Horrordates

Dating im digitalen Zeitalter: Sarah Held hat die Online-Plattform „Horrordatestorys“ besucht und schreibt über Geschichten aus dem Patriarchat 2.0

Screenshot eines Story-Highlights auf „Horrordatestorys“. Foto Horrordatestorys, Screenshot vom 16. Nov. 2019

Dating im Digitalzeitalter wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst – keine Sor­ge, das wird kein Artikel mit moralisierendem Beigeschmack, der sich zum Themenfeld „Dating-Apps bzw. Online-Dating tragen zu zwischenmenschlicher Entfremdung bei und lassen Menschen zu Konsum­gü­tern werden“ äußert. Diesen Acker haben andere Leute schon gut bearbeitet und es gibt genügend Beiträge im soziologischen und kulturellen Diskurs. Es geht auch gar nicht primär um Tinder & Co, sondern um „Horrordatestorys“ (für alle Grammatik-Nerds: schreibt man im Deutschen auch im Plural mit Y). Dabei handelt es sich um einen metakontex­tuel­len Account auf Instagram, wo Geschichten von ge­scheiterten Dates aus dem deutschsprachigen Raum gesammelt werden. Im Rahmen dieses Artikels sollen ein paar persönliche Beobachtungen geteilt werden, die mit einer Prise feministischem Framing daher­kommen.

Für alle, die mit dem Inhalt von „Horrordatestorys“ nicht vertraut sind, führe ich ein paar prägnante Beispiele bzw. folgen­de inhaltliche Zusammenfassungen auf: Neben unzähligen Postings, die von vor­zeitiger Ejakulation erzählen, themati­sie­ren viele Einträge den Ekel vor Körper­flüs­sigkeiten. Oder viele der Beiträge re­präsentieren ein patriarchales Denken in Form von „Slut Shaming“, wie beispiels­weise: „Tinder. Er meint, er sucht keine Beziehung, eher was Lockeres. Ich sage, ich auch, will einfach bisschen rumdaten. Er: ‚Sorry aber das klingt nach Flitt­chen’“. Viele der Geschichten reichen von banal bis witzig-skurril. In der Kürze, die in diesem Text möglich ist, verweise ich aber mit zwei Fallbeispielen auf soziokulturelle Richtungen, dir mir als Followerin besonders negativ aufgefallen sind: einerseits vermeintliche deviante Abweichungen von sexuellen Standardvorstellungen und andererseits tatsächlich deviantes Verhalten im sozialen Miteinander von Cis-Männern.

Pseudo „Patrick Bateman“
Eingehend auf Letzteres möchte ich ein Fallbeispiel vom 19. 09. 19 aufzeigen (Rechtschreibung wie im Originaltext): „Ich habe einen psychpath gedated. tinder, bar, ab zu ihm – er war sehr charismatisch und sah gut aus. Als wir uns auf der couch näherten holte er plötzlich sein Handy raus und ging auf horrordatestorys ich dachte mir nichts dabei bis er anfing diverse posts vorzulesen in denen er selbst involviert gewesen wäre. Amüsiert las er mit leuchtenden augen die widerwärtigsten schoten vor. Als ich ihn fragte ob er noch ganz dicht sei, nannte er mich eine ahnungslose h*re und fing an zu erklären. Für ihn wären horrordates eine kunstform in der er sich selbst verwirklichen könnte. […] seine eigene story im netz zu lesen würde in der szene sowas wie den ritterschlag bedeuten“ (gekürzte Fassung, die eingeladene Person hat die Wohnung verlassen).
Dieser kurze Erlebnisbericht weist auf abartiges Sozialverhalten und Männerbünde hin, es erinnert stark an die selbst ernannten Pick-Up-Artists, die bis vor einigen Jahren im feministischen Diskurs­universum ziemlich verbreitet waren. Dabei handelt es sich um heterosexuelle Cis-Männer, die sich im Internet zusammenschließen, Challenges ausmachen, um Frauen „aufzureißen“ oder sich mit weir­dem Verhalten, für die beteiligten Frauen meist herabwürdigend, im Nachhinein online brüsten. Sie sind allerdings immer noch da, nur scheinbar ruhig ist es geworden um diese fragwürdige Gruppe der Cis-Männer. Der Diskurs hat sei­nen Fokus aktuell in eine noch dunklere Ecke verlagert, wo sich Incels (Involuntary Celibate), also männliche Jungfrauen bzw. unfreiwillig zölibatär lebende Männer, zusammenrotten. Eines ist beiden Aus­prägungen männlicher Hybris und Dominanzverhalten gemeinsam: Es sind zutiefst misogyne Männer mit archaischen Besitzansprüchen und hegemonialen Denk­strukturen, in deren Mindset sich die toxische Verbindung von Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus spiegelt. Es geht im genannten Beispiel demnach nicht nur um das Erobern von Frauen und deren Verfüh­rung, sondern um deren gezielte Demütigung. Diese Gruppe heterosexueller Männer handelt nach „Ritualen der Macht“, die, gemäß Klaus Theweleits „Männerphantasien“, Folgen der männlichen So­zialisation sind. Das Performen von heteronormativer Männlichkeit benötigt in dieser toxischen Manifestation, wie das Beispiel oben illustriert, die Abwertung an­derer Geschlech­ter. Diese Abwertungs­strategie ist essenziell für die Herstellung der eigenen (vermeintlichen) Überlegenheit. Souveränität wird durch stereotype Hypermaskulinität inszeniert.

Standard ja, kink nein
Neben ausgeprägter Misogynie, die das angeführte Fallbeispiel traurigerweise darstellt, ist mir aufgefallen, dass generell Abweichungen von dem, was als Vorstellung eines sexuellen Standards verstanden wird, häufig als Kategorie Horror beim Date erzählt wird. Auffällig ist, dass im Gros der Posts Heteronormativität (Heterosexualität als dominante Gesellschaftsnorm) und sogenannter Blümchensex (Cis-Hetero-Missionarsstellung etc.) omnipräsent sind. Gerade wenn es um Kinksex (z. B. Fetisch, BDSM) oder andere trans­­gressive Sexualitätsausprägungen geht, wer­den diese von der Normgesellschaft als deviant oder pervers gelabelten Handlungen im Account ebenso durch Irritation oder Ablehnung inszeniert. Das lässt sich aus folgendem Fallbeispiel ableiten (Schreibungen wie im Originaltext): „Ich W19 er M24, es unser 5 date. Waren bei ihm und haben gekocht. Als es dann zu GV kam war alles gut, auf einmal holte er einen 1 Meter Dildo raus. Er wollte das ich ihn von hinten nehmen mit dem Rosa Monstrum. Als ich verneinte, hat er sich das Ding selbst reingesteckt und total abgegangen. Danach nie wieder gesehen“.
Die geschilderten Situation impliziert eine Konsensabfrage. Dieses Beispiel habe ich ausgewählt, weil es klar eine diskursiv zementierte Grenze von heterosexueller Männlichkeit durch die Begierde nach analer Befriedigung überschritten zeigt und somit als Irritation dargestellt wird. Das ist aus mehreren Perspektiven interessant, denn der heterosexuelle Cis-Mann wird selten Bottom (passiv Analsex empfangend) inszeniert. Inner­halb der heterosexuellen Matrix und ge­mäß dem wirkmächtigen Heteromainstream-Pornodiktum wird dieser Männ­lich­keitsentwurf im Kontext von Anal­ver­kehr als stählerner Top (aktiver Part beim Analsex) inszeniert. Die Person, die im Bei­spiel M24 genannt wird, äußert ihrem Gegenüber nicht nur das Verlangen nach analer Befriedigung, sondern performt diese Lust dann im Alleingang. Das Aus­sprechen solcher Kinks ist für viele Menschen mit Angst vor Beschämung verbunden. Was die knappe Erzählung nicht detailliert beschreibt ist, in welcher Weise Konsens und Sexpraktik besprochen wurden. Neben diesem prägnanten Fallbei­spiel ist mir beim Stöbern auf „Horrordatestorys“ aufgefallen, dass im Storytel­ling vieler Posts keine andere Flüssigkeit als Sperma zulässig ist. Alle anderen Formen von Körperflüssigkeiten werden dämonisiert, tabuisiert und stigmatisiert. Der Account bildet aber nicht nur das Standardbegehren der Dominanzkultur ab, son­dern auch die Abweichung von der körperlich-funktionierenden Norm zeigt sich mit sozialer Grausamkeit: Ein Rollstuhl­fahrer wird, gemäß seinem Beitrag, beim Zusammentreffen nach seinem Grindr-Date heftig beleidigt. Das Date äußert, den Rollstuhl als Fetisch verstanden zu haben und geht wieder, weil er keinen Sex mit einer körperlich beeinträchtigen Person haben möchte. Den genauen Wortlaut möchte ich hier nicht reproduzieren.
„Horrordatestorys“ bietet neben der skiz­zierten Kritik auch durchaus Unterhal­tungs­­potential. Das ist ein bisschen wie RTL2 oder ATV schauen, das wirkt zwar immer etwas verstörend und geht auch nur in der richtigen Stimmung – und in kleinen Portionen. Zum Abschluss möch­te ich aber noch einen besonders unangenehmen Aspekt erwähnen. Neben dem stark verbreiteten Hetero-Sexismus, dem Ableismus (Beschämen von nicht normativen Körpern) oder dem Kinkshame (Be­schämen von als pervers/deviant verstan­denen Sexpraktiken) finden sich auch ei­nige Fälle, die sich offenbar an der Grenze oder über der Grenze zur sexualisierten Ge­walt befinden, denn die Account-Betrei­ben­den geben in einem sogenannten Story-Highlight auf die Frage, was die „kras­sesten Geschichte“ gewesen wären, an, dass sie diese aufgrund ihres straf­recht­lichen Inhalts gar nicht veröffentlichen.

Abschließend möchte ich anmerken, dass mir ebenfalls eine Beeinflussung durch die­se Dating-Apps auf das Dating-Verhalten aufgefallen ist. Bei meinen Beobachtungen zum Account war mir ein nicht so neuer Gedanke häufig präsent: Das Fehlen von sozialen Verbindlichkeiten und die scheinbare Anonymität befördern unsoziale Verhaltensweisen, die durch Online-Dating vermutlich perpetuiert werden. Ohne soziokulturelle Nähe und Über­schnei­dun­gen in den Peergroups schei­nen manche Menschen dazu zu ten­dieren sich unso­zi­a­ler zu verhalten.

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