„So rinnen blicke wie meersand durch unsere finger …“
Zum Tod von Hansjörg Zauner.
Für Widmungsexemplare griff Hansjörg Zauner gerne zur Nadel. Mit ihrer Hilfe zog er rote Wollfäden entlang von Worten und Bildern, die er zuvor aus von ihm gefertigten Texten, Fotografien und Collagen geschnitten, sorgfältig auf eine Buchseite geklebt und schließlich mit seiner Signatur versehen hatte. Der Nadelstich ins Papier fungierte zugleich als Ausweis einer Poetik, die Zauner mit beeindruckender Konsequenz und nicht nachlassendem Enthusiasmus in mehr als 20 Buchpublikationen sowie einem umfänglichen bildkünstlerischen Werk verfolgte, wie auch ein Ausschnitt aus der 2005 erschienenen Prosasammlung die ofensau muß raus verdeutlicht: „bekannt wurde ich also als worteaufschlitzer. ich bin der einzige der mit seinem gesamten körper hineinsteigen kann. so verschwinde auch ich für einige zeit.“ Zauners künstlerische Einlassungen, die zudem Ausstellungsbeteiligungen, Auftritte im Radio sowie die Herausgabe einer Anthologie Gedichte nach 1984 (gemeinsam mit Gerald Jatzek) und mehrerer Zeitschriften umfassten, machten nicht vor Worten und den ihnen zugewiesenen, vermeintlich feststehenden Bedeutungen Halt. Stets nahmen sie den Körper und seine Wahrnehmungsfähigkeit zum Anlass, das Verhältnis von Welt und Sprache neu auszuloten, indem bestehende Sinnzusammenhänge lustvoll dekonstruiert wurden. „ICH HABE DIE WORTE IN VERDACHT“, heißt es dementsprechend in einem Anagramm der Textsammlung zerschneiden das sprechen, die 1989 in der Linzer edition neue texte erschien und heute zu den weitgehend vergessenen, herausragenden Zeugnissen österreichischer experimenteller Dichtkunst der 1980er-Jahre zählt. In formaler Hinsicht deutlich von Autorenkolleginnen wie Friederike Mayröcker oder Reinhard Priessnitz beeinflusst, wollte Zauner das Durcheinander der Wahrnehmung und Dickicht der Worte weniger lichten als mit poetischen Mitteln veranschaulichen: „also liegen legionen worte versehentlich auf steilen rücken strecken alle ihre füße in ihr bezeichnetes hinein warten was sonst noch passiert.“ Der unbedingte Glaube an die dichterische Vernunft machte in seinem Schreiben einer neuen Sinnlichkeit Platz, die ihre Inspiration gleichermaßen aus dem Kanon literarischer Avantgarden von Gertrude Stein bis Meret Oppenheim wie aus der Musik von Sonic Youth, Hüsker Dü, PJ Harvey und Björk oder den Bildern von Cy Twombly, Keith Haring, Jean-Michel Basquiat, Andy Warhol bezog: „gleichzeitig spreche ich zwei wörter. gleichzeitig denke ich drei sätze durcheinander. drei sätze denken sich selbst wenn sie zu splittern beginnen.“ Daneben las Zauner aber auch Gedichte von Pablo Neruda, Ingeborg Bachmanns Der gute Gott von Manhattan oder die Prosa Josef Winklers. Dementsprechend häufig handelt sein Werk vom Blick des Außenseiters auf den multikulturellen Raum der Großstadt und ihr besonderes Lebensgefühl, von Randzonen der Gesellschaft und synästhetischen Grenzerfahrungen. Diese Beobachtungen verdankten sich nicht allein seinem ständigen Wohnort Wien, sondern waren auch längeren Stipendienaufenthalten in Berlin, Rom, Paris oder Istanbul geschuldet: „bis die sprache ganz zusammengekehrt ist dauert es ein paar jahre sagt man in barbès.“ Die dichterische Aufräumarbeit kannte feste Rituale, sah neben dem täglichen, mehrere Stunden umfassenden Schreib- und Korrekturprozess etwa auch intensives Musikhören und den Besuch von Kunstmuseen sowie der immer gleichen Caféhäuser und Clubs vor, die anschließend Eingang in seine Bilder und Texte finden sollten. Am Eindrücklichsten gelang dies vielleicht in seiner 1999 publizierten Textsammlung Jolly, die mittels poetischer Momentaufnahmen Anekdoten und Begegnungen in Zauners ehemaligem Wiener Stammlokal Chelsea oder Streifzüge durch den Pariser Stadtteil Belleville rekapitulierte. „hier oder?“, schrieb Hansjörg Zauner mit rotem Filzstift in meine Buchausgabe von zerschneiden das sprechen und das Vorsichtige und Ungewisse dieser Frage verrät viel von der ihm eigenen Art, sich anderen Menschen und ihren Lebensbedingungen mit künstlerischen Mitteln anzunähern, indem er zunächst seine eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen zu reflektieren suchte. Und es verwundert nicht weiter, dass eine Ausgabe der von ihm zwischen 1988 und 1998 publizierten Zeitschrift für neue Poesie Solande aus nichts als einem rechteckigen Stück Spiegelglas bestand. Die Methode der Selbstbespiegelung und die Fragen danach, wie wir selbst und andere uns sehen, einander begegnen und immer wieder verfehlen, stellten schließlich auch die Fluchtpunkte seiner künstlerischen Arbeit dar: „kein mund mehr in unseren händen sage ich; wir tauschen unsere weichrammelzungen und rauschen weiter. über unseren prallen lippen braust dieser lockere erdteil …“ In seinem filmischen, in Ausschnitten auch auf YouTube zugänglichem Werk rezitiert Zauner häufig eigene Texte vor der Kamera, die seinen Körper zerstückelt und perspektivisch vielfach gebrochen porträtiert, wie die 2008 erschienene Prosa LUXUS formuliert: „ich schlafe mich auseinander. hier ein sack hände. dort ein sack tisch. hier ein sack augen. dort ein sack ohren. hier ein sack mund.“ Im Video Jolly 2 hingegen beobachten wir den Dichter in seiner Wohnung minutenlang in Nahaufnahme beim Verspeisen des gleichnamigen Eislutschers, während er mit monotoner Stimme den Filmtitel repetiert. Einem anderen Prinzip der Wiederholung folgten seine farbigen Mehrfachbelichtungen, die in der Überblendung mehrerer Einzelbilder und Wahrnehmungspunkte auch in seiner Spracharbeit eine Entsprechung fanden: „gleichzeitig spreche ich zwei wörter. gleichzeitig denke ich drei sätze durcheinander. drei sätze denken sich selbst wenn sie zu splittern beginnen.“ Zauners Kunst kombinierte den bekannten Vorrat an Worten und Zeichen zu neuen Sinnzusammenhängen, deren Bedeutung unmöglich auf einen Begriff zu bringen war, getreu dem Motto „denken schützt vor worten nicht sagt naseweis“. Zugleich zeugten Wortneuschöpfungen wie „augenstrickblicke“ und „wackelwortkontakte“ von der Flüchtigkeit und den Unsicherheiten des täglichen Lebens und den Schwierigkeiten seiner literarischen Beschreibung, die er durch einen ständigen Wechsel der Erzählperspektive und eine Umkehrung der vertrauten Kausalitätsbeziehungen seinem Publikum näherbrachte. Mit poetischen Aussagen wie „Gehsteig ist also ein schuh“ oder „Mädchen fraß krokodil“ stellte der Künstler die herrschenden Verhältnisse auf den Kopf, indem er ihre Veränderbarkeit nahelegte. Der darin zum Ausdruck gelangende Optimismus, der Künstler und Freund Hansjörg Zauner, sie fehlen.
Hansjörg Zauner war österreichischer Schriftsteller und bildender Künstler, oder „Autor, Bildermacher, Filmer“. Er widmete sich der experimentellen Dichtung und Prosa, visuellen Arbeiten, der Photographie, Filmen (Super 8) und war Herausgeber der Zeitschrift für neue Poesie SOLANDE. Er war Mitherausgeber der Anthologie „Gedichte nach 1984“ – Lyrik aus Österreich. 1985 wurde er mit dem Theodor-Körner-Preis für künstlerische Fotografie geehrt. Zauner war unter anderem Mitglied der Künstlervereinigung MAERZ. Er lebte in Wien und Obertraun.
Biographie und Werk: www.literaturnetz.at
Akustische „Aufarbeitung“ von Jolly – „Mit dem Bagga mitten in die Worte hinein“:
www.kunstradio.at/2000A/28_05_00.html
Einige Filme und Lesungen auf Hansjörg Zauners youtube-channel: www.youtube.com/channel/UC7q1EKHU_Glup5X7nJ-Gl4g
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