Seid geschreddert, Millionen! (auch Sie dürfen unser Geld vernichten)
Kurt Fleckenstein: Ehemals erfolgreicher Landschaftsarchitekt mit drei Firmenstandorten. Doch von Beginn an das Vorhaben, mit 50 etwas ganz anderes zu machen. Mehr oder weniger zufällig wurde es die Kunst, die den neuen Lebensabschnitt nun bestimmt. Karin M. Hofer hat Kurt Fleckenstein getroffen, der bis Anfang Dezember im Rahmen der Ausstellung „Multiplikation und Reduktion“ in der Galerie Maerz zu sehen war.
Nach „naiven“ ersten Versuchen (wie er selbst sagt) folgt eine intensive Auseinandersetzung mit der Kunst der letzten 150 Jahre. Nach epigonalen großen Stahlobjekten im öffentlichen Raum konzentriert er sich auf oft kontroversielle Installationen und Aktionen. Ortsbezug ist ihm wichtig, das verbindet formal sehr unterschiedliche Arbeiten. Der kann in der Architektur des Gebäudes sein, in der früheren Nutzung, in einer gewissen Symbolik des Ausstellungsraumes oder auch ein Problem, eventuell eine politische Situation vor Ort.
Drei Arbeitsbeispiele sollen diesen Zusammenhang verdeutlichen:
Ort Kiew / Zugang ARCHITEKTUR: Der Ausstellungsraum in Kiew war eine große Lagerhalle mit einer pittoresken Deckenkonstruktion aus Balken. Dieses Balkenfachwerk wurde gespiegelt auf durchsichtigen Folien, die daran abgehängt waren. So entstand eine symmetrische Struktur, zusätzliche Lichteffekte ergaben Schattenrisse dieses Fachwerks. Eine mehrfache Reflexion des Ortes: das reale Fachwerk, die Wiedergabe auf Folien und die Schatteneffekte ließen labyrinthische räumliche Effekte entstehen.
Ort Worms / Zugang NUTZUNG: Der Kunstverein Worms befindet sich in Räumen, die früher wohl ein Eros-Center waren. In diesen Ausstellungsraum mit seinem weiß gekachelten Boden und einer Schallschutzdecke, stellte Fleckenstein einen weißen Kubus und darin ein original Prostituiertenzimmer mit allen originalen Utensilien, wie Unterwäsche, gebrauchte Präservative u. a. Der Kubus war von außen kühl und uneinsehbar, durch eine rote Tür zu betreten. Innen an den Wänden hingen wieder bedruckte Folien mit dem Text einer Wissenschaftlerin, die zur Prostitution arbeitete und der Frage nachging, ob für Frauen aus ärmeren Ländern Prostitution eine ökonomisch sinnvolle Option ist oder nicht.
Orte Salzburg und Linz / Zugang PROBLEM: Bei der aktuellen Doppelausstellung in Salzburg und Linz sollte an beiden Orten das gleiche Thema bearbeitet werden. Der Vergleich der Räumlichkeiten (Traklhaus in Salzburg, Maerz in Linz) ergab keine Übereinstimmungen. So wandte er sich den Situationen der beiden Städte zu. Bei der google-Suche nach „Skandal“ und den beiden Städtenamen waren die finanziellen Probleme durch missglückte Spekulationsgeschäfte unter den ersten Treffern. Viele Millionen verloren durch Derivatgeschäfte, die Zahl 350 Millionen tauchte auf, usw. Eine ganze Menge Geld für eine Stadt wie Linz bzw. ein kleines Land wie Salzburg – wobei im Fall der Stadt Linz die Streitsumme im Spekulationsgeschäft bereits wesentlich höher liegt. Ihm war klar, diese Finanzskandale werden sein Thema. Wie aber setzt man das in eine Installation um?
Den Kern des kreativen und künstlerischen Prozesses beschreibt Fleckenstein als ein „auf der Couch liegen und nachdenken“. Alles darauf Folgende ist technische Umsetzung. Auf diese Weise entstand die Idee, 350 Millionen zu drucken. In 100-Euro Scheinen sind das 3,5 Millionen Scheine auf dem Boden verteilt, sodass die Besucher durchs Geld waten. Damit ein Gefühl für die Menge des Geldes ensteht, denn diese Summen sind ja inzwischen sehr abstrakte Größen. Es war ihm also klar, er will dieses Geld körperlich zeigen, dann aber die Frage, wie sollen diese Scheine aussehen? Fleckenstein entwarf zwei unterschiedliche Scheine, einen für Linz mit einem Gründer der Maerz und dem alten Linzer Rathaus. Die Salzburger Variante zeigt Georg Trakl und auf der anderen Seite den Sitz der Landesregierung. So dokumentieren zwei Scheine die jeweiligen Standorte und werden an beiden Orten gezeigt. Da es sehr restriktive Bedingungen in Bezug auf Falschgeld gibt, war die Gestaltung nicht so einfach. Ein Verlag, der auch Spielgeld druckt, sollte die in Linz und Salzburg eingesetzten „Geldscheine“ produzieren.
In Linz entstand die Idee mit dem Schredder: „Auch Sie dürfen unser Geld vernichten“. So kann jeder Besucher „Geldscheine“ schreddern und symbolisch vernichten. Das sind 3,6 Tonnen Papier, das sind 6 große Paletten.
Womit der Kunstraum zum fiktiven Tresor wurde – und zur Installation, worin das Publikum zu Partizipation aufgefordert war. Die paradoxe Aufgabe dabei: möglichst viele Geldscheine zu Konfettistreifen zu verarbeiten. Die Antithese zum Geldregen der Vorabend-Shows im Fernsehen. Sowie die grundlegende Veränderung der Kunstoberfläche, verbunden mit der seit Jahren gleichbleibenden (und im Kunstbereich immer wieder gestellten) Frage nach dem tatsächlichen Wert jener bunt bedruckten Papierstücke, die so unglaublich wichtig genommen werden.
Für jene, die schon lange nicht mehr in der Maerz waren und dadurch die große Konfettiparty versäumt haben, empfehlen wir den Gang in die Stadtwerkstatt: dort nach „GIBLING“ fragen!
„Multiplikation und Reduktion“ ist die erste Kooperation zwischen der Galerie MAERZ und dem Traklhaus in Salzburg. Die Ausstellung an der außerdem Sophie Dvorák und Ursula Groser beteiligt waren, ist in Linz bis 5. Dezember gelaufen und war zuvor in Salzburg zu sehen.
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