25 und ein Jahr

Mit der Ausstellung „26 Jahre Atelier Diakoniewerk“ feiert das Atelier der Kunstwerkstatt in Gallneukirchen sein 26-Jahr-Jubiläum. Natalia Müller, Kuratorin der Ausstellung, über die Geschichte des Ateliers und die Ausstellung, die Mitte November im Ursulinenhof eröffnet wurde.

Die Feierlichkeiten zum 26-jährigen Bestehen des Ateliers des Diakoniewerks sollen vor allem der Hochachtung gegenüber dem Œuvre sowie dem Potential der Künstler:innen dienen, die durch ihr Schaffen und Können das Atelier zu dem gemacht haben, was es heute ist.

Das Datum der Entstehung war gar nicht so leicht ausfindig zu machen, so existierten im Entstehungsprozess unterschiedliche mögliche Datierungen, die den Start des Ateliers beschreiben könnten.

Tatsächlich gab es aber Veränderungen im Jahr 1995, an denen die Wende vom sogenannten Freizeit-Atelier zum künstlerisch geführten Atelier festzumachen war. 1993 legte Joy Hörwarter, eine engagierte Mitarbeiterin der Behindertenarbeit, ein Konzept für ein gestalterisches Angebot im Rahmen der Werkstattarbeit vor, das in den darauffolgenden beiden Jahren zur Umsetzung kam.

Rund um den Zeitraum 1995, der mit der Suche und Aufnahme von Menschen mit künstlerischem Potential wie auch einer Neuorientierung durch den ersten örtlichen Wechsel einherging, wurde das Atelier zu einem eigenständigen Bereich.

„Die Freiräume, die die Kunst braucht, sind stetig zu suchen und zu bewahren.“
Joy Hörwarter

In weiterer Folge übernahmen Helmut Pum und Erika Pabel das Atelier von Joy Hörwarter und es wurde eine organisatorische Trennung von der Werkstätte durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt fand in einem weiteren Schritt, mit dem Beginn von Ausstellungsarbeiten, eine Öffnung nach außen statt.

Die nächste Veränderung erfolgte im Jahr 2000, es wurden neue Räumlichkeiten im Haus Zoar in Gallneukirchen bezogen, in denen das Atelier lange beheimatet blieb. Die folgenden Jahre prägten engagierte Kolleg:innen und Wegbegleiter:innen die Entwicklung des Ateliers.

Zu den Künstler:innen der ersten Stunde zählten unter anderem Erika Staudinger (1995), Ursula Mitter (1996) und Rosemarie Heidler (1997). In den darauffolgenden Jahren kamen Jutta Steinbeiß (1998), Johanna Rohregger, Herbert Schlossern sowie Thomas Pühringer (1999) dazu. In den Anfängen der frühen 2000er folgten Josef Landl (2000), Heinz Frieder Adensamer (2002) und Gertraud Gruber.

Nach und nach bereicherten viele der heute noch aktiven Künstler:innen die geschaffenen Atelierräumlichkeiten mit ihren Werken. Es bestand vom Start weg eine bemerkenswerte Dichte an spannendem und kreativem Potential.

Die Klarheit in der Umsetzung als auch eine Kompromisslosigkeit in ihren künstlerischen Arbeiten beeindruckten mich seit dem Beginn meiner Arbeit im Atelier. Als Künstlerin faszinierte mich der direkte und auch sehr ehrliche Zugang zur Kunst. Sei es in der expressiven Farbwahl der Flächengestaltung von Johanna Rohregger, die fast akribische Verdichtung der ihr interessant erscheinenden Stellen in den Zeichnungen von Erika Staudinger oder auch die kleinen farbigen Flächen von Ursula Mitter, die sich aneinandergereiht zu ihren „Spuren“ verdichten. So unterschiedlich ihre Stile auch sind, so sehr ihre Zugänge zur Kunst auch variieren, die Qua­lität der Arbeiten wie das künstlerische Po­tential waren von Anbeginn an bemerkens­wert. Wichtig für uns, als künstlerische Mitarbeiter:innen des Ateliers, war es immer, durch gute Rahmenbedingungen für ein au­tonomes und kreatives Klima zu sorgen.

Ist es heute für mich und meine Kolleg:innen klar, dass es sich bei vielen der Arbeiten um Kunst handelt und diese Werke auch als solche zu betiteln sind, benötigte es in der Vergangenheit, gesellschaftlich und kunsthistorisch, doch eines Prozesses, der zur Erreichung dieser Akzeptanz führte.

Über die Veränderung der bis dahin etablierten Kunst seit dem Beginn der Fotografie, die erste Gemeinschafts-Ausstellung einiger Impressionisten im Hause des Fotografen Nadar, die eine Wende in der Kunstgeschichte einleitete, ebenso die Süd­seereisen von Paul Gaugin, dem Aufbruch der Künstler nach Ozeanien, ist in der klassischen Moderne schon viel referiert worden. Meiner Meinung nach ist aber dieser Wandel einer neuen Sichtweise in der Kunst, sprich der Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlichsten psychischen Problemen und Beeinträchtigungen, erst durch die Publikation von Walter Mor­­genthaler über den Künstler Adolf Wölfli ermöglicht worden. Den Boden dafür bereitete die Moderne mit ihrer Abwendung von der akademischen Kunst sowie den formalen Prinzipien in der Malerei.

Bis heute hält noch eine Diskussion über etwaige Begrifflichkeiten von Art Brut bis Outsider Art an. Die Anerkennung ihrer Kunst sowie die Wertschätzung als Künstler:innen allgemein ist aber inzwischen eindeutig gegeben.

„Die Kunst ist -– entgegen allen ästhetischen und philosophischen Schul­meinungen – nicht ein Luxusmittel, in schönen Seelen die Gefühle der Schönheit, der Freude oder dergleichen auszulösen, sondern eine wichtige geschichtliche Form des gesellschaftlichen Verkehrs der Menschen untereinander, wie die Sprache.“
Rosa Luxemburg

Die Zusammenstellung der Werke war eine Herausforderung. Es war kein Leichtes, unter der Fülle der Arbeiten zu selektieren, um eine Entscheidung für die Ausstellung zu treffen. Die Auswahl konzentriert sich auf einige wenige Künstler:innen und deren Werk, vornehmlich jene, die schon seit Anbeginn im Atelier tätig sind und es so mitgeprägt haben. Eine umfassende Zusammenstellung des entstandenen Œuvres der Künstler:innen würde in jeder Hinsicht den Rahmen der Gegebenheiten sprengen.

Bei all der Vielfalt der Menschen sowie der Talente, die das Atelier in den letzten 26 Jahren geprägt haben, soll diese Jubiläumsausstellung dazu dienen die entstandene Kunst der Künstler:innen zu würdigen, aber auch die Wichtigkeit geeigneter Strukturen und Freiräume zu zeigen, durch die das Schaffen ermöglicht und erleichtert wird. In diesem Sinne freuen wir, das Atelier-Team, uns, eine Auswahl der entstandenen Kunstwerke in der Ausstellung zeigen zu können.

 

Dieser Text von Natalia Müller ist auch im Katalog zur Ausstellung erschienen.

Ausstellung: 26 Jahre Atelier Diakoniewerk
Das Atelier des Diakoniewerks feiert 26 Jahre Kunst. 26 Jahre Atelier des Diakoniewerks. 26 Jahre Kunst, die durch Künstler:innen des Diakoniewerks geprägt wurde und eine Zeit, die auch Künstler:innen in ihrer Entwicklung und Schaffenskraft geprägt hat. diakoniewerk.at/veranstaltung/26-jahre-atelier-vernissage-und-jubilaeums-ausstellung
Ursulinenhof im OÖ Kulturquartier
Noch bis 13. Jänner 2022

Die kleine Referentin

© Terri Frühling

Tollkühne Kisten, heiße Knarren

Eine Kartoffel kann ja vieles sein: Chips, Pommes, Gratin – Druckstempel, Rennauto oder Inspirationsquelle für ein KünstlerInnenkollektiv, für das der Dauerbrenner Erdapfel ein gutes Symbol ist, auch in Bezug auf Vernetzung. Mögen die Triebe sprießen. Christian Wellmann über Potato Publishing, das zwischen Comic, Illustration und Text produziert.

„Potato Publishing“ (POPU) betreibt eine nicht auf Gewinn orientierte Risographie-Druckwerstatt, eine Zine-Bibliothek sowie einen kleinen Shop für Druckwerke im ehemaligen Wirtshaus „Zur Schießhalle“, dazu setzen sie Independent-Publishing-Veranstaltungen in Linz um Ihre Produktionen, die in Handarbeit in kleinen Auflagen hergestellt werden, vertreiben sie selber. Alles dreht sich ums Selbermachen, der DIY-Gedanke ist in allen Prozessen zu finden. Die InitiatorInnen Sarah, Paul und Oskar verstehen sich als niederschwelliges Kollektiv, das Zusammenarbeit, Erfahrungs- und Ideenaustausch mit neuen Leuten sucht. Das dezidiert offene Kollektiv freut sich über alle, die sich einbringen wollen – so gibt es auch mehrere Mitglieder, die bei Projekten dabei sind.

POPU will Genregrenzen aufsprengen und ist nicht nur auf Comics festgelegt, Illustration und Text sind auf Augenhöhe. „Wir wirken oft so. Bei mir stimmt das schon, aber wir sind definitiv kein reines Comicprojekt“, erwähnt Paul im Referentin-Interview. Er zeichnet und macht Comics, hat Agrarwissenschaften studiert. „Zuerst war der Schritt, beim „Independent Publishing“ mitzumachen – und dann darüber eine eigene Produktionsstätte für Druck zu schaffen. Unter unserem Namen ist nur das Heft „Potato Press“ rausgekommen, für das es einen Open Call gegeben hat. Gedruckt von POPU, mit unterschiedlichsten Beiträgen von Kunst- und Kulturschaffenden.“ Stilsicher im Kartoffelnetz und noch erhältlich. „Es geht uns darum, diese Struktur anzubieten und Möglichkeiten zu schaffen, weil wir eine Gruppe sind, die Ressourcen anzapfen kann, die man sonst nicht hat.“
„Harasananas“ ist Sarahs Künstlerinnenname. Sie ist gerade mit weiteren POPUlern auf dem Sprung zum „Zine-Camp Rotterdam“, um Publikationen und Distributionen zu präsentieren – und sich kurzzuschließen: „Die Festivals oder Fairs, wo wir hinfahren, bieten sich für Kontakte natürlich an. So ergeben sich auch Zusammenarbeiten – dass wir ein Heft machen zum Beispiel. Seit es uns gibt, haben wir großen Wert darauf gelegt, dass wir uns vernetzen und austauschen“, so Sarah.
Oskar hat auf der Kunstuni Linz Lehramt studiert, Mediengestaltung und technisches Werken, über Auslandssemester ist er zum Zeichnen gekommen: „Kunst wird es erst, wenn man mit anderen Leuten in Kommunikation tritt.“ Zusammen mit Sarah schreibt er an einer Diplomarbeit über das Projekt, „man könnte ja stundenlang darüber reden …“

Will man zu ihrer offenen Werkstatt ins ehemalige „Schießhallen“-Gebäude, in dem über Jahrzehnte übeldampfend a zünftigs Schweinsbratl die Speisekarte gerockt hat, wird’s „abenteuerlich“. Irgendwie vegan. Zurzeit wird das ganze Haus rund um die Räumlichkeiten, in denen gedruckt, gezeichnet, gelesen wird, general­saniert. Es gibt weitläufigen Platz zum Arbeiten – vier Räume werden genutzt. Im Druckerraum sind neben drei Maschinen alle bisherigen Publikationen auf einem Display angebracht, dazu flashige Riso-Drucke, Poster. Wirkt wie in einem besetzten Haus im Berlin der 80er. Das Haus ist aber in Privateigentum, passende Zimmer sollen an KünstlerInnen vermietet werden. Das entstehende Atelierhaus ist gerade am Anlaufen. Eine zukünftige Zufluchtsoase für Kulturdürstende in der gemächlich vor sich dahin rostenden Stahlstadt? Es wird auch eine Lokali­tät/ ein Veranstaltungsraum angedacht, mit einer Amarenakirsche obendrauf: dem ehemaligen Gastgarten der Schießhalle. Schaumamoi.
Im ersten Stock gibt es trotzdem einmal im Monat den Riso-Mittwoch (jeden letzten Mittwoch im Monat, ab 18 Uhr). Drucken oder zum Zeichnen treffen – so wurde beispielsweise an ihrem letzten Riso-Mittwoch ein Faltzine gefertigt. Man kann auch einfach nur vorbeikommen, um sich das Ganze anzuschauen. POPU übernimmt aber keine Aufträge, bisher gibt es keine fixen Öffnungszeiten – am besten Kontakt via Instagram/E-Mail aufnehmen. „Die Werkstätte ist nicht nur auf Riso-Druck beschränkt, es gibt auch einen weiteren Digitaldrucker, mit einem anderen Druckverfahren, ähnlich zum üblichen Laserdruck“, veranschaulicht Paul. Vom Layout bis hin zu Schnitt und Bindung: Komplettes DIY mit voller Kontrolle. „Risographie ist ein niederschwelliges Druckverfahren, für das man verhältnismäßig wenig Zeit braucht. Abgesehen von der besonderen Optik gibt es einige Vorteile. Es ist natürlich nicht immer die einfachste Drucktechnik, aber relativ schnell und günstig“, beschreiben die Drei die zu Recht angesagte Kommunikationsästhetik.

Außerhalb ihres HQ setzen sie regelmäßig knollige Projekte um. Kollaborative Arbeitsprozesse, interdisziplinäre Vernetzung und eine kollektiv genutzte Infrastruktur bilden ebenso die Grundlage für die Aktivitäten des POPU-ZINE-CLUB. „Das ist ein zweimonatiges Programm im Salzamt. Dieses Jahr war das erste Mal. Es wird ihn auch nächstes Jahr geben, wir sind gerade in der Planungsphase. Das Projekt ist niederschwellig. Das Salzamt, das als temporäre Arbeitsstätte genutzt wird, liegt zentral. POPU ZINE CLUB besteht einerseits aus einem Residency-Programm, wo wir andere Kollektive eingeladen haben, wie: Matrijaršija (Belgrad), Evil Quartet of Death aka Never Brush My Teeth & Kati Akraio (Athen) und Doner Club (Bologna)“, informiert Sarah.
„Das war coronabedingt eine besondere Situation im Winter, wo Reisen nur eingeschränkt möglich, jedoch berufliches Reisen ganz normal erlaubt war. Mit Unterstützung vom Salzamt haben wir Einladungsbriefe geschrieben für einen Arbeitsaufenthalt. Künstlerische Arbeit“, konkretisiert Oskar. „Neben der Residency gibt es unsere Bibliothek, quasi eine begehbare Ausstellung, die man benutzen kann, also jedes Heft in die Hand nehmen. Der dritte Aspekt ist die offene Werkstatt, wo Leute sich anmelden und ihre Projekte umsetzen oder einfach nur ausprobieren können. Das zieht sehr unterschiedliche Leute an. Viertens im Shop Sachen kaufen können: Distribution ist ein wichtiger Aspekt, wir bringen die Druckwerke, auch von anderen befreundeten Kollektiven und KünstlerInnen auf verschiedene Festivals oder Zine-Fairs in Europa und verlangen dafür keine Kommission. Fünfter Pfeiler sind die Workshops – zum Teil spontan, wie kleine Figuren durch Abgüsse machen oder ein Workshop von Soybot aus Wien. Die Idee hinter dem POPU-ZINE-CLUB ist, einen Zine-Club temporär als künstlerisches Projekt zu machen.“ Sarah: „Es ist alles offen, nichts Elitäres. Keine Gruppe, die sich eh immer trifft und zusammenarbeitet. Sondern, dass es wirklich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, die Türen offen sind, alle können reinspazieren. Man kann dort arbeiten und wir erklären alles, soweit es geht.“ Dieses Jahr sind zwei Kollektive geplant, die sich anlässlich des NEXTCOMIC-Festivals 2022 im Salzamt austoben dürfen.

Eine weitere Aktion ist das „Potato Derby“, das dieses Jahr im Herbst zum zweiten Mal im fabulösen „Loft“ von DH5 (damenundherrenstraße5) Gummi gegeben hat. „Der Gedanke dahinter ist, dass wir eine Zine-Fair in Linz machen wollten, wo es nicht nur Verkaufsstände gibt. Comics sind eine Nische, selbstpublizierte Comics eine Nische in der Nische. Weiters sollte es auch Lesungen, Live-Auftritte, Workshops, Leute, die tätowieren, und als Rahmenprogramm das Rennen geben. Wo Leute direkt dort die Autos aus Kartoffeln basteln, man bleibt einfach länger dort. Das erste war sehr improvisiert – chaotisch, aber lustig“, fasst Paul das grellbunte Treiben bei einem „Potato Derby“ zusammen. Das war die erste Veranstaltung, die sie gemeinsam kurz vor Corona organisiert haben.
„Ich bin total froh darüber, in welcher Form das stattfindet. Dass es eben nicht nur eine Zine-Fair ist, sondern eine Veranstaltung, wo unterschiedliche Dinge passieren. Wo sich vermischt, wer KünstlerIn und wer Gast ist. Das erste war eintägig, das zweite zweitägig, das dritte wird dann dreitägig“, gibt Oskar augen­zwinkernd zu wissen. Er war vor vier Jahren in Kolumbien, Auslandssemester über die Kunstuni, bei einer Buchmesse und ist auf das Kollektiv „Tallercolmillo“, das sie nächstes Jahr nach Linz einladen, gestoßen: „Es gibt einfach mehrere Verbindungen zu Kolumbien, auch in Linz. Wir haben das von LinzIMpORT gefördert bekommen. Von Anfang an haben wir bei unserem ganzen Projekt von der Stadt Linz und dem Land OÖ viel Unterstützung bekommen, auch Sonderförderprogramme.“

Ein Knaller war in diesem Frühling das Taschenpistolenmuseum des POPU STORES am Hauptplatz mit Pistolenminiaturen: „Das ist eine Wanderausstellung. Aus Zipf, von dort kommt der Herr Hans Eisen, der das kuratiert hat. Es sind Exponate von Taschenpistolen mit ihrer Geschichte. Eigentlich steht die Geschichte im Vordergrund. Geschichten, die im Heft, dem „Taschenpistolen-Almanach“ vorkommen, dem Begleitheft zur Ausstellung“, erklärt Paul die mysteriösen Gegebenheiten.

„Wir wollen nachhaltig für Linz eine Struktur schaffen. Das ist mir persönlich auch sehr wichtig. Dass das nicht ein Projekt ist, das nur temporär umgesetzt wird, sondern es soll schon auch langfristig eine Struktur sein, die erhalten bleibt. Wo Leute kommen und wieder gehen. Prinzipiell sind wir von der Ausrichtung her so was wie ein Dienstleister für die Kunst- und Kulturszene in Linz. Funktionieren tut das Ganze im Sinne einer solidarischen Ökonomie, also man kommt zum Drucken und gibt zu den Materialkosten noch eine Spende darauf, so in die Richtung“, unterstreicht Oskar POPUs Anliegen.
Das alles ist eine äußerst üppige Kartoffelernte, bedenkt man, dass POPU ihre Saat erst ausgesät hat, knapp bevor der Virus mit der Krone die Erde, diese Kartoffel-Scheibe, völlig umwoben hat. Da vor allem polnischer Wodka von der Wunderknolle abhängig ist: Einen Doppelten auf ein langes POPU-Leben!

Riso-Mittwoch, sofern pandemiebedingt möglich, Kontakt via Instagram: www.instagram.com/potatopublishing oder: print@potatopublishing.at Waldeggstr. 116, 4020 Linz

POPU-ZINE-CLUB bei NEXTCOMIC: Mitte Februar bis April 2022 im Salzamt

Radio-Sendung „Potato Derby“ von Simone Boria: cba.fro.at/523855

Tallercolmillo, Kolumbien: tallercolmillo.com

Optimus temperatus.

Ja, ja – jetzt kommt er mit Temperaturgefasel zur kalten Jahreszeit. Allgemeinplätze von gekühlten oder heißen Getränken erwartet sich die geneigte Leserin, der geneigte Leser. Aber mitnichten. Der Dude ist auf der Suche nach den leisen Zwischentönen, den feinen Graden: Der sanftwohligen, anschmiegenden Wärme oder der aufregenden, angenehmen Kühle. Gefroren, gefrostet, gebraten, flambiert – das sind in Zeiten der Extreme die wohl naheliegendsten kulinarischen Temperaturzuschreibungen. Aber wie so oft in den lukullischen Sphären, machen die kleinen Entdeckungen das große Bild! Dass Wein erst in unterschiedlichsten Kühle- oder Wärmestufen seine gesamten Geschmacksklaviatur spielt, ist bekannt, und dieses Wissen wird in der Praxis von Profis als auch von Laien so praktiziert. Dass aber fast alle Nahrungsmittel eine Idealtemperatur zur Zubereitung oder Zusichnahme haben, ist wohl weniger bekannt bzw. wird in den seltensten Fällen angewandt.

Und da man im neuerlichen Lockdown vermeintlich wieder mehr Zeit für sich hat, gönnt sich der Dude Warm- und Coolfood in allen Varianten und gesteht seinen zum Verzehr gedachten Zubereitungen die Zeit und Temperatur zu, die sie sich wünschen.

So wird der gute Ziegenkäse nach Brie-Methode durch einen sogenannten Käse-Spaziergang in Fahrt gebracht. Nein, der Dude wird nicht als exaltierter Käseliebhaber mit dem Brie-Laib in den Taschen durch seine geliebte Linzer Stadt wandern. Vielmehr bekommt der Brie sein Bett neben dem Kühlschrank und durch die Dauer des Spaziergangs die genaue Zeit, sich vollends zu entspannen und die richtige Viskosität anzunehmen. Genauso verhält es sich beim Fisch, der gebraten wird. Einfach auf Raumtemperatur kommen lassen, dann wird das fröhliche Bratgut wesentlich geschmeidiger und schmackhafter in der Zubereitung. Bei rotem Fleisch ist es sogar ratsam, ein bis zwei Stunden vergehen zu lassen. Einfach probieren!

Fermentierte Köstlichkeiten, die ja Reife bei Raumtemperatur erlangen und dann gekühlt gelagert werden, sollten vor dem Genuss auch wieder auf ihre Reife-„Grade“ gebracht werden. Die Milchsäurebakterien, die dieses Wunder vollbracht haben, werden es danken. Auch sauer eingelegte Gemüse und alles in Richtung Pickles sowie Würzsaucen entfalten ihren ursprünglichen Geschmack bei Raumtemperatur.

Die Kultur des „Sandwich-Wrap-Sushi“-Runterschlingens – direkt aus der Kühltheke – verlernt es uns, echte Geschmäcker zu schätzen oder überhaupt zu erkennen. Außerdem, so die feste und richtige Meinung des Dudes, ist dieser Conveniencefraß soundso an viel mehr Schuld als vermutet wird. Denn die durchweichten Wraps und Karikaturen von Sushi und Maki im „praktischen“ Plastikpack sollten strafbesteuert werden. Wirklich! Probiert es mal aus, solche Fastfoodteile auf Raumtemperatur zu bringen und dann zu verkosten. Übrig bleiben säuerliche, fasrige Einzelteile, die kaum genießbar sind und vor neuerlichem Erwerb abschrecken werden.

Darum: Liebkost euren Käse, Fisch, Schinken und die guten Essiggurken mit der Temperatur, die sie verdienen und genießt wohltemperiert!

When Sun Comes Out

Es glitzerte und knisterte in Tom Bogaerts Klanginstallation Sun Ra Ra – gezeigt im bb15 im Oktober. Die Arbeit erinnerte daran, wie ernst es einst um die Avantgarde stand. Denn während Sun Ra 1986 in einem Interview mit dem Musicians Magazine befand: „Sie sehen nicht so aus, als hätten sie Spaß“, wird das Publikum bis heute auf hypnotische-vergnügliche Weise mit auf eine Reise Richtung Saturn genommen. Bettina Landl schreibt über Sun Ra Ra von Tom Bogaert – und beginnt mit dem Outer Space und Sun Ra.

Sun Ra Ra im Oktober 2021 im bb15. Foto Tom Bogaert

„What I’m dealing with is so vast and great that it can’t be called the truth. It’s above the truth.“
Sun Ra

„Wie nunmehr, von der neuerlichen Flut noch schlammig, die Erde / Von dem ätherischen Strahl und den Gluten der Sonne gewärmt war, / Brachte sie Arten hervor …“, heißt es in Ovids Metamorphosen. Die Kernfusionen im Innersten dieses heißen, beständigen, hell brennenden Sterns Sonne verwandelt in jeder Sekunde vier Millionen Tonnen Materie in Energie. Sun ist eine Jägerin, aktive Substanz. Wer ihr zu nahe kommt, verliert alle Bodenhaftung. Im Sommer 1969, als die Welt gespannt auf den Flug von Apollo 11 wartete, fragte die Zeitschrift Esquire populäre Persönlichkeiten nach ihren Vorschlägen, hinsichtlich erster Worte nach der Mondlandung, und Sun Ra, damals auf dem Höhepunkt seines Ruhms, antwortete: „Reality has touched against myth / Humanity can move to achieve the impossible / Because when you’ve achieved one impossible the others / Come together to be with their brother, the first impossible / Borrowed from the rim of the myth / Happy Space Age To You …“

„The Vodou Man“ Sun Ra (1914–1993) revolutionierte den Jazz und übt bis heute Einfluss auf eine Vielzahl von Künstlerkolleg*innen aus. 1952 legte er seinen Geburtsnamen Herman Poole Blount ab, nahm den Namen Sun Ra an, der auf den antiken ägyptischen Sonnengott verweist und war Teil einer Band mit ständig wechselnder Besetzung. Diese wurde als „Arkestra“ bekannt – eine Verbindung von Arché und Orchester – und wird seit 1995 von Marshall Allen geleitet. Seit 1969 beschäftigte sich Sun Ra intensiv mit den Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung, die Synthesizer boten. Er lieh sich von Robert Moog einen Minimoog, der erstmals auf den Alben „My Brother the Wind“ (1970) und „Space Probe“ (1974) eingesetzt wurde. Er war einer der produktivsten Musiker des Jazz. Im Laufe seiner Karriere nahm er hunderte Alben auf, von denen viele von winzigen Plattenfirmen veröffentlicht und daher nur in kleinen Auflagen vertrieben wurden. Er veröffentlichte seine Musik zeitweilig (für die damalige Zeit außergewöhnlich) auf seinem eigenen Plattenlabel Saturn und vertrieb sie über den Versandhandel. So blieb Sun Ras Musik dem großen Publikum, das ihn nicht auf Konzerten erleben konnte, unbekannt. In den 1990er-Jahren wurden viele seiner Aufnahmen zum ersten Mal postum auf CDs beim Plattenlabel Evidence veröffentlicht. „Strange Strings“ (1966), eines seiner frühen Alben, wurde 1998 in die Liste „100 Records That Set the World on Fire (While No One Was Listening)” der Zeitschrift The Wire aufgenommen.

Tom Bogaert (1966 in Brügge, Belgien, geboren), eine Hälfte des haitianisch-belgischen Künstlerduos Lafleur & Bogaert, arbeitet seit geraumer Zeit an und mit dem Phänomen Sun Ra. Bogaerts Werke gründen oftmals auf einer aktivistischen Geisteshaltung, was die beiden Künstler zu verbinden scheint. Er praktiziert Kunst mit einem Bewusstsein für den politischen Rahmen, dem sie entspringt. Seit 2016 vergibt das afo architekturforum oberösterreich Residencies an Architekt*innen und Künstler*innen, die sich mit den Themen Raum, Architektur und Stadt auseinandersetzen und lud 2021 Bogaert nach Linz ein. Mit „Ruining the City“ installierte er im Zuge dessen eine Arbeit aus Agar-Agar über dem Bronzemodell am Schlossberg, das Linz um 1800 zeigt. Die Masse war sowohl Nahrung als auch Habitat für eine Ameisenkolonie, die nach und nach ihren gesamten Lebenszyklus um die Skulptur organisierte und sie in einem natürlichen Verfallsprozess wieder zum Verschwinden brachte. Inspiriert von Überlegungen des Architekten und Theoretikers Eyal Weizman zu Analogien zwischen tierischen Befallsformationen und urbanen Kampfstrategien, beschränkte sich Bogaert nicht auf die physisch sichtbare Stadtrealität, sondern thematisierte eine zweite, „archäofuturistische“ Stadt, wie sie sich aus der Vorstellung ihrer Bewohner*innen materialisiert.

Im Anschluss an seinen Aufenthalt installierte Bogaert sein laufendes Forschungsprojekt „Sun Ra Ra“ im bb15, zu Leben und Werk des Afrofuturisten Sun Ra. Bogaert war und ist inspiriert von der apokryphen Geschichte des legendären afroamerikanischen Jazzpioniers und Mystikers Sun Ra, der behauptete, nicht von der Erde, sondern vom Planeten Saturn zu stammen. Darin fanden die Besucher*innen die Ästhetik Sun Ras auf den Raum und dessen Exzentrik auf die Musik – der vor dem Lichte existierenden – angewandt. Es glitzerte und knisterte in Bogaerts nicht sequentieller interkonnektiven Klangarbeit in drei Teilen, die aus bisher unveröffentlichten Aufnahmen des traditionellen haitianischen Rara-Songs „Fize Nimewo Nèf“, Sun Ras „Rocket Number Nine“ und „Rakete Nummer Neun“, einem neuen Track der in Wien lebenden Klangkünstlerin Masha Dabelka, besteht. Ebenfalls zu sehen war „The Sun Ra in Haiti Library“ – eine Sammlung von Musik, Videos und gedruckten Bildern, die der Untersuchung des Erbes von Sun Ra in Haiti dient, mit der Bogaert bereits 2015 anlässlich der 4. Ghetto Biennale begann.

Bei der Erzählung von Sun Ra in Haiti, auf die sich seine Library stützt, dürfte es sich (auch) um einen Mythos handeln, der einen weiteren interessanten Aspekt zwischen realer oder imaginierter Präsenz von Sun Ra darstellt. So heißt es in einer alten Ausgabe des Lonely Planet, auf die Bogaert stieß, als er sich gerade mit dem Besuch Sun Ras in Ägypten in den frühen 1970er-Jahren beschäftigte: „There are a few stories that you might hear in Port-au-Prince: that Sun Ra lived here on and off for a few years in the 1960s. That he owned a Gingerbread house that you now can stay in, or maybe it’s a restaurant you can eat at. He stayed in quite a few other places. He stayed in a campervan, or perhaps, a tent. He tried to buy Hôtel Oloffson. He composed ‘Rocket Number Nine Take off for the Planet Venus’ in Port-au-Prince. He signed a photo of himself that now graces the walls of a local restaurant. He wanted to adopt a Haitian boy. He sired various children. He shared a room with Graham Greene.“ Was Bogaert dann auf den Straßen hörte, ließ ihn glauben, dass dies wahr sein könnte. Zudem fand er heraus, dass die Wurzeln dieses legendären Stücks Musikgeschichte in dem traditionellen Rara-Song „Fize Nimewo Nèf“ zu finden sind. Ra-Ra ist eine Art von Festivalmusik aus Haiti, die hauptsächlich während der österlichen Karwoche bei Straßenumzügen gespielt wird. Dabei kommen zylindrische Bambus- oder Me­talltrompeten (vaccine) zum Einsatz, die oft aus Kaffeedosen recycelt werden. Zudem werden Trommeln, Maracas, Güiras, Güiros und Metallglocken verwendet. Mit den vaccines werden wiederholende Rhythmen gespielt, die dazu auch mit einem Stock gestrichen werden, während in sie hinein geblasen wird. Bei aktuelleren Umzügen werden auch konventionelle Trompeten und Saxophone verwendet. Der Musikstil basiert zu einem großen Teil auf der Kultur der afrikanischen Einwanderer, beinhaltet aber euch Elemente der Taíno-In­dia­ne­r*innen, wie die Verwendung der Güiros und Maracas. Rara-Lieder werden ausschließlich in Haitianisch aufgeführt und zelebrieren die afrikanischen Wurzeln der Afro-Haitia­ne­r*innen. Während der Prozession wird häufig Voodoo praktiziert. Die Texte behandeln oft soziale Themen wie politische Unterdrückung und Armut.

Bogaert lud die Band Kod Kreyòl ein, Sun Ras „Rocket Number Nine Take off for the Planet Venus“, das 1966 auf Sun Ras eigenem Plattenlabel veröffentlicht wurde, (neu) zu interpretieren. Auf einem Konzert, das 2015 in der Innenstadt von Port-au-Prince stattfand, performte die Band „Fize Nimewo Nèf“ gemeinsam mit Masha Dabelkas „Rakete Nummer Neun“. „Here comes the sun do, do, do / Here comes the sun“ und erhält alles Leben auf der Erde, leuchtet uns, erwärmt den Boden, die Meere, die Atmosphäre, steuert das Klima, bringt Trockenperioden und Eiszeiten, treibt den Wind, der über die Erde weht und unser Wetter bestimmt. Ihre Stürme stören Radioverbindungen, verursachen elektrische Entladungen und markieren sogar die Baumringe mit Radioaktivität. „Here comes the sun do, do, do / Here comes the sun / And I say it’s all right.“

 

Referenzen: „When Sun Comes Out“ war die erste Platte auf Sun Ras Label Saturn, die in New York aufgenommen und 1963 veröffentlicht wurde; „Here Comes The Sun“ vom Album „Abbey Road“ (1969) der Beatles.

Die Ausstellung Sun Ra Ra war vom 10.–20. Oktober 2021 im bb15 – Raum für Gegenwartskunst zu sehen. Aktuelle Ausstellung im bb15: www.bb15.at

Buchneuerscheinung

Lisa Bolyos, Carolina Frank Mich hat nicht gewundert, dass sie auf Mädchen steht. Gespräche mit Eltern queerer Kinder

In 18 Porträts widmen sich die Autorin Lisa Bolyos und die Fotografin Carolina Frank der Elternperspektive aufs Coming-out von schwulen, lesbischen, bi, trans, inter und nonbinären Kindern.
Eine Chirurgin, eine Kindergärtnerin, ein pensionierter Psychiater, eine migrantische Aktivistin und ein Installateur: Auf beeindruckende Weise gewähren Eltern, Großeltern und Tanten einen Einblick die Beziehung zu ihren Kindern, in die Konflikte, die es auszutragen galt, die Wünsche und Hoffnungen, die sie für das Leben ihrer Kinder hegen, aber auch die Sorgen, die ihnen politische Entwicklungen machen. Sie erzählen von Tabus und Überraschungen, vom Schweigen und vom Streiten, von der ersten Barbiepuppe und der ersten Regenbogenparade. Das Buch will al­le Beteiligten ermutigen, sich auf die anstrengende, aber immer lohnende Reise zu machen, Tabus zu überwinden und miteinander zu reden.
Mit einem Geleitwort des Psychotherapeuten Udo Rauchfleisch.

Voraussichtliche Präsentation am 10. Februar auf Einladung von gfk und maiz in Linz.

Achse Verlag 2021, 280 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-9504831-9-2 www.achseverlag.com/produkt/mich-hat-nicht-gewundert-dass-sie-auf-maedchen-steht/

Termine Buchpräsentationen: gespraechemitelternqueererkinder.weebly.com

Bei mir ist alles bis zum Schluss verhandelbar

Zwei ästhetisch sicher gratwandernde Ausstellungen des vergangenen Herbstes: Matthias Tremmel zeigte sug zansibar fried war im EFES 42 in Linz, Edgar Lessig stellte I thought I wanted to be there, but I wasn’t sure in der Stiege 13 in Wien aus. Die Referentin hat Edgar Lessig und Matthias Tremmel eingeladen, sich über ihren Zugang zu Kunst, zu Material und den Dingen zu unterhalten.

M: Und jetzt sitzen wir in einem Café in St. Pölten und unterhalten uns für die Referentin.

E: Ja, weil St. Pölten genau in der Mitte liegt, wenn man von Tür zu Tür rechnet. Ich habe extra auf Google Maps nachgeschaut. Hast du dir was für unser Gespräch überlegt?

M: Hör zu, was hältst du davon: Ich finde, dass unsere künstlerische Herangehensweise an die Projekte, die wir machen, sehr ähnlich ist. Nur diametral anders. Im Prinzip sind wir beide Trichter. Nur die Orientierung ist anders. Meine Arbeiten sind ein eher breit gefasster Trichter, damit Leute hineinrutschen können. Fast wie Lupen, die irgendwo hindeuten – möglicherweise auf etwas Diffuses, schwer zu sagen. Bei deinen Arbeiten ist es umgekehrt. Die sind konzentriert, klar und konkret, aber schwer zum Einklinken. Die kleine Öffnung des Trichters eben. Aber wenn man sich dafür einmal eingeklinkt hat, kommt man in die Weite.

E: Das ist eine spannende Überlegung.

M: Zum Beispiel deine Ausstellung in der Stiege 13, da muss man dich und das Ganze schon kennen, damit man zur Arbeit hinkommt, oder?

E: Ich wüsste es nicht, weil ich mich selbst zu gut kenne. Ich kann nur das wiedergeben, was mir manche Besucher:innen gesagt, und ich recht schön gefunden habe. Die kannten meine Arbeiten nicht wirklich, sind in die Ausstellung gegangen und haben mit dem Ausstellungstitel schon einen Zugang zu der Sessel-Arbeit gehabt. Sie haben sich gefragt, ob tatsächlich irgendwas stattgefunden hat, ob sie zu früh oder zu spät sind und haben dann angefangen zu philosophieren: Ab wann wird aus dem zu spät ein zu früh? Weil, wenn du nach einem Treffen die benutzen Sessel wieder zurückstellst, kreierst du ja quasi das Potenzial des erneuten Herunternehmens. Und das von Leuten zu hören, die den Ausstellungstext von Jasmin Mersmann vorher nicht gelesen haben, fand ich total schön! Aber ich bin mir auch bei deiner Ausstellung im EFES 42 nicht sicher, wie viele Leute deine eigene Interpretation der Arbeit herauslesen konnten.

M: Das ist ja generell nicht möglich, meine Arbeiten können ja nur für mich vollkommen funktionieren. Für alle anderen funktionieren sie als Show. Mein Ansatz bei jeder Arbeit ist immer: Wenn eine Person zufällig so daherkommt, muss sie irgendwie Spaß am Raum finden können. Aber natürlich haben andere keine Chance, sich in mein Verständnis einzuklinken. Meine Arbeit ist für alle offen, aber die Chance, die Interpretation so wie ich zu entschlüsseln hat niemand.

E: Wenn man sich reinfuchst, kommt man aber vielleicht nah ran. Du hattest einen Begleittext aufliegen, der nur aus einem Satz besteht: „What is a knockout like you doing in a computer-generated gin-joint like this?“. Ich hab den Satz einfach gegoogelt und dann erkannt, dass er aus ‚Star Trek: The Next Generation‘ ist. Es geht um dieses Holodeck, konkret um eine Episode, in der eine Bar darin generiert wird. Damit hatte ich dann für mich einen Zugang gefunden. In der Ausstellung sehe ich dann grün angemalte Pommes, und habe sofort eine Verbindung zu eben diesem Holodeck hergestellt. Der Begleittext funktioniert ein wenig wie ein Easteregg in Computerspielen. Er ist nicht notwendig, um deine Arbeit zu erfassen und um Spaß daran zu haben. Aber wenn man ein wenig Arbeit reinsteckt, fühlt man sich wie ein König, weil man hinter die Kulissen schauen konnte.

M: Wie bei deiner Foto-Plakatarbeit eigentlich. Da sitzen 5 Leute dichtgedrängt auf einem Sofa, hinter ihnen der Titel der Ausstellung „I thought I wanted to be there, but I wasn’t sure“ auf einem riesigen Plakat und schauen dich an. Und im zweiten Raum die leeren Stühle.

E: Genau! Das habe ich ja auch gemacht, damit man hinter die Kulissen schauen kann. Um einen kurzen Blick auf meine Interpretation der Ausstellung zu bekommen.

M: Diese ganze interne Kohärenz, die man als Künstler:in ins eigene Werk steckt, ist dir schon wichtig, oder?

E: Ich brauche diese Struktur einfach, damit Arbeiten überhaupt entstehen können. Es gibt so unglaublich viele Möglichkeiten und Entscheidungen zu treffen, da brauche ich eine gewisse Kohärenz, um zu einer Entscheidung zu kommen.

M: Aber hat man wirklich eine Auswahl an Möglichkeiten? Also sicher stehen theoretisch unendlich viele Möglichkeiten zur Auswahl, aber tatsächlich gibt es nur eine: die Möglichkeit, die zum Kunstwerk passt und die es zu finden gilt, oder?

E: Stimmt schon, aber ich muss mir zuerst einen Rahmen schaffen, damit ich darin überhaupt erst die eine richtige Möglichkeit finden kann.

M: Sicher, Strukturen und Grenzen muss es geben, aber das sind für mich oft nur die Räumlichkeit und die Zeitlichkeit. Weiter traue ich mich gar nicht zu begrenzen. Davor schrecke ich zurück, habe sogar Angst davor.

E: Ich auch.

M: Aber machst du es nicht?

E: Ja, mittlerweile. Aber es ist gruselig, weil ich Angst habe etwas zu verpassen. Aber irgendwo gibt‘s mir sogar Sicherheit. Irgendwo muss ich anfangen, Entscheidungen zu treffen, damit ich weiterkomme, um sie nachher wieder revidieren zu können.

M: Bei mir ist alles bis zum bitteren Schluss verhandelbar. Alles ist möglich und das Ding ist erst fertig, wenn die Ausstellung steht. Davor kann sich alles jederzeit ändern.

E: Ich glaube aber schon, dass auch du schon davor Entscheidungen triffst. Die Materialien standen zum Beispiel schon am Anfang der Ausstellung fest: Holz, Pommes und dieses Wolkenmaterial. Dein Rahmen sozusagen, und wie sich das Material dann zu einer Arbeit manifestiert, das ist dann die zu suchende einzige Möglichkeit.

M: Sie standen nicht wirklich fest, sie haben sich eher ergeben, aber auf alle Fälle bewege ich mich auch in Rahmen, wenn auch nur, um sie wieder zu brechen. Mir kommt oft vor, ich stolpere durch Rahmen wie ein Clown in der Manege.

E: Es hat bei deiner Ausstellung übrigens erstaunlich wenig nach Frittierfett gerochen.

M: Naja, beim Aufbau hab ich ja jeden Tag drinnen frittiert. Da war der Geruch wirklich omnipräsent. Ich hab’s aber schon gar nicht mehr gerochen.

E: Aber dir war der Geruch dann zu viel?

M: Ich hab ja schon mehrere Arbeiten mit Fritteusen gemacht und Frittiergeruch ist halt ein extrem potentes ästhetisches Mittel, das übertüncht viele andere Sachen. Ich wollte es nicht nur auf diesen Fritteusen-Geruch reduzieren. Darum hab ich davor auch radikal gelüftet. Und dabei halt eine Spur zu viel. Ich hätte gern gehabt, dass der Geruch erst auftritt, wenn man schon eine Weile drinnen ist.

E: Ist aber auch schwierig, sowas in so einem offenen Raum zu kontrollieren.

M: Ja, aber es ist auch egal. Er war nicht so notwendig, weil das Visuelle ja eh so aufregend war. Das orange Licht plus dem Frittiergeruch wären als sinnlicher Eindruck zu viel gewesen.

E: Es ist spannend, wie gewisse Elemente bei dir immer wieder kommen, aber sich anders präsentieren. Du hast gemeint, diesmal war es weniger chaotisch, oder wie hast du das gesagt, konzentrierter?

M: Sicherer, ich war mir diesmal sicherer. Ich glaube meine Arbeiten der letzten sechs Jahre waren teils sehr überladen aufgrund einer Unsicherheit meinerseits. Eben weil ich will, dass alle was von der Arbeit haben und dafür muss man eben eine große Bandbreite von Wahrnehmungen abdecken. Das Visuelle, das Haptische, das Rezeptionelle. Auch diese gewisse Unschärfe, ob es nun ein Kunstwerk ist oder nicht, ist notwendig, damit man die Kunstleute ein bisschen davon abhält, eine Arbeit zu schnell zu kategorisieren.

E: Was ja immer ein bisschen schwierig ist, wenn man in einem Kunstraum ausstellt.

M: Sowieso, aber möglich!

E: Das habe ich auch mit den Arbeiten in der Stiege 13 versucht. Ich hab herumphantasiert, was diese zwei übereinanderliegenden Räume mal gewesen sein könnten und dann das Narrativ geschaffen, dass es ein Versammlungsort war. Das war Basis dieser Arbeit und dann stehen einfach Stühle drinnen und ein Foto-Plakat hängt an der Wand. Und dann waren eben Leute verwirrt. Es ist ja witzig, wenn man Leute aus der bildenden Kunst verunsichert, aber wenn man ehrlich ist, checken alle, dass es eine künstlerische Arbeit ist, weil es in einem Kunstraum stattfindet.

M: Nach zwei Sekunden checken sie es vielleicht, aber in den ersten Sekunden ist ein Zweifel da, und den sollte man anvisieren. Aber man darf eine Arbeit nicht nur auf diesen Zweifel reduzieren. Trotzdem braucht jede Arbeit eine gewisse Unsicherheit in der Wahrnehmung, damit offener und freier wahrgenommen werden kann. Aber diesen Moment zu erzeugen, in dem man sich unsicher ist, was es nun ist, ist ein Balanceakt, wo man leicht zu viel oder zu wenig machen kann. Bei meiner Arbeit „gebühnt tranchiertes narrationsimulativ_guerilla-ontologische machination“ bei der Ausstellung „eben“ im Salzamt, hats ja zum Beispiel Bretter, Teppich, Gelatine, Video, Eier, Keramik, Sesam, Plastikbesteck und Neonlicht gegeben. Und das ist schon eine krasse Überladung, die abstoßend werden kann. Bei dieser Überforderung kann man sich dann eher schwer einklinken.

E: Naja, aber alle deine Arbeiten sind eine Überforderung.

M: Findest du die EFES 42-Ausstellung war auch eine Überforderung?

E: Auf jeden Fall. Aber nicht in der Fülle des Materials, sondern eher wie du es benutzt hast. Du gehst da rein und siehst irgendwelche Holzstangerl emporstehen in denen grüne Dinger drinstecken. Dann erkennt man, dass es angesprayte Pommes sind, oben hängen irgendwelche Plüscherl, die das Licht färben und unten schweben Holzbretter knapp über dem Boden. Und man selbst steht mittendrin. Genau diese kurze Überforderung macht Tabula rasa mit deiner Erfahrung und dadurch lernt man die Arbeit neu kennen.

M: Lustig, weil ich war so stolz darauf, dass es so eine ruhige Arbeit ist.

E: Sie ist eh ruhig, aber sie kann ja trotzdem überfordern. Mein Lieblingsvergleich ist die Ausstellung in der Secession von Daniel Dewar & Grégory Gicquel, die Kommoden, Reliefs und eine Bank geschnitzt haben. Diese Bank stand dort, wo normalerweise eine Museumsbank stehen würde. Und dort stand nicht „Bitte hinsetzen“, es stand auch nicht „Bitte nicht hinsetzen“. Es stand nämlich gar nichts da, das ist total überfordernd, weil dir nicht gesagt wird, was zu tun ist. Aber es ist halt nur im ersten Moment überfordernd. Und wenn man diese Überforderung überwinden kann, gewinnt man Entscheidungsfreiheit.

M: Voll, eine Art Handlungsraum, der eine eigene Wahrnehmung ermöglicht. Es ist damit fast schon emanzipierend. Ich finde, Kunst sollte ja eigentlich immer subversiv sein.

E: Darum denke ich, dass Überforderung prinzipiell nichts Schlechtes ist. Es ändert auf radikale Weise deinen Anspruch und deine Sehgewohnheit auf dieses Ding.

M: Wahrscheinlich kommt es drauf an, wie man sich einer Überforderung stellt. Es gibt ja ganz tief in uns diese acute-stress-response, zu Deutsch Kampf-oder-Flucht-Reaktion. Dabei reagiert man auf eine Überforderung, also auf einen momentanen Kontrollverlust, entweder konfrontativ oder fliehend. Also man macht einen Schritt nach vor hin zum Unbekannten, oder halt ganz viele zurück ins Bekannte.

E: Das ist eine super Schluss-Analogie, oder?

M: Eigentlich schon irgendwie.

 

Edgar Lessig ist in der Kunst zuhause, geht aber ab und zu auch mal vor die Türe. Er hat Bildende Kunst an der Kunstuniversität Linz studiert und macht dort gerade seinen Abschluss in Angewandte Kultur- und Kunstwissenschaften. Zuletzt hat er in der Stiege 13 in Wien ausgestellt. www.edgarlessig.com

Matthias Tremmel bevorzugt seine narrativ-simulierten Kunstwerke gerne auch punktgenau frittiert. Nach einem Zwischenspiel als Keramik-Werkstättenleiter an der Kunstuniversität Linz widmet er sich nun wieder vermehrt der Bildenden Kunst. Zuletzt stellte er im EFES 42 in Linz aus.

14 haltepunkte zu airbag/14 holes

Das bb15 ist ein zeitgenössischer Artspace, der sich auf experimentelle Zugänge zwischen Ausstellungen, Performances, Sound und anderem fokussiert. Zuletzt entstand die Idee, externe Artists der Residency-Schienen mit lokalen Künstler:innen zusammenzubringen, die sich auf Text spezialisiert haben. So traf Lukas de Clerks Residency-Arbeit Airbag/14Holes vom Mai dieses Jahres auf Sarah Rinderer: 14 haltepunkte zu airbag/14 holes besteht als eigenständiger Text von Sarah Rinderer und gibt einen Eindruck des Aufeinandertreffens.

Airbag/14Holes by Lukas de Clerck im bb15 im Mai 2021. Videostill/Video Sara Piñeros

[1]
polyestergewebe, das langsam beginnt, sich vom boden zu heben. ein kinderspiel, in dem zwei spieler jeweils einen ball im luftstrom über sieben kegel grün gelb blau rot grün gelb blau in den korb schweben lassen. jetzt ohrenstöpsel darin.
schläuche – glass clear – führen von den kegeln nach oben, verknoten sich, verästeln sich weiter zu clustern, münden – mit klebeband befestigt – in den kopfstücken gesammelter blockflöten.
das luftkissen wächst nach und nach diagonal in den ausstellungsraum des bb15 hinein, in einem winkel von etwa 45°– derselbe, in dem man die blockflöte zum eigenen körper geneigt hält.

[2]
wir setzen uns an den donaustrand, um über seine arbeit zu sprechen. schattenverästelungen am boden, immer kleiner werdend. behutsam, leicht setzt er die englischen worte an die lippen an. bevor er mit der kunst begann, hat er das selbst-nicht-sichtbar-sein studiert: hiding away into sound. intuitively, non-chalant, child-like almost.

[3]
just listen
flatterzunge flimmerkammer
windkanal instrument
mundstück makroimprovisation
maschinenraum modulieren
schwimmen schief
gewöhnlich gleichschweben gigant
surround sound orgel
dudelsack dysfunktional
dauerspiel dröhnen
druck auf der brust

[4]

 

 

[5]
nicht alle kegel sind mit schläuchen und blockflöten verbunden.
der luftstrom kühl und überraschend stark, wenn man die hand über das loch an der spitze hält.

(grün gelb blau rot gelb blau)

[6]
hast du irgendwo noch eine blockflöte zuhause? wann wie was hast du auf ihr gespielt? hast du es gemocht? wie wurde dir beigebracht, dass musik klingen soll? und wie lange ist deine blockflöte schon still? seit wie vielen jahren hast du nicht mehr auf ihr gespielt?
(fragen für ein persönlich-warmes gespräch)

[7] donaurauschen. die zwei haltepunkte der blockflöte: an der unterlippe und beim hinterständig positionierten rechten daumen. er streckt die beine aus, erzählt von seinen musikalischen haltepunkten. synthesizersounds von éliane radigue, von daphne oram, von delia derbyshire.
vom umgang mit einem noch nie dagewesenen instrument.

[8]
not in a musical way
pleura parasit
sauerstoff pfeifen
ventile beatmungs-
maschine atemkreislauf
luft röhrensystem
oberton bronchiolen
außergewöhnlich anhaltend
vibrieren des bodens
unter den schuhsohlen

[9]
(sein international recorder flute asylum)
alt sopran holz plastik
mit maserung matt glänzend abgeschlagen fehlende lacksplitter
nicht mehr ganz weiß
blau die oberen beiden löcher mit schwarzem gaffaband zugeklebt
bei einer anderen die großbuchstaben der früheren besitzerin eckig ins holz geritzt
LORE

[10]
dü le re te re te che
diri tiri did’ll

(verstimmen verlernen vergessen spielen)

[11]

 

 

[12]
sein schnelles daumen-auf-und-ab
zittriges vibrato
der roten plane
über dem gebläse

[13]
kaum wind am donaustrand. traditional folklore music is inspired by nature, imitates the sounds of nature, sagt er. today – schaut einem motorboot nach, das einen wasserschifahrer durch unser sichtfeld zieht – we need to imitate the sounds of machines, become machines.

[14]
now i’ve talked a lot.
das luftkissen, das langsam beginnt, in sich zusammenzufallen.
hellhohes seufzen knistern knittern wogenfalten wie wasser.
ertrinkend in luft.
my mouth feels really dry.
er sinkt nach hinten auf den rücken ins gras,
das polyestergewebe,
grüngelbblaurot,
zurück auf den boden des ausstellungsraums des bb15.

 

14 haltepunkte zu airbag/14 holes von Sarah Rinderer ist ein eigenständiger Text, der gelesen werden kann, ohne direkt auf die Ausstellung hinzuweisen. Wer trotzdem einen Eindruck der Arbeit Airbag/14Holes von Lukas de Clerck haben möchte: oscillations.eu/airbag-14-holes

Airbag/14Holes ist eine hybride Klangskulptur von Lukas de Clerck, die irgendwo zwischen Dudelsack, Orgel und Kinderspielzeug liegt. Zur Klangerzeugung werden Blockflöten verwendet, die nach kurzer Erkundung in der Jugendzeit nie wieder gespielt wurden. Eine nomadisierende Gruppe von Blockflöten wurden zu einem Blockflöten-Asyl im bb15 zusammengesammelt. Airbag/14Holes versorgte diese Flöten mit Luft. Eine schwere, kontinuierliche Interaktion zwischen den Flöten erzeugte den entstehenden Klang, gleich einer dysfunktionalen Orgel, die nach einer langen Zeit der Stille endlich ihre Stimme findet. Während seines Aufenthalts im bb15 hat Lukas De Clerck Airbag/ 14Holes als sein Instrument verwendet.

Lukas De Clerck lebt und arbeitet in Brüssel. Er arbeitet mit wiedererkennbaren, fast alltäglichen Klangproduktionen. Damit schafft er zugängliche Spielwiesen. Er ist Teil des Collectief Publiek Geluid – einem Kollektiv, das sich auf die Klanggestal­tung im öffentlichen Raum konzentriert, und mehrerer Musikprojekte wie 2GIRLSNAMEDSERGIO, Ï Î und Bloedneus & de Snuitkever. www.lukasdeclerck.com

Ankündigungsplakat

King Poet Flati

Ende Oktober hat der King Poet Flati im Kulturverein Strandgut 40 Jahre Amerikanische Underground Ghetto Blaster Hardcore Poesie gegeben – Florian Klabacher hat die Lesung besucht und Flati zum Gespräch getroffen.

Ankündigungsplakat

Ankündigungsplakat

„Flati heute 21 uhr strandgut …“ – „I know, seh ma uns leicht dann? :D“ – „Klaro bin schon da, aber derzeit samma zu zweit und er droht quasi mit absagen … Bitte nimm so viele mit wie mögl“: Seine Lesungen in Linz besuchen wollen ist ein bisschen wie Guns’n’Roses-Konzertkarten haben. Erst wenn’s losgeht, bist du ganz sicher, dass es stattfindet. Der König der Undergroundpoeten tritt in diesem „bäuerlichen Provinzkaff“ nämlich nicht vor einem halb leeren Raum auf, „des intressiert mi ned, in Wien san de Hütten voll“. Aber als am 28. Oktober die letzten Raucher*innen ihren Tschick ausdämpfen und den Kulturverein Strandgut betreten, finden auch hier wie gewohnt nicht mehr alle einen Sitzplatz. „Ich befinde mich am frühen Vormittag in einen heruntergekommenen Stundenhotel am Stadtrand von Las Vegas …“ beginnt Gerald Wilhelm a.k.a. King Poet Flati die Premiere seines neuen Textprogramms „Meine Hitze-Erlebnisse von Nevada“.

In den nächsten siebzig Minuten nimmt uns Flati unter anderem mit in eine Barackensiedlung in Sacramento, zum Koksschmuggeln nach Tijuana, zur Sauftour in einen Großmarkt in Inglewood, zur mörderischen Höllen-Geisterbahn in Los Angeles, auf einen illegalen Flohmarkt und zur Auseinandersetzung mit einem Gerichtsvollzieher. Die Rahmenelemente und handelnden Personen in den Texten sind recht konstant die gleichen wie schon über Jahre hinweg: Tiefe Bars, heruntergekommene Stundenhotels, stinkende In­nen­höfe, verfallene Altbauwohnungen, ein alter Ford Mustang, brutale Bullen, Drogendealer, Highways, Gangster, ungute Typen, alte Kumpel, Tresenkellner und mitten drin Flati, der handelnde Erzähler: Interne Fokalisierung, szenisches Präsens, eine protokollartige Wiedergabe der Geschehnisse. Als hätte er eine Allergie auf Satzschlusszeichen rast er von Beistrich zu Und, von Sodass zu Indem, und solange nicht ein, zwei abrundende Grasjoints „zu meinem Wohlbefinden“ geraucht werden, lässt er die Erzählung höchstens beim Umblättern kurz zur Ruhe kommen. Die Form der Texte widerspiegelt ihren Inhalt: In der Grammatik die ruinöse Umgebung, in der Aussprache von Fremdwörtern die Outlaws, die sie bevölkern. Es ist ein eigener Reiz, das Gehörte in Echtzeit zu entschlüsseln. Die Intensität, mit der er die Texte in den Raum schmettert, hat kurz vor Flatis vierzigjährigem Bühnenjubiläum etwas nachgelassen, aber er nimmt dich immer noch mit auf einen ganz eigenen Trip, wenn du dich darauf einlässt. Es ist ein unglaublich unterhaltsamer Abend.

Ein großer Teil des Publikums ist wohl noch nicht geboren, als Flati im November 1981 zum ersten Mal die Bühne der Stadtwerkstatt betritt. Dort bringt er als Autor und Schauspieler vier Theaterstücke auf die Bühne. Der gebürtige Linzer und deutsche Staatsbürger wird kurz darauf nach Deutschland abgeschoben, kann jahrelang nicht zurückkehren, schnuppert in Berlin zum ersten Mal Großstadtluft und fokussiert auf das Schreiben seiner Underground Poesie. Bewusst geht er in Bars, von denen ihm Leute abraten, weil sie zu gefährlich seien. Er fühlt sich dort wohl, kommt mit den Leuten gut zurecht, freundet sich unter anderem mit Mitgliedern der Hells Angels an, lernt die Hausbesetzer*innenszenen deutscher Großstädte kennen und reist per Autostopp mit LKW-Fahrern. Er hat immer Stift und Block dabei und schreibt drauf los, wenn ihm die Umgebung Inspiration für neue Texte liefert, zu Hause tippt er das Geschriebene mit der Schreibmaschine ab. Er knüpft viele Kontakte, über die er immer wieder erfolgreiche Lesungen organisiert. Es folgen über die Jahrzehnte Auftritte in Grieskirchen, Wels, Wien, Bochum, Hamburg, Berlin und vielen anderen österreichischen und deutschen Städten, in der Vergangenheit oft mit musikalischer Begleitung, kombiniert mit Trommel- oder Tanzeinlagen oder indianischem Gesang, mittlerweile aber bewusst reduziert auf den Vortrag der Texte, auf deren Inhalt der Fokus liegen soll.

Bemerkenswert ist, dass Frauen darin keine selbständige Rolle spielen (zumindest nicht in den mir bekannten Programmen). Kommen Frauen vor, dann in vergangenen Programmen fast ausschließlich, wenn er mit ihnen flirtet oder darüber hinaus sexuell in Beziehung steht; ihre Charakterisierung geht dabei nicht über ihr äußeres Erscheinungsbild hinaus. Bei der Premiere im Strandgut kommt als einzige Frau eine Sexarbeiterin, die er an einer Bar trifft, an der er „kein Interesse“ hat und der er einen Drink zahlt, vor.

Obwohl Flati bisher noch nicht in die USA gekommen ist, spielt sich sein Werk hauptsächlich dort ab. „Weil die Untergrund-Szene dort viel härter und gefährlicher ist“ als hierzulande und ein passenderes Umfeld für die Ereignisse in seinen Texten bietet. Sein Bild dieser Szene ist geprägt von Sonny Bargers Büchern über die Geschichte der Hells Angels und den Texten der für ihn wichtigsten Underground Poeten: Charles Bukowski, William S. Burroughs, Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Neal Cassady und Jack London. Er kennt ihr Werk, ihre Wurzeln und ihre Biografien und erzählt leidenschaftlich davon.
Obwohl sich die Umgebung in seinen Texten nicht maßgeblich verändert, sind Flatis Lesungen auch nach vier Jahrzehnten erfrischend kreativ, er achtet auf Qualität statt Quantität „Es wird schwieriger, neue Texte zu schreiben. Weil ich habe schon so viele Texte, ich muss aufpassen: Habe ich das schon einmal geschrieben? Ich kann ja nicht dieselbe Geschichte zwei Mal erzählen“. Außerdem ist Flati in seinen Texten genauso wenig eine statische Figur wie im echten Leben. „In meinen wilden Jahren hab ich Gas gegeben und mir nix angeschissen, aber ich bin jetzt keine 35 mehr sondern 67“. Das spiegeln auch die neuen Texte wider: In vorangegangenen Programmen sucht Flati ständig die Konfrontation, ist in Schläger- oder Schießereien verwickelt und hat diverse Substanzen im Blut. Jetzt schmuggelt er das Zeug zwar in die USA, weil er von seiner Poesie alleine nicht leben kann, zieht aber im ganzen Programm keine einzige Prise Koks. Statt sich im Ford Mustang Verfolgungsjagden mit der Polizei zu liefern, fährt er meist im Schritttempo oder stellt den Wagen auch mal ab und geht zu Fuß durch Inglewood, weil das sehr gesund sein soll. Und beim Tresenkellner bestellt er schon mal Apfelsaft oder Limonade statt Whisky. Flati ist authentisch und dabei weit davon entfernt, langweilig zu werden.

Damit zieht er neben treuen Fans auch immer neues, junges Publikum an. Einerseits wohl über die immer wieder auffälligen Plakate – ein alter Bekannter druckt sie kostenlos mit dem Farbkopierer, um ihm Kosten zu sparen, andere kutschieren ihn mit dem Auto durch Linz und Wien, um das Plakatieren zu erleichtern, die Lesungen und Bewerbung organisiert Flati nämlich selbst – andererseits weckt Flatis Auftreten mit Stars-And-Stripes-Bandana, King-Poet-T-Shirt und Totenkopf-Schmuck auch bei persönlichem Kontakt Interesse. Eine Krankenpflegerin, die die Lesung im Strandgut mit einer Hand voll Freund*innen besucht, erzählt, dass ein Patient auf ihrer Station davon geredet hat, dass er für seine Lesung plakatieren gehen muss. Den Auftritt von dem schrägen Typen wollte sie sich nicht entgehen lassen.

Das Café Strom in der Stadtwerkstatt sieht Flati inzwischen in der Hand von „Ferngesteuerten, die die ganze Zeit am Bildschirm hängen“, eine Generation, die nur Techno hört statt „richtiger“ (nämlich am besten Rock-, Hardrock- oder Heavy-Metal-) Musik. Seine Stammlokale in der Linzer Altstadt, Asfalt und Corretto sind der aggressiven Verdrängungspolitik von Initiativen wie dem „Verein Altstadt neu“ zum Opfer gefallen und seit Jahren geschlossen. Das bisschen Underground in Linz, das Flatis Vorstellungen nahe kommen könnte, scheint vom Aussterben bedroht zu sein. Mit seinen Lesungen hält er dessen Fahne aber weiterhin hoch – hoffentlich noch viele Jahre!

Gira Zapatista

Die Referentin bringt seit mehreren Heften eine Serie über frühe kämpferisch-soziale Bewegungen und emanzipatorische Entwicklungen. In dieser Ausgabe geht es um die aktuellen Autonomieprozesse des Zapatismus. Über die ‚Reise für das Leben‘, die die Zapatistas heuer bis nach Tirol geführt hat, berichtet uva obstinada.

Die Reise für das Leben. Foto zapatirol

Menschen, die bereits in den 90ern politisch aktiv waren, werden sich noch gut an den Beginn des Jahres 1994 erinnern. In der Silvesternacht 1993 besetzte der Ejercito Zapatista de Liberación Nacional/EZLN mehrere Städte des im Süden von Mexiko gelegenen Chiapas und erklärte dem mexikanischen Staat den Krieg. Das Datum war sehr genau gewählt. Am 1. Jänner 1994 trat das Freihandelsabkommen NAFTA in Kraft, das für viele Kleinbäuer*innen, die bereits zu diesem Zeitpunkt in elenden Verhältnissen leben mussten, existenzbedrohende Folgen hatte. Mit zivilen Protestformen versuchten die indigenen Bewohner*innen der Selva Lacandona zuvor immer wieder auf ihre miserablen Lebensumstände aufmerksam zu machen, ohne Gehör zu finden 1. Nach 12 Tagen zog sich die bewaffnete Guerilla wieder in die Berge zurück. Die zapatistische Bewegung begann daraufhin mit dem Aufbau autonomer, auf Solidarität basierender und selbstverwalteter Gesellschaftsstrukturen. Als antiautoritäre Bewegung stellten sie sich dem Versuch, eine neue Welt zu erschaffen, ohne die Macht zu ergreifen. Dies geschieht über ein basisdemokratisches Rätesystem und dem Prinzip des gehorchenden Regierens: Entscheidungen werden an der Basis getroffen und durch jederzeit abwählbare Delegierte über mehrere Instanzen bis zum Rat der guten Regierung wei­tergetragen, der für die Umsetzung verantwortlich ist.
Die Zapatistas setzten von Beginn an auf Internationalismus und globale Vernetzung. Gleichzeitig bot der Autonomieprozess und die gelebte Revolution der Zapatistas emanzipatorischen Bewegungen Inspiration und neue Perspektiven. Damit stieß der Zapatismus große, weltweite Proteste wie die Antiglobalisierungsbewegung mit an.
In Folge der Wirtschaftskrise 2008 begann der weltweite Aufstieg rechtsextremer Demagog*innen und die globale Marginalisierung linker Bewegungen. Die Aufbruchstimmung der 00er Jahre verflog zunehmend und die Kämpfe der Zapatistas bekamen immer weniger Aufmerksamkeit.

Im Oktober 2020 informierte das Geheime Revolutionäre Indigene Komitee (CCRI) in einem Kommuniqué über den Plan, dass verschiedene zapatistische Delegationen die Welt bereisen werden, um sich mit linken Basisgruppen auszutauschen und Kämpfe gegen Kapitalismus, Patriarchat, Rassismen oder Umweltzerstörung zu vernetzen.
In den Kommuniqués erklären die Zapatistas ihre Beweggründe für die Reise für das Leben: Die weltweiten Zerstörungen des kapitalistischen Systems werden zunehmend zu einer Bedrohung für die gesamte Menschheit. Als wollten die Zapatistas mit ihren Texten in Erinnerung rufen, dass all die Herrschaftsstrukturen, die so viel Leid verursachen, von Menschen gemacht sind und damit auch durch Menschen zu Fall gebracht werden können. Deshalb suchen die Compañeroas den Austausch mit Gleichgesinnten, um Gemeinsamkeiten zu finden, Unterschiede anzuerkennen, voneinander zu lernen und Organisierungsprozesse zu stärken.
Die Delegation besteht mehrheitlich aus Frauen*, umfasst 450 Personen, und setzt sich auch aus Menschen anderer indigener Organisationen zusammen. 180 machten sich trotz enormer staatlicher Schikanen auf den Weg nach Europa.
Eine erste Vorhut aus sechs Personen erreichte bereits im Juni 2021 per Schiff europäisches Land. Als umgekehrte Eroberung und anti-koloniale Antwort auf die Conquista und die Gräueltaten der einstigen Kolonialmacht ging die Delegation „500 Jahre nach der angeblichen Eroberung dessen, was heute Mexiko ist“ in Spanien an Land und benannte den neuen Kontinent in Slumil K‘axemk‘op (widerständiges Land) um. „Wir werden dem spanischen Pueblo (…) sagen: Erstens: Dass sie uns nicht erobert haben. Dass wir weiterhin da sind und Widerstand und Rebellion fortsetzen. (…).“ 2
Die Neubenennung Europas legt nahe, dass es der zapatistischen Bewegung nicht nur um die Sichtbarmachung der eigenen Widerstandsgeschichte geht. „Existimos, porque resistimos“ (wir existieren, weil wir Widerstand leisten) richtet sich auch an alle linken Aktivist*innen, die für eine gerechtere Welt kämpfen und vielleicht auch an all jene, denen die Kraft ausgegangen ist oder die den Kampf für eine gleichberechtigte Welt bereits verloren gegeben haben.
Obwohl die Reise mehrmals durch staatliche Schikanen gefährdet schien, war es Mitte September dann doch so weit: 180 Delegierte landeten in Wien und wurden dort mit einer Kundgebung und Willkommensveranstaltungen begrüßt. Nach Erarbeitung eines Reiseplanes wurden Kleindelegationen in verschiedene Länder und Städte entsandt.
So kam am 24. September 2021 auch die freudigst erwartete Delegation aus 6 Frauen* und 6 Männern in Innsbruck an. Das Ankunftsdatum wurde wenige Tage zuvor bekanntgegeben und erforderte eine schnelle Fixierung aller Veranstaltungsideen.
Ungefähr 60 Menschen waren gekommen, um die Compañeroas am Hauptbahnhof willkommen zu heißen. Nach einem Anfangsapplaus wurde schnell klar, dass es keinen Ablaufplan gab. So standen sich für einen Moment alle verlegen gegenüber, bis ein Aktivist aus der ZapaTirol-Gruppe zu einer Willkommensrede ansetzte. An einem Haus wurde ein großes Banner mit der Aufschrift Hola Compas Zapatistas entrollt und die Delegation mit Transparenten und Willkommensschildern zu den wartenden Autos auf der anderen Straßenseite begleitet. Nach einem gemeinsamen Abendessen gab es ein erstes Plenum, um den Compas das Programm für die nächsten zwei Wochen vorzustellen. Sie entschieden sich nach gemeinsamer Rücksprache dazu, alle Einladungen anzunehmen und bedankten sich für die Möglichkeit hier zu sein.
Am nächsten Tag fand eine Kundgebung vor dem mexikanischen Honorarkonsulat in Wattens statt. Kurz vor Ankunft der Delegation rief die zapatistische Generalkommandantur wegen zunehmender paramilitärischer Angriffe und der Finanzierung von paramilitärischen Gruppen durch den mexikanischen Staat zu Protestaktionen auf. Diese Art der staatlichen Gewalt wird auch als Krieg niederer Intensität bezeichnet. Ein Drittel des gesamten Militärs ist im dünnbesiedelten Chiapas stationiert und umstellt die befreiten Gebiete. Es kommt immer wieder zu Angriffen von Bundespolizei, Militär und Paramilitärs, neuerdings auch von Narcos, mafiaähnlichen Strukturen im Bereich des Drogenhandels. Viel deutet daraufhin, dass Gewalteskalationen drohen.
An den Folgetagen fanden verschiedene kleine, manchmal auch größere Gesprächsrunden statt. Der Austausch umfasste politische Kampffelder, Organisierungsprozesse, Strategien und Werkzeuge des Widerstands, aber auch den Umgang mit Konflikten. Die Compas teilten die Idee des Compañerismo mit uns, bei dem es um Vertrauensbildung, das Tragen von Verantwortung füreinander und das Zusammenwachsen als Gruppe geht. Gerade das Zusammenführen von verschiedenen Kämpfen war – so die Compas – in den ersten Jahren ein langer, schwieriger und konfliktreicher Prozess. Die Notwendigkeit der Aushandlung eines konfliktreichen WIRs wird von den Compas heute durch die Überzeugung getragen, dass jede*r das Recht hat zu kämpfen und für ihre*seine Rechte einzutreten. Als konkretes Beispiel erzählten die Compas, dass ihre Bewegung zu Beginn sehr patriarchal strukturiert war. Frauen* mussten sich ihren Platz darin erst erkämpfen und führten in Folge die revolutionären Frauen* ge­setze ein, die für alle FLINTAs* ein gewaltfreies, selbstbestimmtes Leben bei voller politischer Partizipation ermöglichen sollen. Bei einem feministischen Austauschtreffen erzählten die Compañeras* von den Veränderungen in ihren Pueblos: Die Haltung und Verantwortungsübernahme des ganzen Dorfes führten dazu, dass Frauen* nur mehr sehr selten von Gewalt betroffen sind.
Die Bereitschaft zur Suche nach selbstreflexiven, lösungsorientierten und transformativen Wegen der Konfliktbearbeitung beschrieben die Compas als wichtigen Teil ihrer Organisierung, um zu einem Kollektiv zusammenzuwachsen und Spaltungen zu verhindern.
Die Delegation traf auch zu einem Erfahrungsaustausch mit Menschen zusammen, die besonders stark von Entrechtung, staatlicher Gewalt und polizeilichen Repressionen betroffen sind: mit Menschen aus Afghanistan, Armutsreisenden und Geflüchteten, die im Abschiebelager Bürgelkopf isoliert und festgesetzt werden.
Ein Kinoabend, an dem Der Aufstand der Würde gezeigt wurde, bot den Rahmen für eine große und offene Veranstaltung. Das Interesse war riesig, der Kinosaal ausverkauft. Die Dokumentation informiert über die zapatistische Bewegung und die selbstorganisierten Gesellschaftsstrukturen und wurde den Compas per Flüsterübersetzung gedolmetscht. Nach dem Film gab es Raum für Gespräche, Ergänzungen und Fragen.
Die Zapatistas organisieren sich u. a. in landwirtschaftlichen Genossenschaften, in Frauen*kooperativen, mit solidarischen Vertriebsstrukturen und leben von Subsistenzwirtschaft. Deshalb gab es beim Besuch einer SoLawi und einer Kräuterwanderung die Möglichkeit, agrarökologisches und naturmedizinisches Wissen auszutauschen.
Beim feministischen Kampftag und einer FLINTA*-Platzbesetzung konnten die Compañeras* leider nicht mehr dabei sein, weil sie bereits am Vortag weiterreisten. Wie bei den encuentros feministas, den feministischen Treffen in Chiapas, übernahmen solidarische Männer die Carearbeit. Abends fand eine Demonstration statt, die für alle offen war und von einem FLINTA*-Block angeführt wurde. Dem Aufruf Eine andere Welt ist möglich! Kämpfen im Herzen der Bestie folgten neben zahlreichen Menschen auch die verbliebenen Compas. Am Ende der kämpferischen Demo wurde der Platz ohne Namen vor dem Landestheater, der in Zeiten des faschistischen Terrors erst Dollfuß- und später Adolf-Hitler-Platz hieß, zum Ni Una Menos Platz benannt.
Nach 14 intensiven Tagen gab es eine Abschlussreflexionsrunde, die ein Aktivist mit der Feststellung schloss, dass es längst nicht mehr nur darum geht, ob eine andere Welt möglich ist. Stattdessen haben wir schon lange den Punkt erreicht, an dem eine andere Welt notwendig ist. Gehen wir’s an!

1 Christian Schwaiger: Reise der Zapatistas nach Europa. In: Kreidekreis 4/2021, S. 18
2 Sechster Teil: EIN BERG AUF HOHER SEE. In: Tierra y Libertad-Nr. 82, S. 6

zapatirol.noblogs.org
zapalotta.org

Die Serie in der Referentin ist auf Anregung von Andreas Gautsch bzw. der Gruppe Anarchismusforschung entstanden, siehe auch: anarchismusforschung.org