Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch ist ein
Im „Salon für Kunstbuch“ ist es Buch, Ware, Objekt, Material, Raum, Projektionsfläche und Sammlerstück. Daniela Fürst hat den Salon-Betreiber Bernhard Cella besucht und berichtet über die objekthafte Materialität und arrangierte Nachbarschaft von Büchern.
Schon 2007 machte sich der Wiener Künstler Bernhard Cella Gedanken zum Medium Buch, das – so wie er fand – in der Kunstwelt bloß ein Randdasein fristete und das zu Unrecht. Diese Überlegungen brachten ihn auf die Idee, sein eigenes Atelier in das Modell einer Buchhandlung umzubauen. Mit diesem konzeptkünstlerischen Ansatz wollte er seinem Interesse am Buch als künstlerisches Material nachgehen. In den ersten Jahren des „Salon für Kunstbuch“ war für Cella auffällig, dass ihm immer wieder Künstlerbücher in die Hände fielen, die keine ISBN-Nummer hatten. Er reagierte darauf und rief, während eines Amerikaaufenthalts 2009, mittels einer Poster-Performance dazu auf, ihm Publikationen ohne ISBN-Nummer in den Salon nach Wien zu schicken. Rund 500 Titel waren das erstaunliche Ergebnis seines Aufrufs, die meisten davon aus Amerika, Japan und Europa. Was die Titel alle gemein hatten: Sie hatten keine ISBN, waren auf Papier gedruckt und jüngeren Datums. Dieses Material stellte für Cella den Grundstock seiner Sammlung dar, die seitdem kontinuierlich anwächst und mit der er sich laufend künstlerisch auseinandersetzt.
Der „Salon für Kunstbuch“erfüllt für Cella mehrere Funktionen zugleich: er ist das Modell einer Buchhandlung, Verkaufsort, Ausstellungs- und Begegnungsraum und eine künstlerische Intervention an sich. Erst diese Hybridität ermöglicht es ihm, bisherige Bedeutungen und Funktionen aufzuheben und künstlerisch neu zu interpretieren. Der Name „Salon“ passt übrigens auch in seiner historischen Konnotation insofern, als Cella seinen Salon ebenfalls als moderierten Raum versteht, in dem er die gestalterische und kuratorische Aufgabe überhat und den Ort bewusst für Besuchende öffnet, um verschiedenste Formen von Austausch zu ermöglichen.
Über 12.000 Bücher umfasst die Sammlung aktuell. Etwa die Hälfte davon kann gekauft werden und rund ein Fünftel sind ohne ISBN-Werke. Der Großteil sind sogenannte Künstlerbücher, aber auch Kunstbücher, vereinzelt auch philosophische, wissenschaftliche und ganz selten literarische Werke. Eingang in die Sammlung findet – kurz gesagt –, was Bernhard Cella gefällt. Genauer gesagt sind es solche Bücher, die seiner Ansicht nach bestimmte, für ihn interessante Aspekte sichtbar machen: etwa eine konkrete politische Haltung, gestalterische Aspekte, künstlerische Trends oder auch bestimmte Bereiche der Gesellschaft oder Öffentlichkeit, die berührt werden. In einem guten Buch kann er das Substrat, das den oder die AutorIn dazu gebracht hat das Buch zu machen, herauslesen und in Folge in seine eigenen Auseinandersetzungen mit der Sammlung einfließen lassen. Er möchte zudem Antworten finden auf Fragen wie „Welche Themen oder Gestaltungsstile sind aktuell?“ oder „Gibt es geografische Tendenzen?“.
Bernhard Cella arbeitet selbst künstlerisch mit den Büchern, indem er sie sortiert, arrangiert und als Objekte in Beziehung zueinander setzt. Sein Interesse liegt auf den Konstellationen möglicher Beziehungen zwischen den Buchobjekten. Nicht der Inhalt steht hier im Vordergrund, sondern die objekthafte Materialität selbst, die für Cella oft erst rein durch die arrangierte Nachbarschaft mit einer größeren Menge anderer Werke zu Tage tritt. Seit 2010 sind die Bücher nach Farben sortiert, was aber nicht speziellen Trends in der optischen Gestaltung von Buchcovers Rechnung trägt, sondern eine Reaktion Cellas auf den Habitus mancher Gäste war, die schon am Eingang fragen, wo sie die Fotobücher oder die theoretischen Werke finden können. Die Farben setzen die gewohnte Buchsortierung außer Kraft und fungieren als alternatives System oder als „Anarchive“, wie Cella es nennt. Sie unterbrechen die übermächtige Bedeutung von Titeln und Klappentexten und ermöglichen den Betrachtenden eine andere, farbassoziative Art Bücher zu entdecken.
Die Publikation „NO-ISBN on self-publishing“, die 2015 erschienen ist, stellt eine Art Zwischenstand seines Kunstprojektes dar. Basis sind die rund 2000 Bücher aus der Sammlung, die keine International Standard Book Number haben. Die Gründe, warum auf die ISBN verzichtet wird, sind vielschichtig: als bewusster künstlerischer Schritt, der das Medium als Ausdrucksform nutzt und der manchmal auch als kritische Antwort auf die egalitären Museumsbetriebe und deren Kunstkataloge verstanden werden kann; weil es einfach der Art und dem Umfang des Inhalts entspricht oder auch des Publikumskreises, an den man sich richtet; weil es die einzige Möglichkeit ist, zwischen Zensur und System überhaupt publizieren zu können; weil es die zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht anders zulassen oder weil das Publizieren zum reinen Selbstzweck geschieht. All das findet sich in Form von Texten, Interviews und Manifesten, gegliedert in fünf Themenbereiche und ergänzt durch eine kurze Mediengeschichte des Buchdrucks und einem Register der analysierten NO-ISBN-Werke im Buch wieder.
Das System der ISBN – im Übrigen vom englischen Geheimdienst in den 1940er Jahren erfunden – dient als internationales Suchsystem vor allem dem klassischen Buchhandel. Im Web wird man aber ebenso schnell und über den einfacher zu merkenden Buchtitel fündig. Das Internet ist in den letzten 20 Jahren zur wichtigsten Informationsplattform avanciert und nimmt seitdem dem Printbereich einen Großteil dieser Aufgabe ab, was zum Wegfall vieler Drucksorten geführt hat. Und wieder einmal wurde dem Buch der Tod prognostiziert. Rasch erkannten aber viele KünstlerInnen das Potential des nun scheinbar „sinnentleerten“ haptischen Buches und endeckten es als neue Spielfläche künstlerischen Ausdrucks und Arbeit. Für Cella kommt noch dazu, dass in fast allen Sparten der Kunst klare Regeln herrschen, alles ist genauestens ausdifferenziert. Nicht so beim Buch, meint er. Dieser bisher wenig beachtete Raum zwischen zwei Buchdeckeln, der im Kunstbereich bisher hauptsächlich als Begleitmedium zu Ausstellungen genutzt wurde, konnte und kann völlig neu interpretiert werden. Und self-publishing bietet zudem noch die Möglichkeit ohne jegliche Filter zu publizieren. Das Buch ist nicht mehr länger bloß Informationsträger, sondern Leinwand, Projektionsfläche, Display, Darstellungs- und Ausstellungsraum geworden.
Wer sich für die Sammlung und das Veranstaltungsprogramm des „Salon für Kunstbuch“ interessiert, findet alle Informationen unter www.salon-fuer-kunstbuch.at
Es gibt zudem natürlich einige aktuelle Bücher mit Linz-Bezug im Salon, zum Beispiel „Another Twist“ von Andrea van der Straeten; „Der Käfig ist auf und der Zoo zu“, ein Kunstuniprojekt, ebenso von Andrea van der Straeten herausgegeben; oder „Hans Le Trou – Die letzte Nachricht“ von Johannes Staudinger.
NO-ISBN on self-publishing
Herausgegeben von Bernhard Cella,
Leo Findeisen und Agnes Blaha
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2015
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!