Ingeborg Strobl

Wie bereits im Vorjahr widmet das Lentos Kunstmuseum auch heuer wieder seine Sommerausstellungen weiblichen Positionen. Maren Richter über Ingeborg Strobls mulitreferentiellen Kosmos – und über eine Schau, die noch bis 18. September zu sehen ist.

Ingeborg Strobl, Echter Schmuck, 1987 Foto Alfred Damm © Bildrecht Wien, 2016

Ingeborg Strobl, Echter Schmuck, 1987 Foto Alfred Damm © Bildrecht Wien, 2016

Mit Ingeborg Strobl ist im Hauptsaal nicht nur eine wichtige österreichische Künstlerin vertreten, sie offeriert zudem eine interessante Interpretation des Labels „Werkschau“. Denn die titellose Ausstellung, von Strobl selbst zusammengestellt, funktioniert weder als eigentliche Personale noch als klassische Retrospektive ihres nunmehr fast fünfzigjährigen Schaffens. Vielmehr folgt sie dem Konzept des Essayistischen, wie Kuratorin Stella Rollig in ihrer Einführung betont – also jener Technik, die, um mit gewohnten Erzählweisen zu brechen, eine bewusst subjektive Betrachtungsweise zwischenschaltet.

Entsprechend wurde die umfassende Einzelausstellung nur „Ingeborg Strobl“ genannt, was angesichts der Tatsache, dass sie sich selbst als Person ungern in den Mittelpunkt ihrer Kunst gerückt sehen will, als Widerspruch lesbar wäre, aber auch dafür stehen kann, dass sie mit hoher Eigenständigkeit das Widersprüchliche immer schon gerne suchte oder noch öfter provozierte und dabei unprätentiös die Bühne des Politischen, der Pop-Kultur, des Alltags-Banalen oder des Ethischen gleichermaßen berührt.

Bereits beim Betreten des Hauptsaals strahlt der Raum eine Ästhetik des visuellen Reduktionismus aus. Längsgestellte Vitrinen treffen alternierend auf quergestellte Stellwände, während die Museumswände selbst leer bleiben. Hier wird klar: Ingeborg Strobl ist nicht für die große Gesten. Jede der Vitrinen, die Anzahl ergibt sich im Übrigen aus dem vorhandenen Bestand des Museumsdepots, ist einer Thematik gewidmet. „Gewalt“ ist zu lesen, „Natur“ und „wachsen“ oder einfach nur „Fragmente“ oder „Biografie“. Miniaturen, Objekte, aufgeschlagene Kunstbücher, Fotografien, Aquarelle, dokumentierte Auftragsarbeiten aus unterschiedlichen Schaffensperioden werden zu additiven Mikro-Erzählungen verwoben. Tatsächlich würde im Falle einer chronologischen Aufarbeitung von Strobls Arbeit ein wesentlicher Aspekt ihrer künstlerischen Zugangsweise und gewissermaßen sogar der rote Faden der Ausstellung verloren gehen: die beindruckende Aktualität ihrer älteren Arbeiten bzw. die Zeitlosigkeit ihrer Formensprache oder jene ihrer wiederkehrenden Themen, wenn nicht sogar eine Vorwegnahme gegenwärtiger Debatten und Diskurse in der Kunst. So ließe sich im Poster „TOT oder was ist ein Gegenstand“ – eine gespiegelte Fotografie eines toten Zebras aus dem Jahr 1993 – Kritik am sogenannten „Repräsentationalismus“ oder eine Denkweise nahe dem in den letzten Jahren aufgeworfenen Begriffs des Posthumanismus bzw. eine Nähe zum Neuen Materialismus vermuten. Wobei solch eine Kategorisierung für Ingeborg Strobl vermutlich irrelevant, vielleicht sogar kontraproduktiv klingen würde und was sie dann, um dem Ausdruck zu verleihen, wenn nötig, in Interviews mit großer Vehemenz von sich weisen würde. Die in Schladming geborene und in Wien lebende Künstlerin gewährt uns mit ihrer Auswahl für das Lentos stattdessen Einblick in ihren multi-referentiellen Kosmos, für den ihr jedes Medium recht ist um zu artikulieren, dass ihr lineares Denken widerstrebt. Zu finden sind, vorwiegend kleinformatig, Collage, Grafik, (Buch)Druck, Typografie, Keramik, Fotografie, Video, Gefundenes aus der Pop-Kultur, Zitate aus Mainstream-Medien. Kurz: alles außer Malerei.

Bereits ihre frühen Keramik-Arbeiten (sie studierte Keramik an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien in den Siebziger Jahren) stehen stark im Zeichen von Tieren, biologischen Kreisläufen, (sozial)darwinistischen Ausformungen, der Schönheit des Zufälligen, des Vergänglichen, des Imperfekten. Besonders ihre Affinität zu Nutztieren, sie hat eine Zeit lang ihre Sommer als Sennerin verbracht, kommt schon sehr früh künstlerisch zum Einsatz. Manchmal verleiht sie ihnen eine ästhetische Entrücktheit oder überhöht die Nutzfunktionen ironisch, wie etwa bei ihrem Trinkkiefer in Gebrauch, ein Keramikgefäß in Form eines Unterkiefers eines Schweins aus dem Jahr 1974, das aus ihrer Zeit am Londoner Royal Collage of Art stammt und das in Form einer Fotografie von sich gemeinsam mit Studienkollegen zugleich davon zeugt, dass Begegnungen und Austausch mit KollegInnen immer wieder eine Rolle spielten. So war Ingeborg Strobl Teil der Performance-Gruppe Die Damen. Die als „Agentur für selbstbewusste Kunst von Frauen“ 1987 von Ona B., Evelyne Egerer, Birgit Jürgenssen (1949–2003) und Strobl gegründete Performance-Gruppe übte sich in ironischem, institutions- und gesellschaftskritisch motiviertem aber auch selbstreflexivem Feminismus. Dennoch stieg sie nach sechs Jahren aus, vielleicht eben weil die Selbstinszenierung und das dafür notwendige Labeling als methodische Triebkraft, wie er von Die Damen eingesetzt wurde, nur in Teilen ihrem künstlerischen Zugang entsprach.

Ingeborg Strobl ist zweifelsohne politisch und feministisch. Sie sucht jedoch nach einer Art Meta-Ebene, die sie in mikro-politischen oder vielleicht auch beiläufigen Momenten findet. Oder wenn sie mit zarten Formen und Farben mit konnotierter Weiblichkeit spielt, dann berührt sie genauso kritisch wie verführerisch Bezugspunkte der Kunst, etwa Reinheitsdiskurse oder kanonisierte Vorstellungen. Sie arbeitet – so könnte man es vielleicht auf einen Punkt bringen – an Formen der Durchlässigkeit, verharrt offensiv in Zonen des Übergangs und sensibilisiert mit ihren mal kühlen, mal bildpolitisch eindringlichen wie plakativen, dann fast campen Gesten für hybride Kontexte der Wahrnehmung.

„… it’s all political“ ist zu lesen unter einem Schwarz-Weiß-Druck, in dem ein Martial-Art-Kämpfer einen Motorradfahrer attackiert. „Welcome to the World“ über einem weinenden Kinderkopf als Einleitung in ein Wild-West-Comic. Ihre Strategien heißen Aneignung und Misstrauen gegenüber Regelwerken, Rollenbildern und Stereotypen, ob jene der Kunst oder die der Gesellschaft, woraus sie offen angelegte Erzählungen spinnt, diese vor allem aber auch in eine visuelle Sprache übersetzen möchte, die berücksichtigt, dass es ein „Außerhalb des Museums“ gibt. Oder zumindest bedenkt, dass das „Innerhalb“ Grenzen aufweist, indem sie fallweise nahelegt, die Grenzen zum Kunstgewerbe oder zur Werbeästhetik (wie im Plakatsujet für die Ausstellung „Paradeiser“) zu durchbrechen und als kontingentes Ensemble von Praktiken und Gegenständen, in dem die Künstlerin ein Netz durchaus subversiver Praktiken aufspannt, das die gängigen Mechanismen der sozialen Produktion durchkreuzt.

Die im Hauptraum angebotene Assoziationenkette findet ihre Weiterführung im Katalog, der weniger als Begleit- denn als eigenständige Publikation fungiert. Empfehlenswert zu lesen sind die unter den Abbildungen lapidar erscheinenden, fallweise autobiografischen Einblick gebenden Kommentare. Unter dem Foto von der Künstlerin Margherita Spiluttini einen gehäuteten Hasen haltend ist beispielsweise zu lesen: „Am 2. Mai mit Margherita als versierte und nicht so leicht zu erschreckende Fotografin bei einem Kaninchenzüchter: ein professionelles Foto eines frisch getöteten Tieres (liegt in seinem Blut auf einem Aquarell) wird benötigt. Andere befreundete Fotografen, Männer, hatten verweigert. An einem der nächsten Tage ein köstliches Mahl in kleiner Runde.“

Der hintere Ausstellungsraum ist einer Auswahl von Videos gewidmet, die sich in ähnlicher Form wie der Katalog als visuelle Logbuch-Eintragungen, Feld- und Randnotizen lesen und in der Fülle bisher noch nicht gezeigt wurden.

Alles in allem ist der Besuch der sehenswerten Ausstellung von Ingeborg Strobl ein Eintauchen in eine künstlerische Denk- und Produktionsweise, wie sie selten so unverblümt und direkt, daher auch in gewisser Weise verletzbar, von KünstlerInnen offengelegt wird.

 

Ingeborg Strobl, bis 18. September im Lentos Kunstmuseum

Blitzlichtführung durch die Ausstellung in Englisch und Türkisch am Samstag, 3. September, 16.00 h

lentos.at

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