„Herausschälen, bis wir halbwegs zufrieden sind“

Mit Ende dieser Spielzeit kehrt Schauspielchef Gerhard Willert der Bühne des Linzer Landestheaters den Rücken und wird im Herbst durch den deutschen Regisseur Stephan Suschke abgelöst. Willert hat mit seinem Schauspielprogramm und seinen eigenen 55 Inszenierungen dem Linzer Theater eine unverwechselbare Note verliehen und das Theaterpublikum auch polarisiert.

Ein Jahr lang will sich Gerhard Willert nach Ende dieser Spielzeit einen Luxus gönnen, den er seit Beginn seiner Funktion in Linz 1998 kaum kannte: Ruhe und Entspannung, um Pläne für die Zukunft zu schmieden. Willert ist in der Nähe von Regensburg geboren und inszenierte unter anderem in Cardiff/Wales, München und Hamburg. 1993 wird er am Schauspielhaus Wien engagiert, für seine Inszenierung von Philip Ridleys Disney-Killer wird er mit der Kainz-Medaille ausgezeichnet. Als Schauspielchef und Regisseur in Linz habe ich Willert als leidenschaftlichen Theatermenschen kennengelernt, der manchmal wahre Theatererlebnisse auf die Bühne gebracht hat. Zu unserem Gespräch treffen wir uns in der Theaterkantine. Während eines verspäteten Mittagessens plant Willert mit seiner Assistentin die nächsten Tage, beide müssen umdisponieren und jonglieren, da dem Autor Christoph Nußbaumeder in seinem Stück Das Wasser im Meer, Willerts letzter Inszenierung in Linz, noch eine „Figur zugewachsen ist.“ Aus dem subjektiven Blickwinkel einer Theaterbesucherin, die seine Inszenierungen geschätzt hat, habe ich anschließend ein – vielleicht nicht objektives – Interview mit Gerhard Willert geführt.

Du siehst dich selbst als einen Theaterjunkie, was tut ein „Süchtiger“, wenn man ihm seinen Stoff nicht mehr gibt, also in diesem Fall die Bühne wegzieht?

Ich ziehe sie mir ja selber weg. Ich möchte jetzt mit dem Intendantenwechsel und bevor ich mich wieder neu orientiere noch in Linz bleiben, ruhiger treten und die Zeit nutzen, um zu lesen und zu schreiben.

Wirst du denn, um bei dem Bild zu bleiben, nicht bald deinen Stoff vermissen?

Ich denke spätestens im Herbst, wenn die Saison wieder beginnt, werde ich die Proben vermissen. Aber nicht allzu sehr, denn wenn ich jetzt schon an einem anderen Ort die neue Spielzeit hätte programmieren müssen, wäre das mit meiner Aufgabe in Linz nicht kompatibel gewesen. Inszenieren kann ich ja, auch ohne Direktor zu sein. Ich strebe jedoch wieder eine Leitungsposition an, allerdings frühestens ab der Spielzeit 2017/18. Ich lass mir Zeit, schließlich will alles gut vorbereitet sein. Bis dahin bleibe ich lieber hier als – wie so viele – nach Berlin oder München zu ziehen.

Hättest du gerne deinen Vertrag verlängert oder siehst du den Intendantenwechsel und deinen damit verbundenen Abschied aus Linz als willkommene Zäsur in deinem Leben?

Es ist eindeutig eine willkommene Zäsur. Das Landestheater hat sich durch das Neue Musiktheater verändert, ich meine das deskriptiv, nicht wertend. Es sind nicht mehr die Arbeitsbedingungen da, die mich interessieren. Da ich selbst keine Lösung für das Dilemma finde, ist es so das Beste. Das ist der Grund meiner Trennung vom Landestheater. Ich hätte außerdem ohnehin nie gedacht, dass ich so lange bleiben würde. Wenn mir jemand vor 18 Jahren gesagt hätte, dass ich 2016 noch immer hier sein werde, hätte ich ihm den Vogel gezeigt.

Wenn du an deine 18-jährige Zeit als Schauspielchef des Landestheaters zurückdenkst, was ist dir in erster Linie gelungen?

Vor sehr vielen Jahren gab mir der große Kollege Patrice Chéreau den Rat: Mach dir keine Gedanken über deinen Stil, das sollen andere tun. Auf deine Frage bezogen heißt das: wenn ich mich jetzt mit einer mittlerweile geflügelten Redewendung frage: „Wos woar mei Leistung?“, so würde ich zum einen sagen Stilpluralismus statt Monokultur, zum anderen aber und vor allem ist es das maximal emanzipierte Ensemble. Ich habe versucht, flache Hierarchien zu schaffen.

Was hättest du noch gerne umgesetzt?

Prinzipiell fällt mir inhaltlich dahingehend nichts ein, außer dass ich einige Stücke noch gerne gemacht hätte, oder um Shakespeares Zettel aus dem Sommernachtstraum zu zitieren: „Lasst mich den Löwen auch noch spielen.“ Baulich betrachtet hätte ich natürlich gerne das renovierte Schauspielhaus, das ich mitgeplant habe, eröffnet, und als kleine intime Spielstätte die Alte Tischlerei. Das eine hat das Denkmalamt verhindert, das andere unser neuer kaufmännischer Direktor. Aber bof … c’est la vie … Und ich habe letztes Jahr das Landestheater in das europäische Theaternetzwerk ETC überführt. Konkret profitieren davon werden jetzt meine Nachfolger, der Hermann und der Stephan, und das ist auch gut so.

Könntest du dich in Zukunft auch in einem anderen Beruf sehen, Gerhard Willert als Autor …

Ja, als Autor durchaus. Allerdings ohne das Theater aufzugeben.

Interessant, denn ich habe Autor eigentlich spontan und beispielhaft genannt.

Da ist dir wohl instinktiv das Richtige eingefallen. Doch, doch, literarisch zu arbeiten würde mich durchaus reizen, aber dazu fehlte mir neben dem Job bisher der Atem, übersetzen ging gerade noch. Ich war diesbezüglich manchmal neidisch auf Joël Pommerat, der beide Berufe zu verbinden weiß. (Anm.: französischer Schriftsteller und Regisseur, den Gerhard Willert für den deutschsprachigen Raum entdeckt und von dem er am Linzer Landestheater vier Stücke inszeniert hat.)

Könntest du dir vorstellen, Stücke zu schreiben?

Sagen wir so: Textsorten. Ich finde zu sagen, ich schreibe ein Stück ist bereits ein falscher Ansatz. Man muss prozesshaft arbeiten, die involvierte Energie muss die ihr adäquaten Formen finden. Wenn das dann aufgeführt wird, ist es ein Stück.

Als Schauspieldirektor eines großen Hauses verfügt man über eine nicht zu unterschätzende Machtfülle, wie bist du damit umgegangen?

Als ich nach Linz kam, war ich mir bewusst, was auch diesbezüglich auf mich zukommen wird. Aber man muss es in der Relation sehen. Seien wir ehrlich, das bisserl Macht über hundert Leute, was ist das schon? Ich bin fast sicher, dass ich da nicht gefährdet bin. Ich habe mich intensiv mit Michel Focault beschäftigt, auch andere Literatur zum Thema gelesen, ich hatte also eine Basis.

Ich hatte bereits Anfang der 1990-er Jahre das Angebot, Schauspielchef zu werden, da hat es mich noch nicht interessiert. Erste Leitungserfahrung hatte ich im Schauspielhaus Wien. Mich hat es an vielen Theatern genervt, wie mit Macht umgegangen wird, da gab es feindliche Lager, viele fühlten sich unterdrückt, die Direktoren agierten manchmal sehr willkürlich, die Regisseure standen in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Ich wollte ein freundschaftliches, kollegiales Klima. Von dieser Mission war ich erfüllt, als ich hierher kam, und es ist mir gelungen, sie umzusetzen.

Muss denn das nicht zwangsläufig Illusion bleiben, denn sobald Menschen miteinander arbeiten, entsteht doch Konkurrenz und daraus resultierend Konflikte. Ist Freundschaft für ein sachliches berufliches Klima nicht sogar eher hinderlich?

Das glaub ich ganz und gar nicht … und die jüngeren Erkenntnisse der Neurowissenschaften bestätigen meine Erfahrung … der Fisch stinkt vom Kopf her. Man kann durchaus mit Schauspielerinnen und Schauspielern arbeiten, mit denen man auch gut befreundet ist. Für mich war das noch nie ein Hindernis, im Gegenteil. Wenn ich einen Menschen sehr gut kenne, kann ich mir viele Worte sparen, ich weiß, wo ich anknüpfen muss, ich erinnere ihn an Situationen, die wir gemeinsam erlebt haben, und derjenige weiß dann genau, was ich meine.

Du hast, wenn ich mich zurück erinnere, öfters Stücke gewählt, die die orientierungslose westliche Gesellschaft des beginnenden neuen Jahrhunderts in den Mittelpunkt rücken, vor allem bei den Inszenierungen von Joël Pommerat, den du sehr schätzt. Gibt es deiner Meinung nach Themen, die aus politischen oder aktuellen Gründen auf die Bühne müssen oder muss dies nicht Aufgabe des Theaters sein? (Anm.: Willert hat beispielsweise knappe drei Monate nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 mit einer spontanen Änderung reagiert und das Stück Drei Wochen nach dem Paradies auf den Spielplan gesetzt.)

Klar, ich lebe ja in der Zeit, das hat alles mit uns zu tun. Doch wir finden die aktuellen Bezüge nicht nur in zeitgenössischen Stücken, wir finden sie auch beim Parasiten Tartuffe, der als Figur sehr aktuell ist, obwohl Molière ihn vor 350 Jahren geschrieben hat. (Anm.: Tartuffe ist noch bis 7. Juli in Willerts Inszenierung in den Kammerspielen zu sehen.)

Du hast, wie gerade angesprochen, einige Stücke gewählt, die sich am Puls der Zeit bewegen. Es gibt andererseits auch die Auffassung, gerade in politisch brisanten Zeiten sollte man in der Kunst Gegenpositionen aufbauen, nicht im Sinne des sogenannten Wahren, Guten und Schönen natürlich, aber dennoch eine Gegenwelt, die neue Räume der Phantasie eröffnet. Wie stehst du dazu?

Sowohl als auch, in der Ausschließlichkeit des einen oder anderen finde ich mich nicht wieder, für mich schließen sich die beiden Positionen nicht aus, sie lassen sich vereinen.

„Auf den Bühnen wagt man keine Grenzgänge mehr. Der Erfolgsdruck entmachtet die Phantasie“, schrieb der mittlerweile verstorbene Schauspieler Peter Kern bereits vor einigen Jahren in der FAZ. Teilst du sein hartes Urteil, hattest du in Linz manchmal den Eindruck, dass der Erfolgsdruck deine Phantasie entmachten könnte?

Nein gar nicht, ich kann diese Haltung nicht teilen. Den Theatern geht’s ja nicht schlecht im Allgemeinen, die meisten sind gut besucht und ich sehe auch sehr viele tolle Stücke. Die in den letzten etwa fünfzehn Jahren entstandenen Missstände liegen primär darin, dass die Subventionen bei nicht wenigen Häusern über das künstlerisch vertretbare Maß zurückgefahren wurden.

Das Theater Bremen beispielsweise hat mittlerweile bei gleichem Output nur noch 19 SchauspielerInnen statt 28 wie früher (wir in Linz haben immer noch 28). Es wurden außerdem aus finanziellen Gründen nur noch junge Schauspielerinnen und Schauspieler engagiert. Wenn Schauspieler wie am Fließband von einer Rolle zur nächsten durch die Spielzeit gehetzt werden, sind sie bald leer und ausgebrannt. Das kann keine Perspektive sein. Aber andererseits: Ich verfolge beispielsweise mit großer Freude die Arbeit von Falk Richter, der einst mein Assistent war. Das ist auch eine Freude, wenn eine Hoffnung, die man in jemanden steckt, aufgeht. Und ein toller Autor ist er auch noch geworden.

Was erwartest du von einer Schauspielerin, einem Schauspieler, mit der/dem du arbeiten möchtest?

Vom Handwerk müssen wir nicht reden, ich gehe davon aus, dass sie ihr Handwerk beherrschen. Mich interessiert an SchauspielerInnen, wie sie denken, ich mag intelligente Schauspielerinnen und Schauspieler, sie sollen sich einbringen, sich nicht verstellen, die spezifische Sensualität eines Textes für sich entdecken. Wobei das Denken und das Fühlen für mich als unbeirrbarer Anhänger von Diderot natürlich untrennbar verbunden sind …

Die sogenannten Figuren, die Schauspieler darzustellen haben, werden schon seit langem in Frage gestellt. Auch in Linz waren Stücke zu sehen, in denen keine Figuren im eigentlichen Sinne verkörpert, sondern eher Stimmen in Szene gesetzt wurden. Einige deiner Inszenierungen haben mich an Partituren erinnert, wenn ich an Das Gipfeltreffen vor acht Jahren denke. Wie schwierig ist die Erarbeitung mit den Schauspielern unter diesen Voraussetzungen?

Der Figurenbegriff ist ja überhaupt schwierig. Ich mag in diesem Zusammenhang eine Geschichte, die man sich über Michelangelo erzählt, recht gerne. Demnach soll er, als er für eine seiner Statuen gelobt wurde, geantwortet haben, er habe die Statue nicht im herkömmlichen Sinne geschaffen oder gemacht, er habe lediglich Überflüssiges aus dem Marmorblock entfernt. So ist es auch im Theater, man entfernt Überflüssiges, bis sich das herausschält, womit man halbwegs zufrieden ist. Es ist ein ständiger Prozess.

Das erfordert allerdings viel Zeit, die Bereitschaft zum Experiment und zur ständigen Auseinandersetzung mit dem Stück, der Regiearbeit und den einzelnen Schauspielerinnen und Schauspielern.

Ja, aber anders will ich es nicht und wollen es auch meine Mitarbeiter nicht. Ich finde, ein Regisseur, der „vom Blatt weg“ inszeniert, ist faul. Das ist nicht mein Ding, wir proben sieben bis acht Wochen lang. Die Zeit dürfen und müssen wir nützen.

Ich kenne Künstlerinnen und Künstler, die lange unter einer schlechten Kritik leiden, wie gehst du damit um?

Da steh ich mittlerweile drüber. Es ist ja die Frage, wer will oder kann wo hinhören und -sehen. Das Niveau von Kritik ist ja weitgehend zu einer Geschmackskritik verkommen, das ist mittlerweile leider austauschbar, das gilt für die Oberösterreichischen Nachrichten genauso wie den Mannheimer Morgen. Wir haben hauptsächlich eine peopleisation.

Um ein aktuelles Beispiel heranzuziehen, es war schon erstaunlich, dass keiner der Kritiker bemerkt hat, dass ich bei Tartuffe laufend Bildzitate verwendet und mit ihnen gespielt habe, warum und wie ich sie eingesetzt habe und was sie an dieser oder jener Stelle aussagen.

Sind die „lebendigen, wilden Theaterzeiten“ deiner Meinung nach vorbei, wenn ich beispielsweise an Peter Zadek oder Hans Gratzer denke, mit dem du auch intensiv gearbeitet hast?

Diese wilden Jahre waren schon eine besondere Zeit, es waren die 68-er und die Folgezeit. Die Regisseure sind mit der Devise „Wir brechen Sehgewohnheiten auf“ angetreten. Der Nachkriegsmief wurde weggeblasen, es wurde das erste Mal der Faschismus thematisiert. Es war enorm turbulent und lebendig, aber diese Art von Aufgeregtheit geht natürlich nicht immer. Schon gar nicht in Zeiten der Post-Histoire und des „anything goes“. Doch heute erweitert sich das Spektrum wieder. Milo Rau ist spannend, um einen Namen zu nennen, er interessiert mich. Aber auch die leiseren Töne zwischen Crimp und Lagarce und Pommerat und Thomas Arzt und Thomas Köck usw. werden wieder gehört …

Du hast dich in Linz mit einer Inszenierung eines zeitgenössischen, damals jungen Autors, nämlich Franzobel vorgestellt, und du verbeugst dich jetzt gewissermaßen mit einer Inszenierung eines Stücks eines jungen Autors, nämlich Christoph Nussbaumeder, von dem bereits einiges am Linzer Landestheater zu sehen war. Ist dieser Bogen bewusst gewählt oder einfach Zufall?

Nein, das ist kein Zufall, so was ist bei mir selten zufällig. Ich wollte auch unbedingt wieder mit einer Uraufführung enden. Ich war ja an der Entdeckung von Nußbaumeder maßgeblich beteiligt. In seinem neuen Stück Das Wasser im Meer (Anm.: 13. Mai bis 22. Juni), das er für uns geschrieben hat, erzählt er eine Geschichte, die an King Lear erinnert. Es geht um den 80. Geburtstag eines Heimatvertriebenen, der noch einmal ins Sudetenland, das Land seiner Kindheit zurückkehren will, um dort zu sterben. An seinem Geburtstag verkündet er seinen drei Töchtern, dass jene, die ihm dorthin folge, in seinem Testament besonders berücksichtigt werde. Christoph hat mit diesem Stück nicht nur ein bislang auf den deutschsprachigen Bühnen immer noch weitgehend tabuisiertes Thema angepackt. Er verknüpft es auch mit der aktuellen Flüchtlingsthematik. Sein Text ist für mich wie ein Geschenk. Nicht zuletzt, weil mein eigener Vater aus Mähren stammt.

Welche prägende Erinnerung an Linz wird dich immer begleiten?

Nicht die eine. Das letztlich Prägende sind die Kolleginnen und Kollegen, der Geist, die gute Atmosphäre, die hier herrscht. Ich wollte von Anfang an beweisen, dass es so geht, wie ich es mir vorgestellt habe, und das ist gelungen. Und nicht zuletzt: Das so vielgestaltige Publikum ging unsere verschlungenen Wege mit zunehmender Begeisterung mit. Ich gehe also mit Wehmut, das schon, aber ich gehe froh.

Seebühnen-Superlativ

Im Mikro- und Makrokosmos rund um das Salonschiff Florentine hat sich das „Institut für erweiterte Kunst“ eine neue Seebühne für Linz ausgedacht: Eröffnet wird im Laufe des Sommers. Tanja Brandmayr hat Hannes Langeder getroffen, um mit ihm über das Ereignis zu sprechen. Und hantelt sich über mehrere IFEK-Stationen, bzw. zuerst auch über Langeders Oeuvre zum neuen „Operettenmekka“.

Das „Salonschiff Fräulein Florentine“ ist Linzerinnen und Linzern bestens bekannt. Es ist Nachfolge-Lokalität des „Rothen Krebsen“. Man trat nach dem schlimmen Hochwasser, das das alte Lokal 2014 zerstörte, gleich die Flucht nach vorne an: Seitdem lagern Gastronomie direkt am Wasser und das Schiff Florentine wird außerdem als Veranstaltungsort vom „Institut für erweiterte Kunst“ bespielt. Anlass des Treffens mit Hannes Langeder, einer der drei Köpfe von Florentine und IFEK, neben Sabine Stuller und Bert Zettelmeier, ist die Erweiterung des Schiffs um eine Seebühne. Da man die Seebühne seitens des offiziellen IFEK-Vertreters vollmundig als „neues Operettenmekka“ samt Seefestspielen und Serafin hinausposaunt, soll an dieser Stelle mit vertrauensbildenden Maßnahmen begonnen werden, die die spezielle musikalische Leidenschaft und Befähigung belegt.

Die Linzer Philharmonie

Die Linzer Philharmonie entstand im Jahre 2000 aus den Protestmärschen zu Schwarz/Blau, wo aus geplanten 40 TeilnehmerInnen „plötzlich eher 1000“ wurden, so Hannes Langeder. Die Philharmonie war ein künstlerisches Statement, das den Donauwalzer Die schöne blaue Donau im Programm hatte, natürlich schräge Töne inklusive. Sie wuchs im Laufe der Jahre an teilnehmenden Personen und an Repertoire. Man nahm andere Anlässe, etwa die Einführung der Studiengebühren, um sein Programm zu erweitern, wofür Mozarts Requiem passend erschien, inkludierte bald einen Chor und ein Ballett, stellte etwa innerhalb eines Monats, also in einer Art rapiden Operettenglückseligkeit Die Fledermaus auf die Bühne. Wobei zu keinem Zeitpunkt das „richtige“ Spielen angesagt war, sondern man war im Gegenteil bestrebt, die Herausforderung ständig voranzutreiben um „nur nicht zu gut zu werden“, sprich: man nahm sich Unmögliches vor um den Dilettantismus am Leben zu halten. Überforderung als Lebenskonzept, Speed kills: Die Linzer Philharmonie bestand jedenfalls bis ins Jahr 2007 – bis zum selben Jahr, in dem Jörg Haider verunglückte, wie Langeder anmerkt. Langeder stellte dann noch eine Münze her, die „Linzer Philharmonikerin“, die damals größte Sammelmünze der Welt, deren Rekord allerdings mittlerweile von den Wiener Philharmonikern und einer kanadischen Münze, die stolze 50 cm Durchmesser aufweist, gebrochen wurde. Deshalb hat Langeder derzeit locker in Planung, das Münz-Rennen wieder aufzunehmen und eine Neuauflage der „Linzer Philharmonikerin“ in Lebensgröße herzustellen, die letzten Endes, nach bisheriger Schätzung, zwischen sechs und zehn Tonnen wiegen würde … und „deshalb auch nicht mehr so leicht zu stehlen sei“. Vielleicht ein passendes, maskottchenhaftes Großschmuckstück für die Seebühne, zu der wir später noch kommen werden.

Einsprengsel Luxuskarossen

Wir nehmen Langeders Sinn für den Wettstreit, sprich beispielhaft das Wettrennen ums größte Münzobjekt mit in dieses Kapitel. Und ich möchte anmerken, dass der Unfalltod Jörg Haiders Hannes Langeder eventuell mehr beschäftigt hat, als er vielleicht zugeben möchte. Jedenfalls kamen nach 2007 für Langeder die schnellen Autos: zuerst der Porsche, dann der Ferrari (und dazwischen noch ein Luxusmobil, was aber hier zu weit führen würde). Nun ist die Story über die Luxuskarossen, zum Beispiel dem Fahrradi Farfalla allseits recht gut bekannt: Der Fahrradi ist ein nachgebauter Ferrari, allerdings ausgehöhlt und als technologisches Ersatz-Wunderwerk-Innenleben mit einem per-pedes-Tretantrieb versehen. Dazu ist derzeit Hannes Langeders Teilnahme mit dem Fahrradi bei der weltweit größten Automesse, der IAA in Frankfurt, als dokumentierender Ausstellungbeitrag im Linzer Salzamt zu sehen. Was aber hier mitgenommen werden soll, ist, dass Langeders Interesse darin besteht, aus dem direkten Kunstkontext immer wieder hinauszuweisen, etwa, indem Geschichten über die Kunst auf der internationalen Automesse oder auch bei Top Gear erzählt werden, oder umgekehrt, in einem Rückfluss in die Kunst dann Geschichten übers Autofahren oder, wie Hannes Langeder anmerkt, über einen „Superlativ der Unvernunft“ zu bringen. Wesentlich dabei ist die künstlerische Strategie der Mimikry – also der Nachahmung und der Täuschung – die nicht nur das Objekt selbst betrifft, also das schnelle, sexuell konnotierte, prestigebeladene Auto den Fahrradi im Betrieb zu einem gemächlichen, charmanten und insgesamt gefahrloseren Objekt macht, das bestaunt wie belächelt durch die Straßen manövriert ist, sondern die Kommunikation über das Auto selbst. Hier wurden die camouflageartig gewendeten Bedeutungsebenen des Extraordinären und Gewöhnlichen großzügig von der internationalen Presse aufgenommen, was konkret heißt, dass der Fahrradi von USA bis Asien, von ZDF bis internationale Luxusmessen großzügigst rezipiert wurde, und mit dem Internet fangen wir hier gar nicht an. Bemerkenswert bei der ganzen Sache ist das Lernen über die Medien, das mit Langeder gesprochen, ungefähr so vonstatten geht: eine gute Geschichte erzählen, auf Anfrage drei schnelle Fakten liefern, und dann die Sache ihren eigenen Weg gehen lassen, was sie sowieso macht, denn ab hier ist nichts mehr kontrollierbar. Rückkoppelnd auf die Seebühne: Hier wurde dementsprechend angewendet, und die Ankündigung des Hypes wurde bereits selbst zum Projekt und zur guten Geschichte, die allerdings über die Medien erzählt, die gute Geschichten bringen müssen, zum Beispiel über Seefestspiele: Die Eröffnung wurde angekündigt, samt Teilnahme von Harald Serafin. In einem Hochglanz-Lifestyle-Magazin, das wir hier nicht nennen müssen. Und wir nehmen außerdem mit in die nächsten Kapitel: den Sinn für die Komik eines Superlativs der Unvernunft, für eine künstlerische Mimikry, für surreale Größen- und Bedeutungsverschiebungen.

Die Kunsthalle

Die Kunsthalle Linz, die zum einen am Florentine-Anlegeplatz eine 24-hours-open-Kunstbespielung im öffentlichen Raum darstellt, zum anderen mit zwei weiteren White-Cube-Modellen mobil durch Europa unterwegs ist, stellt im Gegensatz zum Superlativ der Unvernunft eine Art geschrumpftes Maximum an Möglichkeiten dar (und dann natürlich wieder die Eröffnung eines größeren Denk- und Handlungsraums). In ihrer Miniaturisierung des eigentlichen Kunst-White-Cubes bildet die Kunsthalle sämtliche Prozesse und Verhaltensweisen im System Kunst ab – zum Beispiel: der Raum und die jeweilige Ausstellung wird kuratiert, Künstlerinnen werden beauftragt, eine Schau wird im Raumkonzept umgesetzt, angekündigt, vor zahlreichem Publikum mit einem Redner, einer Rednerin eröffnet, etc. Man kann also sagen, dass die Kunst, die in der Kunsthalle Linz in einem Würfel mit Seitenlänge von etwa 40 cm der „kleinste Teil“ ist – während es um eine Handhabung des kleinen Raums als großer Raum geht, samt der Rituale, die regulär vonstattengehen. So gesehen erzählt die Kunsthalle Linz die Geschichte vom Ritual der Kunst – und macht ganz nebenbei vier bis fünf Ausstellungen pro Jahr. Zuletzt war Eva Kadlec mit ihrer Schau „Teen Spirit“ zu sehen. Was die derzeitigen Kuratorinnen Claudia Keil und David Wittinghofer für heuer noch auf dem Plan haben, sei auf den Netzseiten der Kunsthalle nachzulesen oder direkt auf der Donaulände herauszufinden. Jedenfalls ist außerdem auch die „Kunsthalle Linz Export“ derzeit im Salzamt zu sehen, und hier zeichnen besonders Julia Hartig und Marie Therese Luger für das IFEK verantwortlich.

Aber zurück zur Mimikry, beziehungsweise zum Spiel mit den Verschiebungen von Größen und Bedeutungen: Es ist nur konsequent, dass das Spiel der Größenverhältnisse selbst Teil des Kunstwürfels geworden ist – so hat man in einem bereits vergangenen Projekt das komplette, miniaturisierte Gebäude des MoMAs zum Kunstobjekt der Kunsthalle gemacht, und das ganze Museum selbst im Querschnitt nach vorne geöffnet, mit seiner damals im MoMA laufenden Ausstellung präsentiert. Die Kunsthalle Linz also als ebenso charmante wie kritische Erzählung, über das große Ganze, aber zum Beispiel auch über die nicht unwesentlichen Details. Etwa darüber, dass im regulären, großen, bedeutsamen Kunstbetrieb oft keine Honorare gezahlt werden (was meint: Null Euro) und man hier zumindest in einer Art ökonomischen Gegenkonzept zum regulären Betrieb Honorare im zweistelligen Bereich zahlen kann – Anerkennung sozusagen.

Als kritische Stellungnahme kann die Kunsthalle Linz aber auch verstanden werden als Statement über Ausstellungsraum-Gebilde, die selbst künstlerische Strategie sind. Damit soll auch darauf hingewiesen werden, dass in Linz „offensiver Produktions- und Ausstellungsraum fehlt“. Hannes Langeder bezeichnet es als vertane Chance, dass man die Potentiale an den großzügig in Linz vorhandenen bildnerischen Zusammenhängen nicht besser nutzt – und das ist durchaus auch verwertungstechnisch gemeint. Hier würde eine größer angelegte Raumnahme durchaus vielversprechend sein. Dass Raumnahme in der Historie der Kunsthalle ein nicht unwesentlicher Faktor ist, dafür kann als verrücktes Paradoxon fast folgender Gründungsmythos herhalten: So versuchte man als IFEK einst in der Tabakfabrik Fuß zu fassen, ein ehemaliges Fabriksgelände mit 80.000 m² mitten in Linz. Man betrieb dort eine Gastronomie und stand vor dem Problem, dort aber mit der Kunst im vielen Platz keinen Raum zu finden: Die Kunsthalle entstand, damals schon neben dem Gastgarten ausgestellt. Durchaus auch als Raumaneignung. Die wir ins letzte Kapitel mitnehmen.

Die Seebühne

Die Seebühne soll sich im Laufe des Sommers schön langsam an den Ufern der Donau etablieren, sie soll gewisserweise in ihrem flexiblen Modulsystem nach und nach vorhanden sein.

Es sein angemerkt, dass neben der Praxis der künstlerischen Strategien der Mimikry, der Camouflage- oder listigen Troja-Taktik zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen von Literatur bis Musik auf der Florentine stattfinden. Es sei angemerkt, dass auch eine Seebühne ein Ort der Produktion, Ausstellung und Aufführung sein kann – eine natürliche Tribüne sieht man in Form der Böschung bereits vorhanden. Und zusätzlicher Raum schafft zusätzliche Möglichkeiten, was wiederum sämtliche Wünsche und Bedarfslagen hinsichtlich eines größer und offensiver angelegten Kunstkonzepts aufgreift. Nebenbei pflegt man mit IFEK und auf der Florentine auch die geselligen Formen des Zusammenseins, die potentiell ebenso in einen Außenraum wandern könnten: Es gibt zum Beispiel Barspiele oder eine vitale 20er-Jahre-Swing-Tanzszene, die sich hier regelmäßig trifft.

Die Seebühne befindet sich also in der Phase der Etablierung. Zu diesem Zeitpunkt kann gesagt werden, dass dort alles mögliche passieren kann und wird, was Raumnahme erst möglich macht, wenn Raum vorhanden ist: mindestens ein neues Operettenmekka, Seefestspiele inklusive.

Und die Bühne wäre kein IFEK-Projekt, wenn sie nicht selbst im paradoxen Gegensatz stehen würde: Denn während man seitens IFEK wegen der schrittweisen Etablierung erstmal ein „leises Vorhandensein der Bühne“ sieht, steht dieses leise Betreten der Bühne selbst im merkwürdigen Gegensatz zur spektakelhaften Ankündigung, die ja schon erfolgt ist. Aber immerhin: Mit der richtigen Prominenz im Gepäck steht dem Erfolg nichts im Weg, Namen öffnen schließlich Türen, wie wir wissen. Und, um zu Serafin, den Seefestspielen und zur großen Bühnenkunst zurückzukommen: Patrik Huber scharrt auch schon in den Startlöchern. Wir sind gespannt auf einen Zirkus mehr!

Theorie aufschnappen

Wertvolle, wirklich bedeutende kulturelle Sachen bezeichnen eigentlich nichts – sie haben ihren eigenen Wert. Erst post factum wird ihnen die Fähigkeit zugedacht, das Andere der Kultur, das Unbewußte, das Unaussprechbare zu bezeichnen – was eigentlich schon ihrer Profanierung gleichkommt.

Zitat von Boris Groys. Unter anderem damit bewarb der Kunstraum Memphis die von Marian Luft, Michèle Pagel und Simon Reiman konzipierte Ausstellung „Sehnsucht ist heilbar / Sehnsucht ist unheilbar“, die bereits im April gezeigt wurde. Der Satz bleibt zeitlos.

Kulinarische Scharmützel eines professionellen Dilettanten

Cucina del Mondo – auf Du und Du mit Fufu, Pho und Tikka.

Der Slowdude liebt es bunt, vielfältig und international. Darum rücken diesmal Fufu, Pho und Tikka in den kulinarischen Fokus und werden neugierig beäugt, verkostet und bewertet.

Starten wir unsere kleine Afrika-Asia-Tour in der Urfahraner Freistädter Straße. Normalerweise keine Adresse, an der man zufällig vorbei schlendert und auch nicht in einem ausgewiesenen Kulinarikbezirk. Die gastronomische Nachbarschaft bietet abseits des berühmten Fleischers Hörlsberger nur Systemgastro. Wohltuende Ausnahme: Das Vietnam Pho in der Freistädter Straße 60 begrüßt seine Gäste freundlich in kargem Ambiente – kein Firlefanz, sondern Funktionsromantik – dafür sind Chefin und Chef umso herzlicher und persönlich um das Wohl ihrer Gäste bemüht. Der Dude startet mit vietnamesischen Frühlingsrollen Cha Gio Chay und ist beglückt. Frische Zutaten, die richtige Menge Koriander und ausgewogene Aromen machen Lust auf mehr. Und da geht es schon weiter: Pho Ga ein typisch vietnamesischer Suppentopf heiß und gehaltvoll befriedigt er Hunger und Gusto. Eine schmackhafte Brühe als Basis, die mit Nudeln, Gemüse und Fleisch zu einem Topf voll Geborgenheit fusioniert. Einzig das noch gierig bestellte Maniokdessert ist für den von der tschechischen Mehlspeiskultur verwöhnten Gaumen eine Zumutung. Aber trotzdem 5 von 5 Punkten für unsere Freunde aus Vietnam. Es treibt den Slowdude weiter in die Tamu Sana genannte Wunderwelt der afrikanischen Küche (Kirchengasse 6, Linz-Urfahr). Umgezogen und neu eröffnet, direkt neben dem Café Strom gelegen, betreibt die charmante Chefin Mag.a Monique Muhayimana gemeinsam mit ihrem Team das wohl beste afrikanische Restaurant in Österreich. Der Slowdude weiß das! Er kennt sich aus und ist ausgewiesener Experte. Wir starten – wie könnte es anders sein – mit den in Linz mittlerweile schon sehr bekannten Sambusa. Lecker gefüllte Teigtaschen – wahlweise vegetarisch (Kartoffel/Spinat, Käse, …) oder mit faschiertem Fleisch gefüllt sind sie der ideale (aber auch sehr sättigende) Starter. Als Hauptgang wählt der Slowdude Mafe (saftiges Rindfleisch in Erdnusssauce) – als Side-dish Fufu. Eine Art Polenta-Gries-Brei – recht fest und eher geschmacklos – aber eine ideale Begleitung, da die Konsistenz Witz hat und Fufu als Saucentunke bestens geeignet ist. Gastropros würden von spannender Textur faseln. Als Nachspeise Mandazi (warme Bananen-Teigbällchen) runden den 3-Gänger ab – und machen die Manioksache vergessen. Die bloße Menge an Nahrung und die daraus resultierenden Kalorien setzen Handlungsbedarf in Richtung digestio. Der Slowdude sucht Hilfe im benachbarten Cafe Strom. Und bekommt diese umgehend: deren kredenzter Mühlviertler-Gin macht alles gut! Auch für Monique 5 von 5 Punkten. Weiter geht’s über die Donau durch das weitgehend kulinarische Sperrgebiet der Landstraße in Richtung der wunderbar multikulturellen Wienerstraße. Und zwar ins Namastey India in der Wiener Straße 38. Hier schwenkt der Slowdude vom noblen A-la-Carte-Getue hin zum handfesten Mittagsbuffet. Es gibt Chicken Tikka Masala (gegrilltes Henderl in Cashew-Sauce), vegetarisch zur Auswahl Dal Makhani (schwarze Linsen), Pakora (Gemüse in Kichererbsenmehl paniert), Naan, Chapati (Brote) und dazu natürlich das obligate Mango Lassi. Als Nachspeise kommt Matka Kulfi (Eis mit leckerer Garnitur aus Pistazien und Kardamon) auf den Tisch. Das Ambiente lenkt nicht vom Essen ab und das ist gut so. Eine Mischung aus Standardgastrodesignausstattung (ich verfluche Niedervolthalogenspots) und leicht indischer Deko. Passt aber. Der Slowdude wird äußerst zuvorkommend beraten und auch unglaublich schnell versorgt. Das gefällt und weil es schmeckt: 5 von 5 Punkten.

Die drei Gaststätten sind natürlich nur eine Auswahl der vielfältigen internationalen Linzer Küche. Sie zeigen aber deutlich das abseits der obligaten Einkaufsstraßen und Konsumtempel mit ihren blöden Eventfoodstores und pseudoauthentischen Tagescafés viele kleine, feine Orte entstehen und uns kulinarisch durchaus auf hohem Niveau verwöhnen können. Und auch die Geldtasche nicht vollends plündern. Der Slowdude empfiehlt: Entdeckt die Seitenstraßen, bereist eure Stadt!

www.vietnampho-linz.at

www.tamusana.at

namastey-india.at

Kommentare, Hinweise und Tipps via E-Mail an slowdude@gmx.at.

Euer Slow Dude

Fufu bezeichnet in der schwarzafrikanischen Küche einen festen Brei aus Yams und Kochbananen. Er ist in ganz Westafrika und vor allem in Ghana und Nigeria Hauptbestandteil oder Beilage vieler Gerichte.

Pho ist eine traditionelle Suppe der vietnamesischen Küche. Eine mögliche Wortherkunft ist die vietnamesische Aussprache für das französische Gericht Pot-au-feu.

Tikka: Chicken tikka masala, oft CTM abgekürzt, ist ein häufig in indischen Restaurants in Europa und Nordamerika angebotenes Currygericht aus gegrillten, marinierten Hähnchenfleischstücken (chicken tikka) in einer würzigen Tomatensoße.

(Quelle: Wikipedia)

Stadtblick

Foto Die Referentin

Foto Die Referentin

Die schmutzigen Seiten unserer High Tech Welt

Haben wir die Kontrolle über die digitale Infosphäre verloren? Art Meets Radical Openness (AMRO), das Linzer Festival für Kunst, Hacktivismus und Open Source will’s wissen. Anna Masoner war dabei und berichtet.

Verewigte Daten von Audrey Samson. Foto Die Referentin

Verewigte Daten von Audrey Samson. Foto Die Referentin

Alle zwei Jahren kaufen wir uns in Europa oder den US im Schnitt ein neues Smartphone. Und dann kommen bei der einen oder dem anderen je noch diverser Firlefanz wie Tablet, Fitnesstracker oder Computer und Kamera dazu. Dieser Rhythmus kommt nicht nur zustande, weil diese hochgezüchteten Konsumgüter so schnell kaputt gehen – sie werden gekauft, sobald ein neueres, schnelleres, glänzenderes oder batteriestärkeres nachkommt. Wohin dann mit dem an Edelmetallen vollgepackten Schrott? Womöglich auf Müllhalden oder in ganze Müllstadtteile in Afrika, Indien oder China. Aber egal. Hauptsache wir decluttern und machen Platz für Neues. Laut UN haben wir es allein 2014 weltweit auf 46 Millionen Tonnen Elektroschrott gebracht.

Diesen materiellen Schattenseiten unserer digitalen Hochglanzwelten widmete sich das Linzer Community Festival Art Meets Radical Openness. Von der Kulturinitiative servus.at (vor allem von Ushi Reiter) initiiert, will sich AMRO als Treffpunkt rund um die Kultur des Teilens und gemeinschaftlichen Produzierens etablieren. Es zieht Künstler_innen ebenso an wie Entwickler_innen, Hacktivist_innen und Weltverbesser_innen. Mit dem heurigen Titel Waste(d)! sind aber nicht nur die materiellen Manifestationen gemeint, sondern auch die weniger greifbaren. Denn die überflüssig gewordene Hardware ist ja nur der Träger unserer digitalen Wunderwelten, die wir minütlich updaten können, die uns aber zunehmend entgleiten: „Längst haben wir Kontrolle darüber verloren, welche Informationen wir bewusst und unbewusst produzieren. Der Akt des Sicherns, Löschens oder Wiederbelebens von Daten und Information hat sich verselbständigt, ist überwacht, monetarisiert und verbraucht wertvolle natürliche Ressourcen“ heißt es im Programmtext. Kernstück und Startpunkt des Festival ist die Ausstellung „Behind the Smart World“ im Kunstraum Goethestraße, die 17 KünstlerInnenpositionen versammelt.

E-Waste in Afrika

Rußig qualmende Feuerstellen, dazwischen Erwachsene und Kinder die Unförmiges tragen oder heben. Typische Bilder aus Agbogbloshie, einem Stadtteil der Millionenmetropole Accra im westafrikanischen Ghana. Bekannt ist der Slum als riesige Müllhalde, als gigantischer Schrottplatz. Was in Europa, oder in den USA kaputt geht, landet illegalerweise hier: PCs, Festplatten, Smartphones. Sie werden entkernt, mit giftigen Chemikalien behandelt. Denn das Kupfer und andere Metallteile sind viel wert. Agbogbloshie hat jedoch auch als Umschlagplatz für Daten Schlagzeilen gemacht. Internetbetrüger besorgen sich gebrauchte Festplatten, untersuchen sie systematisch auf Programme und persönliche Daten ihrer Vorbesitzer um diese damit zu erpressen.

2014 verbringt das Künsterduo KairUs (Linda Kronman & Andreas Zingerle) einen Monat in Westafrika. Die beiden wollen die brutalen Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort mit eigenen Augen sehen und herausfinden, wie leicht man in Agbogbloshie an auf Festplatten gelagerten Datenmüll kommt. Es ist sehr leicht, wie sich herausstellt.

Zwei bis drei Euro ist so eine Festplatte auf der Müllhalde wert. Mit 22 Stück im Gepäck kehren die beiden nach Österreich zurück, dort werden die Festplatten gemeinsam mit anderen Künstlern und Datenforensikern untersucht: Dabei stoßen KairUs auf zum Teil sehr private Daten: E-Mails, Passwörter, Kreditkartennummern, Browserhistorie oder private Fotos von Familienfeiern oder Partyselfies. Aus der Beschäftigung mit den Daten ist die Ausstellung „Behind the Smart World“ entstanden. KairUs haben andere Künstler gebeten, sich ebenfalls Gedanken über die mehr als 80 Gigabyte an gefundenen Daten zu machen.

Festplattensound, Datenpaket und Künstlerin mit Gasmaske

Bei Joakim Blattmann wurde aus den Daten eine mehrkanalige Soundinstallation. Er sampelte und verfremdete Ausschnitte von Audio- und Videodateien, die er auf den Ghana Festplatten fand. Martin Reiche verwendete die Daten für die Live-Installation „Shell Performance“. Automatisiert generiert ein Programm immer neue Bilder und Zeichenfolgen aus den vorliegenden Daten.

In der Mitte der Ausstellungsraumes findet sich auf einer Säule ein gelbes Paket, darin eine der Festplatten aus Ghana, deren Besitzer Linda Kronman und Andreas Zingerle ausfindig machen konnten: „Wir kennen den Mann sehr gut, weil wir zwei Jahre lang alle seine Fotos angesehen haben. Wir wissen sehr genau, wo er lebt, in welche Bars er geht und welche Freunde er hat.“

Noch sind sich die beiden Künstler unschlüssig, ob sie das Paket wirklich abschicken sollen. „Wir möchten mit ihm Kontakt aufnehmen um herauszufinden, über welche Umwege diese Festplatte von London nach Westafrika gelangt ist“. Sie wollen dabei niemanden vorführen, vielmehr Spuren nachzeichnen, die wir digital aber auch ganz materiell hinterlassen. Und sie wollen zeigen, wie schwer es ist, unsere Datenspur dauerhaft loszuwerden.

Lieber als ihren e-waste nach Afrika verschiffen zu lassen, hantiert die in Hong Kong lebende Künstlerin Audrey Samson gleich selbst mit giftigen Chemikalien. Sie bietet einen Einbalsamierungsservice für nicht mehr gebrauchte Festplatten und Mobiltelefone an. Vor den Augen ihrer ehemaligen Besitzer gießt sie die nicht mehr benötigte Technik in flüssiges Kunstharz. Die öffentliche Daten-Beerdigung sei laut Künstlerin die einzige sichere Methode um seinen digitalen Fußabdruck loszuwerden. Und auch die schönste. Die obsolete Technik transformiert Audrey Samson in schmucke Lampen, die von der Decke baumeln.

Workshops mit Tactical Tech Collective

„Kennt ihr den Unterschied zwischen http und https?“ Ich platze in einen Workshop des Berliner Aktivisten Kollektivs Tactical Tech Collective. Ling Luther und Fieke Jansen wollen dazu animieren, sensibel mit seinen Daten umzugehen. Auf einem langen Tisch liegen bunte Karten mit denen wir erst mal das Internet ganz plastisch nachbauen. Die internationale AktivstInnentruppe hat sehr viel Erfahrung, auch komplizierte Dinge wie Anonymisierungssoftware und Kryptographie runterzubrechen und ganz alltagsnah zu erklären. Sie trainieren Blogger und Aktivisten auf der ganzen Welt, gern in Ländern wie dem Iran, China und Vietnam. Das Tactical Tech Collective zeigt aber nicht nur, wie man dem Staat das Überwachen erschwert, sondern wie man sein Leben „ent-googelt“ oder seinen Internetbrowser so konfiguriert, dass er nicht unerwünschte Informationen an kommerzielle Datensammler weitergibt. Die beiden Aktivistinnen wollen zeigen, dass Widerstand gegen die allumfassenden Datenerhebung und -analyse nach wie vor möglich ist und der Kampf um Privatsphäre, Netzneutralität, quelloffene Software und Kryptografie kein vergebliches Projekt.

Lästige Bots aus Kunststoff und Silizium

Unter Bots versteht man im Internet kleine Programme, die in sozialen Netzwerken automatisch posten. Spammer nutzen sie gern um lästige Werbung oder um politische Propaganda zu verbreiten. Die Bots des Mediendesigners César Escudero Andaluz sind da schon viel greifbarer. Sie sehen aus wie kinderhandgroße Insekten, die gern auf Tablets herumsitzen. Mit einer Art Rüssel, einem leitfähigen Stück Kunststoff, wischen sie solange drauf herum, bis ihre Batterie aus ist und bewegen sich zufallsgesteuert durch diverse Apps. Sie öffnen und schließen Apps, clicken sich durchs Ebay-Sortiment, machen Fotos oder posten wirres Zeug. Sie erzeugen damit ein Rauschen im System, digitale Spuren, die Tracker und DatenanalytikerInnen auf die falsche Fährte führen sollen. Weil Escudero an einer kleinen, weltumspannenden Armee dieser Interaktionsmaschinen arbeitet, baut er sie aus einfachen elektronischen Bauteilen in Workshops gemeinsam mit anderen. Praktischer Nebeneffekt: wer es vorher noch nicht konnte, lernt dabei, einen Lötkolben verletzungsfrei zu bedienen.

„There is no cloud, just other peoples computers“

An diesen Spruch, den die Free Software Foundation auf T-Shirts und Sticker druckt, muss ich bei der Lecture der beiden italienischen Künstler Alessio Chierico und Vincenzo Estremo denken. Mit einem kleinen Ausflug in italienischen Manierismus und Barock zeigen sie, welchen Rattenschwanz an Bedeutung die Wolkenmetapher im Marketingsprech des Informationszeitalters nach sich zieht. In den Malereien des 18. Jahrhunderts galt die Wolke als Symbol des allgegenwärtigen, allwissenden Gottes. Heute wird damit gezielt verschleiert, dass Daten in riesigen Datenzentren meist US-amerikanischer Firmen gehegt und gepflegt werden. Gigantische Serverfarmen, die an Ort und Stelle eine Menge Energie verbrauchen. Als Nutzer von Clouddiensten geben wir Daten in fremde Hände. Die Kontrolle darüber ist nicht mehr garantiert.

 

Das dreitägige Festival „Art Meets Radical Openness“ ist am 28. Mai zu Ende gegangen. Die Ausstellung „Behind the Smart World“ ist noch bis 10. Juni im KunstRaum Goethestrasse zu sehen.

To be or not to be connected.

Der Film DREAMS REWIRED – DIE MOBILISIERUNG DER TRÄUME war Ende Mai beim Festival „Art Meets Radical Openness“ zu sehen. Der Film erzählt eine atemberaubende Technologiegeschichte, die poetisch wie hypnotisierend Brücken von den Anfängen um 1900 ins Hier und Heute schlägt. Hier ein Interview mit Manu Luksch, eine der drei Regisseurinnen des Films.

Dreams Rewired – Die Mobilisierung der Träume ist eine „atemberaubende Montage filmischer Fundstücke, über die technologischen Entwicklungen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts“. Es sei außerdem zum Film zitiert: „Aus über 200 Spielfilmen, Wochenschauen, wissenschaftlichen und ästhetischen Experimenten entstand eine dicht gewebte und bildgewaltige Erzählung voll mit hellseherischen Momenten, irrwitzigen Details und überraschenden Wendungen“. Nichts weniger als die Tatsache, dass jedes Zeitalter sich selbst für das fortschrittlichste hält, wird in Frage gestellt. Zudem hält der Film neben der großen Technologieerzählung absolut bemerkenswerte „Nebenerzählungen“ parat: Er stellt uns viele Pionierinnen vor, so auch Alice Guy, der der erste Regieposten der Filmgeschichte überhaupt zugesprochen wird. Ein anderer, ins große Ganze verwobener Erzählstrang beleuchtet die Bedeutung des Fernsehens, das als televisuelle Utopie, als „Ideengeber und fantastischer Fluchtpunkt“ älter ist als das Kino. Dass „Broadcasting“, die begriffliche Gleichsetzung zum Fernsehen überhaupt, ursprünglich auf einen Begriff aus der Landwirtschaft zurückgeht, auf ein „Saat streuen“, ist insofern interessant, als dass Broadcasting „Ideensaat ausstreut“. Was wiederum nur eines der sprechenden Details darstellt, die im Film zu sehen sind.

In einer derartig neu aufgerollten Erzählung werden natürlich Brückenschläge zur heutigen medialen Welt virulent. Manu Luksch, in London lebende Regisseurin, ist zum Festival AMRO und seinem diesjährigen Motto „Waste(d)“ angereist und hat im Vorfeld ein Interview zu Dreams Rewired, zu Hintergründen, zu persönlich antreibenden Fragestellungen und ihren weiteren Plänen gegeben.

Du zeichnest für Drehbuch und Regie, gemeinsam mit Martin Reinhart und Thomas Tode. Nun wird mit Archivmaterial eine Technologiegeschichte erzählt. Das verwendete Archivmaterial als „Gedächtnismaterial“ wird im Film großartig und sinnlich erfahrbar – poetisch, hypnotisch, magnetisch zieht der Film seine Betrachterinnen in einen Bildstrom. Ich meine dieses sinnliche Element zur Technologie ist insofern höchst passend, als dass alles mit allem verbunden scheint – die Träume, die Verheißung, die Ängste, also alles Individuelle und Höchstpersönliche, dann wieder die Macht, die Politik, der Kommerz, zudem im größeren Zeitsprung die Vergangenheit, die Zukunft … Wie gestaltete sich eure Arbeit in diesem größtmöglichen kognitiven wie sinnlichen Zusammenhang, in diesem Widerspruch, wo alles miteinander verbunden scheint?

Deine Frage trifft es auf den Punkt – wie lädt man Zuseher auf eine gemeinsame Reise durch eine Geschichte ein, die endlos erscheint? Zeitlich, räumlich und inhaltlich endlos, da der Film unsere Beziehung zu Medientechnologien nicht nur als Infrastruktur und Werkzeug reflektiert, sondern auch als virtuelle Raumerweiterung und als Versuch Zeit zu manipulieren. Thema sind auch die Versprechen jeder Innovation, die Machtspiele im Zusammenhang mit Zugang zu den Medien und Regulierung derselben, und folgerichtig auch das Spiel mit unseren Emotionen – Begeisterung über die ersehnten „super powers“ – etwa Überwindung von Distanz oder Zeitreisen in die Vergangenheit als auch Bedenken über die raschlebigen Veränderungen oder neue Abhängigkeiten.

Aus mir unerklärlichen Gründen sind Technologiegeschichten meist rund um Erfinderpersönlichkeiten strukturiert, und suggerieren eine strikte chronologische Entwicklung. Nehmen wir das Beispiel des Fernsehers – als Erfinder wird John Logie Baird oder Vladimir Kosmich Zworykin genannt, doch vor ihnen konzipierten Paul Nipkow, Karl Braun, Lee de Forest, Boris Rosing, Philo Farnsworth und andere bereits das Fernsehen oder essentielle Bestandteile. Die Vorstellung mithilfe eines Gerätes Geschehnisse in der Ferne mitzuerleben, ist so alt wie die des Hellsehens, und rückte spätestens mit dem Telefon (Hören über Entfernung) in greifbare Nähe. In Literatur finden wir Phantasien, die „elektronische Teleskope“ oder das „Telephonoscope“ beschreiben, wie etwa Albert Robida in „La Vie Electrique“ (1890). Die Jahreszahl des Patents oder der Produktion einer Erfindung bedeutet nicht, dass sie sofort weltweit eingesetzt wird. Ihre Durchsetzung dauerte unterschiedlich lange – es galt nicht nur ein Nord-Süd-Gefälle, sondern auch eine Land-Stadt-Verzögerung zu überbrücken.

Mein Leitfaden, um mich nicht zu „verirren“, war meine zutiefst persönliche Frage an unsere Kommunikations- und Informationstechnologien: die Frage nach dem Einfluss des Smartphones auf unsere Autonomie.

Wir machen damit den Sprung von der Vergangenheit ins Jetzt: Archivmaterial steht natürlich in der Funktion einer „erinnerten Faktensammlung“. Es stellt hier aber auch eine Art kollektives Unbewusstes dar, als vergangene Zukunftsideen, als Träume über ein vergangenes Utopia. Euer Film ist ja auch ein Beitrag zu einer faszinierenden, vergessenen Technologiegeschichte, eine Erinnerung an einen nicht eingelösten Wunschtraum. Es wird an die „idealistischen Ursprünge“ zu Beginn des letzten Jahrhunderts erinnert, um letzten Endes „das Konzept einer medialen Öffnung für das 21. Jahrhundert als positive Lehre aus der Geschichte“ vorzuschlagen. Kannst zum Verlauf von Technologieentwicklung, bzw. zu deren Verwertung etwas sagen?

In seinem Buch „The Master Switch: The Rise and Fall of Information Empires“ (2010), beschreibt Tim Wu seine Sichtweise der Geschichte von Kommunikationsinfrastruktur auf sehr einsichtige Weise. Demnach verläuft die Geschichte in Zyklen – offene, gemeinnützige Strukturen werden mit der Zeit zu konsolidierten und geschlossenen Systemen. Erst wenn eine durchschlagende Innovation das alte System ablöst, kommt es wieder zu einer Öffnung, bis sich Besitzverhältnisse und Regelwerke wieder verfestigen und einengen. Monopolistische Konzerne und Regierungen stecken dabei wohlig unter einer Decke. Silvio Berlusconi und Thaksin Shinawatra sind zwei erschreckende Beispiele von Medienmogulen, die in die Position des Premiers, bzw Ministerpräsidenten gelangten. Die Enthüllungen der Snowden-Dokumente bezeugen denselben spiralenförmigen Verlauf – die weltweit größten Internetkonzerne stehen in enger Beziehung mit der US-Regierung und entziehen hiermit den Regierungskritikern die Kommunikationsinfrastruktur, von der sie abhängig sind.

Zu diesem gegenwärtigen Zeitpunkt sind wir zu einem bestimmten Grad abhängig von der Infrastruktur, die uns das Smartphone zugänglich macht. Um Veränderungen zu bewirken, muss auf gesellschaftlichem Level agiert werden um Forderungen zu formulieren. Dazu müssten wir uns zuerst dem Zangengriff von Abhängigkeit und Komfort, mit dem uns das Smartphone umklammert hält, entwinden. Ich hoffe, dass der Film zum Nachdenken anstößt und die Dringlichkeit vermittelt, dass sich alle an der Gestaltung unserer Medienlandschaft und Dateninfrastruktur beteiligen sollen.

Ich wechsle von Technologie und Politik im engeren Sinn zu emotionaleren Dingen und bin beim Begriff der Verheißung hängen geblieben … das Theremin etwa, das erste immaterielleste, technologische Instrument überhaupt, hat der Filmkomponist Siegried Friedrich an einer Stelle auch im Zusammenhang einer sexuellen Konnotation, also einer sexuellen Versprechung eingesetzt. Was die Rolle der Frauen neben dieser sexuellen Konnotation anbelangt, gibt es außerdem eine andere Verheißung – die der Befreiung: Es wird auch die Rolle der Frauen thematisiert – unter anderem der ersten Regisseurin Alice Guy. Lässt sich hier exemplarisch zur Rolle der Frauen und zu einem emanzipativen Moment etwas sagen?

Die Weltausstellungen rund um die Jahrhundertwende zeigten Pionierarbeiten, Prototypen von Medientechnologien, wie sie im Alltag noch nicht gängig waren – und begeisterten Millionen von Besuchern mit der Aussicht, dass sie in nicht allzu langer Zeit für alle – wirklich alle zur Verfügung stehen würden, nicht nur für Privilegierte, die bis dahin exklusiv in den Genuss von Annehmlichkeiten gekommen waren. Die elektrischen Medien würden infrastrukturellen Fortschritt und neue Möglichkeiten in das Leben von Arbeiterschicht, Migranten, Frauen, – und heute erweiterbar auf Kinder – einbringen.

Die Aufbruchsstimmung in den Städten im Morgenrot der Moderne betraf Frauen auf unterschiedlichste Weise, und in den Archiven kommen sie häufig als selbstbewusste, oft überlegene Akteurinnen vor, die nicht nur als Benutzerinnen die Medien für sich einzusetzen wussten – wie etwa die Protagonistin in Louis Seel’s Animation Wiener Bilderbogen 1 (1926), die über Funkverbindung ihrem untreuen Mann eine Ohrfeige verpasst und sich dann mit ihrem eigenen Liebhaber außerhalb des Äthers in einem Propellerflugzeug vergnügt. Die Frauen kommen aber auch als Pionierinnen vor – wie etwa die Mädchen, die ihre Dörfer an das Kommunikationsnetzwerk der Russischen Revolution anbinden, indem sie gemeinsam Morse- und Rundfunkgeräte bauen, oder eben die Gaumont-Angestellte Alice Guy: als Sekretärin der damaligen Fotofirma besuchte sie das legendäre Screening der Lumière-Brüder. Da sie von Büchern umgeben aufgewachsen war – ihr Vater betrieb ein Buchgeschäft – erkannte sie sofort das Potential des Films Geschichten zu erzählen. Sie fragte ihren Boss, ob sie die Lumière-Kamera, die er erworben hatte, benutzen durfte. Er gestatte ihr nach erledigter Büroarbeit, und natürlich unbezahlt, damit zu arbeiten. Ihrem ersten Film „La Fée aux Choux“ (1896) sollten noch hunderte von Kurzfilmen folgen, die Gaumont verhalfen zu einem der größten Filmverleiher der Zeit zu werden. Da die Produktionen narrativer Filme es nicht mehr erlaubten, dass alle Aufgaben – wie Licht, Kamera, Bühnenbild – vom Filmemacher selbst getragen wurden und Arbeitsteilung am Set mit sich riefen, gilt Alice Guy nicht nur als erste Regisseurin, sondern eine Frau war sozusagen der erste Spielfilmregisseur der Welt überhaupt.

Eine Frage zu eurem Arbeitsprozess: Wie hat sich eure Arbeit gestaltet – eine Arbeit, die auf allen Ebenen, wie in einem Begleittext zum Film zu lesen ist, einerseits aus Affirmation, andererseits aus Widerstand besteht, zumindest in der ästhetischen Weise der Bearbeitung?

Meine Koregisseure Martin Reinhart und Thomas Tode hatten bereits jahrelang in Archiven Europas Filmmaterial recherchiert, das unsere erste Begegnung mit Medientechnologien eingefangen hatte. Das Material konzentrierte sich auf den Zeitraum der 1880er bis 1930er Jahre, da bis dahin alle heute gängigen Medienutopien angedacht, wenn auch nicht unbedingt umgesetzt waren. Es war meine Aufgabe, auf Basis dieses Materials ein Narrativ zu entwickeln – rund um die Utopien, wie diese Technologien unser Leben beeinflussen würden. Es wurden zuerst die raren historischen Filmfundstücke ausgewählt um die Erzählung zu leiten, gleichzeitig entstanden Text und Soundkonzept dazu. Ich wollte weder Text bebildern noch Bilder kommentieren, sondern Aussagen durch die Symbiose von Bild, Text und Sound finden.

Ich meine mich außerdem erinnern zu können, dass Siegfried Friedrich einen Preis für die musikalische Arbeit am Film bekommen hat. Oder auch die wunderbare Tilda Swinton, die die englische Erzählstimme gibt. Wie ist es denn zu dieser Zusammenarbeit gekommen? Aber, vor allem: Wie hat sich denn das Team generell geformt, oder wie hat sich hier die Zusammenarbeit generell gestaltet?

Die Arbeit an Erzählung, Schnitt und Rechteklärung streckte sich über drei Jahre. Während der gesamten Phase arbeitete ich eng mit dem Komponisten Siegfried Friedrich zusammen, als auch dem Co-Autor Mukul Patel. Mit jeder Veränderung des Bildes wurde auch, um Längen, Rhythmus, Stimmung, etc. zu gestalten, Erzähltext und Musik überarbeitet.

Die Verleihung des Deutschen Dokumentarfilmmusikpreis 2016 beim DOK.fest München an Siegfried Friedrich, die Anfang Mai stattfand, freute das gesamte Team von Dreams Rewired besonders. Seine Musik hatte nicht nur die unvorstellbar komplexe Aufgabe, Material aus ca. 200 unterschiedlichen Quellen zu verbinden, sondern auch, den stilistischen Reichtum der Epoche musikalisch zu reflektieren, und die Leseweise der historischen Bilder aus dem Blickwinkel der heutigen Zeit zu unterstützen.

Der Erzähltext wurde nicht nur wegen seines Volumens, sondern auch wegen der unterschiedlichen Stile, von wissenschaftlichen bis hin zu improvisierten Textpassagen, eine Herausforderung. Ich hatte bereits vor einigen Jahren mit Tilda Swinton an einem meiner Filme, FACELESS (2007), gearbeitet, und so hatte ich bereits während des Verfassens des Textes zunehmend ihre Stimme im Hinterkopf. Natürlich war Tilda wieder einmal die ideale Stimme, und wir freuten uns sehr über ihre Zusage.

Die abschließende Frage: Der Film hatte im Frühjahr 2016 Österreich-Kinopremiere, wurde etwa auch schon auf der Diagonale 2015, im Linzer Moviemento gezeigt, und zuletzt bei „Art Meets Radical Openness“, einem Festival vom freien Netzprovider servus. Der Film kann zudem schon eine beträchtliche Anzahl von internationalen Spielorten aufweisen. Wie geht’s denn nun weiter mit Dreams Rewired? Was wünscht du dir für den Film? Und wie geht es für dich persönlich mit deiner Arbeit weiter, wohin gehen die nächsten Schritte oder Projekte?

Dreams Rewired hatte eine exzessive internationale Filmfestivalpräsenz, und in den USA erschien der Film bereits auf DVD und VOD. Es gibt bereits Interesse von akademischer Seite, den Film in Publikationen zu besprechen, und sogar in Curricula zu integrieren. Es gibt auch Interesse aus der Kunstwelt – etwa der National Art Gallery in Washington oder des Neuen Medienkunstfestivals in Seoul, Screenings in ihr Programm aufzunehmen. Ab nächstem Jahr beginnt die Fernsehauswertung – ARTE und 3sat haben bereits zugesagt. Der Film wurde bereits in fünf Sprachen übersetzt, und ich würde mir wünschen, dass er in all diesen Sprachen als DVD oder über VOD zugänglich gemacht werden kann.

Ich stecke bereits tief in den Vorbereitungen für mein nächstes Filmprojekt über das Smart-City-Phänomen: weltweit befinden sich Städte in einer Art Wettrennen um mit ihrer guten Platzierung im City-Ranking Firmen, Investment und Millenials anzulocken. Als schnelle Lösung zur Aufwertung von Standorten bieten IT-Konzerne smart infrastructure, die Vernetzung mit unzähligen Sensoren, an, die es ermöglicht, die Abläufe der Stadt über Echtzeit-Datenanalyse zu überprüfen und im Idealfall Engpässe und Katastrophen vorauszusagen. Genau dieses Potential der Vorhersage auf der Basis von autogenerierten Daten (Big Data) kann auch auf enger definierte Stadtbereiche oder Haushalte angewandt werden. Mögliche Formen des Machtmissbrauches in diesem Bereich sind noch sehr unterbeleuchtet. Mit dem Film möchte ich einen Einstiegspunkt zu diesem Thema anbieten, um eine viel stärkere Beteiligung von Seiten der Bevölkerung zu stimulieren. Schließlich sollen die Erfahrungen und Bedürfnisse der Bewohner die Diskussion um die Zukunft der Stadt prägen, nicht Technologiejargon. In diesem Sinne habe ich eine Webseite gestartet, das SmartCityABC, wo wöchentlich ein Wort aus dem gängigen Smart City Vokabular auf humorvolle Weise entmythologisiert wird. Es war sehr ermutigend, als meine neue Produktion bereits im Vorfeld mit einem Preis ausgezeichnet wurde – dem Artivism Elevate Preis 2015.

 

SmartCityABC

smart.cityabc.xyz

twitter.com/SmartCityABC

Dreams Rewired

www.dreamsrewired.com

www.facebook.com/Dreams.Rewired

AMRO

www.radical-openness.org/programm/2016/ dreams-rewired-mobilisierung-der-tr-ume

www.facebook.com/events/ 1626289567695255

Manu Luksch

www.ambientTV.NET

48 Stunden lang „One Day Home“

Als Teil von „Landschaft oder vom Genuss der Weltoberfläche“ ist ab 24. Juni das Projekt „One Day Home“ in der Landesgalerie Linz zu sehen. Anlässlich dessen trafen sich Manfred Grübl und Clemens Bauder Mitte Mai zu einem Gespräch am Attersee. Im Interview trifft gewissermaßen die schwimmende Insel „One Day Home“ auf einen schwimmenden Berg, der dereinst beim Festival der Regionen zu sehen war.

Im Mittelpunkt der zweiteiligen Aktion „One Day Home“ (2012) von Manfred Grübl und Werner Schrödl stand ein in Wien zusammengezimmertes Haus aus Abbruchholz, das am darauffolgenden Tag in den Attersee gesetzt und auf unterschiedliche Art und Weise bewohnt wurde. Mit einem selbst gebauten Gefährt in der Gestalt eines Berges begaben sich Clemens Bauder, Felix Ganzer und Ella Raidel während des Festivals der Regionen 2015 fast zwei Wochen lang auf eine Expedition am Traunsee. Konträr in der Konzeption endeten beide Aktionen mit einer ähnlichen Bildsequenz: dem Verschwinden des schwimmenden Objektes am Horizont, hinein in die dunkle Nacht.

Starker, dichter Regen bei der heutigen Anreise hat Gedanken an den Aufbau des Berges wach werden lassen. Bei schwierigen Wetterbedingungen wuchs „Der Berg“ wochenlang Dreieck um Dreieck am Wasser in die Höhe. Euer Haus entstand gewissermaßen über Nacht …

Das Projekt „One Day Home“ ist grundsätzlich an das Gecekondu-Gesetz, einem alten osmanisch-islamischen Gewohnheitsrecht, angelehnt. In den informellen Siedlungen in Großstädten wie Istanbul darf ein Haus, das „über Nacht“ auf öffentlichem Grund und Boden errichtet worden ist, nicht mehr abgerissen werden. Diese informellen Bauten dürfen von staatlicher Seite auch nicht abgerissen werden. Werner Schrödl und ich bauten dann tatsächlich 24 Stunden lang durchgehend an unserem Haus. Um 7.00 Uhr Früh kam der LKW und kippte einen Berg aus Abbruchholz auf den Parkplatz. Trotz der geringen Dimension der Wohneinheit und der guten Vorbereitung – ein halbes Jahr, um alles auf den Punkt zu bringen – mussten wir uns ziemlich beeilen um den Hausbau an einem Tag zu schaffen.

Häuslbauen stellt viele Beziehungen auf eine Belastungsprobe. Wie ist es zu der künstlerischen Partnerschaft mit Werner Schrödl gekommen?

Wir beide kennen uns schon lange, waren in derselben Galerie und hatten uns in der Vergangenheit bei Projekten geholfen. Den Gedanken, eine Art von Hausboot zu machen, gab es schon länger. Und wie es beim Hausbauen halt so ist, gibt es einige Konflikte, Höhen und Tiefen. Manche trennen sich nach der Fertigstellung, wir trinken noch immer ein Bier miteinander. Eigentlich mache ich viele Projekte, die ein konzentriertes Arbeiten verlangen, alleine, andere wie „One Day Home“ brauchen aber die Dynamik einer Zusammenarbeit. Ein Haus lässt sich schließlich nur sehr schwer alleine aufstellen.

Für den Bau wurde eine Parkfläche temporär eingenommen. Was waren eure Beweggründe genau an diesem Ort zu bauen? Und warum eigentlich in Wien und nicht gleich am Attersee?

Werner Schrödl und ich wohnen beide in Wien. Wir wollten bei der Bauaktion möglichst viele Leute involvieren und waren gewissermaßen auch auf die Unterstützung unseres Freundeskreises angewiesen. Am Attersee wäre das viel schwieriger gewesen, wir kennen dort niemanden wirklich gut. Mit der Parktasche an der stark frequentierten Alliiertenstraße fanden wir für die Bauaktion einen idealen Ort, der auch groß genug war. Die Urbanität des Platzes – Straßenbahnen, Züge und Autos fahren vorbei – und die vorhandene Infrastruktur – ein Würstelstand, ein Cafe, eine Disco – waren uns sehr wichtig. Und auch das gründerzeitliche Umfeld und die Sichtachse zum Millenium Tower, einer absurden Maschine, die von unten bis oben funktionieren muss.

Mit welchen Reaktionen wart ihr während des Häuslbauens konfrontiert?

Durch die Ankündigung der Aktion in einer Tageszeitung kamen viele Schaulustige. Die Kommunikation war total interessant, hat aber auch viel Zeit im straffen Ablauf geschluckt. Andererseits haben uns auch viele Leute beim Zuschnitt und beim Zimmern geholfen. Im Endeffekt haben sich die Gespräche mit der Unterstützung vieler PassantInnen aufgewogen und waren eigentlich auch der Grund, warum wir das Projekt später ausgedehnt haben. Am Anfang war es für uns im Grunde nur ein Filmprojekt, erst im Zuge der Umsetzung hat sich herauskristallisiert, dass es eigentlich viel weiter gehen kann. In der Kommunikation mit BesucherInnen, aber auch während der Vorbereitung ging es viel um rechtliche Fragen. Was darf wer wann wo? Im Nachhinein gab es ein Interview mit dem Verfassungsexperten Thomas Olechowski vom Hans-Kelsen-Institut, um vor allem über Grundrechte und deren Einforderung zu diskutieren. Der Zehn-Fragen-Antwort-Dialog kommt jetzt in die Ausstellung.

Tiny Houses – kleine, auf das Wesentlichste reduzierte mobile Wohneinheiten – liegen derzeit vor allem in den USA im Trend. Euer Haus wanderte von der temporären Baulücke schließlich auf den Attersee. Welche Veränderungen waren für das Leben am Wasser notwendig?

Damit der Bau an einem Tag bewältigt werden konnte, war unser Haus entsprechend klein konzeptioniert. Das steile Satteldach spielt mit einer ländlichen Tradition, vom Charakter ähnelt es einer simplen Datscha. Es stecken aber viele Ideen im scheinbar normalen, primitiv konstruierten Haus. Das Dach lässt sich zum Beispiel aufklappen und öffnet den Blick nach oben hin zu einem völlig anderen Raumgefühl.

Wie ein Boot auszusehen hat, ist rechtlich nicht genau definiert, einzig steuerbar muss es sein. Am Attersee machten wir das Häuschen mit Blechtonnen als Schwimmkörper seetüchtig und bauten es nach und nach um. Wir nahmen das Dach herunter, kippten eine Seitenfläche als Terrasse heraus und erweiterten das Haus um schwimmende Plattformen – es dehnte sich vergleichbar mit einer Explosionszeichnung aus. Während der Performance wurden die Möbel teilweise zu Beibooten. Ein Kasten muss nicht immer ein Kasten sein, abgedichtet funktioniert er wunderbar. So konnten wir zum Einkauf für das Grillen rudern.

War die Idee, sich als schwimmende Insel am Wasser treiben zu lassen, legal und gratis, gerade dort, wo die Umgebung am schönsten ist, aber Grundstücke am Seeufer kaum noch vorhanden und mittlerweile unleistbar sind, ein Anlass den zweiten Teil der Aktion am Attersee zu machen?

Für Werner Schrödl und mich war es von Anfang an klar, dass es der Attersee sein muss. Einerseits aus persönlichen Gründen – sprich, man arbeitet mit dem, was man aus der Vergangenheit kennt – andererseits verbirgt er gewisse Konflikte, Umfahrungsstraßen werden für Oligarchen gebaut. Vielleicht ist deren Präsenz gut? Es ergeben sich auf jeden Fall Reibungsflächen. Der See als öffentliches Gut sollte von jedem beansprucht werden können. Fast alle Seegrundstücke wurden in den letzten Jahrzehnten verkauft, jedes Hotel hat seinen privaten Badeplatz, der Attersee ist nur mehr an wenigen Stellen öffentlich zugänglich. Der See als Freiraum ist etwas Klasses. Die Ufer sind zwar exklusive verbaut, das Rundherum schaut auf das Wasser, aber der See selbst ist annähernd unbesetzt. Am Wasser herrscht ein anderes Leben.

Auch als wir mit dem Berg auf dem Traunsee von Ufer zu Ufer schipperten, hatten wir das Gefühl, uns freier als gewohnt bewegen zu können, einzig beim Anlegen gab es eine genauere Choreografie. Für uns war es ein Spiel mit dem Auftauchen und Verschwinden auf einer überdimensionalen Bühne. Während unserer Expedition haben wir am See viele neugierige Leute getroffen. Dockte während eurer Performance jemand bei euch an?

Anders als mit dem großen Holzhaufen in Wien sind wir im Trubel am See gar nicht so sehr aufgefallen. Wir trieben einfach inmitten anderer Boote. Natürlich sind uns Kinder hinterher geschwommen, aber wir wohnten quasi einen Tag lang alleine – mit Hundebegleitung. Am Ende verschwand das Haus im Nichts, das war für uns das einzig denkbare, wenngleich fast mystische Ende des Filmprojekts. Der ursprüngliche Gedanke war, dass wir uns nach der Performance entfernen und das Objekt einfach treiben lassen. Nachdem wir aber im Vorfeld mit den Bundesforsten als Seeeigentümer bereits Probleme hatten, war dies nicht mehr möglich. Am nächsten Morgen wurde das Haus herausgehoben und eingelagert, jetzt kommt es in ausgeklappter Form für die Ausstellung wieder in die Stadt zurück.

 

„Aus der Sammlung: Landschaft“ ist ab 24. Juni 2016 in der Landesgalerie zu sehen.

www.landesmuseum.at

Fünf Räume. Zu: „Landschaft oder vom Genuss der Weltoberfläche“

grabt unterm tempel des Gasometers schreibt Sara Ventroni, die Ende Mai in der Galerie MAERZ gelesen hat. Diesen Appell frei interpretierend, gräbt Robert Stähr unter den Tempeln der Einzelausstellungen von „Genuss der Weltoberfläche“ nach ästhetischen Verbindungen – und versieht, ebenso frei interpretierend, jeden dieser Tempel zuerst mit einer Zeile von Ventroni.

Foto aus Nel Gasometro von Sara Ventroni

Foto aus Nel Gasometro von Sara Ventroni

Erster Raum

der Gasometer, der zeit unterstellt, ist nicht vers und nicht sinn und nicht raum

Sara Ventroni: „Im Gasometer“

Sara Ventroni und ihre Übersetzerin Julia Dengg lasen am 20. Mai im Galerieraum der Künstler- und Künstlerinnenvereinigung MAERZ Gedichte aus Ventronis Buch „Im Gasometer“, welches neben Lyrik auch Essays und Storyboards enthält, mithilfe derer die Autorin das architektonische Phänomen und „Relikt der Moderne“ Gasometer gedanklich und metaphorisch umkreist, davon immer wieder abstrahiert und sich auf diese Weise einen Textraum für vielfältige Assoziationen zu (Industrie-) Landschaften und emotionalen „Architekturen“ schafft. Der klangvolle Vortrag der Italienerin kontrastierte mit der beinahe monotonen Lesung der deutschen Übersetzungen ebenso wie die unterschiedlichen „Idiome“ der beiden Sprachen.

Neben Ventroni trug an diesem und dem vorangegangenen Abend eine Reihe weiterer Autorinnen und Autoren unter dem Veranstaltungstitel „Kein Sprung ins Dickicht dringt, kein Huf hinaus“ literarische Texte vor, welche mit dem Thema „Landschaft“ einmal mehr, dann wieder weniger zu tun hatten. Das Spektrum an den beiden von Christian Steinbacher und Florian Huber zusammengestellten Abenden reichte von der Thematisierung realer, geographisch verortbarer Landschaften über Erkundungen von „inneren und äußeren Landschaften des Subjekts“ (Veranstaltungsfolder) bis zu den kurzen Erzählungen Hans Thills, in welchen dieser ebenso launig wie sprachlich präzise Szenen aus imaginären Dörfern entwirft. Das Nebeneinander von Lakonie und – immer wieder „aufblitzender“ – Absurdität verleiht den Texten des Autors, der auch als Herausgeber und Übersetzer arbeitet, einen sympathischen Reiz.

Den Um-Raum der zweitägigen Lesereihe bildet die in den MAERZ-Räumen zu sehende Ausstellung unter dem Titel „restlicht.romantik“. Fast alle gezeigten Arbeiten stehen vor dem Hintergrund romantischer Landschafts- und Naturbetrachtung des 19. Jahrhunderts mit ihrer Perspektive der Idealisierung des Verhältnisses von Mensch und Natur (bis hin zur Verklärung) und deren dunkler, schwerer fassbarer Kehrseite: dem Bedrohlichen, (Alp-) Traumhaften der Welt, Umwelt, welcher wir uns nicht entziehen können.

Sehr schön, gleichsam zweidimensional und doch plastisch erfahrbar wird dieses Ineinander von „Licht und Dunkel“ in dem großformatigen S/W-Bild „Gimme Shelter“ von Peter Hauenschild und Georg Ritter: ein Dickicht, eine Waldlandschaft – Bäume, der Boden dazwischen bedeckt: wovon? Von Steinen? Blättern und Erdreich? Gerade aus ihrer obsessiv anmutenden, millimeterhaft genauen Art der Zeichnung erwächst eine – ästhetisch kalkulierte – Unschärfe der Darstellung, die der Betrachterin/ dem Betrachter großen Spielraum lässt, im Bild eine Anzahl unterschiedlicher, einander überlagernder Bilder zu entdecken: Schutz, Verwüstung, Offenbarung, …

Auf den allerersten Blick ähnlich, auf den zweiten aber unterschiedlich ist der Ansatz von Gerhard Brandl – der die Ausstellung auch kuratiert hat – in seiner Arbeit „lands-cut“, aus welcher zwei Beispiele in der Ausstellung zu sehen sind. Brandl unternimmt photographisch genaue graphische Studien karg wirkender Wald- und Berglandschaften, arbeitet dabei gekonnt den Bezug zwischen der Dreidimensionalität des Dargestellten und der Zweidimensionalität der Bildfläche heraus. Der für seine genuine, mit der Technik photographischer Apparaturen experimentierende Photokünstler Walter Ebenhofer zeigt mit „Mountains indiscrete I und II“ zwei wiederum auf den ersten Blick nicht als solche erkennbare Photomontagen. Die Bruchlinien der Montage, aus wie vielen montierten Elementen sich die beiden Bilder zusammensetzen, ist nicht eindeutig auszumachen. Sie erzeugen vielmehr den Eindruck von hermetischer Abschließung, weisen die Betrachterin/den Betrachter quasi ab.

Ebenhofer, Brandl, Hauenschild/Ritter prägen im „Zusammenspiel“ ihrer gezeigten Arbeiten die Ausstellungssituation im größeren Raum der MAERZ, während im gegenüberliegenden kleineren Raum eine heterogene Ansammlung von Exponaten zu sehen ist, welche neben Malerei, Zeichnung und Photographie auch Video und Installation als Ausdrucksmedien einschließt. Das gewissermaßen „Andere“ der Ausstellung stellt – zurück im großen Raum – Lois Weinbergers „Verlauf“ dar: Der mit dem Einsatz von „natürlichen“ Materialien und Verfallsprozessen namhaft gewordene Künstler entwirft darin einen Plan, ein „poetisch-politisches Netzwerk“, eine … Landschaft von Worten und Begriffen; ob dieses Netzwerk „Hierarchien unterschiedlicher Art in Frage stellt“ (Info-Blatt zur Ausstellung), sei dem Urteil der Betrachterin/des Betrachters überlassen.

Zweiter Raum

an orten unweit von urbanen zentren konzentriert sich alles auf die konstruktion von fixen bildern, posituren.

Sara Ventroni: „Im Gasometer“

In den Räumen des Architekturforums, direkt neben jenen der MAERZ gelegen, wird eine Ausstellung unter dem Titel „erfahrene Landschaft“ gezeigt, welche laut Folder „die Beziehung von Auto, Mensch und Landschaft“ thematisiert. Beide Ausstellungen sind Teil der Kooperation „Landschaft oder vom Genuss der Weltoberfläche“ von StifterHaus, Stadtmuseum Nordico, Landesgalerie sowie eben MAERZ und Afo. Im Unterschied zur klar im Kunst-Kontext verortbaren „restlicht.romantik“-Schau setzen die im Architekturforum gezeigten Arbeiten den Fokus auf Diskursivität und Symbolik.

Tobias Hagleitner, der die Ausstellung nach einer Idee von Gabriele Kaiser konzipiert und gestaltet hat, ist selbst mit mehreren Exponaten dort vertreten. Von symbolischer Wirkmächtigkeit ist seine Rauminstallation „Unter der Wunschmaschine“, in welcher er auf der Innenseite einer Art begehbaren „Baldachins“ Bildmaterial aus der Autowerbung zeigt, um deren einschlägige Mythen und Erzählungen von Raum und Freiheit. Inhaltlich und formal sehr interessant ist die Arbeit „Der ideale Blick“ mit ihrer Kombination von Landschaftsmalerei aus dem 17. bis 19. Jahrhundert (sic!) mit Ansichten aus „Google Street View“. Der ideale wird als ein intentionaler, also von jeweiligen Absichten bestimmter Blick entlarvt, mehr noch: „Die Landschaftsproduktion folgt ganz bestimmten Interessen.“ (Folder)

Eine gleichzeitig dokumentarische und künstlerische Arbeit zeigt Kurt Hörbst. Er hat den Bau der Mühlviertler Schnellstraße „S10“ über mehrere Jahre photodokumentarisch begleitet und neben den massiven Eingriffen in die Landschaft auch die skulpturale Qualität von Felsensprengungen, Hügelabtragungen einerseits, von unfertigen Straßenteilen, Lärmschutzwänden andererseits mit genauem Blick herausgearbeitet. Wie praktisch in der gesamten Ausstellung wird auf die ökologische Dimension des motorisierten Verkehrs und der dafür notwendigen Infrastruktur freilich nicht oder lediglich „versteckt“ Bezug genommen. Natürlich greift der einfache, ideologisch motivierte Gegensatz von „Natur“ und „Kultur“ viel zu kurz; das damit gemeinte Spannungsfeld in einem allgemeinen Kontext der Kulturation aufgehen zu lassen, lässt wiederum die umweltproblematische Seite zu starker Eingriffe in ökologische Kreisläufe – ob nun gewollt oder nicht – in den Hintergrund treten. Bodo Hell hat zur Arbeit von Hörbst einen Begleittext geschrieben, welcher im Buch zum Projekt abgedruckt ist.

Weitere Stationen der Ausstellung im Architekturforum kokettieren mit plakativer Symbolik (M. Jeschaunig), verzichten auf das Symbolische ganz (D. Meindl) oder laden zu einem stationären „road trip“ mit ausgewählter Musik aus einem „Autoradio“ ein (R. Laimer).

Gleichsam das „missing link“ zur Ausstellung im Stadtmuseum Nordico bildet eine als „Gruß von der Alpenfahrt“ titulierte Sammlung (Zusammenstellung: Gerhard Brandl mit Tobias Hagleitner) von Ansichtskarten mit Motiven von durch Gebirgslandschaften führenden Autostraßen. Im Folder zur Ausstellung steht dazu: „Die häufige Darstellung von Gebirgslandschaft und Autostraße auf Ansichtskarten spiegelt die Bedeutung der automobilen Erschließung der Alpen für das kulturelle Selbstverständnis von Gesellschaft wie Individuum.“

Dritter Raum

das eisen von efeu umringt voll efeuknoten die ringe des gasometers.

Sara Ventroni: „Im Gasometer“

Das Linzer Zimmer, ein kleiner Raum im Erdgeschoß des Nordico, beherbergt derzeit eine ebenfalls von Gerhard Brandl zusammengestellte Schau von Ansichtskarten mit Landschaften und Orten aus Oberösterreich und aller Welt. Wiewohl die Ausstellung eine ambitionierte Struktur (drei „Blickrichtungen“) aufweist und eine zeitliche Palette von mehr als hundert Jahren abdeckt, erweckt die konkrete Anordnung der Karten den Eindruck eines insgesamt wenig aussagekräftigen Sammelsuriums von Motiven. Auch die in Schaukästen aufgelegten Künstleransichtskarten vermögen diesen Eindruck nicht entscheidend abzuschwächen.

Vierter Raum

jeden tag auf dem rückweg nehm ich den Gasometer.

Sara Ventroni: „Im Gasometer“

Betritt man den Galerie- und Veranstaltungsraum des StifterHauses durch die Flügeltür, prallt man zurück: Eine efeubewachsene Holzwand versperrt den Weg; sie ist Teil einer eigenwilligen Ausstellungsarchitektur, die den großen Raum für die Dauer der Schau „STIFTER HAUS Seehöhe 255 m. Wanderwege durch Adalbert Stifters Bild-Welt“ neu strukturiert. Laut Folder soll damit eine „improvisierte Galerie“ eingerichtet werden, in welcher „Stifters bildkünstlerische und literarische Landschaftsbilder miteinander in Dialog treten“. Mit seinen an Holzgerüsten lehnenden Gemälden unterschiedlichen Formats und in diese Gerüste eingepassten Schrifttafeln mutet die Raumsituation eher wie eine Mischung aus Künstleratelier und einer gerade im Aufbau befindlichen Ausstellung an.

Die architektonische Gestaltung dieser Ausstellung (Peter Karlhuber) arbeitet einer typischen „Stifter-Stimmung“, verbunden mit dem und charakterisiert durch den typischen Respektabstand vor dem „Genius loci“, wirksam entgegen und schafft so eine davon befreite Aufmerksamkeit für Adalbert Stifter als Künstlerphänomen, als Be-Schreiber und Maler von Landschaften und Menschen, die in diesen leben und mit ihnen „umgehen“ müssen. Inhaltlich (Konzept: Evelyne Polt-Heinzl) ist der Raum in sechs „Wanderwege“ gegliedert, welche nach verschiedenen Kategorien – z. B. „Natur als Forschungsgegenstand“; „Zwischen Idylle und Katastrophe“ – durch Stifters Oeuvre und dessen Facetten führen.

grabt unterm tempel des Gasometers schreibt Sara Ventroni, und wenn wir, diesen Appell frei interpretierend, unter den Tempeln der Einzelausstellungen von „Genuss der Weltoberfläche“ nach ästhetischen Verbindungen graben, ist es zum Beispiel möglich, farbige Landschaftsbilder Stifters neben die Schwarzweiß-Zeichnung von Hauenschild und Ritter zu stellen und beider Spannungsfeld zwischen Idylle und Bedrohung zu genießen; Dorfszenen von Hans Thiel mit Stifters Novellen korrespondieren zu lassen, auch ohne sie – bemüht – ineinander überblenden zu wollen.

„Genuss der Weltoberfläche“ – mag dieser Gesamttitel für die fünf Einzelausstellungen („Eine Ausstellung in 5 Teilen“ trifft den Charakter der Kooperation nicht exakt) kokett, provozierend oder beides gemeint sein – er evoziert das suchende Graben unter dieser Oberfläche, ohne sie aufzureißen oder zu zerstören.

Fünfter Raum: Die Ausstellung „Aus der Sammlung: Landschaft“ ist ab 22. Juni in der Landesgalerie zu sehen.

 

Poesie sagt, was Sache ist

Ich sehe in den Spiegel und ich sehe nichts.

Diese Zeile, dieses Autograph ist im Lentos Kunstmuseum zu sehen – es stammt von Ernst Herbeck alias Alexander. Über Ernst Herbeck ist außerdem in Pamela Neuwirths Hörspieldokumentation „Lunatic“ zu hören, die im Juni in der Nacht auf Radio FRO ausgestrahlt wird. Siehe dazu die Tipps des Professionellen Publikums.