Ikonische Kritik in Cinemascope

Valie Export-Tribute beim Filmfestival Crossing Europe: Von 21.–26. April sind in aussagekräftiger Dichte und in Cinemascope Kurz- und Langfilme, experimentelle Studien, weltberühmte Performancearbeiten, feministische Medienkritik und Expanded-Cinema-Aktionen von einer der wichtigsten Vertreterinnen der internationalen Medien- Film- und Performancekunst zu sehen. Florian Huber gibt eine Vorschau.

Die Praxis der Liebe / The Practice of Love. Foto sixpackfilm

In einer Szene ihres 1970 entstandenen Kurzfilms Body Tape will Valie Export mit dem Kopf durch die Wand. Immer wieder presst die 1940 in Linz geborene Künstlerin diesen gegen eine Glasscheibe, die für die Zuseherinnen mit der Leinwand des Kinosaals eine feste Einheit zu bilden scheint. Man mag beim Betrachten an die Gebrüder Lumière und die Unheimlichkeiten des Mediums Film denken, die ihren Zuseherinnen in einer Geburtsstunde des Kinos das Fürchten lernten. Einer Anekdote zufolge ergriffen diese 1896 während der 1-minütigen Projektion von L´arrivée d´un train en gare de La Ciotat aus Angst vor einem auf sie zukommenden Zug die Flucht vor dem Leinwandgeschehen. Und doch wäre es verfehlt, Valie Exports filmisches Werk, dem das Filmfestival Crossing Europe gemeinsam mit Sixpackfilm und dem in der Linzer Tabakfabrik beheimateten Valie Export Center in diesem Jahr eine umfängliche Retrospektive widmet, ausschließlich als Kommentar zur Kinogeschichte zu verstehen. Zu reich sind einerseits die theoretischen Bezüge, die die Künstlerin seit ihren künstlerischen Anfängen in den 1960er-Jahren in ihre Arbeiten webt, die neben der Film-, Medien-, Kunst- und Literaturtheorie etwa auch Fragen nach dem gesellschaftlichen Anspruch der Kunst und dem Verhältnis von sex und gender adressieren, wie vor allem auch ein Blick auf ihre Langfilme Unsichtbare Gegner (1977), Menschenfrauen (1980) sowie Die Praxis der Liebe (1985) verrät, die von den Grenzen und Möglichkeiten weiblicher Emanzipationsbemühungen erzählen. Exports Blick ist dabei nicht allein von einem Bewusstsein für die lange Unterdrückungsgeschichte der Frau im Patriarchat bestimmt, sondern zielt ausdrücklich auf die Gegenwart und ihre eigene Rolle als einer der bedeutendsten Multimediakünstlerinnen in einem bis zum heutigen Tag männlich dominierten Kunstbetrieb. „Geboren wurde ich in der Klinik, die der Stadt Linz gehört / getrunken habe ich an der Brust die meiner Mutter gehört / versteckt habe ich mich vor den Bomben die dem Staat England gehörten / Gekleidet habe ich mich mit den Kleidern die meiner Schwester gehörten / Geweint habe ich nach meinem Vater, dessen Tod dem Vaterland gehört […] Die Luft hab ich geatmet, die Gott gehört / Das ist das Leben das mir gehört.“, heißt es in einem Text aus dem Jahr 1966, der persönliche Erlebniswelten mit gesellschaftlichen Besitzansprüchen konfrontiert und in Heimrad Bäckers Avantgardezeitschrift neue texte publiziert und später auch filmisch verarbeitet wurde. Das darin geschilderte Spannungsverhältnis zwischen sozialen Zwängen und individueller Freiheit wird im 1986 entstandenen Kurzfilm Ein perfektes Paar oder Die Unzucht wechselt ihre Haut ironisch auf die Spitze getrieben. In diesem tragen Männer wie Frauen ihre Haut buchstäblich zu Markte, deren Labels und Body Modifications zeitgenössische Schönheitsideale und Vorstellungen von Geschlechtlichkeit repräsentieren und so die Prägekraft gesellschaftlicher Konventionen für die Entfaltung der eigenen Identität sicht- und kritisierbar machen. Dazu fügt sich, dass neben künstlerischen Weggefährtinnen wie Peter Weibel und Susanne Widl auch Elfriede Jelinek in diesem Film einen kurzen Auftritt hat, die damit zugleich an die zentrale Bedeutung der Sprache für Exports filmisches Werk erinnert. Statt eines Schuhs wird einer Protagonistin boot auf den nackten Fuss geschrieben und damit zugleich die Repräsentationskraft filmischer Bilder und ihrer sprachlichen Vermittlung auf die Probe gestellt. Die vermeintlich banale Visualisierung von Sprichwörtern gerät allein schon deshalb nicht zur Plattitüde, weil Film und Kino einer eigenen Grammatik folgen, deren Vieldeutigkeit einzelne Begriffe nicht Herr werden können. Dem Reichtum und Widerspruch der Begriffe entspricht die Vielzahl der Bilder und künstlerischen Verfahren, die Export hierfür nutzt. So war ihr umfängliches Schaffen für Kino und Fernsehen nie einem bestimmten Sujet verpflichtet oder auf eine Methode festgelegt, sondern stets auf der Suche nach neuen Möglichkeiten des Filmdenkens, die sie besonders eindrücklich in Syntagma (1983) beschwor. Überblendungen und Split Screen erinnern an die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen der Geschehnisse auf der Leinwand wie im wirklichen Leben und unterlaufen damit nicht nur die Linearität filmischen Erzählens, sondern auch eine Fortschrittsgeschichte des (avantgardistischen) Kinos und die damit verbundenen Deutungshoheiten. Scheinbar ohne besonderen Schauwert vollzieht sich dagegen die Lesung der von Export verfassten Gedichte im gleichnamigen Film (1966–1980), deren autobiografischer Gehalt durch die nüchterne Haltung der Künstlerin auf der Leinwand konterkariert wird. Das persönliche Erleben und der Wille zur Selbsterkenntnis steht am Anfang zahlreicher Arbeiten der Filmemacherin, die immer wieder selbst auf der Leinwand in Erscheinung tritt und sich mit dieser Rolle freilich nie zufrieden geben sollte. Diese Einschätzung bestätigt auch ihr 1967 in Anlehnung an die gleichnamige Zigarettenmarke gewählte Künstlername, den Export 2006 in einem Gespräch mit Brigitta Burger-Utzer und Sylvia Szely folgendermaßen erläutert: „So wie EXPORT auch Erweiterung bedeutet, das Raus aus dem Port, aus dem Hafen … In der Erweiterung liegt die Möglichkeit zur Veränderung. Es kommen andere Teile dazu und dann ist es ein anderes, vielleicht sogar ein neues Produkt. Diese Fähigkeit zur Expansion macht unser Denken aus und das macht unser Mensch-Sein aus.“

Schließlich ist Exports Kino nicht ohne seine Zuseherinnen denkbar, die mit dem Dargestelltem auf vielfältige Weise interagieren und diesem einen Sinn zuschreiben sollen, der sich indessen nie unabhängig vom jeweiligen historischen und sozialen Kontext zu entfalten vermag. Die Vorläufigkeit und Unabgeschlossenheit jeder künstlerischen Aussage bestimmt auch das von Export gemeinsam mit Peter Weibel veranstaltete Tapp- und Tastkino aus dem Jahr 1968, das die Zuseherinnen in einer Straßenaktion dazu aufforderte, die Brüste der Künstlerin durch einen vor ihren Körper geschnallten Kasten zu berühren. Der kalkulierte Ein- und Übergriff brachte das Medium Film als Projektionsfläche vor allem männlich geprägter Phantasien und Sehnsüchte auf radikale Weise vor die Augen eines Publikums, das nicht länger Schutz im privilegierten Dunkel des Kinosaals suchen sollte. Mit diesem Schritt ans Licht der Öffentlichkeit war das Expanded Cinema endgültig geboren und die Vorstellung eines dem unablässigen Gespräch zwischen Filmemacherinnen und Zuschauerinnen verpflichteten Films. In der Kritik der herrschenden Verhältnisse, die sich im Durchstoßen der Leinwand ereignet, verkörpert Exports „Mit dem Kopf durch die Wand“ somit mehr als eine Utopie, die noch lange fortbestehen möge.

 

VALIE EXPORT
Tribute beim internationalen Filmfestival Crossing Europe
21.–26. April in Linz
www.crossingeurope.at

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