EXPORT vor EXPORT. Foto: Herta Hurnaus, 2015
Unsichtbare Gegner aus der Serie Körperkonfigurationen, 1972. © VALIE EXPORT Archiv / Bildrecht, Wien 2015
VALIE EXPORT, Zu/Stand aus der Serie Körperkonfigurationen, 1972. Foto: Hermann Hendrich © VALIE EXPORT Archiv / Bildrecht, Wien 2015
Von einem MAERZ-Mitglied zum anderen: Karin M. Hofer hat mit der „Ikone und Rebellin“ VALIE EXPORT über Kunst, Feminismus und Linz gesprochen. Der Anlass: Der Grundstein für das neue Linzer VALIE EXPORT Center wurde dieses Jahr gelegt.
Am 21. September wird im Museum Ludwig in Köln der Film „Ikone und Rebellin“ zur Person VALIE EXPORT erstmals gezeigt. Wie lange haben denn die Dreharbeiten gedauert?
Schwer zu sagen, zusammengefasst vielleicht ein bis eineinhalb Jahre. Die Drehtage, die mich betrafen, waren 15 Tage, davon einige Tage in Norwegen, Wien, Linz …
Haben Sie die Rohfassung schon gesehen?
Die Rohfassung des Filmes habe ich kurz gesehen, würde aber nie in die Gestaltung eingreifen; Das ist die Arbeit, das Werk der Regisseurin, Claudia Müller. Ich stellte ihr Material zur Verfügung, das sie wollte beziehungsweise was mir zu zeigen wichtig war, aber die Gestaltung ist jene der Regisseurin, natürlich wie immer.
Wie sehen Sie aus heutiger Sicht, mit heutigem Wissensstand auf ihre vergangenen Schaffensphasen zurück? Ist es Ihnen möglich, die Künstlerin im Film von ihrer heutigen Person zu trennen?
Nein, das könnte ich nicht, so etwas kann ich nicht. Nein … Das ist eine Identitätssache, diese Identitäten kann ich nicht abstrahieren.
Sie sind ja in Linz aufgewachsen, wie sahen sie das Kulturleben in Linz und was waren Ihre ersten künstlerischen Eindrücke?
Ja, ich bin in Linz aufgewachsen, aber das künstlerische Leben dort war sehr beschränkt. Ich hatte in der Neuen Galerie Kubin für mich entdeckt, meine Mutter hatte ihn mir nahegebracht. Sonst war aber nichts los. Es gab noch das Landesmuseum, aber soweit ich mich erinnere, waren dort keine besonderen Ausstellungen zu sehen. Aber das ist eben schon lange her.
Gab es Arbeiten von Ihnen, die in Linz entstanden sind?
Naja, in Linz weniger … In Linz war ich auf der „Kunstgewerbe“ und dann bin ich nach Wien übersiedelt. Aber jedoch mein erstes Selbstportrait ist mit 15 Jahren in Linz entstanden.
In der MAERZ fand ja eine ihrer frühen Performances statt …
Ja in der Maerz-Galerie, 1973 mit dem Titel „KAUSALGIE“. Soweit ich mich erinnere, ist der damalige Leiter der Maerz zurückgetreten. Zu dieser Zeit habe ich aber schon in Wien gelebt.
Vermutlich haben Sie sich bei ihren Performances lange überlegt, ob sie es wirklich in der Weise machen wollen. Weil es ja auch sehr belastend war und fordernd.
Sicher, das ist alles ganz genau überlegt. Manchmal während der Performance merkte ich, ich hätte noch etwas hinzufügen können. Wenn ich die Performance nochmals zeigte, machte ich das eventuell, erweiterte sie. Aber jede Performance, jede Aktion hängt auch vom Publikum und der Rezeption ab, es ist ein interagierender Prozess.
Wie genau war eine Choreographie geplant?
Überhaupt nicht, es war ein gewisser offener Ablauf vorhanden. Ich habe versucht, einen gewissen Zeitplan einzuhalten. Ein ungefährer Ablauf war schon geplant, weil es um verschiedene Schichten, Prozesse und Themen ging, ausgeführt mit verschiedenem Materialen und Medien. Vor der Performance ist natürliche Spannung vorhanden, danach muss man sich mit den Reaktionen und Angriffen auseinandersetzen. Das gehört auch dazu …
Für eine damals konservative Umgebung wie Linz stelle ich mir das spannend vor, wurde das von den anwesenden Rezipienten als Kunst verstanden?
Die wenigen Leute, die ich in Linz kannte, wie etwa Helmut Gsöllpointner und andere Künstler haben das verstanden, es fanden auch Gespräche statt. In dieser Zeit, als ich KAUSALGIE machte, stellte gerade Hermann J. Painitz in Linz aus, er war auch anwesend.
Anfang der 70er Jahre waren aktuelle Kunsttendenzen nicht ganz unbekannt, anders als während der 60er Jahre, es fanden Auseinandersetzungen um kulturelle Entwicklung statt.
Ein großer Unterschied zu Wien?
Na, es war anders, Wien ist schon eine sogenannte „Hauptstadt“. Es war allerdings in den 70er Jahren genauso restriktiv, konservativ und geprägt von der Nach-Kriegszeit. Es veränderte sich aber Vieles in der Ära Kreisky. Obwohl natürlich konservative Kreise auch ihren Teil dazu beitragen, da sie zu künstlerischer Opposition herausfordern. Opposition verstärkt die Utopien.
War das für Sie ein Ansporn zu Ihrem künstlerischen Tun?
Ansporn nicht, eher Selbstverständlichkeit. Wenn ich mich dem Gegebenen nicht anpassen will und kann, mache ich etwas anderes, provoziere das Gegebene. Aber als Auseinandersetzung, Ansporn ist nicht das richtige Wort.
Sie haben sich auch sehr früh mit Film- und Videotechnik auseinandergesetzt. War es auch bei Ihnen so, dass sie sich technische Kenntnisse selbst aneignen mussten?
Der Grund, warum man Video bzw. Digitaltechnik heute verwendet, unterscheidet sich grundlegend vom Ansatz der 70er Jahre. Mit der Film- und Videotechnik mussten wir uns eigenständig auseinandersetzen. Es hat keine Lehrenden gegeben. Ich habe dann zwar selbst in den 70er Jahren auf der Linzer Kunsthochschule Video unterrichtet, ich musste mir dazu die Technik immer ausleihen von einem Videogeschäft.
Von Ihnen stammen ja Experimentalfilme, die heute als kunsthistorische Meilensteine gelten – was ist aus heutiger Sicht dazu zu sagen?
Sie sind zu ihrer Zeit entstanden, sie haben immer noch ihre Gültigkeit, weil sie sich auf eine bestimmte Weise mit Medium und Inhalten beschäftigten, und durch sie eine Entwicklung sichtbar wird. Es sind Arbeiten, die im Laufe einer künstlerischen Auseinandersetzung entstehen.
Gibt es aus ihrer Sicht Arbeiten, die Sie als besonders wichtig oder als Wendepunkte betrachten?
Nein, könnte ich nicht sagen …
Empfinden Sie die Gesellschaft heute als freier als in den 70er Jahren?
Es sieht anders aus, das Restriktive zeigt sich heute in anderen Zusammenhängen. Trotzdem sind Restriktionen nach wie vor vorhanden, es ist sehr schwer, die Probleme der jetzigen Gesellschaft zu lösen – wie etwa die Flüchtlingsprobleme jetzt, vor allem die der Kinder, die unter traumatischen Umständen zu Flüchtlingen geworden sind und ihre Identität für die Zukunft erfassen und aufbauen müssen. Etwas, das gelöst werden muss; ignorieren verschärft die Situation, die Menschlichkeit fordert eine Lösung. Wie die Probleme gelöst, entschärft werden können, ist allerdings momentan sehr schwer darzustellen…
Wir hatten damals andere Probleme.
Es geht wohl um Handlungsspielräume. Am Beginn der 70er Jahre etwa waren die Handlungsspielräume von Männlich oder Weiblich noch sehr eingeschränkt.
Nicht für mich, ich habe mir den Spielraum genommen. Andere haben das nicht getan. Die Handlungsspielräume sind heute auf andere Weise wieder begrenzt. Es ist zwar eine scheinbare Toleranz da, aber wenn man genau hinterfragt, ist die Toleranz sehr eng angelegt.
Das hängt sehr stark damit zusammen, was die/der Einzelne für möglich hält …
… was man tut, oder umsetzt …
Sie arbeiten nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Kuratorin; Wie gehen Sie vor, wenn Sie Arbeiten von Anderen auswählen?
Die erste kuratorische Arbeit war 1975 die Organisation von „MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität“, was nicht einfach war. Es gelang mir dann eine Ausstellung in Österreich (Anm.: Galerie nächst St. Stephan in Wien) von Künstlerinnen zur organisieren, im internationalen Rahmenprogramm waren auch männliche Vortragende vertreten.
Verstehen Sie sich nach wie vor als Feministin? Was ist Feminismus heute?
Natürlich sehe ich mich als Feministin, denn man kann nicht Feministin gewesen sein …
Aber natürlich in dem Kontext, in dem Feminismus entstanden ist, den ich zum Teil auch mitgeprägt habe. Bis heute sind ja die ökonomischen oder sozialen Verhältnisse immer noch ungleich. Im globalen Zusammenhang ist ja offensichtlich, wie immer noch Frauen benützt und eingesetzt werden – auch durch Kulturen und Religionen, was ja bei uns genauso war. Feminismus ist aber in expandierenden Zeitprozessen immer wieder anderen Kontexten zugeordnet.
Es hängt bis heute von Kultur und Erziehung ab, wie frau sich Dominanzgebaren gegenüber verhält … Ob es möglich ist, neue Handlungsweisen zu erproben.
Das ist schon richtig, allerdings, welche Frau kann sich in den repressiven Staaten selbst erproben oder selbst unabhängige Handlungsweisen setzen. Das ist etwas völlig Unmögliches. In den 1960er Jahren war die Auseinandersetzung mit kulturellen, gesellschaftlichen Unterschieden noch nicht so stark vorhanden, so stark im Bewusstsein, auch das Wissen von den kulturellen oder religiösen Unterschieden war noch nicht so deutlich angesprochen.
Ich habe es einmal in den USA der späten 1970er Jahre bei einer feministischen Diskussion erlebt, dass sich eine Afroamerikanerin zu Wort meldete und klar und deutlich feststellte: „Wo sind wir? Ihr sprecht immer nur von weißen Frauen und ihrem Feminismus. Wir, die auch in Amerika leben, wo sind wir dabei?“ Das ergab eine interessante und heftige Diskussionsbasis. Bei einer anderen Diskussionsveranstaltung in Deutschland zur weiblichen Genitalverstümmelung meinte eine afrikanische junge Frau in der Diskussion mit deutschen Feministinnen: „Wir bestimmen selbst, wie wir mit diesem Problem umgehen. Wir kümmern uns schon selbst darum, ihr braucht uns nicht zu sagen, wie wir vorgehen sollen. Wir müssen es selbst tun und wir tun es auch selbst.“ Dort prallte der europäische Feminismus auf einen Feminismus, der aus einer anderen kulturellen Zuordnung entsteht. Ich habe auch eine Installation zu diesem Thema für eine Ausstellung in Berlin gemacht.
Selbst Vorschläge von außen wirken leicht arrogant; in manchen Kulturen sind ja die Handlungsmöglichkeiten sowohl von Männern als auch von Frauen sehr eingeschränkt.
Genau, Feminismus ist eine politische Haltung, die je nach Kultur oder Religion ganz anders erarbeitet werden muss. Männer haben die Möglichkeit, Identität mit Macht- und Gewaltverhalten zu erreichen, Frauen verweigern sich dieser Identitätsbildung. Aber das kann nicht alleine mit Diskussionen gelöst werden, das ist ein langer Prozess.
Zurück zur Kunst: Was würden Sie jungen KünstlerInnen heute raten, um ihre Anliegen zu verwirklichen?
Naja, sie müssen konzentriert arbeiten, viel experimentieren, nicht sofort glauben, das ist jetzt das Kunstwerk. Die Dinge von ganz verschiedenen Seiten her betrachten, analysieren. Viele Variablen kommen von verschiedenen Kontexten. Wie ein Gedanke in einer andern Kultur sich ausdrücken lässt. Das ist ein künstlerisch-reflektierender Prozess. So könnten Arbeiten entstehen, mit denen die jungen Künstlerinnen und Künstler zufrieden sind.
Sie haben wahrscheinlich auch vieles, das sie sich ursprünglich überlegt haben, wieder verworfen …
Sagen wir eher, liegenlassen …
Eine abschließende Frage: Was sind Sie bisher noch nie gefragt worden?
Keine Ahnung (lacht).
Das VALIE EXPORT Center in Linz.
Linz erwirbt im April 2015 das VALIE EXPORT Archiv. Der Vorlass besteht aus Kunstwerken, Skizzen, Entwürfen, Negativen und weiteren umfangreichen Archivmaterialien aus dem Schaffen der in Linz geborenen Künstlerin. Das Archiv wird in den Sammlungsbestand des LENTOS Kunstmuseum eingebracht, das damit die größte Erweiterung seit Ankauf der Sammlung Gurlitt in den 1950er-Jahren erfährt. Mit diesem Schritt legt die Stadt Linz gleichzeitig den Grundstein für den Betrieb eines VALIE EXPORT Centers, einer internationalen Forschungsstätte für Medien- und Performancekunst.
Das VALIE EXPORT Archiv umfasst neben mehreren Kunstwerken wichtige Dokumente und Werkskizzen zu allen Schaffensperioden. Darin enthalten sind u. a. Projektskizzen, Konzepte, ein umfassendes Foto-, Film- und Videoarchiv, Korrespondenzen, Informationsmaterialien (Plakate, Folder etc.), Zeitungsausschnitte (Rezensionen, Reportagen etc.) und eine Bibliothek sowie Originale zu verschiedenen Werkgruppen.
Aufbauend auf dem VALIE EXPORT Archiv wird die Stadt Linz in Kooperation mit der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz ein international ausgerichtetes Forschungszentrum, das „VALIE EXPORT Center. Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst“ betreiben. Der VALIE EXPORT Center ist damit neben dem Adalbert-Stifter-Institut des Landes OÖ. die zweite Forschungsstätte in Linz, die sich explizit dem Werk einer bedeutenden KünstlerInnenpersönlichkeit dieser Stadt widmet.
Ziel des Forschungszentrums ist es, professionelle Rahmenbedingungen für die wissenschaftliche Erforschung und Aufarbeitung des Archivs und die Vermittlung seiner Inhalte zu schaffen und dessen öffentliche Zugänglichkeit zu ermöglichen. Als Standort ist eine Unterbringung in der Tabakfabrik Linz vorgesehen.
Das VALIE EXPORT Center nahm mit Juni 2015 seinen Betrieb in Form einer Aufbauphase auf. Voraussichtlich ab 2017 beginnt das Center seinen Regelbetrieb. Mit kuratierten Einblicken kann man laut Pressekonferenz aber bereits 2016 rechnen.