Ein Mann, der gerne noch was werden möchte.

Oberösterreich ist um ein unwürdiges Schauspiel zum Thema „Frauen und Führungspositionen“ reicher. Wie es in einer Aussendung des Landeshauptmanns und Kulturreferenten vom 20.11.2017 hieß, „wird der Vertrag auf Wunsch von Dr.in Gerda Ridler in beiderseitigem Einvernehmen vorzeitig aufgelöst.“ Eingeleitet von dem Satz: „Vor dem Hintergrund der anstehenden Neupositionierung der einzelnen Kulturinstitute und Häuser des Landes Oberösterreich.“ – ein Satz, der hier so unangebracht wie nur irgendwie möglich ist. Denn die „anstehende Neupositionierung“ – wie es der Satz insinuiert – als solche hat wohl kaum damit zu tun, dass die Leiterin das Haus verlässt. Wohl aber die Informations- und Kommunikationsfehlleistungen, von denen die Neupositionierung begleitet wurde. Am 8. November war in einer Tageszeitung zu lesen, dass ihr Vertrag wohl nicht mehr verlängert werde. Bereits davor war hinter vorgehaltener Hand zu hören, dass der Lenkungsausschuss, der für diese Neupositionierung eingerichtet wurde, sowohl ohne Gerda Ridler (wie offenbar zum aktuellen Zeitpunkt ohne jede andere Expertin mit internationaler Expertise) besetzt werden würde. Über Zeitpunkt und Inhalt der Veröffentlichung der Neupositionierungspläne war sie als wissenschaftliche Direktorin laut OÖN vom 5. 10. nicht eingeweiht. Derartige Kommunikationsaussetzer „passieren“ nicht einfach. Sie haben Struktur, sie haben System, sie haben Absicht. Machen wir uns nichts vor: egal, in welche Positionen Frauen kommen und vielleicht noch kommen werden, überall sitzen sie schon – jene Männer, die es sich in den vergangenen Jahrzehnten dort gemütlich gemacht haben, gut vernetzt sind und sich abgesichert haben – wenige durch außerordentliches Talent, immense Anstrengung oder den Willen mehr als andere zu geben, viele durch das gegenseitige Wissen um die Leichen in den Kellern der jeweils anderen und brüderliches zur-Seite-Stehen, sollten die fragilen Konstrukte des Machterhalts bedroht werden.

Und jede kluge Frau ist so eine Bedrohung.

Eine Kleinstadt wie Linz und ein Bundesland wie Oberösterreich eignen sich ganz wunderbar für solche Spielchen. Da gibt es viele Leichen, eine Handvoll Clubs, denen man(n) beizutreten hat, viel Mittelmäßigkeit und immer was zu tratschen. Um Inhalte geht es längst nicht mehr, nur noch darum, die höchstpersönlichen Anliegen am geschicktesten zu verkaufen.

Das vorgegebene Regelwerk ist klar: Gesicht zu Markte tragen, Smalltalk-affin sein. Sich überall blicken lassen und zu allem was zu sagen haben. Immer wieder ein freundliches Gesicht auch zu noch so derben Schmähs machen, mitspielen halt. Sich nicht so anstellen. Nicht zu viel und nicht zu lange nachdenken. Wer dieses Regelwerk missachtet, ist quasi selbst schuld, wenn sie sich den Unmut der Honorigen zuzieht. Da heißt es dann: ihr Hang zur Selbstdarstellung sei zu wenig ausgeprägt gewesen. Spannend, wie wir immer noch dazu tendieren, Erklärungen für das Geschasst-werden nicht bei denen zu suchen, die schassen, sondern bei denen, die geschasst wurden. Schon vor Jahren stand eine Direktorin in der Kritik bei Politik, Tourismus und Medien, nicht etwa, weil ihre Ausstellungen zu wenig Qualität zeigten oder zu wenig Internationalität in die Stadt gebracht hätten, sondern schlicht, weil sie zu unnahbar gewesen sei, den lokalen Größen zu wenig geschmeichelt habe. Sie hat nicht in das Linzer oder Oberösterreich-Konzept einer Frau in Führungsverantwortung gepasst. Weil sich damals kaum noch jemand traute, das öffentlich und als Begründung für die ablehnende Haltung einer Museumsleiterin gegenüber kundzutun, wurden Besucher_innenzahlen hervorgekramt, die den plötzlich recht hohen Anforderungen der Politik nicht entsprachen. Heute ist nicht einmal mehr von dieser Scham etwas übriggeblieben. Unverhohlen werden bei Besprechungen, Eröffnungen oder auf Bühnen wieder Witze gegen Frauen gemacht, wird auf die Nennung, Würdigung oder Einladung von Frauen vergessen – ungeachtet ihres Verdienstes an dem zu Eröffnenden – worauf an anderer Stelle und am Beispiel von Dagmar Schink, Geschäftsführerin des Valie Export Centers bereits hingewiesen wurde. Es geht allerdings immer noch ein Stück tiefer: als mir eine Freundin erzählte, wie unverhohlen frauenfeindlich ihr gegenüber sich ein hochrangiger Landesbeamter äußerte, konnte ich es kaum glauben. Im Sinn von: sie wissen nicht – oder vielmehr schon –, was sie sagen, und fühlen sich auf jeden Fall unendlich sicher. Dass das nicht so gut ankommt beim weiblichen Gegenüber: Drauf geschissen quasi und tatsächlich, es ist wieder die Rede davon, was Frauen dürfen, was sie dürfen sollen und was Männer nicht wollen, dass sie dürfen. Genierer gibt’s kaum noch. Mir waren die Zeiten lieber, in denen sie sich für solche Aussagen und politischen Handlungen noch geschämt haben. Heute regieren teflonartige Politiker, an denen alles abperlt, die keine Regung oder Scham zeigen, wenn sie Kulturvereine, Künstlerinnen und Künstler, berufstätige Mütter und Väter so mit Sparsanktionen belegen, dass kaum noch Zeit zum Aufbegehren, Lesen und Denken bleibt. Oder wenn sie eben Frauen in Führungspositionen ohne jegliche fachliche Begründung abdrängen. Und Gerda Ridler ist womöglich nur die erste von einigen hervorragend arbeitenden Frauen, die nun wieder Platz machen müssen – einvernehmlich natürlich – für einen Mann, der so gerne noch was werden möchte in diesem Bundesland.

Stadtblick

Foto Die Referentin

Foto Die Referentin

Drei Buchstaben, schau genau! Normalerweise wird Genitales schnell hingeschmiert, nicht langsam ins Pflaster gemeißelt. Hier hat sich jemand vors Landhaus gehockt. Wo ist das? Such das Landhaus-FUT! Die Redaktion hat das Graffiti schon vor mehreren Jahren entdeckt und spendiert ein Abendessen für die unbekannten Artists (?), wenn sie sich melden. Weiters gibt die Reaktion ein Abendessen für die ersten zwei Personen aus, die die korrekten Positionskoordinaten der abgebildeten Meißelarbeit an folgende Mailadresse senden: diereferentin@servus.at

Sonne, Mond und CERN

Mit Prolog und sechs Überbegriffen zeigt die Ausstellung „Sterne“ derzeit im Lentos eine weitläufig kuratierte Themenschau. Lichtsmog, Bedrohung, Erhabenheit, Romantik, Leitstern und Kosmologie: Die Literatin Angela Flam hat sich zuerst zu eigenen kosmologischen Gedankenellipsen rund um das Thema Sterne inspirieren lassen, um am Ende zu zwei exemplarischen Positionen der Ausstellung zu schweifen.

Immer noch wandeln wir unter den Umherirrenden. Denn das griechische Wort ‚planetes‘ bedeutet übersetzt nichts anderes als die Umherirrenden, die Umherschweifenden.“ Die Sterne sind ein Symbol für das Unerreichbare, für Unsterblichkeit, Orientierung und Ewigkeit (per aspera ad astra).

„Universe shouldn’t exist“, verkündet CERN am 24.10.17. „Die jüngsten Entdeckungen deuten darauf hin, dass es eine perfekte Symmetrie zwischen Materie und Antimaterie gibt – was bedeutet, dass nicht klar ist, warum sie sich bei der Geburt des Universums nicht gegenseitig vernichteten.“ 99,999…% der beim Urknallereignis entstandenen Materie lassen sich durch Annihilation wegerklären. Unser Universum, der unerklärlicherweise verbleibende Rest, ist fast ein wissenschaftliches Ärgernis.

Zurück ins Jahr 1965. Penzias und Wilson hörten in New Jersey auf Wellenlänge 7,3 cm ein seltsames Störungsrauschen, welches mit gleicher Stärke aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Wie sich später herausstellte, war dieses Rauschen nichts anderes als die kosmische Hintergrundstrahlung, der elektronische Widerhall des Urknalls.

Die romantische Zeit des Sternguckens ist vorbei. Heutzutage werden wir von Satelliten aus dem Weltraum beobachtet, die wie Sterne imponieren. Astronomen durchwachen ihre Nächte vor Computermonitoren, Zahlenkolonnen ziehen über den Bildschirm. Genauer genommen beobachten wir Phantome. Die Himmelskörper, die wir zu sehen bekommen, sind Lichtjahre entfernt und viele bereits erloschen. Wegen der endlichen Geschwindigkeit des Lichts sehen wir einen Stern, der etwa 13 Lichtjahre von uns entfernt ist so, wie er vor 13 Jahren war. Wir sind aus Sternenstaub. Heutzutage können wir uns vom Sonnenlicht ernähren, mit dem Mond kochen, die Marskartoffel ernten und sogar echte Sterne kaufen, verschenken und taufen. Ein Geschenk für die Ewigkeit. Schon gesehen um € 29,95, seriös mit Zertifikat. Oder per Anhalter durch die Galaxis reisen und über die kalten Monde von Jaglan Beta hüpfen und dabei Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest beantworten. Mitzunehmen ist ein Handtuch! Weshalb, schreibt Douglas Adams: „Man kann an den leuchtenden Marmorstränden von Santraginus V darauf liegen, wenn man die berauschenden Dämpfe des Meeres einatmet …“

Was ist es, das die Welt im Innersten zusammenhält & das Universum immer schneller auseinanderdrückt? Die Gravitationswelle am 17. 8. 17 gab den Astronomen einen völlig neuen Einblick in das Universum. Mit der Beobachtung einer einzigen Neutronensternkollision wurde die Hälfte aller astronomischen Fragen beantwortet – wie der Ursprung von Gammastrahlblitzen, die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitationswellen, die Entstehung von schweren Elementen wie Gold sowie das Maß der Beschleunigung der Expansion des Universums. Durch die weitreichende Abhängigkeit unserer Zivilisation von Elektronik gibt es auch enorme Gefahren durch solare Stürme. Ein Ausbruch wie das Carrington-Ereignis 1859 könnte heute unser öffentliches Leben völlig lahmlegen, ein Gammastrahlenblitz überhaupt sämtliches Leben auf der Erde vernichten.

Was passiert, wenn die Sterne verlöschen? Eine ständig wiederkehrende letzte Frage nach der Umkehrbarkeit der Entropie behandelt Isaac Asimov in seiner Science-Fiction-Geschichte. Eine Sonne nach der anderen brennt aus und kollabiert während sich die Menschen in Galaxien bis zur Körperlosigkeit entwickeln und mit der im Hyperraum existierenden Superintelligenz AC verschmelzen. Kurz vor dem allerletzten Augenblick sagt AC „Es werde Licht!“.

Das Licht ist der größte Feind des Astronomen. Gemeint ist der lichtverschmutzte Nachthimmel. Scheinwerfer und permanent pulsierende Lichtquellen stören unsere uralten Rhythmen. In der Natur ist ein klarer Sternenhimmel wie im Planetarium kaum mehr zu finden. Allerdings kann man unter der computeranimierten Sternenkuppel auch nicht (wie mit dem Teleskop) Lichtjahre in die Vergangenheit blicken & auch nicht in die Zukunft, um zu erfahren, welche Stolpersteine uns der nächste Saturntransit aus astrologischer Sicht bringt … Der beringte Saturn ist der äußerste noch mit bloßem Auge sichtbare Planet und war deshalb schon vor Erfindung des Fernrohres bekannt. Am 8. 9. 17 konnte man ihn in der Johannes Kepler Sternwarte in Linz durch ein Teleskop betrachten – mit 15 Minuten Verzögerung. Zurzeit rätselt man über das mysteriöse rotierende Sechseck am nördlichen Pol. In der römischen Mythologie war Saturn Gott der Aussaat und Ernte, mit einer Sichel bewaffnet. Für die Griechen war er Kronos und versinnbildlichte als Gott der Zeit den Ablauf der (Lebens)zeit. Astrologisch steht er als Hüter des Schicksals für das personifizierte Gewissen, Verantwortung, Gesetz und Tod & begleitet uns ein Leben lang als Prüfstein …

Zeitreisen haben (k)eine Zukunft? Ein „kosmisches Wurmloch“ ist nach Kip Thorne ein unverhoffter intergalaktischer Schleichweg, eine Art Tunnel, in dem Überlichtgeschwindigkeit gar nicht notwendig ist, um die Zeit zu überholen. Nach neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik sind wir nicht nur Beobachter, sondern auch Mitschöpfer unserer Wirklichkeit. Ändert sich etwas an einer Stelle im System, so hat dies unmittelbare Auswirkungen auf alles andere. Die Quantenwellen sind nicht nur Möglichkeits-, sondern auch Wahrscheinlichkeitswellen und geben eine Struktur vor, wie sich etwas materiell manifestieren kann – wie „Das Aleph“ in Jorge Luise Borges gleichnamigen Roman, welches ein konzentriertes Universum darstellt. Der kosmische Raum darin enthält alles, was jemals war und sein wird & das in jeder möglichen Variante des Augenblicks.

 

Zwei exemplarische Positionen

„Er hatte Genie, aber kein Diplom“, so beschreibt der surrealistische Maler Max Ernst das Lebensschicksal des Amateurastronomen Ernst Wilhelm Leberecht Tempel (1821–1881) und widmet ihm ein künstlerisches Werk, ein in Geheimzeichen verfasstes graphisches Buch mit dem Titel „Maximiliana oder die illegale Ausübung der Astronomie“. Diese Arbeit Maximiliana ist benannt nach dem ersten Planeten, den Tempel mit seinem Fernrohr gesichtet hat – ohne akademische Weihen und deshalb in „widerrechtlicher Ausübung“. Seine Entdeckung wurde nicht anerkannt – und 70 Jahre später beanspruchte ein anderer Astronom diesen Planeten für sich. Die Leidenschaft, die Astronomie in einer Sternwarte ausüben zu können, war ohne wissenschaftliche Ausbildung, ohne das Diplom, anfangs aussichtlos. Tempel war zudem gelernter Lithograph und später, als sich für seine kosmologischen Entdeckungen Anerkennung einstellte und er eine Anstellung bekam, traf ihn der nächste Schicksalsschlag: das Aufkommen der Fotografie machte seine von ihm hergestellten Lithographien überflüssig. In der Ausstellung ist außerdem ein 12minütiger Film über Tempel zu sehen, „ein Film mit und für Max Ernst von Peter Schamoni“, von 1967. Max Ernst spricht darin über ein Leben und Werk, in dem Berufung und Diplom wohl besonders poetisch wie brutal aufeinandertreffen.

Geschöpfe wie von einem anderen Stern tummeln sich in Manfred Wakolbingers Video „Galaxie 4“, die er bei Tauchgängen im Meer von Sulawesi aufgenommen und künstlerisch bearbeitet hat. Leise vor sich hinströmende Gespinste in Blasen- oder Lianenform, pulsierende Leuchtraketen, eingefangen in Spinnennetzen oder entstiegen aus imaginären Luftkutschen, teils mystisch, teils gespenstisch gleiten sie schwerelos durch blaues Licht in allen Schattierungen, manche tauchen aus der völlig dunklen Abgeschiedenheit aus dem Nichts auf. Diese Kreaturen der Tiefe leben dort in ihrem eigenen Universum, genauso gut könnte man auch außerirdisches Leben vermuten oder sich verändernde Spiegelungen, die stets neue Muster zeigen, wie beim Blick durch ein Kaleidoskop. Bildmotive und visuelles Ausgangsmaterial sind dabei Salpen (Pelagische Seescheiden), die auf offenem Meer in Kolonien leben, sich im Alter teilen, dabei schutzlose Einzelwesen werden und die sich letztendlich verflüchtigen. Wie der Mensch gehören diese Wirbeltiere zum Stamm der Chordatiere, die im Frühstadium Ähnlichkeiten mit dem Embryonalzustand des Menschen aufweisen. Wakolbingers Videoarbeit, im Übrigen auch mit meditativ-psychedelischem Sound unterlegt, korrespondiert auch mit dem Ahnenkult der Toraja, einem in Sulawesi lebendem Bergvolk, die, ihrem Mythos zufolge in einem Raumschiff auf die Erde gebracht und nach dem Tod wieder abgeholt werden. Auch ihre Häuser erinnern an Raumschiffe. Die Weite des Weltalls und die Gräben der Tiefsee bergen gleichermaßen Geheimnisse. Wovon erzählen uns die amphibischen Wesen aus den Tiefenschichten des Meeres? Von längst vergangenem und/oder künftigem Leben? Jedenfalls sind sie uns (Menschen) in vielem überlegen. Unter extremsten Bedingungen können sie, in einem für den Menschen lebensfeindlichen Milieu unter hohem Druck in völliger Dunkelheit gedeihen, sich von Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff ernähren und haben fast unbegrenzte Fähigkeiten sich zu regenerieren. Solche Wesen würden auch auf fremden Gestirnen Lebensbedingungen vorfinden. Manche Forscher vermuten sogar, es gebe eine Verbindung zwischen Ozean und Kosmos: Nach John Delaney existiere ein Spiegelbild des Kosmos unter der Wasserlinie – ein „inner space“ in der Tiefsee.

 

STERNE – Kosmische Kunst von 1900 bis heute Lentos Kunstmuseum, bis 14. Jänner 2018

Die vielfältige und medienübergreifende Ausstellung gibt Einblicke in das Verhältnis des Menschen zum bestirnten Himmel, der Gegenstand der Forschung, der Romantik, der Schicksalsdeutung, jedoch auch von Bedrohungsszenarien ist. Träumerisch, humorvoll, poetisch, aber auch ironisch loten die KünstlerInnen des 20. und 21. Jahrhunderts die Beziehung des Menschen zur Unendlichkeit des Sternenhimmels aus und setzen sich mit dem Funkeln der Sterne und dessen gegenwärtigem Verlust auseinander.

Zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst das Buch Sterne. Kosmische Kunst von 1900 bis heute mit einem Vorwort von Hemma Schmutz und Textbeiträgen von Sabine Fellner, Thomas Macho, Elisabeth Nowak-Thaller, Ute Streitt und Margit Zuckriegl in deutscher Sprache.

Der One-to-One Grenzgang

Auf der MS Sissi von Linz nach Ottensheim gefahren. Auf der ruhigen, dicken Donau eine Stunde lang gegen den Strom getuckert. Am 24. September war das, also am zweiten und letzten Tag vom „Spotter Trip“, einem Projekt der Fabrikanten in Kooperation mit KomA. Theresa Gindlstrasser berichtet.

Körperliche Erlebnis, überwältigend angelegt: Ziggurat Project. Foto Erich Goldmann

Körperliche Erlebnis, überwältigend angelegt: Ziggurat Project. Foto Erich Goldmann

Das Publikum aka die Spotter waren „eingeladen, sich beunruhigen zu lassen“. Also eingeladen, im Rahmen von Live-Art-Miniaturen Begegnungen zu erleben.

Anatol Bogendorfer und Jens Vetter haben unter dem Namen „Gitter“ eine für die einstündige Fahrt zugeschnittene Sound-Performance kreiert. Es wabert, es wummert, es wellt. Es Rhythmus, es Synthesizer, es live Recordings. Derweilen geht die Herbst-Sonne unter und ein Herbst-Abend bricht an. Der Matrose bringt Getränke. Und Decken. Ich schaue aufs Wasser, mit einer Zigarette in der Hand. Es ist alles sehr ruhig, beruhigend eigentlich.

Aber dann! Ankunft in Ottensheim. Es gibt Pizza. Dafür kein Konzert. Alle erzählen von „Bruch“, der Auftritt von Philipp Hanich am ersten Abend war wohl für viele fabelhaft gewesen. Wie schon bei „Hotel Obscura“ (2015) oder „Spotter Night“ (2017), zwei vorangegangenen Projekten der Fabrikanten, ist auch der „Spotter Trip“ ein jeweils individuelles Erlebnis. Aus einem Angebot von insgesamt sechs 15-minütigen Interaktionen (die meisten davon One-to-one) wähle ich drei. Sechs Autos parken auf der Fähre Ottensheim-Wilhering. Die Fähre legt an, wir Spotter werden ins jeweilige Auto eingeladen.

Meinen Rucksack, meine Jacke, sogar meinen Pullover, soll ich in einem Plastiksack verstauen. Der Mann spricht leise, gehetzt. Er setzt mir eine Haube tief über die Augen auf und bindet einen Schal zweimal noch drüber. Ich sehe nichts. Er öffnet die Türe des Kleinbusses und hilft mir beim Einsteigen. Knall, Türe zu, ich alleine, ich sehe nichts. Schreit derselbe Mann nach hinten: „Go to the back! Now!“. Taste ich mich voran, kreische laut auf, als mich mehrere Hände zu sich ziehen, eins, zwei, drei Menschen müssen das sein, wir sitzen nebeneinander auf einer Bank.

Das 2013 in Budapest gegründete Kollektiv Ziggurat Project arbeitet stets site-specific. Für den „Spotter Trip“ wagen sie sich mit „Styx 2.0“ auf wahrlich beunruhigendes Gelände. Nicht nur wird im Hinterteil des Kleinbusses der abstrakte Horror „Flucht übers Mittelmeer“ zum körperlichen Erlebnis, sondern dieses körperliche Erlebnis ist dermaßen überwältigend angelegt, dass reale Angst, Überforderung, Tränen auftreten. Später lasse ich mir von den Beteiligten erklären, dass sie die Choreographie der Ereignisse stets genau mit den Reaktionen der jeweiligen Publikumsperson abstimmen. Die Regisseurin Fanni Lakos dirigiert die Beteiligten, lässt mal Elemente weg, geht mal noch weiter hinein. Solch aufmerksamer Umgang mit den Spottern ist für die Fabrikanten ein wichtiges Element ihrer Bemühungen um die Live Art.

Der Kleinbus rattert über unebenes Gelände. So fühlt es sich an. Stimmen, Geschrei, das Knattern eines Maschinengewehrs. Die Körper rechts und links schunkeln mit mir, schütteln mich durch, pressen meinen Kopf Richtung Boden. Wir alle atmen ängstlich. Dann Möwengeschrei, wir sind auf einem Boot, der Rhythmus der Wellen schaukelt uns weiter. Neben mir weint eine Frau. Sie führt meine Hand und ich schöpfe Wasser, sie trinkt daraus, sie weint, ich auch. Unvermutet hält der Wagen. So fühlt es sich an. Ich steige aus und stehe mit meinem Plastiksack in der Hand etwas verwirrt auf der Donau herum.

Für die Rückfahrt von Wilhering nach Ottensheim bittet mich Vida Cerkvenik Bren die Schuhe auszuziehen. Sie summt vor sich hin. Ich lege mich auf einen Matratzenberg und unter einen Deckenberg. Jemand massiert mir die Füße. Jemand träufelt warmes Wasser über meine Stirn. Ich fühle mich geborgen. Die Arbeit „Flush“ setzt auf das Thema Wasser als Wohlfühlgarant. Durch ein offenes Fenster schauen wir auf den Fluss. Unser Gespräch plätschert unaufgeregt vor sich hin. Das Timing könnte nicht besser sein, wer „Styx 2.0“ erlebt hat, wird bei „Flush“ wieder wohlig aufgepäppelt.

Für meine letzte Fahrt nehme ich Platz in der Personenkabine auf der Fähre. „Tote bei der Arbeit“ von Club Real geht über insgesamt 30 Minuten, also Ottensheim-Wilhering, Wilhering-Ottensheim, und bietet Platz für mehr als nur eine Publikumsperson. Zwei Figuren aus dem Totenreich sitzen mit weißen Masken und schwarzen Umhängen etwas teilnahmslos auf den Bänken herum. Am Boden steht eine Induktionsplatte, ein Topf, darin köchelt wenig Wasser mit viel Zwiebel. Es stinkt. Gewaltig. Außerdem liegt ein Pflasterstein darin. Für dieses „Erlebnis“ wurde wenig vorbereitet, einzige Handlungsanweisung oder Möglichkeit zur Interaktion besteht darin, von erlittenen Schmerzen zu erzählen. Was ein Schmerz mit einem Pflasterstein mit einer Zwiebelsuppe zu tun haben könnten oder inwieweit dieses wenig subtile Arrangement zu einer besonderen „Begegnung“ führen könnte, erschließt sich auch in 30 Minuten nicht.

Seit über 25 Jahren arbeiten sich die Fabrikanten an Konzepten von „Begegnung“ ab. In ihren letzten Projekten haben sie jeweils die Rahmenbedingungen gestaltet und einzelne Kunstschaffende eingeladen in kurzen One-to-one Situationen das Publikum zur Begegnung zu verführen. Obs dazu kommt oder irgendwo in einer wenig einladenden Konstruktion stecken bleibt, das hängt von der jeweiligen Arbeit ab. Insgesamt haben über 100 Menschen am „Spotter Trips“ teilgenommen. Und insgesamt ist die Atmosphäre des „Spotter Trip“ mindestens als geheimnisvoll, manchmal auch als beunruhigend zu beschreiben. Eine Fahrt mit dem Shuttle-Bus zurück nach Linz beschließt das Erlebnis.

Was ich alles nicht gesehen bzw. erlebt habe: Musik hören mit Patrik Huber unter dem Titel „Blinded?“, Kartoffeln essen mit Martha Labil unter dem Titel „Gegen den Strom“, die „Rest Area“ von S. J. Norman, mit Bernadette Laimbauer „sich gehen lassen“ oder mit Boris Nieslony bei „Rent an Artist“ über Live Art diskutiert. „WTF is Live Art“, so heißt eine Interviewreihe der Fabrikanten. Die Videos sind über Youtube zugänglich und versammeln Antworten verschiedener Personen. Die Fabrikanten forcieren den Begriff Live Art in Abgrenzung zur Performance-Kunst und bemühen sich um die Bereitstellung der Rahmenbedingungen für individuelle Begegnungen zwischen Kunstmachenden und Spottern. Immer anders. Immer verschieden. Einzigartig. Und unwiederholbar. Theresa Luise Gindlstrasser geboren 1989, lebt und arbeitet in Wien. Studiert dort Philosophie und Bildende Kunst. Schreibt dort, und manchmal woanders, meistens über Theater.

 

Die Fabrikanten haben außerdem eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen mit dem Titel: „WTF is LIVE ART?“. Bei der „Vortragsreihe zu partizipatorischen Live Art Strategien“ werden Künstler*innen wie Tim Etchells (Forced Entertainment), Aaron Wright (Fierce Festival), Mary Paterson, Robert Pacitti (SPILL Festival), u. a. eingeladen. Den ersten Doppeltermin zum Thema Live Art gab es Ende November, mehr Infos: www.fabrikanten.at

Auguste Kronheim. Ausstellungsempfehlung.

Einer beinahe in Vergessenheit geratenen Künstlerin widmet das Nordico Stadtmuseum seine Herbstausstellung: In „Auguste Kronheim – Begleiterscheinungen“ wird die Schaffensperiode einer Künstlerin überblickt, die über 50 Jahre andauerte. Kronheims beeindruckender Lebensweg führte von Amsterdam über Linz, nach Irland, zurück ins Mühlviertel und schlussendlich nach Wien, wo sie bis heute lebt, und stellt sozusagen die vielfachen gegenseitigen Begleiterscheinungen von Kunst und Leben ins Zentrum. Auguste Kronheim arbeitete u. a. an sozialkritischen Holzschnittzyklen: Unter dem Titel Hell wie der lichte Tag etwa entstanden Holzschnitte, die sich mit den Wünschen und Träumen einer Fließbandarbeiterin in einer Leuchtmittelfabrik befassen; in der Serie Begleiterscheinungen schildert die Künstlerin drastische Ereignisse, wie sie zu ihrer Zeit in den Mühlviertler Dörfern vorkamen. Ab den 1980er Jahren verlagerte Kronheim ihren Fokus vermehrt auf Zeichnungen und Aquarelle mit naturhaften Sujets und Selbstporträts. In der umfangreichen Retrospektive werden mehr als 200 Holzschnitte und 30 Zeichnungen gezeigt.

 

Auguste Kronheim, Begleiterscheinungen 24. November bis 4. März 2018, NORDICO Stadtmuseum Linz

Zur Ausstellung erscheint ein Sammlungskatalog im Verlag Bibliothek der Provinz, mit einem Vorwort von Andrea Bina und Texten von Albert Müller, Brigitte Reutner (Kuratorin) und Franz Schuh.

Noch weit ins Unbekannte hinein

Elisa Andessner ist bekannt für Performances, die von ihr sehr kontinuierlich als Mimesis in Schwarz umgesetzt wurden. Jetzt bricht für die Linzer Künstlerin eine neue Phase an. Erfreulicherweise erscheint in Kürze auch ein Katalog über die letzten Schaffensjahre des Performancelaboratoriums. Pamela Neuwirth hat mit Elisa Andessner über künstlerische Entwicklungen, Bruchlinien und über die Ästhetik des zärtlichen Interieurs gesprochen.

Es ist mittlerweile etwas Zeit verstrichen, fast eine Dekade, seitdem Elisa Andessner die Performance als zentrales körperliches Vehikel anzuwenden begonnen hat. Doch von Anfang an hat eine bestimmte, wie beständige Konzentration und ein gewisser Minimalismus ihren Ausdruck begleitet. Die hintergründige Thematik ihrer Performances ist oft kompliziert angelegt und kann an das Arbeitsrepertoire einer Schauspielerin erinnern oder an Method Acting. 2009 entstand beispielsweise Speech, eine Performance, welche Andessner auch im bb15 zeigte. bb15 ist Linzer Raum und Kollektiv, mit dem das sogenannte Performancelaboratorium kooperierte, aber unabhängig davon seine inhaltliche Schiene entwickelte. In Speech analysierte die Künstlerin den Habitus politischer Repräsentantinnen und Repräsentanten. Diese Handlungsebene wurde von ihr mit einem zweiten, viel weniger repräsentativen Handlungsprogramm verschränkt, nämlich mit dem von psychischen Störungen, wie etwa der Hysterie. Für das Langzeitprojekt (2009–2011) vertiefte sie sich in die Bildsprachen von Politikerinnen und Politiker, aber auch in entsprechende historische Konzepte, wie Freuds Es-Ich-Überich und zelebrierte sie im zeitgenössischen Handlungsschema der Politik. Doch einigermaßen frappant wirkt heute die Aktualität von Speech, zumindest scheinen die damals von ihr erarbeiteten Schemata von Repräsentation und Irrationalität noch immer einer gesellschaftspolitischen Realität standzuhalten.

 

Surrender in Spaces

Das wechselnde Kollektiv Performancelaboratorium, in dem Elisa Andessner nicht nur festes Ensemblemitglied war, um im Kontext eines schauspielerischen Dramas zu bleiben, sondern auch Dramaturgin, war der zentrale Ort, an dem Andessner, neben unterschiedlichen Kooperationen, künstlerische Position und Haltung entwickeln konnte. Der Hang zur Serie oder zu Arbeiten, die wie längerfristige, aufwendige performative Studien funktionieren. In den Laboratorium-Jahren entstanden jedenfalls zahlreiche internationale Kontakte zu unterschiedlich ausgerichteten PerformancekünstlerInnen und führte die junge Künstlerin (*1983) an unorthodoxe Orte, wie Friedhöfe oder leere Strände, an denen sie ihre Praxis vertiefen konnte. Im Gespräch erzählt Elisa Andessner, dass der konkrete schöpferische Prozess einem viel abverlangt. Einsamkeit, zum Beispiel. Und zwar weniger aus einer romantischen Vorstellung heraus oder weil man kompliziert sei, sondern, weil das geistige Geschöpf oder Konstrukt über einen längeren Zeitraum recht wenig Einmischung von außen erlaubt. „Es verhält sich sogar so,“ überlegt Andessner im Gespräch, „dass man nicht einmal selbst zu sehr, zu aktiv in den autonomen Prozess eingreifen dürfe, weil man damit beginnen würde, die oft mäandernde oder zumindest diffuse Entwicklung auf kontraproduktive Art und Weise zu manipulieren. Setzt die eigene Kritik oder auch Kritik von außen zu bald ein, entzieht sich das Ding wie von Geisterhand, entweicht, funktioniert nicht mehr. Das sind Phasen, die schwer auszuhalten sind, da man nicht weiß, wohin die Reise geht, und in dem Zeitkontinuum oft unklar ist, ob Konzept und Entwicklung überhaupt etwas taugen.“

Am Vortag unseres Interviewtermins war in Linz gerade das VALIE EXPORT Archiv in den Tabakwerken eröffnet worden. Heuer erhielt die österreichische Performancekünstlerin Renate Bertlmann einen österreichischen Kunststaatspreis. Zwischen Archivierung und späten Preisen wendet sich unser Gespräch zur #metoo-Debatte. Stellt sich die Frage eines femininen Prinzips in der Performancekunst? Während Männer, zumindest in der Literatur, oft das große Panorama entwerfen, entspricht das sehr subjektive, am eigenen Körper ausgetragene, oft einer weiblichen Herangehensweise. In Gruppenarbeiten seien solche Tendenzen schon bemerkbar. Das Klischee, dass männliche Kollegen die schnellen Entscheidung treffen, findet man auch in der Kunst. Das kann schön sein, sich nicht in langwierigen basisdemokratischen Verhandlungen zu verstricken, aber manchmal reicht es eben auch nicht und man muss, sozusagen unter Einsatz des hohen Energielevels dranbleiben. Dranbleiben. Eine gewisse Abgeklärtheit macht sich im Gespräch breit, doch bevor diese spezielle Stimmung erklärt werden kann, erzählt Andessner noch von der sehr großartigen Performancephase, die unter dem Titel Surrender in Spaces von ihr nicht nur an internationalen Schauplätzen gezeigt wurde, sondern sie das Spiel zwischen Objekt und Subjekt doch einigermaßen zur Meisterschaft gebracht hat. Für die Surrender in Spaces-Serie inszenierte sich die Künstlerin in zahlreichen Settings und differenzierte dabei die Mimesis in Schwarz aus. Eine wiederkehrende, etwas abweisende Geste wird zum ästhetischen Mittel, denn durch die von ihr suggerierte Abgewandtheit, wird die Performancekünstlerin zugleich zum Objekt, zum Denkmal und zum Inventar unterschiedlicher Architekturen oder Gegenden. In den unterschiedlichen Sujets, wie dem bereits erwähnten Friedhof in Oberwart, wird das Denkmalhafte ihres Körpers besonders ausgeprägt. War die Zurückhaltung am Friedhof anfangs noch dem Respekt geschuldet, mündete diese Haltung in dem Resultat, die unterschiedlichen Bestattungsriten und Kulturen besonders gut nachvollziehen zu können, was auch für die BetrachterInnen der Serie sehr gut deutlich wird. Weitere Räume beziehen sich auf das Innen, also Innenräume. In den Innenräumen war die Parallaxe ein zentrales Thema. Andessner zoomte dafür mitunter ihren Körper ins Kleinformat und passte sich so in eine spezifische Raumsituation ein, in eine geometrische Ecke, ins Interieur, stehend in der Wiese oder, wenn es notwendig erscheint, auch auf einen Baum …

 

„Quite elegant … groove“

Interieur liefert ein Stichwort, das eine andere Richtung aufzeigt, zu einer anderen Arbeit führt, die Anfang nächstes Jahres als 80-teilige Grafikserie „Being Human“ und in unterschiedlichen Formaten von Elisa Andessner gezeigt werden wird. Möbel sind schon lange eine spezielle Leidenschaft der Künstlerin. Das Interesse für ein Gebrauchsstück wie das Möbel, ist aber nicht nur dem Design oder ästhetischen Annehmlichkeiten geschuldet, sondern steht mit etwas in Verbindung, das man mit Behaglichkeit und Vertrautheit, mit etwas sehr Intimen und einem menschlichen Grundbedürfnis in Verbindung bringen könnte. Als Andessner ein altes Büchlein über Möbel mit dem Titel „The Observer’s Book of furniture“ in die Hände fällt, beginnt sie es zu bearbeiten, bemalt Seite um Seite, bis die Seiten durch die weiße Ölfarbe etwas Körperliches und Schweres anhaftet. Auf jeder Seite im Buch wurden nur wenige Worte nicht übermalt, die weiße Farbe stellt so die Möbel vom Textblock frei und jene Worte, die noch lesbar sind, scheinen unterhalb des Mobiliars zu tanzen. Mitunter scheint es, als würden die Möbelstücke zwischen den beweglichen Worten und der schweren, weißen Farbe, zu zierlichen Wesenheiten geraten. Elevated …

 

Between Time and Space

Während der letzten Periode, in welcher der Between Time and Space-Zyklus entstand, passierte für die Performancekünstlerin etwas Neues. Vielleicht war der Prozess des Verschwindens daran schuld? Im Rahmen von Between Time and Space setzte sich Andessner jedenfalls nicht mehr nur mit speziellen Räumen auseinander, sondern bewegte die Räume oder Elemente gewissermaßen in ihre Richtung, in sich hinein, verleibte sie sich ein und verschwand dabei letztendlich selbst in einer neuen Virtualität. In Between Time and Space finden sich die BetrachterInnen zwar wieder in der Natur oder innerhalb spezieller Architekturen, doch spielen dieses Mal auch flüchtige Elemente, wie Rauch oder Wolken oder die Oberflächenstruktur des Meeres, eine Rolle. Zentral war während der gesamten Phase die Arbeit mit der Kamera, wofür sie eine Canon EOS 70D verwendet, um die jeweiligen Situationen zu fotografieren. Between Time and Space arrangierte sich Elisa Andessner derart mit dem Fotos, dass sie ihre Silhouette brechen oder daran andocken, die Bilder schieben sich vor ihre jeweiligen Körpergrenzen und schieben ihren Leib, Layer um Layer, langsam aus dem ursprünglich gemeinsamen Bildnis und bringen ihn scheinbar zum Verschwinden. Die Virtualität, die dabei entsteht, hat einen neuen und unbekannten Möglichkeitsraum für die Linzer Künstlerin eröffnet.

Die Performance als künstlerischer Ausdruck rückt zurück und gibt Raum für das, was Andessner formuliert als Wunsch, noch tiefer in das Unbekannte hineinzugehen, aber subtiler, intermedial und ästhetisch komplexer, als das mit dem performativen Zugang möglich wäre. Uns bleibt der Ausblick auf den Katalog, der nächstes Jahr von ihr mehr oder weniger unabhängig vom bb15 und in Eigenregie, über die Arbeiten im Performancelaboratorium veröffentlicht wird sowie ihre geplante Ausstellung der zärtlichen Interieurs: Being Human.

 

Die Bildserie „Between Time And Space“ ist während eines Residencyprojektes in Norditalien, im Rahmen des LinzExport Stipendiums der Stadt Linz, entstanden.

Elisa Andessner hat zuletzt im Kulturquartier bei der Ausstellung anlässlich „60 Jahre Egon Hoffmann Atelierhaus“ teilgenommen.

Ein umfangreicher Einblick in Elisa Andessners Arbeiten: elisa.andessner.net

Rubrik Wirtschaft sagt, was Performance ist.

Der Exportmotor brummt: Die oö. Wirtschaft zeigt herausragende Export-Performance. 2017 wird zum erfolgreichsten Exportjahr in der Geschichte Oberösterreichs. Jetzt Kurs weiter halten, mit Top-Support für Unternehmer.

 

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Bedeutungs-Flüsse

Christian Steinbachers neues Buch Gräser im Wind als Abgleich und Genealogie. Über die Idee einer bis zum Stillstand verlangsamten Wahrnehmung, über Sprachskepsis und Ambivalenz anstelle universeller Wahrheiten schreibt Florian Huber.

„[…] und dann schien, obgleich nicht der leiseste Wind wehte, wahrscheinlich ein ganzer Baum zu erschauern, wobei alle seine Blätter einen plötzlichen, letzten Regen abschüttelten, dann fielen noch ein paar Tropfen, und dann, eine ganze Weile danach, noch ein Tropfen – und dann nichts mehr.“ – Mit diesen Worten endet der im Original 1958 erschienene Roman Das Gras des französischen Schriftstellers Claude Simon in der 1971 erstmals publizierten deutschen Übersetzung durch Erika und Elmar Tophoven, der 2005 eine Neuübertragung durch Eva Moldenhauer folgte. Der von Simon in diesen Zeilen gemachte Versuch, etwas Vergangenes wenigstens in der Sprache festzuhalten, indem man die eigene Wahrnehmung zu verlangsamen und zum Stillstand zu bringen sucht, ist vermutlich auch dem Lesen und literarischen Übersetzen inhärent. Diese Idee bildet jedenfalls das zentrale Motiv im Schreiben des 1913 in der madagassischen Hauptstadt Tananarive geborenen, und 2005 in Paris verstorbenen französischen Literaturpreisträgers, dessen Werk dem 1960 geborenen Linzer Schriftsteller Christian Steinbacher in seinem neuen Prosabuch Gräser im Wind. Ein Abgleich (Czernin Verlag 2017) als poetologischer Angelpunkt dient: „Ein Dehnen von Momenten ist’s, das uns da zum zentralen Vorhaben wird. Ja, immerzu gedehnt will das sein, ja und ja, und ja und ja und ja“ (S. 75).

Der Titel seiner Textsammlung erinnert dabei gleich doppelt an Claude Simon, indem neben Das Gras auch der prominente Vorgängerroman Der Wind von 1957 evoziert wird, während die für den Band zentralen „23 Seilschaften“ an die bereits 1947 entstandene Prosa Das Seil denken lassen. Das titelgebende Flechtwerk fungiert bei Simon als Sinnbild einer Historie, die dem Menschen geradlinig und zielgerichtet erscheint, aber letztlich doch unentwirrbar, verschlungen und voller Widersprüche ist, wie auch das dem Roman Das Gras vorangestellte Motto des russischen Autors Boris Pasternak unmissverständlich deutlich macht: „Niemand macht die Geschichte, man sieht sie nicht, ebenso wenig wie man das Gras wachsen sieht.“ Ihre Betrachtung verlangt daher nach einer Methode, die die inneren Widersprüche historischer Vorgänge und die mit ihnen verbundenen Traumata offenlegt, indem sie das „Werden der Menschheit [als] eine Abfolge von Deutungen“ begreift, wie der Philosoph Michel Foucault im Anschluss an Friedrich Nietzsches Genealogie der Moral formulierte.

Literatur wie Geschichtsschreibung dienen damit weniger der Begründung kultureller Identität als ihrer permanenten Kritik, indem sie an ihre Kontingenz, ihr historisches Gewordensein und somit auch an ihre Veränderbarkeit und Abhängigkeit von den herrschenden Machtverhältnissen erinnern: „Werden auch Schlussfolgerungen geboren? Oder gehen sie nur hervor?“ (S. 50). An die Stelle universeller Wahrheiten tritt dementsprechend ein Plädoyer für die Vielfalt historischer Gegenstände, Akteure und Sinnzuschreibungen, die nicht in einem gemeinsamen ahistorischen Ursprung wurzeln, sondern in ein Geflecht vielschichtiger Machtbeziehungen und Handlungen, eingebettet sind, die die Genealogie zu verorten und beschreiben sucht: „Und in ihrer Ansicht, dass schleifen auch ‚verwickelt‘ sein können, und nicht nur etwa ‚kompliziert‘, möchte ich unserem Professionistenpaar gerne recht geben.“ (S. 50). Wahrnehmungsroutinen werden durchbrochen, Worte und Dinge erscheinen in einem neuen Licht, indem festgefügte Wertvorstellungen und vermeintlich selbstverständliche Bedeutungen hinterfragt und andere Möglichkeiten des Handelns und Denkens in Betracht gezogen werden: „Auch bei L-leder denken wir unweigerlich an etwas Glattes. Ein pelziges Leder sei daher völlig widersinnig, meinte mein Gesprächspartner, als ich ihn scherzhaft fragte, wo es ihn denn mehr hinziehe, zu dem pelzigen oder zum krümeligen.“ (S. 54). Wie Claude Simons Prosa verdankt sich Steinbachers Erzählen mithin einer Sprachskepsis und einem Streben nach Ambivalenz, das das Seil kurzerhand zur Seilschaft macht und dadurch gleichermaßen auf Bergfreundschaften wie korrupte Vorteilsannahmen verweisen kann. Der Verlust feststehenden Sinns wird zum Ermöglichungsgrund poetischer Rede, da die begriffliche Mehrdeutigkeit zugleich den Garanten für sprachliche Unterscheidungen und Nuancierungen darstellt: „[…] also haltet bitte fest: Ein Volant ist keine Rüsche, ein Boy kein Portier, und eine Haube kein Deckel.“ (S. 46).

Im Rahmen literarischer Übersetzungen scheint dieses Differenzierungsvermögen besonders gefordert, wie Gräser im Wind durch die textliche Integration der Claude Simon-Übertragungen von Eva Moldenhauer und von Elmar und Erika Tophoven deutlich zu machen sucht. Während die literarische Leistung des Ehepaars Tophoven in der Rezeption häufig alleine Elmar zugeschrieben wurde, kommen bei Steinbacher stets Elmar und Erika zu Wort, deren Reden von einer dritten Figur namens Evas flankiert werden: „Eva: ‚was soll das beruhige dich‘ / Erika und Elmar: ‚ach was‘ / Eva: ‚was soll das‘“ (S. 102). So besehen liegen dem Verfertigen literarischer Texte und ihrer Übertragung kollektive Erfahrungen zugrunde, die das Geräusch der eigenen Stimme mit fremden Klängen in Gestalt anderer Sprachen und Themen, alternativer Lektüre- und Lebenserfahrungen konfrontieren. Deutschsprachige Leserinnen verdanken dem Ehepaar Tophoven etwa auch die Bekanntschaft mit dem Werk Samuel Becketts und von Nathalie Sarraute, während Moldenhauer neben Texten des französischen Ethnographen Claude Lévi-Strauss im Verlauf des letzten Jahrzehnts insgesamt sechs Romane Claude Simons ins Deutsche übertrug, die gemeinsam gelesen neue Motive, Fragestellungen und literarische Lösungsansätze sichtbar werden lassen. Sie alle umkreisen in ihrem Denken und Schreiben die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts und ihre traumatischen Zumutungen für das Individuum und die Gesellschaft, indem sie die begriffsschwache Erfahrung der Sinne in Sprache zu übersetzen und dabei literarische Traditionen umdeuten oder zu dekonstruieren suchen. Der eigene Text ist dabei Resultat des Austauschs mit anderen, deren Denken, Leben, Fühlen und Schreiben die eigene Ästhetik prägt. So treten in Steinbachers Prosa neben Claude Simon und seinen deutschen Übersetzerinnen etwa Felix Philip Ingold, Tomas Schmitt, Gunnar Ekelöf, Arthur Køpcke, Stefan Ripplinger und vor allem die Linzerin Elisa Andessner, die für den Band Fotografien beisteuerte – als künstlerische Weggefährtinnen in Erscheinung, zu denen sich Familienmitglieder und andere vertraute Stimmen gesellen, die den Schreib- und Redefluss zusätzlich durchkreuzen: „Ein Prachtsatz des Peppe heute: „,Ich weiß, dass das dort nicht passt, aber so kommt es mehr zu Geltung.‘“ (S. 265). Durch die Vielheit der Stimmen und ihre Uneinheitlichkeit wird die Prosa zur Genealogie. Im Akt des Zitierens erteilt der Dichter dem herrschenden Druck zur Anpassung eine poetische Abfuhr, die anstelle homogener Identitätskonzeptionen plurale Anschauungen und Lebensformen setzt. Florian Huber schreibt und forscht über den Zusammenhang von Literatur und Wissenschaft und lehrt an der Leuphana Universität Lüneburg.

Literatur sagt …

Es ist ein Kampf. Gegen Krankheiten. Gegen die Stadt Essen. Gegen drohende Altersarmut. Gegen den Alkohol. Gegen das Vergessen. In der grausigen Dunkelkammer Deutschland.

 

Über das durchschnittliche oder weniger durchschnittliche Erliegen von Engagement und Kunst in einer anderen mittelgroßen Stadt berichtet Florian Neuner in seinem neuen Buch Drei Tote. Wir zitieren zu den drei Toten aus dem Verlagstext: „Das ist eine Künstlerin, die mit ihren großformatigen Collagen zu einer ganz eigenen feministischen Position gefunden hatte, ehe Kunstvermittlung und soziokulturelles Engagement in den Vordergrund traten, Kunst und Lebenspraxis verschwammen. Das ist ein Vertreter der konkreten Poesie, der als Linguist an einer Universität lehrte und darob als literarischer Autor zunehmend in Vergessenheit und Isolation geriet, ohne freilich seinen Glauben an die neoavantgardistische Literatur zu verlieren. Das ist schließlich ein Musiker, dessen Arbeit als Komponist aufgrund seines publizistischen Engagements und seines Alkoholismus letztlich zum Erliegen kam.“ Florian Neuner, Drei Tote, Verlag Peter Engstler

Die kleine Referentin

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