fuck consent, we want conflict!

Der österreichische Außenminister twittert am Abend der französischen Präsidentschaftswahlen darüber, dass mit Emmanuel Macron linke Politik abgewählt wurde – kaum jemand kann sagen, was uns der junge Mann damit eigentlich mitteilen will. Bereits knapp ein halbes Jahr davor beginnt Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek am Tag nach der Wahl zum amerikanischen Präsidenten mit der Arbeit an einem Theaterstück über Verwirrungen, Unschärfen und einen Zustand politischer Blindheit, in dem nur noch die Orakel Wahrheit sprechen1. Weil ohnehin alles, was so schnell und öffentlich ausgeschieden und abgesondert wird, nicht lange genug lebt, um auf Wahrheitsgehalt hin überprüft werden zu können. Und das ist gut so – denn um Wahrheit, Wahrheit sprechen und Wahrheit besitzen geht es längst nicht mehr. So eine Kolumne braucht Zeit und deshalb liegen zwischen diesen ersten Zeilen und dem Moment, in dem ich nun schreibe, ein paar Tage (oder Wochen). Und in dieser Zeit hat der österreichische Außenminister die Realität in seinem Geilomobil überholt, ist mittlerweile nicht nur Außenminister, sondern auch Obmann seiner Partei, hat Neuwahlen ausgerufen und seiner Partei die Bedingungen diktiert, unter denen er bereit ist, sie zu führen. Um sie kurz darauf namentlich zu eliminieren. Er meint, zwar als Parteiobmann, nicht aber als Vizekanzler zur Verfügung zu stehen, mit der Begründung, ein anderer als er sei für diesen Job besser geeignet, was die Frage aufwirft, warum derjenige dann nicht auch die Partei führt. Rhetorische, strategische Spielchen, die an die Anfangssätze dieser Kolumne anschließen: Um Wahrheit, Wahrheit sprechen oder besitzen geht es nicht. Das wäre mir an und für sich kein großes Problem, denn an die Stelle einer „Suche nach Wahrheit“ und eines stets anzuzweifelnden Gültigkeitsanspruches könnte die Frage nach welcher Wahrheit denn treten. Oder auch nur die Idee, etwas (das Gegenüber, die andere Wahrheit?) kommentarlos ein paar Minuten auch mal so stehen zu lassen, sowie die Einsicht, dass konzentriertes Schweigen eine Form von Kommunikation ist.

Das Gegenteil aber ist der Fall. Jene, die Nachdenkpausen stets als Aufforderung missdeuten, anderen ihre Wahrheit um die Ohren zu hauen, sind weder bereit zu verstummen noch sich zu besinnen. Es sind jene, die erkannt haben, dass die Wahrheit ein instabiles und ungreifbares Konstrukt ist und das Volk sich mit täglich neu gebastelter nicht nur zufrieden gibt, sondern dies als dynamisch! männlich! führungsstark! nachgerade einfordert. Punks wie Trump haben die Macht übernommen. (Es sind nicht dieselben Punks, an die wir dachten, als wir uns das eine Sekunde lang wünschten.) Kapitalismus-Anarchos, die sich einen Dreck darum scheren, ob das, was sie heute sagen, morgen noch Gültigkeit hat und wer von den Gesetzen, die sie verabschieden, in welcher Art betroffen und behindert wird. Dass Sebastian Kurz seine eigene Partei in ihrer Existenz gefährdet, indem er ihren Erfolg von seinem Namen abhängig macht und damit das System ÖVP zerschlägt – wird nicht als systemgefährdend kritisiert, im Gegenteil, er wird dafür bejubelt: bemerkenswert die Gelöstheit, mit der viele ÖVP-Menschen laut Hurra! schrien, als ihr Alphatierchen im Handstreich jene Partei, die ihn aufgebaut hat, abschaffte – juhu, schrieben sie etwa auf Facebook, das ist gut, endlich wieder einer, der sagt, wo es langgeht. Endlich wieder einer, der sich was traut, ein starker Mann, wie schön, wir folgen ihm. Sebastian Kurz ist auf dem besten Weg ein rechter Populist zu sein und bedient mit seinem Handeln und der Art, wie er sich seines Vorgängers entledigt hat, archaische Sehnsüchte. Und dabei ignoriert er nicht einmal die Systematik des politischen Umsturzes, er ignoriert bloß, dass dieses unschöne Absägen und der überdeutliche Wille zur Macht bislang nicht ganz so offen zur Schau gestellt wurden. Und liegt dabei voll im Trend, hey! Eleganz hat ausgedient, auch und vor allem in der Politik. Postpolitisch und postdemokratisch – so beschreibt die belgische Politikwissenschafterin Chantal Mouffe die aktuelle Situation, in der die gekannten Parteiensysteme ausgedient haben und Menschen nicht länger Konsens einfordern, sondern Konflikte. Das Volk will Blut sehen, das Volk will sich entscheiden können, am besten stündlich neu. Unterhaltet uns! Spannend nebenbei bemerkt, wie ausgerechnet in der Postdemokratie mehr (direkte! also meine!) Demokratie eingefordert wird. Zur Hölle, es ist verwirrend.

Im Kontext dieser Streit- und Provokationssehnsucht liest sich auch der ganz offen zur Schau gestellte Sexismus wieder ganz logisch und macht es sich gemütlich. Wie er es tatsächlich gemeint hat, sei dahingestellt und ich glaub ihm gerne, dass er sich selbst nicht als einen Sexisten sieht. Jedenfalls hat Hans Bürger, immerhin ORF-ZiB-Ressortleiter Innenpolitik/EU, mit einem Satz deutlich gemacht, zwischen welchen Wahrheiten wir hin und her gebeutelt werden: „Das wird der brutalste und härteste Wahlkampf, dieser, 2017, da gilt es auch gegen Männer zu bestehen2.“ Einige meiner Meinung nach zu Recht kritische Bemerkungen später fühlt er sich ungerecht behandelt: „Wie kann man etwas nur so missverstehen“, schreibt er auf Twitter und bestätigt damit jede vorangegangene Kritik. Hach, Frauen sind einfach nicht hart genug für dieses Politdings und dann missverstehen sie einen auch noch … Eva Glawischnig, so betont er, habe sich von seiner Aussage ja gar nicht betroffen gefühlt, so als dürften sich deshalb alle anderen Frauen nicht von der Schnoddrigkeit betroffen fühlen, mit der Hans Bürger zwei Lager auftut und Zuschreibungen macht, die andernorts längst als passé erachtet werden.

Als Politanalyst hätte er wissen können, wie auf einen ungeschickten Stolperer in einer Liveanalyse zu reagieren sein könnte. Hätte. Könnte.

Schon kommt ihm ohnehin der Kollege vom Standard zur Rettung: „Unsere Krise von Politik und Journalismus kommt vielleicht auch daher, dass manche etwas nicht wahrhaben wollen, obwohl es doch evident ist“ schreibt Thomas Mayer als Kommentar zur Kritik an Hans Bürger3.

Da ist sie wieder, die Wahrheit und ihre Verteidiger. Umgekehrt würde ich formulieren: unsere Krise – ganz generell – kommt vielleicht daher, dass ein Teil der Menschheit seit Jahrhunderten die andere mit ihrer Überzeugung zu wissen, was evident, wahr oder halt einfach so ist, quält und langweilt.

Ich spüre den Fatalismus den Nacken raufkriechen, lehne mich zurück und wohne – mittlerweile nicht einmal mehr überrascht – einem Schauspiel bei, das sich in klirrender Eindeutigkeit vorführt, keinen Zweifel daran lässt, wer welche Absichten hegt oder gar elegant mit Zwischentönen oder Mehrdeutigkeiten spielt. Eleganz ist weder eine politische noch eine revolutionäre Größe, ich weiß, und dennoch sehne ich mich manchmal nach ihr.

 

1 Anm. WH: „Auf dem Königsweg“ wurde gekürzt und auf Englisch („The Burgher King“) am 27. 03. 2017 in New York als Lesung aufgeführt, darüber hinaus ist zu diesem Theatertext zu/über Donald Trump von Elfriede Jelinek aktuell nichts zu erfahren oder auf der Homepage der Schriftstellerin zu finden. Dass Jelinek sofort nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten mit der Arbeit daran begonnen hat, ist in einem Artikel der Welt nachzulesen: www.welt.de/kultur/article163225150/Das-Schweinchen-mit-den-komischen-blonden-Haaren.html

2 derstandard.at/2000057870537/Kritik-an-ORF-Journalist-Buerger-wegen-Glawischnig-Analyse

3 twitter.com/TomMayerEuropa/status/ 865487716300972032

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert