Welcome Wellness, Goodbye Wittgenstein!
Braucht es die Unterscheidung zwischen Kunst und Wissenschaft? Waren Künstler und Künstlerinnen nicht immer schon Wissenschafter? Sollte die Wissenschaft nicht als Kunst betrachtet werden? Anlässlich des im April stattfindenden Projekts [hu:mmmm] hat Michael Franz Woels den Musiker und Künstler Andre Zogholy von qujOchÖ getroffen.
Andre Zogholy ist einer von zehn „nicht pathologischen Schizos“ der Linzer Initiative für experimentelle Kunst- und Kulturarbeit qujOchÖ, die unter der akronym anmutenden Buchstabenfolge seit der Jahrtausendwende mit thaumaturgischem Gespür mittels „undisziplinierter“ Aktivitäten im Soziotop Kunst und Wissenschaft wildern, befeuert durch eine intensive Auseinandersetzung mit Phänomenen wie Wirtschaftskriminalität, Magnetismus, Wellnesszonen oder Verschwörungstheorien. „Mich interessiert weniger die Beantwortung der Frage, was Artistic Research ist, sondern eher die Frage, wie man das, was wir aus einem Selbstverständnis heraus machen, ausstellen, vermitteln und kuratieren kann“, erklärt der Musiker, Künstler und Kurator Andre Zogholy.
Seit 2004 gibt es die eigene qujOchÖ Betriebsstätte quitch, die man nicht wie das Wort Kitsch, sondern eher wie den ersten Teil des Kompositums Quietschente ausspricht. Die Ateliergemeinschaft ist nahe am Wasser, das bei einem der größeren Projekte heuer eine bedeutende Rolle spielen wird, am Palais Zollamt mit gepflegter, desavouierender NIMBY-Attitüde und noch näher am Fuße des Lentosmuseum gelegen, und im Hinterhof übrigens mit einem verwertungsunlogischen Moorbecken als Anti-Urban-Gardening-Statement ausgerüstet. Zur Zeit besteht das 2001 gegründete, als Kulturverein organisierte Kollektiv aus zehn linzbasierten LöterInnen der Nahtstellen zwischen Kunst, Gesellschaft und Politik und beschreibt sich selbst so: „qujOchÖ agiert an den Schnittstellen von Kunst, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. qujOchÖ ist mannigfaltig, heterogen, untaggable und gänzlich undiszipliniert. qujOchÖ verwendet Alles und Nichts, zeigt, installiert, interveniert, lärmt, baut, diskutiert und verbindet.
qujOchÖ macht alles aus Liebe und Überzeugung.“
Wie die Elemente dieses Artist Statements erlebbar gemacht werden können, daran tüftelt zurzeit das 3-Mann Organisations- und Kuratierungscoreteam Clemens Bauder, Andreas Reichl und Andre Zogholy. Mit dem Ein- und Abtauchen, dem Phänomen der Immersion, beschäftigt sich eines der aktuellen Projekte von qujOchÖ mit dem klingenden Namen [hu:mmmm]. Im Englischen bedeutet „to hum“ soviel wie: Mit der menschlichen Stimme einen Drone erzeugen. Die vier m dienen dazu, dem Wortlogo auch ein hinterfragendes Moment (hmmmm?) zu geben. Mit [hu:mmmm] wird Anfang April die Wellnessoase Hummelhof in Linz mit ambienten Beschallungen, Live-Konzerten, Vorträgen und Installationen künstlerisch verfremdet. Als theoretisches Fundament dient der von dem französischen Philosophen Michel Foucault verwendete Begriff der Heterotopien. In der medizinischen Diagnose versteht man darunter ein disloziertes Gewebe. Michel Foucault entdeckte mithilfe seiner gesellschaftstheoretischen Brille aber auch Heterotopien außerhalb des Körpers, er sprach von „De l’espace autres“, von anderen Räumen, und versuchte in den 1960ern dieses Konzept exemplarisch zu verdeutlichen beziehungsweise systematisch – diese Beschreibung nennt er Heterotopologie – zu fassen.
Als Beispiele dienen Foucault neben dem menschlichen Körper noch das Schiff als Heterotop par excellence, dann das Spiegelbild, die Sauna, Klinken, Gefängnisse, Friedhöfe, Theater, Kinos, Gärten, Museen, Bibliotheken, Feriendörfer, Festwiesen, Motels, Bordelle und auf einer größeren Maßstabsebene Kolonien. Er unterscheidet zwischen Krisen-, Abweichungs-, Illusions- und Kompensationsheterotopien, Heterotopien können zeitlich begrenzt existieren (wie die eintägige Veranstaltung von qujOchÖ im Areal des Hummelhofbads), als auch die individuelle Zeitwahrnehmung beeinflussen (Immersionserlebnisse während dieses Events). „Das Heterotopiekonzept ist sehr abstrakt und in der Rezeption werden die Grundsätze oft wie mathematische Axiome behandelt“, bekennt Andre, der unter dem Label „Auditive Heterotopologien“ die Kunst- und Wissenschafts-Obsessionen „spacial turn“ und „acoustic turn“ experimentell beforscht. Das Hummelhofbad fungiert nun sozusagen als Forschungslabor, die Veranstaltung mit dem Arbeitsuntertitel „Auditive Wellness Heterotopologien“ wird weitere empirische Erkenntnisse zur Funktionalität von Sounds im Spannungsfeld von Selbstgouvernementalität, Architektur und bildender Kunst, Neurologie und experimenteller Physik kondensieren.
Seit Monaten wird intensiv vor Ort und mit der Linz AG zusammengearbeitet. Es werden Impuls-Response-Vermessungen mittels Luftballonzerplatzungen in den unterschiedlichen Räumlichkeiten durchgeführt, und die akustischen Messwerte kommen auch wieder den Bäderbetreibern zugute, denn, so Andre: „Ganz wichtig ist es uns, dass man nicht als Invasor auftritt und die Badegäste, die Bademeister und Arbeiterinnen zwangsbeglückt, sondern sie alle sollen von Anfang an mit ins Boot geholt werden.“ Auch machtanalytische Aspekte à la Foucault sind für das Wellness-Architektur-Klang Forschungsprojekt, das am Samstag, den 9. April auf vier Stimulanzebenen – Kompositionen, Vorträge, Konzerte und Installationen – erfahrbar sein wird, relevant.
Denn so wie die Verordnung von Stille eine Machtgeste darstellt, ist auch „kein Sound unschuldig“. Die Selbst-Gouvernementalität, also die Technik des Sich-Selbstregierens und der Selbst-Optimierung sind ein weiterer programmatischer Eckpfeiler von [hu:mmmm]. Und beim Thema der Selbst-Optimierung ist man dann auch schnell im dampfigen Bereich der Wellnesszonen angelangt: „Diese Wellnesszonen haben ja die Funktion, möglichst schnell einen Erholungseffekt zu erzielen, damit du danach wieder fit bist für deinen Job, deine Projekte, deine Selbstausbeutung und die familiären Verpflichtungen.“
Wie ein ayurvedischer Stirnölguss oder eine Binaural-Beats-Berauschung wirkt wiederum der glänzende Namedropping-Schwall dieser ephemeren Sound-Badeveranstaltung der etwas anderen Art: Es wird Schizophones, Kompositionen von Andreas Kurz, Wolfgang Fuchs, Lena Leblhuber, Christina Nemec, Richard Eigner, We Will Fail, Billy Roisz, Julien Ottavi, Ilpo Väisänen, Sam Auinger, Tanja Brüggemann Stepien, Jeff Bridges (Sleeping Tapes) zu hören geben. Live zu begutachten dann die wasserdichten Acts Fennesz und Abby Lee Tee. Vorträge im Bademantel geben David Toop (Leseempfehlung: Ocean of Sound), Karin Harrasser, Thomas Macho und Badeeventmeister Andre Zogholy himself. Installationen in den diversen, akustisch extrem unterschiedlichen Räumlichkeiten werden unter anderem von Sun Obwegeser, Richard Eigner, Julia Tazreiter, die Faxen, Ingo Randolf, Davide Bevilacqua, sowie dem Kuratierungsteam Bauder-Reichl-Zogholy beigesteuert.
Ein weiteres größeres Projekt von qujOchÖ nennt sich „Goodbye Wittgenstein“, ein Austauschprogramm mit Off-Spaces in Birmingham. Nachdem der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein in seiner Jugendzeit einige Jahre in Linz verbrachte, lebte er auch eine Zeit lang in Birmingham und ebendort hat er auch die Grundlagen für das posthum erschienene „Notes on Logic“ geschrieben. Ludwig Wittgenstein hatte dort einen Liebhaber, und daher wird die interstädtische Linz-Birmingham-Kooperation einerseits eine Verknüpfung auf diskursiver Ebene, andererseits auf künstlerischer Ebene eine mit dem Themenkomplex gay/queer herstellen. Ende Juli, Anfang August wird qujOchÖ vor Ort in Birmingham sein, Interventionen und Präsentationen stehen am Programm. Im November kommen die Birminghamer dann nach Linz. Darunter auch Mike Johnston von Plone. „Diese ursprünglich als Duo agierende Band war einer meiner Lieblingsacts in den 1990er Jahren, Mike Johnston hat danach Philosophie studiert und sich intensiv mit Wittgenstein auseinandergesetzt“, zeigt sich Andre begeistert über diese Synergie.
Übrigens für alle, die sich fragen, ob beziehungsweise wie man das Wort qujOchÖ ausprechen könnte, hier die Lautschrift: [k’u:jo:xø:]. Und für alle, die es noch nicht wissen beziehungsweise glauben wollen, darunter versteht man das Paarungsverhalten von peruanischen Pfeilgiftfröschen.
www.zogholy.net/auditive-heterotopias-brief-outline
www.quer-magazin.at/home/12-2014/291
qujochoe.org/about
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