Lust is a Force

Die Lust als höhere Gewalt ist in Julian Rosefeldts filmischer Arbeit Deep Gold noch bis April in der Landesgalerie Linz anzusehen. Die gleichnamige Ausstellung stellt Fragen nach radikal konstruierter Realität – ältere und neuere feministische Referenzen inklusive.

Filmstill aus „Deep Gold“, 2013/14, © Julian Rosefeldt, by Courtesy Barbara Gross Galerie München und ARNDT Berlin / Singapore, VG Bild-Kunst

Filmstill aus „Deep Gold“, 2013/14, © Julian Rosefeldt, by Courtesy Barbara Gross Galerie München und ARNDT Berlin / Singapore, VG Bild-Kunst

Der Protagonist, ein bürgerlicher Mann in schwarzem Anzug, lässt als Frau Holle Federn aus einem Fenster auf die Straße schneien. Bevor er sich aus selbigem Fenster stürzt. Und sich am Boden der Straße wiederfindet: mit geöffneten Augen und gar nicht tot. So der vermeintliche Beginn in Julian Rosefeldts Film Deep Gold. Der den Protagonisten weiter begleitet in einer Art Verlorenheit inmitten surrealer Szenarien wie küssende Selbstmordattentäter, Femen-Aktivistinnen und einem Zeppelin mit der Aufschrift S.C.U.M. Ein radikales feministisches Manifest von Valerie Solanas aus dem Jahr 1968. Das S.C.U.M. Manifesto, das für eine Vernichtung des männlichen Geschlechts durch die Frau plädiert, wurde in dem Jahr veröffentlicht, als die Autorin in der New Yorker Pop-Art-Factory dreimal auf Andy Warhol schoss.

Während in Deep Gold der Protagonist Gaston Modot staunend den Zeppelin beobachtet, stolpert er weiter die Straße entlang und wird in Richtung einer Bar mit der Aufschrift Deep Gold getrieben. Inmitten des burlesken Bühnenszenariums erfährt er, völlig überfordert, unter anderem die Darbietungen einer mit zig Brüsten behängten Peaches und einer, von einem Transvestiten dargestellten Josephine Baker, während um ihn herum ungeniert die Lust und bürgerliche Amoralität gefeiert wird. Doch anstatt in die Feier der Extravaganz und Fleischlichkeit einzutauchen, stellt Gaston der Lust und dem Exzess seine eigene Melancholie und sein Entsetzen gegenüber. Um nach einer kurzen Ohnmacht zurück auf die trostlose Straße zu kehren.

Es gibt kein Entrinnen für ihn. Der postmortale Alptraum des Protagonisten geht weiter, und auch als Zuseher und Zuseherin entkommt man, in einem endlosen Loop des gezeigten Films, dem Gefühl der Tristesse und Ausweglosigkeit nicht. In eine Welt geworfen, die Gaston Modot nichts zu bieten hat, inmitten einer unwirtlichen und unwirklichen Umgebung, nimmt er in scheinbarer Verzweiflung ein Gewehr in die Hand und erschießt einen beliebig ausgewählten Passanten auf offener Straße. Doch auch die Gewalt scheint, genau wie die exzessive Lust, keine Lösung zu sein und verändert nichts. So bleibt der Tote einfach auf der Straße liegen. Das Morden ist hier legitim und ohne Konsequenz. Genauso wie die nackten Spaziergänger auf der Straße. Die Handlungen des Einzelnen bleiben unbeachtet und dadurch unbedeutend.

In einer anderen Szene realisiert der Protagonist, Teil einer schaurigen Inszenierung zu sein. Geht er doch durch ein Tor und befindet sich plötzlich inmitten des Filmsets, in dem sich die Häuser an der Straße als Filmkulisse enttarnen. Dort flickt eine Frau ein Kostüm für die Bühnenauftritte in der Bar Deep Gold, Bierbänke wie ein Dixi-Klo stehen für die Crew bereit. Doch auch die Dekonstruktion des Erlebten und die Aufdeckung der Umgebung als Inszenierung verändert nichts für den verlorenen Gaston. Das Dahinter stellt sich als noch furchtbarer dar als das Davor. Hier arbeitet alles für die Aufrechterhaltung der Szenerie. So taumelt Gaston zurück auf die Straße und landet letztendlich vor dem Schaufenster eines Spielzeugwarengeschäftes. Ein Augenblick kindlicher Geborgenheit in Unschuld, ein nostalgisches Gefühl aus vergangenen Zeiten wird erahnbar. Die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden wächst beim Anblick des verschneiten Spielzeugschlosses im Schaufenster. Bis der Blick scheinbar zufällig das im unteren Bereich des Spielzeugladens ausgestellte Modellfahrzeug streift, und wie ein kalter Schauer durchfährt einen die Aufschrift auf dem Spielzeug: Lust is a force. Ein Entkommen gibt es also nicht, auch nicht mit der Lust, die Deep Gold als roter Faden und als gewaltsame Kraft durchzieht. Unentrinnbar bietet sie das anscheinend einzig Lebendige. Doch auch das nur im schillernden Rausch einer 20er-Jahre-Bar, die im selben Maße für Verlorenheit steht wie die trostlose Straße, aus der man sie betritt.

Gedreht wurde Deep Gold 2013/14 vom deutschen Filmkünstler Julian Rosefeldt in den Babelsberger Filmstudios in Berlin. Anlass war eine Einladung Rosefeldts für das Projekt Der Stachel des Skorpions. Ein Cadavreexquis nach Luis Buñuels „L’Âge d’Or“ des Museums Villa Stuck in München und dem Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Auf Initiative des Künstlerduos M+M wurden insgesamt sechs filmische Positionen an der Schnittstelle bildende Kunst/Film geschaffen, die Bezug auf Luis Buñuels Filmklassiker „L’Âge d’Or“ aus dem Jahr 1930 nehmen. „L’Âge d’Or“ gilt als einer der zentralen Filme des Surrealismus und unterwanderte in damals skandalösen Bildern das gesellschaftliche Establishment, die bürgerliche Moral und die Wertvorstellungen der katholischen Kirche. Julian Rosefeldt bezieht sich in seiner Arbeit Deep Gold auf das immer wieder getrennte Liebespaar aus „L’Âge d’Or“, das sich seiner Lust nicht hingeben kann. Am Schluss des Films entscheidet sich die Geliebte plötzlich für einen anderen Mann, woraufhin der Liebhaber in rasender Wut den Verstand verliert und Kissen zerstört, um die Federn aus dem Fenster zu werfen. Hier setzt Rosefeldt an und beginnt seine eigene Erzählung. Hier nimmt Deep Gold seinen Anfang und zeigt als erste Aufnahme die Hände eines von Beginn an verlassenen und alleine gelassenen Protagonisten Gaston Modot, die voller Federn sind. Übrigens ist der Name des Protagonisten auch dem Klassiker entlehnt. In „L’Âge d’Or“ spielte der französische Filmschauspieler Gaston Modot die Rolle des Liebhabers.

Rosefeldt eröffnet in Deep Gold ein Szenarium der Konsequenzlosigkeit. Die Bar Deep Gold ist ein Rausch aus Fleischlichkeit, Dekadenz, Feier, Lust, Nacktheit. In einem surrealen (T)raum steht das Schillernde dieser Burlesque-Bar einer tristen Außenwelt gegenüber. Der Protagonist gilt von Anfang an als verloren: Der versuchte Selbstmord gelingt nicht und lässt ihn in einer Umgebung zurück, die auf den Zuschauer, die Zuschauerin zwar wie ein alptraumhaftes Gebilde einer verzerrten Realität wirkt, und dennoch werden auf fast gruselige Art und Weise Bezugsrahmen zu zeitgenössischen Themen der Gesellschaft hergestellt. Nehme man nur den lasziv an einer Straßenmauer lehnenden Mann, der ungeniert romantisch und scheinbar harmlos eine Frau küsst. Unter seiner offenen Jacke ist jedoch deutlich eine angebrachte Bombe mit Zünduhr zu sehen. Nehme man weiters die zahlreichen Anspielungen auf die jüngere Geschichte des Feminismus, mit den Femen-Aktivistinnen auf einer Barrikade im öffentlichen Raum oder der Auftritt der Musikerin Peaches in der Bar. Es bleibt dem Zuschauer, der Zuschauerin nicht erspart, die Verlorenheit und Irritation des Films in die heutige Zeit und das, was uns umgibt, zu übersetzen.

Im Wappensaal der Landesgalerie Linz ist neben Deep Gold auch eine frühere Arbeit des Künstlers zu sehen: Die Fünf-Kanal-Film-Installation American Night. Julian Rosefeldt gehört zu den derzeit gefragtesten zeitgenössischen Filmkünstlern. So ist er bis Juli 2016 mit seinem neuesten Film Manifesto, in dem die australische Schauspielerin Cate Blanchett in verschiedenen Rollen Texte aus Künstlermanifesten des 20. Jahrhunderts vorträgt, auch im Berliner Museum Hamburger Bahnhof in einer Einzelschau zu sehen.

 

Deep Gold läuft noch bis 24. April in der Landesgalerie Linz.

Ausstellungsbezogene Veranstaltung
Der Künstler Julian Rosefeldt wird am Sonntag, den 24. April 2016 um 11.00 h zum Filmgespräch in der Landesgalerie Linz anwesend sein.

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