Ein paar Liebeserklärungen

Normalerweise rant’ ich ja hier herum, lästere, schimpfe und beklage, wie grausig und schlimm alles ist und ja, da gäbe es auch Ende 2018 genug zu schreiben. Und doch ist mir an diesem grauen Novembervormittag eher danach, zu loben und zu herzen und diese Kolumne all den großartigen Frauen zu widmen, die sich aktuell zu Wort melden, schreiben, sich solidarisieren und – an der Weltrevolution arbeiten. Das wird hier keine Liste mit Namen, weil das ohnehin Unfug wär und sie niemals vollständig sein könnte. Aber eine Liste mit Beispielen, wie es gehen kann und von denen sich jede hier bei Bedarf etwas abschneiden kann, die geht sich aus: Da wären als erstes die vielen Journalistinnen, die täglich oder wöchentlich um Zeichen und Zeilen kämpfen, und darum, Filme, Stücke oder Bücher von Frauen nicht mit Schlagwörtern wie „geballte Frauenpower“ oder ähnlichen Exotismen versehen zu müssen. Sie schaffen Bewusstsein, dass arbeitende, schaffende Frauen nicht die Ausnahme, sondern die Regel sind – wenngleich sie das allzu oft selbst aus der Position einer Ausnahme tun, wenn es etwa um leitende Positionen innerhalb dieser Medien geht. Wer zählt die Witzchen, anstößigen Scherzchen und schiefen Blicke in all den Redaktionssitzungen vergangener Jahrzehnte, die sie ertragen mussten und müssen, wenn es um „Frauenthemen“ geht oder auch darum, die gleiche Länge und Sendezeit für Rezensionen oder Portraits über Künstlerinnen oder Autorinnen zu erhalten, wie sie männlichen Vertretern der Genres offenbar und unbegründet zustehen?
Da wären als nächste die Intendantinnen, die Regisseurinnen, die Dramaturginnen – die für Sichtbarkeiten und Hörbarkeiten sorgen, wenn es um Stücke von Dramatikerinnen geht. Denn, wie es erst kürzlich eine Journalistin in einer Podiumsdiskussion zum Thema und am Beispiel des niederösterreichischen Landestheaters und der dortigen Intendantin beschrieb: (…) „dann tauchen plötzlich – oh Wunder! – Stücke von Frauen im Spielplan auf, nach denen davor wohl niemand gesucht hat“. 8 von 15 Inszenierende sind dort übrigens weiblich. In Karlsruhe kündigt die dortige – seit Herbst 2018 – Intendantin an, überhaupt nur noch Regisseurinnen zu engagieren und erntet prompt Sexismusvorwürfe. Wie gut, dass wir alle die Jahrzehnte nicht darüber diskutieren mussten, ob es sexistisch ist, ausschließlich männliche Regisseure zu engagieren. Das war nämlich GOTTGEGEBEN. Da sind die vielen Galeristinnen, Veranstalterinnen, Buchhändlerinnen, die dafür sorgen, dass schreibende, performende, künstlerisch tätige Frauen sichtbar werden. Jene sind schließlich die ersten, die wieder nach Hause oder in genrefremde Teilzeitjobs geschickt werden, wenn es in Zeiten der Krise um Arbeitsplatzsicherung (für Männer natürlich, die verdienen schließlich mehr – finde das Paradoxon) geht und „die Frau dann halt ihr Hobby“ aufgeben wird müssen. Zugunsten der Kindererziehung, weil ja eh kein Verlag verlegt, was sie schreibt, weil ja eh keine*r die Performance sehen will, wenn nicht der viel berühmtere Partner auch noch auftritt etc. Das ist alles so dumm, dreist und derb. Und darum braucht es noch viel mehr Frauen, die Infrastrukturen zur Verfügungen stellen (können).
Als nächste herze und küsse ich all die unermüdlichen Bloggerinnen, die – zum allergrößten Teil unbezahlt – sich Tage und Nächte um die Ohren schlagen, um möglichst rasch und präzise all die Ungeheuerlichkeiten auf der Welt und in Österreich mit Texten und Kommentaren zu versehen, zu analysieren und zu erklären. Jene, die dafür sorgen und zeigen, dass unermüdliches Sich-zu-Wort-Melden nichts mit unreflektiertem und unqualifiziertem Rauskotzen zu tun haben muss, jene, die – eben weil sie so gut und genau recherchieren – zur Zielscheibe rechter, sexistischer, rassistischer Trolle werden. Abonniert ihre Blogs, lest ihre Blogs, folgt ihnen auf Twitter oder sonst wo! Und zahlt ein in Fonds, die gebraucht werden, um eben jene mutigen Frauen zu schützen, wenn wieder ein rechter Recke sich bedroht fühlt und sie mit abstrusen Klagen eindeckt!
Fette Umarmungen an all jene Frauen, die erkannt haben, dass solidarisch sein über Grenzen von Geschlechterkonstruktionen, Ideologien, Parteien oder anderen Zugehörigkeiten hinweg tausendmal wichtiger ist (und auch erfolgreicher macht) als kleingeistiges Getue. Dann, wenn Männer sich in ihre engen Grenzen und Räume zurückziehen, unter sich bleiben wollen oder den Drang verspüren, sich in unendlichen basisdemokratischen Bauchkrampfdiskussionen darzustellen, sind sie längst draußen, auf der Straße, demonstrieren, fordern und feiern. Vor allem letzteres und generell der nächtliche öffentliche Raum sind ja eher nichts für männliche Selbstdarsteller, wie wir wissen. Küsse an all jene Frauen, die immer schon gewusst haben, wie wichtig es ist, über Generationen hinweg solidarisch und feministisch zu sein: die Zeiten sind vorbei, in denen zu akzeptieren war, dass wir uns in jeder Generation von neuem Rechte erkämpfen müssen – keep them busy – dieses Spiel spielen sie längst nicht mehr mit. All die Lehrenden, Professorinnen, Chefinnen, die keine Angst vor jungen Mitarbeiterinnen haben, sondern sie ganz im Gegenteil an ihren Errungenschaften und Erfahrungen teilhaben lassen, um sie wachsen zu lassen, all jene, die zeigen, dass hierarchische Strukturen, die nur auf Abhängigkeit, nicht aber auf Eigenständigkeit zielen uns gesamtgesellschaftlich einfach nie weiterbrachten – seid geküsst.
Und schließlich die fettesten Liebeserklärungen an all jene Freundinnen, die dich nicht untergehen lassen, die dich auffangen, die dich füttern und mit Glück versorgen, wenn du es brauchst, die dich aufbauen, dir Komplimente machen, dir Lippenstift schenken und vor allem mit dir „marodierend durch die Straßen ziehen“ (© JP) – bleibt alle, was ihr seid: großartig.

Die Manuskripte des Ernst F. Brod

1901 geboren und im niederösterreichischen Erlauf lebend, verließ Ernst F. Brod bereits 1934 das Land. Die Künstlerin Heidi Schatzl hat aus einer Biographie, die noch vor dem ersten Weltkrieg in Erlauf beginnt und nach Stationen in Paris und der Türkei in die USA führt und weit bis in die Nachkriegsjahre des zweiten Weltkrieges reicht, ein Buch in Form einer Box gestaltet. Pamela Neuwirth hat sich die Geschichte angeschaut.

Einer von vielen Schauplätzen der Geschichte und als zeitgeschichtliches Moment zum Cover der Box geworden: Der junge Erlaufer, der dem Hund die Wehrmachtsuniform angezogen hat, ist noch kurz vor Kriegsende desertiert. Foto Anton Höller, Privatarchiv G. Harrauer, geb. Höller

Einer von vielen Schauplätzen der Geschichte und als zeitgeschichtliches Moment zum Cover der Box geworden: Der junge Erlaufer, der dem Hund die Wehrmachtsuniform angezogen hat, ist noch kurz vor Kriegsende desertiert. Foto Anton Höller, Privatarchiv G. Harrauer, geb. Höller

In den letzten zehn Jahren seines Lebens hat Ernst F. Brod in einer amerikanischen Universitätsbibliothek recherchiert und ein 2000-seitiges Manuskript als historisch-biographisches Zeitdokument hinterlassen. Brods Tochter Charlotte E. El-Shabrawy, die in Kairo lebt und dort einen Teil des Nachlasses ihres Vaters verwaltet, berichtet im Interview mit Heidi Schatzl über einen Schreibprozess, der eigentlich bereits nach dem Krieg begonnen hatte und zwar genau am zweiten Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Doch erst nachdem Ernst F. Brod pensioniert war, setzte sich im Exil sein disziplinierter und umfassender Recherche- und Schreibprozess in Gang: “He would get up in the morning; his schedule was: breakfast prepared from my mother, then up to the library – the University of California Library, fabulous – he researched all morning. Then he returned home, had lunch, took a little rest and was on the typewriter, writing one thing after another from the book to correspondence to journals. There were letters and inquiries of what happend there; he was in contact with numerous people, from Erlauf, from Vienna, and other locations (…) Next day the same thing.”

Das Original-Manuskript ist heute nicht mehr vorhanden. Die Kopien befinden sich jedoch bei Brods Kindern in den USA, in Australien und in Kairo. Für das unter anderem vom Zukunftsfonds der Republik Österreich geförderte Projekt „The Examined Life / Das geprüfte Leben“ nahm sich Heidi Schatzl, die ihre Arbeitsweise als an der Schnittstelle Raum, Kunst, Forschung beschreibt, des biographischen Materials an. Entstanden sind 15 Hefte sowie ein Band mit Essays zum Leben des Ernst F. Brod, die als Box im Wiener Mandelbaum Verlag publiziert worden sind. Der Fundus aus Kopien, die den Nachlass ausmachen, wurde von Schatzl unverstellt zu einem Kompendium aus den Erinnerungen des Ernst F. Brod, den zeitgeschichtlichen Tatbeständen und dem zahlreichen Fotomaterial zusammengefügt. Der Brod’sche Text blieb komplett ohne jeden redaktionellen Eingriff, nur die inhaltlichen Zusammenhänge wurden von Schatzl neu geordnet. Das gibt der ursprünglichen Fassung eine Metaebene, die den Zugang zu komplexen historischen Ereignissen und Zusammenhängen erleichtert. Dass dabei eine neue Chronologie entstanden ist, verraten die einst von Brod bezifferten Blätter, die nun, geordnet als Kapitel, in den Seitenzahlen „springen“. Schließt ein Kapitel, so passiert das unvermittelt. Manches Kapitel endet so mitunter mitten im Satz, einer im Laufe der 1960er und 70er Jahre von Brod an der Schreibmaschine verfassten Manuskript-Seite. Das hat den dramaturgischen Effekt, dass sich die Biografie von Brod, nun zwar aufgeteilt in Hefte, wie ein Gedankenstrom liest, der sich ja erfahrungsgemäß nur bedingt chronologisch verhält, sondern eigenen Sinn- und Bedeutungszusammenhängen folgt. Das von Heidi Schatzl verwendete Recherchematerial taucht jetzt also als Faksimile vor der LeserInnenschaft auf – als gedruckte Form der digitalen Kopien der Kopien: Spuren der Reprotechnik sind gelungen in die Publikation überführt worden und bleiben ersichtlich; die vorliegende Form klassifiziert Heidi Schatzl als dirty layout.

Sterben in Erlauf …
… wo man glauben sollte die Leute leben ewig, weil es dort so schön ist.

Ernst F. Brod (1901–1978) erzählt Geschichten von „Liebe“, „Deportation“ und „Wiedergutmachung“ (Kapitel 10, 11 und 12), von „Raubmord“, „Emigration“ und „Ursache“ (Kapitel 13, 14 und 15). In seinen Erinnerungen tritt seine Kindheit und Jugend vor den politischen Umbrüchen und vor zwei Weltkriegen in den Hintergrund. Retrospektiv betrachtet hat Ernst F. Brod wohl seine fortwährende Skepsis vor dem Schlimmsten gerettet. Die Skepsis scheint vital und in ihm verwurzelt gewesen zu sein und war ganz sicher ein unangenehmes Lebensgefühl, das ihm auch die Familie nicht nehmen konnte, die angesichts der staatlichen Gewalt, als Rechtsstaatlichkeit und überhaupt jedweder Staatsvertrag längst abhandengekommen waren, realistisch betrachtet keinen Schutz aufbieten konnte. Auch nicht die Abgeschiedenheit von Erlauf und auch nicht die Versprechungen von Demagogen haben Brod jemals annehmen lassen, der Frieden wäre sicher. Vielmehr nahm Brod die Zerrüttungen im vertrauten Erlauf wie im nahen Wien seismographisch wahr. Die Studenten wurden in Wien bereits in der Zwischenkriegszeit nach politischer wie ethnischer Zugehörigkeit separiert. Bei Brod klingen solche Aufzeichnungen keineswegs nach einer absurden Anekdote, wenn er, obwohl er jüdischen Bekenntnisses war, den „Studenten-Baracken für Kommunisten“ zugeteilt wurde. Er konnte an den Ereignissen die Vorzeichen erkennen. Umwege, Fluchtrouten und Arbeitsreisen führten ihn schließlich an die unterschiedlichsten Orte. In ein Moskauer Mausoleum zu Lenins Leichnam. An die Baustelle des Parlaments in Ankara, wo Arbeiter und Ingenieure wie auch Brod selbst unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen die Pläne des Architekten Clemens Holzmeisters ausführten. Brod lebte eine Weile in der Kommune der pazifistischen Quäker in Paris, wo er 1937 bei der Weltausstellung als Übersetzer tätig war und seine spätere Frau kennenlernte. Kafkaesk liest es sich, dass ein einzelner Buchstabe auf die Bürokratie zwischen den zerkriegten Nationalstaaten und deren Bündnispolitik verweist: erst durch ein helfendes Scharmützel des Vikars Roncalli, der später zum Papst Johannes XXIII ernannt wurde, konnte mit dem beigefügten „F.“ in Brods Namen, die Heirat im türkischen Exil ermöglicht werden. Dass sich Ernst F. Brod bereits als junger Mensch nirgends sicher fühlte, sollte ihm zwar letztlich das Leben retten – als der Nazi-Terror ohne Verspätung längst auch über Erlauf hereingebrochen war. Doch das dominante Gefühl der Unsicherheit hatte ihn schon viel früher von seiner Familie getrennt, von seinem Bruder und der Mutter, die allgemeine destruktive Kräfte nicht erfassen und an die Zerstörung ihres Lebens in Erlauf nicht glauben konnten und seinen Warnungen misstrauten. Auch als das Textilgeschäft der Brods mit „Jude“ beschmiert wird, reagiert die Mutter zwar perplex, doch letztlich mit Unglauben. Bedauerlicherweise gelang es Ernst F. Brod nicht, seine Familie zu alarmieren und seinen Bruder und die Mutter zur Flucht vor der nationalsozialistischen Bedrohung zu bewegen. Ihre Spuren verlieren sich in einem Konzentrationslager bei Riga.

Lady Liberty in Dismaland
Kein politisches Zeitdokument steht je für sich allein, selbst wenn ihm ein offensichtlicher Kontext oder ein zeitgenössischer Anknüpfungspunkt fehlt, sondern es verweist als Zeugnis inhärent auf jene Ursachen und weiteren Zusammenhänge, die es erst notwendig gemacht haben. Was in Brods Biografie deutlich hervortritt, ist der appellative Charakter seiner Schrift. Dieser Appell geht auf zwei Bedingungen zurück: dem Benennen von Ungerechtigkeit und die Frage des Humanismus. Diese Bedingungen sind zeitlos, weil sie niemals als gesichert angesehen und sozusagen als ad acta behandelt werden, sondern es sind zivilisatorische Grundbedingungen, die in der Gemeinschaft bzw. fortlaufend durch gesellschaftliche Bestrebungen, erst Relevanz erhalten können. Was das Thema der Ungerechtigkeit betrifft, wie sie Brod anführt, ist es interessant, da Ungerechtigkeit nicht aus einer persönlichen Perspektive aufgezeigt wird, sondern in rechtlichen Rahmenbedingungen. Er zeigt auf, wie nach dem Zweiten Weltkrieg die versuchte, gesellschaftliche Wiedergutmachung misslingt, da per staatlicher Entscheidung, diese juristisch und sozusagen im Kern, verunmöglicht worden ist: Nationalsozialistische Richter waren nach dem Krieg selbstverständlich nicht imstande, gerechte Verhandlungen über Reparationszahlungen zu führen. Am Beispiel des arisierten Hauses seines Bruders wird deutlich, wie Gerechtigkeit durch diese Richter über Jahrzehnte hinweg vereitelt wurde. Neben dem fundamentalen Problem der Wiedergutmachung unter Nazi-Richtern stellt Ernst F. Brod den Humanismus grundsätzlich zur Disposition: Unterlassende Hilfeleistung wäre im Gesetzbuch ein Straftatbestand. Doch hatte und hat die Genfer Flüchtlingskonvention, die nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen wurde, im Verbund mit den einzelnen Nationalstaaten leider nie den Rechtsschutz aufbieten können, auf den die Menschen auch vertrauen könnten. Auch die später von Brod erinnerten Bilder an die Freiheitsstatue auf Liberty Island bei New York zeigen sich brüchig, sind mehr ein Abgesang auf den einmal gutgemeinten Koloss an der Küste: „Und an die Stelle von Prinzipien, wozu auch gehörte den Bedrängten und Verfolgten zu helfen, und für das Recht der Unterdrückten einzustehen, ist eine grosse Zweckmässigkeit getreten, damit nicht die Menschen in das Land kommen.“

 

Heidi Schatzl hat das Buch „Die Manuskripte des Ernst F. Brod“ in Form einer Box gestaltet. Diese enthält in einer Serie von 15 Heften eine Auswahl der getippten Manuskripte und gibt Einblick in private Fotoalben und Archive. Die bisher unveröffentlichten insgesamt 2.000 Seiten seiner Autobiographie erzählen vom Zusammenleben im Dorf, von Antisemitismus, Flucht, Ermordung und Restitution, im Besonderen aber von seiner Verbundenheit zu jenem Dorf Erlauf, in dem Brods Familie keinen Schutz fand. Beigelegt ist ein weiteres Heft mit wissenschaftlichen Beiträgen, darunter ein Gespräch mit Ernst F. Brods Tochter, sowie die musikalische Interpretation von Brods Lebensgeschichte durch das Roman Britschgi Quartett auf CD. (Auszug Verlagstext)

 

Heidi Schatzl – Die Manuskripte des Ernst F. Brod
368 Seiten, Box mit 16 Heften und 1 CD
Mandelbaum Verlag, 2018

Die kleine Referentin

RZreferentin#14

„… eine winterharte und dreckige Art von Weisheit“

2016 veröffentlichte Donna Jeanne Haraway bei der „Duke University Press“ ihr Buch „Staying with the Trouble. Making Kin in the Chtulucene“. Lisa Spalt über das von Karin Harrasser nun ins Deutsche übersetzte Buch und eine Veranstaltung in der Gesellschaft für Kulturpolitik.

Das Chthuluzän in der gfk. Foto Reinhard Winkler

Das Chthuluzän in der gfk. Foto Reinhard Winkler

Der Text „Staying with the Trouble. Making Kin in the Chtulucene“ ist mit seiner eigenen Begrifflichkeit eine Herausforderung für die Lesenden, er war eine solche bestimmt auch für die Übersetzerin, Prof. Karin Harrasser, die an der Universität für bildende Kunst in Linz im Bereich Kulturwissenschaften lehrt und nicht nur dort Fäden zwischen Kunst und Wissenschaften webt. Eben ist das von ihr fulminant ins Deutsche übertragene Buch unter dem Titel „Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“ erschienen. Und so gab am 6. November die Gesellschaft für Kulturpolitik in Zusammenarbeit mit dem Kepler Salon einer Veranstaltung zum Thema eine Plattform. Zu sehen war zunächst der Porträtfilm „Donna Haraway“ von Patrizio Terranova (2016) – für alle, die die Gelegenheit verpasst haben: Er ist auch auf Vimeo zu sehen und sei unbedingt empfohlen. Die Grundzüge der Haraway’schen gedanklichen Fadenspiele sind darin gut zusammengefasst. Eine Skype-Schaltung ins Central machte es bei der Veranstaltung allerdings auch möglich, Haraway für ein Gespräch mit Prof. Harrasser und dem Publikum nach Österreich zu projizieren. Einen großen Dank an alle, die auf diese Weise eine Begegnung mit der außergewöhnlichen Autorin des Buches möglich gemacht haben!

Das Buch also – eine Herausforderung: eine Herausforderung vor allem für eine von den politischen und (a)sozialen Entwicklungen weichgeklopfte Menschheit, die immer öfter bereit zu sein scheint, ihre zunehmend unverbundenen Individuen (der Begriff ist bei Haraway nicht unbedingt positiv konnotiert) in das Reißwolfgebiss scheinbar einfacher Antworten zu werfen. Aus Angst vor der Anstrengung, vor der Komplexität, aus Fatalismus?

Wir leben, so Haraway, in der Zeit des „großen Zauderns“, einer „Zeit unproduktiver und weitverbreiteter Angst“, die unter anderem durch Umweltverschmutzung, Klimawandel, soziale Desintegration, Kriege und Migration ausgelöst wird.

Ich fühle mich unweigerlich an die in den letzten Jahren im Bekanntenkreis so häufig auftauchenden Aussagen erinnert, nach denen es sowieso zu spät für alles sei, Einzelne sowieso nichts ändern könnten, sowieso wieder ein Krieg vor uns liege, es sowieso keine seriösen Medien gebe etc.

Diese Art von Ausweg erlaubt uns Haraway nicht. Den Lemming könnte man nach der Lektüre dieses Buches definieren als einen „Kritter“ (zu dem Begriff später), der es sich ganz einfach zu leicht macht.

Haraway dagegen ist Naturwissenschaftstheoretikerin, Feministin, aber auch Science-Fiction-Fan, und sie ist (daher) Optimistin – nicht im Sinne eines „es wird“, sondern im Sinne eines „es könnte sein“. Ihrer Meinung nach ist es eine Frage des Überlebens, endlich neue Geschichten zu erzählen, um einen neuen Umgang mit der Welt zu finden. Die Autorin bezieht sich in dieser Hinsicht explizit auf den wunderbaren Essay „The Carrier Bag Theory of Fiction“ der Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin, der Ihnen hiermit ans Herz gelegt sei. Er hätte durchaus das Potenzial, die Herangehensweise der (westlichen) Menschheit an die Welt zu verändern. Le Guin bietet uns eine Alternative zu dem überkommenen Mythenmodell, das sich um den Weltretter-Helden rankt. Alles, was in der Heldengeschichte vorkommt, ist nach Le Guin für diesen nur Mittel oder Hindernis auf dem Weg zu seinem Ziel, Staffage. Der Gegenstand, der in der Heldengeschichte den Anfang des Menschseins markiert, ist die Waffe. Wir erinnern an dieser Stelle mit Le Guin Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“, die pilzartig wuchernden Ego-Shooter, aber auch den allenthalben aufstehenden „Helden“ in der Politik, der mit harter Hand Ordnung zu schaffen verspricht. Getreu dem alten Muster wird die Geschichte ja dann auch noch geglaubt. Le Guin dagegen bietet uns in ihrem Essay aus dem Jahr 1986 den Beutel und die Höhle als Bezugspunkt für neue Geschichten an. Wie Haraway im Publikumsgespräch am 6. November ausführte: Zuerst war eben nicht die Waffe, da waren der Mutterleib und der Beutel für die gesammelte Nahrung. Ohne Tasche keine Ernte, ohne Höhle kein Unterschlupf. Das ist der Beginn der Zivilisation, den wir aus unerfindlichen Gründen zu verachten gelernt haben.

Haraways Buch dagegen ist eines voller Taschen. Ihre Geschichten folgen klebrigen Fäden durch die Welt, bis jene sich zu Behältern wölben, sie tragen neue Sichtweisen mit sich, in ihren Begriffen haben unerhörte Gedankengänge Platz. So stecken in dem Kürzel SF, den Haraway als einen Container vorschlägt, um in unruhigen Zeiten unruhig bleiben und den unübersichtlichen Gegebenheiten begegnen zu können, die Science Fiction, der spekulative Feminismus, Science Fantasy, Science Facts und String Figures, das ihr so wichtige Spiel mit Fadenfiguren. Wenn man sieht, wie Haraways Finger beim Reden in Bewegung sind und den Redefluss formen, darf man vielleicht erkennen, dass das Fadenspiel bei ihr mehr als eine Metapher ist. Wir können, so die Autorin, in der derzeitigen Situation nichts tun, als die jeweilige Konstellation des Spiels, wie es uns von anderen gereicht wird bzw. wurde, übernehmen und sehen, dass wir es weiterentwickeln. Revolution als Neuanfang zu sehen, sieht sie als den ständig wiederholten Fehler jeder Erhebung: Es gilt, mit dem Geerbten umzugehen, zu trauern und in Bewegung zu bleiben. Besonders wichtig ist ihr in dieser Hinsicht, das Erbe des Kolonialismus anzunehmen und endlich eine Dekolonialisierung anzugehen, die den Namen verdient, also Natives nicht wieder vereinnahmt und in eine passive Rolle drängt. Als ein gelungenes Beispiel nennt sie im Buch das Weltspiel „Never Alone“, dessen Entstehung Haraways Gedanken der Sympoesis entspricht: Das „gemeinsame Werden“ ist für sie die Möglichkeit, den Unrechtsstrukturen zu begegnen. An „Never Alone“ wirkten denn auch indigene Geschichtenerzähler*innen, Spieldesigner*innen, bildende Künstler*innen, Jugendliche und Aktivist*innen mit. Im Gegensatz zum kolonialistischen Modell, das in die Fremde reitet, um dort Güter zu extrahieren und Strukturen zu zerstören, entwickelte man das Spiel und sich hier gemeinsam.

Gemeinsames Werden ist also, was das Buch von uns verlangt. Nach Haraway ist es nämlich nicht Zeit für einen wie auch immer gearteten Posthumanismus, sondern für das Zeitalter der „Kompostisten“. Nicht vom lateinischen „homo“ für Mensch leitet sie das Humane her, sondern vom „Humus“. Wir müssen uns „zusammensetzen“, wenn wir eine neue Praxis erfinden wollen, um „beschädigte Orte zu reparieren und das Gedeihen artenübergreifender Zukünfte zu unterstützen“. Haraway meint mit dem Gemeinsamen nicht etwa nur die Menschheit, sondern bezieht alle „Kritter“ (Lebewesen und Cyborgs) in die Geschichte ein. Die ungehemmte Ausbreitung der Menschen, welche (auch) nicht-menschliche Kritter in Mitleidenschaft zieht, muss daher eingeschränkt werden. Dabei plädiert Haraway keineswegs für fragwürdige politische Maßnahmen, sondern für die bewusste Entscheidung von Menschen für oder gegen Kinder. Sie schlägt als Motto für eine neue Welt den Slogan „Macht euch verwandt, nicht Kinder“ vor, meint damit aber nicht etwa, dass keine Kinder mehr gezeugt werden sollten, sondern dass es zuerst gelte, daran zu denken, wie wir mit den bereits existierenden Menschen ein gutes Leben und Sterben bewerkstelligen könnten. In ihrer, das Buch abschließenden, Science-Fiction-Geschichte „Camille“ heißt das: Migrierende, die die Regeln akzeptieren, bleiben, es werden absichtlich kaum Kinder gezeugt, die überdies jeweils mindestens drei Elternteile haben. Und um die Handlungsspielräume zu verändern, integrieren viele dieser Kinder Gene wandernder Arten. Ziel ist ein Unruhigbleiben, welches das Weitergehen der Welt ermöglicht. Die Geschichten von Camille sind verstörende, Hoffnung gebende Gleichnisse. Wenn Haraway davon spricht, dass nur neue Geschichten uns helfen können, den Status quo zu überwinden, dann sind diese vielleicht dazu angetan, ein anderes Denken zu probieren, das für eine neue Zeit geeignet sein könnte.

Haraway leitet für diese Zeit den Begriff Chthuluzän vom Chtonischen, dem Erdbezogenen, her. Das soll nun nicht darauf hinweisen, dass sie eine Freundin der Pauschalierungen und der naiven Zukunftsmalerei wäre, die sich in einer schönfärberischen Naturvision erginge. Sie wendet sich klar gegen die üblichen Alles-hängt-mit-allem-zusammen-Sprüche. Ihr ist der konkrete Bezug wichtig, in dem auch konkret Verantwortung getragen werden muss: Alles hängt mit etwas zusammen, und dieses Zusammenhängen geschieht zwischen den Partner*innen auf unterschiedliche Weisen. Mit der belgischen Philosophin Vinciane Despret erlaubt Haraway es uns auch nicht, über irgendwelche „die da“ einfach zu Gericht zu sitzen. Sie verlangt, dass wir uns gegenüber allen verhalten, als wären wir auf Besuch: Wir sollten versuchen, höfliche Fragen zu stellen, die das Gegenüber interessant findet, und damit eine gemeinsame Entwicklung in Gang zu setzen. In Beziehungen gibt es ihrer Meinung nach nämlich keine Individuen, die der Beziehung vorausgingen, in Beziehungen entwickelt und ist man miteinander, aber man ist nie unschuldig. Am Ende der Haraway’schen Utopie steht also kein flurbereinigtes, rosafarbenes Weltmodell. Jeder Zustand ist einer, in dem vieles mit vielem in Beziehung steht, wobei sich die Beziehungsfäden irgendwie am Ende zum Weltganzen verweben, das immer Ungerechtigkeiten und Unglücke beinhaltet. Gefragt sind daher die „Künste des Lebens auf einem beschädigten Planeten“, ein gemeinsames, unruhig bleibendes Werden, das versucht, besser zu werden. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, sagte einst Karl Valentin. Donna Haraway meint, wir bräuchten, um diese Künste des Lebens auszuüben, „eine winterharte und dreckige Art von Weisheit“.

 

Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän
Von Donna J. Haraway
Campus Verlag
Aus dem Englischen von Karin Harrasser

Porträt „Donna Haraway“ auf Vimeo: vimeo.com/188121629

Bild einer Ausstellung

Bild Paul Kranzler und Andrew Phelps

Bild Paul Kranzler und Andrew Phelps


Paul Kranzler / Andrew Phelps: THE DRAKE EQUATION

In der Landesgalerie wurde Anfang November die Ausstellung „The Drake Equation“ eröffnet. Wir zitieren den Text zur Ausstellung: „In der National Radio Quiet Zone in West Virginia gibt es weder Handys noch Radios. Strahlenflüchtlinge, Astrophysiker und Bärenjäger treffen um das Green Bank Telescope aufeinander. In einer beeindruckenden Fotoserie porträtierten Paul Kranzler und Andrew Phelps eine außergewöhnliche Gegend und ihre BewohnerInnen.“
Diese Fotos sind bereits zu Beginn dieses Jahres als Buch „The Drake Equation“ erschienen. Anlässlich dessen hat Lisa Spalt bereits für die Referentin #12 ein Text zur Publikation von Paul Kranzler und Andrew Phelps verfasst.

 

Zum Referentinnen-Text von Lisa Spalt: playground233.servus.at/the-drake-equation

Ausstellung: „The Drake Equation“
Landesgalerie Linz
Noch bis 24. Februar 2019

Von Harpyien, Menschen und anderen Tieren

Schon beim ersten Blick auf Teresa Präauers neues Buch wird klar: Wir haben es hier mit einem Mischwesen zu tun. Ines Schütz über Tier werden von Teresa Präauer.

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Der Einband scheint aus Fell zu sein, blau-rotbraun gefleckt. Kein Leopard, kein Jaguar – aber eindeutig Fell, fast möchte man es im Drüberwischen ein klein wenig streicheln. Klappt man den Umschlag dann auf, schimmern unter dem Fell Schmetterlingsflügel hervor, zeichnet sich im Fell das Muster von Schmetterlingsflügeln ab, so genau lässt sich das nicht sagen. Als „Schreckzobel“ wird das, was wir in Händen halten, ausgewiesen, und spätestens jetzt, in den Händen, fühlt sich der Einband freilich glatt an. Darunter oder dazwischen ein Essay mit dem Titel Tier werden und während man noch überlegt, wie das, ob das überhaupt gehen kann, hört man den Text schon: „Am offenen Fenster sitzend höre ich die Geräusche, die von draußen hereinkommen. […] Im Nachbarhaus beginnt ein sehr kleines Kind zu quengeln, und je länger es jammert, umso stärker verwandelt sich sein Weinen sonderbarerweise in das Singen eines Kuckucks, das die Kinderstimme bald ganz übertönt.“

Diese Menschen-Vogelstimme klingt noch im Ohr, da führt einem der Text schon ein Bild vor Augen, eine Harpyie, die unter anderem in der Aeneis eine nicht unbedeutende Rolle spielt. In einer Naturkunde aus dem 17. Jahrhundert hat dieses Mischwesen, so Präauer, „ein skeptisches, nicht unfreundliches Gesicht und trägt eine Frisur aus langen buschigen Locken, die, leicht hinters Ohr geschoben, bis zur Mitte des Körpers reichen – zur Mitte eines Vogelkörpers nämlich, dessen helles Gefieder zum Rücken hin dunkler und dichter wird.“ Dass sich Mischwesen in der Literatur von der Antike bis heute tummeln, ist bekannt, für die bildende Kunst gilt Ähnliches. Aber dass sich die Abbildung einer Harpyie in einem als Naturkunde ausgewiesenen Buch findet, erstaunt. Genau das hat Teresa Präauer als Ausgangspunkt für ihren Text genommen und sich auf eine beinahe kriminalistische Spurensuche begeben. Am Beispiel der Harpyie und anderer Mischwesen zeigt sie auf, dass die Trennung zwischen Mensch und Tier genauso unscharf ist wie die zwischen Biologie und Literatur, auch wenn wir heute viel darauf verwetten würden, klare Grenzen ziehen zu können.

Schon in früheren Texten erweist sich Teresa Präauer als Grenzgängerin, allerdings nicht mit dem Ziel, den Unterschied zwischen „hier“ und „dort“ herauszustreichen, sondern ihn zu relativieren und die Grenze gleich mit aufzuheben. In ihrem Debütroman Für den Herrscher aus Übersee aus dem Jahr 2012, für den sie mit dem aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet worden ist, sind Erinnerungen zugleich eine Fantasie über das Fliegen. In Johnny und Jean (2014), einem Roman über zwei Kunststudenten, wird die Grenze zwischen den beiden Protagonisten nach und nach durchlässiger und in Oh Schimmi (2016) macht sich die Hauptfigur im wahrsten Sinne des Wortes zum Affen. Es ist nur konsequent, wenn Präauer die Antrittsvorlesung ihrer Samuel-Fischer-Gastprofessur für Literatur an der Freien Universität Berlin (2016) Tier werden nennt und auch ein Seminar mit dem Titel Poetische Ornithologie – zum Flugwesen in der Literatur hält.

„Die Harpyie bleibt im Übergang, sie entscheidet sich nicht“, so Präauer in ihrer Vorlesung, die dem gleichnamigen Essayband zugrunde liegt. Tier werden, das bedeute eben auch, kein Tier zu sein, sondern sich im Übergang zu befinden, und Ähnliches gelte für die Literatur, „dieses Mischwesen, dessen wir nicht habhaft werden können“. In einem Interview zu ihrem Essayband sagt sie: „Wenn man sich wünscht, Aussagen über die Welt zu treffen, die eindeutig sind, wird man dem Kern der Dinge nicht näherkommen. […] Das heißt nicht, dass alles schwammig ist und verrätselt, sondern dass Denken ein Prozess ist. Es gibt immer mindestens zwei Möglichkeiten und ein Drittes, das dazwischen ist, an dieses Dritte habe ich mich gewandt, sozusagen.“

Diesem Dritten spürt sie nach, wenn sie sich fragt, was ein System wie die Taxonomie von Carl von Linné, das Mitte des 18. Jahrhunderts sprachlich die Natur ordnet, mit Linguistik oder Literatur zu tun hat. Was die Darstellung von Mensch und Tier sowie dazugehörige Einordnungsversuche über den Blick auf die Welt aussagen. Warum Fabel- und Mischwesen so lange Zeit Teil der Biologie und als Erdrandbewohner auch der frühen Kartografie gewesen und wann sie in die Abteilung „Fiktion“ abgewandert sind. In diesem Denk-Prozess nimmt sie uns mit auf eine Reise durch die Welt der Kunst und Biologie, der Perchten und des alpinen Karnevals, durch eine Sammlung von Bildern, Texten und Filmen, in denen zottelige Figuren oder Mischwesen eine Rolle spielen und das von vor 1000 Jahren bis jetzt. „Die Form, die Teresa Präauer ihrem Untier an Text verliehen hat, widerspiegelt dessen Programmatik. Eine ungezähmte Form des Denkens, mäandernd zwischen Dürer, Hofmannsthal und Pokémon, zwischen Sarah Kofman, Furries und Deleuze/Guattari (von deren devenir-animal Präauer dann auch ihren Titel abgeleitet hat), tritt einem da entgegen“, schreibt Philipp Theisohn in der Neuen Zürcher Zeitung. „Gelehrt wäre sicherlich der falsche Name für solch ein rauschhaftes, kluges und schönes Gebilde. Dieses Buch will nicht belehren. Es will Beute machen.“

Literatur an sich ist darauf aus, Beute zu machen, folgt man Teresa Präauer in ihren Überlegungen, und diese Beute heißt Verwandlung: „Sobald wir ein Buch aufmachen, lassen wir uns auf diese Fiktion ein, werden Teil des Leseprozesses, der Protagonisten, der Figuren.“ Ziel ist hier nicht der oder die Verwandelte, sondern der Verwandlungsprozess an sich, die Offenheit dafür, ihn immer wieder neu in Gang zu setzen. Genauso ist es mit dem Tier-Werden. Es ist eine Denkbewegung, die das „Dazwischen“ auslotet: „Wo der Mensch das Tier sprechen lässt, in Kinderbüchern, in Comics, ist es der Mensch, der spricht. Mit verstellter Stimme erzählt er, was er denkt, wie es denn wäre, eine Fledermaus zu sein, ein Kater oder ein Käfer“, so Präauer in einem Interview und „Wenn der Mensch über Tiere nachdenkt, denkt er eigentlich unbewusst über sich nach und über seine Konzepte davon, was Welt ist.“

Dass Tier-Werden nicht darauf abzielen kann, Tier zu sein, legt auch unser derzeitig gültiges Verständnis von Welt nahe, biologisch gesehen sind wir es nämlich schon längst: Der Mensch „hat bis zu 99 Prozent genetischer Übereinstimmung mit den Schimpansen und Bonobos“, schreibt Präauer, „und teilt sich mit ihnen dieselben Vorfahren. Der DNA-Vergleich mit jedem anderen mehrzelligen Lebewesen ergibt übrigens immer mindestens 25 Prozent an identischen Sequenzen, also auch eine Verwandtschaft zwischen Mensch und Karotte.“

Über Geräusche entlässt uns dieser Text wieder (die Grenze zwischen Mündlichem und Schriftlichem wird ohnehin auch viel zu eng gezogen), das quietschende Japsen einer winzigen neugeborenen Katze oder doch das Brummen einer Hummel begleiten Gedanken über die entfernten Gemüse-Verwandten, das Urvieh, das in allem wohnt, irgendwo auch in uns. Und beim Zuklappen das Buch vielleicht doch noch einmal ganz sanft streicheln – wer weiß?

 

Teresa Präauer: Tier werden.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018.

Macbeth (Rekonstruktion)

„Macbeth“ – der Kresniksche Tanztheaterskandal von 1988 wurde 30 Jahre später am Landestheater Linz wieder inszeniert. Theresa Gindlstrasser über die Provokation von damals und die Inszenierung von heute.

Der feierliche Umgang mit Gedärmen und Blut. Foto Dieter Wuschanski

Der feierliche Umgang mit Gedärmen und Blut. Foto Dieter Wuschanski

Berserker! So nannten sie ihn. Und nennen ihn noch. Johann Kresnik, 1939 in Kärnten geboren, wurde 1968 von Kurt Hübner ans Theater Bremen geholt, wechselte 1988 nach Heidelberg. Dort entstand im selben Jahr die zum Theatertreffen nach Berlin eingeladene Arbeit „Macbeth“. Mit Bühnenbild von Gottfried Helnwein und Musik von Kurt Schwertsik. Drei Österreicher im Regie-Team. Von 1993 bis 2002 leitete Kresnik die Tanzsparte an der Volksbühne Berlin. Dort choreografierte Kresnik 2015 eine seiner aktuellsten Arbeiten, „Die 120 Tage von Sodom“ nach Marquis de Sade und Pier Paolo Pasolini.

Gewalt, Faschismus, Sex, Politik – Kresnik variiert seine Themen minimal. Dezidiert politisch und links will er seine Arbeiten verstanden haben: „Ballett kann kämpfen“. Als einer der wenigen männlichen Pioniere des deutschen Tanztheaters hat er die Szene mit seinen großen, blutigen Körperexzessen herausgefordert. Mei Hong Lin, Leiterin der Tanzsparte am Landestheater Linz, initiierte bereits in ihrer Zeit am Theater Darmstadt die Rekonstruktion zweier älterer Kresnik-Arbeiten: „Ulrike Meinhof“ und „Sylvia Plath“. Für das Musiktheater in Linz wurde nun, 30 Jahre nach der Uraufführung von Kresniks prominentestem Stück, „Macbeth“ rekonstruiert.

Rekonstruiert wie? Nach altem, wackeligem Videomaterial wurden sowohl die Dimensionen der Bühnenbauten berechnet, die choreografischen Abläufe nachgebildet, als auch die Kostüme geschneidert. Christina Comtesse, Lins Stellvertreterin am LTL, war damals, 1988 in Heidelberg, als Tänzerin bei „Macbeth“ dabei und übernahm für Linz die Einstudierung der Choreografie. Die Rekonstruktion der Bühne kommt von Sabine Hainberger. Es geht los vor geschlossenem roten Vorhang. Die beiden Pianisten Bela Fischer jr. und Stefanos Vasileiadis sitzen auf einer trockenen Insel im sonst blutgefüllten Orchestergraben und bringen das Klavier zum Klirren.

Die Menge an Theaterblut beeindruckt. Bei jedem Todesfall – und bei „Macbeth“ von Shakespeare gibt’s derer ja einige – pumpen Schläuche, die sich über Wände winden, mehr davon nach vorne ins Becken. Schaut ranzig aus. Ganz im Kontrast zum steril weißen Raum, der sich nach hinten verjüngt. Übermenschen-großes Eisentor mit knallendem Riegel öffnet sich: Eine schwarz gekleidete Figur – der Tod, ein Priester, eine Putzkraft – jedenfalls mit Blackfacing, schreitet Richtung Rand des Orchestergrabens und entleert Kübeln, Badewannen voll von Requisiten-Gedärmen. Ein klares Setting jedenfalls: Rot, weiß und schwarz, das ist Schneewittchen-Farbschema, das Schema der großen Kontraste, immer beliebt bei großen Themen.

Ein Artikel in der Presse zitierte Kresnik, der bei den Proben am LTL teilweise anwesend war: „Not so slow“ und „schneller, schneller“. Der Umgang mit Gedärmen und Blut ist tatsächlich derart feierlich geraten, dass sich anstatt provokantem Ekel eher ein Gefühl der Langeweile breitmacht. Überhaupt die Frage: War Kresniks „Macbeth“ auch 1988 so gediegen? Wahrscheinlich eher nein. Sehgewohnheiten haben sich verändert, Tanzgeschichte und Realgeschichte schreiben sich weiter und so weiter und so fort. Die kompetenten Körper des Linzer Tanzensembles nähern sich der damals gegen bloße technische Kompetenz und Perfektions-Hierarchie entwickelten Choreografie von Kresnik.

Da gibt es: Akrobatik, Anstrengung und Präzision, Schweiß und Messer. Das Ensemble meistert körperlich anspruchsvolle, knappe zwei Stunden. Sonderbar sauber wirkt das Geschehen, so gewollt, so abgesichert. Mit ausdruckslosen Gesichtern vollführen die Tänzer*innen die assoziativen Gewaltbilder. Einzig Andressa Miyazato, seit der Spielzeit 2013/14 im Ensemble am LTL, tanzt die Rolle der Lady Macbeth mit einer einsamen Entrücktheit. Was sie vom restlichen Ensemble unterscheidet, ist ihre Mimik. Da hat sich jemand, auch schauspielerisch, in den Wahnsinn der Lady Macbeth hineingeworfen und eine berauschende, soghafte Figurenzeichnung vollbracht.

Nach und nach schält sie sich aus ihrem roten Kleid, Miyazato lässt es zuerst wie eine unwillkürliche Alltags-Geste wirken, bis es dann, manischer und manischer, zum Versuch der Befreiung vom Blut, von den eigenen vollbrachten Handlungen wird. Lady Macbeth – immer beliebt, sie als großen Bösewicht zu inszenieren – wird bei Miyazato zu einer vielschichtigen Figur. Dieser Ambivalenz kommt weder das restliche Ensemble nach, noch überhaupt scheint’s der clean-und-tidy-Rekonstruktion an ein wenig Unwägbarkeit gelegen zu sein. Die mit dem Namen „Kresnik“ assoziierte inszenatorische Wucht verpufft in sauber aufgeräumten Klischees. Zum Beispiel plakativ: Die drei Hexen, die dem adligen Heerführer Macbeth eine Zukunft als König prophezeien, lassen diesen von ihren Brüsten Blut saugen. Es flößen also die Frauen, den durchwegs als Kindsköpfen gehaltenen Männern, die Lust an der Gewalt mit der Muttermilch ein. Frauen, Verführung, Sex, Gewalt – ach, eine alte Leier. Die Kindskopf-Männer hingegen spielen mit Messern, werfen sie gegen Badewannen, hüpfen in übergroßen Stiefeln durch den Raum, metzeln einander hin, als wäre es ein Spiel.

Macbeth mordet zum Beispiel Duncan, den König. Der eine Mord ermöglicht ihm zwar den zeitweiligen Besitz der Königskrone, macht aber weitere Morde zum Erhalt derselben notwendig. Die Familie vom Gegner Macduff soll ausgelöscht werden. Weiß gekleidete, mit Prothesen verkleidete Ärzte, Wissenschaftler, Forscher laufen ins mit überdimensionalen Möbeln verstellte Kinderzimmer ein. Die Kindskopf-Kinder von Kindskopf-Mann-Macduff stecken in pastellfarbenen Schlafanzügen, das ist ein Bruch mit dem Schneewittchen-Schema.

Um den Gewaltbildern von Kresnik folgen zu können, ist es hilfreich, sich den „Macbeth“-Stoff zu vergegenwärtigen. Zwar sind die Protagonist*innen alle da, vieles gestaltet sich aber eher assoziativ, als stringent. Klar ist: Es geht um Gewalt, ein Blutrausch. Aber: Auch Macbeth ist am Ende hin, er liegt in einer Badewanne. Vorhang von der Seite und eiserner Vorhang von oben schließen sich, verengen die Perspektive auf Macbeth in der Wanne. Schaut – bei gut gelegenem Sitzplatz – aus wie „Die Ermordung des Marat“, Jean-Louis Davids berühmtes Bild von 1793. Referenziert aber auch auf den Tod des deutschen Ministerpräsidenten Uwe Barschel im Jahr 1987. Das war ein Jahr vor der Premiere von „Macbeth“.

Gewalt, Faschismus, Sex, Politik – das Arbeiten mit konkreter politischer Aktualität provozierte 1988 Bombendrohungen. Die Rekonstruktion des einstigen Bürgerschrecktheaters ist von tanzhistorischem Interesse. Auf der Höhe der Zeit bewegen sich die im Landestheater inszenierten und zudem etwas zu clean wirkenden, opulenten Bilder jedoch nicht. Das, was kritisiert werden soll – Gewalt und Blutrausch – wird in seiner Darstellung wiederholt und weitergetragen. Damit reicht’s jetzt dann mal.

 

Macbeth ist noch bis Februar im Landestheater Linz zu sehen.
Letzter Spieltermin: 17. Februar.

PreisträgerInnen: Österreichischer Kunstpreis für Kulturinitiativen: Waschaecht

Foto KV waschaecht

Foto KV waschaecht

Bereits seit 1981 tritt der Welser Kulturverein Waschaecht als Veranstalter in den Bereichen Musik, Literatur und Kleinkunst in Erscheinung. Die Lust am Experiment und das Bedürfnis, sich jenseits ausgetretener Pfade zu bewegen, zeichnen den Verein seit jeher aus. Hauptveranstaltungsort ist der Alte Schlachthof, zu den bekanntesten Veranstaltungen zählen das internationale Musikfestival „music unlimited“ oder das im Vorjahr erstmals durchgeführte Art&Maker-Camp „Oktolog“.

Mit dem „Österreichischen Kunstpreis für Kulturinitiativen“ wird heuer dem Kulturverein eine besondere Auszeichnung zuteil – der überwiegend im Alten Schlachthof aktive Verein erhält die höchste in dieser Sparte vergebene Ehrung des Staates Österreich.

 

waschaecht.at

„Ich mag alle meine Opfer gleich gern.“

Wenn Peter Klien auftaucht, sind PolitikerInnen nicht unbedingt erfreut. Sebastian Kurz ergreift sogar regelmäßig die Flucht vor dem Herrn in Anzug und Krawatte. Seit zwei Jahren stellt Klien den Außenreporter der ORF-Late-Night-Show Willkommen Österreich, ab Herbst 2019 bekommt er eine eigene ORF-Show unter dem Titel Gute Nacht Österreich. Zurzeit ist Klien mit seinem Kabarettprogramm Reporter ohne Grenzen auf Tour. Peter Klien im Interview mit Silvana Steinbacher.

Peter Kliens Fragen können sogar gecoachte PoltikerInnen aus dem Konzept werfen. Ein paar Beispiele: Klien zu Erwin Pröll: „Hat es Sie nie gereizt, in die echte Politik zu gehen?“, zu Viktor Orbán: „How do you like it in the West?“, oder zu Eva Glawischnig: „Wäre nicht alles anders gekommen, wenn Sie Herbert Kickl in der Oberstufe geküsst hätten?“. Was passiert, wenn plötzlich PolitikerInnen vor den Fragen des Journalisten zittern, beweist Peter Klien seit rund zwei Jahren.
Wer verbirgt sich hinter dem Satiriker und Kabarettisten ohne ORF-Mikrophon, denke ich, als ich zu unserem Interview kurz vor Beginn seines Kabarettprogramms unterwegs bin. Schließlich kenne ich den einen oder anderen Kabarettisten, der, wenn er die Bühne längst verlassen hat, nur pseudolustige Sprüche von sich gibt. Aber Peter Klien ist da komplexer angelegt, nicht nur als rotzfrech Fragender und Kabarettist, sondern auch als ehrenwerter Altphilologe, der gerne in vergangenen Jahrtausenden schwelgt. Ob ihm da die schnöde Politik noch lange genügen wird?

Wenn man mit Ihnen ins Gespräch kommt, kann man leicht in die Falle tappen. Dieser Ruf eilt Ihnen jedenfalls voraus, muss ich vor Ihnen auf der Hut sein?
Nein, denn in dem Fall stellen Sie ja die Fragen, und ich muss auf der Hut vor Ihnen sein. Ich bin hier ja als Privatperson, insofern kann man mit mir auch ganz normal reden.

Sie legen sich’s gern mit den Mächtigen an, was fällt Ihnen derzeit beim Stichwort Macht und Politik ein?
Macht ist die zentrale Kategorie. Entweder will man sie erreichen oder verteidigen. Mir ist aufgefallen, dass es hundertmal weniger um Inhalte geht, als ich je geglaubt habe, und insofern geht wenig weiter. Es dreht sich fast alles um Machterhalt, um Personen, die man mag oder nicht mag. Es ist eine in sich gefangene Blase. Im Vordergrund stehen Intrigen, Eitelkeiten, Beziehungen, Rache.

Sie sind seit 2016 Außenreporter der ORF-Late-Night-Show Willkommen Österreich. Könnte ihr schneller Erfolg auch am Bedürfnis vieler liegen, innerhalb einer politischen Verdrossenheit über die Zustände lachen zu können?
Das spielt sicher mit, denn normalerweise wird einem immer etwas von oben herunter erzählt. Und dann komme ich und drehe den Spieß von oben nach unten um. Das ist ein wenig revolutionär und anarchistisch. Da schwingt schon die Befriedigung mit, dass da einer von den „Oberen“ einmal eine verbale Ohrfeige kriegt.

Sehen Sie Ihre Arbeit auch als subversiven Akt?
Ja auf jeden Fall, es war zwar nicht in erster Linie so geplant, mir geht´s auch stark um die Komik, indem ich eben auch Unerwartetes frage. Ich bin Satiriker und will Spaß bereiten, aber es ist natürlich besonders lustig, wenn ein Mächtiger in ein Fettnäpfchen tritt.

Insofern bieten Ihre Fragen genügend Identifikationsflächen für den Einzelnen.
Sicher. Gerade die ÖsterreicherInnen sind ja ein obrigkeitshöriges Volk, ich denke das hängt auch noch mit dem Kaiserreich zusammen, dem Beamtenstaat. Öffentliche Figuren genießen immer noch zu großen Respekt, umgekehrt schimpft man aber über sie. Die Unzufriedenheit entfesselt sich in meinen Interviews, da freuen sich die Leut’.

Haben Sie den Eindruck, dass manche österreichischen JournalistInnen nicht hartnäckig genug ihre Fragen stellen?
Nicht alle und nicht immer natürlich. Das Problem ist vermutlich die Kleinheit unseres Landes, wo jeder jeden kennt. JournalistInnen kennen die PolitikerInnen oft über einen professionellen Kontakt hinaus, sitzen mit ihnen manchmal beim Heurigen, da ist es natürlich schwierig, sie am nächsten Tag verbal anzuschießen. Ich glaube, es liegt schon auch an der Verhaberung, und an der Angst vor Konsequenzen.

Empfinden Sie es nicht als deprimierend oder entmutigend, innenpolitisch immer auf dem neuen Stand sein zu müssen?
Ich bin kein News-Junkie und empfinde es in erster Linie als anstrengend, ständig die Nachrichtenticker im Auge haben zu müssen. Politisch gesehen bin ich abgeklärt, erwarte mir nicht mehr allzu viel.

Da klingt aber sehr viel Resignation des Satirikers durch.
So würde ich das nicht bezeichnen, aber ich konnte doch erleben, wie wenig es um Inhalte geht.

Welche Situation war Ihr persönliches Highlight?
Da gibt’s gottseidank einige. Das erste Mal (Anm.: erster Wahlgang der Bundespräsidentenwahl) war schon toll, weil es meine Form des Interviews in Österreich noch nicht gegeben hat. Auch als ich Erwin Pröll mit meinen rotzfrechen Fragen gekommen bin und er überhaupt nicht gewusst hat, wie ihm geschieht, oder auch die Situation mit dem Generalleutnant am Heldenplatz. Das Bundesheer ist immer ein herrliches Ziel von Satire.

Vermutlich auch durch das Zeremoniell.
Ja, es kommt alles so respekteinflößend daher und führt sich dann so seltsam auf und dumm eigentlich.

Welcher Politikertyp reizt sie denn besonders?
Ich mag alle meine Opfer gleich gern! Ich versuche jedem Politiker, jeder Politikerin und jeder Partei die Schwächen zu entlocken, so bin ich immer neu herausgefordert.

Sie würden sich Donald Trump als Interviewpartner wünschen, soviel ich weiß.
Wär schon super. Das Schöne ist ja, dass er so in seinen Emotionen und Gedanken aufgeht, ohne Reflexion, ohne jede Abfederung.

Gibt es Politikertypen, bei denen Ihnen fad wird?
Ja, die Mitläufer. Menschen mit Kanten sind ja auch für Karikaturisten interessanter. Diejenigen, bei denen ich keinerlei Kanten bemerke, sind schwer zu fassen. Wenn sich einer von einem Amterl zum nächsten mitnehmen lässt, ist das nicht besonders spannend.

Dann gibt es ja auch noch diejenigen, die zwar keine Mitläufer sind, aber regelmäßig davonlaufen wie Sebastian Kurz.
Ja, das ist natürlich eine ganz eigene Geschichte, aber auf diese Weise weiß er, wie es sich anfühlt, ein Flüchtling zu sein.

Beim FPÖ-Wahlkampfauftakt der Nationalratswahl 2017 ist Ihnen Herbert Kickl sehr nahe gekommen, und zwar im wörtlichen Sinn, indem er sie mehrmals zur Seite gestoßen hat. Was haben Sie anschließend mit Ihrem Anzug gemacht?
Den bringe ich sowieso regelmäßig zur Reinigung. In diesem extremen Fall habe ich mein Ziel erreicht, wenn meine Fragen so eine Reaktion hervorrufen, schließlich würde ich ja leiden, wenn das Gegenüber meine Fragen ignoriert. Aber das mit dem Kickl war schon eine besondere Situation, ziemlich grenzüberschreitend, aber als Satiriker hab ich innerlich gelacht.

Im September 2018 wurde eine E-Mail des Ressortsprechers des Innenministeriums an die Kommunikationsverantwortlichen der Landespolizeidirektionen publik, in der vor bestimmten Medien gewarnt und empfohlen wurde, die Zusammenarbeit mit diesen auf ein Minimum zu beschränken. Was sagt der Privatmensch Peter Klien dazu? Ist Ihnen kurzfristig der Humor vergangen?
Ja, da wurde schon eine Grenze erreicht, wo man aufstehen und sagen muss, so geht’s nicht. Es geht nicht immer nur mit satirischen Mitteln, manchmal muss man auch ernsthaft protestieren. Natürlich gibt es auch sonst Situationen, in denen ich mir denke, hier müsste ich mich ernsthaft zu Wort melden oder irgendeine Aktion setzen.

Kann ja noch werden, wenn Sie etwa an den früheren Kabarettisten Beppe Grillo in Italien denken, was immer man von ihm halten mag. Würde Sie perspektivisch eine politische Funktion reizen?
Dieser Trend des ehemaligen Kabarettisten als Politiker ist ja quer durch Europa zu sehen, der neue slowenische Ministerpräsident war früher auch Kabarettist. Also ausgeschlossen ist gar nichts.

Sie stehen als Kabarettist schon lange auf der Bühne, in welcher Situation fühlen Sie sich sicherer: mit dem Mikrophon in der Hand oder auf der Bühne?
Seit meinem Außenreporter-Dasein ist es für mich als Kabarettist viel leichter geworden. Früher war ich einer von vielen. Wenn man beginnt, muss man sich erst einmal durchkämpfen, das Publikum lehnt sich zurück, so unter der Devise: Zeig mal, was du kannst. Jetzt bin ich eine öffentliche Figur und wenn ich auf die Bühne komme, muss ich mir die Sympathie nicht mehr erkämpfen, das ist schon ein großer Vorteil.

In einer Kritik stand angesichts Ihres jetzigen Programms, Peter Klien sollte sich für die Bühne etwas anderes überlegen. Sie sind ja als Außenreporter gut im Austeilen, wie gut sind Sie im Einstecken, wenn es um Ihre Person geht?
Nicht nur gut, bei Kritik ist jeder empfindlich. Ich sehe auch, wenn es negative Kommentare im Internet gibt, aber damit muss ich leben. Was mich bei dieser Kritik allerdings gestört hat, war, dass die entsprechende Journalistin nicht gut recherchiert hat, denn es war mein viertes Programm und nicht mein erstes, wie sie geschrieben hat. Das sollte eine Journalistin wissen, wenn sie Kritik übt.

Sie bezeichnen sich als ergebenen Platon-Jünger. Welche Frage würden Sie Platon stellen?
Welche Frage? Da haben Sie mich jetzt aber wirklich kurz drausgebracht, denn das hab ich mir noch nie überlegt. Ich bin nur daran gewöhnt, ihm zuzuhören. Ich gebe mich damit zufrieden, ihm zuzuhören.

Sie lehren auch an der Universität Wien. Erwarten Ihre Studierenden bei Ihren Vorlesungen auch Ihre satirische Seite?
Ich denke schon, dass viele Studierende enttäuscht sind, dass es bei meinen Vorlesungen nicht lustiger zugeht. Natürlich könnte man die antike Philosophie auch komisch präsentieren, aber ich möchte das nicht, für mich ist es eine ernste und ernstzunehmende Sache, und so will ich es auch vermitteln.

Niemand kann besser und pointierter Fragen stellen als Sie, und so bitte ich Sie gegen Ende unseres Gesprächs um eine Frage von Ihnen. Ich laufe sicher nicht davon.
Dann frage ich Sie, wo ich als nächstes hingehen soll?

Ich fände Pamela Rendi-Wagner interessant.
Zum Parteitag der SPÖ Ende November also. Ein guter Tipp.

 

Von Peter Klien am 19. 09. 2017 veröffentlicht
FPÖ-Wahlkampfauftakt, NR-Wahl 2017 / Willkommen Österreich www.youtube.com/watch?v=11FVHcVceOE

Peter Klien, Reporter ohne Grenzen –
Termine: www.peterklien.at/termine

Anmerkung der Redaktion: Peter Kliens Besuch des SPÖ-Parteitages hat nun bereits stattgefunden und wurde am 27. November bei Willkommen Österreich gesendet.

Chabos wissen, wo der Babo isst.

dueruem

Diesmal Dürüm. Ein internetloser Hass- und Hetzkommentar. Wieder mal Fastfood? – fragt die geneigte LeserInnenschaft? Ja, muss leider sein und sicher nicht das letzte Mal. Einer muss es ja machen. Während sich die restliche Linzer Gastrojournaille sich wieder mal im Adabeimilieu suhlt bzw. sich selbst mittlerweile schon ein bibliophiles Fanal setzt, hetzt der Slowdude wieder einmal rastlos durch die gesamte Linzer Stadt und recherchiert dort, wo es richtig weh tut. Ausgangspunkt war die aus vielen Gesprächen rausgehörte „letzte Option“. Es ist spät und man hat Hunger: Dürüm oder Döner. Das Büro lechzt nach Essbarem und ist im Stress: Dürüm oder Döner. Karnivoren, Vegetarier, allergene Kohlenhydratehysteriker, allgemeine Essensverweigerer und Junkfoodmaniacs treffen unglücklicherweise zusammen: Dürüm oder Döner. Sogar der etwas verwöhnte Biospießer macht da mal eine joviale Ausnahme. Aber warum? Weil es eine kompakte Mahlzeit zum günstigen Preis ist? Weil es ausgewogener erscheint als die Leberkässemmel? Weil es den Geschmacksnerv trifft? Der Slowdude glaubt, dass es eine Mischung aus all diesen falschen Deutungen und Zuschreibungen ist. Kaufen tut man beim Kebab-Dürüm-Döner-Laden um die Ecke, Industriefleisch bzw. Industriekäse, billigste und geschmacklose Tomaten und dürftigen Salat. Und da kann selbst der beste Kritiker und der hingebungsvollste Test nichts machen: Das Zeug ist fast überall gleich übel. Bei dem einen ist das Brot etwas besser, dafür die Sauce schlecht und beim anderen ist der Inhalt passabel, dafür das Brot eine Zumutung. Wie der Dude es dreht und wendet: es bleibt nichts Positives zurück. Zu fast 100% Verdruss. Und zudem sind Service und Ansprache in den Dönerbuden meist auf dem Höflichkeitsniveau einer Polizeikontrolle um drei Uhr morgens oder einer Rücksprache mit dem Finanzamt im Jänner. Der verklärende Satz: „Bitte einmal alles mit scharf“ sollte besser auf das persönliche Liebesleben übertragen werden als auf die türkische/ kurdische/türkisch-kurdische Rolle mit Füllung. So. Hoffentlich genug Vorurteile und Unkorrektheiten in alle Richtungen abgesondert? Keine Angst, es ist noch nicht vorbei. Es gibt so etwas wie einen Lichtblick – wenn auch in einer mutierten Form: „Dana Köfte“ bei Antebia in der Magazingasse. Hier wird der oder die Suchende fündig! Gustert es nach Grillfleisch mit Sauce und Salat? Am besten im türkischen/kurdischen/türkisch-kurdischen Style? Dann ab zu Antebia. Korrekte Leute. Korrekte Küche. Da isst der Babo aka Slowdude gerne und gut. Angefangen wird zum Beispiel mit der Linsensuppe „Mercimek Corbasi“ oder der anatololischen Weizensuppe „Alaca Corbasi“. Beides hervorragendes Soulfood vom Bosporus – besonders im Winter. Weiter geht’s mit unserem Hauptthema „Dana Köfte“, das uns quasi als Ersatz-Dürüm dient: ähnliche Komponenten – unvergleichbarer Geschmack. Die einzige Dürüm- und Döneralternative in der Stadt. Auch zum Mitnehmen fürs Büro oder für daheim – also keine Ausreden! Wer sich zum Schluss noch den Magen zukleben möchte, kann das mit Baklava und Sütlaç gerne tun. Darauf verzichtet der Slowfood. Zu sehr verwachsen ist er mit den böhmischen Mehlspeisen seiner Vorfahren. Hier keine Experimente. Back to Business: Alles in allem ist das Antebia eine von Herzen kommende Empfehlung – einzig Pizza und Pasta sind etwas umsonst – muss aber scheinbar aus wirtschaftlichen Gründen sein. Man kann sich die Kundschaft ja nicht aussuchen und geschweige denn erziehen. In diesem Sinne: Hingehen und „Pussy, muck bloß nicht uff hier, du Rudi“.

 

www.antebia.at

PS.: Der Suburban Roundtrip, Part Two, kommt. Im Frühling. Versprochen.