Zwischen Comics, Malerei, Manifest und einem ausufernden Gesamtwerk der früh verstorbenen Künstlerin Linda Bilda stellt sich die Frage: Kunst als Ware oder doch umgekehrt? Linda Bildas Bildgalaxie hinterfragt den Kapitalismus mit geschickten Kniffen. Die fertige Retrospektive Amor vincit omnia im Lentos durfte Comic- und Popkulturfachwerker Christian Wellmann bereits während des Lockdowns beschnuppern. Mit diesem Vorgeschmack kann die Ausstellung bald besucht werden.
Amor. Vincit. Omnia, o. D. Bild Nachlass Linda Bilda, © Ralf-Bodo Kliem 2020, Bildrecht, Wien 2020
Female Perversion, 2001 Bild Nachlass Linda Bilda, © Ralf-Bodo Kliem 2020, Bildrecht, Wien 2020
Im Aschehaufen, in dem Kultur mittlerweile vollends unterzugehen droht, wartet geduldig ein bereits fix und fertig installierter Vulkan darauf, endlich auszubrechen. Aber auch für Vulkane gilt bekanntlich ein Ausbrechverbot. Eine mit dir und deinen Sinnen spielende Zur-Schau-Stellung einer alternativen Kunstwelt harrt geduldig im Finsteren darauf, endlich von Schaulustigen begutachtet zu werden. Eine Märchenwelt des ganz normalen neoliberalen Wahnsinns, mit Auswirkungen auf Marginalisierte. Darin ist alles ein Manifest.
Sobald die Museenlandschaft wieder ihre automatischen Glasschiebetüren öffnet, sollte ein ausgehungertes Publikum die äußerst bereichernde Amor vincit omnia-Ausstellung Linda Bildas im Linzer Kunstmuseum Lentos fix am Radar haben. Die Referentin durfte bereits vorab in den Lentos-Keller hinabsteigen, dorthin, wo nun vorzugsweise das subkulturelle Angebot des Hauses kredenzt wird. Dankenswerterweise nicht als prekäre Nischenrandexistenz, der Raum im Untergeschoss eignet sich für dieses, ähem, Subkulturelle vorzüglich, u. a. war das auch 2017 so bei der Turnton-Show von Time’s Up.
Überraschend verstarb Linda Bilda im Sommer 2019. Nun wird die Wiener Künstlerin mit einer ersten Retrospektive gebührend gewürdigt. Die Ausstellung und der dazu erschienene Katalog präsentieren einen überbordenden Einblick in die schillernden Arbeiten einer faszinierenden Künstlerin. Eine tabubrechende Allrounderin, die in mehreren Kunstgattungen zugegen ist, stets nach neuen Formen der Gestaltung suchend. Ein unerschrockener Geist, der mehr in anarchistischen Zirkeln zu verorten ist, denn in der Kunstwelt. Ihr poetisch-politischer Pop ist Richtung Zukunft gewandt, und zeigt – mit dem Ausstellungstext gesprochen – fürwahr „emanzipatorische Bildpolitik“, durch die sich feministische Kapitalismuskritik als roter Faden zieht. Schonungslos und angriffslustig, sinnliche und politische Wahrnehmung vereinend. Was sie produzierte, formte sich organisch und ganz selbstverständlich stets zum Nächsten – beginnend mit Malerei, Lese- und Diskussionszirkeln, Aktionen im öffentlichen Raum, Zeitschriften, Manifesten, Comix bis hin zu einem von ihr entwickelten Leuchtglas. Alle diese Aspekte ihres Schaffens, die sie oft miteinander verknüpfte, sind in der Amor vincit omnia-Schau allgegenwärtig.
Bilda beschäftigte sich damit, was neoliberale Ökonomien, Arbeit, Waren, Geldflüsse oder Geschlechterverhältnisse miteinander zu tun haben und kritisierte den Kapitalismus bei jeder Gelegenheit. Slogans und Manifeste lassen Buchstaben in ihrem bildnerischen Universum förmlich brennen. Die Aufhebung der Kunst, hineintransformiert in das tägliche Leben und von der Situationistischen Internationale übernommen, sollte ab den 1980er-Jahren ihr künstlerisches Schaffen prägen. Spezielle Beachtung verdient das von ihr erfundene, patentierte und mit zahlreichen internationalen Preisen überhäufte LightGlass, mit dem Motive auf (farbiges) Acrylglas übertragen werden, um mittels Laserschnitt ausgeschnitten und als Intarsien in Glasplatten eingelegt zu werden: Es findet sich in neueren Werken, Glasbildern oder zig öffentlichen Arbeiten.
Betritt man den ersten Bereich der Ausstellung, befindet man sich inmitten einer Installation, wo dieses patentierte LightGlass mit verblüffenden Lichteffekten ein wahres Raumerlebnis herbeizaubert. Die dreidimensionale, mit Tisch und Stühlen gefertigte Installation Die Goldene Welt lässt farbige Schatten zum Comic werden, der im Raum gelesen wird. Wie an Höhlenwänden, hier als Update für die digitale Konsumgesellschaft. Hinterglas-Malerei goes crazy. In der Goldenen Welt geht es um sehr viel Mammon – ein Vermögen von einer Milliarde Dollar wird FreundInnen mit der Auflage hinterlassen: Der oder die wird es bekommen, die innerhalb eines Jahres den meisten Profit daraus machen wird. Ein Spiel mit sieben Personen, inkl. Gevatter Tod, das zum Mitspielen einlädt. Dieses moderne Märchen ist Chronik und Beschreibung unserer Zeit, in der Ökonomie, Widersprüche, Entwicklungsmöglichkeiten und Destruktivität aufgezeigt werden: Die Welt des strahlenden Geldes und die Welt des Scheins. Inwieweit ist die Wirtschaft die Realität der Welt? Die Goldene Welt basiert auf einem (Print-)Comix und kann auch via interaktiver Webpage weiter erkundet werden1. Im Ausstellungsraum: Eine architektonische Form und kathedralenartige Bögen an der Wand geben der Skulptur den Rahmen. Flankiert wird dies alles von ungewissen Schatten werfenden Plexiglas-Skulpturen, wie Der apokalyptische Reiter, der einen argentinischen Polizisten darstellt. Eine Kakerlake, ebenfalls zur Ordnungsmacht entfremdet, wird zur ironischen Mutation – zum wabernden, angstverbreitenden Schattenspiel. Diese deformierten Boten der Hölle hinterlassen eine sich multiplizierende, schwer irritierende Lichtstimmung im Raum. Autorität und was dahintersteht. Dieses „Ensemble“ wurde nach einer Ausstellung Bildas im Salzburger Kunstverein (2009) rekonstruiert.
Im zweiten Raum zeugen u. a. Comix-Originale auf Transparentpapier, Covers und diverse Materialien des von ihr gegründeten Kunstfanzines ARTFAN, Malereien oder Caro Diario, ein aus Leinwänden gefertigtes Buch, von der Vielfältigkeit und Aktualität ihres Werks. Dazu kommt die besonders hervorzuhebende Serie Digital Questions, eine neuere Arbeit von 2018, die Schwarz-Weiß-Grau-Illustrationen mit LED-Licht-Einsätzen verwendet und den Gebrauch von Handys sehr sarkastisch „beleuchtet“. Das Handy als Ersatzorgan, das den Menschen bereits übernommen hat. Dazu läuft dezent im Hintergrund ein Film-Loop, der eine Aktion Bildas und ihrer Mitstreiterin Arianne Müller zeigt. Ihre Persönlichkeit wird faktisch im Raum präsent, und gibt dir das Gefühl, dass dich Linda Bilda irgendwie durch diese Ausstellung führt. Fast schon wie ein Hologramm …
Der zur Lentos-Schau erschienene Katalog gönnt uns ein umfassendes Bild ihrer mannigfachen Aktivitäten, so heißt es passend auch im Vorwort: „Das Interesse dieser Publikation ist nicht, Linda Bilda als individuelle Künstlerin für einen Kunstmarkt posthum zu etablieren, sondern die Vielfalt ihrer Aktionsmöglichkeiten mit einer Vielzahl von Texten punktuell zu beleuchten und zu würdigen.“2 Was auch wirklich bestmöglich gelungen ist, es handelt sich um eine augenöffnende Publikation, die mit viel Liebe und Herzblut zusammenmontiert wurde. Das findet man in dieser Form nicht so oft, hierzulande. In dieser Monografie wird dann, auch durch etliche bissfest auf den Punkt verfasste Beiträge sowie durch ausführlichstes Bildmaterial tatsächlich das extrem breite Feld transparent gemacht, das Bilda sozusagen händisch beackert hat.
Seit 1987 schuf sie auch Comics. Korrekter Comix, also Underground-Comix, der Riot-Grrrl-, Free Tek- oder Hardcore (Punk)-Szene mit Sympathie zugewandt. Comix als logischer Weg, der ihre Ansätze perfekt verbindet: Malerei, Manifeste, Politik, Agitprop – in Zeichnung und Wort vereint, Amen. Ihre poetische Leichtigkeit, trotz „schwer verdaulicher“ Themen, beatmet die Bildfolgen mit utopischer Luft, trotzdem auch Optimismus versprühend. Damit ist sie in den Kanon bahnbrechender österreichischer Comiczeichnerinnen, wie Ulli Lust, Edda Strobl, Sibylle Vogel oder neuerdings Nina Buchner, einzureihen. Bildas Stil kommt hier sehr 1970er-mäßig rüber, aber mehr Angela Davis als Janis Joplin. Guido Crepax’ Ästhetik ist da auch nicht weit entfernt. „Da mir die Gesellschaft, die ihre Mitglieder ungleich behandelt, widerstrebt, unterstütze ich alle Ziele der Frauenbewegung und auch Projekte darin. Mir schien Comics ein adäquates Mittel, da oft Klagen über die Ernsthaftigkeit der Diskussionen von verschiedener Seite kamen“3, so Linda Bilda. Zu ihren Comix-Serien gehören NO Politcomics4, als Propaganda für eine fortschrittlichere Gesellschaftsform, Keep It Real5 oder Die Goldene Welt, die ja auch in der Ausstellung zu erfahren ist. Macht, Gewalt, Staat, Demokratie, Anarchie, Widerstand und Sabotage sind wiederkehrende Begriffe in ihren sequentiellen Erzählungen. Der Illusionscharakter der kapitalistischen Ökonomie gehört zu den Grundeinsichten, die LeserInnen und Publikum mittels visueller Denkprozesse vermittelt werden sollen, wie sie im Manifest für emanzipatorische Bildproduktion forderte. Neben diesen Comix veröffentliche sie auch die Zeitschrift Die weiße Blatt (sic!), die sich mit Kunst, Politik und feministischer Kritik beschäftigte. Wie man sieht, ist ihrem ausufernden Produktionsradius nur schwer beizukommen, vor allem in einem kurzen Teaser-Textchen wie diesem, aber Katalog und Ausstellung drehen den Kopf gekonnt in die richtige Richtung. Unbedingt nicht versäumen das.
1 www.thegoldenworld.com
2 Katalog Linda Bilda: Amor vincit omnia. Hg. ARTCLUB Wien, C. Schäfer u. H. Schmutz, Verlag für moderne Kunst, Wien, 2020. Vorwort von Hemma Schmutz, Seite 7.
3 Interview mit Linda Bilda: www.grrrlzines.net/interviews/nocomics.htm
4 Eigenverlag, erhältlich bei www.pictopia.at
5 Text- und Comicsammlung, Salzburger Kunstverein, 2009
LINDA BILDA. Amor Vincit Omnia
Viel zu jung und überraschend starb Linda Bilda im Sommer 2019. Das Lentos zeigt eine erste Retrospektive der Wiener Künstlerin. Bilda (geb. 1963) intervenierte bereits früh mit unerschrockenen Aktionen im öffentlichen Raum, gründete mehrere Zeitschriften, produzierte Comics und anmaßende Malereien, organisierte Lese- und Diskussions-Zirkel, schrieb Manifeste, erfand neue Bildtechniken für den öffentlichen Raum und hielt als Erfinderin internationale Patente für ein von ihr entwickeltes Leuchtglas. Ihre Arbeit ringt um eine „emanzipatorische Bildpolitik“.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Linda Bilda: Amor vincit omnia. Hg. ARTCLUB Wien, C. Schäfer u. H. Schmutz, Verlag für moderne Kunst, Wien, 2020.
Aktuelle Öffnungszeiten und mehr Infos: www.lentos.at