Crossing Europe: Programm-Special zu Edith Stauber

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Crossing Europe widmet der Linzer Filmemacherin und Künstlerin Edith Stauber ein Programm-Special innerhalb der Sektion Local Artists. Edith Stauber (*1968) hat Visuelle Mediengestaltung/ Film und Video an der Kunstuniversität Linz studiert, seit 2001 arbeitet sie im Bereich Dokumentar- und Animationsfilm sowie an der Schnittstelle von Film, Zeichnung und Malerei. Sie war seit den Anfängen von CROSSING EUROPE regelmäßig im Filmprogramm vertreten. Das diesjährige Special versammelt alle kurzen Animationsarbeiten, die Weltpremiere des neuesten Films Linz / Stadtpfarrkirche inklusive. Edith Staubers humorvoller Blick auf unsere Lebensrealität und ihr untrügliches Gespür für Momentaufnahmen und Details, die allzu leicht übersehen werden, machen ihre animierten Filme zu kostbaren „Alltagsminiaturen“. (Auszug Programmtext Crossing Europe)

Die Referentin hat bereits über Edith Stauber berichtet – im Rahmen der Gemeinschaftsausstellung mit Alenka Maly und Bibiana Weber in der Galerie Forum Wels. Die Referentin #8, Juni 2017, Text „Von meinem Privaten in dein Politisches“ playground233.servus.at/von-meinem-privaten-in-dein-politisches

Coming of Politics

Beim diesjährigen Filmfestival Crossing Europe laufen zwischen 25. und 30. April drei ausgewählte Dokumentarfilme über Frauen in der Politik. In Sachen Filmbesprechung hat die Referentin im Vorfeld drei Expertinnen in Sachen Politik gewinnen können: Karin Hörzing hat sich „I Had A Dream“ angesehen. „We Did What Had To Be Done“ wurde von Doris Lang-Mayrhofer gesichtet. Und „Sylvana, Demon Or Diva“ bespricht Eva Schobesberger.

I HAD A DREAM / AVEVO UN SOGNO. Zwei Männer flankieren den 2018 erschienenen Film von Claudia Tosi: Silvio Berlusconi, der 2008 zum vierten Mal italienischer Ministerpräsident wurde, und Donald Trump, der ein knappes Jahrzehnt später als amerikanischer Präsident vereidigt wurde. Für Manuela, eine Abgeordnete des italienischen Parlaments, und Daniela, eine Lokalpolitikerin, ist dieser dergestalt männlich markierte Zeitraum der Inbegriff für den politischen Regress. Seit Jahren kämpfen die beiden für mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, für bessere Gesetze zum Schutz vor häuslicher Gewalt gegen Frauen und für ein diverseres Gesamtbild politischer Verantwortungsträger.

Was ist Politik? Was macht Politik aus? Gibt es im beruflichen Leben von Politikerinnen, egal in welcher Stadt, in welchem Land sie arbeiten, Parallelen?
Darauf kann ich nur mit einem klaren Ja antworten, wenn ich den – in 84 min. Filmlänge – geschilderten Einsatz, die Erfahrungen, Erwartungen, Enttäuschungen aber auch Erfolge von Manuela und Daniela Revue passieren lasse.
„I had a dream“ ist kein Film, der keine Fragen aufwirft. „I had a dream“ besticht nicht durch spektakuläre Bilder oder Action, nein, mich hat er fasziniert, weil es sehr subtil gelungen ist, sich in die Welt dieser beiden Politikerinnen hineinziehen zu lassen. Und ich denke, das passiert nicht nur mir, weil ich diese Welt gut kenne, sondern vor allem dadurch, weil es so ungeschnörkelt authentisch ist.
Politikerinnen aus aller Welt setzen sich seit vielen Jahren mit den gleichen Themen wie Manuela und Daniela auseinander: mit dem Einsatz für mehr Gleichberechtigung, mit dem Schutz vor häuslicher Gewalt für Frauen, mit dem Anspruch, dass mehr Frauen auch die Politik gestalten.
„I had a dream“ berührt – er berührt in den Aussagen, den stillen Momenten, den motivierenden Protestmärschen, den Alltagsgeschehnissen.
Er macht wütend, wenn Politikerinnen auf Missachtung treffen (wer hat schon gerne ein schlafendes männliches Publikum 🙂 ), wenn harte Fakten wie beim Thema häusliche Gewalt verniedlicht werden und wenn man merkt, wie populistische Politik gegen die Menschen, von den Menschen, den Wählerinnen und Wählern unterstützt wird.
Und dieser Film lässt einen auch nicht los, weil auch die persönlichen Schicksale, die Zweifel, die Ratlosigkeit, die Diskussionsbeiträge und die humorvollen Momente von Manuela und Daniela so eindringlich – sprachlich und bildlich – eingefangen wurden. Zum Schluss bleibt die Frage offen, welchen Stellenwert der politische Einsatz von Daniela und Manuela hat. Wird es jemanden geben, der den Kampf weiterführt und das Staffelholz übernimmt!? Ich denke, ja – Bella Ciao!

Karin Hörzing (SPÖ) ist Vizebürgermeisterin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Soziales und Sport.

 

WE DID WHAT HAD TO BE DONE. Die beiden Regisseurinnen Friederike Berat und Ulrike Ertl im O-Ton über ihre Dokumentation von 2018: Dieser Film basiert auf 15 Interviews mit nordirischen Frauen, die wir im Zeitraum von 2009 bis 2017 geführt und zusammengestellt haben. Sie erlebten den Konflikt als Befreiung aus den Rollen, die ihre Gemeinschaften für sie vorgesehen hatten. Eine Befreiung, die sich im Laufe des Friedensprozesses Schritt für Schritt wieder zu ihrer Ausgangssituation zurückentwickelte. Ihre Namen sind – anders als die Namen ihrer männlichen Mitstreiter und Genossen – nicht im öffentlichen Narrativ des Konflikts zu finden. Diese Dokumentation möchte ihre Geschichte erzählen.

Der Film zeigt für mich auch Parallelen zur heutigen Zeit auf. Wenn in Amerika über einen Mauerbau diskutiert wird, oder in Europa ein Brexit bevorsteht, kann man das durchaus mit dem Irland-Konflikt in diesem Film vergleichen, wo es um die Spaltung in einen südlichen und einen nördlichen Teil des Landes ging.
Was allerdings nicht geschichtlich festgeschrieben wurde, ist, wie diese nordirischen Frauen damit umgingen, bzw. was das für sie persönlich bedeutete. Dies war jedoch Thema der Interviews, die in diesem Dokumentations-Film mit diesen Frauen geführt wurden.
Die Erinnerungen an die Probleme sind unterschiedlich und formen dadurch eine dynamische Wahrnehmung dieser Zeit. Die Frauen erzählen von der politischen Prägung, die sie schon in der Kindheit formte, sie beurteilen den Stellenwert der Frauen im Konflikt unterschiedlich, sie fassen Trauer, Trauma und die Auswirkungen von (häuslicher) Gewalt in Worte.
Sie beschreiben ein Umfeld, in dem Frauen die Initiative ergreifen, oder sich dafür aussprechen, jungen Menschen eine Zukunfts-Perspektive zu eröffnen.
Der Film „We did what had to be done“ kann aus meiner Sicht dazu anregen, sich Gedanken darüber zu machen, dass Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit sind, und dass wir uns alle immer wieder bewusst machen sollten, dass gerade in unserer Europäischen Union diese Werte ein klares und starkes Bekenntnis sind.

Doris Lang-Mayerhofer (ÖVP) ist Stadträtin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Kultur, Tourismus und Kreativwirtschaft.

 

SYLVANA, DEMON OR DIVA. In Ihrer 2018 releasten Dokumentation hat Regisseurin Ingeborg Jansen eine niederländische Politikerin begleitet: Als die ehemalige TV-Persönlichkeit Sylvana Simons die politische Arena in den Niederlanden betritt, ist sie als „woman of colour“ mit vielen Anfeindungen konfrontiert. Gemeinsam mit ihrer Partei BIJ1 stellt sie sich den Herausforderungen des Wahlkampfs.

Dieser Film begleitet Sylvana Simons auf ihren drei Monaten vor der Wahl zum Amsterdamer Gemeinderat, wo sie als Spitzenkandidatin für eine linke Bewegung um den Einzug kämpft. Er zeigt die Politikerin im Straßenwahlkampf, bei Parteiveranstaltungen, bei zahlreichen Gesprächen und liefert auch zum Teil sehr persönliche Einblicke bis ins chaotische Zentrum ihres Kleiderschranks, wohin sie sich immer wieder zurückzieht. Den Einstieg bilden Szenen aus einer Fernsehdiskussion, die mich sofort zornig machen. Alter weißer Mann versucht mit „lustigen“, rassistischen Bemerkungen gegenüber seiner jungen schwarzen Mitdiskutantin beim Publikum zu punkten. So bin ich ab der ersten Minute im Filmgeschehen gefangen und beginne nahezu sofort mich mit Sylvana Simons zu identifizieren und bin mit ihr. Ich fühle die Kraft, die im Kampf für positive Veränderungen entsteht, genauso wie die Energie, die sie braucht um persönliche Beleidigungen zu parieren. Ich bin schockiert, womit Sylvana Simons zurechtkommen muss. Persönliche Beleidigungen, kränkende Anwürfe oder primitive Sexismen kennt vermutlich jede Frau, in irgendeiner Form. Aber diese unglaublichen, hassgeladenen Rassismen! Ich spüre die Zornesröte in meinem Gesicht und bewundere die Souveränität mit der diese starke Frau das alles bewältigt. Das macht mich dann auch sehr dankbar für das positive Feedback, das Silvana Simons von Mitstreiterinnen oder irgendwelchen Menschen auf der Straße erhält. Mitten im Film treffe ich dann auf einen guten Bekannten. Ich bedauere gerade wieder, dass ich kein Niederländisch spreche, weil mir die Konzentration auf die Untertitel viel von dieser schönen und kräftigen Bildsprache nimmt, die den Film prägt. Und da taucht er auf: Der Erklärbär. Ein großer weißer Mann steht mit einer Bierflasche in der Hand da und erklärt. Er erklärt Sylvana Simons, dass er im Ergebnis eh bei ihr ist, sagt ihr aber, dass sie anders argumentieren soll und dass sie Begriffe die sie verwendet, lieber nicht gebrauchen soll, weil sie zu negativ beladen sind. Auf Sylvana Simons Einschub, dass man Rassismus wohl kaum bekämpfen kann, wenn man ihn nicht als solchen benennt, wirft er ihr schließlich vor, dass sie ihm zu viel erklärt.
Der Erklärbär ist nicht unser einziger gemeinsamer Bekannter. Ich finde mich insgesamt in vielen Elementen dieses Films wieder. Vermutlich liegt das aber gar nicht so sehr am Politikerin-Sein, sondern daran, dass Frauen in unserer Welt eben oft mit sehr ähnlichen Dingen zu kämpfen haben. Sylvana Simons bekommt im Laufe des Wahlkampfes viele mehr oder weniger brauchbare Ratschläge. Einen davon find ich richtig gut und zwar für jede von uns: „Hör auf, so kritisch mit dir selbst zu sein!“

Eva Schobesberger (GRÜNE) ist Stadträtin der Stadt Linz. Ihre Ressorts sind Frauen, Umwelt, Naturschutz und Bildung.

Das Professionelle Publikum

In dieser Ausgabe Kunst-und Kulturtipps von Tanja Brandmayr, Sigrid Ecker, Alois Fischer, Robert Hinterleitner, Dagmar Schink, Kulturverein Schlot, Lisa Spalt und Hannah Winkelbauer. Die Redaktion bedankt sich herzlich und wünscht den Leserinnen und Lesern viele Entdeckungen und inspirierende Veranstaltungs-Besuche.

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Foto Pamela Neuwirth

Foto Pamela Neuwirth

Tanja Brandmayr
arbeitet seit vielen Jahren & in unterschiedlichen Zusammenhängen zwischen Text, Inszenierung und Kunst, ist Redakteurin und freie Autorin.

Performance Speculative School of Sleep Dance, Tanja Brandmayr
Performance Si(e)Si – 5 mm über dem Boden, SILK Fluegge + SILK Fluegge Guests
Ausstellungseröffnung Vi! – The continuous state of suspense

 

Sigrid EckerSigrid Ecker,
Redaktionsleitung Infomagazin FROzine, Radio FRO und Kulturaktivistin.

Tapfer, wehrhaft, gewaltbereit – Verhängnisvolle männliche Geschlechterrollen
9. Direktwahl zum Europäischen Parlament

 

Foto Caroline Forbes

Foto Caroline Forbes

Alois Fischer
arbeitet seit 1978 für das Jazzatelier Ulrichsberg.

Ausgabe #34 des Festivals „Ulrichsberger Kaleidophon“
Jazzkonzert mit Joe McPhee / John Edwards / Klaus Kugel

 

 

Robert HinterleitnerRobert Hinterleitner
leitet seit 2018 YAAAS! – die Jugendschiene des CROSSING EUROPE Filmfestival Linz und lehrt Video&Film an der HBLA für künstlerische Gestaltung Linz.

Präsentation des YAAAS! Videoprojekt
NEXTCOMIC SUUUPER SONNTAG

 

Foto Ulli Engleder

Foto Ulli Engleder

Dagmar Schink
arbeitet und forscht in den Bereichen Bildende Kunst, Zeitbasierte Medien und am Format Ausstellung. Seit 2017 ist sie mit der Geschäftsführung des international ausgerichteten Forschungszentrums für Medien- und Performancekunst, dem VALIE EXPORT Center Linz, betraut.

Enter the Center_ Exklusiv ins Archiv
Performance New Noveta (Keira Fox, Ellen Freed) mit Vindicatrix (David Aird)

 

Gründer und Vorstand des KV Schlot v.l.n.r. David Riedl, Birgit Koblinger, Florian  Loimayr. Foto Kerstin Kieslinger

Gründer und Vorstand des KV Schlot v.l.n.r. David Riedl, Birgit Koblinger, Florian Loimayr. Foto Kerstin Kieslinger

Seit 2014 veranstalten sie gemeinsam mit ihren KollegInnen Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Pflanzlmärkte, das Schlommerfest und den Christgsindlmarkt. Wenn gerade nichts los ist, ist der Schlot Gemeinschaftsatelier und Proberaum, dessen Räumlichkeiten sich in einer ehemaligen Matratzenfabrik im Franckviertel befinden und die sie sich aktuell neun Personen teilen.

Schlommerfest
Installation „rubber grubs“

 

Lisa SpaltLisa Spalt
ist Autorin und Administratorin des Instituts für poetische Alltagsverbesserung.

„Schreiben in Gesellschaft“
Ausstellung „Hinter den Spiegeln“

 

Foto Marisa Vranjes

Foto Marisa Vranjes

Hannah Winkelbauer
ist Künstlerin und Kulturjournalistin und lebt in Linz und Wien.

Ausstellungseröffnung „Spuren“
Eröffnung „Linz FMR“

 

 

Tipps von Die Referentin

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Lesung Éric Vuillard, Die Tagesordnung
Universal Indians feat. Joe McPhee
Mekons, GIS Orchestra
Erik Friedlander | Throw A Glass | feat. Uri Caine & Mark Helias & Ches Smith
Helmut Qualtinger/Carl Merz Der Herr Karl
Österreichische Erstaufführung Nach uns das All oder Das innere Team kennt keine Pause
Okabre Echtzeitfilmvertonung Tetsuo – The Iron Man
Buchpräsentation Andreas Kump „Über Vierzig“
Zu Ende gedacht Österreich nach Türkis-Blau

Das Land der Möglichkeiten ist meine kleine Welt.

Viele fragen es sich schon länger. Und kaum wer weiß, was mit dem „Land der Möglichkeiten“ genau gemeint ist, ein Werbesujet, das seit längerer Zeit in Oberösterreich seitens der Landeshauptmann-Partei lanciert wird. Der Claim soll vielleicht den amerikanischen Traum der unbegrenzten Möglichkeiten mit im Klang führen, aber die PR bleibt die Art der Möglichkeiten letztlich schuldig: Geht es um gute, schlechte, große, kleine, viele, wenige, keine oder doch einfach nur auf ewig undefinierbar bleiben wollende Möglichkeiten? Möglicherweise mögliche Möglichkeiten also? Besonders in Kombination mit dem vielsagend wie geheimnisvoll in sich hineinlächelnden Gesicht des Landeshauptmanns auf den Werbeflächen, entsteht ein leichtes Gefühl von abgehängten Karotten vor den Nasen. Ich bin mit meiner Freundin unterwegs, wir reden über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten im Land. „Aber immerhin wissen wir“, sagt sie, als wir zusammen spazieren gehen, „seit der Verleihung der letzten Kulturpreise zumindest, WIE VIELE Möglichkeiten es in der Kunst und Kultur sind – NÄMLICH 21!“. Und liest aus einem mitgebrachten Zeitungsausschnitt vor, OÖ Volksblatt, Ende September 2018: „Waterloo geehrt. Im Rahmen einer Feierstunde im Steinernen Saal des Linzer Landhauses ehrte Landeshauptmann Thomas Stelzer gestern 21 Oberösterreicher, die sich im Bereich von Kunst und Kultur verdient gemacht haben. ‚21 Personen, 21 Möglichkeiten, sich zu engagieren, 21 verschiedene Wege, Kunst und Kultur in OÖ mitzugestalten: Das vermittelt einen Eindruck davon, was in Oberösterreich alles möglich ist‘, so Stelzer. Zu den Geehrten zählte Sänger-Legende Waterloo (‚Hollywood‘), der die Kulturmedaille des Landes verliehen erhielt.“ Meine Freundin und ich sehen uns 21 Mal an und wundern uns, was alles möglich ist … … … „Sie werden sich noch wundern …“, sagt meine Freundin und der Rest ist eh klar … … … Aber wie das mit dem Hirn und den spontanen Wegen der Erinnerung so ist: Der Gedanke an good old Hollywood bringt mich über den zweiten 70er-Jahre-Heile-Welt-Homeland-Song von Waterloo&Robinson, „Meine kleine Welt“, zu einer ganz anderen Begebenheit, die ich einmal vor vielen Jahren, irgendwann in den 90ern, im Gasthaus Alte Welt erlebt hatte. Ein etwa 40jähriger Mann hatte sich die ganze Nacht ziemlich betrunken. Aus unternehmerischem Frust. Er hatte eine landwirtschaftliche Erfindung gemacht, die sich ökologisch-technisch visionär anhörte, und die es aus heutiger Sicht wahrscheinlich umso mehr wäre. „Aber weder Bauernverband noch Vertreter der Industrie noch Banken oder Politiker haben sich die Sache überhaupt angesehen“, sagte er, damals im Gasthaus Alte Welt, die ganze Nacht über, immer wieder zu mir und in die Runde. Und sagte dann immer wieder, mit Nachdruck und die ganze Nacht: „Nicht, wer es in New York schafft, der schafft es auf der ganzen Welt, sondern wer‘s in Oberösterreich schafft, der schafft es überall!“. Und er sang sowohl die New York-Nummer immer wieder an als auch zwischendurch ebenfalls wiederholt und immer wieder, auf recht schrille Weise, man glaubt es kaum und darum kenne ich die Nummer überhaupt: „Das ist meiiiiiiiine kleine Welt“. Und nahm dann immer noch kräftigere Schlucke. Er dürfte dann, nachdem er schon in der Früh, „Danke fürs Verhindern! Ich bin eh bald weg! Ab in die USA!“ gerufen hatte und irgendwann, als es dämmerte, aus dem Lokal gestolpert war, laut seiner eigenen Aussagen zuvor, mehr oder weniger direkt in den Flieger gestiegen sein. In welchen genau, weiß ich aber nicht.

„Hm“, sage ich, nach längerem Schweigen. Meine Freundin sagt, nach weiterem, ebenfalls längerem Schweigen: „Gehen wir in die Alte Welt?“. Die Geschichte habe ich ihr früher schon mal erzählt. Wir spazieren in Richtung Lokal.

 

Lokale Lokale, die fortlaufende Fortgeh-Kolumne des hiesigen Lokalkolorits, der unglaublichen Begebenheiten und der unerwarteten Wendungen, ist in dieser Referentin #14 an Stelle eines Editorials abgedruckt.

REVOLUTION! Die Forderung nach dem Unmöglichen.

Das Lentos Kunstmuseum, das Nordico Stadtmuseum und die Landesgalerie Linz zeigen derzeit eine häuserübergreifende Schau zu unterschiedlichen Teilaspekten der künstlerischen und kulturellen Avantgarde der 68er-Bewegung. Elisabeth Lacher orientiert und wendet sich dann den räumlichen und gesellschaftlichen Utopien eines erweiterten Verständnisses von Architektur zu.

Missing Link, Gorillas greifen ein, 1971 Collage, Typografie, Fotoausschnitte auf Papier, 27,2 x 27,3 cm. MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst © Missing Link

Missing Link, Gorillas greifen ein, 1971 Collage, Typografie, Fotoausschnitte auf Papier, 27,2 x 27,3 cm. MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst © Missing Link

Zu den Ausstellungen erschien auch das Buch 68, herausgegeben von den KuratorInnen Johannes Porsch, Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer. Wer um 1968 in Erscheinung trat, inwiefern die AkteurInnen der Wirklichkeit den Schluss erklärten und welche Rolle Linz hierbei gespielt hat, wird in den Ausstellungen wie in der Publikation ausführlich, informativ und anregend aufbereitet.

Im Lentos werden künstlerische Positionen der lokalen Szenen aus Linz und Oberösterreich mit KünstlerInnen aus den Nachbarregionen in Beziehung gestellt, um die Ausbrüche, Aufbrüche und Umbrüche im Kontext der Stahlstadt Linz zu zeigen, etwa die Gruppe rund um den Schriftsteller und Herausgeber Heimrad Bäcker. Die Arbeiten von Josef Bauer, Gerhard Knogler und Fritz Lichtenauer verweisen auf eine künstlerische Praxis, die zwischen bildender Kunst und dem bildnerischen Aspekt von Text angesiedelt ist. Hervorzuheben sind diesbezüglich auch die ausgestellten Verknüpfungen der Linzer Gruppe mit KünstlerInnen aus der CSSR, wie Bela Kolárová und Jirì Valoch. Johann Jascha rekonstruiert für die Ausstellung im Lentos erstmals seit 40 Jahren die Arbeit Schöner Wohnen, die in Zusammenarbeit mit der Gruppe Salz der Erde entstanden ist. Der Künstler sammelte im Zeitraum 1969 bis 1975 die Überreste seines Lebens in getrockneter Form in seinem damaligen Atelier. Bei der Ausstellungseröffnung war Jascha mit einer seiner Schreiaktionen zu erleben.

Das Nordico vertieft die gesellschaftlichen Veränderungen in den 1970er-Jahren in den unterschiedlichen Bereichen wie der Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung. Zahlreiche Bild-, Text- und Tondokumente entwerfen ein vielschichtiges Bild jener Jahre in Linz. Sie gewähren zudem Einblicke in verschiedene Gruppen und Räume der Linzer Linken, der Kunst und der Musik – wie die Galerie Maerz, die Berger Mami, die Stadtwerkstatt, das Café Landgraf, die Galerie Hofkabinett und ihre ProtagonistInnen erzählen.

Das Hauptaugenmerk der in der Landesgalerie Linz gezeigten Schau „Schluss mit der Wirklichkeit! Avantgarde, Architektur, Revolution, 1968.“ liegt vor allem auf experimenteller Architektur und der urbanen Revolte rund um 1968. Die ausgestellten Skizzen, Bilder und Dokumente bilden einen Einblick in die urbanen Wurzeln der 68-Bewegung. Bedeutend für die Resonanz ästhetischer Konzepte und politischer Aktion sind Kontext und Metapher des urbanen Raums: das massenmedial Imaginäre der Metropole, die Produktions-, Distributions-, Konsum- und Kommunikationsmaschine Stadt, die Lebens- und Verhaltensweisen codierende Urbanität, der flüchtige Alltag der Straße. Die architektonischen Projekte der 1960er und frühen 1970er platzieren sich im Maßstab und Modus von Objekt, körperbezogener Apparatur, objekthafter Minimalumwelt bis hin zur Megastruktur und interventionistischem Handlungsfeld bzw. performativer Infrastruktur. Das alles äußerte sich modernistisch-formbezogen, affirmativ-subversiv, aktionistisch-eruptiv, rituell-forschend im vielschichtigen Gewebe der Stadt.

Den architekturbezogenen Praxen und Theorien der urbanen Revolte der 68er-Bewegung mit ihrer Politisierung öffentlicher Räume, deren Aneignung, der Definition selbstbestimmter Lebensformen und der damit einhergehenden Auslotung unterschiedlicher Wohnformen wird in Retrospektiven zu künstlerischen Perspektiven der 68er Jahre oft zu wenig Beachtung geschenkt. Zu Unrecht, denn gerade aus dieser Zeit des Um- und Aufbruchs entstanden wichtige Theorien zu öffentlichem Raum, die nach wie vor richtungsweisend in der Auseinandersetzung mit Stadt, Urbanität und Kunst im öffentlichen Raum sind.

In welchem Verhältnis die Projekte der experimentellen Architektur zu Ideologiekritik, den Programmen und Forderungen der Student/innenprotest- und Bürger/innenrechtsbewegung von 1968 stehen, ob und wie ästhetische und politische Bewusstseins- und Repräsentationskritik sich zueinander verhalten, ist die offene Frage, in der sich die Ausstellungen „Wer war 1968?“ und „Schluss mit der Wirklichkeit! Avantgarde, Architektur, Revolution, 1968.“ reflektieren und in einen Dialog treten.

„Kunst ist eine in Form gebrachte Forderung nach Unmöglichem“, hat der französische Schriftsteller Albert Camus geschrieben. Kaum einem Zeitabschnitt entsprechen diese Worte so ausdrücklich wie den Jahren um 1968. Es waren Jahre der Utopie, der ästhetischen Experimente und der Grenzüberschreitungen. Zum ersten Mal gingen KünstlerInnen in den öffentlichen Raum, gingen auf die Straße und erklärten diese zur Galerie, zu einem Ort, an dem Kunst unmittelbar eingreifen und verändern kann, mit einem völlig anderen Publikum als in den Ausstellungshäusern oder den künstlerischen Zirkeln.

In den 68ern und danach begann auch von Seiten experimenteller Architekten und Architektinnen ein Fragen nach öffentlichem Raum, nach dessen Gestaltung und Nutzung wie dessen Politisierung. Der damalige Status Quo von Kunst am Bau als „Dekor“, welcher den fertigen Bauobjekten quasi aufgepfropft wird, wurde in rebellischen Gesten und einer avantgardistischen Kunstpraxis unterwandert. All dies führte, wenn auch die in den Raum gebrachten Forderungen nach Revolution und Utopie wohl als Forderung nach dem Unmöglichen eingeordnet werden müssen, dennoch zu weitläufigen Veränderungen im Verständnis von Kunst am Bau und einer beginnenden Kunst im öffentlichen Raum.

Die Ausstellung in der Landesgalerie mit Projekten von Zünd Up/Salz der Erde, Missing Link, Haus-Rucker-Co, Angela Hareiter und Valie Export zeigt die räumlichen und gesellschaftlichen Utopien eines erweiterten Verständnisses von Architektur, Stadt und öffentlichem Raum in all den fragilen Ideen, Entwürfen und Konzepten darüber. Sie führt die BesucherInnen nicht nur in die Denkweisen der avantgardistischen Architektur mit dem Schrei nach Revolution zurück, sondern lässt sie auch reflektieren und nachdenken über die (traurige) Unmöglichkeit von Revolution.

Die weibliche Seite der Avantgarde
Beim Gang durch die Ausstellung fällt auf, dass sehr wenige Positionen von Architektinnen gezeigt werden, der damalige Mangel an Frauen in der Architektur liegt dem wohl zugrunde. Lange Zeit war die Architektur Männern vorbehalten; noch im zwanzigsten Jahrhundert wurden Frauen an vielen Universitäten für Architektur nicht oder nur in bestimmten Bereichen der dekorativen Ausstattung zugelassen. Als ob die letzten beiden Silben der Berufsbezeichnung Architekt„innen“ ihnen auch gleich den Ort ihrer Kompetenzen zuweisen würden: Die Hülle bauten Männer, und allenfalls das, was „innen“ ist und für die Öffentlichkeit nicht sichtbar, wurde dem „Geschmack“ der Frauen überlassen. Auch Avantgarde-Schulen wie das Bauhaus entkamen dieser Rollenzuweisung kaum. Doch das ist eine andere Geschichte. Die sorgfältig in die Ausstellung eingebauten Projekte von Valie Export und Angela Hareiter, die auch Mitbegründerin von Missing Link ist, lassen dann ein kurzes feministisches Aufatmen zu.

Auf die generelle weibliche Unterbesetzung in den 68er Jahren verweisen Zeitdokumente im Nordico und das Kapitel „Sexuelle Revolution“ im Buch zu den Ausstellungen. Die Texte von Margit Knipp, Edith Friedl, Gabriele Müller und Barbara Seyerl beschreiben sehr lebendig und persönlich die Situation der Frauen in der Linzer Männerdomäne jener Zeit.
Besonders hervor sticht die Beschreibung Edith Friedls einer Diskussion am Küchentisch in ihrer Studenten-WG am Linzer Froschberg und lässt mich beim Lesen unwillkürlich schmunzeln. Sie schreibt über fünf angehende Soziologen, die angeregt über Wilhelm Reich und den klitoralen Orgasmus diskutierten. Als einzige Frau in der Diskussion stellte die Autorin eine Frage in die Runde und erhielt von einem männlichen Diskussionsteilnehmer den Hinweis „Pssst, das verstehst du nicht, das erklär ich dir später“. Genial, nicht wahr?

Viele Frauen erinnern sich an die „supergescheiten“ und intellektuell reflektierten 68er-Jungs als Chauvinisten, Sexisten oder schlichtweg als linke Machos. Es galt, ihnen die weibliche Stirn zu bieten. Und das taten die Linzerinnen dann auch. Es war die Gründerzeit von Frauengruppen, dem Autonomen Frauenzentrum – das bis heute besteht, von alternativen Kindergärten und der Etablierung „wilder Frauen“ und Feministinnen in der Linzer Öffentlichkeit. Hingewiesen sei hier auch auf die Tampon-Aktion während der Wahl zur Miss Oberösterreich 1978 im Linzer Vereinshaus, die Edith Friedl beschreibt. Drei AkteurInnen – sie selbst, ein gewisser Thomas und eine Karin sprengten den sexistischen Zirkus und die Fleischbeschau, indem sie Damenspenden verteilten: sie bewarfen die Juroren mit rot eingefärbten Tampons.

Da ich selbst in den frühen 80er Jahren geboren wurde, passierte dies alles lange vor meiner eigenen Auseinandersetzung mit Kunst, Gesellschaft und Feminismus. Dennoch würde ich für mich die Zeit der 68er bis Ende 70er Jahre als persönlich wegweisend beschreiben. Zumal ich in einer kleinen, oberösterreichischen Marktgemeinde aufwuchs, in der patriarchalische Gesellschaftsstrukturen auch in den 80er und 90er Jahren fest verankert waren. Ich erinnere mich, das Wort Feministin oder Revoluzzerin doch öfter als einmal gehört zu haben: als verächtliches Schimpfwort für sinnlos aufbegehrende oder gar „perverse“ Frauen. Später dann, in der Oberstufe des Gymnasiums mitten im Hausruckviertel mit dem Wiener Aktionismus, feministischer Literatur, Kunst und Politik konfrontiert zu sein, glich einer jugendlichen Erleuchtung: Plötzlich hatte Kunst etwas mit mir und meinem Leben zu tun. Das erste Mal Fotos von Valie Exports Tapp- und Tastkino zu sehen, auch wenn die Aktion da schon vor 30 Jahren passierte, war eindrücklich und intuitiv verständlich. Und ließ mich dann weiter über Kunst und Avantgarde forschen: und das war in meinem damaligen, ländlichen Umfeld doch sehr selten. Selbst meine Freundinnen und Freunde waren schwer von meiner Begeisterung und der Bedeutung von Kunst und Literatur zu überzeugen. Aber auch das ist eine andere Geschichte.
Um in die Dynamik dieser Zeit einzutauchen, sich zu erinnern und vertiefendes Wissen anzueignen, besonders auch im Bezug zu Linz in den 68er und 70er Jahren, seien die Ausstellungen und das dazu erschienene Buch 68 jedenfalls jedem und jeder wärmstens empfohlen.

 

WER WAR 1968? Kunst, Architektur, Gesellschaft
LENTOS Kunstmuseum Linz, noch bis 13. Jänner 2019

www.lentos.at

NORDICO Stadtmuseum Linz, noch bis 24. Februar 2019
www.nordico.at

SCHLUSS MIT DER WIRKLICHKEIT! Avantgarde, Architektur, Revolution, 1968.
Landesgalerie Linz, noch bis 20. Jänner 2019

www.landesmuseum.at

Die Publikation „Wer war 1968? Kunst, Architektur, Gesellschaft“ ist im Verlag Anton Pustet erschienen, mit Texten von Johannes Porsch, Hedwig Saxenhuber und Georg Schöllhammer, Essays von Helmut Draxler, Thomas Eder, Peter Huemer, Gabriele Kaiser, Christa Kamleithner, Helmut Lethen, Klaus Ronneberger und Greta Skau sowie mit mehr als 100 Textbeiträgen in deutscher Sprache.
464 Seiten, Preis: € 29,–

PreisträgerInnen: Marianne.von.Willemer-Preis: starsky

Julia Zdarsky aka starsky, geboren 1967 in Wien, hat den diesjährigen Marianne-von-Willemer-Preis für digitale Medien verliehen bekommen. Die Preisverleihung fand im November im Ars Electronica Center statt. Starskys Arbeiten waren dieses Jahr etwa am 8. März am Linzer Hauptplatz zu sehen – am Internationalen Weltfrauentag und im Rahmen von Feminismus und Krawall.

Foto Sascha Osaka

Foto Sascha Osaka

Wir gratulieren – und zitieren von starskys Homepage:
starsky überschreitet ungeniert die grenzen zwischen sub-, pop- und hochkultur.
egal ob bewegte lichtbild-installationen, bühnenprojektionen, imposante live-visuals oder
gigantische großbild-projektionen: die arbeiten von starsky sind an räumlicher wirkung
und inhalt kaum zu übertreffen. nichts, was nicht von ihr in farbe, form, wort und licht
getaucht werden könnte: architektur, struktur, environment, public spaces!
starsky arbeitet mit sprache, phrasen, grafik, interaktion, bewegten bildern oder film.
von plakativ bis subtil ist alles, meist sogar in ein und derselben arbeit zu finden.
die projektionsdimensionen von starsky heben raumprojektionen und projektionsinstallationen
auf eine inhaltliche ebene, die zu einem gesamtkunstwerk aus bild, sprache, kommunikation
und raum verschmelzen und als plötzliche erleuchtungen von kurzer dauer im emotionalen
gedächtnis der betrachterIn erhalten bleiben. visualisierte gefühle – flüchtig, aber unvergesslich.

 

starsky.at

Zum Willemer-Preis:
www.linz.at/frauen/5021.asp

neue texte, heute gelesen

1968 gründete der Linzer Schriftsteller Heimrad Bäcker (1925–2003) in seinem Heimatort die Literaturzeitschrift neue texte, die sich in den Folgejahren zu einem Leitmedium der experimentellen Dichtung entwickeln konnte. Florian Huber über Heimrad Bäcker, die Gegenwartsliteratur nach 1968, einen multimedialen Literaturbegriff und die guten, die fetten Texte.

Visuelle Arbeiten von Heimrad Bäcker sind derzeit auch in der Ausstellung „Wer war 68?“ im Lentos zu sehen: Heimrad Bäcker. Bearbeitungsspuren im Steinbruch Wienergraben des Konzentrationslagers Mauthausen, 1968–95 Bild © Landesmuseum Linz

Visuelle Arbeiten von Heimrad Bäcker sind derzeit auch in der Ausstellung „Wer war 68?“ im Lentos zu sehen: Heimrad Bäcker. Bearbeitungsspuren im Steinbruch Wienergraben des Konzentrationslagers Mauthausen, 1968–95 Bild © Landesmuseum Linz

Für die Einschätzung eines Leitmediums der experimentellen Dichtung spricht nicht nur das langjährige Bestehen der bis ins Jahr 1991 in insgesamt 45 Ausgaben erscheinenden Zeitschrift, sondern auch der gleichnamige, 1975 aus ihr hervorgegangene Verlag, dessen publizistische Aktivitäten 2005 endgültig eingestellt und bereits 1992 vom Grazer Droschl Verlag übernommen wurden.
Trotz ihrer literarhistorischen Bedeutung ist Bäckers verlegerische Arbeit heute aber weitgehend vergessen, obwohl seine Tätigkeit als Autor in den letzten Jahren auch international große Beachtung erfuhr. Neben einer wachsenden Zahl von Ausstellungen seiner Fotografien im In- und Ausland verdienen in diesem Zusammenhang etwa die Übersetzungen von Bäckers 1986 im eigenen Verlag publizierten literarischen Hauptwerk nachschrift ins Amerikanische (transcript; 2010) sowie Türkische (tutanak; 2004) besondere Erwähnung. Aber auch die Literatur- und Kulturwissenschaften widmeten nachschrift und dem 1992 erschienenen Folgeband nachschrift 2 als Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Shoah mithilfe dokumentarischer Dichtung ausführliche Analysen.
Mit dem Erwerb von Bäckers Verlagsarchiv durch das Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek wurde freilich bereits im Jahr 2000 vom Autor selbst der Grundstein für Untersuchungen zur Programmatik und Genese der neuen texte gelegt. Mit dem Ankaufserlös wurde zudem ein Literaturpreis eingerichtet, der seit 2003 als Heimrad-Bäcker-Preis und als Förderpreis im Andenken an seinen Namensgeber verliehen wird. So werden jährlich Dichterinnen und Dichter prämiert, „deren Werk im Zusammenhang mit der Literatur zu sehen ist, wie sie Heimrad Bäcker in seiner edition neue texte verlegt hat“, wie das Linzer Stifterhaus auf seiner Homepage informiert. Zu den Ausgezeichneten zählen dabei auch in den 1970er- und 1980er-Jahren geborene Dichterinnen und Dichter wie Monika Rinck, Anja Utler, Steffen Popp, Mara Genschel, oder Kevin Vennemann. Das ist insofern konsequent, da Verlag und Zeitschrift seit Beginn ihren Schwerpunkt auf die Präsentation möglichst eigenständiger, aber wenig bekannter künstlerischer Positionen legten, wie auch die Übersetzungen und Erstdrucke fremdsprachiger Dichtung in den neuen texten bestätigen. Die besondere programmatische Ausrichtung trug dabei entscheidend zur Wiederentdeckung einer Avantgarde bei, deren künstlerische Errungenschaften im Nationalsozialismus verfolgt und nach 1945 weitgehend aus dem kulturellen Gedächtnis getilgt worden waren. Neben Arbeiten des heute als Klassiker geltenden Dada-Pioniers Raoul Hausmann (1886–1971) publizierte Bäcker etwa den Briefwechsel zwischen Alfred Kubin und dem, unter dem Pseudonym Mynona bekannt gewordenen, Dichterphilosophen Salomo Friedlaender (1871–1946) in seinem Buchverlag. Hausmanns Fotocollagen unterlaufen wie die Bild-Dichtungen Kubins und die expressionistisch grundierten Grotesken von Mynona Genregrenzen und stehen somit für einen multimedialen Literaturbegriff, der auch die ästhetische Ausrichtung der neuen texte maßgeblich prägte. Zu den zentralen zeitgenössischen Figuren für Bäckers verlegerische Arbeit zählten neben Ernst Jandl (1925–2000) die Vertreter der so genannten Wiener Gruppe, die mit Gerhard Rühm (*1930) und Friedrich Achleitner (*1930) von Anfang an in der Zeitschrift präsent war. Darüber hinaus ist vor allem der schweizerisch-bolivianische Schriftsteller Eugen Gomringer (*1925) zu nennen, der mit seinem Konzept einer „Konkreten Poesie“ für eine Fokussierung der Dichtkunst auf die visuelle und lautliche Dimension der Sprache optierte. Dementsprechend erschienen in den neuen texten von Anfang an auch Hörspieltexte, Beispiele zeitgenössischer Lautpoesie sowie fotografische, an der Schriftbildlichkeit oder am Dokumentarischen orientierte Arbeiten, etwa von Fritz Lichtenauer (*1946), Josef Bauer (*1934) und Jochen Gerz (*1940). Die Drei Jahresportraits von Friedl vom Gröller (*1946) und der Band Körpersplitter von Valie Export (*1940) führten nachdrücklich die überragende Bedeutung von Künstlerinnen für das Gelingen der neuen texte vor Augen, deren intellektueller und ästhetischer Ertrag zu wesentlichen Teilen auch dem Engagement und der Sachkenntnis von Bäckers Ehefrau Margret zuzuschreiben ist. Mit ASCHENBAHN von Friederike Mayröcker (*1924) zeigt bereits das Cover der ersten Nummer der Zeitschrift die Arbeit einer Dichterin, die neben Liesl Ujvary (*1939), Ilse Garnier (*1927), Elfriede Czurda (*1946) und Waltraud Seidlhofer (*1939) und im Umfeld der neuen texte zu einer herausragenden Stimme der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nach 1968 avancierte. Seidlhofers fassadentexte eröffneten 1976 auch das Prosaprogramm des 1975 aus der Zeitschrift hervorgegangenen Verlags edition neue texte, dem neben Friedrich Achleitner, Reinhard Priessnitz und Gerhard Rühm wiederum Elfriede Czurda als Lektorin verbunden war. In einem kurzen autobiografischen Text spricht Heimrad Bäcker von seinem damaligen Wunsch, „Bücher aufzulegen, die wegen der Eigenart ihres Stils sonst kaum eine Chance gehabt hätten.“ Insbesondere der vom Verleger besonders geschätzte Priessnitz (1945–1985) und seine 1978 publizierten vierundvierzig gedichte erwies sich in diesem Zusammenhang als beispielgebend für eine jüngere Generation von Schreibenden, zu der etwa Ferdinand Schmatz (*1953), Franz Josef Czernin (*1952) und Christian Steinbacher (*1960) zählen, der mit seinem von 1994 bis 2000 bestehenden Verlag Blattwerk auch editorisch auf den Spuren der neuen texte wandelte. In ihren Werken trifft die formale Strenge Konkreter Poesie auf eine von literarischer Tradition wie Gegenwart gleichermaßen inspirierte Neuerfindung poetischer Formen. Nicht zuletzt wird dabei deutlich, „wie sehr die Konkrete Poesie das Leben, die Erfahrungen des Lesers als Material verwendet. Zumindest die gute, die fette Art“, wie die Schriftstellerin Ann Cotten 2012 anlässlich von Liesl Ujvarys Dichtung der 1970er-Jahre bemerkte.
Dementsprechend verspricht auch das Verlagsprogramm der edition neue texte und der gleichnamigen Zeitschrift Einblick in ein historisches Lebensgefühl. Seine Lektüre macht auch für heutige Leserinnen und Leser einsichtig, wie unterschiedlich es um die ästhetischen Ansprüche, Arbeitsstile und Lebensverhältnisse der mit Bäckers publizistischem Tun Verbündeten bestellt gewesen sein muss. Wohl auch aus diesem Grund wurde der literaturkritischen Debatte und der Interpretation des eigenen Tuns innerhalb der neuen texte von Anfang an ein prominenter Platz zugewiesen. Bibliografien, Rezensionen und ausführliche Textanalysen bildeten einen integralen Bestandteil von Zeitschrift und Buchreihe, deren ästhetische Weiterentwicklung im Lauf der Jahre zudem bei eigens ausgerichteten Kolloquien und im Rahmen von Lesungen intensiv erörtert wurde. Mehr als ein Jahrzehnt sind seit dem Ableben von Heimrad und Margret Bäcker vergangen, viele Titel der Edition und Zeitschrift sind nicht mehr lieferbar. Dabei zeugt ihre Lektüre immer noch von einer im heutigen Kulturbetrieb selten gewordenen Konfliktkultur. Es wäre vielleicht an der Zeit, ihrem historischen Beispiel zu folgen und die gesellschaftliche Relevanz von Kunst einmal mehr zur Disposition zu stellen. Indem man das Gespräch mit ihren erklärten Feinden und Kritikerinnen sucht, stärkt man nicht nur der Kunst den Rücken.

 

Florian Huber hat am 3. Dezember die Stifterhaus-Veranstaltung „Was bleibt von 1968. Ein Abend zur Erinnerung an Heimrad Bäcker und seine edition neue texte“ moderiert.

PreisträgerInnen: Outstanding Artist Award: Fiftitu%

Grafik Oona Valarie Serbest

Grafik Oona Valarie Serbest

Seit zwei Jahrzehnten setzt sich der Verein Fiftitu für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Frauen im Kunst- und Kulturbereich ein. Die Aktivitäten umfassen neben kultur- und frauenpolitischer Arbeit, regionaler, nationaler und internationaler Vernetzung und mannigfachen künstlerischen Projekten auch Beratung und Unterstützung.

Fiftitu wurde im November mit dem Outstanding Artist Award 2018 – Kulturinitiativen des Bundes, ausgezeichnet! Die Preisverleihung fand im Bundeskanzleramt statt, der Kunst- und Kulturminister überreichte die Preisurkunde. Mit dem Outstanding Artist Award wird in verschiedenen Kunstsparten eine Auszeichnung für herausragende Leistungen an Künstlerinnen und Künstler der jüngeren und mittleren Generation vergeben.

fiftitu.at

Anschluss

Im Rahmen des Gedenkjahres 2018 präsentiert das Lentos Kunstmuseum im Untergeschoss die Schau „Anschluss“ von Tatiana Lecomte. Die österreichische Künstlerin mit französischem Pass dekonstruiert durch mehrere Kunstgriffe unseren Blick auf die Geschichte.

Tatiana Lecomte Fallschirmspringerwand 5, 2005. Foto Bildrecht, Wien 2018

Tatiana Lecomte Fallschirmspringerwand 5, 2005. Foto Bildrecht, Wien 2018

Das Untergeschoss des Lentos Kunstmuseums hat eine spezielle Architektur, durch eine in der Mitte des Raumes eingezogene Wand, die wie ein Paravent den Raum trennt; so gelangt man links und rechts jener Wand von der einen Seite des Raumes zur anderen. Eine der beiden Arbeiten von Tatiana Lecomte, die dort zu sehen sind, funktioniert analog zu dieser räumlichen Trennung. Für die Fotoarbeit, die neben dem Kurzfilm im Untergeschoss ausgestellt ist, recherchierte die Künstlerin in zahlreichen, lokalen Archiven Bildmaterial zur Zeit des Anschlusses. Linz ist bekannt für die historische Aufarbeitung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit, die seit den 1990er Jahren fortlaufend angestrengt wird, von universitärer Seite, von Archiven, von Museen. Auch wenn die wissenschaftliche Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen ist, dürfte das bisher ermittelte und aufgearbeitete Material, die Dokumente, die Fotografien, gut fundiert sein. 1938 nahm Linz nicht nur als Wirtschaftsstandort, durch die im gleichen Jahr im Linzer Süden gegründeten „Hermann-Göring-Werke“ eine strategisch wichtige Rolle ein, sondern die Stadt war von der nationalsozialistischen Führung auch als „Kulturhauptstadt des Führers“ geplant und sollte damit von Anfang an auch eine mit Wien konkurrierende Position einnehmen. In der Bevölkerung, so haben es die zeitgenössischen Fotografen damals dokumentiert, war die Begeisterung für den Anschluss jedenfalls groß. Man begrüßte die Vision der künftig herausragenden Rolle der Stadt in Oberdonau im Deutschen Reich. Heute sind etliche historische Fotografien zum Anschluss, zumindest vielen der Linzerinnen und Linzer, gut bekannt: Adolf Hitler besucht im offenen Automobil seine Heimatstadt, Menschen stehen Spalier, der Aufmarsch, Jubel, Hakenkreuze in den Fenstern.

Unerwartete Projektionsflächen
Bei ihrer Arbeit in den Archiven entwickelte Tatiana Lecomte, wie sie im Interview erklärt, die Idee der Aufspaltung von Bild und Zuschreibung. Das mit der räumlichen Aufteilung im Untergeschoss des Lentos umgesetzte Auseinanderdividieren von Foto und Bildlegende erzeugt nun andere Gewichtungen, fordert bei den BetrachterInnen neue Assoziationen heraus. Denn durch die Trennung des Bildes von seinem ursprünglichen Begleittext, wie Beschriftungen und Informationen über Entstehungsjahr und FotografIn, die in einem Archiv systematisiert und betitelt sind, wirkt diese Trennung von Bild und Information nun in der Kunstausstellung wie nonverbale Kommunikation, zwischen den Zeilen, zwischen den Räumen, zwischen freiem Ermessen von Bedeutung und Einschätzung.

Neben dem recherchierten Fotomaterial hat Tatiana Lecomte auch selbst an unterschiedlichsten Schauplätzen fotografiert und kombiniert ihre Fotoserien mit dem historischen Material als eine Gesamtheit, die in neunundzwanzig Bildtafeln gehängt ist. In der Ausstellung sind dabei aber keine Originalbilder zu sehen, sondern Kopien davon. Diese künstlerische Entscheidung wirkt wie ein Layer und erzeugt Distanz vor dem eigenen wissenden Blick.

Von der Not des Geräuschemachers
Auch der Kurzfilm „Ein mörderischer Lärm“, ein Zeitzeugengespräch von Tatiana Lecomte mit Jean-Jacques Boijentin, wird durch einen dekonstruktivistischen Eingriff ästhetisch eindringlich. Er ist damit kein Zeitdokument im wissenschaftlichen Sinn mehr, sondern wird zum Kunstprodukt. Lecomte, die sich selbst als österreichische Künstlerin bezeichnet, hat über ein anderes Projekt Kontakt zum Zeitzeugen Boijentin erhalten. Da Lecomte selbst nahe dem ursprünglichen Wohnort von Herrn Boijentin aufwuchs, war dies eine Zufälligkeit, die einen Einstieg in das schwierige Unterfangen erleichterte. Gemeinsam mit einem Kameramann und einem Geräuschemacher versuchten die Beteiligten des Filmdrehs, die Geschehnisse im Arbeitslager Gusen II zu rekonstruieren. Den Geräuschemacher beauftragte die Künstlerin, um mit dem Klang, der sich ähnlich unmittelbar auswirkt wie der Geruchssinn, das Erlebte von damals akustisch zu interpretieren. Jean-Jacques Boijentin musste, nachdem er von der Gestapo in Mussidan, einem kleinen Dorf im Südwesten Frankreichs am 16. Jänner 1944 verhaftet und zunächst nach Buchenwald, dann Mauthausen und schließlich nach Gusen verschleppt wurde, Zwangsarbeit beim Bau des unterirdischen Flugzeugwerks „B8 Bergkristall“ leisten. Die Elektrizität hat mir das Leben gerettet, sagt Boijentin, der Elektriker war, im Interview. Boijentin ist dabei ein professioneller Erzähler, der jahrzehntelang auch als Zeitzeuge in Schulen engagiert war, seine Geschichte an die junge Generation zu vermitteln. Tatiana Lecomte erklärt, sie hatte bei der Zusammenarbeit den Eindruck, Boijentin erzählte nicht seine Geschichte, sondern er erzählt seine Erzählung nach, was ihm zugleich eine Distanz erlaubte, über die schrecklichen Ereignisse sprechen zu können, ohne zu weinen. Es war Sommer, die Dreharbeiten fanden in Korsika statt, wo Boijentin, der kurz nach Erscheinen des Films verstarb, noch seinen Lebensabend bei seiner Tochter verbrachte. Ein Zeitzeugengespräch im Sonnenschein. Und ein Geräuschemacher, der zu leiden beginnt. Wie klingen Steine auf Körpern? Wie klingt ein tiefer Fall? Aus den längst stillgelegten Stollen dröhnt mit dem Film „Ein mörderischer Lärm“ in die Gegenwart hinein.

 

Ausstellungsdauer: bis 6. Jänner 2019

Die Publikation zur Ausstellung wird am 6. Jänner 2019 bei einer Matinee im Lentos präsentiert.

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PreisträgerInnen: Käthe Leichter-Staatspreis: Gitti Vasicek

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Die Künstlerin, Aktivistin, Professorin für Zeitbasierte Medien am Institut für Medien der Kunstuniversität Linz, Gitti Vasicek, wurde Anfang Oktober 2018 mit dem Käthe Leichter-Staatspreis geehrt. Der Käthe Leichter-Staatspreis wird für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der Frauen- und Geschlechterforschung in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen verliehen.

Statt einer Rede hat Gitti Vasicek das Werk unbezahlte hausarbeit sprechen lassen: Diese 98 Gramm geschredderte Geldscheine entsprechen dem Wert eines mittleren Einkommens eines männlichen Erwerbstätigen in Österreich.
Das sind 3.068,– Euro.
Dies entspricht dem Betrag, den Menschen – zumeist Frauen – die Hausarbeit leisten, nicht bekommen.
Zulagen für Nacht- und Wochenenddienste bei Kinderbetreuung und der Mehraufwand an Hausarbeit bei Karriereaufstieg des Partners sind in dieser Summe nicht eingerechnet. Es leiten sich auch keine Pensionsansprüche ab. Dieses Objekt symbolisiert den Gegenwert monatlich geleisteter, unbezahlter Hausarbeit in Österreich.
Dieses Objekt steht für die Feminisierung von Armut, vor allem auch im Alter.