Hefte für neue Prosa, Nr. 14

Don’t judge a book by its cover, lautet eine Binsenweisheit der Literaturkritik. Anders verhält es sich im Fall der Idiome – Hefte für neue Prosa, die nicht allein durch ihren Titel, sondern auch durch ihre Cover­­ge­staltung einen besonderen Sinn für die Eigenheiten poetischen Sprachgebrauchs verraten. Florian Huber über die aktuelle Ausgabe und das besondere Interesse am literarischen Experiment.

Während auf der Umschlagrückseite der neuesten, vierzehnten Ausgabe Namen wie Urs Allemann (*1948), Zsuzsanna Gahse (*1946), Hartmut Geerken (*1939) oder Elisabeth-Wandeler-Deck (*1939) ein besonderes Interesse für das literarische Experiment signalisieren, präsentiert die Vorderseite der einmal jährlich erscheinenden Zeitschrift eine Reihe von Icons zum Begriff „Glocke“, die unterschiedliche Redensarten und Verwendungsweisen, aber auch die damit verbundenen Geräusche evozieren. Obwohl die Bilder recht schematisch anmuten, stellt die Suche nach einem ihnen jeweils angemessenen sprachlichen Ausdruck vor einige Schwierigkeiten, aus denen Bodo Hell (*1943) in einem Beitrag zum Wortpaar MAERZ und MERZ poetische Funken schlägt. Von der Widerständigkeit der Bilder und dem Reichtum ihrer literarischen Beschreibung zeugen aber auch die Einlassungen von Birgit Schwaner (*1960), die in Kopf / Schrift Kurzfilme von Mara Mattuschka (*1959) und zugleich das poetische Nachleben von Konrad Bayer (1932–1964) in den Blick nimmt. Die Materialität der Bilder und die Möglichkeiten ihrer sprachlichen Reproduzierbarkeit prägen zudem Margret Kreidls (*1964) Prosa Ohne Titel in Idiome 13, die sich der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte von Gemälden der kanadisch-US-amerikanischen Künstlerin Agnes Martin (1912–2004) annimmt, während der Komponist Peter Ablinger (*1959) im aktuellen Heft in seinem in Blockschrift und -satz gehaltenen Text den Klangereignissen während einer Zug- bzw. Autofahrt nachspürt. Die einzelnen Beiträge verbindet dabei vielleicht weniger ein gemeinsamer Gattungsbegriff als der Anspruch, konventionelle Vorstellungen vom literarischen Text auf ihre poetische Verwendbarkeit zu überprüfen beziehungsweise hinter sich zu lassen. Im Editorial zur neuen Idiome-Ausgabe ist dementsprechend von „einer Poetik avancierter Prosa“ die Rede, die in Texten und Bildstrecken „zur Diskussion“ steht. Das ist auch deshalb zu begrüßen, da Prosa als Gattung im Gegensatz zur Lyrik nicht auf literarische Rede- und Schreibweisen beschränkt ist, sondern auch den alltäglichen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch umfasst. 
Für die Textauswahl verantwortlich zeichnet der 1972 in Wels geborene Autor Florian Neuner, der die „Hefte für neue Prosa“ 2007 gemeinsam mit seiner Linzer Kollegin Lisa Spalt (*1970) begründete und inzwischen gemeinsam mit Ralph Klever in dessen gleichnamigem Verlag herausgibt. Besondere Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang auch die den Idiomen gewidmeten, regelmäßigen Veranstaltungen, die Neuner in Linz als Kurator der Reihe „maerz_sprachkunst“ der Künstlervereinigung MAERZ organisiert. Diese bieten nicht zuletzt den eingeladenen Autor*innen die Möglichkeit zum Dialog über unterschiedliche Vorstellungen vom geglückten literarischen Kunstwerk, die etwa auch Sabine Hassingers (*1958) Annäherungen an die im Januar 61-jährig verstorbene Barbara Köhler durchziehen. Dem Gespräch mit anderen Schreibenden und Lesenden ist auch Christian Steinbachers (*1960), u. a. gemeinsam mit Studierenden der Universität entstandene, Auseinandersetzung mit dem Werk von Lew Rubinstein (*1947) im aktuellen Heft verpflichtet, während Friederike Kretzen (*1956) in der vorangegangenen Ausgabe Von Räubern und ihren Verschleppungen bei Robert Walser (1878–1956) erzählt. Beiden Beiträgen ist ein kurzer Abriss ihrer Entstehung vorangestellt, der dem von den Herausgebern intendierten „Werkstattcharakter“ der Idiome entspricht und etwa auch in dem ebenfalls im Vorjahr erschienenen „Küchenbericht“ von Erhan Altan (*1963) zur Übersetzung deutschsprachiger experimenteller Dichtung ins Türkische spürbar wird. Fragen nach Übersetz- und Lesbarkeit liegen auch dem Gespräch zwischen Neuner und dem Philologen Jürgen Link (*1940) zur „Aktualität Friedrich Hölderlins“ zugrunde, das dadurch auch die gesellschaftliche Dimension literarischer Produktions- und Rezeptionshaltungen adressiert. Die Wirkmacht begrifflicher Rede bildet auch den Ausgangspunkt von Mariusz Latas (*1981) Prosa Fix, die bereits im Titel den Anspruch, mit Literatur Wirklichkeit erfassen und festhalten zu wollen und die damit verbundenen Erkenntnisse und Risiken inszeniert. Latas poetische Erkundungen plausibilisieren damit auch den mit Blick auf Barbara Köhler formulierten Befund der Herausgeber, „daß politische […] Bewußtseinsschärfung in der Literatur nur dann gelingen kann, wenn sie auch ästhetische Konsequenzen hat.“ So besehen wollen die Idiome auch in deutlichem Widerspruch zu einem Feuilleton gelesen werden, dessen Urteilsvermögen weniger ästhetischen als vielmehr sozioökonomischen Erwägungen entspringt. Dazu fügt sich die programmatische Rede von „neuer Prosa“, die nicht allein auf bis dato unpublizierte Texte oder eine jüngere Autor*innengeneration, die in den letzten beiden Idiome-Ausgaben etwa durch Thomas Ballhausen (*1975), Marlene Hachmeister (*1983) oder Philipp Kampa (*1987) vertreten war, verweist. Im Licht der Lektüre mündet die Suche nach literarischen Innovationsmöglichkeiten in Fragen nach der spezifischen Erkenntniskraft der Literatur, die sich dabei weniger kurzlebigen gesellschaftlichen Trends als einer konsequenten Auseinandersetzung mit der Geschichte verpflichtet sieht. Auf einer einzigen Seite demonstriert die Text-Bildmontage los von Fritz Lichtenauer dementsprechend nicht nur die ungebrochene Produktivität und ästhetische Beharrlichkeit des inzwischen 75-jährigen Linzer Künstlers, sondern auch seine herausragende Stellung innerhalb der jüngeren Avantgardegeschichte. Zudem erinnert die aktuelle Ausgabe anhand der Fotografien von Jörg Gruneberg (*1966) an den im Februar im Alter von 89 Jahren verstorbenen Urs Jaeggi, der trotz seiner 1981 erfolgten Auszeichnung mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis von der Literaturkritik zuletzt kaum beachtet wurde, aber dafür regelmäßig in den Idiomen publizierte. Auch an diesem Umstand wird die Skepsis der beiden Herausgeber gegenüber den Usancen des zeitgenössischen Literaturbetriebs und seinen Protagonist*innen deutlich, die in ihrer Vehemenz bisweilen irritieren oder Widerspruch erwecken mag. Das ist wahrlich kein geringes Verdienst und Grund genug, auch der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift und den darin enthaltenen Fragestellungen in Bildern und Texten gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

 

Idiome. Hefte für Neue Prosa Nr. 14.
Herausgegeben von Florian Neuner (Berlin) und Ralph Klever (Wien). Mit Beiträgen von: Peter Ablinger, Urs Allemann, Thomas Ballhausen, Wolfgang Bleier, Jörg Burkhard, Zsuzsanna Gahse, Hartmut Geerken, Jörg Gruneberg, Sabine Hassinger, Bodo Hell, Mariusz Lata, Fritz Lichtenauer, Ronald Pohl, Wilfried A. Resch, Franz Martin Riegler, Katharina Riese, Jürgen Schneider, Karin Schöffauer, Birgit Schwaner, Karin Spielhofer, Christian Steinbacher, Mathias Traxler, Elisabeth Wandeler-Deck.
Idiome Nr. 14, Hefte für Neue Prosa 112 Seiten, € 12, ISBN 978-3-903110-67-0

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