„Es wird keine Bilder mehr geben!“

Zwischen radikalem Statement und Vermittlungskonzept: Das KünstlerInnenmanifest steht im Frühjahr im Atelierhaus Salzamt im Mittelpunkt. Anna Maria Loffredo von der Kunstuni Linz im Gespräch mit Andreas Zeising, der demnächst als Art-Researcher-in-Residence im Salzamt zum Manifest arbeiten wird. Gemeinsam mit Studierenden wird dann Ende April die Ausstellung zu KünstlerInnenmanifesten der Avantgarde und Neoavantgarde eröffnet. Ein Preview im Vorfeld der Ausstellung.

Manifest der Künstlergemeinschaft Brücke (1905). Bild Ernst Ludwig Kirchner

Loffredo | Lass uns mal ein bisschen spekulieren, was wohl das Ergebnis deines Aufenthalts in Linz sein könnte. Deine Residency kreist ja um das Thema Künstler:innenmanifeste. Was wird am Ende unserer gemeinsamen Arbeit mit den Studierenden stehen?

Zeising | Also, wenn ich mich jetzt frage, was letztlich als Ausstellung herauskommen könnte, ohne das schon genau zu wissen, würde ich denken, dass das junge Menschen sind, die einerseits Interesse an eigener künstlerischer Arbeit und an Fragen haben, die unsere Gegenwart beschäftigen, und andererseits – da sie an die Fachdidaktik angebunden sind – auch an Fragen der Vermittlung von künstlerischer Arbeit. Vielleicht ist es vorstellbar, dass sie versuchen, sich selbst schreibend mit dieser speziellen Materie auseinanderzusetzen? Denn eine wichtige Feststellung für dieses ganze Projekt ist, dass unsere Ge­genwart die beste Zeit für Manifeste ist!

Loffredo | Ich sehe das zweischneidig von der Möglichkeit, dass Studierende ihr eigenes Manifest schreiben. Wir könnten sie zu sehr herausfordern, sich einer Textart mit ihrem Namen öffentlich zu widmen, was nicht immer unproblematisch ist. Ich muss meine Studierende ja ein Stück weit schützen.

Zeising | Mir kam das in den Sinn, weil ich das Thema schon einmal in Bremen an der Hochschule für Künste als Seminar verfolgt habe. Das war damals interessant, weil es eine doppelte Spiegelung gab. Auf der einen Seite war da eine Herangehensweise aus der Distanz der Lektüre her­aus. Andererseits aber auch der Versuch, sich den eigenwilligen Duktus dieser Tex­te anzueignen, um sich selbst in künstlerischer Weise zu aktuellen Zeitfragen zu äußern. Denn die wenigsten dieser Manifeste haben ja den Charakter von Sachtexten. Viele sind politisch und fokussieren auf gesellschaftliche Zeitfragen, andere sind völ­lig ichbezogen und absurd narzisstisch.

Loffredo | Tja, und Lehrer sind für andere da, anders als beim Künstler. Wenn ich mir das Manifest von Jonathan Meese anschaue, dann fällt auf, dass es zu einem Instrument wird zu dieser schwierigen Ant­wort auf die Frage: Was ist Kunst? Ein Manifest hat demnach die Funktion, dass man seine Gedanken wie in einem Tagebuch ordnet … muss ich es aber direkt Ma­nifest nennen und damit öffentlich gehen?

Zeising | Meese lebt ja in einer Zeit, also unserer Gegenwart, in der solche hochfliegenden künstlerischen Entwürfe eigentlich nicht mehr möglich sind. Auf den Bedeutungsverlust der Kunst reagiert er mit einer Art kindlichem Trotz, indem er nicht nur pausenlos immer neue Manifeste produziert, sondern sie auch mit Bedeutung geradezu überfrachtet, von der Kunst als „totalster Lebensbejahung“ bis hin zur „Diktatur der Kunst“. Aber das alles besitzt im Grunde keinerlei Referenz, ist lediglich narzisstische Selbstbespiegelung. Ähnlich übrigens bei Marina Abramovic, die in ihrem Manifest ein Künstlerinnenselbstbild formuliert – „An artist should suffer“ oder „An artist should not repeat himself“ –, das klingt, als hätte es die Post­moderne nie gegeben. Aber wenn man sieht, wie sie das live vor Publikum vorträgt, dann ist es genauso ironisch wie bei Meese. Da muss sie selber lachen, wenn sie so etwas sagt. – Aber um noch einmal darauf zurückzukommen, was man mit den Studierenden ausstellen kann: Ich wür­de erst einmal sagen, wir arbeiten nicht auf ein bestimmtes Ziel hin, sondern schau­en, was im Prozess entsteht. Das kann eine historische Auseinandersetzung mit den Gegenständen sein. Es kann aber auch der Versuch sein, sie zu befragen und auf ihren aktuellen Gehalt hin zu überprüfen.

Loffredo | Was sind eigentlich die Gemeinsamkeiten von Manifesten?

Zeising | Die Texte selbst können sehr unterschiedlich von ihrer Form her sein: superkurz oder ewig lang, sachlich oder konfus, aus der Ich-Perspektive verfasst oder in einem imaginären „Wir“ formuliert. Es können Thesen und Schlagworte sein oder seitenlange theoretische Erörterungen. Meistens gibt es eine Verbindung als eine Kritik an der Zeit, an den „Verhältnissen“ und an der Kunst – und eine Antwort darauf, die oftmals radikal ausfällt und einen revolutionären Wandel anzustoßen versucht. Zeitlich kann man die Texte in drei Blöcke einteilen. Zunächst die Klassische Avantgarde, also die Zeit bis 1933 bzw. bis zum Zweiten Weltkrieg, mit Bewegungen wie Expressionismus und Futurismus. Dann die Nachkriegsepoche und die Neoavantgarde, die vieles wieder aufgreift, aber vor der Folie der Erfahrungen des Faschismus, der drohenden atomaren Zerstörung und des politischen Aufruhrs der ’68er deutet. Schließlich das, was man im weitesten Sinne als Postmoderne bezeichnen könnte, also die Zeit von den 1980er Jahren bis heute.

Loffredo | Siehst du denn bei den älteren Texten Anknüpfungspunkte an unsere Zeit?

Zeising | Absolut, und gerade das finde ich interessant! Was Künstler:innenmanifeste immer wieder konstatieren, ist ja eine tiefgreifende Krisis des „Systems“ und ein Lähmungszustand der Politik, dem sich nur durch eigene Aktion und kreatives Handeln beikommen lässt. Wir selbst leben in einer Zeit, die einerseits geprägt ist durch das, was Colin Crouch mit der Vokabel der Postdemokratie bezeichnet hat, also einer Bedeutungslosigkeit der politischen Institutionen, da Entscheidungen faktisch durch die kapitalistischen Interessen der globalisierten Wirtschaft bestimmt werden. Auf der anderen Seite erleben wir allerorten Prozesse politischer Partizipation und Graswurzelbewegungen, von Greta Thunberg und linken Aktivisten bis hin zu Corona-Demos, auf denen Wutbürger, rechte Ideologen und alternative Spinner zueinander finden. Alle möglichen Leute, die aus einer Form der Skepsis gegenüber den Verhältnissen heraus wieder die Straße für ihre Manifestationen benutzen. Ich stelle mir vor, dass wir nicht nur ein Seminar machen, das einen rein historischen Fokus hat, sondern uns immer auch kritisch fragen, was machen die da eigentlich vor der Folie dessen, was wir gerade erleben.

Loffredo | Beispielsweise welche Anknüpfungspunkte gibt es aus der Alltags- und Populärkultur? Ich bin von deinem Themenvorschlag Manifeste begeistert gewesen, weil ich zu dem Zeitpunkt auf Netflix die Geschichte vom „Unabomber“ geguckt habe. Da gibt es eine Anknüpfung vom Jetzt zum Früher.

Zeising | Ich habe das Seminar schon ein paar Mal gemacht und deswegen beobachtet, wie die Teilnehmer:innen überrascht sind, weil man denkt, das seien so eine Art Begleittexte zu künstlerischer Produktion. Aber eine der Grundthesen fast aller dieser Manifeste, zumindest der Avantgarde und der Neo-Avantgarde, ist, dass beklagt wird, dass die Kunst zu unpolitisch ist, dass sie in lebensferne Nischen einer rein ästhetischen Betrachtung isoliert worden ist. Die Grundforderung lautet deshalb, diese künstliche Trennung von Kunst und Leben aufzuheben: „Es wird keine Bilder mehr geben!“ Kunst soll politisch werden! Allerdings sind es natürlich nur Worte. Die Texte sind oftmals utopisch oder visionär und greifen zu den Sternen, die Kunst hinkt dann manchmal doch ziemlich hinterher. Das werden wir uns näher anschauen.

Loffredo | An einer Kunstuniversität – Aufschrei! Ai Wei Wei wäre auch eine Person, die wiederholt Manifeste herausgebracht hat, dass ich denke: Ja, lieber Ai Wei Wei, reicht denn eigentlich nicht deine Kunst als Statement?

Zeising | Ganz offensichtlich reicht sie nicht mehr – oder vielleicht ist sie auch einfach nicht mehr verständlich und bedarf der Vermittlung. Künsterler:innenmanifeste sind ganz klar ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Denn im 19. Jahrhundert, am Beginn der Moderne, hat es so etwas noch nicht gegeben. Zu dieser Zeit schreiben Künstler:innen zwar schon viel, sie kommentieren ihre eigenen Werke, produzieren Kunsttheorie oder sind so etwas wie Kunstkritiker:innen …

Loffredo | Oder verfassen Briefwechsel!

Zeising | Zum Beispiel! Es gab damals auch Künstler:innen, die bemerkenswerte Theoretiker:innen sind. Ein großer Unterschied ist allerdings, dass das Manifest eine literarische Form ist, die völlig unabhängig von dem zu rezipieren ist, was künstlerisch gemacht wird. Zum Beispiel am Anfang der Avantgarde das „Brücke“-Manifest von 1905: Ein ganz kurzer Text, der in drei Sätzen alles Mögliche fordert: kreative Erneuerung, Aufbruch der Jugend, schöpferischer Umsturz! Das Wort Kunst kommt dabei gar nicht vor. Man könnte das Manifest verteilen, und die Leute würden nie im Leben darauf kommen, dass es ein Künstler:innenmanifest ist. Kunst im bürgerlichen Verständnis, also im hübschen Goldrahmen und als folgenloser ästhetischer Genuss einer gebildeten Elite, ist immer wieder das Feindbild, um das es geht. Auch die Futuristen schreiben: Brennt die Museen ab – denn da stirbt das Leben! Es wird eine Revitalisierung gefordert, die Kunst und Leben zu einer Lebenskunst macht. Besonders deutlich zeigen das die ersten Manifeste nach dem Zweiten Weltkrieg von 1948, die unter dem Eindruck von Millionen Toten und der ganzen Trümmerwüste verfasst sind. Natürlich kann es in dieser Situation nicht mehr darum gehen, irgendwelche abstrakten Bilder zu malen, wie in den 1920er Jahren, weil das Projekt der Moderne mit dem politischen Zusammenbruch gescheitert ist. Stattdessen interessiert man sich plötzlich – und das ist ein Aspekt, der pädagogisch interessant ist – für Kinderzeichnungen, also vitale Impulse eines vermeintlich unverfälschten Menschseins. Die Künstlergruppe CoBrA bezieht sich darauf oder auch Jean Dubuffet. Die Nähe zur Kunstpädagogik liegt für mich auf der Hand. Künstler:innenmanifeste haben sehr oft pädagogischen Charakter. Sie sind keine Didaktik, mit der die eigene Kunst vermittelt werden soll, sondern eine Pädagogik, die beim Leser ein anderes Bewusstsein bewirken will. Daher lassen sich die Texte auch lesen, wenn man wenig über die Künster:innen weiß. Man kann in einem zweiten Schritt erst fragen: Was haben die jetzt eigentlich für Bilder gemacht? Oft ist man überrascht, weil man sieht, dass all die hochfliegenden Ideen mit den Mitteln von Leinwand und Farbe gar nicht mehr einzuholen sind. Das Manifest ist selbst das Kunstwerk!

 

28. April, 18 Uhr –12. Mai 2021
Es wird keine Bilder mehr geben!
KünstlerInnenmanifeste der Avantgarde und Neoavantgarde
Atelierhaus Salzamt
Ein Ausstellungsprojekt von Prof. Anna Maria Loffredo (Kunstuniversität Linz) und Prof. Andreas Zeising (Kunsthistoriker aus Siegen, Gast im Salzamt) mit Studierenden. Auf der Basis eines Close Readings ausgewählter KünstlerInnenmanifeste sollen Argumentation, Rhetorik und Gestaltung dieser oft eigenwilligen, kuriosen oder poetischen Programme untersucht, ihr gesellschaftlich-künstlerischer Anspruch überprüft und der entscheidenden Frage nachgegangen werden: Was soll und was kann Kunst aus KünstlerInnensicht leisten?
blog.salzamt-linz.at

Eine Reflexion über das Ausstellungsprojekt „Es wird keine Bilder mehr geben! KünstlerInnenmanifeste der Avantgarde und Neo­avantgarde“ gibt es in der Referentin #24 zu lesen.

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