Don’t Forget About Your Girl, Alaska!

Bereits mit ihrer Band ELISA WORKS sorgte die Multiinstrumentalistin, Sängerin, Texterin und Komponistin Lisa Maria Thurnhofer in der oberösterreichischen Kulturszene für Furore. Jetzt arbeitet sie unter dem Namen FRIDA VAMOS an einem neuen multimedialen Projekt im Popkontext. Die Vorab-Auskopplung „Alaska“ lässt abermals aufhorchen! – meint Daniel Steiner.


ELISA WORKS entstand aus einer Notlage heraus. Im Vorfeld eines ver­einbarten Konzerts muss­ten mehrere Kollegen eines früheren Bandprojekts Thurnhofers aufgrund anderer, besser bezahlter Engagements absagen. Die damals erst 18jährige wollte diesen Gig aber unbedingt spielen und erarbeitet gemeinsam mit FreundInnen ein auf von ihr in Teenagertagen komponierten Songs basierendes Programm. Der Erfolg gab Lisa Maria Thurnhofer recht, ELISA WORKS entwickelte sich zu einer Popband mit Hitqualität. Nummern wie „Hey There (Stranger)“ oder „FridayNights“ wurden zu Publikumslieblingen, erst­genannte Nummer erschien auf einem Tribute Sampler für den Rothen Krebs.1
Auch aufgrund der Entstehungsgeschichte bleibt ELISA WORKS2 immer in im Grunde traditionellen Bahnen der Pophistorie verhaftet. Simple Melodien, auf Anhieb mitsingbare Refrains und größtenteils eine klassische Instrumentierung – wie schon zu Zeiten der Beatles basierend auf Gitarre, Bass und Schlagzeug – die sowohl akustisch als auch in „Stadionrock“-Besetztung funktioniert. Sicherlich gibt es Abweichungen vom klassischen Popschema, hier wird ein Glockenspiel eingebaut, dort ein Keyboard, manchmal zur Ukulele gegriffen – vor allem teilt sich Lisa Maria Thurnhofer den Frontgesang mit Jana Tack, einer in Österreich lebenden Lebenskünstlerin aus Belgien. Diese Aspekte zeigen bereits in dieser musikalischen Schaffensphase die Bereitschaft Neues zu wagen. Wobei an dieser Stelle angemerkt werden muss, dass die Band ELISA WORKS nicht aufgelöst, sondern nur auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt wurde.

Mit ihrem neuen Projekt FRIDA VAMOS – der Name entstand übrigens während eines Nebenjobs als Kellnerin im allseits bekannten Cafe Strom zur Abwehr allzu aufdringlicher Verehrer – schlägt Lisa Maria Thurnhofer gänzlich andere Wege ein als bei ELISA WORKS. Im Mit­telpunkt steht nicht mehr der klassische Song an sich, nicht mehr dessen Reproduzierbarkeit, ob am Lagerfeuer oder auf der Bühne einer 2000er Halle unterstützt von Licht-, Laser- und Rauchshow, sowie dem ganzen restlichen Rock’n’Roll Brimborium. Ausgangspunkt ist nun das Zusammenspiel von Text, Musik und Bild, gewissermaßen der Versuch Pop dreidimensional darzustellen. Für Jänner 2016 ist die Veröffentlichung der EP „Fantasm“ geplant, 5 Songs mit 5 dazugehörigen Videos, die jeweils von einem/einer FilmemacherIn stammen sollen. Verhandlungen mit interessierten Labels laufen bereits. Das Video der ersten Vorabveröffentlichung „Alaska“3 wurde dabei von Thurnhofer selbst produziert. Inhaltlich wird sich „Fantasm“ dem Spannungsfeld zwischen Traum und Traumata widmen, Persönliches mit der irrealen Realität die nur in Traumwelten möglich ist, verwoben. Der Einfachheit halber, lassen wir FRIDA VAMOS selbst sprechen, Lyrics hier sozusagen als Lyrik anführen:

ALASKA
the dust on my books has turned into ashes since I ripped the pages out last night I’m writing this song on my skin cause it matches did you need my paint or claim your pride?
why’d you keep me up last night oh why’d you keep me up?
you owe me your lips cause I like your face this is not about you bitch better behave it was meant to be fun so stop putting up a fight 57, 56, 55 …
why’d you keep me up last night,
oh, why’d you keep me up?
and the dust on my books it has turned into ashes since I ripped the pages out last night I’m writing this song on my skin­ cause it matches did you need my paint or claim your pride?
don’t forget about your girl Alaska
don’t forget about your girl
don’t forget about your girl Alaska
don’t forget about the scrap on my lips has turned into rust since I gave myself up to the sea to wash me ashore what ever the cost and tame this storm inside of me

Musikalisch bleibt Lisa Maria Thurnhofer auch mit FRIDA VAMOS dem Universum des Pop treu, allerdings verschiebt sich der Schwerpunkt Richtung elektronischer Mu­­sik. Der Fokus wird nicht mehr auf Gefälligkeit und Eingängigkeit gelegt, stattdessen herrschen in sich verschränkte Arrangements vor, außerdem wird das altherge­brachte Songschema von Strophe, Bridge und Refrain aufgebrochen, die Kompositionen dadurch um einiges komplexer und zugleich fesselnder. Sparsam, aber nicht minimalistisch werden sowohl die Instrumentierung wie auch die Beats eingesetzt, über allem schwebt der – durchaus mit dem etwas kitschigen Attribut „wunderschön“ zu beschreibende – Gesang Thurnhofers und rückt so den Inhalt wieder ins Zentrum. Bei „Alaska“ gelingt es der Künstlerin die musikalische Beschreibung der Kapitulation zugleich zum Triumph über das Geschehen werden zu lassen. Oder, um mit Tolstoi zu sprechen, Musik wird zur „Stenographie der Gefühle“. Natürlich ist das jetzt nicht alles neu, man kann durchaus Anleihen von Künstlerinnen wie DINKY oder BJÖRK finden, da jedoch die persönliche Note dermaßen stark ausgeprägt ist, wäre es meiner Meinung nach falsch, gleich die Neuerfindung des Rades zu fordern. Vor allem, da man annehmen kann, dass sich auf der gesamten EP „Fantasm“ noch die eine oder andere musikalische Überraschung verbergen wird.
Doch zurück zu „Alaska“ und zum visuellen, künstlerisch gleichwertigen bzw. gleich wichtigen Teil des Projekts. Auf dieser Ebene arbeitet Lisa Maria Thurnhofer konsequenterweise mit einer, unmittelbar an Traumsequenzen denken lassenden Bild­sprache. Dabei verwendet sie, in einer speziellen Abwandlung der Stock Footage Methode, Material aus ihrem reichhaltigen Archiv eigener Aufnahmen und kreiert damit das optische Pendant zu Text und Musik. Basierend auf einer mittels statischer Kamera gedrehten Aufnahme küstennaher Inseln im Nieselregen, führt die Reise durch Wohnungen, zu Feuerwerken und Badenixen, in Tiergärten und mittels Eisenbahnfahrt zurück zum Meer. Nach Alaska?
Natürlich möchte Thurnhofer weiterhin live spielen und arbeitet daher neben der Produktion der EP an einer bühnentauglichen Formation, mit der die FRIDA VAMOS Songs dem Publikum direkt vor Ort präsentiert werden können. Gemeinsam mit DJ TACTIK – der auch bei einem Song auf „Fantasm“ mitarbeiten wird – und zwei weiteren Musikerkollegen wird zur Zeit in diese Richtung experimentiert, konkrete Konzerttermine gibt es momentan daher noch nicht. Dafür kann man sich die Wartezeit bis zum Erscheinen von „Fantasm“ im Jänner mit dem neuen Soloalbum des HINTERLAND-DJs ABBY LEE TEE „byaccident“4 versüßen, auf dem es unter anderen auch den Gesang von FRIDA VAMOS zu hören gibt.

1    Online bestellbar bei SUBSTANCE Records unter: www.substance-store.com/news/new-releases/?tx_ttproducts_pi1[begin_at]=80&tx_ttproducts_pi1[backPID]=29&tx_ttproducts_pi1[product]=40452&cHash=e63cffa518 oder einfach beim Rothen Krebs Nachfolgelokal, dem Salonschiff Fräulein Florentine nachfragen
2    Besetztung: Dominik (Git), Grilli (Drums), Jana (Voc/Chimes), Jürgen (Bass), Lisa (Voc/Keyboard/Ukulele), Toni (Git)
Link: www.facebook.com/elisaworks
3    ALASKA auf Vimeo: vimeo.com/124198971
4    abbyleetee.bandcamp.com

Ich bin müde.

Und, nein, es liegt nicht am warmen Wetter. Ich bin einfach nur so wie derzeit viele Menschen rund um mich müde. Alle schleichen wir mit dem gleichen erschöpften Gesicht um die Ecken, schauen uns an, lächeln und versinken wieder im reinen Funktionsmodus. Weil wir zu viel arbeiten? Oder auch ‚nur‘ beschäftigt sind? All die Großartigen da draußen, die seit Wochen an den Grenzen und an Bahnhöfen daran arbeiten, dass Geflüchtete nicht in der Kälte schlafen müssen. Das ist definitiv Arbeit, die geleistet wird. Arbeit, die jene auffängt, die Politiker_innen zu wenig wert sind. Auch Menschen wie A. arbeiten seit Wochen in Österreich. Der syrische Englischlehrer dolmetscht. Natürlich unentgeltlich. Weil er als Asylwerber nichts verdienen darf. Arbeiten schon. Obwohl viele wie ich bereit wären, ihn für seine Dolmetsch-Dienste zu bezahlen. Und er so dadurch eigenes Geld verdienen könnte. Unser Konzept von Arbeit & Asyl ist fürchterlich dumm. Im Zuge einer Diskussion über die unterschiedlichen Arbeitskonzepte und -begriffe in Österreich, erklärte kürzlich eine Bekannte eben jenem syrischen Lehrer den Begriff „Freiberuflichkeit“: „Weißt du, als Freiberufliche, da arbeitest du immer, bist niemals krank, und hast keinen Urlaub. Was nicht heißt, dass du nicht viel reist. Aber es ist kein Urlaub, es ist Arbeit. Freunde, die angestellt sind allerdings meinen, dass du ja eh nur dann arbeitest, wenn du Lust hast und die übrige Zeit unterwegs bist. Daran musst du dich gewöhnen. Krank sein kannst du dir nicht leisten, deshalb bist es auch nicht. Am Jahresende zahlst du einen Teil dessen was du verdient hast, an die SVA und einen anderen ans Finanzamt. Und dann fragst du dich, wo der Rest geblieben ist.“ Ich war erschüttert. Einerseits darüber, dass diese Beschreibung einem Asylwerber gegeben wird, dessen Situation an sich nicht gerade von einem Übermaß an Hoffnung geprägt ist; andererseits, und damit zurück zum Thema Arbeit und Müdigkeit, darüber, wie präzise sie 25 Jahre auch meiner Arbeitsrealität beschrieb. Mit luxuriösen Unterbrechungen wie ein echter Angestelltenvertrag inklusive Überstundenpauschale oder hybriden Ergänzungen wie die 14 Jahre als „ständige freie Mitarbeiterin“, mit deren Hilfe sich ein großes Medienunternehmen den Luxus gönnte, zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbare Journalistinnen zu sozialversicherungstechnisch (für das Unternehmen) besonders günstigen Konditionen am Werken zu halten. Da waren wir irgendwie angestellt und irgendwie doch nicht. Am 8. Dezember jedenfalls galten wir nie als Angestellte, wodurch es alljährlich zu durchaus von Sarkasmus geprägten Gesprächen kam, wer von uns „ständigen Freien“ wohl heuer die dienstgeberschonende Reportage über die Rechte von Handelsangestellten machen würde. Vorboten von Praxen, wie sie sich im Kultur- und Medienbereich etablieren. Da überbieten sich aktuell die Geschäftsführungen dabei, Konstrukte zu erfinden, um den Kostenfaktor Mitarbeiter_in – völlig egal, ob angestellt oder freiberuflich tätig – loszuwerden: am unelegantesten natürlich, indem man versierte Mitarbeiter_innen gegen Praktikant_innen ersetzt. Andere Strategien sind „Änderungskündigungen“, mithilfe derer Journalist_innen mit vielen Dienstjahren, guten Verträgen und ebensolchen Aussichten auf Pensionen und Abfertigungen wieder „günstiger gemacht werden“. Nicht alle akzeptieren dankenswerter Weise diese Praxis und so wechselten in den vergangenen Monaten etliche renommierte Kulturredakteur_innen in Österreich Medium oder Branche. Nicht alle aber haben die Chance zu wechseln. Sie akzeptieren also die Ketten-Verträge, die Kürzungen, die Golden Handshakes und (Alters-)Teilzeit „Angebote“, ganz einfach weil sie Angst haben. Angst aber ist klarerweise das Gegenteil von freier, mutiger und diskursfreudiger Kultur(politik)berichterstattung. Und genauso schaut die Medienlandschaft in Oberösterreich derzeit auch aus. Keep them busy. Beschäftigt halten mit Existenzängsten, unabhängig ob mit den eigenen oder jenen anderer. Das betrifft Kultur- und Medienarbeiter_innen zurzeit ebenso wie Sozialarbeiter_innen und die vielen Freiwilligen. Wir tun dahin, wir halten alles am Laufen, wir hinterfragen wenig. Dafür sind wir mittlerweile ohnehin viel zu müde.

Die kleine Referentin

Idee Terri Frühling / Elke Punkt Fleisch, Illustration Terri Frühling

Idee Terri Frühling / Elke Punkt Fleisch, Illustration Terri Frühling

Die kleine Referentin – Auflösung

Idee Terri Frühling / Elke Punkt Fleisch, Illustration Terri Frühling

Idee Terri Frühling / Elke Punkt Fleisch, Illustration Terri Frühling

Der gute Szenehund Robert-Gilles bellt hier die Auflösung:
1.    Hipstergruppe
Nicht nur die Weihnachtsmärkte werden immer hipper, auch die zeitgenössischen Bürger_innen geben ihr Bestes. Aber schau genau! Bei einem Hipster fehlt die Brille – geht gar nicht! Und der andere mit Brille will mit seinem Selfie fürs Selbstbewusstsein was kompensieren. Unter der Gürtellinie. Nur Spaß.
2.    Weihnachtsstadtmann
Hey, hey, hey – illegales Fliegen ist in Linz verboten! Freundliche, kompetente und hilfsbereite Mitarbeiter_innen der Stadt Linz kümmern sich um Ordnung und Sauberkeit, auch im vorweihnachtlichen Luftverkehr.
3.    Die blaue Maria
Dieses Farbenspiel, pfui Teufel, auch wenn wir den schwarzen Josef schon gewohnt sind. Aber wie sieht der denn aus? Die Krippenstadt ist auch nicht mehr das was sie einmal war. Lieber wegschauen, liebe Kinder …
4.    Zuckerwatte
… und den Kopf in Zuckerwatte stecken: Mehr Zucker!!!
5.    Bis einer speibt!
Von oben schaut die Welt noch schlimmer aus. Warum ist da unten der halbe Weihnachtsmarkt abgesperrt? Da stimmt doch was nicht! Und auch merkwürdig … die Tricolore vor der Tabakfabrik im Hintergrund: Arbeiten wie ein Gott in der Weihnachtsfabrik? Äh … in Frankreich? Wurscht jetzt … Dem Kultur-Kettenkarussell geht die Luft noch nicht aus, es wird noch einmal bezahlt! Einmal noch! Einmal noch!! Einmal noch!!! Sich im Kreis drehen und dann alles abdrehen – bis alle speiben.

Vom Stürzen und Fallen

Eine wesentliche, nicht wegzudenkende Komponente des Radfahrens ist der Sturz, welcher glimpflich, aber auch tragisch enden kann. Johannes Staudinger, unser Mann fürs Rad, denkt vielleicht schon an Glatteis und Winter, unternimmt jedenfalls eine Ausfahrt in die Gefilde der Kunst mit Rad, um danach über praktische Dinge zum Sport zu gelangen.


Nackt braust sie nächtens auf dem Rad durch die Stadt. Ein Lächeln ziert ihr Gesicht und das lange, dunkle Haar weht wild im Fahrtwind. Der Himmel ist voll mit Sternen behangen, ein greller Lichtkegel weist ihr den Weg über das holprige Kopfsteinpflaster. Ihre Beine hat sie von den Pedalen gehoben, um das Vehikel kunstvoll bei voller Fahrt zu balancieren.
Das Bild „Die Radfahrerin“ vom Linzer Künstler Mario Michaelis ist eine Allegorie auf das Radfahren, auf ein ausschweifendes Leben voller Lust und Lebensfreude. Es ist das Festhalten eines Moments, ohne Gedanken daran zu verschwenden, was zuvor war und was noch kommen mag. Ein Stürzen, ein Fallen ist nicht vorhersehbar, wie es die Eigenheit eines jeden Sturzes ist.

Mir selbst sind als begeisterten Radfahrer schon so einige Stürze widerfahren. Als sportlicher Jugendfahrer durchschlug ich, bergauf fahrend, mit dem Kopf die Heckscheibe einer am Fahrbahnrand stehenden Luxuskarosse aus der Schweiz. Der Schock saß tief. Neben eines ausgeschlagenen Schneidezahnes, einer Blessur am Kinn und eines gestauchten Fahrradrahmens sind die äußeren Umstände und die Vorgeschichte des Crashs ins Genre der Humoreske einzuordnen: Die Schweizer hielten an dieser Stelle nicht abrupt, sondern verweilten dort schon einige Zeit, um mit Großmutter und Enkelkind in einem Feld rastende Störche auf der Durchreise zu beobachten – auf einer weit einsehbaren, leicht ansteigenden Geraden. Ich war mit dem Rennrad unterwegs, um mir für mein erstes Ferialpraktikum ein Monatsticket beim nahegelegenen Bahnhof zu besorgen und verband die Fahrt mit einer kleinen Trainingseinheit für ein am gleichen Tag stattfindendes Zeitfahrrennen. Konzentriert fuhr ich meine Linie tief am Rad liegend, den Blick nach unten auf den Asphalt gerichtet, damit ich nicht ins weiche Fahrbahnbankett geriet. Unfall und Sturz waren unvermeidlich.
Ein paar wenige Stürze mehr begleiteten mein Leben, wobei diese durchwegs tröstlichen Ausgang fanden, und rückwirkend betrachtet eventuell auch Kunstvolles in sich bergen.
Vielleicht können die modernen, smarten Technologien dazu beitragen uns beim Radfahren weniger stürzen zu lassen? So wie in der Automobilindustrie bereits Systeme zur Anwendung kommen, die uns über Fahrbahnbeschaffenheit und Verkehrsaufkommen informieren.
Christoph Fraundorfer von My-Esel und Florian Born entwickelten zum Beispiel im Rahmen des heurigen Ars Electronica Festivals eine App, welche Schlaglöcher erkennt, speichert und mittels eines am Fahrrad angebrachten Markierungsgeräts, diese im Vorbeifahren markiert, um nachfolgende RadfahrerInnen zu warnen und den Kommunen darüber Feedback zu geben, wo Straßenbelage nachgebessert werden müssen. Oder die Fahrrad-Navigations-App von bikecitizen in Graz, welche die geeignetsten Fahrradrouten in der Stadt, auf Basis des Wissens von Fahrradboten, anbietet.

Ganz ohne App kam hingegen der niederländische Performance- und Konzeptkünstler Bas Jan Ader in den 1960 und 70ern aus. Wahrscheinlich würde er aber auch heute nicht auf diese Technologien zugreifen wollen, denn das Fallen und das Ungewisse waren wesentliche Bestandteile in seinem Œuvre. In seiner Falling-Serie mimt Ader den tragischen Helden, der slapstickhaft fällt. In Fall II, Amsterdam fährt er geradewegs mit dem Fahrrad auf einen Kanal zu, um dort über die Kante zu kippen und im trüben Wasser zu versinken. Der dieser Aktion innewohnenden Äs­thetik des unkontrollierbaren Moments fand viele Nachahmer und wurde über die Jahre hinweg oftmals zitiert. Leider verschwand Ader 1975 beim Versuch alleine den Atlantik auf einem kleinen Segelboot zu überqueren und blieb seither verschollen.

Zum Glück und ohne zu stürzen fand der Künstler Hans Schabus seinen Weg zurück von seiner 5352 km langen Solo-Fahrt mit dem Fahrrad quer durch Nordamerika. Schabus, der des Öfteren das Rad in seinen Arbeiten in Szene setzt, lässt in seinem Werk Parallelitäten zur Kunst Aders erkennen und geht dabei ähnlich kontemplativ vor, indem der Blick des Betrachters auf die künstlerische Aktion selbst gerichtet ist.
Geistiges Sich-Versenken in einen fahrradtechnischen Akt thematisierte auch der Künstler Sam Starr in seiner Arbeit Circulus von 2010. Er konstruierte eine Radbahn in eine stillgelegte Bibliothek und drehte dort seine Runden voller Konzentration und Andacht. Die Stille beim Lesen in einem Leseraum wird dem unermüdlichen Fahren im Oval gleichgesetzt. Wer jemals in den Genuss kam, in einem Radoval, einem Velodrom zu fahren, weiß darum Bescheid, wie schwer es anfänglich ist, gegen all die auftretenden Kräfte anzukämpfen, um auf der Bahn zu bleiben und nicht zu stürzen. Umso größer dafür ist dann das Lustempfinden, wenn man Balance und Rhythmus gefunden hat. Auch deshalb ist schon längst ein Velodrom für Linz vonnöten.

Florian Born und Christoph Fraundorfer – ESEL-Complain
www.aec.at/futurelab/residency-network/connectingcities

Bike Citizen – Fahrrad-Navigations-APP
www.bikecitizens.net

Bas Jan Ader – Here Is Always Somewhere Else/Fall II
www.youtube.com/watch?v=IA_BFCyytBQ

Hans Schabus – The long road from tall trees to tall houses
Ausstellungseröffnung am 19. Februar 2016, Salzburger Kunstverein
from-tall-trees-to-tall-houses.blogspot.co.at

Sam Starr – Circulus
vimeo.com/12844053

Kulinarische Scharmützel eines professionellen Dilettanten

So. Ich oute mich als Gastro-Konservativer. Also nicht komplett – aber ein bisschen. Mich selbst als Konservativen – egal in welchem Kontext – zu beschimpfen fällt mir nicht leicht. Aber es kommt soweit. Der mutige Plan war es, den geneigten Lesern ein Best-Off der innerstädischen Fleischlaberlkultur zu präsentieren. Nicht ein oder zwei Adressen, sondern in Listenform aufbereitet und als visueller Leckerbissen mit einer fleischfärbigen Infografik hinterlegt. Quasi die Haute-Route durchs fleischfressende Linz ohne Rücksicht auf Gluten, Laktose oder Sellerie. Nach eingehender Recherche bieten im Testzeitraum keine Wiazhäuser im Bereich der Hauptplatzes Fleischlaberln in der Mittags- oder Speisekarte an. Stattdessen im Angebot: Halbfertig-Orgien in den Gastrostätten von Lentos und AEC und Entsetzliches am Beginn der Landstraße. Klebrige Donuts und ranzige Aschanti. Überall grinst einen der bayrische „Promikoch“ mit basedowscher Fresse an und verspricht magische Momente. Wieder einmal entmutigt und an der Grenze zur Verzweiflung begebe ich mich auf die Suche nach einer Ersatzbefriedigung und finde eine neue Mission: Der große Würstelstandtest. Vor meinem inneren Auge wieder eine wunderschöne Infografik mit Stadtkarte und in niedliche Grafiken umgeformte Käsekrainer oder Leberkässemmeln. Ich beginne eine Liste – und komme nach kurzer Zeit zur Erkenntnis – die gibt es alle nicht mehr! Nur mehr der Warme Hans und die Stände am Schillerpark und Taubenmarkt sind geblieben – ausgenommen von ein paar Satelliten am Wissensturm, in Auhof und an der Peripherie. Aber wo sind die innerstädtischen Würstelstände nur hingekommen? Der Klassiker nach einem Parkbadbesuch, die schnelle Frankfurter am Weg nach Wilhering an der Donaulände und die Möglichkeit zur Wurst am Hinsenkampplatz. Da fällt es mit wieder ein – stadtbekannt – es war die persönliche Mission des Altbürgermeisters, die störenden Hütten aus dem Weg zu räumen. Man munkelt ja auch, dass der Neubau des Parkbads nur eine Alibiaktion war … Der eigentliche Grund: Die Würstelstandentfernung. Ein paar Jahre später wird mittels Foodtrucks und daran angehängten Festivals probiert, die klaffenden Lücken zu schließen. Wunderbar. Ich merke aber schon selbst, ich komme nicht zum Punkt – meine eigentliche Mission stockt. Versprochen das nächste Mal: Der große China-Restaurant-Rund-um-Check. Das soll­te es keine gröberen Probleme geben. Daumen halten!

Kommentare, Hinweise und Tipps via E-Mail an slowdude@gmx.at.

Euer
Slow Dude

Zu Weihnachten.

Gestern Abend in einer Bar merkt meine Freundin an, dass es nicht die großen Sätze des Orakels von Delphi – worüber sie gerade lese –, seien, die sie interessieren, etwa das Erkenne dich selbst. Sondern vielmehr fasziniere sie der kleine, unscheinbare, quasi ganz unten in den Stein gerotzte letzte Spruch des Orakels, der da angeblich hieß: Die meisten sind schlecht. Ich denke: Wie schön ist das denn, so einfach, so klar. Die meisten sind schlecht. Ich setze das Zitat ein paar Mal an diesem Abend als Kommentar ans Ende einer Erzählung, was erstaunlicherweise jedesmal wieder amüsant ist. Währenddessen weht es immer wieder Leute ins Lokal, und sie rennen danach wieder raus aufs nasse, schwarze Kopfsteinpflaster. Hier in der Stadt ist gerade so genannter Altstadtbrennpunkt. So wird das zurzeit zumindest kolportiert. Nicht nur wegen der Gepflogenheiten auf dem Pflaster draußen – das auch. Gentrifizierungsprozess in vollem Gange. Aber besonders wegen des Lokals, in dem wir sitzen, ein von interessierten Kreisen so bezeichnetes Krisenlokal, Schandfleck und Sicherheitslücke in einem, in der die Stimmung aber gerade richtig gut ist. Wir reden ein wenig über die Veranstaltung, die wir zuvor besucht haben, in der es um die Abschaffung des Todes ging: Wir machen uns darüber lustig. Wie die meisten machen wir uns gerne lustig über etwas, auch wenn dieses Lustigmachen selbst offensichtlich lächerlich ist.

Dann kommt W von draußen rein. Er ist so ein Nachtlebenmensch, den ich vom Sehen kenne. Beziehungsweise haben wir, über die Jahre, auch schon einige Male miteinander geredet. Er steuert auf mich zu, reicht mir freundlich die Hand zum Gruß und fragt mich freudestrahlend mitten in der Nacht, in der Bar: ob ich einen Apfel möchte? Er hat ihn schon ausgepackt und überreicht ihn mir. Ein paar Leute im Lokal schauen schief. Aber meine Freundin will auch einen. Das gefällt ihm und er sagt: „Das ist ja schöner als ich mir das vorgestellt habe“. Er ist wieder draußen bei der Tür, und ich bin wirklich kurz erstaunt.

Unmittelbar danach wird quer durchs Lokal mit voller Wucht ein Glas in die Ecke gedroschen. Es zersplittert in alle Richtungen. Ein Typ in Military-Hosen rennt wütend hinaus. Es ist kurz ruhig an der Bar vor uns, erschrockenes Luftanhalten. Dann beginnen die Vögelchen an der Bar wieder zu zwitschern, als sie merken, dass der Mann nicht zurückkommt. Die Typen nehmen erleichtert einen Schluck. Es fällt der erste Schmäh auf den Lokalboden. Wieder den Mund zu einem Lächeln verziehen, denn, wenn’s dann schon mal passt, sind die meisten schon recht lässig. Auch wir machen weiter, nun eine jede mit einem Apfel vor sich auf dem Tisch. Ein liebestoller Mann fühlt sich magisch angezogen, vielleicht wegen der beiden Äpfel, und drängt sich an den Tisch, stülpt sich mit einem Blick über uns und erzählt vom armen Freund. Traumatisiert, denken meine Freundin und ich, aber er selbst wolle „nur Liebe, nur Liebe, Liebe, Liebe“. Das geht aber trotzdem nicht und meine Freundin bellt ihn weg.

Viel später verabschieden wir uns – nächtlicher Hauptplatz, aufziehender Sturm. Ich gehe heim und berühre den Apfel in der Manteltasche. Ich denke an W. W ist so ein Typ, bei dem Leute schon mal den Kopf abwenden, wenn er kommt. Was ihm aber nicht groß was auszumachen scheint. Als ich über den stürmischen Platz gehe, fällt mir die Geschichte mit seiner Exfreundin ein, die er mir einmal erzählt hat: Vor vielen Jahren hatte ihn diese Frau nach Strich und Faden betrogen. Nicht nur in allen Facetten betrogen und belogen, sondern auch komplett ausgenommen, verarscht und so weiter. Sie war dann plötzlich auf Jahre verschwunden, er beim Erzählen noch immer fassungslos. Er hat sie dann plötzlich und zufällig am Hauptplatz an einem strahlend schönen Tag wiedergesehen, sozusagen erwischt und sofort zur Rede gestellt wegen des Betrugs, der Verarsche, des Geldes. Sie hat ihn ausgelacht. Am Ende hat er ihr mitten am Platz eine runtergehaut. Und wurde dabei beobachtet. Seitdem, wie er mir erzählt hat, bekommt er jedes Mal von einem, ihm bis zu diesem Ereignis völlig unbekannt gewesenen, aber ihm mittlerweile schmerzhaft vertrauten Typen jedesmal eine runtergehaut, wenn dieser ihn sieht – als unverzeihliche Erinnerung daran, dass er eine Frau geschlagen hat. Soviel zu den meisten guten und schlechten Taten. Aber das ist gar nicht der Punkt der Sache. Denn erzählt hat mir W diese Geschichte einmal kurz nach Weihnachten, vor vielen Jahren, auch in der Altstadt. Ich habe ihn gefragt, warum er so mitgenommen aussieht, verletzt und mit einem Verband am Kopf. Ich erfahre in diesem Zusammenhang von der Watschengeschichte – und dass der Racheengel ihn am Weihnachtstag wieder einmal erwischt hat. Darüber hat er sich aber gar nicht beklagt. Sondern mit großem Staunen von der Taxifahrerin erzählt, die ihn anschließend ins Allgemeine Krankenhaus gebracht hat. Und die nach Stunden, an diesem Weihnachtstag, als er fertig war und wieder draußen aus dem Gebäude, immer noch auf ihn gewartet hat. Mehrmals hat er mich erstaunt aufgefordert mir vorzustellen: dass diese Taxifahrerin stundenlang auf ihn gewartet habe. Und ihn dann einfach so nach Hause gebracht hat.
Ich vermute, dass W auch irgendwie weiß, dass man nicht davon ausgehen kann, dass die meisten besonders gut sind.

Auf zum Geflecht

Zweifelsohne zählt das „Music Unlimited“ zu den spannendsten Festivals Österreichs. Von 6.–8. November ging es zum 29sten Mal über diverse Bühnen von Wels. Stephan Roiss über drei Tage voller grenzüberschreitender Musik im Schatten des Rechtsrucks.

In Wels eröffnete Agnes Hvizdalek mit geschlossenen Augen ein Universum. Foto WaWo

In Wels eröffnete Agnes Hvizdalek mit geschlossenen Augen ein Universum. Foto WaWo

Kuratiert wurde das heurige „Unlimited“ von Christof Kurzmann, der als Musiker bereits etliche Male das Festival be­reicherte. Der Wiener (und passionierte Teilzeit-Argentinier) agiert auf der Bühne vorwiegend mit Laptop, Saxophon oder Stimme und wird international geschätzt – nicht nur für seine künstlerische Qualität im engeren Sinn, sondern zudem für seinen offenen und unprätentiösen Zugang zu Klangkunst aller Art. Für Eingeweihte war rasch klar, dass sich hinter dem Untertitel des diesjährigen Festivals – „charhizmatic music“ – mehr als nur ein abgeschrägter Wortstamm verbirgt. Denn Kurzmann ist auch Gründer des Labels „charhizma“ (das mittlerweile keine Musik mehr veröffentlicht, aber wei­ter als Veranstaltungs- und Vernetzungsplattform fungiert). Und im Namen „charhizma“ wiederum wird das Wörtchen „Rhizom“ mitgedacht. Dieser ursprünglich biologische Terminus wurde in den 1970ern von Deleuze und Guattari aufgegriffen, metaphorisch aufgeladen und zur Beschreibung von kulturellen Systemen vorgeschlagen. Statt mit strengen Hierarchien und wertenden Oben-Unten-Schemata operierten Deleuze/Guattari mit komplexen Netzstrukturen, deren Knotenpunkte alle miteinander in Verbindung stehen und folglich auch vielfältig Einfluss aufeinander üben können. Auf das Gebiet der Musik angewandt eröffnet sich so ein Denkhorizont, in dem etwa die Grenzen zwischen E- und U-Musik, zwischen Under- und Overground oder zwischen diversen Stilen porös, durchlässig, nichtig werden. Und aus der Theorie speisen sich Aktionspotentiale, konkret: Musik ohne Scheuklappen und Schubladen, ohne elitären Duktus, aber auch ohne reaktionäre Neidkultur, die alles im Mainstream angekommene a priori verurteilt. Unlimited eben.

Passend zum Festival also, das programmatisch im Free Jazz verwurzelt ist, aber genreübergreifend Raum für alle Arten von improvisierter, experimenteller, progressiver, konzeptuell arbeitender, auf irgendeine Weise entgrenzender Musik bietet. So wurde das Unlimited 2015 zwar einerseits Ornette Coleman gewidmet: eine Ausstellung von Plattencovern des kürzlich verstorbenen Free Jazz-Pioniers flankierte das Live-Geschehen und das Eröffnungskonzert bestand wesentlich aus Interpretationen von Arbeiten Colemans. Andererseits kam beim Techno-Set von Ventil, mit der hervorragenden Schlagzeugerin Katharina Ernst, Clubstimmung auf, während Leonel Kaplan und Klaus Filip mit extrem reduzierten Tonmaterial die Stille rahmten. John Cage, schau owa. Der Solo-Auftritt Michael Zerangs wiederum überraschte zweifach: Zum einen präsentierte sich der renommierte Schlagzeuger als Gitarrist und zum anderen gab er ungewöhnlich konventionelle Singer-Songwriter-Nummern zum Besten. Das Unlimited versammelte – bei ausgewogenem Geschlechterverhältnis – wieder einmal Szenegrößen aus nah und fern: von Carla Bozulich, Irène Schweizer, Isabelle Duthoit über Christian Fennesz und Burkhard Stangl bishin zum legendären DKV Trio (Hamid Drake, Kent Kessler, Ken Vandermark), das zum Abschluss des Festivals ein konstant hochenergetisches Improvisationsgewitter entladen sollte.

Wie üblich wurden die Konzerte ab 19 Uhr im Alten Schl8hof absolviert, während samstags und sonntags Nachmittag andere Locations in der Stadt bespielt wurden (Pavillon, Stadttheater, Medienkulturhaus). Unüblich hingegen war die Dichte des Abendprogramms. Selbst wenn man wollte – und auf das delikate Essen, Pausenplausch und Ruhephasen verzichtete – war es de facto unmöglich, allen Auftritten zur Gänze beizuwohnen. Denn zwischen den Saalkonzerten wurden in einem Nebenraum mit begrenztem Fassungsvermögen knackige Solokonzerte dargeboten. Darunter Sets von Vokalistinnen, Agnes Hvizdalek etwa, die mit geschlossenen Augen ein Universum eröffnete, Vinyl-Zauberer Dieb 13, insgesamt vier Pianistinnen (besonders beeindruckend: Katharina Klement und Elisabeth Harnik) oder dem ewig frischen Altmeister Franz Hautzinger, der leider mit technischen Problemen konfrontiert war. Auch der geheime Höhepunkt des Festivals fand auf der Nebenbühne statt: Der Drummer Didi Kern (BulBul, Fuckhead) hat in den letzten Jahren verstärkt gezeigt, dass er nicht nur als wuchtiger Weirdrocker, sondern auch in cleaneren Impro-Gefilden zu Höchstleistungen fähig ist. Sein Sologig erfrischte mit einer tadellos tighten Tour de Force durch die Stilistiken, punkiger Performativität und einer herzhaften Brise Helge Schneider.

In den Veranstaltungssälen des Alten Schl8hofs unterstützten Projektionen die Atmosphäre. Matrixgrüne und sattgelbe Geflechte – fraglos Verweise auf das Rhizom von Deleuze/Guattari – waberten lang­sam über schwarze Bildflächen. Auch Worte wurden eingeblendet: „Nehmt euch, was ihr wollt“ etwa oder „refugees welcome“. Das Unlimited hat seit jeher nicht nur musikalische, sondern auch gesellschaftspolitische Grenzziehungen hinterfragt. Es ist kein Geheimnis, das sowohl der veranstaltende Verein Waschaecht als auch der Schl8hof nie Liebkinder kulturkonservativer Kräfte gewesen sind. Nach den jüngsten Wahlergebnissen auf Landes- und Stadtebene (blau-schwarze De-facto-Koalitionen, erstmals ein blauer Bürgermeister) könnten die Zukunftsprognosen also wahrlich rosiger aus­fallen. Wolfgang Wasserbauer (Wasch­aecht & Schl8hof): „Besser wird es sicher nicht! Für Unlimited 30 gibt es noch eine Fördergarantie seitens der Stadt Wels, danach wird man weitersehen. Die kulturpolitischen Signale der FPÖ, so es solche überhaupt gibt, gehen Richtung Massenveranstaltungen, also Richtung Ausverkauf und Transport von kulturellen Werten ins Wirtschaftsressort. Welche Auswirkungen das auf die freie Szene hat, wird man sehen. Mir schwant nichts Gutes.“ Aber die Köpfe werden nicht in den Sand, sondern zusammengesteckt: „Wir sind sozusagen am ‚Sammeln und Basteln‘, am Ideen und Strategien Entwickeln. Es wird was geben müssen, das ist klar!“ Im Rhizom gibt es mannigfaltige Kräfteverhältnisse, absolute Ohnmacht gibt es keine.

www.musicunlimited.at
www.waschaecht.at
www.schlachthofwels.at

YOUKI – Insel der Seligen

YOUKI International Youth Media Festival 2015: Wer schon einmal da war, kennt sie, die Schwermut, der einen schnell überkommt, wenn man die YOUKI nach einer Woche wieder verlassen muss. Ein paar Gedanken zum temporären Leben auf einer überirdischen Insel.

Foto Anja Kundrat/Maria McLean

Foto Anja Kundrat/Maria McLean

„Beyond Time and Space“ lautete das diesjährige Festivalmotto, jenseits von Zeit und Raum also. Bei Screenings außerhalb des zentralen Wettbewerbs sowie Lectures war Science-Fiction das große allumfassende Thema, es gab Zombies, Roboter, Außerirdisches und Übernatürliches. So wurden etwa wegweisende Produktionen wie „Children of Men“ von Alfonso Cuarón, „Ghost in the Shell“ von Mamoru Oshii und, weniger international bahnbrechend als national trashig, der Heimathorror „Zombies From Outer Space“ von Martin Faltermeier im Programmkino gezeigt. Aus der Reihe fiel das vor kurzem in den Kinos angelaufene Drama „Einer von uns“ von Stephan Richter. Ein bodenständiger, unaufgeregter und leiser Film, dessen Bilder trotzdem und wahrscheinlich gerade deshalb gewaltiger scheinen als jene eines schrillen Sci-Fi-Krachers. „Einer von uns“ dreht sich um den Fall Krems, als ein unbewaffneter Jugendlicher im Jahr 2009 beim Einbruch in einen Supermarkt von einem Polizisten erschossen wurde. Richter macht den Supermarkt zum Soziotop, spielt mit seiner Ästhetik, macht ihn zum Ring für Jugendliche und Erwachsene. „Einer von uns“ ist wenn, dann nur insofern Science Fiction, als dass seine Geschichte, hinter der eine medial ausgeschlachtete Realität steckt, noch heute kaum irdisch fassbar ist.

Science Fiction im Kopf
Das kann grundsätzlich eine Interpretation des Begriffs Science Fiction sein, vielleicht nicht theoretisch und akademisch, aber individuell und emotional durchaus. So ist die YOUKI eine Insel, die es eigentlich im Alltag gar nicht gibt. Eine, die kurz für eine Woche im Jahr aus dem Nichts auftaucht, alle Besucherinnen und Besucher auf- und einnimmt, ordentlich durchwirbelt und schließlich wieder ausspuckt. Dann verschwindet sie wieder, diese Insel mitten in Wels. Man kann für ein Jahr nicht mehr auf sie zurück, muss warten bis der nächste Teil, die nächste Staffel öffentlich anläuft. Bis dahin ist man sich selbst überlassen mit allen Erlebnissen, Gefühlen und Gedanken. Das tut erst einmal weh. Es ist bei genauerem Hinsehen eine Post-Festival-Depression wie jede andere. Nur anders. Beschreiben lässt sie sich schwer, weil sie eben überirdisch ist, in der Realität kaum fassbar, für Außenstehende nicht wirklich nachvollziehbar.

Auch für das Rahmenprogramm wurde der Titel „Beyond Time and Space“ ausgedehnt. Es gab einen Animations-, Arduino- und einen Regie-Workshop. Dazu noch Vermittlungsprogramme und die alljährliche Magazin-Redaktion, die mit dem Festivalmotto im Kopf eine ganze Zeitschrift füllen sollte. Das hat sie auch geschafft. Science Fiction ist immer Zukunft, irgendwie technisch, irgendwie märchenhaft. So machten sich die Redakteurinnen Gedanken zu Themen wie Asylpolitik, Feminismus und Identität. Wie würde wohl eine Welt ohne Grenzen und Rassismus aussehen (siehe Lena Steinhuber) Was, wenn es in der Zukunft gar keinen Bedarf mehr gäbe nach gleichberechtigten Arbeits- und Lebensmodellen und nach feministischer Praxis? Wie wird wohl Kultur in ein paar Jahrhunderten wahrgenommen? Was werden wir überhaupt essen? Science Fiction lässt sich jedem Bereich aufsetzen, sofern genügend Fantasie vorhanden ist. Und die war im ganz weiblichen Redaktionsteam reichlich, fast schon im Überfluss da. Ohne Einschränkungen und mit dem blinden Vertrauen gesegnet, alles tun zu können, was wir wollten, konnte das kaum unproduktiv sein.

Schöne neue Welt
Tun und lassen zu können, was man will, komplett frei zu sein in seinen Entscheidungen, ist ebenfalls eine dieser Utopien, die oftmals im Zusammenhang mit Science Fiction aufkommt. Diese und ihr exaktes Gegenteil, wie es etwa im Film „Equilibrium“ von Kurt Wimmer thematisiert wird. Wimmer baut sich darin eine Zukunftsvision, die stark an Aldous Huxleys Roman „Brave New World“ oder im gleichen Atemzug an George Orwells „1984“ erinnert, in der Identität und Individualität obsolet geworden sind. So ist auch jegliche Art von Emotion, sprich das, was Menschen antreibt oder im Umkehrschluss schließlich bremst, zur Gänze verschwunden. Wäre ein Leben ohne Emotionen denn wirklich einfacher? Oft wünscht man sich, Gefühle abschalten zu können. Natürlich nur dann, wenn sie weh tun, wenn einem das Herz gebrochen wird. Freude abzuschalten wäre absurd.

Nachdem die YOUKI eine Insel war und ist, die keine außenstehende Person jemals betreten kann, passieren dort ganz wunderbare und eigenartige Dinge, die sonst nirgendwo passieren können. Und weil die Insel keine Regeln festschreibt, fühlt man sich eingeladen, tun zu können, was man will. Man schafft sich also selbst eine Utopie, eine wirklich schöne neue Welt und lebt eine Woche darin. Dass sie zeitlich begrenzt ist, diese Welt, wissen alle Besucherinnen und Besucher, was wahrscheinlich alle noch ein Stück näher zusammenrücken lässt. Es ist alles sehr besonders und selig inmitten einer Stadt, deren Politik sich immer weiter nach rechts schiebt, deren Kultur von ein paar wenigen starken Pfeilern gehalten wird, aber keiner weiß, wie lange noch. Die YOUKI passiert in einer Blase, in der das alles kein Thema sein will. Das tut auch einmal ganz gut zwischendurch. Es ist eine Art kurze Zeitreise in eine Nicht-Zeit, in eine Parallelwelt vielleicht.

Science Fiction ist gesund
Die Besucherinnen, Mitarbeiter, Filmemacherinnen, Musiker und Partygäste, die kommen, wissen das. „Beyond Time and Space“ war vielleicht das offizielle Thema dieser Ausgabe des Festivals, lässt sich aber über so ziemlich alles spannen, was in seinem Rahmen in den letzten Jahren passiert ist und in den nächsten Jahren noch passieren wird. Ein bisschen Science Fiction schadet nicht. Auch, wenn sie nur im Kopf stattfindet. Und irgendwann schwelt auch die grausige Post-Festival-Depression ab und geht in Vorfreude auf die nächste YOUKI über. Irgendwann in den nächsten Monaten. Sie ist es halt auch wert.

ROBOT1490075

Im Rahmen der Magazinredaktion des YOUKI International Youth Media Festivals hat sich eine jugendliche Autorin Gedanken über eine grenzenlose Welt gemacht. Eine Welt, in der nur ein einziger Herrscher an der Macht ist. Der Herrscher aller unser, der Präsident der Erde.

Ich bete zu dem allmächtigen Herrscher aller unser,
dessen Leibe geschaffen aus uns allen,
die Perfektion im wahrlichen Sinne,
seine Worte die einzige Wahrheit des Staates.

Nur er.

Ich danke ihm für die Auflösung der Grenzen,
für die Wiedervereinigung des Staates,
für die Bestrafung und Robotertransformierung der Bösen,
für das Erschaffen und Einsetzen der Gedankenleser.

Führe uns für immer.

Nur du, O unser einziger Herrscher und Führer,
nur du schenkst uns Hoffnung in dunkler Stunde,
nur du, der uns alle gleich gemacht hat,
Nur dir wollen wir dienen bis an unser Lebensende,

Friede.

Sogar hier muss er seine verdammten Gebetstafeln aufstellen! Nicht einmal diesen sonst so unberührten Fleck Gestein hat er in Frieden gelassen.

Ich stehe an der Klippe. Gleich werde ich springen. Jetzt. Oder jetzt. Gleich werde ich wie ein Stein ins Wasser sinken. Nie mehr auftauchen. Für immer weg von hier, von diesem Staat voller Betrug und Drohnenüberwachung, weg von dieser betrogenen Gesellschaft, diesen teuflischen Gedankenlesern, dem schrecklichen Herrscher aller unser!

Hätte ich damals gewusst, wie viel schlimmer seine Herrschaft sein würde, hätte ich niemals Zellen für seine Erschaffung gespendet! Kein einziges Blutkörperchen hätte ich verschwendet an diesen Lügner. Aber damals was ich ja selbst noch fest überzeugt davon gewesen, dass er die Lösung für alles sein würde! Ein Herrscher, der alle Völker der Welt vereint, geschaffen aus den Zellen, dem Blut der Bevölkerung. Ein Herrscher, der Kriege verweigert, Kriegsflüchtlinge anderer Planeten bei sich aufnimmt, Programmierarbeitsplätze schafft für alle, unter dem jeder gleich viel verdient, und dessen Erscheinungsbild so perfekt ist, so wunderschön, so charismatisch, so sympathisch und so vertrauensvoll.

Meine Frau ist direkt verliebt in ihn, manchmal habe ich sie dabei erwischt, wie sie unanständige Dinge zu seinem gerahmten Videobild in der Maschinenkammer gesagt hat. Zum Glück wird sie bald nicht mehr meine Frau sein, zum Glück muss ich bald nicht mehr unter ihm leiden, denken.

Genau das ist es nämlich, ich denke.

Meine Frau hat das Denken schon vollkommen verlernt. Beinahe wie ein Roboter eilt sie durch die Gegend, ihr einziges Ziel, dem Herrscher aller unser möglichst gut zu dienen. Nicht einmal, als mein Onkel zur Strafe für das Brechen von Regel Nr. 5 527 895 (ihr Hausroboter muss jeden vierten Sonntag des Monats April zur Wartung geschickt werden) und Regel Nr. 8 965 662 356 (das Berühren von Menschen des anderen Geschlechts ist aus anti-sexistischen Gründen weder in der Öffentlichkeit noch im privaten Rahmen gestattet) zum Roboter transformiert wurde, zweifelte sie an ihm. Nicht einmal, dass mein Onkel jetzt in der Gemüseplantagenabteilung im Süden versklavt wird, gibt ihr zu denken. Der Herrscher aller unser hat ihr Hirn mit seinen Drohnen schon so weit fanatisiert, dass …

Ich muss springen. Weg von allem. Jetzt, jetzt, jetzt…

Als ich aufwache, lese ich auf dem in meinen eisernen Brustkorb gestanzten Schriftzug „ROBOT1490075—MÜLLVERWERTUNGSABTEILUNG00“. Ein Programm in meinem Hirn gratuliert mir zur gelungenen Transformation. Es teilt mir mithilfe des Lageplans (der sich in der Speicherkarte oberhalb meines dritten Greifarms befindet) mit, wie der Weg zur Müllverwertungsabteilung geht. Das Programm wünscht mir einen schönen Arbeitstag.
Ich danke dem wunderbaren Herrscher aller unser, der mich zu dem gemacht hat, was ich bin.

Ich bete zu dem allmächtigen Herrscher aller unser,
dessen Lei…