female positions
„Mein Sohn lebt in einem Matriarchat“, verkündet mein Onkel meiner Begleitung und mir beim Kaffee im kühlen Esszimmer … der Sohn, mein Cousin, sitzt ebenfalls mit uns am liebevoll gedeckten Tisch, auf dem kleine Brötchen mit Schinken und Mayonnaise und ein Teller mit verschiedenen bunten Kuchenstücken den draußen beinahe unerträglich heißen Nachmittag schmackhaft begleiten. Eine Frage der Gastfreundschaft, denn meine Tante ist eine erfahrene, routinierte Gastgeberin.
Mein Cousin versucht der Aussage seines Vaters durch Lachen und Kopfschütteln etwas Scherzhaftes zu geben. Nicht, weil es ihm peinlich wäre, in einem Matriarchat zu leben, oder ebenso zu leben, wie er eben lebt mit einer gebildeten, beruflich erfolgreichen Frau und einer Tochter, die fast so groß ist wie er und gerade begonnen hat zu studieren. Ein artiges Kind, lernt brav. Auch mein Cousin ist erfolgreich in dem was er tut, aber er spricht wenig darüber, er ist nicht der Nabel der Welt …
Nein, es ist ihm unangenehm, weil mein Onkel diesen Zustand sichtlich als verwerflich darstellen möchte, als wenig erstrebenswert. Die Kritik am Familienleben des Sohnes im Begriff des Matriarchats zu verpacken mit der Absicht, es ein wenig lächerlich erscheinen zu lassen, das findet mein Cousin unpassend. In Wahrheit macht es dem Vater zu schaffen, dass seine Schwiegertochter nicht allem zustimmt und eigene Vorstellungen hat. Nicht nur in der Beziehung, sondern in ihrer ganzen Lebensführung. Sie betrachtet die Generation, die dem Establishment nacheifert und sich dem guten Leben uneingeschränkt und unkritisch hingibt, ihrerseits kritisch. Sie folgt dem Leistungsprinzip durchaus, aber mit etwas mehr Bewusstsein für die Probleme, die es nebenbei auch noch gibt auf der Welt.
Ich sage zu meinem Cousin (ebenso scherzhaft): „Vielleicht sollte deine Frau auch ein Buch herausgeben!“
Mein Onkel hat natürlich schon mehrmals Bücher herausgegeben – in denen es hauptsächlich um ihn und seine Arbeit geht – da sollte sie mal nachziehen die Schwiegertochter, die Matriarchin. Das könnte dann neben den Büchern meines Onkels im Bücherregal stehen.
Und damit zurück zu meinem Onkel. Er ist beruflich sehr erfolgreich und ist ein kluger Mann mit einem gewissen Hang zur Selbstliebe, wie das bei erfolgreichen Menschen nicht ganz unüblich ist und sich bei älteren Männern zunehmend stärker ausprägt. Er ist der Überzeugung, dass zwei Menschen gemeinsam mehr schaffen können als einer allein – was Tante und Onkel absolut vorgelebt haben – und dass diese beiden Menschen dann auch Verantwortung füreinander übernehmen müssen – Scheidungen findet er völlig absurd. So weit so gut. Dem kann ich durchaus etwas abgewinnen. Und seiner Annahme, dass es allein schwieriger ist als zu zweit, kann ich aus Erfahrung nichts entgegensetzen.
Doch die Zeiten haben sich verändert. Die geübte Hausfrau, Mutter und Gefährtin zu sein und den Erfolg der besseren Hälfte mit jeder Faser zu unterstützen, ist selten geworden. Oder besser gesagt, das selten gewordene Modell wir trotzdem ausprobiert – auch umgekehrt – und oft verworfen. Oder bestenfalls kreativ umgewandelt – auch das bringen Beziehungen mitunter zustande. Dazu bedarf es allerdings weder eines Matriarchats noch eines Patriarchats – ich würde es „ein modernes Familienleben“ nennen.
Momentan sehe ich viele Familien, die genau deshalb funktionieren, weil niemand auch nur eine überzählige Minute Zeit hat, sich darüber Gedanken zu machen, ob das alles befriedigend ist. Überforderung an allen Ecken und Enden. Aber es funktioniert – fernab jeder Romantik!
Sich ein paar Gedanken zu machen über Gehalts- und Pensionsanpassungen, geschlechtergerechte innerbetriebliche Strukturen und Berufsbilder wäre gerade deshalb hilfreich.
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