Walter Pilar: Shortcuts

Am Neujahrstag 2018 verunglückte der Schriftsteller, Zeichner, KunstWandWerker & Rauminstallatör Walter Pilar. Robert Stähr mit einem kursorischen Beitrag.

Ein Bild aus Wandelaltar. Foto Franz Wolfsgruber

Ein Bild aus Wandelaltar. Foto Franz Wolfsgruber

Linz-Urfahr, Ecke Kaarstraße/Landgutstraße. Hinter mir auf der Straße höre ich ein Moped „tuckern“. Der Fahrer, ein bärtiger Mann von – wie ich meine – Ende vierzig, überholt und stellt sich mir auf dem Gehsteig in den Weg. Es ist der Schriftsteller Walter Pilar; wir kennen uns bis jetzt nur vom Sehen auf einschlägigen Veranstaltungen. Du bist der Stähr fragt er im Tonfall zwischen Behauptung und … Vorwurf. Ich bejahe, unsicher, aber doch erfreut über die Frage des Kollegen. Obwohl Walter anschließend mehrmals betont, es eilig zu haben, gleich nach Hause zu müssen, entwickelt sich ein erstes längeres Gespräch zwischen uns beiden, auf dem Gehsteig Ecke Kaar und Landgut.

Walter feiert den 50. Geburtstag in Ebensee, seinem … Heimatort, der Industriegemeinde am Südende des Traunsees, die ihm mitsamt der Umgebung und dem Salzkammergut nicht nur als biographischer Reibebaum, an denen er seine „Funken“ entzünden konnte, diente; als „Traunseher“ (so der Name einer von WP in den siebziger Jahren mitbegründeten Künstlergruppe) fand er in seiner engeren Heimat so etwas wie den Minimundus der „großen“ Welt und ihrer Verwerfungen. Am Morgen nach dem Fest in einem Gasthaus im Ort findet die Annahme der Geschenke im Hof hinter dem alten Bauernhaus in der Langwies, dem von den Eltern geerbten Zweitwohnsitz der Familie Pilar, statt. Die Inszenierung sieht vor, dass Walter, verkatert, nach durchzechter Nacht den Hof betritt und die in dessen Mitte aufgehäuften „Präsente“ begutachtet. Sein Verhalten ist eine Mischung aus Dank, Brüskierung und Provokation der Anwesenden. Ein Disput dreht sich um Qualität und Status des Verlags eines der Buchgeschenke; der „Schenker“ verteidigt den Verlag als renommiert, Walter zieht das in Zweifel. Das im Halbkreis um den Jubilar stehende und sitzende Publikum reagiert mit einer Mischung aus Lachen und Kopfschütteln.

Während des Lesens läuft Walter zur Hochform auf. Er liest zwanzig Minuten lang. Ich komme in den Genuss einer privaten Vorab-Lesung aus den Geraden Regenbögen, nach der Skurrealen Entwicklungsromanesque (1996) – einem „autoautopsischem Biografföweak“ (WP) – die zweite Welle von Lebenssee, dem (hätte er dieses Wort gehasst?) Opus Magnum von Walter Pilar. Die Regenbögen sind 2002 erschienen, es muss in diesem Jahr gewesen sein, als wir in seinem Gartenatelier zusammensitzen; die Frühlingssonne scheint durch die großen Glasfenster, es ist sehr warm. Ich erinnere mich an die Atmosphäre, die Intensität von Walters Vortrag, bruchstückhaft an die gelesenen Passagen, in denen es um eine „Dichterlesung“ seines Freundes Erich Wolfgang Skwara an der Linzer Kepler-Uni und um einen Besuch bei Thomas Bernhard auf seinem Bauernhof in Ohlsdorf („Hea Bernhart, wia wahn jetzt da!“), beides in den späten Sechzigern, geht. Noch während Walter liest, biege ich mich vor Lachen über seine mit Wortschöpfungen und beißendem Humor gespickten Schilderungen. Dann schauen wir einander an, lachen gemeinsam.

Ich müsse zuerst die Abfallkübel in die Mülltonnen entleeren, sage ich zu Walter Pilar, als er mich überraschend zu Hause besucht. Walter geht mir, pausenlos redend, hinterher, hinunter in den Hof hinter dem Wohnhaus. Die Tonnen stehen neben einer Gartenhütte, einem Hitl, wie Walter anmerkt – um augenblicklich Hitler damit zu assoziieren. Wortassoziationen wie diese, die sich in seinen collageartigen Texten in hochdeutscher und dialektaler Schriftsprache oft zu Wortkreationen – „Neologismen“ stimmt zwar, passt aber trotzdem nicht – entwickeln, sind typisch für Pilar. Irgendwo zwischen originell und absurd, erkenntnistief und bisweilen auch trivial: „Pilarismen“.

„Pilarismen“: Shortest Cuts (kleine willkürliche Auswahl) Kuhlenkrampf Unterkapital Kotelettrismen Alkoholfahnigkeit Thomas-Bernhardisten Schnarchotrotzkisten Rauminstallatör Blechbunkel Wixenschaften stupidiert Kleinquerbetreibender Kunstwandwerker Reisgangreisen gegenrund Lebensblumenbüschelkraut Lebensfleckerl hochkarametrig Hausmeisterfeldabfahrtslauf Knabenhau- und Reißschule Dampfsträhne Knackwurschtschläge PaRadieschen dumpfdunkel Dreckamöbenexistenz vaterlandsunwert

Mittagstisch bei Gerti Pilar, Walters Ehefrau, in ihrer Wohnung des gemeinsamen Hauses in Linz. Alle Gäste sitzen am Tisch, nur Walter fehlt noch. Schon von weitem hören wir ihn, „geistliche Gesänge“ anstimmend, kommen. Mit großer Geste betritt er den Raum und erzählt von der Messe in der Pfarrkirche, die er eben besucht und in deren Rahmen er nach der Predigt mit dem Pfarrer diskutieren wollte. Es sei keine Diskussion möglich gewesen. Vor der Messe sei er – in der Hoffnung, linken Freunden zu begegnen – demonstrativ auf dem Pfarrplatz auf und ab gegangen.

Über Jahre hinweg dasselbe Frage- und Antwortspiel: Wann kommt Lebenssee drei? – Ja … ja bitte, das braucht Zeit, ich kann doch nicht, bitte, ich schreibe daran … Walter wirkt aufgeregt und geradezu indigniert, wenn ich ihn bei zufälligen Zusammentreffen nach dem Fortgang der Arbeit am nächsten Band von Lebenssee frage. Mit der Zeit wird meine Frage zu einer Art Running Gag – zumindest für mich. Zwischen der Veröffentlichung von zweiter und dritter Welle (Titel: Wandelaltar) vergehen schließlich mehr als zehn Jahre.

Wer zählt den Herbst nach Spreißlholz?
Den Sommer nach den Beerenstacheln,
Den grünen Frühling nach versprühten Eimern Wiesensüling,
Den Winter nach den Abendstunden
Im Wirbel sanften Flockenflugs um Eiszapf. Eisack. Prost!

Am Neujahrstag 2018 stürzt Schriftsteller, Zeichner, KunstWandWerker & Rauminstallatör Walter Pilar über die Kellerstiege seines Hauses. Er müsse, nach ärztlicher Auskunft, mit dem Kopf auf die Steinkante einer Stufe geschlagen und sofort tot gewesen sein. Kurz zuvor hat er die vierte Welle von Lebenssee fertiggestellt. Sie ist, wie die ersten drei, im Ritter Verlag erschienen.

 

(„Pilarismen“ und Gedicht sind zitiert aus: Lebenssee. Eine skurreale Entwicklungsromanesque. Klagenfurt 1996
Lebenssee. Gerade Regenbögen. Klagenfurt 2002)

Walter Pilar war Schriftsteller, Zeichner und bildender Künstler. Seit 1968 trat er mit Performances, Aktionen, Ausstellungen und Publikationen auf. Am Beginn der schriftstellerischen Laufbahn standen die Gedichtbände klupperln & duesenjaeger, Jederland, An sanften Samstagen. Zu erwähnen sind außerdem vor allem Augen auf Linz (gem. mit H. Vorbach, 1990) und Eingelegte Kalkeier (1993). Das erste größere Prosawerk folgte 1996 unter dem Titel Lebenssee – eine skurreale Entwicklungsromanesque. Charakteristische Stilmerkmale Walter Pilars sind Collagetechnik und Wortschöpfungen, in denen hochsprachliche und dialektale Elemente in Kontrast gebracht werden. Pilar hat für die österreichische Literaturgeschichte das Genre der Heimatromanesque erfunden. Sein Lebenssee präsentiert sich als eine literarische Chronik des Provinziellen, die, vom „autoautopsischen Biograffäweak“ ausschweifend und auf umfassende Ton-, Bild- und Geruchsmaterialien zurückgreifend, zu einer Art fröhlichen Landesgeschichte des Voralpenländischen mutiert. Tatsächlich reiht sich hier der Chronist in die vorderste Linie der Hinterwäldler ein und sein Eintauchen in die Tiefen der verdammten Herkunft (Ebensee) ist vordergründig lustvoll angelegt, dass der Zeigefinger des distanzierten Satirikers oder das Ressentiment des heimatbeschädigt Gequälten ohnehin auf der Strecke bleiben. Walter Pilar lebte in Linz. Im Jahr 1990 erhielt er den oberösterreichischen Landespreis für Literatur.
(Zitiert u. a. aus: Ritter Verlag, Wikipedia)

Ein Text von Christian Pichler zu Walter Pilars Wandelaltar ist auch in der Referentin #1 erschienen.

„So rinnen blicke wie meersand durch unsere finger …“

Zum Tod von Hansjörg Zauner.

Foto Jörg Gruneberg

Foto Jörg Gruneberg

Für Widmungsexemplare griff Hansjörg Zauner gerne zur Nadel. Mit ihrer Hilfe zog er rote Wollfäden entlang von Worten und Bildern, die er zuvor aus von ihm gefertigten Texten, Fotografien und Collagen geschnitten, sorgfältig auf eine Buchseite geklebt und schließlich mit seiner Signatur versehen hatte. Der Nadelstich ins Papier fungierte zugleich als Ausweis einer Poetik, die Zauner mit beeindruckender Konsequenz und nicht nachlassendem Enthusiasmus in mehr als 20 Buchpublikationen sowie einem umfänglichen bildkünstlerischen Werk verfolgte, wie auch ein Ausschnitt aus der 2005 erschienenen Prosasammlung die ofensau muß raus verdeutlicht: „bekannt wurde ich also als worteaufschlitzer. ich bin der einzige der mit seinem gesamten körper hineinsteigen kann. so verschwinde auch ich für einige zeit.“ Zauners künstlerische Einlassungen, die zudem Ausstellungsbeteiligungen, Auftritte im Radio sowie die Herausgabe einer Anthologie Gedichte nach 1984 (gemeinsam mit Gerald Jatzek) und mehrerer Zeitschriften umfassten, machten nicht vor Worten und den ihnen zugewiesenen, vermeintlich feststehenden Bedeutungen Halt. Stets nahmen sie den Körper und seine Wahrnehmungsfähigkeit zum Anlass, das Verhältnis von Welt und Sprache neu auszuloten, indem bestehende Sinnzusammenhänge lustvoll dekonstruiert wurden. „ICH HABE DIE WORTE IN VERDACHT“, heißt es dementsprechend in einem Anagramm der Textsammlung zerschneiden das sprechen, die 1989 in der Linzer edition neue texte erschien und heute zu den weitgehend vergessenen, herausragenden Zeugnissen österreichischer experimenteller Dichtkunst der 1980er-Jahre zählt. In formaler Hinsicht deutlich von Autorenkolleginnen wie Friederike Mayröcker oder Reinhard Priessnitz beeinflusst, wollte Zauner das Durcheinander der Wahrnehmung und Dickicht der Worte weniger lichten als mit poetischen Mitteln veranschaulichen: „also liegen legionen worte versehentlich auf steilen rücken strecken alle ihre füße in ihr bezeichnetes hinein warten was sonst noch passiert.“ Der unbedingte Glaube an die dichterische Vernunft machte in seinem Schreiben einer neuen Sinnlichkeit Platz, die ihre Inspiration gleichermaßen aus dem Kanon literarischer Avantgarden von Gertrude Stein bis Meret Oppenheim wie aus der Musik von Sonic Youth, Hüsker Dü, PJ Harvey und Björk oder den Bildern von Cy Twombly, Keith Haring, Jean-Michel Basquiat, Andy Warhol bezog: „gleichzeitig spreche ich zwei wörter. gleichzeitig denke ich drei sätze durcheinander. drei sätze denken sich selbst wenn sie zu splittern beginnen.“ Daneben las Zauner aber auch Gedichte von Pablo Neruda, Ingeborg Bachmanns Der gute Gott von Manhattan oder die Prosa Josef Winklers. Dementsprechend häufig handelt sein Werk vom Blick des Außenseiters auf den multikulturellen Raum der Großstadt und ihr besonderes Lebensgefühl, von Randzonen der Gesellschaft und synästhetischen Grenzerfahrungen. Diese Beobachtungen verdankten sich nicht allein seinem ständigen Wohnort Wien, sondern waren auch längeren Stipendienaufenthalten in Berlin, Rom, Paris oder Istanbul geschuldet: „bis die sprache ganz zusammengekehrt ist dauert es ein paar jahre sagt man in barbès.“ Die dichterische Aufräumarbeit kannte feste Rituale, sah neben dem täglichen, mehrere Stunden umfassenden Schreib- und Korrekturprozess etwa auch intensives Musikhören und den Besuch von Kunstmuseen sowie der immer gleichen Caféhäuser und Clubs vor, die anschließend Eingang in seine Bilder und Texte finden sollten. Am Eindrücklichsten gelang dies vielleicht in seiner 1999 publizierten Textsammlung Jolly, die mittels poetischer Momentaufnahmen Anekdoten und Begegnungen in Zauners ehemaligem Wiener Stammlokal Chelsea oder Streifzüge durch den Pariser Stadtteil Belleville rekapitulierte. „hier oder?“, schrieb Hansjörg Zauner mit rotem Filzstift in meine Buchausgabe von zerschneiden das sprechen und das Vorsichtige und Ungewisse dieser Frage verrät viel von der ihm eigenen Art, sich anderen Menschen und ihren Lebensbedingungen mit künstlerischen Mitteln anzunähern, indem er zunächst seine eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen zu reflektieren suchte. Und es verwundert nicht weiter, dass eine Ausgabe der von ihm zwischen 1988 und 1998 publizierten Zeitschrift für neue Poesie Solande aus nichts als einem rechteckigen Stück Spiegelglas bestand. Die Methode der Selbstbespiegelung und die Fragen danach, wie wir selbst und andere uns sehen, einander begegnen und immer wieder verfehlen, stellten schließlich auch die Fluchtpunkte seiner künstlerischen Arbeit dar: „kein mund mehr in unseren händen sage ich; wir tauschen unsere weichrammelzungen und rauschen weiter. über unseren prallen lippen braust dieser lockere erdteil …“ In seinem filmischen, in Ausschnitten auch auf YouTube zugänglichem Werk rezitiert Zauner häufig eigene Texte vor der Kamera, die seinen Körper zerstückelt und perspektivisch vielfach gebrochen porträtiert, wie die 2008 erschienene Prosa LUXUS formuliert: „ich schlafe mich auseinander. hier ein sack hände. dort ein sack tisch. hier ein sack augen. dort ein sack ohren. hier ein sack mund.“ Im Video Jolly 2 hingegen beobachten wir den Dichter in seiner Wohnung minutenlang in Nahaufnahme beim Verspeisen des gleichnamigen Eislutschers, während er mit monotoner Stimme den Filmtitel repetiert. Einem anderen Prinzip der Wiederholung folgten seine farbigen Mehrfachbelichtungen, die in der Überblendung mehrerer Einzelbilder und Wahrnehmungspunkte auch in seiner Spracharbeit eine Entsprechung fanden: „gleichzeitig spreche ich zwei wörter. gleichzeitig denke ich drei sätze durcheinander. drei sätze denken sich selbst wenn sie zu splittern beginnen.“ Zauners Kunst kombinierte den bekannten Vorrat an Worten und Zeichen zu neuen Sinnzusammenhängen, deren Bedeutung unmöglich auf einen Begriff zu bringen war, getreu dem Motto „denken schützt vor worten nicht sagt naseweis“. Zugleich zeugten Wortneuschöpfungen wie „augenstrickblicke“ und „wackelwortkontakte“ von der Flüchtigkeit und den Unsicherheiten des täglichen Lebens und den Schwierigkeiten seiner literarischen Beschreibung, die er durch einen ständigen Wechsel der Erzählperspektive und eine Umkehrung der vertrauten Kausalitätsbeziehungen seinem Publikum näherbrachte. Mit poetischen Aussagen wie „Gehsteig ist also ein schuh“ oder „Mädchen fraß krokodil“ stellte der Künstler die herrschenden Verhältnisse auf den Kopf, indem er ihre Veränderbarkeit nahelegte. Der darin zum Ausdruck gelangende Optimismus, der Künstler und Freund Hansjörg Zauner, sie fehlen.

 

Hansjörg Zauner war österreichischer Schriftsteller und bildender Künstler, oder „Autor, Bildermacher, Filmer“. Er widmete sich der experimentellen Dichtung und Prosa, visuellen Arbeiten, der Photographie, Filmen (Super 8) und war Herausgeber der Zeitschrift für neue Poesie SOLANDE. Er war Mitherausgeber der Anthologie „Gedichte nach 1984“ – Lyrik aus Österreich. 1985 wurde er mit dem Theodor-Körner-Preis für künstlerische Fotografie geehrt. Zauner war unter anderem Mitglied der Künstlervereinigung MAERZ. Er lebte in Wien und Obertraun.

Biographie und Werk: www.literaturnetz.at

Akustische „Aufarbeitung“ von Jolly – „Mit dem Bagga mitten in die Worte hinein“:
www.kunstradio.at/2000A/28_05_00.html

Einige Filme und Lesungen auf Hansjörg Zauners youtube-channel:  www.youtube.com/channel/UC7q1EKHU_Glup5X7nJ-Gl4g

Stadtblick

Bild Die Referentin

Bild Die Referentin

Viele Jahreszahlenausstellungen in der Stadt (in Anlehnung an Dietmar Brehm).

Im nächsten Land ist es gefährlich

Maria Haas reist mit dem Rad. Sie fährt tausende Kilometer und nimmt sich dafür Zeit. Die in Linz lebende, gebürtige Vöcklabruckerin engagiert sich bei der Critical Mass und dem Hausprojekt Willy*Fred. Mit Johannes Staudinger plauderte sie über Fahrradreiseprojekte.

Wohin wird dich deine nächste Fahrradreise führen?

Plan ist es, im April für sechs Monate weiter in den Osten zu fahren. Es gibt dort Länder, die ich gerne sehen würde. Ich möchte auf jeden Fall nach Georgien und in den Iran. Der Weg dorthin ist aber noch unklar.

OK, der Weg ist unklar. Aus deinen Erfahrungen bisheriger Reisen, wie gehst du zum Beispiel bei der Auswahl deiner Schlafgelegenheiten vor? Spontan oder im Voraus?

Ich nutze oft das Angebot von Couch Surfing und Warm Showers. Warm Showers ist ähnlich wie Couch Surfing, nur dass es ausschließlich für Radfahrer und Radfahrerinnen ist, und es ist viel cooler, weil die Leute dort alle unglaublich freundlich sind. Bei Couch Surfing kannst du schon mal auch schräge Leute treffen, aber bei Warm Showers hat das bisher immer gepasst. Auf dieser Internet-Plattform sind einfach weltweit viele Menschen, die selber gerne wegfahren und Menschen, die gerne wegfahren würden.

Wie schnell reagieren Gastgeber solcher Plattformen, wenn du einen Schlafplatz benötigst?

Unterschiedlich. Glücklicherweise habe ich aber mein Zelt mit, und da bin ich mit dem Zelt oft schneller, einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Im Iran sind anscheinend sehr viele auf dieser Plattform angemeldet. Theoretisch könnte ich mir jetzt schon eine Route auf ein halbes Jahr vorplanen, nur interessiert mich das nicht. Bei mir müssen Gastgeber spontan sein. Wenn’s passt, dass ich mich einen Tag vorher anmelden kann, OK, wenn nicht, such ich mir ein Zimmer oder stell mir das Zelt auf. Es kann auch passieren, dass du unter Umständen fünf Unterkünfte anschreibst und keiner meldet sich zurück. Es ist grundsätzlich aber einfach supernett über diese Plattformen, weil die Gastgeber oft noch ihre Stadt herzeigen, oder es wird gemeinsam gekocht, was ein großer Pluspunkt ist, wenn du alleine reist.

Deine erste Reise führte dich dann nach?

Irland. Das war ein irrsinniges Ding, weil vermutlich bin ich vorher nie weiter als 20 km mit einem Rad gefahren. Ein Freund von mir hat damals in Dublin für zwei Semester studiert und der hat gesagt, ich soll vorbeischauen. Sämtliche Freunde von uns haben ihn auch besucht und sind alle schnell nach Dublin geflogen, für 5 Tage oder fürs Wochenende. Ich dachte mir, das ist aber komisch mit dem Flugzeug, das interessiert mich nicht, das war nicht stimmig für mich. Ich hab überlegt, wie ich dort sonst hinkommen könnte. Trampen hätte ich in Erwägung gezogen, was vermutlich auch funktioniert hätte. Hat mich dann aber auch nicht gefreut, solange in irgendwelchen Autos zu sitzen. Und der Freund in Dublin hat mir damals erzählt, wie unglaublich kompliziert es war mit dem Zug nach Irland zu reisen. Dann blieb eigentlich nur mehr das Fahrrad. Ich wollte sowieso eine Reise machen und hatte gerade ein Freisemester. Nach Dublin war ich dann zweieinhalb Monate unterwegs, die mich voll bereichert haben. Jeden Tag habe ich neue Menschen kennengelernt und du kommst in neue Städte, Dörfer und Wälder. Jedes Land hat seine kleinen Eigenheiten, die es ausmachen und die Leute sind irgendwie stolz und zeigen einem was. Und es ist auch lustig, weil manche sagen, dass es im nächsten Land voll gefährlich und zum Aufpassen ist. Und dann bist du im nächsten Land, wo sie dir wieder sagen, im nächsten Land ist es gefährlich. Die Belgier sagen, in den Niederlanden ist es voll gefährlich. Überall sagen sie dir das!

Wie sah deine Tour nach Irland aus?

Die Donau stromaufwärts nach Donau­eschingen, von dort nach Basel. Dann wollte ich eigentlich quer durch Frankreich fahren. Hab mich aber anders entschieden und bin nach Luxemburg. Luxemburg ist eine total abstrakte Stadt. Es geht dort einfach beinhart um Kohle. Ich würde die Stadt, glaube ich, kein zweites Mal mehr besuchen. Weiter bin ich über Belgien nach Niederlande bis Rotterdam, von wo ich auch noch kurz nach Amsterdam rauf bin. Von Rotterdam mit der Fähre nach England. In London bin ich das letzte Stück mit dem Zug ins Zentrum gefahren, weil in den Londoner Vorstädten der Verkehr ziemlich arg ist. Aus London raus fuhr ich eine halbe Stunde wieder mit dem Zug. Weiter mit dem Rad nach Wales, wo ich leider krank wurde und dadurch gezwungen war, ein weiteres Mal auf den Zug umzusteigen. Das ist mir ziemlich auf die Nerven gegangen, weil ich in Wales unbedingt mit dem Rad fahren wollte. Wales, Großbritannien sind für mich absolutes Traumland zum Radfahren. Die Landschaft dort ist unglaublich schön.

Die Vorbereitungen für eine erste Reise solcher Art sind sicherlich aufwendig?

Die ganzen Sachen fürs Rad aufzutreiben war relativ aufwendig. Welche Taschen kaufe ich, welchen Gaskocher, solche Sachen eben. Dazu hab ich mich relativ intensiv mit Basics beschäftigt, wie zum Beispiel einen Patschen zu flicken. Was mich gar nicht interessiert hat, war das Routenplanen. Ich hab das nur überschlagsmäßig im Vorfeld betrieben, aber meine Schwester hat mich dann dabei unterstützt.

Und letztes Jahr bist du mit dem Rad zu deiner Schwester nach Rumänien gefahren?

Ja! Meine Schwester hat den Europäischen Freiwilligendienst über Erasmus+ dort gemacht, sprich, sie war zehn Monate in Rumänien. Ich hab das einfach super gefunden und hab gesagt, ich besuche dich mit dem Fahrrad. So bin ich eben nach Cluj in Transsylvanien gefahren. Ich bin über den Donauradweg bis nach Budapest, dann parallel zur Donau und weiter bis Arad, wo ich über die Grenze von Ungarn nach Rumänien bin.

Wie gehst du mit der Organisation deines Gepäcks um?

Ich benütze Packtaschen vorne wie hinten am Rad seitlich montiert. Ich brauche einfach viel Zeugs. Ich habe auch Kochsachen mit, die in einer vorderen Tasche sind, die zweite kleine Tasche vorne beinhaltet meine Waschsachen und das Werkzeug. Hinten ist dann eine Tasche mit Gewand und in der zweiten Tasche stecken Isomatte, Schlafsack und der Regenschutz. Das Zelt liegt hinten quer über dem Gepäckträger. Meine Taschen haben Zimmernamen: Küche, Badezimmer, Schlafzimmer und Gewandkasten.

Deine Reise in den Iran, was beschäftigt dich dazu besonders?

Das spannende an dieser Reise wird sein, dass ich dieses Mal niemanden gezielt besuchen werde. In Dublin besuchte ich einen Freund, in Rumänien meine Schwester und bei einer kürzeren Reise nach Slowenien bin ich zu einem Konzert gefahren. Jetzt ist es zum ersten Mal unklar, welches Land das Zielland ist, ob es das für mich überhaupt gibt, ob es eine Rundreise wird, oder ob ich einfach solange fahre bis ich kein Geld mehr habe und nachhause fliegen muss. Ich habe auch schon überlegt, was ich mache, damit ich am Weg bleibe. Das Ziel bei den bisherigen Reisen war schon immer wichtig für mich. Freunde von mir haben mir gesagt, ich solle mir in Teheran ein Kaffeehaus aussuchen, irgendeines, und es mir als Ziel setzen, dort einen Kaffee zu trinken. Einfach aus dem Grund, damit ich nach eventuell drei schlechten Tagen nicht einfach den Hut draufhau und sag, ich fahr heim. Das ist nämlich ein wenig die Befürchtung, die Angst vor einer Kurzschlusshandlung, die ich habe, ohne Ziel.

 

Links: Internet-Plattform Warm Showers:
www.warmshowers.org

Radio-FRO Radiointerview mit Maria Haas von Michi Schoissengeier:
www.fro.at/wir-radeln-mit-maria-nach-rumaenien

Das Professionelle Publikum

Auf den folgenden Seiten die persönlichen Kunst- und Kultur-Tipps von: Tina Auer, Kathrin Böhm, Jakob Breitweiser, Otto Saxinger, Hemma Schmutz, Daniela Wagner-Höller, Roland Wegerer und Christian Wellmann. Die Redaktion bedankt sich herzlich und wünscht unseren Leserinnen und Lesern viel Spaß beim Gustieren und schöne Momente bei der einen oder der anderen empfohlenen Veranstaltung.

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Tina_Auer PortätTina Auer

pendelt in ihren Arbeiten beinahe unbekümmert zwischen Kunst, Forschung, Technologie, Unterhaltung und Wissenschaft – und zwar meistens im Kontext des Kulturvereins Time’s Up – bei welchem das Spiel als wundervolle Basis für Ernsthaftigkeit erlaubt ist.

Lückenhaft & Kryptisch 20 Jahre Time’s Up – Release Party

Feminismus und Krawall 8. März – Internationaler Frauentag

 

Kathrin Boehm_PortraitKathrin Böhm

ist in der Abteilung Linz Kultur Projekte für die Leitung des Stream Festivals, Pflasterspektakels und die Agenden der UNESCO City of Media Arts verantwortlich.

Stream Festival

Crossing Europe Filmfestival Linz

 

Foto_Jakob BreitwieserJakob Breitwieser,

lebt und arbeitet in Linz, übt sich darin, als Kunst-und Kulturarbeiter Geselligkeit zu gestalten.

REOUZERI – der Sommer beim Donaukilometer 2135

SCHLOT

Konzert Bernd Ammann

Konzert Achronon

Konzert Melody Current

Lesung Stefanie Sargnagel

 

ottosaxingerOtto Saxinger

arbeitet mit Fotografie, Grafik und Film, lebt in und um Linz herum.

Otto Saxinger „X-Re-Magazin“

MANN-ANATOMISCH

 

Foto: Maria Ziegelböck

Foto: Maria Ziegelböck

Hemma Schmutz

ist künstlerische Direktorin der Museen der Stadt Linz.

Blaudruck-Workshop „Devils Food“

Offene Ateliers, Studios & Werkstätten, laufender Lehrbetrieb, Beratung & Infos durch Lehrende & Studierende

 

Foto: Reinhard Winkler

Foto: Reinhard Winkler

Daniela Wagner-Höller

ist Schauspielerin und freie Redakteurin für die Kulturabteilungen von Radio OÖ und Ö1.

„Sie wünschen, wir spielen!“

Buchpräsentation Margit Schreiner

 

Foto: Roland Wegerer

Foto: Roland Wegerer

Roland Wegerer

ist freischaffender Künstler. Er arbeitet multimedial in virtuellen und realen Räumen.

SINNESRAUSCH – ALICE verdrehte Welt

Crossing Europe

 

© Jay Wright

© Jay Wright

Christian Wellmann

ist. Ist auch NEXTCOMIC-Dies&Das, DJ, schreibt.

Nadine Redlich

DJ SOTOFETT

 

Tipps von Die Referentin

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artacts ’18

PUSSY RIOT „riot days performance“ + Abu Gabi DJ Set

Underground Youth / Gran

Das Innerkleid und sein Drumherum Fleisch

Space Opera – Premiere

Mala Herba

VOODOO IT YOURSELF!

Editorial

Johanna, du Dohnal: Neue Rollenzwänge, alte Macht- und Gewaltverhältnisse, wiederauferstandene ewiggestrige Männerbündelei – Wir fragen: Wo ist die menschliche Zukunft? +++ Das wäre eine mögliche Zeile am Cover gewesen. Eine allerdings zu surreal verzweifelte Frage an die verdienstvolle ehemalige Frauenministerin, die nun wirklich als allerletzte was dafür kann. Das Thema zieht sich nun, sozusagen mehr oder weniger an der Oberfläche, durch diese Ausgabe. Wir möchten bei dieser Gelegenheit den oft zitierten Satz von Johanna Dohnal auffrischen, den sie 2004 an der TU Wien vortrug: „Die Vision des Feminismus ist nicht eine ‚weibliche Zukunft‘. Es ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn.“ Gleichberechtigung also zugunsten aller. Im Gegensatz dazu, wie es nun aussieht, neue alte Verhältnisse im Land.

Zweitens, Kulturland retten. Die Kupf, Kulturplattform Oberösterreich, hat in ihrer Kampagne „Kulturland retten“ hervorragend zusammengefasste Zahlen und Argumente präsentiert, die sich wohl kaum den dementsprechenden Schlussforderungen entziehen können: Kahlschlag und Aushungern, gerade von kleinen Initiativen, die zunehmend ums Überleben kämpfen. Mit ähnlicher Argumentation haben die Kulturbeiräte von Stadt und Land reagiert, und viele andere Personen oder Personengruppen. Es ist schlimm und unfassbar, was hier im Zuge eines „Sparkurses“ an Out-of-Order-Feeling vermittelt wird. Die Erzählungen, wie es den großen wie kleinen Häusern und letzten Endes den Menschen damit geht und wie mit ihnen umgegangen wurde und wird, sind bereits jetzt Legende. Wir von der Referentin hätten auch Details zu berichten, und wir machen das auch gerne auf Anfrage. Auch falls die liebe Landesregierung doch noch wegen des versprochenen Termins anfragen würde, die uns heuer permanent übers Jahr vertröstet und am Ende, im Herbst, kurzfristig einen Termin beim neuen Landeshauptmann abgesagt hat. Jedenfalls: kulturlandretten.at.

Das Korrektiv in der Berichterstattung, das ist der dritte Punkt in diesem Editorial. Nicht wenige sind der Meinung, dass die Mainstreamberichterstattung nicht nur kommerzieller denn je agiert, sondern sich zunehmend tendenziös gestaltet. Aber das ist ein derart alter wie nun wieder neu aufgesetzter Hut, dass wir hier schon wieder aufhören und stattdessen auf die Inhalte in diesem Heft verweisen. Jo, do schaut‘s her, so engagiert und kompetent kann man auch ins Kulturland einischaun! Wie übrigens die Handvoll anderer Freier Medien im Land, oder eine Handvoll JournalistInnen, die ihren Auftrag immer noch ausfüllen.

Manche sagen: Aufwachen in Zeiten wie diesen.

Die Referentinnen-Redaktion meint: Trotzdem gut schlafen, aufgeweckt waren wir schließlich immer schon.

www.diereferentin.at

Dunkle Klänge

DVRST, eine Performancekollaboration bestehend aus Tanja Fuchs und Vinzenz Landl bewegt sich zwischen Experimentalkunst und Clubkultur. Erst im Sommer 2017 gegründet, entwickelte sich die Formation stetig und schon spielen DVRST beim MEM Festival for International Experimental Arts in Bilbao. Alexander Eigner hat DVRST getroffen.

Gleich zu Beginn stellen sich Fragen: Heißt die Formation nun DVRST? Sagt man DURST? Oder doch DÖRST? Ist es gar die Abkürzung für DiVerSiTy? Die genaue Bedeutung konnte nicht ermittelt werden. Ein Code scheint naheliegend. Ein Blick auf einen der Tracktitel, l0v34th33mpty, könnte den Anschein irren Geschreibsels erwecken. Aber nein, vielmehr ziehen sich diese Codes durch das ganze Projekt. Vinzenz und Tanja verstehen sich als FreundInnen der Abstraktion. Offensichtlich: o1no1on1o. Somit bleibt Freiraum für Interpretation, was es DVRST ermöglicht, sich selbst und ihre Tracks immer wieder zu verändern, was den konstanten Wandel unvermeidbar macht. Manchmal ist es schlichtweg spannender, sich abseits der Norm auszudrücken: v8edurj422. Man muss schon zwischen den Zahlen lesen.

Frei von Gender- und Genreschubladen geben sich Tanja und Vinzenz ihren Bühnenauftritten hin. Ein kraftvoll-magischer Sound, in Richtung Post-Rave gehend, entsteht. Während sich die Menschen im Publikum langsam in Bewegung setzen, wissen deren Füße nicht genau, was sie jetzt machen sollen, und trotzdem fühlt sich jeder Fuß dabei wohl: Fußtrance. Für DVRST ist es wichtig zu beobachten, wie sich die ZuhörerInnen zu ihrem drückenden Sound bewegen. Selbst wenn diese nur starren, wird das wahrgenommen. Tanja ist stets versucht auf die Menschen einzugehen, sei es durch Blicke oder Bewegungen. Und DVRST sind bereit auf ihr Publikums einzuwirken und das zu liefern, was „der Raum braucht“, selbst wenn dieser nach Wahnsinn verlangt.

„Witches are not explaining the voodoo to everyone“. Tanjas Texte sind oft drastisch, bildhaft direkt und obschon der Sound oft repetitiv-minimalistisch ist, ist die Sprachkunst bestechend körperlich: „Moon was decreasing — skin got burned“. War man schon einmal bei einem DVRST-Gig dabei, ist es nicht auszuschließen, sich bei einem nächsten Gig selbst zu hören. Auf der Loop-Station sammelt Tanja Publikumsgeräusche und Gekreische von vorherigen Shows zusammen, welche sie dann live, Schicht für Schicht, upcycled. Vinzenz, bisher am Synthesizer zaubernd, wird wohl auch bald einen sprachlichen Input zu DVRST liefern.

Geht man näher auf dieses Projekt ein, ist man mit einem weiteren Aspekt ihres Auftretens konfrontiert: dem Artwork. Der Blick fällt auf ein gerne verwendetes Bildsujet: das zweibeinige, dreiäugige, nasenblutende Wesen mit schwerer Kette im Bauch. Klartext gibt es bei DVRST selten. Auch ihre Fotos sind stets nebulös: Stahlkette, Bademantel, Schrottkarre. Offensichtlich weitere Codes. Artwork-Verschlüssler: Andreas Christian Haslauer, Epileptic Media. Foto-Verschlüssler: Johannes Oberhuber, Umbra Umbra.

Tanja, erfahren als Anarcho-Pop-Queen bei Fudkanista oder auch als Abu Gabi, kennt die experimentelle Bühne. Als Abu Gabi feierte sie am 3. November ihren ersten Solo-Auftritt im Quitch. Vinzenz hatte mit The Similars diverse Auftritte in Linz und arbeitete zuletzt als Tontechniker bei vielen Veranstaltungen des Kulturvereins Klangfolger Gallneukirchen. Hier lernten sich die beiden auch kennen und erkannten ihre gegenseitigen Talente. Aus einem Experiment in einem Gallneukirchner Keller wurde im Juli 2017 plötzlich ein Experimentalkunst-Projekt mit Elementen aus Post-Rave, Illbient und Experimental Electronics.

Experimentalkunst, das passt doch zum Mem-Festival for International Experimental Arts in Bilbao, dachte Tanja, als sie für dieses Festival mit der Formation Cine-Concert Fernweh/Heimweh gebucht wurde, und wurde prompt für einen weiteren Auftritt mit DVRST bestellt. Nach Auftritten in der Linzer Kapu und in den Wiener Underground-Clubs SUB (Super Unusual Beings) beziehungsweise Celeste, folgt also der erste große Vergleich mit ähnlich gesinnten Künstlern im ehrwürdigen Guggenheim-Museum in Bilbao.

Ein Auftritt von DVRST – ein Feuerwerk an Intuition. Die Bässe sind stets tief, der Sound grundsätzlich schwer, die Sprache meist schmerzhaft, aber voller Offenheit. Mit dieser Mischung wollen sie ihr Publikum aus der eigenen Dunkelheit zurück in die Wärme begleiten. Der Weg dieses düster-frischen Projektes ist jetzt schon ein interessanter und das Frühjahr wird einige weitere Überraschungen hervorbringen.

Der neue Feminist Desolatismus. Kunstverwertung.

Lokale Lokale, die Ausgeh-Kolumne der Referentin, streift dieses Mal bei diversen Eröffnungen herum. Es beginnt im lichten Linz und endet im dunklen Land Oberösterreich. Am Ende stellt sich die Frage: Kulturland retten? Die kolumneschreibend ausufernde 50.000 Euro Klit ist in der Referentin #10 eine Gruppe von Menschen, die unter anderem in der Tabakfabrik, im Valie Export Center, im Cafe Meier, im Schlossmuseum und bei qujOchÖ auf Besuch war.

Was hat die Stadt schon mit der Tabakfabrik gelacht, über verkräuselte Botschaften von Kreativaortas, -triaden und -kathedralen und vieles mehr an Wunderwuzzi-all-in-one-Eierwollmilchsau-Begrifflichkeiten, die in den letzten Jahren in schöner Regelmäßigkeit als PR-Rauchwolken mühelos aus den Schloten der – sagen wir es ähnlich verquirlt – denkenden Industriemanufaktur aufgestiegen sind. Der PR-Hype hat sich schon länger gelegt, fällt uns auf, als wir in die Tabakfabrik zur Eröffnung des neuen Valie Export Centers gehen. Eine schöne Sache, das Center. Dort performt zur Eröffnung die Formation Dr. Didi, was meine Freundin wenig später im Cafe stirnrunzelnd kommentiert mit: „Aber das ist ja das andere Universum!“ Und wer sich jetzt nicht auskennt: Dr. Didi = 3 Haberer (an sich eh sehr super) und Valie Export = feministische Ikone (unter anderem). Na gut. Schade jedenfalls, dass vom Kunstunirektor Reinhard Kannonier weder die bei der Eröffnung frisch verkündete und anwesende neue Leiterin des Valie Export Centers, Sabine Folie, noch die schon länger für das Center arbeitende Geschäftsführerin Dagmar Schink, auf die Bühne geholt wurden. Und das löste bei doch einigen Anwesenden richtiggehend schlechte Stimmung aus. Erheitern konnte uns, dass während Bürgermeister Lugers Rede und seiner zum Ausdruck gebrachten Freude über das neue Center in den hinteren Reihen flüsternd angestimmt wurde: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ – eine kleine private Einlage von Stehnachbarn, die sich wohl nicht auf das Center bezogen hat und die allerdings eh fast niemand mitbekommen hat. Der Bürgermeister schätzt unbequeme Kritik, sagt er auch immer wieder in seinen Reden, und so soll es sein. Lustig auch, dass passend zu Valie Exports Status als international anerkannte Medienkünstlerin, Kulturstadträtin Doris Lang-Mayrhofers wiederkehrende Parole von der Unesco City of Media Arts zunehmend selbst einen gewissen performativen Charakter entwickelt, in gewohnt frischer Manier. Wir lieben es. An Marketing und Kunst denke ich noch, als meine Freundin und ich auf dem Rückweg ins Cafe Meier schauen. Mir fällt ein, dass bei einer anderen Eröffnung drei Wochen vorher, im O.K bei „Alice – Verkehrte Welt“ der den LH vertretende Politiker überhaupt nur vom Tourismus gesprochen hat. Er hat bis zum Kaiser und seiner Verlegung der Sommerresidenz nach Bad Ischl ausgeholt (Beginn des Kulturtourismus, und Alice als kulturtouristische Fortsetzung, wirklich? Habe ich das geträumt??). Wir holen weiter aus. Mein Sitznachbar meinte damals, die Rede sei absichtliche Parodie gewesen … ich bin aber nicht so überzeugt davon, dass das neue Türkis da so viel Spaß versteht und die Politik bringt’s mit dem Tourismus schlichtweg auf den Punkt. Am Ende wurde dann fast vergessen, die KünstlerInnen auf die Bühne zu holen, aber das kann bei so viel Spektakel leicht passieren. Ich sage zu meiner Freundin im Cafe: „Verkehrte Welt“. Sie lächelt müde. Und abgesehen von all den angesprochenen Diskrepanzen, wir holen noch weiter aus: Wirklich schlimm sind die allseits bemerkbaren Verschiebungen hin zu Konservativismus und Kommerzialisierung, die auch in der Kunst sichtbar werden, sagt sie. Und horrend, dass abseits dessen an allen Ecken und Enden ein gesellschaftspolitischer Desolatismus vor sich hinbrodelt, der sich gewaschen hat. Das ist zu sehen und das pfeifen die Spatzen von den Dächern, die Spatzen aus der sogenannt freien Szene und auch die Spatzen aus den Kultureinrichtungen von Stadt und Land, die Spatzen vom Landeskulturbeirat und die Spatzen vom Stadtkulturbeirat, Stichwort suboptimale Kommunikation, untransparente Pläne, Stichwort Prekarisierung, und wir fügen noch das Stichwort Rechtsruck dazu. Und ebenso pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass im Zuge der Sparmaßnahmen im Land umgeschichtet wird – in Richtung Sicherheit, Wirtschaft und Digitalisierung. Das ist der Kern einer Sache, die mit einer großen Spar-0.- inszeniert wurde. So ist es zu hören. Im Übrigen imponiert es meiner Freundin und mir null, dass sich die LandespolitikerInnen im Rahmen der Sparmaßnahmen selbst eine Nulllohnrunde verordnet haben, da verdreht sowieso jeder nur mehr die Augen. Im Gegenteil sind wir bestürzt vom Umgang mit einkommenschwächeren Bevölkerungsgruppen, vom Umgang mit Kultureinrichtungen, Frauen und Fraueninitiativen, Stichwort Fiftitu%, Feminismus&Krawall, oder auch: keine Frau in der Lenkungsgruppe zur Umgestaltung der Museumslandschaft. Gerade diejenigen Häuser mit weiblicher Leitung scheinen gefährdet. Und wir sind – wieder abgesehen davon – geradezu entsetzt, was andere politische Stellen und andere politische Ebenen in Stadt und Land anbelangt, über geplante Ausgangssperren für Asylsuchende (???), Ukraine/Krimreisen von Stadtpolitikern, rechtsextreme Verbindungen und man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll. Später nichts davon gewusst haben zu wollen, wird nicht möglich sein, sagen wir. Und weil das mit der Leistung als Bemessung für Geld=Leben sowieso nicht mehr so ganz funktioniert, wenn man sich die Lebens-Mikrokosmen wie die globalen Krisen so ansieht, von sozialen globalen Unterschieden bis hin zu einem mittlerweile ganz real drohenden ökologischen Kollaps (und ja, das wird alles zusammenwirken und tut es schon), plädieren wir – wie viele andere auch – für eine gesellschaftspolitische Vision, die die Menschen in Zukunft nicht verhungern oder anderweitig krepieren wird lassen. So schaut die Realität für viele Menschen aus. What the fuck – wo sind jetzt die Alternativen und die nichtauferlegten Denkverbote? Weil wir im alternativen Cafe Meier just in diesem Moment ermahnt werden, unseren Computer eingeschaltet zu haben, was hier wegen Kaffeehausstimmung=Technologieverbot nicht erlaubt ist, werden wir unterbrochen (Digitalisierung? Unesco City of Media Arts? Aber der Wirt hat immer recht). Und wir sehen zu unserem Sitznachbarn hinüber, der schon die ganze Zeit unter dem Tisch in seinem Kindle liest, anscheinend heimlich. Er sagt, dass er gern zum Lesen herkommt, weil es so angenehm ruhig hier ist, wegen des Handyverbots telefoniere zumindest niemand. Tja. Wir verlassen das Lokal, weil wir uns einen Museumsnachmittag verordnet haben, und besteigen den Schlossberg, um in Tagen wie diesen die Schlossmuseums-Ausstellung „Wir sind Oberösterreich“ anzusehen. Beziehungsweise möchte ich meiner Freundin was zeigen. Kurt Holzinger, der dort neben diversen Käferforschern und Malstiften (Familienausstellung) und quasi mit der zur Legende gewordenen 80er-Jahre-Band Willi Warma noch bis Jänner ausgestellt ist (in der Abteilung „Wir sind modern“, „Cafe Landgraf“), und dessen Bild überlebensgroß in der Ausstellung zu sehen ist, dessen Konterfei auch Drucksorten schmückt, hat mir erzählt, dass niemand ihn gefragt habe, ob er damit einverstanden sei, derartig verwendet zu werden. Niemand habe mit ihm Kontakt aufgenommen. Und er erzählt, dass dort unter anderem Bilder aus seinem Archiv die Basis der Ausstellung bilden, Fotos, die er für das Buch „Es muss was geben“ demjenigen Verlag lediglich für den Abdruck zur Verfügung gestellt hat, der jetzt kurzerhand als Rechtehalter angeführt wurde („Mit freundlicher Genehmigung des Verlags der Provinz“). Wie ist sowas eigentlich möglich? Kurt Holzinger hätte außerdem einiges zum Begriff „Identität“ zu sagen und dazu, wie er zum Titel „Wir sind Oberösterreich“ steht, nämlich: „Dieser identitäre Scheißdreck ist nicht zu ertragen. Wir wollten genau nicht Oberösterreich sein. Das, was wir gebraucht haben, war nicht vorhanden. Wir mussten es selbst machen. Und wir wollten raus. Alles war damals Post-Nationalsozialismus“. Soviel zur alten und neuen Identität, zur Provinzialität und zur Kunstverwertung. Und wieder: Wie ist es möglich, dass – auf vielen Ebenen – die Menschen, die es betrifft, nicht gefragt werden? Zu viel Verwertung im Fokus? Dann gehen wir noch zum Konzert von Klitclique. Dort, am Abend im Kulturverein Qujochö, wird von zwei jungen Frauen auf herzerfrischend starke Weise eine, sagen wir, 50.000-Euro-Literatur-Kunst-White-Cube-The-Feminist-Empowerment-Mucke abgezogen, die wir als Empfehlung hier stehen lassen: Nachschauen unter The Feminist, Inge Borg oder Klitclique zu Gast bei FM4 oder auch bei den Wiener Festwochen. Und mit diesem beispielhaft abschließenden Schwenk zur aktuellen Kunst und Kultur: Es gibt sie, die unabhängige Kunst, in Form von großen, kleinen und noch kleineren Initiativen und vielen, vielen ambitionierten Menschen, an den diversen Orten der Stadt, und das tröstet uns. Noch gibt es sie. Und um auf die Spardebatte zurückzukommen: Es wäre angebracht, gerade diese Bereiche aufzuwerten statt zu kürzen, liebe Landesregierung, und im Landhausslang bedeutet das: Kunst und Kultur ist das inhaltliche Breitband unserer Zukunft. Und in unseren Worten: Es geht um Kunst, Kultur und Initiative, die unbestechlich, kritisch und unbändig ist und die von der Volksseele meistens erst dreißig bis vierzig Jahre später als „modern“ anerkannt wird, oder noch später, oder sogar nie erkannt und anerkannt wird, während sie uns in der Zeit, in der wir leben, in Wahrheit unseren kulturellen Arsch rettet. Deshalb, wer noch nicht hat: Aufs Kulturland scheißen und Kulturland retten unter: kulturlandretten.at. Wir wollen 200.000 Unterschriften.

 

Die 50.000 Euro Klit ist dieses Mal eine Gruppe von Menschen, die unter anderem in der Tabakfabrik, im Valie Export Center, im Cafe Meier, im Schlossmuseum und bei qujOchÖ auf Besuch war. Diese Erlebnisse wurden zu einem Text unter Freundinnen, und zu einer etwas ausufernden Kolumne, formuliert. Aufmerksamen Lesern und Leserinnen wird nicht entgangen sein, dass das Klitclique-Konzert nicht am Tag der Eröffnung des Valie Export Centers stattgefunden hat, sondern bereits eine Woche früher zu sehen und zu hören war. Eine kleine textflussbedingte Unschärfe und hiermit deklariert.

Das Spiel mit der Serialität, Zeit atmen

Kunsthistorisch und zeitgeschichtlich bemerkenswert ist die Landesgalerie-Ausstellung „Spielraum. Kunst, die sich verändern lässt“. Ebenso im Haus zu sehen: Waltraud Cooper.

Ausstellungsansicht. Foto Oö. Landesmuseum, A. Bruckböck

Ausstellungsansicht. Foto Oö. Landesmuseum, A. Bruckböck

„Die Ausstellung widmet sich dem Phänomen veränderlicher Kunstobjekte, deren Elemente von Betrachter/innen zu unterschiedlichen Konstellationen arrangiert werden können. Charakterisierende Schlagwörter dazu sind ‚Betrachter/innen-Partizipation‘, ‚Interaktion‘, ‚Raum-Zeit-Verhältnis‘ sowie das Jahr 1968 mit seinen folgenreichen politischen Protesten“, so ein Textauszug zur Ausstellung. Die formal verbindende geometrische Formensprache lässt sich kunsthistorisch aus dem Konstruktivismus ableiten. Einen Höhepunkt erlebte diese Kunstform Ende der 60er Jahre mit dem beweglichen bis seriellen Charakter von so genannten Multiples. Es ging um serielle, formalisierte Konzepte, um die Idee von Kunstwerken in hoher Auflage, teilweise industriell hergestellt. Dabei waren die frühen Multiples alle veränderlich, und diese Veränderlichkeit, Beweglichkeit der Kunstwerke diente auch als Legitimation für deren Vervielfältigung in hoher Auflage. Hier zeigt sich ein interessanter kunsthistorisch wie zeitgeschichtlicher Punkt, ein interessantes Detail, das sich in der Frage der Kommerzialität verdichtete: Wenn man so will, stand die serielle Produktion quasi den Ideen einer lebensweltlich linken Ausrichtung von Kunst entgegen. Die Kunst sah sich nah an der Politik, wollte etwa direkte Aktion, oder die Kunst auf die Straße, hatte die Idee einer Kunst für alle, sah Kunst und Leben im Alltag verbunden. Und laut Kurator Frederick Schikowski waren für manche Kunstschaffende diese Probleme, die sich hinsichtlich Kommerzialität und auch Erfolg zeigten, derartig unmöglich, dass sie dann letzten Endes mit der Kunst aufhörten. Und um in Bezug zur Serialität hier eine größere Abgrenzung zu markieren: Die Warholsche Serialität ist nicht nur von ihrem insgesamt mehr „campen, ironischen“ Charakter anders (lt. Kurator Frederick Schikowski), sondern nimmt vielleicht gerade in diesem Aspekt die Kommerzialität volée.

In der formalisierten, geometrisch-konstruktivistischen Formensprache jedoch, die sich wohlweislich kinetisch, aber nicht maschinell versteht, zeigt sich ein weiterer interessanter Gegensatz. Denn in der intendierten Demokratisierung von Kunst lassen sich weitreichende Entwicklungslinien verfolgen, die heute noch aktuelle Begriffe wie „Interaktion“ oder „Partizipation“ nicht im kunsthistorischen und zeitgeschichtlichen Vakuum hängenlassen, sondern die künstlerisch-lebensweltlich Demokratisierung geradezu fundieren. Hier etwa auch ein Hinweis auf Roland Goeschls recht populär gewordenen „Großbaukasten“ (Humanic-Werbung). Ebenso zeigt sich inmitten des politischen wie spielerischen Charakters des seriellen Formalismus bereits ansatzweise ein noch größerer Aufbruch, der sich später in einer ganz anderen Entwicklungslinie der technologischen Maschinen verwirklicht: Wenn man zum Beispiel Vasarely betrachtet, weist dessen Arbeit auch in eine Idee von Programmierung hinein, deren serieller Formalismus sich aus Rationalität, Kybernetik, eines Programmierens von Kunst speist, wenn auch hier spielerisch angedeutet. Dies ist als Programmblatt für eigene Komposition anzusehen.

„Spielräume, Kunst die sich verändern lässt“ – eine höchst bemerkenswerte Schau, die im kommenden Jahr auch im Museum im Kulturspeicher in Würzburg gezeigt wird. Fruchtbar, dass Kurator Frederick Schikowski auch Werke von hier arbeitenden Kunstschaffenden aufgenommen hat. Wie etwa von Josef Bauer, der mit seinem „Farbraum“ in den frühen Sechziger Jahren die Höhe der Zeit beinahe schon vorweggenommen hat. Wesentlich, dass zeitgenössische Künstlerinnen wie Margit Greinöcker mit New Town (eine Art Planungsstadt aus Plastilin) oder David Moises (The Ultimative Machine aka Shannons Hand) das Thema quasi von aktueller Seite komplettieren.

Ein allerkürzester Hinweis noch am Ende auf die Arbeiten von Waltraud Cooper, die im ersten Stock in einer eigenen Ausstellung mit dem Titel „Licht und Klang“ zu sehen sind. Sowohl mit Coopers Lichtinstallationen, die mehrfach bei der Biennale in Venedig gezeigt wurden, als auch insbesondere mit der Arbeit „Klangmikado“ kann man eine Zeit atmen, wo begonnen wurde, das aleatorisch-verspielte Kind mit dem Namen der Digitalen Kunst zu labeln.

 

Spielraum. Kunst, die sich verändern lässt Landesgalerie Linz, Bis 14. Jänner 2018 „Waltraut Cooper – Licht und Klang“, Landesgalerie Linz, bis 21. Jänner 2018

Hinweis: Pamela Neuwirth hat ein Gespräch mit dem Spielräume-Kurator Frederick Schukowsky geführt, nachzuhören auf Radio FRO: www.fro.at/spielraeume-in-der-landesgalerie-linz

Langer Vorlauf – späte Entscheidung

Sechs Jahre hat es gedauert, bis das VALIE EXPORT Center als Forschungszentrum für die Arbeiten der international bekannten Medienkünstlerin VALIE EXPORT eröffnet werden konnte. Spät, nämlich erst beim Festakt, wurde auch die Direktorin, Sabine Folie, präsentiert. Silvana Steinbacher im Gespräch mit Sabine Folie und der Geschäftsführerin Dagmar Schink.

Auf mehr als 300 Quadratmetern soll das VALIE EXPORT Center zu einer international beachteten Institution werden, deren Hauptintention die Erforschung und die Aufarbeitung des VALIE EXPORT Archivs sein wird, das bereits seit 2015 in Linz seinen Platz hat. Welchen Auftrag sehen Sie als Direktorin mit dem Werk dieser Ikone und vielseitigen Künstlerin verbunden?

Sabine Folie: Es ist ein enormer Fundus eines reichen Künstlerinnenlebens, den wir hier erforschen können. Wir werden zum einen das Archiv mit seinen verschiedenen Dokumenten beforschen, auch die Themen, die sich herausdestillieren lassen. Neben der historischen Einordnung suchen wir, ganz im Sinne von VALIE EXPORT, den Anschluss an die Medien- und Performancekunst der Gegenwart, um damit auch noch einmal eine ganz andere Perspektive, einen anderen Zugang zu ihrem Werk zu bekommen, um die Gegenwart auch über dieses historische Gedächtnis bewerten und einordnen zu können. Außerdem werden wir aus dem Archiv Forschungsansätze entwickeln und fördern, den Diskurs suchen, mit jungen Künstlerinnen und Theoretikerinnen arbeiten. Wir werden zur bereits bestehenden Bibliothek von VALIE EXPORT noch eine zweite einschlägige anlegen, die den aktuellen Forschungsstand mit abdeckt. Ich wünsche mir, dass das VALIE EXPORT Center Strahlkraft nach außen bekommt, national und international, schließlich ist das Center eine international einzigartige Einrichtung. Und dass es zu einem lebendigen Ort der Debatte wird.

Dagmar Schink: Ich finde den Bogen zur Gegenwart gerade bei VALIE EXPORT extrem wichtig, ihre Themen sind im Jetzt, deswegen ist es notwendig, daran zu arbeiten und nicht als Vergangenes zu verschließen.

 

Die zahlreichen Werke, Skizzen, Entwürfe, die persönliche Korrespondenz der vergangenen 50 Jahre bilden den Schwerpunkt des VALIE EXPORT Centers, das vom Lentos in Kooperation mit der Linzer Kunstuniversität betrieben wird. Was fasziniert Sie besonders an dieser Künstlerin?

Sabine Folie: Um nur einen Aspekt zu erwähnen: Sie war in ihrer Karriere nicht nur auf sich selbst und ihre eigene Arbeit konzentriert, sie hat auch mit anderen kollaboriert und war immer eine hoch talentierte Vermittlerin. So konzipierte und organisierte sie etwa Mitte der 1970er-Jahre MAGNA, (Anm.: wichtige Schau feministischer Kunst), eine Ausstellung, die nicht nur österreichischen Künstlerinnen eine Plattform bot, sondern auch deutsche und amerikanische präsentierte. Zu nennen sind auch die international viel beachtete Ausstellung Kunst mit Eigensinn oder die lehrreichen, niveauvollen und dabei avantgardistischen Sendungen für den ORF zur breiten Vermittlung von Kunst wie Das bewaffnete Auge und vieles mehr. Aus ihrem Archiv wird deutlich, welch eine akribische Sucherin sie immer war und ist, wie gründlich und wissbegierig und wie neben aller ästhetischen Erfindungsgabe politisch.

Wir wollen auch überlegen, welche Möglichkeiten bieten sich an, um an einen politisch-ästhetischen Diskurs anzuschließen, wenn auch nicht auf so spektakuläre Weise wie sie es getan hat.

 

Das kann als Forschungszentrum wahrscheinlich auch nicht das Ziel sein?

Sabine Folie: Natürlich, aber wir wollen die Qualität der kulturpolitischen Debatte mitbestimmen, denn wir sehen in Oberösterreich gibt es Zuspitzungen, die den Spielraum verengen, und es wäre schön, wenn wir etwas dazu beitragen könnten, um die Wichtigkeit von Forschung, Bildung und Kultur hervorzustreichen.

 

Damit spricht Sabine Folie einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt an: Der Gemeinderat hat 2015 mit Mehrheit, aber bei Stimmenthaltung der FPÖ, beschlossen, das Archiv zu kaufen. Was die Finanzierung des VALIE EXPORT Centers betrifft, soll die Stadt Linz die Infrastrukturkosten bestreiten, die Kunstuniversität ist für die Kosten des Forschungsbetriebs zuständig. Für 2018 sind 200.000 Euro für das Center budgetiert.

 

Sabine Folie: Es ist die Frage, wie die Mehrheiten sind. Der Bürgermeister hat ein eindeutiges Statement abgegeben, dass ihm das VALIE EXPORT Center und Kultur generell ein echtes Anliegen sind, und ich vertraue darauf, dass er sich auch in Zukunft dafür einsetzen wird. Stadt und Universität investieren hier und ich gehe davon aus, dass der Bund ebenfalls wie im Falle des Forschungsinstituts von Peter Weibel, das in der Wiener Angewandten angesiedelt ist, seinen Teil beiträgt.

Das VALIE EXPORT Center muss lebendig gehalten und ein offener Ort sein und dazu bedarf es entsprechender Mittel.

 

In der Wiener Angewandten wurde – Sie haben es erwähnt – vor rund sechs Wochen das Peter-Weibel-Forschungsinstitut für digitale Medienkulturen eröffnet, das vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft finanziert wird. VALIE EXPORT und Peter Weibel waren viele Jahre Weggefährten und gehörten in den frühen 1970er-Jahren zu den ersten, die im Ausstellungskontext interaktive, elektronische Konzepte erprobt haben. In den Medien war bezüglich der beiden Center vom Kampf der Archive die Rede, Sie wohnen in Wien, wissen Sie dazu Näheres?

Sabine Folie: Peter Weibel hat gut verhandelt. Ich verstehe, dass Weibel wie auch andere nahezu „historische“, prägende Figuren ihre Archive für die Nachwelt in guten Händen wissen wollen. Der Zeitpunkt des Zusammentreffens ist in der Tat überraschend. VALIE EXPORTs Hinarbeiten auf ein Performance- und Medienzentrum reichen ja schon lange zurück, ich weiß nicht, wie lange die Gespräche auf der anderen Seite verliefen.

 

Die Initiative zum VALIE EXPORT Center stammt vor allem von Reinhard Kannonier, dem Rektor der Linzer Kunstuniversität. Von der Idee bis zur Realisierung sollte allerdings noch ein sechsjähriger Kampf folgen, ehe das Center für die international bekannte gebürtige Linzer Künstlerin eröffnet werden konnte. Im Gegensatz zur langen Vorlaufzeit hatte die Direktorin wenig Zeit, sich mit ihrer neuen Aufgabe vertraut zu machen, denn sie musste kurzfristig in ihre neue Funktion „springen.“ Der Grund dafür seien, so Rektor Kannonier, die zahlreichen und hochkarätigen Bewerbungen gewesen, einige davon auch aus dem Ausland. Aus diesem Grund gestaltete sich die Terminfindung für die Hearings schwierig. Die gebürtige Südtirolerin Sabine Folie hat zuletzt die kürzlich eröffnete Ausstellung VALIE EXPORT – Das Archiv als Ort künstlerischer Forschung im Lentos kuratiert. Die Schwerpunkte der Kunsthistorikerin und Kuratorin sind Studien zu (feministischer) Kunst, Theorie und Sprache, Kunst der Postavantgarde der 1960- und 1970-er Jahre bis in die Gegenwart. Sie war leitende Kuratorin an der KUNSTHALLE Wien und bis 2014 Direktorin der Generali Foundation, in deren Sammlung sich auch Werke von VALIE EXPORT befinden.

Zurzeit arbeitet Sabine Folie freischaffend mit internationalen Institutionen und Universitäten zusammen und hat eine Gastprofessur im Fach Kulturgeschichte der Moderne an der Bauhaus Universität in Weimar inne. Sie lebt in Wien. Im Gegensatz zur Geschäftsführerin Dagmar Schink wird Sabine Folie also nicht immer vor Ort sein. Die ungewöhnlich kurzfristige Entscheidung verlangt von ihr flexibles Vorgehen.

 

Sabine Folie: Zwischen Professur, Kandidatur für das VALIE EXPORT Center, Ausstellung und Entscheidung knapp vor Eröffnung des VALIE EXPORT Centers samt Symposion war es in der Tat ungewöhnlich dicht und es war daher angesagt, einen kühlen Kopf zu bewahren und geschmeidig zu navigieren, um alle Aufgaben konzentriert zu erfüllen.

 

Das Center soll auch ein Work in Progress sein, das EXPORT begleiten wird, betrifft das nur die ersten Jahre?

Dagmar Schink: In der ersten Phase ging es um eine Übergabe, die hat sie intensiv begleitet, es ist VALIE EXPORT auch ein großes Anliegen, sie steht uns immer zur Verfügung.

 

Eine Intention des Centers besteht auch darin zu vernetzen, mit anderen Institutionen in Kontakt zu treten. Gibt es da bereits Ansätze?

Dagmar Schink: Wir haben mit Initiativen schon Kontakte geknüpft, die sich zum einen mit VALIE EXPORTs Werk beschäftigen beziehungsweise vergleichbare Forschungsmaterialien haben. Dies werden wir international weiter ausbauen.

Sabine Folie: Ja, und wir haben in den vergangenen Tagen schon wieder viel Networking betreiben können mit internationalen Archiven und Interessierten.

 

Kommen wir zur unmittelbaren Zukunft des Centers, der erste Schritt ist die Digitalisierung des Vorlasses von VALIE EXPORT, in welchem Stadium befindet sich dieser Prozess?

Sabine Folie: Wir werden die Expertise von anderen Archiven einholen, werden mit Expertinnen auf diesem Gebiet arbeiten. Es wird aber vorerst nicht so sein, dass alle Dokumente online einsehbar sein werden, sondern dass es auf Antrag bestimmte Zugriffsrechte gibt. Bezüglich der Rechte tut sich hier ein nicht ungefährliches Terrain auf, das man erstmal eingehend abtasten muss. Da werden wir vorsichtig sein und darum bemüht, uns auf abgesichertem Boden zu bewegen. Die Digitalisierung muss weiter vorangetrieben werden, am besten vermutlich mit Fördergeldern, damit auch die Forschung parallel begonnen werden kann und nicht wertvolle Jahre vergehen, in denen die Bestände nur digitalisiert und nicht beforscht werden können. Diese Dinge müssen alle noch eingehend diskutiert werden.

 

Sie sind durch ihre Gastprofessur in Weimar ständig mit jungen Menschen in Kontakt, ist VALIE EXPORT noch eine prägende Figur für sie?

Sabine Folie: Ja, das Interesse ist da, auch viele Künstlerinnen stellen sich die Frage, welche gesellschaftliche Rolle der Kunst angesichts einer aufgeheizten Kommerzialisierung der „Ware“ Kunst, heute zukommt. Es gibt eine starke Gegenbewegung, einige Künstlerinnen der jungen Generation beschäftigen sich mit aktivistischer politischer Kunst und wollen mit dem Kunstmarkt nichts zu tun haben.

Dagmar Schink: Das ist auch ein Thema für uns, wir wollen auch in die Bildung gehen, Studierenden vor Ort das Center näherbringen, wir haben darüber hinaus auch schon Anträge für Fellowships, wir werden mit Studierenden aus dem In- und Ausland zu arbeiten beginnen.

 

Ich möchte zu den Filmen und Videos von VALIE EXPORT kommen, wie kann man sich das Center in der Praxis vorstellen. Kann ich beispielsweise in die Tabakfabrik kommen und mir Exports Film Unsichtbare Gegner, der mich nachhaltig beeindruckt hat, ansehen?

Dagmar Schink: Ja, es wird Öffnungszeiten geben, im Schnitt drei Tage, wir werden Plätze zur Verfügung stellen, wo die filmischen Werke laufen, wir arbeiten mit Sixpack Film zusammen, mit dem Filmmuseum Wien. (Anm.: Sixpack Film ist ein nicht gewinnorientierter österreichischer Filmverleih und Filmvermarkter.) Wir wollen ein Best-Practice-Modell anstreben.

 

Besonders reizvoll empfinde ich die Linzer Tabakfabrik als Präsentationsort, nicht nur, weil es ein gutes Forum bietet, schließlich wurde ja – als kleine Spitzfindigkeit – das Export Zigarettenpackerl VALIE EXPORTs Markenzeichen. Wie ist es zur Wahl des Ortes gekommen?

Dagmar Schink: Das ist vor meiner Zeit entschieden worden, ich find es gut, man sollte die Tabakfabrik nicht nur Wirtschaft und Industrie überlassen. Dass unser unmittelbarer Nachbar Gerhard Haderers Schule des Ungehorsams ist, gefällt mir auch.

 

Im Lentos ist noch bis Ende Jänner 2018 die Ausstellung zu VALIE EXPORT zu sehen. Wodurch unterscheiden sich die Kompetenzen der Kunstuni und des Lentos?

Dagmar Schink: Da besteht eine klare Aufgabenteilung, die Stadt Linz hat den Vorlass, das Lentos ist für das Material zuständig und wir dürfen es beforschen. Was Ausstellungen betrifft wird es sicher Kooperationen mit der Lentos-Direktorin Hemma Schmutz geben.

 

Das VALIE EXPORT Center ist also fest in weiblicher Hand, auch wenn einige monierten, dass jene Frauen, die sich bereits für das Center engagierten, bei der Eröffnung nicht einmal erwähnt wurden?

Dagmar Schink: Ja, es sind nur Frauen im VALIE EXPORT Center tätig, aber wir schließen natürlich keine Männer aus.