Einer der letzten Antiquare
In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren haben elf Antiquariate in Linz zugesperrt. Peter Steinberg ist einer der letzten, der seinen Beruf mit Leidenschaft und mittlerweile ohne finanzielle Abhängigkeit ausübt. Silvana Steinbacher hat das Antiquariat Steinberg in Urfahr besucht und fragt nach den Perspektiven dieses Berufs, falls es sie denn noch gibt.
„Der Raum hatte sieben Wände, aber nur vier davon enthielten Öffnungen, breite Durchgänge zwischen schlanken, halb in die Mauer eingelassenen Säulen, überwölbt von Rundbögen. Vor den Wänden erhoben sich mächtige Bücherschränke voller säuberlich aufgereihter Bände.“
Die Ordnung in Umberto Ecos Bestseller Der Name der Rose täuscht, doch das stört mich nicht, denn schon befinde ich mich gedanklich in diesen Räumen mit – so stelle ich es mir weiter vor – knarrenden, alten Holzböden.
Und damit zur Realität: Die Städte wechseln, die Atmosphäre aber bleibt die gleiche. Ob in Köln, Lyon oder Venedig, es sind nicht nur die touristischen Highlights und die berühmten Kirchen, die ich sofort besuche. Mich zieht es immer auch zu den Antiquariaten. Hier kann ich stöbern, womöglich sogar über Bücherberge steigen und meine literarischen Fundstücke erwerben. Verändert hat sich aber die Dauer meiner Suche, denn noch vor einigen Jahren bin ich bei den Städteerkundungen zwangsläufig auf ein Antiquariat gestoßen, jetzt muss ich mich davor erst informieren, um nicht unnötig Zeit zu verlieren. Wo auch immer ich bin, die Antiquariate verschwinden mehr und mehr.
Fest steht: Mit alten Büchern lässt sich immer schwerer ein Geschäft machen, und dafür sind diverse Gründe verantwortlich. Die meisten Antiquariate bleiben angesichts der düsteren finanziellen Perspektiven ohne Nachfolge, passionierte Bibliophile sind, warum auch immer, rar geworden, billige Nachdrucke nehmen überhand und zudem werden die Mieten vor allem in der Innenstadt zu teuer.
Linz ist da keine Ausnahme. In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren haben elf Antiquariate zugesperrt, Neugebauer am Taubenmarkt erst Anfang 2018, die dazugehörige Buchhandlung blieb erhalten. Als die letzten beiden Dinosaurier haben nun die Alt-Buch-Zentrale Linz und das Antiquariat Steinberg, beide in Linz/ Urfahr überlebt.
Bereits bei einem Blick durch die großen Rundfenster des Ladens von Peter Steinberg bekomme ich einen Eindruck der thematischen Vielfalt seines elftausend Exemplare umfassenden Bestands, rund siebentausend sind im Internet aufgelistet. Und dabei sind wir in unserem Gespräch bereits bei jenem Stichwort angelangt, das für die Arbeit und das Überleben des Antiquars unvermeidlich wurde. Es zählt jedoch noch immer nicht zu seiner Leidenschaft.
Als Antiquar hingegen arbeitet der über siebzigjährige Peter Steinberg seit beinah fünfundzwanzig Jahren leidenschaftlich gerne und manchmal sogar sechzig Stunden wöchentlich. Sein Verdienst stehe in keinem Verhältnis zu seinem Aufwand, doch er sei seit seiner Pensionierung unabhängig, erzählt er mir, während wir an einem kleinen Tisch mit Blick auf die Friedenskirche sitzen. Die Leidenschaft, um diesen Begriff noch einmal zu bemühen, stand auch am Beginn seiner Berufszäsur vom Einkaufsleiter eines Elektrogroßhandels zum Antiquar. Zunächst unschlüssig, ob er eine Kunstgalerie oder ein Antiquariat eröffnen sollte, versuchte er anfangs beides zu verknüpfen. So zeigte er in seinen Räumen, damals noch in Harbach, auch Ausstellungen, diese Kombination ließ sich allerdings in der Praxis nicht nach seinen Vorstellungen realisieren.
In diesem Vierteljahrhundert seines Lebens als Antiquar hat er das Auf und Ab und besonders das Ab seines Gewerbes miterlebt. Steinberg erzählt mir von dem „riesigen Wandel“, der innerhalb seiner Branche stattgefunden habe. Zwei Jahre nach der Gründung seines Antiquariats im Jahr 1996 ist er mit zweitausend Büchern online eingestiegen und konnte bereits am ersten Tag zweiundsiebzig Bestellungen registrieren. Die anfängliche Blüte des Verkaufs durch das Netz ist allerdings längst einem Existenzkampf gewichen. Im Internet knallen sich die Anbieterinnen und Anbieter quasi die Bücher um die Ohren, denn dort verkauft nur jener, der die günstigste Ware präsentiert. Durch diese Entwicklung stürzen die Preise ab. Der virtuelle Marktplatz für überwiegend deutschsprachige Bücher ist das sogenannte Zentrale Verzeichnis Antiquarischer Bücher, kurz ZVAB, bei dem nur professionelle Antiquariate anbieten dürfen. 1996 von drei Studenten gegründet, wurde es mittlerweile von Amazon geschluckt. Rückschlüsse aus dieser enthusiastischen Geschichte des ZVAB sind herzlich willkommen. Rund 350 Antiquarinnen und Antiquare gründeten aber als mittlerweile recht gut funktionierenden Versuch einen Gegenpol zu diesem Giganten. So entstand vor fünfzehn Jahren die Genossenschaft der Internet-Antiquare e. G., GIAQ, auf der sie unter antiquariat.de ihre Bücher anbieten. Als eine Intention der GIAQ stand ursprünglich auch der Wunsch eine Vertriebsmöglichkeit zu schaffen, in der das Wissen der Antiquare einfließen kann. Gegründet wurde das Portal als Genossenschaft, kann also nur dann übernommen werden, wenn alle Mitglieder zustimmen.
Womit könnte ein Antiquariat von heute noch verdienen, frage ich Peter Steinberg. Mit Heinz Prüllers Buch Grand Prix Story aus dem Jahr 1971 in tadellosem Zustand ließen sich beispielsweise sicher noch bis zu eintausend Euro erzielen (Anm.: Grand Prix Story ist der Titel von Prüllers seit 1971 geschriebenen Jahrbuchreihe über die jeweilige Formel-1-Saison). Sammelnde suchen oft lange, um die Bände einer Reihe zu vervollständigen und sind dafür auch bereit tief in die Tasche zu greifen. Für manche Erstausgaben eines Grillparzer-Werkes hingegen könne man nur noch wenige Euro lukrieren.
Ich erlebte an einem Freitagnachmittag bei Peter Steinberg auch die Besucher, in diesem Fall waren es nur Männer, die teils interessierte Anfragen zu Spezialgebieten stellten, sehr skurrile Wünsche äußerten, beinah freundschaftlich auf ein Glas Wein vorbeischauten oder dem Antiquar einfach die Geschichte ihrer fünfzigjährigen Ehe im Schnelldurchgang erzählten. Normalerweise aber kommen wenige Besucherinnen und Besucher in sein Antiquariat und die interessanten Begegnungen face to face haben sich so natürlich deutlich reduziert.
Für mich stellt sich in unserem Gespräch angesichts des Aussterbens vieler Antiquariate auch die Frage: Was wird vom Buch mit Qualität einst erhalten bleiben? Der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges stellte bereits vor beinah achtzig Jahren eine poetische Prophezeiung an: „Ich vermute, dass die Gattung Mensch im Aussterben begriffen ist und dass die Bibliothek fortdauern wird: erleuchtet, einsam, unendlich, vollkommen unbeweglich, gewappnet mit kostbaren Bänden, überflüssig, unverweslich, geheim.“
Kehren wir in unsere effiziente und unzureichende Realität zurück. Für die nächsten Generationen geht wohl vieles verloren, ist Peter Steinberg überzeugt, vor allem die Überprüfung der Fakten wird schwierig. Der vielzitierte Fake und Mutmaßungen entwickeln sich damit wohl zu sogenannten Tatsachen. Werden für die Generationen nach uns noch die Korrespondenzen von Kunstschaffenden, Forschenden, Politikerinnen und Politikern erhalten bleiben und sie somit an einem Teil des Denkens und Fühlens bestimmter Personen teilhaben können? Wohl kaum anzunehmen, dass E-Mails, SMS oder Social-Media-Timelines überdauern.
Peter Steinberg glaubt zwar an den Bestand des Buchs, doch nicht an den Bestand der Vielfalt, die wir heute noch vorfinden. Und bereits jetzt lässt sich das Buch doch beinah als Anarchist gegenüber den digitalen Medien bezeichnen. Die traditionell Lesenden, die wir alle seit Jahrzehnten kennen, beobachte ich im Alltag immer weniger. Hautnah erlebe ich es, wenn ich etwa reichlich „antiquiert“ mit dem Buch in der Hand im Zug sitze.
Kehren wir nach diesem kleinen Gedankenausflug wieder ganz zu den Antiquariaten zurück. Einige von Steinbergs Kolleginnen und Kollegen, und das sei auch nicht verschwiegen, blicken optimistischer in die Zukunft als er. „Das Antiquariatssterben gibt es nicht“, meint etwa die Frankfurter Vorsitzende des Verbands Deutscher Antiquare Sibylle Wieduwilt, „die Antiquariate sind nur umgezogen: ins Internet.“ Ihr Credo: Keine Massenware. Nach diesem Motto arbeitet auch das Antiquariat Hennwack in Berlin. Auf einer Fläche von über 1300 Quadratmetern finden die potentielle Käuferin und der potentielle Käufer rund 400.000 Bücher, zum größten Teil aus Spezialgebieten. Möglicherweise, und das bestätigt auch Peter Steinberg, kann diese Methode das Überleben einiger Antiquariate hinauszögern, denn Liebhaberinnen und Liebhaber eines bestimmten Buches stöberten auch gerne vor Ort. Sie schätzten die spezielle Atmosphäre in einem Antiquariat, den kompetenten Rat und die überbordenden Holzregale.
Antiquariat Steinberg
Peuerbachstraße 9, 4040 Linz
Tel.: 0732/750877
www.antiquariat-steinberg.at