Wo sind die Medienkünstler*innenmütter?
Medienkünstler*innen, die sich mit dem Thema Mutterschaft beschäftigen: Welche künstlerischen Projekte und Arbeiten sind in den letzten Jahren zwischen Reproduktion, Technospekulation, Mutterschaften, Technofeminismen und Posthumanismus entstanden? Inspiriert von der eigenen Erfahrung widmet sich Graziele Lautenschlaeger diesem Forschungsbereich, der keine einfachen Antworten liefert.
Im Gegensatz zu einer beachtlichen Repräsentanz von Mutterfiguren in den bildenden Künsten ist die Schnittstelle zwischen Medienkunst, Mutterschaften und aktueller Technologie gering artikuliert. Dies scheint mit den Herausforderungen zu korrelieren, die mit der schwierigen Vereinbarkeit von Reproduktions- und künstlerischen Arbeiten einhergehen. Bezeichnenderweise sind diese zwei Arten Arbeit üblicherweise schlecht bezahlt, wenn überhaupt. Überdies sind sie häufig abgewertet und deshalb unsichtbar gemacht. Zu diesem Problemkomplex gehört nicht nur die unbezahlte emotionale Arbeit, sondern auch der Mangel an organisatorischen Strukturen auf privater und öffentlicher Ebene, die empathischer mit den Schwierigkeiten von Elternkünstler*innen umgehen.
Im Medienkunstbereich wird die Gender gap zusätzlich durch die Tech gap verschärft. In Kontexten, in denen Frauen auf den ersten Blick weniger Hindernisse aus dem Weg räumen müssen, um mit Technologie zu experimentieren, z. B. USA und Europa, finden sich zwar Vertreter*innen, die sich mit der Verschränkung von Mutterschaft(en), Technofeminism(en) und Posthumanismus beschäftigen. Ein Beispiel ist die US-amerikanische experimentelle Künstlerin und Technologin Ani Liu: Zwischen dem 27. Mai und 30. Juli 2022 stellte die Künstlerin eine eindringliche Soloausstellung in der Galerie Cuchifritos in New York unter das Thema Ecologies of care, in der eine vielfältige Reihe von spekulativen Kunstwerken uns zu einer Reflektion von Unsichtbarkeit von Reproduktions- und Kinderpflegearbeit einlud. Von Datenvisualisierungen von Stillen und Windelwechseln zu KI-generierten genderbasierten Spielzeugen äußert Ani Liu eine feministische Denkweise, die aus einer aktuellen technologischen Basis entsteht. Sie übersetzt für die neue Generation immer noch relevante feministische Fragen mit zeitgenössischen Techniken, indem sie sozusagen einen Teil der berühmten Post-partum Dokumente (1973–1979) von Mary Kelly spiegelt. Ein einzelnes Erfolgsbeispiel bedeutet allerdings nicht, dass wir auf dem Weg sind, ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen künstlerischer Produktion und Kinderpflegearbeit zu finden.
Einer Philosophie der Umwandlung zufolge ist Mutterwerden eine Erfahrung, die uns in existentieller Weise betrifft, zusätzlich zu den zahlreichen mit diesem Prozess verbundenen Tabus, Kontroversen, Widersprüchen und Ambivalenzen. Alle können intensiv genug sein, um in Kunstwerken thematisiert zu werden. Aber wann, wie und warum? Eine punktuelle Recherche im Rahmen der bereits 2003 von Signe Theill kuratierten Ausstellung double bind Kunst Kinder Karriere im Künstlerhaus Bethanien in Berlin ergab, dass sich für über 73% der teilnehmende Künstler*innen ihre berufliche Situation nach dem Kind verändert habe, während nur 60% angaben, dass ihre Kinder ihre Kunstwerke auch inhaltlich beeinflussen. Theill warnt, dass die damals gesammelten Daten eine sehr kleine Stichprobe sind. Umgekehrt weist dies auch auf die schlechte Datenlage. Als Reaktion auf diesen Mangel an Daten und Informationen habe ich beschlossen, im Rahmen meiner Forschung eine Umfrage zum Thema Mutterschaft und Medienkunstproduktion zu starten. Wenn Sie Künstler*innen kennen, die an dieser Schnittstelle arbeiten, möchte ich Sie, die Leser*innen, gerne um Mithilfe bitten, indem Sie der Person den Link zu meinen Fragen weiterleiten: shorturl.at/gnuxY. Vielen Dank! 🙂
Die Frage, warum es so wenig Medienkünstler*innen gibt, die sich mit dem Thema Mutterschaft beschäftigen, verlangt aufgrund ihrer Komplexität mehrere vernünftige Abstraktionen. In meiner Forschung schlage ich vor, Mutter und Mutterschaft als Begriffe zu verabschieden und die ursprünglich mit diesen Begriffen verbundenen Tätigkeiten als „Operationen“ an ihre Stelle zu setzen. Mit Operation meine ich, dass Muttersein verschiedene Tätigkeiten bedeutet: Schwanger zu sein, Stillen/Ernähren zu können/müssen, sich mit Baby und/oder Kinderpflege (und der entsprechend vermehrten Hausarbeit) zu beschäftigen, und so weiter – und es ist egal, welche Entität dafür sorgt.
Wir wechseln damit zur posthumanen Perspektive und auch seiner Terminologie: Ein Wesen zu generieren und zu erziehen gehört zu den wichtigsten Tätigkeiten und Abläufen eines „Weltenergiezyklus“ – selbst, wenn man Menschen nur als Arbeitskräfte für die kapitalistische Maschine betrachten würde. Aber Posthumanismus bedeutet keinesfalls eine Vernachlässigung des Menschen, sondern ein respektvolles lebensbezogenes Paradigma, das auf symbiotische Verbindungen der Menschen mit anderen Arten und auch mit Maschinen zielt. Es kann ein Kompass an Möglichkeiten sein, gemeinsam eine gerechtere Welt zu gestalten, natürlich – was den Menschen betrifft – unter Wahrung der entsprechenden privaten und individuellen Freiheiten. Mit diesem Ansatz wäre es dann insgesamt sinnvoller, die Frage bezüglich den Operationen von Reproduktion und Pflegearbeit auf kollektiver Ebene zu behandeln. Das heißt, die Mutterrolle umfasst dabei zwar die zentralen biologischen, sozialen und kulturellen Herausforderungen, betrifft aber nicht nur idealisierte weiße, weibliche heterosexuelle Körper – sogar nicht nur Menschen.
Solche posthumanistischen Fragen behandeln – in der Kunst – natürlich nicht nur die oben genannten Kunstwerke von Ani Liu, sondern – neben anderen – auch das Projekt Hybrid family (2016) der Slowenischen Künstlerin Maja Smrekar, das Ökofeminismus, Beziehungen zwischen den Arten, Technologie und ideologische Strukturen in der Gesellschaft einbezieht. Das Projekt bezog sich auf die gleichzeitige existentielle und politische Instrumentalisierung des Körpers einer Frau und des Stillens. Während einer dreimonatigen Performance mit ihren Hunden stimulierte die Künstlerin ihre eigene Hypophyse durch systematisches Abpumpen, um das Hormon Prolaktin freizusetzen. Gleichzeitig ernährte sie sich reich an Galaktogenen, um die Laktation zu fördern, was als Nebeneffekt die Erhöhung des Oxytocin-Hormons stimuliert. Dadurch, dass die Künstlerin eine „(m)Other“ wurde, erlebte sie die von Donna Haraway geprägte „natureculture“ und erforscht die dekoloniale reproduktive Freiheit in einer Multispezies-Welt weiter. Zusätzlich führte Smrekar während der dreimonatigen Performance einen Dialog mit dem Co-Kurator des Projekts, Jens Hauser, in einem öffentlichen Blog. Die Beiträge stehen auf der Website der Künstlerin zur Verfügung.
Andere mögliche direkte thematische Verbindungen zwischen Reproduktion und Technologie umfassen häufig künstliche Gebärmütter, künstliche Plazenten, und andere gentechnologische Techniken, die schon seit Beginn des Interesses an und der Angst vor Reproduktionstechnologie Sci-Fi Geschichten inspiriert haben, zum Beispiel Brave New World (1932) von Aldous Huxley oder Blade Runner (1984)/ Do Androids dream of electric sheep? (1968). In jüngster Zeit ist die Serie The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd, basierend auf dem dystopischen Roman der kanadischen Autorin Margaret Atwood, die populärste Referenz. Genau um solche dystopischen Welten zu vermeiden, plädiert Technofeminismus für eine Haltung, in der solche Technologien auch von nicht dominierenden Gruppen entwickelt werden können. Wird Ähnliches von Künstler*innen, die im Medienkunstbereich technologisch mit Themen wie Fertilisierung, Schwangerschaft, Geburt, Kinderernährung und -erziehung und so weiter arbeiten, erwartet?
In der Kunst wird beobachtet, dass die vielfältigen feministischen Strömungen sich überschneiden. In Bezug auf die Reproduktion und die daraus abgeleiteten Technologien stehen wir vielleicht an einem Scheideweg. Anstatt einer Versöhnung der verschiedenen feministischen Strömungen benötigen wir eine Neuerfindung der Universalität, die intersektionale Stimmen berücksichtigt und die uns vor allem erlaubt, kollektiv für Veränderungen einzutreten. In diesem Sinne verlasse ich euch mit der Einladung, im Februar den Workshop Where are the media artist mothers? im Nordico Stadtmuseum zu besuchen. Dort wollen wir gemeinsam den Weg von der Idee zum konkreten Vorschlag gehen.
Workshop
Where are the media artist mothers?
18. Februar, 14:00–17:00 h
Nordico Stadtmuseum,
im Rahmen der Ausstellung What the fem*? Feministische Perspektive 1950 bis heute
Empfohlene Texte, die diesen Artikel inspiriert/unterstützt haben:
Caliban und die Hexe und Revolution at Point Zero: Hausarbeit, Reproduktion und feministischer Kampf, von Silvia Federici
How Not to Exclude Artist Mothers (and Other Parents), von Hettie Judahs Full surrogacy now, von Sophie Lewis
dea ex machina, hergestellt von Armen Avanessian und Hellen Hester
The Companion Species Manifesto: Dogs, People, and Significant Otherness und Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene, von Donna Jeanne Haraway.
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