Jungs, hier kommt der Masterplan!
Ihr eigenes Engagement verortet sie nahe der „mutigen Architektin und kommunistischen Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky“, deren Freundin sie lange war: „Ihre Rolle als politische Architektin ist Vorbild“. Als praktizierende, lehrende, publizierende und aktivistisch eingebundene Architektin ist es Gabu Heindl am öffentlichen wie auch bewohnten Stadt-Raum gelegen. Mit „Stadtkonflikte“ erschien kürzlich ein Buch, das an ihrer radikalen Position keinen Zweifel lässt, am Funktionieren demokratischer Konzepte aber schon.
Das mit knapp 500 Fußnoten gespickte Kompendium liest sich als philosophisch-wissenschaftliche Abhandlung und Manifest zugleich, dabei muss Demokratie nicht – und kann auch nicht – radikal gegründet werden: „Wir können uns einer demokratischen Gesellschaft nur durch eine Pluralität von Demokratisierungsakten nähern.“ (Ernesto Laclau)
Kritiker*innen auf den Plan gerufen
Ganz allgemein ist Stadtplanung mit der kapitalistischen Ökonomisierung von Gesellschaft konfrontiert: Planung wird geprägt, bestärkt, auch begrenzt, gar durchkreuzt von dogmatischen Imperativen des Wirtschaftswachstums. Stadtkonflikte sind Teil der vielfältigen aktuellen politischen und sozialen Konflikte weltweit. Zu den Brennpunkten urbaner Kämpfe zählen die Privatisierung von öffentlichem Raum, städtischem Boden und Allgemeingütern, die Kapitalisierung von Wohnraum bis hin zu ganzen Stadtteilen. „Dabei wird in großem Maßstab enteignet: Menschen verlieren – und zwar durch gezielte herrschaftspolitische Maßnahmen – Rechte, Freiheiten und Sicherheit (etwa Wohnsicherheit), sie verlieren Möglichkeiten zur Teilhabe an der Stadt“ kritisiert die Autorin. „Die Politiken, die der Kapitalakkumulation zuarbeiten, werden weiter daran gehen, städtischen Raum in ihrem Sinn umzuwandeln, solange keine politische Kraft dagegenhält.“
Gabu Heindl sorgt die Tatsache eines (zeitweiligen, ambivalenten) Erstarkens des Staates, angesichts der bis vor Corona unvorstellbaren „Koste es, was es wolle“-Politik, und betont, dass es nun umso mehr um kritische Reflexion der Zuschreibung „staatlich“ bzw. „kommunal“ gehe, sowie um einen Einspruch dagegen, dass eine kollektivistische, am öffentlichen Gemeinwohl orientierte Politik auf den Protektionismus eines nationalen Wirtschaftsraums reduziert wird. Gut erschlossener Stadtraum sei zum Investitionsstandort für jenes Kapital geworden, das durch fehlende Besteuerung von Krise zu Krise wächst und sich in Form jenes Eigentums an urbanem Raum manifestiert, das nicht für dessen Nutzung gedacht ist, sondern als gebaute Form gestapelter Aktien und Sparbücher.
Politik, Planung und Popular Agency
Ihre Kritik gilt der Politik, die derartige neoliberale Instrumente ermöglicht. Die Autorin attestiert eine massive Demokratiekrise, so werde diese bedrängt und abgebaut durch Machtübernahmen, die sich mit Begriffen wie rechtspopulistisch oder nationalautoritär – „womöglich auch mit dem drastischen Wort Faschisierung“ – bezeichnen lassen. Für den Aufbau des Buchs wird von der gängigen und für neoliberale Stadtplanung synonym gewordenen Abkürzung PPP für Public Private Partnerships ausgegangen. Dem setzt Gabu Heindl andere, oppositionelle „P“s entgegen: Anstelle eines Public, das hier Öffentlichkeit als top-down planend oder aber Planungsverantwortung abgebend meint – als eine Form von Öffentlichkeit, die sich unternehmerisch missversteht und somit selbst abschafft –, nämlich an Private, genauer: an Kapitalmacht-Akteur*innen mit Profit-Interessen, eine Partnerschaft bildend, die aus demokratiepolitischer Perspektive ungleich und vorgetäuscht ist. Anstelle dieses PPP macht Gabu Heindl nun dasjenige von Politik, Planung und Popular Agency stark: „Wenn hier von Politik im Kontext von Architektur und der Verteilung von Raum die Rede ist, geht es dabei nicht um eine Politik der Autonomie von Form oder Kunst, und auch nicht um Politik, die ein Wissen über ein richtiges Gesamt-Modell oder einen ultimativen Verteilungsschlüssel propagieren würde. Sondern es ist ein Politik-Verständnis, das wesentlich postfundamentalistisch, auf Hegemonie-Konflikt hin orientiert und radikaldemokratisch ist.“ Sie verweist darauf, wie sehr kommunikative und partizipative Planungspraktiken heute durch ihre Rolle als Zuarbeiter*innen für neoliberale PPP-Projekte kompromittiert sind.
TINA
Radikale Demokratie betrifft die Demokratisierung von Demokratie in Zeiten ihrer Krise. Dabei lässt sich eine Forderung aus dem Kontext radikaler Demokratietheorie besonders hervorheben, nämlich, dass sie praktisch werden muss. „Demokratie ist ein Prozess politischen Handelns, und das Radikale daran betont die Wichtigkeit seiner hartnäckigen Vertiefung. Konzeptuell gesagt, wird Politik in diesem Buch in einem radikalen Sinn befragt, als ein die Gesellschaft gründendes Machtverhältnis, als der Bereich instituierender Konflikte.“ Das Buch wende sich mit Entschiedenheit radikaldemokratisch dem Alltäglichen und seinen politischen Machtverhältnissen zu. Gebetsmühlenartig ertönt darin die Behauptung, dass sich Stadtplanungspolitik mit dem Siegeszug des Marktliberalismus als politisch-institutionellem Rahmen für maximal unternehmerische Freiheit in den letzten Jahrzehnten scheinbar alternativlos in Richtung Wettbewerb, Konsens und Technokratie entwickelt hat. Das notorische ‚TINA‘-Akronym (TINA für There Is No Alternative – keine Alternative zur Dominanz von Markt und Wettbewerb) präge den neoliberalen Stadtplanungsdiskurs und dazu die vermeintlich ideologiefreie Planung.
Dem entgegen setzt die Autorin ihr radikaldemokratisches Konzept, dem sie u. a. folgende Phänomene zuzählt: Fearless Cities, Sanctuary Cities, Rebel Cities. „Fearless als Kraft in einem Netzwerk gegen rassistische Politik, sanctuary als Raum-Form des Willkommen-Heißens von Neuankömmlingen, rebels als Akteur*innen: Derartige (Selbst-)Zuschreibungen betreffen Städte als Subjekte wie auch Schauplätze eines Neuen Munizipalismus.“ Weil ein Blick auf die Stadt als in diesem Sinn neue (macht)politische Akteurin für Fragen einer radikaldemokratischen Stadtplanung aufschlussreich ist, führt ein Exkurs zu den spanischen Gemeinderatswahlen 2015, im Zuge dessen Vertreter*innen feministischer und basisdemokratischer Politik-Bewegungen in mehrere Stadtparlamente einzogen. Aus Selbsthilfe-Organisationen und sozialen Bewegungen in der spanischen Humanitätskrise entstanden, wurden sie Teil der Stadtregierungen, u. a. von Madrid, Barcelona, Valencia – als Plattform sozialer (sozialistischer) und vor allem kommunaler Bewegungen. Bei diesen unter dem Begriff Neuen Munizipalismus zusammengefassten Bewegungen handelt es sich um Bottom-up-Initiativen, die sich auf den „Anarcho-Syndikalismus“ der spanischen Revolution der 1930er Jahre beziehen und zugleich „aber ganz bewusst in die Institutionen gehen, also hegemoniepolitisch und dabei experimentierfreudig auf lokaler Ebene an konkreten, auch institutionellen Alternativen zum globalen Neoliberalismus arbeiten“.
The road to hell is paved with good intentions (Karl Marx, Madonna, Pink)
Heutige Anforderungen und Konfliktlagen der Stadtplanung – Wohnbau für die Vielen, Bodenpolitik und Ressourcenschonung, Migration und Teilhabe – erfordern demnach proaktive radikaldemokratische Stadtplanung, um die Privatisierung städtischer Räume zu stoppen und Zukunftsperspektiven einer sozial und ökologisch gerechten Stadt zu entwickeln. „Im Rahmen radikaldemokratischer Planungspraxis könnten wir Planung als eine unvermeidliche Setzung konzipieren, die aber strittig ist.“ Mit einem solchen Setzungsbegriff werden zwei diffizile Bereiche betreten: „Der eine ist das immer schon stratifizierte Feld eines Stellungskriegs, auf dem jene Hegemoniepolitik stattfindet, wie sie Antonio Gramsci theoretisiert hat. Der andere diffizile Bereich ist jener der Operationen, die sich selbst nachhaltig problematisieren.“ Gabu Heindl meint damit Folgendes: In einer postfundamentalistischen Konzeption des Wortes Setzung kommen zwei Bedeutungen des Begriffes, die auf den ersten Blick konträr erscheinen, in sehr nahen Kontakt miteinander. Zum einen macht die Setzung etwas „wirklich“, macht es existent; zum anderen ist Setzung eine „Annahme“, etwas, das nicht unveränderbar für immer gilt, sondern unter Bedingungen:
„Obwohl Gesellschaft nicht ultimativ zu gründen ist, so die postfundamentalistische Theorie, muss sie dennoch provisorisch gegründet werden.“ Und gerade die Unmöglichkeit einer Voll-Gründung ermöglicht Teil-Gründungen. Gesellschaften und gesellschaftliche Räume sind nie gänzlich ohne Ordnung und Fundament. Das heißt: Eine vollständige Abwesenheit von Fundamenten gibt es ebenso wenig wie eine vollständige Präsenz von Fundamenten. Gründungen seien deshalb kontingent und unverzichtbar. „Foundations matter – es kommt auf sie an. Sie sind zugleich unsicher, prekär und von höchster Wichtigkeit für Leute und für gesellschaftliche Gruppen.“
Strittige Konsequenzen
Sobald ein Plan gezeichnet und zur Diskussion gestellt ist, also in diesem Sinn eine Setzung ist, hat er folgende politisch wesentliche Eigenschaften: Er ist allgemein; er ist öffentlich; er ist ausformuliert; und er ist bestreitbar. Und damit könne und müsse der Plan an demokratische Öffentlichkeit gebunden werden und der Streit an demokratische Spielregeln seiner Austragung. Worauf die Autorin hier abzielt, ist die gegenwärtige politische Situation, in der neoliberale Hegemonie durch ganz andere Macht-Formen realisiert wird: nicht allgemein, sondern von Fall zu Fall und dem jeweiligen Investitionsobjekt optimal angepasst; nicht öffentlich, sondern durch Schutz von Privatrecht und mittels interner Vorabsprachen; nicht ausformuliert, sondern möglichst informell, möglichst „geschmeidig und flexibel“ – und insofern entziehen sich neoliberale Vereinbarungen der Strittigkeit und sind daher gerade nicht Setzungen im Sinn öffentlicher Konfliktaustragung und Legitimierung.
Freie Mitte
Was aber die Agency von Architektur betrifft, so biete gegenwärtig ein an Bruno Latour orientierter ANT (Actor Network Theory)-Ansatz einiges an Auseinandersetzung mit ihr. „Im Unterschied zu Ansätzen, die einer Sorge um Identität von Architektur als Disziplin breiten Raum geben, hebt ein radikaldemokratischer Zugang Verhältnisse hervor, in denen Architektur entschieden auf kritische Distanz zu ihrer ‚Identität‘ und zum vorherrschenden Habitus ihrer Handlungsobjekte geht.“ Gabu Heindl fordert alle, also auch Architekt*innen und Planer*innen dazu auf, in Allianzen zu treten, als Expert*innen – bei gleichzeitiger Selbstkritik und Distanzierung von Aspekten jener Machtposition, die mit der Zuschreibung von Expertise einhergeht.
Es geht ihr um die Ausweitung der Rechte auf Stadt. Dazu führt sie auch eines ihrer eigenen Planungsprojekte ins Feld, das sie 2011 gemeinsam mit der Architektin Susan Kraupp für den Wiener Donaukanal entwickelt hat. Zum Zweck der „Einrichtung und Offenhaltung von öffentlichem Raum als Möglichkeitsraum mit niederschwelliger Teilhabe“ – nicht an Kaufkraft gebunden oder daran, wer zur bevorzugten Zielgruppe von raumgreifenden Gastronomien zählt (und wer dort zunehmend weniger geduldet ist) – griffen sie auf „ein Instrument starker planerischer Setzung“ zurück, nämlich auf das Instrument des Bebauungsplans, indem sie für ihren spezifischen Kontext einen „Nichtbebauungsplan“ ausarbeiteten. Dieser ist abgefasst wie ein Bebauungsplan, nur dass er eben reziprok verfährt, indem er dezidiert „nicht zu verbauende Zonen“ als Projektziele ausweist. (Die Kurzfassung der Donaukanal-Partitur-Leitlinien findet sich online unter: https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/studien/pdf/e000012.pdf.) Im Sinn einer von Gabu Heindl propagierten Radikalisierung und Vertiefung demokratischer Verhältnisse zielt eine solcherart orientierte Planung, entgegen tradierter paternalistischer Methoden, auf ein Einrichten und Verteidigen von Infrastruktur, von Spiel- und Möglichkeitsräumen „und das beinhaltet auch den Kampf um Sicherungen, nämlich vor den Zugriffen deregulierter Kapital-Aggression auf Wohn- und Stadtraum“. Sie schlägt dafür ein von queeren Theorien und Theorien zur Care Revolution geprägtes Gegenmodell vor, indem es um lustvolle, auch spielerische Besetzungen im Sinn von Aufladung geht – Besetzungen, auch im affektiven Sinn, von Häusern, Plätzen, öffentlichem Raum. „Dabei geht es mir um konfrontative, kritische Arbeit in solidarischen Öffentlichkeiten: Die Bildung von Bündnissen und Äquivalenzketten soll ein handlungsmächtiges Wir hervorbringen.“
Titelzitat: Tocotronic, „Der Masterplan“, 1995
Gabu Heindl „STADTKONFLIKTE. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung“,
Mandelbaum Verlag, Wien 2020
Ergänzung zum Bild: Gabu Heindl, Can Gülcü, Installation zum öffentlichen Grünraum „Freie Mitte“ am Nordbahnhof, Wien 2017, Foto: Michael Krebs, Dorothea Trappel (Hg.), „Der Abgestellte Bahnhof. Das Wiener Nordbahnhofgelände und die Freiheit des Raumes“, 2018
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