Gegen leere Clubs und gegen leere Kirchen

Holy Hydra versteht sich als zeitgenössisches Format in Sakralräumen, das unter anderem elektronische Musik und multimediale Rauminstallationen veranstaltet. Als einer der Köpfe der Hydra gibt Amanda Augustin einen Eindruck über die Debatte ‚Sakralräume vs Stadtraum‘ sowie über die geile Hydra selbst – des Geschöpfes, das Tag und Nacht für die Subkultur kämpft.

Die Holy Hydra in der Stadtpfarrkirche Urfahr. Foto Fabian Erblehner

Da steht sie vor mir, die ehemalige Kapuzinerkirche. Ich vor ihr, an einem verregneten Donnerstag im Oktober, links von mir die Kapu. Fünf Jahre ist es her, dass ich hier, im Gastgarten der Kapu, an einem lauen Sommerabend mit meinen Freund:innen vom Veranstaltungskollektiv „Die geile Hydra“ Spritzer trank und mein Blick Richtung Kapuzinerkirche wanderte. Ein Rave in einer Kirche? Wie geil wär’ das denn!?

Die Idee der „Holy Hydra“ war geboren. Das war im Spätsommer 2016, ein paar Monate nachdem die Kapuzinerkirche profaniert, also entweiht, worden war. Die Entweihung selbst ist eine Zeremonie, eine abschließende heilige Messe, bei der die kirchliche Nutzung des sakralen Gebäudes beendet wird. Danach ist die Kirche entwidmet und aus kirchlicher Sicht lediglich ein gewöhnliches Gebäude. Das sollte eine profane Zwischennutzung erleichtern, dachte ich und machte mich an ein Konzept für ein zweitägiges Format mit Kunst, Kultur und einem Symposium als theoretische Basis.

Der Kontakt mit der damals zuständigen Immobilienfirma, von der die Kirche und das anschließende Klosterareal verwaltet wurde, war rasch hergestellt. Ebenso schnell hatte ich eine mündliche Zusage der Immobilienfirma zur Umsetzung des Projektes in der Tasche, woraufhin ich mich kurzerhand mit meinem Kollektiv an die Planung machte. Zwei Monate und mehrere abgeschickte Förderansuchen später kam dann die unerwartete Absage. Sie, die Zuständige der Immobilienfirma, habe alles versucht, aber der Kapuzinerorden, der schlussendlich über diese Räumlichkeiten verfügt, sei doch nicht überzeugt von einer Zwischennutzung. „Ich bitte Sie, das Nein des Paters zu akzeptieren“.

Schnell war klar: eine andere Kirche muss gefunden werden. Statt die entweihte Kapuzinerkirche zu bespielen, bot sich die nach wie vor herkömmlich genutzte Stadtpfarrkirche Urfahr an. Darin beheimatet ist die Jugendkirche Grüner Anker, die sich die Kirchenräumlichkeiten mit der Pfarre teilt und regelmäßig kleine Konzerte, Theaterstücke und Chornachmittage veranstaltet. Auch die Pfarre selbst organisiert ein Kunstformat namens „Wasserzeichen“, bei dem Linzer Künstler:innen eingeladen werden, das Seitenschiff zu bespielen. Beste Voraussetzungen also.

„Holy Hydra“ heißt nun das Format, das seit dem ursprünglichen Wunsch, einen Rave in einer Kirche zu veranstalten, bereits viermal als Festival stattfand – sogar im Sommer 2020, als fast alle Clubs aufgrund von Corona geschlossen waren. Nichts machen war auch während Corona keine Lösung, weshalb ein Konzept entwickelt wurde, das es möglich machte, trotz einer Beschränkung auf max. 50 Personen im Kirchenraum zu veranstalten.

Folgend ein Zitat der Eröffnungsrede 2020.

„Ich, die geile Hydra, das Geschöpf, das Tag und Nacht für die Subkultur kämpft, sehe es als meinen Auftrag für Kunst und Kultur zu kämpfen, besonders in solch schwierigen Zeiten. … Mein Herz fühlt sich wohlig warm und gleichzeitig fängt es vor lauter Freude ganz schnell zu schlagen an, wenn ich daran denke, dass wir hier und jetzt gemeinsam ein Zeichen setzen: gegen leere Clubs und gegen leere Kirchen.“

„Holy Hydra“ versteht sich als interdisziplinäres Veranstaltungformat in Sakralräumen, das zeitgenössische Tanzperformances, elektronische Musik und multimediale Rauminstallationen beinhaltet. Inhaltlicher Fokus liegt dabei auf einer erweiterten Nutzung, einer möglichen Neudefinition von sakralen Räumen.

2018 wurde die erste „Holy Hydra“ mit einem Symposium eröffnet, bei dem der Sakralraum dem Stadtraum gegenübergestellt wurde. Sakralraum vs. Stadtraum. Es wurde debattiert, inwiefern Sakralräume über ihre eigentliche Funktion hinaus, im Kontext von öffentlichem Raum, genutzt werden können, ob dies überhaupt wünschenswert ist und zu welchen Bedingungen möglich.

Anna Minta, Professorin für Geschichte und Theorie der Architektur an der Katholischen Privatuniversität Linz, hat dazu folgendes verfasst: „Stadtraum VERSUS Sakralraum – ein Wortspiel, das in der Ambivalenz der Formulierung auf ein Paradoxon räumlicher Nutzungsstrukturen und (institutioneller) Haltungen verweist. Stadtraum betrachten wir gewöhnlich als öffentlichen und offenen Raum, der allen zugänglich ist und für alle Nutzungsqualitäten anbietet. Betrachtet man städtebauliche Entwicklungen, so haben Interessen der Profit-Maximierung, exklusive Stadt-Verschönerungsambitionen und City-Marketing-Konzepte etc. zu einer im­mer stärkeren Begrenzung und kommerziellen Nutzung vieler öffentlicher Räume geführt, die damit einen exklusiven, diverse gesellschaftliche Gruppen ausgrenzenden Charakter angenommen haben. Sakralraum hingegen ist ein institutionell gebundener Ort, ein von den Kirchen organisierter und verwalteter Raum. Nicht zuletzt in Folge der fortschreitenden Säkularisierung bietet er sich vermehrt als offener Raum für alle an, der alle zum Verweilen einlädt, ohne auszugrenzen und ohne Konsumzwang auszuüben. Kirchenräume und Kirchplätze sind per Definition kein öffentlicher Raum, folgen aber häufig einer solchen Haltung.“

Oh ja, sollen sie aber dringend werden. Die Motivation der „Holy Hydra“ ist, ein Bewusstsein für Sakralbauten sowie deren weitere Nutzung und weiteren Erhalt zu schaffen, da diese unsere Kultur und Stadtbilder maßgeblich prägen. Es ist wichtig, diese architektonisch einzigartigen und kulturgeschichtlich wertvollen Räume zu öffnen, um sie neben ihrer religiösen Bedeutung für Menschen, unabhängig ihrer Glaubensrichtungen, als Orte der Begegnung erfahrbar zu machen.

Dazu schreibt Frau Prof. Minta weiter: „Hybrid Hydra – thematisiert die Hybridisierung von Räumen in ihrem Charakter und folglich auch in ihrer Nutzung. Hybridisierung kann dabei als Erweiterung von Möglichkeiten und Qualitäten gelesen werden, als Chance für eine neue Offenheit und mehr Vielfalt. In dem Verschleifen von Zuständigkeiten und dem Verständnis von Öffentlichkeit steckt auch die Hydra: Wenn der städtische Raum immer stärker privatisiert und exklusiver wird und offene Begegnungsräume vermehrt durch Kirchen und andere private Institutionen angeboten werden, so geht doch der öffentliche Raum als Ort vielfältiger Begegnungen und sozialer Aktionen verloren. Es ist gut, dass Kirchen aktuell intensiv über ihre gesellschaftliche Verantwortung und städtebauliche Qualität nachdenken. Auch die Stadt und die Gesellschaft müssen sich verstärkt für die Gestaltung und vielfältige Öffentlichkeit ihrer Räume engagieren.“

Ich frage mich, in welcher Zukunft wir leben möchten und sehe sie wieder vor mir, die Kapuzinerkirche, die leerstehende. Das Potential ist da, es muss nur noch genutzt werden. Kirchengebäude könnten, egal ob profanisiert oder nicht, Symbol für eine vielfältige, diverse und offene Gesellschaft werden.

Diesem Diskurs nahm sich bereits 2013 das Kunstreferat und Diözesankonservatorat der Diözese Linz gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt und dem afo architekturforum oö an. In einer zweitägigen Fachtagung „KirchenRÄUMEn – Zukunftsperspektiven für die Nutzung von Sakralbauten“ behandelten sie das Thema der Kirchenumnutzung, wenngleich dieses in Österreich noch nicht in diesem Maße spürbar ist, wie in anderen Ländern Europas. Seitdem ist wenig passiert, obwohl immer wieder spannende Tagungen und Vorträge auch in Österreich stattfanden und -finden, wie beispielsweise im September 2020 in der ehemaligen Synagoge St. Pölten die Impulsvorträge zum Thema „Sakrale Bauten profan genutzt?“, organisiert vom ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich.

Die erste internationale Veranstaltung gab es im Februar dieses Jahres, im Zuge eines dreitägigen digitalen Symposiums der VolkswagenStiftung Hannover, bei dem auch „Die geile Hydra“ eine:r von vielen Speaker:innen war. Unter dem Titel „Re-Using Churches. New Perspectives in a European Comparison“ diskutierten Expert:innen aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz, Österreich und Großbritannien das Thema Kirchenumnutzungen erstmals im europäischen Vergleich.

Dabei wurde unter anderem ein sehr gelungenes Beispiel einer erweiterten Nutzung vorgestellt: die Kulturkirche Köln in Deutschland. In der 1889 erbauten Lutherkirche-Nippes finden seit 2002 neben Gottesdiensten für die evangelische Gemeinde regelmäßig Kulturveranstaltungen wie Konzerte, Lesungen und Kabaretts statt. Zusätzlich dazu kann das Kirchengebäude für Events gemietet werden und bietet dabei Platz für bis zu 600 Personen. Ein weiteres erwähnenswertes Beispiel ist das Kulturkloster Dornach in der Schweiz, aus dem 1990 die letzten Kapuziner auszogen und das nach einer Generalsanierung nun neben dem regulären Kirchenbetrieb ein Hotel und Restaurant sowie ein eigens kuratiertes Kulturprogramm beinhaltet. Zusätzlich zu Jazzkonzerten, Lesungen und Ausstellungen im Kirchenraum sowie dem umliegenden Klosterareal wird internationalen Künstler:innen die Möglichkeit geboten, an einem Artist-in-Residence-Programm teilzunehmen.

Österreich hat diesbezüglich Aufholbedarf. Trotzdem sollen ein paar wegweisende Beispiele nicht unerwähnt bleiben. Eine vorbildliche Umnutzung ist sicherlich die Minoritenkirche Krems, bekannt als Klangraum Krems, die das bekannte Donaufestival Krems beherbergt. Ein anderes Beispiel eines Festivals, das den Reiz entdeckt hat, in Sakralräumen zu veranstalten, ist das Elevate Festival in Graz, das zuletzt spektakuläre Orgelkonzerte im Grazer Dom veranstaltete oder – mein persönlicher Favorit – das Unsafe+ Sounds-Festival, das die Wotrubakirche in Wien besonders gelungen zwischengenutzt hat. Bitte mehr davon.

Neben dem Potential ist also auch die Hoffnung da.

Wieder sehe ich sie vor mir, die Kapuzinerkirche. Und grinse. Es hat aufgehört zu regnen. Zuletzt, im September und Oktober dieses Jahres spielte das Theater Stellwerk darin Theater und in der freien Szene wird bereits gemunkelt, dass …

Die nächste Party kommt bestimmt. Liebe Grüße aus dem Untergrund.

PS:
Das Datum der nächsten „Holy Hydra“ darf auch gleich in den Kalender eingetragen werden: 08. & 09. September 2022 // Stadtpfarrkirche Urfahr, Linz
www.holyhydra.at

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