Drei Füße zur Freiheit. Schreiben – Malen – Filmen.
In Memoriam Herbert Achternbusch: Richard Wall über den im Jänner verstorbenen anarchistischen Gesamtkunstwerker – und auf Gedenkfahrt von seinem Waldviertler Haus zu Achternbuschs verlassenem Waldviertler Haus.
„Kunst kommt von kontern“, meinte der bayrisch-anarchistische Maler, Schriftsteller und Filmemacher Herbert Achternbusch in einem Interview. In seinem Film Die Atlantikschwimmer von 1976 stehen Herbert und Heinz am Ufer eines Sees, in engen Badehosen und lächerlichen Schwimmbrillen vor den Augen, und wollen weg, über den „Atlantik“. Da sagt die Figur Herbert, gespielt von Achternbusch selbst: „Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie!“. Sie hüpfen ins Wasser und schwimmen los …
Es ist zu hoffen, dass nicht nur Sprüche wie diese von seinem immens umfangreichen und vielfältigen Schaffen in Erinnerung bleiben. Ein Wunsch, ausgesprochen im 1978 uraufgeführten Film Servus Bayern, blieb ihm jedenfalls verwehrt: „In Bayern möchte ich nicht einmal gestorben sein!“ Am 10. Jänner dieses Jahres ist er 83jährig in München gestorben.
„Bis mich das Sitzen schmerzte“: Biographisches
Achternbusch wurde 1938 als uneheliches Kind eines Zahntechnikers und einer Sportlehrerin in München geboren, wuchs jedoch bei seiner Großmutter, die gerne gemalt haben soll, im Bayrischen Wald auf. Dass er für Werner Herzog das Drehbuch zu Das Herz aus Glas schrieb, ist möglicherweise auf diese Zeit zurückzuführen. In seiner eigenen Darstellung verliefen Geburt und Sozialisation wie folgt: „Ich musste 1938 auf die Welt kommen, nachdem ich mir meine Eltern schon ausgesucht hatte. Meine Mutter war eine sportliche Schönheit vom Land, die sich nur in der Stadt wohlfühlte. Mein Vater war sehr leger und trank gern, er war ein Spaßvogel. Kaum auf der Welt, suchten mich Schulen, Krankenhäuser und alles Mögliche heim. Ich leistete meine Zeit ab und bestand auf meiner Freizeit. Ich schrieb Bücher, bis mich das Sitzen schmerzte. Dann machte ich Filme, weil ich mich bewegen wollte. Die Kinder, die ich habe, fangen wieder von vorne an. Grüß Gott!“
Nach seinem Abitur 1960 begann Achternbusch zu malen und zu schreiben. Ein Jahr später wurde er Student an der Kunstakademie Nürnberg, wechselte aber bald nach München. Eine intensive Schaffensphase begann, sie dauerte rund 40 Jahre an. Er schrieb, vor allem Gedichte, malte und arbeitete von 1965–1968 an Holzplastiken. 1968 malte er das – für die nächsten 16 Jahre – letzte Bild. 1971 wurde sein erster Roman Die Alexanderschlacht bei Suhrkamp publiziert. Mit diesem Werk sicherte er sich einen Platz in der Literatur-Avantgarde der 1970er Jahre. 1974 inszenierte er seinen ersten eigenen Film, Das Andechser Gefühl. Nun entstand jedes Jahr in rascher Folge mindesten ein Film, am Ende waren es 28. Daneben schrieb er nach wie vor Bücher und 1984 begann er wieder mit dem Malen, meist ganze Serien. Seine Malerei bewegte sich nun in inspirierender Beziehung zu seinen Texten und Filmen, so wie im Film Die Föhnforscher, in dem ein ganzer Zyklus ins Bild kommt.
„Der Verstand ist im Kopf, die Phantasie überall.“
So wie er filmte und schrieb, so malte er auch, verhaftet in seiner eigenen Welt. Seine Kunst habe mit der Wirklichkeit nichts zu tun, behauptet er im Ambacher Exil. Wobei er sich als Dialektiker des Absurden widerspricht, denn in allen seinen Arbeiten sind konkrete Wirklichkeitsbezüge vorhanden. Seine Filme kommen auch gänzlich ohne technische Tricks oder surreale Effekte aus. Er ist ein phantastischer Augenblicks-Erlebender, der sich in seinen Filmen ziemlich ungemütlichen Situationen aussetzt, wie im Film Bierkampf, in dem die angetrunkenen Besucher des Oktoberfestes zu unfreiwilligen Hauptdarstellern werden. Achternbusch spielt in einer gestohlenen Polizeiuniform einen Staatsbediensteten auf Abwegen, der die Besucher und sich selbst, ebenfalls trinkend und zunehmend betrunken, in slapstick-artige Szenen verwickelt, ja förmlich hineinreißt. Als er Besuchern Bierbrezen stiehlt, sich ihre Maßkrüge schnappt, ist ihre Wut nicht gespielt; schließlich versuchen sie mit ihm, vom Alkohol befeuert, sogar eine Schlägerei zu beginnen. Diesen Film zu drehen war auch für den Kameramann eine Herausforderung: Achternbusch fliegt geradezu Kamikaze durch den Bierdunst; sein physischer Einsatz darf schlicht und einfach als „mutig“ bezeichnet werden.
In Linz war Herbert Achternbusch mindestens einmal. Als eine Vorführung seines Films Servus Bayern angesagt war, kam er selber auch gleich mit. Ich habe den Film seither nie wieder gesehen, aber die eine Szene, als er in einem Wirtshaus die Gamsbärte der an Kleiderhaken hängenden Hüte anzündet, habe ich nicht vergessen. Wenige Jahre später, 1987, verursachte er mit seinem Stück Linz Aufruhr unter den Lokalpolitikern. Der Jahre zuvor entstandene Film Das Gespenst wurde in Österreich gemäß § 188 StGB (Herabwürdigung religiöser Lehren) beschlagnahmt. Das Verbot ist bis heute gültig. In Bayern beschloss der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann (CSU), nachdem er den Film gesehen hatte, den ausständigen Förderbetrag von 75.000 DM nicht auszuzahlen.
Achternbusch als Gesamtkünstler im Waldviertel
Achternbusch hat nicht, wie mehrfach behauptet wird, ausschließlich in München und im südlich gelegenen Fünfseenland gelebt. Anfang der 1990er Jahre, als Richard Pils begonnen hat, seine Bücher zu verlegen, kam er auf die Idee, seinem Verleger nahe zu sein und kaufte sich bei Rosenau im Waldviertel ein im 18. Jahrhundert errichtetes Haus, dessen Fassade er bemalte. Doch dann das Zerwürfnis, und in einer Sequenz eines Films, den ich um die Zeit seines 70ers gesehen habe, fährt er mit seiner Tochter zu diesem Haus ins Waldviertel. Es ist Winter, kalt und finster, da sie das Haus erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen. Eingeheizt wird u. a. mit Büchern des Verlags Bibliothek der Provinz, Bücher von Adalbert Stifter verschwinden im Feuer.
Auch als er Buddhist geworden war, blieb etwas von seinem weißbierbayrischen Dickschädel. Ja, weiß. Und kahl. So ist er auf dem Umschlag des Buches Weiße Flecken abgebildet und so steht er vor mir. Ich, der ich Achternbuschs Werk vor mir liegen habe und, ebenso wie er, zeitweise ein Haus im Waldviertel bewohne, hocke in meinem Ausgedinge im Waldviertel vor der Holzhütte. Ein paar Stunden nachdem ich vom Tod des Meisters aus Bayern erfahren habe, sitz’ ich mit einem Schnaps in der Jännersonne und bedenke den Tod des Gesamtkunstwerkers. Vor zwei Tagen hat es hier geschneit, nicht viel, die Schneedecke ist dünn. Eine milde Strömung lässt nun das Weiß und das Eis dahinschmelzen. Schmelzwasser tropft von den Dachkanten in die Dachrinnen, in den Abflussrohren plätschert es leise. In den Wipfeln der Föhren und Fichten hin und wieder ein Aufbrausen, wenn eine Bö hineinfährt.
Im gediegen gestalteten Buch, das vor mir liegt, sind Texte und Bilder. Auf dem Schutzumschlag ein Schwarz-Weiß-Foto des Künstlers. Kahlgeschorener Kopf, Augenbrauen dünn, ein selten symmetrisch angelegtes feines, bartloses Gesicht. Die rechte Hand hält lässig ein Schilfrohr; oben, in Schulterhöhe, wo es endet, ist es zerfasert. Ein Zauberstab? Oder hat er damit auch gemalt? Er blickt mich an und ich denke mir, wie sanft er doch dreinschaut, geradezu in sich ruhend wirkt er, die Grimassen und Faxen aus seiner Jugend haben keine Spuren hinterlassen.
Das Tropfen des Schmelzwassers. Die Stimme eines Kleibers. Das Waldviertler Requiem für ihn. Dem Bürgermeister von Groß Gerungs wird der Tod des einstigen Gemeindebürgers nicht einmal ein Achselzucken wert sein. So geht es zu in den Waldviertler Gemeindestuben. Mit Kultur haben sie nichts am Hut. Im Budget der Gemeinde Langschlag kommt „Kultur“ gar nicht vor. Vielleicht hisst sein Verleger auf der Burg Raabs eine Föhnforscherfahne oder eine Piratenflagge mit dem Knochenschädel im Maßkrug?
Da kommt mir eine Idee. Ich werde seinem Geist in seinem Waldviertler Haus einen Besuch abstatten. Heißt nicht ein Text von ihm „Der Geist weht wo er kann“? Er wird schon können.
„Denn der Himmel kennt keine Gnade“ (Fassadeninschrift)
Als eine der Fassaden im Nachmittagslicht als weiße Fläche sichtbar wird, befürchte ich schon, dass das Gerücht, Achternbusch habe sein Haus verkauft und die Bemalung sei übertüncht worden, wahr sein könnte. Das helle Griechenlandblau der Bemalung ist zwar etwas ausgebleicht, doch der befürchtete Frevel ist bislang ausgeblieben. Ich sage deswegen „Griechenlandblau“, weil ein Teil der Motive Bezüge zur griechischen Mythologie aufweisen. Ich nehme an, dass Achternbusch deswegen die Farbe der Ägäis gewählt hat. An der Ostfassade des Hauses schließt eine Bruchsteinmauer an, die einen Hof umschließt. Auf der Türe zu diesem ist ein Schild angebracht: „PRIVATGRUND/Schwimmen auf der Wiese und Gehen auf dem Teich nicht erlaubt“.
Tritt man über die Schwelle, tut sich vor einem eine andere Welt auf. Der Hof ist, seit das Haus leer steht, zu einem Biotop geworden. Langhalmige Gräser und bis zu drei Meter hohe Sträucher sind im Winter die sichtbarsten Zeichen. Im Zentrum des Hofes hat Achternbusch seiner Tochter Naomi ein Theater errichtet, eine gediegene Zimmermannsarbeit, deren Vierkanthölzer mit den Farben Gelb, Weiß und Blau bemalt sind. Ein runder Holzschild mit aufgemaltem Gesicht klärt mit der Schriftumrandung die Funktion bis heute: DAS THEATER NAOMI. Eine aus Brettern gezimmerte Karyatide weist mit ausgestrecktem Arm auf die orangegelb bemalte Holztreppe, die auf den Bretterboden hinaufführt. Vorhanden ist noch ein aus mehreren Holzteilen zusammengesetzter Esel. Dass auch die Tochter immer wieder zum Pinsel gegriffen hat, belegen Bemalungen im Hof und an der Außenwand eines Geräteschuppens, in dem auch künstlerisch gearbeitet wurde: In einer Continental-Schreibmaschine ist noch ein Bogen Papier eingespannt, ein mit Leinen bespannter Keilrahmen lehnt an der Bretterwand, an der Schmalseite, dem Eingang gegenüber, steht eine vom Vater bemalte Türe: Eine Aphrodite mit massigen Oberschenkeln, der Enge des Wickelrocks ist der rechte Busen entschlüpft und der Scheitel der ramponierten Schönheit ist mit einem aus dem Kopftuch geknoteten Mascherl bedeckt.
Naomi spielte bereits im Alter von drei Jahren – sie ist 1994 geboren – im Film Picasso in München eine kleine Rolle, 2002 erhielt sie ihre erste Hauptrolle in Das Klatschen in einer Hand. In beiden Filmen führte ihr Vater Regie. Für ihre Darstellung einer vermeintlich blinden Schulabbrecherin im Film Blind & Hässlich wurde sie 2018 mit dem Preis der deutschen Filmkritik als beste Darstellerin ausgezeichnet.
Der Geist von Achternbusch steckt noch in den Bemalungen, im Gemäuer, aber auch in den riesigen Granitsteinen, die er um sein Grundstück aufstellen hat lassen. Neben dem Gebäude liegt ein Teich, möglicherweise einst mit Karpfen besetzt. Hoch über dem Ufer hat sich Achternbusch aus Holzsäulen einen Tempel mit Kegeldach errichtet, unter dem er saß, meditierte und auf das Spiegeln des Teiches blickte.
Ein Universalgenie nannten ihn seine Bewunderer, einen Nestbeschmutzer seine Gegner.
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