Ein Buch gegen die Angst
Geheime Papiere gegen den Faschismus. Europa ist in Zonen aufgeteilt, die Menschen sind angesichts des neuen faschistischen Regimes verängstigt. Während Claire hinter Barrikaden kämpft, sitzt ihre Freundin Su mit geheimen Papieren im Zug. Wenn es ihr gelingt, damit unbemerkt die Grenze zu passieren, ist es vielleicht noch nicht zu spät – so der Plot von Eva Schörkhubers neuem Roman „Nachricht an den Großen Bären“. Ein Interview mit der Autorin von and pawe.
Wie flach die Welt geworden ist. Flach und rissig. Auf riesigen Schollen treiben wir voneinander fort. Wir umzäunen unsere Denk-, unsere Sehterritorien mit Worten aus Stacheldraht. Wir schießen aufeinander, nicht nur in Sätzen. Der Pulvergeruch betäubt unsere Sinne. Jeder Sicht-, jeder Perspektivenwechsel wird als Verrat geahndet. Alle müssen sich für eine Seite entscheiden. Der Horizont reicht gerade bis zum Rand der Scholle und keinen Schritt weiter. Es gibt keine Möglichkeit, einen anderen, einen etwas abseits gelegenen Standpunkt zu erreichen. Das Gelände ist vermint. Ich bin froh, dass sich wenigstens die Landschaft vor dem Zugfenster zu falten beginnt. Leichte Erhebungen, eine sanfte Hügellandschaft. Mitteleuropa hat das einmal geheißen. Aber Europa gibt es nicht mehr. Der Kontinent ist zerklüftet, auseinandergerissen. Die Schollen sind zu weit auseinandergedriftet.
Im April erschien in der Edition Atelier Eva Schörkhubers drittes Buch „Nachricht an den Großen Bären“. Nach ihrem Debütroman „Quecksilbertage“ und der Erzählung „Die Blickfängerin“ ist dies nun ihr zweiter Roman. Dieser erzählt von einer Zeit, in der Europa in Zonen aufgeteilt und von einem autoritären rechten Regime regiert wird. Su, die Hauptfigur im Roman, hat sich dem Widerstand angeschlossen, sitzt im Zug und ist dabei, geheime Papiere außer Landes zu schaffen. Eva Schörkhuber zählt zu jenen Autor_innen, die gekonnt politische Inhalte mit hohem erzählerischem Anspruch und sprachlichem Feingefühl verbinden. Es ist auffällig, dass diese Art von Literatur gehäuft in der Edition Atelier in Erscheinung tritt. Das ist gut so. Denn es gibt genug Autor_innen, die wenig zu sagen haben und dies in einer leichten und gefälligen Sprache über hunderte von Seiten zum Ausdruck bringen. Die Bestsellerlisten sind voll davon. Literatur könnte aber soviel mehr sein … Ein Vorgeschmack über dieses „Mehr“ soll im Gespräch mit der Autorin über ihren neuen Roman, Arten des Schreibens, über Europa, die Politik mit der Angst und inspirierende Nachbarschaften gegeben werden.
Bei deinem ersten Buch ist mir aufgefallen, dass du in deinem Erzählen die Sprache gerne verdichtest, um sie im nächsten Augenblick wieder loszulassen, dass Wörter gleich einem losgelassenen Luftballon im Kopf herumfliegen. Gab es für dich in diesem Buch ebenso stilistische Vorüberlegungen? Welchen stilistischen Schreibimpulsen wolltest und konntest du nachgehen?
Ich wollte verschiedene Erzähltechniken und Erzähltempi ausprobieren, also mit Perspektiven und traumähnlichen Einschüben spielen, sowie beschleunigte, verdichtete Passagen mit langsameren, epischeren und reflektierenden abwechseln. Das Ausgangsmaterial für den Roman sind einige Erzählungen gewesen, die im Laufe der letzten drei Jahre entstanden sind, und die alle das Thema „Angst“ verhandeln. Diese Erzählungen sind in eine durchgängige Rahmenhandlung eingewoben und durch weitere Erzählungen ergänzt worden. Bei der Rahmenhandlung wollte ich einen Spannungsbogen bauen, der sich über die Reise der Hauptfigur Su von der Stadt aus über die Grenze spannt. In den Erzählungen wiederum liegt der Fokus auf einzelne Figuren, denen Su entweder auf ihrer Reise oder früher einmal begegnet ist. In den Erzählungen hatte ich die Möglichkeit, mit verschiedenen Perspektiven und Erzählstilen zu arbeiten.
Gleich zu Beginn des Romans antwortet Su auf die Frage, ob sie Angst habe: „Nein, ich habe keine Angst. Angst ist doch das größte Problem hier.“ Im weiteren Verlauf zeigst du die Angst in ihren verschiedensten Ausformungen; die Angst vor Fremden oder auch jene Angst, die einem im Wasser das Gefühl gibt, nach unten gezogen zu werden; und eines der letzten Kapitel hast du „Die Dichte der Angst“ genannt. Was unterscheidet die Angstlosigkeit der Widerständischen von der Angst, die ein autoritäres Regime erzeugt?
Angst zu haben ist etwas Menschliches, jeder und jede von uns kennt das Gefühl. Die Frage ist, wie mit dem Gefühl der Angst umgegangen wird. Wird sie geschürt, um Menschen leichter regierbar zu machen, wie es in rechtspopulistischen Diskursen und autoritären Regimen geschieht? Oder wird sie benannt und gemeinsam verhandelt? Wenn es keinen Platz dafür gibt, sich mit Ängsten, den eigenen ebenso wie mit jenen der anderen, auseinanderzusetzen, kann das dazu führen, dass man sich in sehr enge, disziplinatorische und autoritäre Zusammenhänge begibt, die – scheinbar – Sicherheit und Stabilität gewährleisten. Tatsächlich sind es aber diese Zusammenhänge, in denen Angst geschürt wird. Eine emanzipatorische Möglichkeit, mit Angst umzugehen, ist sich ihr zu stellen, sie zu benennen und sich schrittweise mit ihr auseinanderzusetzen. Die Menschen, die sich dazu entschließen, in den Widerstand gegen autoritäre Regime zu gehen, haben auch Angst – berechtigterweise, denn sie sind permanent von Gefängnis, Folter und Hinrichtung bedroht. Damit sie aber überhaupt in Betracht ziehen können, diese enormen Risiken einzugehen, haben sie Möglichkeiten gefunden, ihre Ängste gemeinsam und solidarisch zu verhandeln und sich ihnen also auch zu stellen.
Immer wieder kommen in deinem Roman traumähnliche Szenen und düstere urbane Landschaften vor, die an Filme und Gemälde erinnern. Du zeichnest intensive, fast bildnerische Szenen und schreibst auch über Bilder. Mir ist, als experimentiertest du mit erweiterten Formen des Erzählens. Als versuchtest du in benachbarte künstlerische Felder zu wechseln, dort Elemente zu nehmen und sie in literarische Formen zu verwandeln. Was waren für dich bei diesem Roman benachbarte Inspirationsfelder?
Während des Schreibprozesses habe ich einige Filme und Videoinstallationen gesehen, die inspirierend waren. Einer dieser Filme ist „La Cité des Enfants Perdus“ (Die Stadt der verlorenen Kinder) von Jean-Pierre Jeunet und Marc Caro gewesen. Dabei ist es mir weniger um thematische oder inhaltliche Bezüge gegangen als um Erzähltechniken, die es ermöglichen, der Erzählung eine bestimmte Färbung oder einen bestimmten Tonfall zu verleihen. Bei visuellen Medien wird in dieser Hinsicht mit Farben und mit prägnanten Einstellungen gearbeitet: Mit einem Bild kann so viel gezeigt und atmosphärisch erzählt werden, wofür es in einem Text vieler Sätze bedarf. Und ich habe mich immer wieder gefragt, wie es möglich ist, auch in und mit Sprache solche Effekte zu erzeugen, ohne dass ich dafür seitenlange Beschreibungen benötige. Die Manifesto-Videoinstallationen von Julian Rosefeldt sind in diesem Zusammenhang auch interessant gewesen. Anhand von kurzen filmischen Episoden sind Kunst-Manifeste (des Surrealismus, des Futurismus, des Dadaismus, des Situationismus usw.) dargestellt und in Szene(n) gesetzt worden. Die Möglichkeit, komplexe sprachliche Setzungen episodisch und narrativ aufzubereiten, ohne in irgendeiner Form illustratorisch zu werden, hat mich dabei fasziniert. Ein anderer Film, der während der Arbeit an dem Roman wichtig gewesen ist, ist der letzte Teil von Lars von Triers Europa-Trilogie, der auch den Titel „Europa“ trägt …
Der Traum von Europa ist in deinem Buch zum Albtraum geworden. Einiges davon, was du beschreibst, kann man auch in der gegenwärtigen Situation erkennen. Auf der einen Seite stehen die (Wirtschafts-)Liberalen, die die europäischen Werte hochhalten. Nennen wir sie die „good guys“ und auf der anderen Seite stehen die „bad guys“, die primär chauvinistisch und kulturkämpferisch auftreten, also die vom neuen und alten rechten Diskurs geprägten Fraktionen. Das ist jetzt eine sehr vereinfachte Dichotomie, aber die letzten Präsidentschaftswahlen in Österreich und Frankreich waren genauso gelagert. Diese Reduktion und der Zwang sich für eine der beiden Positionen entscheiden zu müssen, ist natürlich eine Falle. Wofür und wogegen muss heute gekämpft werden?
Ich denke auch, dass es ein Fehler ist, zu glauben, man könne sich heute für die eine – (wirtschafts-)liberale – oder für die andere – national-chauvinistische – Seite entscheiden. Wir befinden uns in einer Phase der massiven Reterritorialisierung. Das Prinzip des Nationalstaates ist in allen Bereichen tragend, nicht nur in rechtspopulistischen Diskursen. Die so genannten europäischen Werte sind viel abstrakter als die realpolitischen Auswirkungen: 60 Kilometer von Wien entfernt, in Bratislava, verdienen Menschen für dieselbe Arbeit um zwei Drittel weniger. Was, wie wir alle wissen, zur Folge hat, dass gewinnorientierte Unternehmen ihre Firmensitze und Produktionsstätten dorthin verlagern. Unter dem Deckmantel der so genannten Standortsicherung werden dann sukzessive Regelungen zum Arbeitnehmer_innenschutz abgebaut, Lohn- und Gehaltniveaus zum Stagnieren gebracht oder gar nach unten revidiert. Und da kommen die rechtspopulistischen Parteien ins Spiel: Sie kanonisieren die Ängste, geben ihnen einfache Ausdrucksformen und bieten monokausale Erklärungs- und Lösungsvorschläge an, die niemals umgesetzt werden (können). Die anderen Parteien (darunter auch die so genannten sozialdemokratischen) sind nicht mehr in der Lage, die Menschen, die tatsächlich von sozialem Abstieg, von Armut und Existenzkämpfen bedroht sind, zu repräsentieren. In dem Roman habe ich versucht, diese Entwicklungen nachzuvollziehen und in ihren weiteren Konsequenzen zu befragen: Die Aufteilung Europas in A-, B-, C- und D-Zonen, die einer binneneuropäischen Kolonialstruktur entspricht, ist nicht soweit an den Haaren herbeigezogen, wenn wir an den Ausverkauf Griechenlands oder jetzt an die an den Rändern Europas errichteten Lager für geflohene und schutzbedürftige Menschen denken. Ich denke, dass es diese Reterritorialisierungen sind, gegen die wir heute kämpfen müssen: Also gegen die realpolitischen und diskursiven Nationalismen und für globale Umverteilungen. Auch das ist ein Thema im Roman: Widerstand muss immer an und über Grenzen gehen, er kann nur als transnationaler funktionieren.
Eva Schörkhuber,
Nachricht an den Großen Bären
Roman, Edition Atelier, 200 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-903005-27-3
E-Book: 12,99 Euro, ISBN 978-3-903005-48-8
Lesung und Gespräch:
Eva Schörkhuber (Nachricht an den großen Bären) und Mascha Dabic (Reibungsverluste).
Mo, 12. 06., 19.00 h, Stifterhaus Linz
Eva Schörkhuber, 1982 geboren, aufgewachsen in Oberösterreich. Exil-literaturpreis 2012, Theodor-Körner-Preis 2013. Lebt und arbeitet in Wien und Bratislava. Gemeinsam mit Elena Messner Konzeption und Durchführung der Wiener Soundspaziergänge. Zuletzt in der Edition Atelier erschienen: „Die Blickfängerin“ (2013) und „Quecksilbertage“ (2014).
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