Electronic Pies in the Poetry Skies

Die Ausstellung Blake fruid präsentiert im Juni im bb15 eine Mehrkanal-Video- und Soundarbeit, die den Körper des Gesangschors im Verhältnis zum Wirbel der textbasierten Sprache heraufbeschwört. Alexander Wöran über den Künstler Samuel Brzeski.

Videostill aus Blake fruid. Videostill Samuel Brzeski

Schande über mich. Der Titel: gestohlen – wieder einmal! Oder? Zum Glück kenne ich den Lyriker ein bisschen, von dem ich ihn mir geborgt habe. Und sein Verständnis von Sprache und Poetik. In betont lässiger, amerikanischer Art würde Charles wahrscheinlich sagen: „Sure, whatever man …I hope you just … just played with it. Transformed it. Substituted it. Put it in another context. Had fun! What the heck … used it, bruised it, schmused it. Eventually, I guess, you had to lose it. And how else would you find it again, eh? Did you find it again? Did you?“ Vielleicht würde er das sagen. Doch seine Gedichte und Essays haben genau diesen Effekt (auf mich zumindest). Sie verstimmen die Ohren, lassen in den Zwischenräumen der Alltagssprache nach fragileren Zuständen suchen und fordern einen geradezu heraus, mit dem Sprachmaterial zu spielen – electronic pies in the poetry skies, Elektrotorten an poetischen Orten, Elektrobeeren in poetischen Sphären, electronic farts in the poetic arts, electronic arts in the poetic farts, jaja, ich weiß, was für ein abgelutschter Reim, fart-art, haha, und: buh … BUH. Aber darum geht es (auch). Er rüttelt an den Bedeutungen, nimmt einem die Angst vor Experimenten und albernen Wortspielen, lässt Sprache in ihrer Materialität erscheinen, wodurch sich neue Assoziationsräume öffnen. Das alles passiert spielerisch, ohne Klamauk zu sein. Es lässt den homo ludens die Sprache schnuppern und sensibilisiert ihn gleichermaßen dafür. Doch halt. Geht es hier um Charles Bernstein? Oder um Samuel Brzeski? Umgehe ich etwa Samuel Brzeski, umgehe ich die Person, um die es geht? Nein.

Und ja. Es ist jedoch kein Zufall, dass ich wieder einmal in Bernsteins Bücher hineingestöbert habe. Und es ist kein Zufall, dass ich bei dem Essay „Electric Pies in the Poetry Skies“ hängengeblieben bin. Im Gegenteil. Die Werke des Sprach-, Medien- und Stimmkünstlers Brzeski regen meine Experimentierfreudigkeit in ähnlicher Weise an wie jene von Bernstein. Wenn er in seiner Performance Yep, that’s the mood minutenlang die Homophone „break“ und „brake“ beackert, die semantische und materielle Dimension der Worte chirurgisch voneinander ablöst, nur um sie im nächsten Moment wieder engzuführen, dann beginnen mein Wernicke-Areal und meine Broca’sche Sprachregion im Gehirn zu zucken. Und wenn er daraufhin beginnt, in die rhythmische Wiederholung der Wortkombination „brake fluid“ kleine Irritationen durch Substitutionen und Transformationen der Buchstaben einzuführen, wenn aus „brake fluid“ „shake druids“ oder „lake druids“ wird, dann hat er nicht nur die Bedeutung der Wortverbindung „brake fluid“ gebrochen, das „brake fluid“ zum „break fluid“ gemacht, sondern mein Sprachzentrum zum Tanzen gebracht. Wie von selbst tanzen mir da „snake fluid“, „cake flu it“, „jake, who’s it“, „just do it“, „yeah, just do it“, „oops, I did it again“ in meine Gedanken hinein. Wie Charles Bernstein hat er mein Gehör anders getunt (vielleicht in einer offenen Stimmung?) und meine Neuronen etwas anders verkabelt, als sie das üblicherweise sind. Auch bei Brzeski passiert das nicht aus Klamauk und einfach so nebenbei, vielmehr ist es eine wohlüberlegte Komposition, in der mehrere Faktoren fein aufeinander abgestimmt sind – die poetischen Kniffe im vorgetragenen Text, die wohlüberlegte Rhythmik seiner Sprechperformance, seine präzise eingesetzte Stimme, die Präsenz seiner Person und natürlich … warum zum Teufel eigentlich der Titel „Electronic Skies in the Poetry Skies“?

In der Ansammlung von Aphorismen unter diesem Titel beschäftigt sich Bernstein mit dem möglichen Einfluss (neuerer) elektronischer Medien auf poetische Praktiken sowie der Sprache in ihrer sozialen Funktion überhaupt. Beide – Brzeski wie Bernstein – nutzen Sprache und die Instrumente, über die sie transportiert wird, ohne sie zu instrumentalisieren, oder wenigstens: Sie verstecken ihre Instrumente nicht bloß hinter ihrem Sound, sondern thematisieren ihre Auswirkungen auf die Soundqualität. Sie bringen das Trägermaterial der Sprache mit zur Sprache. Dass ein und dieselbe Aussage zu zwei mehr oder weniger verschiedenen werden kann, je nachdem, ob sie in schriftlicher Form gelesen, oder mündlich ausgesprochen wird – begleitet von Mimik, Gestik, Stimmlage usw., ist zwar kein Geheimnis. Aber gerade im Alltagsrauschen der Sprache treten die Instrumente, die Sprachvehikel gerne in den Hintergrund. Wie oft wird beim Scrollen durch die Nachrichten am Smartphone schon daran gedacht, welche Auswirkung das Vehikel „Smartphone“ auf den Inhalt hat, der da konsumiert wird? Dann und wann kommt einem dabei ein Artikel unter, in dem darüber gesprochen wird, wie sehr das Smartphone unsere Aufmerksamkeitsspanne abfuckt. Ich komme über die Schlagzeile selten hinaus. Anyway, I digress.

Der Bezug auf und kreative Umgang mit dem Trägermaterial scheint mir also eine weitere Gemeinsamkeit der künstlerischen Praxis beider (etwa, wenn Bernstein mit dem Gedicht „Poem loading“ – und mehr ist es nicht, außer einem Ladebalken darunter – den Bildschirm auf die Druckseite klatscht und den Ladevorgang in einen poetischen Kontext setzt). Doch was bei Bernstein in Bezug auf elektronische Medien (eher) in der Theorie bleibt, kommt bei Brzeski zur Anwendung. Kurz, Bernstein spricht über die „Electronic Pies in the Poetry Skies“, Brzeski hat sie im Ofen, sozusagen. Erfrischend, denn gerade in der Medienkunst kommt mir die poetische Auseinandersetzung mit der Sprache im Digitalzeitalter eher wie ein Randphänomen vor. Oder ist es umgekehrt? Ist die Auseinandersetzung mit elektronischen Medien in der Sprachkunst, insbesondere der Poesie, ein Randphänomen? Wie auch immer, Brzeski bedient sich in seinen Arbeiten und Performances der Methoden beider Bereiche auf synergetische Weise und eröffnet damit einen zeitgemäßen Sprachdiskurs. So steht in der oben genannten Performance die Präsenz seiner Stimme gegen die Präsenz zweier Visualisierungen gegen die Präsenz eines zusätzlichen Audioloops mit seiner Stimme, die sich gegenseitig kompositorisch ergänzen, aber auch ein Spannungsverhältnis untereinander eröffnen. Mal versinke ich im Sound seiner Stimme, mal in der Visualisierung auf den Screens, mal in den Loops (und – not gonna lie – mal in seinem Bart und seiner Ausstrahlung). In manchen Momenten finden alle Ebenen wunderbar zusammen, nur um im nächsten wieder zu zerfallen, nur um im nächsten wieder zusammenzufinden, nur um im nächsten wieder zu zerfallen … es ist das Dazwischen, die Lücken der Sprachräume, deren space oddities, in die er mich hineinführt, in denen Bedeutungen und Definitionen gleichzeitig eigenartig wackeln und wurzeln.

Wie die elektronischen Tortenformen die Torten formen, wird für mich auch in seinen installativen Kunstwerken verhandelt (und auf die Gefahr hin, hier den alten Platon zu flamen: nicht verformen! die eine, also DIE Tortenform, ist ein Mythos. Oder?). In der Installation Just be glad it’s not you werden etwa Textschnipsel aus einem Online-Forum zum Thema Narzissmus verschnitten und auf mehreren Bildschirmen zu Hard-Techno-Musik getaktet. Das konfrontiert mich beim Betrachten nicht nur mit den technischen Beschleunigungsorgien des Internets, der Raum-Zeit-Vernichtungs-Maschinerie. Sie fällt mir normalerweise kaum mehr auf, weil ich mich daran gewöhnt habe, ein seltsamer Effekt: die Entschleunigung der Beschleunigung (ist es das, was man konstante Beschleunigung nennt?). Vielmehr lässt mich das Werk auch mit der Frage zurück, wer da wo, warum und vor allem wie spricht – durch das audio-visuelle Entgegenhämmern und den Netzäther hindurch, stehe ich in Gedanken wieder vor den einzelnen Personen, welche die Textschnipsel produziert haben könnten, denen, die sich am Leid anderer aufgeilen, denen, die ihr Expertentum nur online ausleben können, denen, die wirklich Hilfe suchen, denen, die wirklich Hilfe bieten wollen. Und: Was macht die Tortenform des Onlineforums mit Sprache? Welche Sprechweisen erlaubt sie, welche nicht?

Apropos Tortenformen und Sprechweisen: Texte wie dieser, in denen eine Person über die Kunst von jemand anderes spricht, sind immer verkürzt (und er wäre es noch, wenn er ___, oder _________ Seiten hätte). Ein bisschen schlechtes Gewissen schwingt da bei mir immer mit und ich frage mich, ob ich manchmal beginne, Geister zu sehen, wenn ich da fröhlich vor mich dahininterpretiere; es lässt mich an Bernsteins letzten Aphorismus denken: „There’ll a pie in the sky when you die. But not likely.“ So, take my text with a grain of salt and go watch the show. Immerhin gibt es einen kleinen Trost: Jede Torte verträgt eine kleine Prise Salz.

Samuel Brzeski ist ein Künstler und Schriftsteller, der hauptsächlich mit Sprache und Stimme arbeitet. Er studierte Literatur an der University of Sheffield, Bildende Kunst an der Bergen Art Academy und nahm am Mountain School of Arts Programm in Los Angeles teil. Zu seinen jüngsten und laufenden Projekten gehören Ausstellungen, Performances und Publikationen mit Lydgalleriet (Bergen), Østre (Bergen), Inversia Festival (Murmansk), Babel Visningsrom (Trondheim), Black Box Theatre (Oslo), Galleri Box (Göteborg) und Chao Art Center (Peking). Er ist außerdem Mitglied von TEXST, einer Publikationsplattform und einem Schreibkollektiv. Vom 21.–30. Juni, Eröffnung 21. Juni 19:00 Uhr, präsentiert er als Teil des Oscillations-Austauschprogramms für Künstle­r:innen im bb15 seine Arbeit Blake fruid.

Die Ausstellung Blake fruid präsentiert eine mehrkanalige Video- und Soundarbeit, die den Körper des vokalen Chors im Verhältnis zum Wirbel der textbasierten Sprache heraufbeschwört. Verschiedene parallele und sich überschneidende Erzählungen entfalten sich und präsentieren die Figur eines unzuverlässigen oder instabilen Erzählers, eines Erzählers, der immer in Bewegung ist. Die verwobene Erzählung be­handelt Sprache als Rohmaterial durch die Stimme und durch Text, indem sie Spra­che aus einer Vielzahl von Quellen entlehnt und umgestaltet, darunter YouTube-Anleitungsvideos, Online-Selbsthilfeforen, motivierende Status-Updates, linguistische Lehrbücher, Autowartungshandbücher und Cowboy-Songtexte.

bb15 ist ein unabhängiger artist-run-space und ein Kurator*innen-Kollektiv, das seit 2009 in der Linzer Kunstszene aktiv ist. Als offener Raum für Künstler*innen unterstützt bb15 experimentelle Ansätze und entwickelt Ausstellungen, Performances und kulturelle Veranstaltungen. bb15 ist in internationale Kooperationen involviert und fungiert als Plattform, die den Austausch von aufstrebenden internationalen und lokalen Künstler*innen fördert und sie während ihrer Karriere unterstützt.

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