Egalitäre Tafel, reinen Tisch machen
Nach der Vorlage von Marlene Streeruwitz „Das wird mir alles nicht passieren … Wie bleibe ich FeministIn“ wird im Mai im Posthof das gleichnamige Stück von theaternyx* gezeigt. Ein Vorgeschmack auf die Inszenierung – beziehungsweise: Claudia Seigmann im Interview über den Geschmack der postdramatischen Drastik in unser aller Leben.
Wie der zugrunde liegende und titelgebende Text von Marlene Streeruwitz behandelt das neue Stück von theaternyx* Lebensentwürfe und Biographien zwischen Anpassung und Autonomie. In jeder Biographie werden andere Schranken der Unfreiheit berührt. Das Projekt befragt jenseits dogmatischer Festlegungen die Möglichkeiten von Emanzipation, siedelt es geradezu egalitär in einer Situation der Einladung oder des gemeinsamen Essens und Trinkens an. Mit Claudia Seigmann arbeitet Claudia Dworschak an der Inszenierung, die die vorgestellten Fragen zwischen Selbstbestimmung und Ernüchterung auf unser aller Leben erweitern möchte.
Eine erste Frage zum bekannten, auch von nyx verwendeten Dohnal-Zitat: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‚weibliche Zukunft‘. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn“. Vielleicht ein paar Worte zum abgelehnten Weiblichkeitswahn oder auch im Sinne: „Feminism is for everybody?“
Es geht eben nicht um eine spezielle Art von Weiblichkeit, sondern um den emanzipatorischen Kern in all unseren Biographien. Die Erzählungen betreffen beide Geschlechter. Es geht um den emanzipatorischen Motor und um Fragestellungen, um die Zwänge in der Gesellschaft, in der wir leben, um die Frage, wie sich die Lebensentwürfe ausgehen. Auch im Buch von Marlene Streeruwitz geht es sozusagen querbeet, um die Geschichten von Frauen wie Männern, Alt-ÖsterreicherInnen und Neo-Österreichern. Es geht für alle um Abhängigkeiten und Zwänge, der Motor ist immer ein emanzipatorischer. Und die Frage ist: Wie geht sich ein gutes Leben aus? Es geht um Selbstbestimmtheit und Empowerment, ohne einen Preis zu bezahlen, der zu hoch ist. Dies betrifft zwar mit ihrem beruflichen Alltag oder der Kindererziehung wiederum mehr Frauen als Männer – aber auch den türkischstämmigen, jungen Mann, der in Buch und Stück vorkommt. Auch für ihn geht es um so viel Autonomie wie möglich. Oder das andere Beispiel eine Geschichte einer jungen Frau, die ihr gesamtes Erbe in ein Lokal steckt, was ein hoher Einsatz ist, ein Wagnis. Wir kennen ja alle diese Geschichten. Speziell bei diesem Beispiel geht es sich aber nicht aus, mit dem Lokal ist das Erbe weg, natürlich war die junge Frau nicht bei sich angestellt, und am Ende stellt sie sich die Frage: Heirate ich nun doch und bekomme ich Kinder? Eine Frage, die für sie noch offen steht, diese Rolle steht manchen noch zur Verfügung. Also: Es geht um Autonomie und Abhängigkeit. Und es geht um eine Erweiterung auf unser aller Biographie. Bei Marlene Streeruwitz wird da so scharf beobachtet, dass man auf eigene Erfahrungen rückschließen kann. Das ist das Besondere. Und dann entstehen die Fragen, auf die es keine schnellen Antworten gibt.
Die angesprochenen Zwänge entbehren nicht einer gewissen Drastik?
Die Drastik bindet an die eigene Biographie an. Mit dem Stück „eine einfache geschichte“ habe ich letztes Jahr etwa Teile meiner eigenen Geschichte verarbeitet, als Tochter meiner eigenen Mutter. Es ging um Alleinerzieherinnenschaft, ein Mütter- und Frauenbild der 60er und 70er Jahre, es ging und geht immer noch um ein permanent schlechtes Gewissen. Darüber hinaus geht es im neuen Projekt um ungleiche Bezahlung, Altersarmut und andere Fragen nach Selbstbestimmung, die nicht leicht zu beantworten sind. Die Realität ist drastisch. Von solchen Bildern handelt unter anderem auch die Lentos-Schau Rabenmütter.
Der Titel „Das wird mir alles nicht passieren … Wie bleibe ich FeministIn“ trägt den Faktor Zeit in sich. Handelt es sich bei diesen Ernüchterungen um ein persönliches Älterwerden oder um eine Gesellschaft, die die Frage „Wie bleibe ich FeministIn“ neu stellen muss, weil sie wieder konservativ und restriktiv geworden ist?
Die Gesellschaft ist grundsätzlich so angelegt, dass es keine einfachen Antworten geben kann. Auch hier muss man weiter aufmachen, weg vom Stück, auf unser aller Leben. Und man kann dann nur sagen, dass die Antworten außerhalb unseres aktuellen Gesellschaftsmodells liegen, Backlash und Konservativismus hin oder her. Die Voraussetzungen sind so verschieden, was etwa nur Fragen von Karriere oder Kinderbetreuung anbelangt, dass von nichts selbstverständlich ausgegangen werden kann. Würde es eine Grundversorgung geben, die den Kampf ums eigentliche Überleben entschärfen würde, die Fragen der Miete, oder der Butter aufs Brot, dann wäre es anders. Würde es Optionen dazu geben. Es ist die Frage, wie utopisch eine Grundversorgung tatsächlich ist, wenn zunehmend die Technologie die Arbeit erledigt, oder eine gewisse Schicht immer reicher und reicher wird. Es werden ja Gewinne gemacht, die nur nicht umverteilt werden. Das ist die eigentliche Empörung: Sie liegt darin, dass nichts selbstverständlich ist, was die Beseitigung der Ungleichgewichte anbelangt, dass man immer noch, immer wieder, noch mehr mit diesen Ungleichgewichten konfrontiert ist.
Zum Stück selbst. Es handelt sich um ausgewählte Biographien von Frauen und Männern. Wie in der Vorlage sind diese Biographien voller Brüche, etwas funktioniert nicht. Die Geschichten scheinen, auch wegen ihres fehlenden Dogmatismus, an einem Weitererzählen interessiert. Du hast nun im Vorgespräch erwähnt, und auch vorhin ist das kurz angeklungen, dass du, wenn du die Geschichten auf der Bühne weitererzählen hättest sollen, eine neue, ganz andere Welt erfinden hättest müssen. Dennoch ist ein Stück immer auch eine Weiterführung der Thematik eines Buches und damit stelle ich dir auch die Frage nach der persönlichen Intention, bzw. auch die Frage danach, was theaternyx* dem Buch hinzufügt?
Ja, mit einer tatsächlichen Weitererzählung hätte ich, mehr oder weniger, eine neue Welt erfinden müssen. Es ist also keine Weitererzählung. Beim Stück handelt es sich um eine Uraufführung des Buches von Marlene Streeruwitz. Es handelt sich dabei um Themen, die mich auch betreffen. Es gab ein langes Hinfühlen zu Marlene Streeruwitz’ Werk, ein Hinfühlen, das so eine Art künstlerischen Prozess überhaupt ermöglicht, und einen entsprechenden Dialog mit Marlene Streeruwitz zuvor. Die Thematik passt für theaternyx* gut, weil nyx viel in Richtung soziale Skulptur und Öffnung in andere Bühnenformate arbeitet – mit dem dahinterliegenden Anliegen: Wie bekommt man Menschen in einen anderen Kontakt als über die herkömmliche Weise der Unterteilung in Agierende und Publikum? Wie kann man ZuseherInnen anders ins Geschehen hereinholen? Es geht sicher einerseits um Inhalte, hier bedeutet das eben, dass wir alle Biographien dieser Art haben – wo es um den Preis für Autonomie geht. Andererseits geht es aber auch um eine andere Form des Erzählens. Mit einem anderen Format gebe ich also eine andere Form hinzu – dass wir alle auf einer Ebene sind und neben den performten Biographien auch mit der eigenen Lebensgeschichte anwesend sind.
Das Bildsujet, das bereits existiert, erinnert an eine Tafel. Kann gesagt werden, dass es sich sozusagen um eine egalitäre Situation handelt, eine Tafel, an der alle mit ähnlichen Biographien Platz nehmen? Und an der dann mit der Aussage „Das wird mir alles nicht passieren“ reiner Tisch gemacht wird?
Ja genau, das ist gut zusammengefasst.
Was bedeutet diese egalitärere Situation nun hinsichtlich dessen, dass das Publikum mit seinen Biographien anwesend sein soll?
Man hat die Biographie ja eh immer dabei. Es ist aber schön, wenn es gelingt, ein Erleben möglich zu machen, wenn das Stück mit dem Publikum und dessen Biographie in Beziehung treten kann, mit jeder, mit jedem Einzelnen. Dazu wird es eine Einladung geben. Verfahren der Einladung, die konkret Entscheidungen, Fragestellungen bedeuten, die alle darauf abzielen, Stück, Akteure, Situation und Publikum miteinander in Beziehung zu bringen. Wir hatten das früher auch schon etwa bei unserer Produktion „wer bin ich?“, wo es um Linz und LinzerInnen ging (Anm: in vier Teilen, zuletzt im Nordico, 2012). Wir suchen nun mit diesem Stück korrespondierende Grundatmosphären und Gesten. Und wir laden ja auch zum gemeinsamen Essen ein, das bringt Zeit zum Austausch und zum Anknüpfen an die eigene Geschichte.
Wer ist eigentlich „wir“ bei nyx – generell und speziell hier?
nyx sind im Normalfall Markus Zett und ich. Im speziellen Fall dieses Stücks entwickelt Claudia Dworschak Inszenierung und Konzept des Stücks mit. Claudia Dworschak ist unter anderem Videokünstlerin und Performerin bei den Freundinnen der Kunst.
Zurück zur Form, zum Theaterverständnis von nyx, das ich mal ganz salopp als völlig spektakelfrei benennen möchte – ein Theater jenseits des Schnürboden- und Effektzaubers.
nyx arbeitet oft an Grenzbereichen, genreübergreifend, sucht andere Formen, ist an sozialen Skulpturen interessiert. Auch das Verlassen des herkömmlichen Theaterraums war jahrelang Programm, was ganz andere Aufmerksamkeiten und Wahrnehmungen erzeugt, zum Beispiel bei „Dunkle Geschäfte“ (Anm: Spielraum war der Welser Innenstadtraum, 2011). Der Blick verändert sich durch andere Formen. Auch beim neuen Stück liegt unser Interesse fern der Theatertrickkiste. Es geht um subtile Erfahrungen. Der Mensch, der fiktive Geschichten erzählt, wird anders sichtbar, er erzählt eine drastische Geschichte, aber undramatisch. Für die beteiligten Performerinnen ist es zudem ungewöhnlich und fordernd, wenn es keine Rollen gibt, die Schutz bieten. Die Performerinnen verstecken sich nicht hinter einer Rolle, sondern erzählen, so wie das eben bei Tisch passiert, Lebensgeschichten von anderen. Dadurch, dass sie nicht in eine Rolle schlüpfen, stellen sich die Fragen nach Repräsentation und Identität anders: Welcher Teil der fiktiven Biografie könnte nahe am gelebten Leben der Erzählerin liegen? Welcher Teil der Erfindung hat Entsprechungen im eigenen Leben der Zuhörenden? Auch wenn hier drastische Geschichten erzählt werden, geschieht das in der Form sehr undramatisch, als Tischgespräch. Und ich frage mich in der Arbeit gerade, was das anstoßen kann, welche Grundstimmung es dafür braucht. Es stellt sich die Frage eines bestimmten Geschmacks dieses Stückes.
Die Texte sind nicht festgeschrieben?
Das versuchen wir in der Probenarbeit gerade zu bestimmen, wie viel Freiheit es mit den Erzählungen braucht und welche Interaktionen mit den Zuhörenden möglich sind.
Du hast eben gesagt, dass die PerformerInnen eine drastische Geschichte erzählen, aber undramatisch. Damit die Abschlussfrage zu eurer Version des postdramatischen Theaters: Wenn das Drama nicht mehr dramatisch ist, was entsteht dann?
Für mich persönlich eine andere Form der Berührung, eine andere Form des Angesprochenseins. Eine bestimmte Form des Platzlassens holt mich mehr in ein Stück. Und es bringt mehr inspirierende und kreative Erlebnisse.
Aufführungen: Das wird mir alles nicht passieren … Wie bleibe ich FeministIn,
Posthof, am 18., 20., 21. und 22. Mai
theaternyx.at
Claudia Seigmann ist außerdem in dieser Ausgabe Teil des professionellen Publikums – siehe Professionelles Publikum.
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