2015 fuhr der Bildhauer Hans Schabus für sein Kunstprojekt „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“ mit dem Rennrad von San Francisco nach New York. Johannes Staudinger fuhr nun mit seinem Rennrad von Linz nach Wien, legte dabei in 8 Stunden und 57 Minuten 232 km zurück, verbrannte 8506 Kalorien und führte mit Hans ein Ateliergespräch über das Fahrrad in seiner künstlerischen Arbeit.
The Long Road from Tall Trees to Tall Houses. Das Kunstobjekt Fahrrad wartet in seiner Transportbox. Foto Johannes Staudinger
Francesco Moser und CAPO. – Alles hat seinen Platz im Atelier. Foto Johannes Staudinger
The Long Road from Tall Trees to Tall Houses. Hans Schabus unabsichtlich geselfiet, irgendwo in Ohio. Foto Hans Schabus
Hans, wir kennen uns seit 1998 und ich hab dich ja nicht kennengelernt als Radfahrenden. Aber bei einem Treffen 2014 fiel mir auf, dass du total süchtig nach Radfahren warst und mir erzählt hast, „Ich schau beim Fenster raus und sobald ich merke, dass das Wetter halbwegs passt, sitz ich am Rad“. Was hat dich am Ende doch zum Radfahren gebracht?
In meiner Kindheit habe ich als 13-Jähriger bei einem Zeichenwettbewerb teilgenommen und da gewann ich ein 10-Gang- Rennrad. Aber keines von der Sorte, welches man heute noch gerne besitzen würde, nichts Cooles, sagen wir so. Es hat in meinem Umfeld keine Radfahrer gegeben. Mit fünfzehn, sechzehn Jahren waren für uns Motorräder, Schifahren und im Sommer Fußballspielen interessant, aber nicht Radfahren. Ich hab mir immer gedacht, wenn ein Radfahrer bei uns auf das Nassfeld, auf den Passo di Pramollo raufgefahren ist, um Himmelswillen, das möchte ich nie in meinem Leben machen, das ist das Verrückteste, was man im Leben machen kann. Später, als ich bereits in Wien war, bin ich immer zu Fuß gegangen, weil ich so in der Stadt viel gesehen habe, Sachen, die für mich neu waren, in den Geschäften, den ganzen Stadtvierteln usw. Ich habe für mich so etwas wie eine Kultur daraus gemacht, nämlich die des Erwanderns, oder des Ergehens. So um 1997 bezog ich ein neues Atelier in einem anderen Bezirk, wo das tägliche zu Fuß Gehen dann zu weit wurde. Ich kaufte mir dann ein altes Rennrad, ein Francesco Moser, eine Spur zu klein, aber mit dem fuhr ich in der Stadt herum. Leider wurde mir dieses Rad 2001 gestohlen. Von einem Onkel, der früher Rennradfahrer war, bekam ich daraufhin ein altes Dancelli. Ich bin aber noch immer nicht richtig Rennradfahren gegangen. Es hat lange gedauert, nämlich bis 2010. Da hab ich mit dem Rauchen und dem Fernsehen aufgehört, und mit dem Rennradfahren begonnen. Eigentlich über einen Freund, der mir das Buch von Robert Penn „Vom Glück auf zwei Rädern“ schenkte. Ich las dieses Buch und war praktisch infiziert! Daraufhin ergab sich eins aufs andere. Hier im 20. Bezirk gab es CAPO, das schönste Fahrradgeschäft, welches gerade vor ein paar Wochen zugesperrt hat, in den 80ern umgebaut wurde und eine Betonfassade mit einem kreisrunden Fenster hatte, welche vom Architekten Carlos Scarpa hätte sein können. Ich wusste, CAPO baut Räder, ich bin zu ihm rein, ließ mir ein Rad bauen und war dann gleich in dieser ganzen Welt gefangen.
Es ist also alles noch nicht solange her. Es hat nicht lange gedauert und bei einem Residency-Projekt auf Sri Lanka hast du ein Fahrrad in deine Arbeit eingebaut?
Genau, das war dann ein bisschen später. Im Winter von 2011 auf 2012. Dort hatten wir eine Ausstellung in Colombo. Ich war damals dabei, etwas mit einem alten, rostigen Rad eines Arbeiters der Residency zu machen. Man muss sich vorstellen, die Räder dort sind alle komplett verrostet wegen der hohen Luftfeuchtigkeit und der salzigen Luft. Der Rahmen hatte richtig große Rostlöcher, wo man hindurchsehen konnte. Andererseits haben die Menschen dort einen Materialbegriff, dass alles was glänzt, dauerhaft ist, d.h. Chrom, Glas und Poliermittel sind must-haves. Ich habe dieses Fahrrad dann zerlegt, die Teile abgelaugt, verchromt, wieder zusammengebaut und sozusagen so etwas wie eine rückwärtige Veredelung durchgeführt, wobei die Oberfläche noch immer zerfressen war, aber jetzt eben verchromt. Doch irgendwann wird sich der Rost wieder durch die neue Chromschicht arbeiten. Anschließend fuhr ich mit dem Rad in einer Tagesfahrt 150 km zur Ausstellung. Die Straße, der Verkehr sind dort anders, es sind Fußgänger, Fahrradfahrer, Auto-, Lastwagen- und Motorradfahrer alle dichtgedrängt beisammen. Das ist, wenn man so sagen möchte, ein visuelles Unterfangen, jeder schaut auf jeden, aber es ist auch brandgefährlich, weil der Verkehr einfach anders funktioniert als bei uns.
Mit diesem verchromten Rad möchte ich die Brücke zur letzten Ausstellung schlagen, wo du 2015 5352 km durch Amerika geradelt bist, „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“. Wie ist es dazu gekommen?
Man muss hier einen Schritt zurückgehen, weil mit dieser Radreise in Sri Lanka und gleichzeitig in Wien, das Begreifen meiner Umgebung mit dem Fahrrad, da hat sich bei mir einiges getan. Nämlich, wie groß so ein Wirkungskreis mit einem Rennrad sein kann. Man kommt relativ weit und sieht sehr viel. Ich bin von Grund auf ein sehr neugieriger Mensch und entdeckte das Fahrrad als Werkzeug, um meine Abenteuerlust zu stillen. Ich hab dann auch begonnen, Wien geographisch ganz anders zu begreifen. Das hat mich irre beflügelt. Das mit dieser amerikanischen Reise hat dann so angefangen, dass diese Radfahrlust immer größer und größer wurde, fast schon unstillbar, d.h. es ist in mir dieser Wunsch größer geworden einfach einmal nichts anderes zu tun als Rad zu fahren. Da ich mit den USA gute Erinnerungen verbinde, weil ich einmal in L.A. eine längere Residency hatte, habe ich einfach die Liebe zum Radfahren, zur USA und das Verlangen nach Alleinsein und einfachen Tätigkeiten, wie das Treten der Pedale, miteinander verknotet. Anfangs war es gar nicht als künstlerisches Projekt gedacht, sondern wirklich als Auszeit. Dann aber ist der künstlerische Egoismus zurückgekommen und hat gesagt, du musst eine Ausstellung daraus machen.
Wie ist dieses Projekt, die Reise mit dem Rad durch Amerika dann generell vom Kunst-Publikum aufgenommen worden?
Es ist ja wirklich schwierig, weil was ich nicht möchte ist, dass es sozusagen so etwas Heroisches ist, wenn man so etwas macht. Weil, das Einzige, was wirklich herausfordernd ist, ist die dafür notwendige Zeit auf die Seite zu schaufeln. Bei mir waren das sechs Wochen, mit An- und Abreise, 50 Tage, die man organisieren muss. Ich kann es jetzt schwer einschätzen, wie so etwas gelesen wird, wie man so was verstehen kann. Für mich war es sehr interessant, es zu machen.
Werden jetzt in deiner Kunst öfter Fahrräder vorkommen?
Nein, das denk ich jetzt nicht, aber… wer weiß? Aber interessant ist ja tatsächlich, wie Konrad Paul Ließmann gesagt hat, dass Fahrräder Reflexionsmaschinen sind. Also, dass das so ein Ort ist, so ein Werkzeug, um über bestimmte Dinge nachzudenken.
In deinen Arbeiten gibt es immer wieder Zitate auf die endlose Säule von Brancusi. Das hat bereits Anfang der 2000er begonnen, wo du die Säule auch in Rumänien, in Targu Jiu besucht hast. Jetzt gibt es die Idee von dir, mit deinen Studierenden mit dem Fahrrad von Wien nach Targu Jiu zu reisen. Was können sich davon Studierende erwarten bzw. mitnehmen?
Was interessant ist für Studierende, diese Reise zur endlosen Säule zu machen, ist erstens einmal, dass man so was wie ein Ziel hat, ein Ziel fokussiert, adressiert. Das Ziel ist diese Skulptur von Brancusi, die endlose Säule, die wichtigste Skulptur des 20. Jahrhunderts, und um diese Skulptur zu begreifen, müssen wir für uns den Raum erobern, der hier dazwischenliegt. Erobern im Sinne einer Aneignung, dass man es auch körperlich begreift und erfährt, als Gruppe, dazu ist das Fahrrad ein wunderbares Werkzeug. Deswegen denke ich, dass das für uns alle einfach eine tolle Erfahrung werden kann, etwas gemeinsam zu machen. Es auch zu sehen, was da dazwischen ist, und es auch aufzunehmen mit allen zur Verfügung stehenden Synapsen.
Links:
Aktuelle Ausstellung: Hans Schabus’ Cafe Hansi im Mumok, Wien:
www.mumok.at/de/events/cafe-hansi
Hans Schabus’ Blog „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“:
from-tall-trees-to-tall-houses.blogspot.co.at
Buch „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“, Harpune Verlag: www.harpune.at/schabus.html
Nachschau: Ausstellung im Salzburger Kunstverein „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“:
www.salzburger-kunstverein.at/at/ausstellungen/vorschau/2016-02-20/hans-schabus
Nachschau: Ausstellung in Kunsthalle Darmstadt „The Long Road from Tall Trees to Tall Houses“:
www.kunsthalle-darmstadt.de/Programm_3_0_gid_1_pid_151.html