlimm sind die allseits bemerkbaren Verschiebungen hin zu Konservativismus und Kommerzialisierung, die auch in der Kunst sichtbar werden, sagt sie. Und horrend, dass abseits dessen an allen Ecken und Enden ein gesellschaftspolitischer Desolatismus vor sich hinbrodelt, der sich gewaschen hat. Das ist zu sehen und das pfeifen die Spatzen von den Dächern, die Spatzen aus der sogenannt freien Szene und auch die Spatzen aus den Kultureinrichtungen von Stadt und Land, die Spatzen vom Landeskulturbeirat und die Spatzen vom Stadtkulturbeirat, Stichwort suboptimale Kommunikation, untransparente Pläne, Stichwort Prekarisierung, und wir fügen noch das Stichwort Rechtsruck dazu. Und ebenso pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass im Zuge der Sparmaßnahmen im Land umgeschichtet wird – in Richtung Sicherheit, Wirtschaft und Digitalisierung. Das ist der Kern einer Sache, die mit einer großen Spar-0.- inszeniert wurde. So ist es zu hören. Im Übrigen imponiert es meiner Freundin und mir null, dass sich die LandespolitikerInnen im Rahmen der Sparmaßnahmen selbst eine Nulllohnrunde verordnet haben, da verdreht sowieso jeder nur mehr die Augen. Im Gegenteil sind wir bestürzt vom Umgang mit einkommenschwächeren Bevölkerungsgruppen, vom Umgang mit Kultureinrichtungen, Frauen und Fraueninitiativen, Stichwort Fiftitu%, Feminismus&Krawall, oder auch: keine Frau in der Lenkungsgruppe zur Umgestaltung der Museumslandschaft. Gerade diejenigen Häuser mit weiblicher Leitung scheinen gefährdet. Und wir sind – wieder abgesehen davon – geradezu entsetzt, was andere politische Stellen und andere politische Ebenen in Stadt und Land anbelangt, über geplante Ausgangssperren für Asylsuchende (???), Ukraine/Krimreisen von Stadtpolitikern, rechtsextreme Verbindungen und man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll. Später nichts davon gewusst haben zu wollen, wird nicht möglich sein, sagen wir. Und weil das mit der Leistung als Bemessung für Geld=Leben sowieso nicht mehr so ganz funktioniert, wenn man sich die Lebens-Mikrokosmen wie die globalen Krisen so ansieht, von sozialen globalen Unterschieden bis hin zu einem mittlerweile ganz real drohenden ökologischen Kollaps (und ja, das wird alles zusammenwirken und tut es schon), plädieren wir – wie viele andere auch – für eine gesellschaftspolitische Vision, die die Menschen in Zukunft nicht verhungern oder anderweitig krepieren wird lassen. So schaut die Realität für viele Menschen aus. What the fuck – wo sind jetzt die Alternativen und die nichtauferlegten Denkverbote? Weil wir im alternativen Cafe Meier just in diesem Moment ermahnt werden, unseren Computer eingeschaltet zu haben, was hier wegen Kaffeehausstimmung=Technologieverbot nicht erlaubt ist, werden wir unterbrochen (Digitalisierung? Unesco City of Media Arts? Aber der Wirt hat immer recht). Und wir sehen zu unserem Sitznachbarn hinüber, der schon die ganze Zeit unter dem Tisch in seinem Kindle liest, anscheinend heimlich. Er sagt, dass er gern zum Lesen herkommt, weil es so angenehm ruhig hier ist, wegen des Handyverbots telefoniere zumindest niemand. Tja. Wir verlassen das Lokal, weil wir uns einen Museumsnachmittag verordnet haben, und besteigen den Schlossberg, um in Tagen wie diesen die Schlossmuseums-Ausstellung „Wir sind Oberösterreich“ anzusehen. Beziehungsweise möchte ich meiner Freundin was zeigen. Kurt Holzinger, der dort neben diversen Käferforschern und Malstiften (Familienausstellung) und quasi mit der zur Legende gewordenen 80er-Jahre-Band Willi Warma noch bis Jänner ausgestellt ist (in der Abteilung „Wir sind modern“, „Cafe Landgraf“), und dessen Bild überlebensgroß in der Ausstellung zu sehen ist, dessen Konterfei auch Drucksorten schmückt, hat mir erzählt, dass niemand ihn gefragt habe, ob er damit einverstanden sei, derartig verwendet zu werden. Niemand habe mit ihm Kontakt aufgenommen. Und er erzählt, dass dort unter anderem Bilder aus seinem Archiv die Basis der Ausstellung bilden, Fotos, die er für das Buch „Es muss was geben“ demjenigen Verlag lediglich für den Abdruck zur Verfügung gestellt hat, der jetzt kurzerhand als Rechtehalter angeführt wurde („Mit freundlicher Genehmigung des Verlags der Provinz“). Wie ist sowas eigentlich möglich? Kurt Holzinger hätte außerdem einiges zum Begriff „Identität“ zu sagen und dazu, wie er zum Titel „Wir sind Oberösterreich“ steht, nämlich: „Dieser identitäre Scheißdreck ist nicht zu ertragen. Wir wollten genau nicht Oberösterreich sein. Das, was wir gebraucht haben, war nicht vorhanden. Wir mussten es selbst machen. Und wir wollten raus. Alles war damals Post-Nationalsozialismus“. Soviel zur alten und neuen Identität, zur Provinzialität und zur Kunstverwertung. Und wieder: Wie ist es möglich, dass – auf vielen Ebenen – die Menschen, die es betrifft, nicht gefragt werden? Zu viel Verwertung im Fokus? Dann gehen wir noch zum Konzert von Klitclique. Dort, am Abend im Kulturverein Qujochö, wird von zwei jungen Frauen auf herzerfrischend starke Weise eine, sagen wir, 50.000-Euro-Literatur-Kunst-White-Cube-The-Feminist-Empowerment-Mucke abgezogen, die wir als Empfehlung hier stehen lassen: Nachschauen unter The Feminist, Inge Borg oder Klitclique zu Gast bei FM4 oder auch bei den Wiener Festwochen. Und mit diesem beispielhaft abschließenden Schwenk zur aktuellen Kunst und Kultur: Es gibt sie, die unabhängige Kunst, in Form von großen, kleinen und noch kleineren Initiativen und vielen, vielen ambitionierten Menschen, an den diversen Orten der Stadt, und das tröstet uns. Noch gibt es sie. Und um auf die Spardebatte zurückzukommen: Es wäre angebracht, gerade diese Bereiche aufzuwerten statt zu kürzen, liebe Landesregierung, und im Landhausslang bedeutet das: Kunst und Kultur ist das inhaltliche Breitband unserer Zukunft. Und in unseren Worten: Es geht um Kunst, Kultur und Initiative, die unbestechlich, kritisch und unbändig ist und die von der Volksseele meistens erst dreißig bis vierzig Jahre später als „modern“ anerkannt wird, oder noch später, oder sogar nie erkannt und anerkannt wird, während sie uns in der Zeit, in der wir leben, in Wahrheit unseren kulturellen Arsch rettet. Deshalb, wer noch nicht hat: Aufs Kulturland scheißen und Kulturland retten unter: kulturlandretten.at. Wir wollen 200.000 Unterschriften.

 

Die 50.000 Euro Klit ist dieses Mal eine Gruppe von Menschen, die unter anderem in der Tabakfabrik, im Valie Export Center, im Cafe Meier, im Schlossmuseum und bei qujOchÖ auf Besuch war. Diese Erlebnisse wurden zu einem Text unter Freundinnen, und zu einer etwas ausufernden Kolumne, formuliert. Aufmerksamen Lesern und Leserinnen wird nicht entgangen sein, dass das Klitclique-Konzert nicht am Tag der Eröffnung des Valie Export Centers stattgefunden hat, sondern bereits eine Woche früher zu sehen und zu hören war. Eine kleine textflussbedingte Unschärfe und hiermit deklariert.

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